Pema: Im Lotos-Land der Ngolok-Nomaden. Eine architektonische Auslegung des 'Paradieses des Glorreichen Kupferfarbenen Berges'


Scientific Essay, 2001

27 Pages


Excerpt


Pema: Im Lotos-Land der Ngolok-Nomaden

Eine architektonische Auslegung des
“Paradieses des Glorreichen Kupferfarbenen Berges”

von Andreas Gruschke, M.A., Freiburg

Die Sehnsucht nach einem “Paradies”, einem Ort jenseits unseres Raums und außerhalb der leidvollen Zeit, bewegt die Menschen, seit sie denken können. Die Suche danach begann meist dort, wo der bekannte Raum endete, hoffnungsvolle Erwartungen die Ortskenntnisse überstiegen und somit die berühmten “weißen Flecken auf der Landkarte” erreicht wurden. Die buddhistische Tradition kennt die sog. “Reinen Länder”, die für gewöhnliche Menschen unsichtbar sind und in die man durch die Wiedergeburt in einer Lotosblüte gelangt. Somit sind sie auf normalem Wege unerreichbar. Lange Zeit galt dies auch für den Lebensraum der Ngolok-Nomadenstämme, der für Fremde, ja selbst für die meisten ihrer tibetischen Nachbarn nur unter großer Mühsal und Gefahr erreichbar, daher auch unsichtbar geblieben war. Wenig verwunderlich ist daher, daß auch ihre architektonische Auslegung des “Paradieses des Glorreichen Kupferfarbenen Berges” bis heute unbekannt geblieben ist.

Auf gängigen kulturhistorischen Karten[1] des tibetischen Hochlandes zeichnet sich der Lebensraum der Ngolok[2] -Nomaden meist durch große weiße Fle­cken aus. Der Hauptgrund dafür dürfte sein, daß es in der westlichen Literatur kaum Beschreibungen dieser Region gibt, denn es scheiterte annähernd jeder Versuch europäischer oder amerikanischer Forschungsreisender, für längere Zeit in den Lebensraum der Ngolok-Seta, also die Großre­gion um die heiligen Berge Amnye Machen und Nyenpo Yutse[3] vorzustoßen. Einige dieser Forschungsreisenden bezahlten ihre Versuche gar mit dem Leben, wie die Franzosen Dutreuil de Rhins oder Victor Liotard:[4]

“The Ngolo-Setas tribesmen belonged to that Tibet which few Europeans had penetrated, the Tibet of the primitive herdsmen of the high plateaux far removed from the civilization of Lhasa and of the settlements of the valleys.”[5]

Die Vorstellungen von den primitiven, also rauhen, räuberischen und mordlustigen Ngolok blieb uns noch bis weit ins 20. Jahrhundert bewahrt. Wohl daher gab es wenig Anlaß, sich mit der Möglichkeit einer ausgeprägten Klosterkultur in jener Region auseinanderzusetzen, zumal ja selbst das berühmteste Kloster im Ngolok-Gebiet, das große Rakya Gompa am Gelben Fluß, teilweise unter deren Übergriffen zu leiden hatte:

“I called on the local Buddha, of course. Without the aid of these holy men, no intruder from the outside world could last long among these fanatics. ... The Rimong chief, most powerful of the Ngoloks, would probably rob and murder us, predicted the steward. Only recently this wild tribe had even robbed a Living Buddha, ... as his party went over one of the Ngolok trails. / ... the Buddha finally changed his mind and said he would send my messages to the Ngolok chiefs, advising them of my approach. At first, every man who was asked to go as a messenger with our letters declined the job. / ... the chief Buddha, he was powerless. The guilty clan paid not the slightest attention to him; in fact, a few nights later, they stole some of his own horses and sheep. ... News had just reached him that a member of his lamasery, returning from the Ngoloks, had been robbed and killed.”[6]

Aus diesem Grunde verwundert es auch nicht weiter, daß in tibetischen Geographien, die ja im wesentlichen Beschreibungen von Tempeln, Klöstern und Pilgerorten in der tibetischen Ökumene sind, Darstellungen solcher religiöser Stätten im Kerngebiet der Ngolok selbst in tibetischen Quellen nur wenig zu finden sind. In der von Wylie übersetzten Geographie des Lama Tsenpo (bla ma btsan po) sind der Ngolok-Region keine zehn Zeilen gewidmet, und Wylie merkt nur an:

“The Mgo-log are a fierce, nomadic people inhabiting the region around the Rma-chen-spom-ra range and the same Golok robbers who plagued Pandit Kishen Singh on his journey in 1879-82.”[7]

Selbst noch die “Politische und religiöse Geschichte von Amdo” des Lama Dragönpa Könchog Tenpa Rabgye,[8] die in der chinesischen Fassung 742 Seiten umfaßt, handelt die gesamte Ngolok-Seta-Großregion auf nur 32 Seiten ab.[9] Auch dort scheinen außer den zwei bedeutenden, von der Seite des Großklosters Labrang Tashi Chil (bla brang bkra shis ‘khyil) den Ngolok vor die nordöstliche Haustür gesetzten monastischen Einrichtungen[10] kaum andere Dinge im Ngolok-Gebiet erwähnenswert außer den schon genannten heiligen Bergen. Der Schluß liegt nahe, daß es nichts gebe, wo selbst tibetische Mönchsgelehrte nichts beschrieben.

Nun führt der chinesische Tibetologe Pu Wencheng in seinem Buch über “Tibetisch-Buddhistische Klöster in Gansu und Qinghai” für die heutige Ngolok-Präfektur 63 Klöster auf,[11] von denen einige allerdings erst nach dem Bildersturm von 1958, den Zerstörungen der Kulturrevolution und dem ab etwa 1980 einsetzenden Wiederaufbau entstanden. Bei genauerer Betrachtung sind ohnehin viele Klöster erst im 20. Jahrhundert ortsfest geworden, was auch erklärt, weshalb Lama Dragönpa Mitte des 19. Jahrhunderts nur wenig zu berichten wußte. Dennoch haben die Täler und Steppen des Ngolok-Lebensraumes so manche kulturgeschichtliche Überraschung zu bieten. Erweckten die Großklöster Rakya und Tsanggar zunächst noch den Eindruck, daß sich die Gelugpa-Dominanz des zentralen und östlichen Amdo auch im Raum um den heiligen Berg Amnye Machen fortsetzen würde, belehrt der Blick auf die statistischen Zahlen, die folgendes Bild ergeben, eines besseren: Von den genannten 63 Klöstern in der Ngolok-Präfektur gehören lediglich sieben den Gelugpa an, die sich zwei weitere mit den Nyingmapa teilen, weitere sieben sind Jonangpa-Klöster, eines Kagyüpa, während die überwältigende Mehrheit von über 40 Klöstern die überwiegende Anhängerschaft der Ngolok-Stämme unter die Nyingmapa-Lehrauslegungen belegen.[12]

Der Buddhismus verbreitete sich im Ngolok-Gebiet ab dem 14. Jahrhundert vor allem durch die Lehrtätigkeit der Nyingmapa, und erst rund 100 Jahre später fanden Kagyüpa und Jonangpa-Mönche ihren Weg hierher. Als letzte folgten die in Amdo erfolgverwöhnten Gelugpa, die erst Mitte des 18. Jahrhunderts Fuß fassen konnten.[13] Aber für etwa zweieinhalb Jahrhunderte seit seiner Gründung war Rakya Gompa ein bedeutender Gelugpa-Außen­posten auf der Türschwelle der Ngolok-Region. Da es hier einen der wichtigsten Flußübergänge und somit den regionalen Handel kontrollieren konnte, gewann es Einfluß auf die nördlichen Stämme der Ngolok. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die im hohen Maße aggressive Missionstätigkeit der Gelugpa-Lamas von Labrang, die ja immerhin in den 1860er Jahren versucht hatten, die “Rotmützen” des noch weiter südwestlich der Ngolok gelegenen Yushu zwangszubekehren,[14] eine Welle von Nyingmapa-Klostergrün­dun­gen auslöste. Diese erfolgte überwiegend in den klosterarmen Weideländern an den Hängen der heiligen Berge und in den weiten Steppengebieten zwischen den Amnye-Machen- und Bayankara-Ketten.

Die tibetischen Gebiete im Hochland zwischen dem zentralen Amdo und nördlichen Kham gehören noch immer zu den am wenigsten bekannten und erforschten. Ein Blick auf die schon erwähnte ethnisch-kulturhistorische Karte Tibets bezeichnet diesen Raum als Yarmothang (gyar mo thang[15] ). Mit diesem Begriff sind eigentlich die weitläufigen Hochländer gemeint, die die östlichen Gefilde des innertibetischen Steppenplateaus bezeichnen - das unter dem zentraltibetischen Begriff Changthang (die “Nördlichen Ebenen”) geläufiger ist. Da yar “oben, aufwärts” bedeutet, sind mit Yarmothang die “oberen Ebenen” gemeint, bzw. die “Ebenen, die [weit] hinaufreichen”, nämlich von 4400 bis über 5000 m ü.M. Es sind also die Grassteppen im Oberlauf und Quellgebiet des Gelben Flusses, den die Tibeter Ma Chu nennen.

Auf der obengenannten Karte ist Yarmothang bis zum östlichsten Ende des Ma-Chu-Flußknies eingetragen, was die Ausbreitung der Gebirgsketten des Amnye Machen unterschätzt. An deren Südfuß breiten sich jedoch weitere ebene Ländereien und Hochtäler aus, die wiederum den Ngolok-Stämmen zugehören. Während diese im westlichen Teil ihres Lebensraumes ausschließlich von der nomadischen Viehzucht leben, gibt es im Osten, vor allen Dingen im südöstlichen Kreis Pema (padma, chin. Baima/ Banma), auch Acker­bautreibende unter ihnen. Da die reinen Weideländer lange Zeit fast “unberührt” von festen Tempeln und Klöstern geblieben waren, wurden ihre religiösen Bedürfnisse von Mönchen erfüllt, die den Zelten der verschiedenen Stammesgruppen folgten. Erst um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert entstanden vermehrt “Zeltklöster”, die zwar noch immer beweglich waren, aber schon langsam einen ortsfesten Charakter annahmen. Allein im Südosten, in Pema, dem Stammland der ursprünglichen “Drei Ngolok-Stämme”, hatten größere Klöster und mönchische Gemeinschaften bereits eine längere Tradition. Für Fremde blieb diese Region bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts quasi unerreichbar, und selbst wenn die Zerstörungen von 1958 und in der Kulturrevolution vieles unwiederbringlich vernichtet haben, läßt sich an den restaurierten und wieder errichteten Anlagen erkennen, daß dieser buddhistische Raum der wissenschaftlichen Erforschung noch eine größere Herausforderung bietet.

Pema - Die Heimat der “wilden” Ngolok-Stämme

Im Südostzipfel der Provinz Qinghai erreichen wir auf guten Naturstraßen Pema, einen Landkreis, der auf chinesischen Karten als Banma eingetragen ist. Diese Umschreibung des tibetischen padma, “geheiligter Lotos”, nimmt Rücksicht auf die örtliche Aussprache Parma des Ngolok-Dialektes.[16] Obschon sie sich nahe der Provinzgrenze befinden, können die Täler von Pema als das Herzland der Ngolok-Stämme betrachtet werden, und als solches steht es in enger Beziehung zu den benachbarten Gebieten in Sichuan, zu Se[r]ta und Dzamthang. Gemeinsam bildeten sie dereinst das schier undurchdringliche Stammesgebiet der Ngolok-Seta.


[...]

[1] Vgl. z.B. die “Ethnisch-Kulturhistorische Karte” des Tibet Instituts, Rikon (Schweiz)

[2] Die tibetische Schreibweise dieser Nomadenstämme ist mgo log, doch die Amdo-Aussprache ist ngo lok (vgl. Hua Kan & kLu-‘bum rGyal 1993, S.117), weshalb hier die in der Literatur häufig auftauchende Schreibweise Ngolok beibehalten wird.

[3] Der Nyenpo Yutse (gnyan po g.yu rtse, 5369 m) wird auch Ngolok Mountain (chin. Guoluo Shan bzw. Nianbaoyuze) genannt. Er liegt auf dem Gebiet des Kreises Cigdril (gcig sgril) im Südosten der chinesischen Provinz Qinghai und nahe der Provinzgrenzen zu Gansu und Sichuan.

[4] Vgl. Sandberg [1904], 1987, S.227-232; Guibaut 1947, 1987.

[5] Pamela Nightingale, Vorwort in Guibaut 1987, S.xi.

[6] Zit. aus Rock 1930, S.159-161,164.

[7] Zit. aus Wylie 1962, S.190, note 692.

[8] brag dgon pa dkon mchog bstan pa rab rgyas, geboren 1801 und gestorben nach 1865. Vgl. Yang Guiming & Ma Jixiang 1992, S.349f.

[9] Dragönpa 1989, S.224-255. Darunter machen allein die beiden Gelugpa-Klöster Tsanggar (gtsang sgar don grub gling) und Rakya Gompa (rva rgya dgon) bereits über zwölf Seiten aus (ibid. S.243-255). Selbst der größte Teil des Textes davor beschäftigt sich noch überwiegend mit Arig und Dzöge (mdzod dge), also den ausgedehnten Sumpfgebieten um das südöstliche Flußknie des Ma Chu (rma chu, Gelber Fluß).

[10] Sowohl Tsanggar als auch Rakya Gompa (Rva rgya dgon pa, Pinyin Ragya­goinb a, Chin. Lajia Si) liegen beide nördlich des Ma Chu (Gelber Fluß), letzteres neben der Hauptstraße (km 370), die von Qinghais Provinzhauptstadt Xining über Guide (kri kha) nach Machen (chin. Maqin), der Ngolok-Präfektur-Hauptstadt führt. Verwaltungsmäßig hatte Rakya ursprünglich nicht zur Ngolok-Präfektur gehört, bis 1957 die Grenzlinien um dieses Gelugpa-Großkloster herum neu gezogen wurden. Die Lage Rakyas ist ein interessantes und beeindruckendes Beispiel für die Demonstration des politischen Hegemonialanspruches der Gelugpa über eine Region, die fast vollständig in Händen von Nyingmapa-Mönchen lag bzw. noch liegt. (s.u.)

[11] Pu 1990, Inhaltsverzeichnis S.22-25 bzw. Text S.260-300.

[12] Vgl. Pu 1990, S. 260-300:

Machen: 6 Klöster, davon 4,5 Nyingmapa* 1,5 Gelugpa* --

Matö: 3 Klöster, davon 3 Nyingmapa -- --
Gande: 7 Klöster, davon 2.5 Nyingmapa* 1.5 Gelugpa* 3 Jonangpa

Darlag: 10 Klöster, davon 8 Nyingmapa 2 Gelugpa --

Pema: 23 Klöster, davon 20 Nyingmapa -- 1 Kagyüpa 2 Jonangpa
Cigdril: 12 Klöster, davon 7 Nyingmapa 3 Gelugpa 2 Jonangpa

* Zwei gemischte Einrichtungen der Nyingmapa mit den Gelugpa

[13] Xing 1994, S.146-151.

[14] Vgl. Tafel 1914, Bd.II, S.292: “Labrang gomba hat in der Zeit der Mohammedanerrevolte Yakub Beg’s, in den 1860er Jahren, als die chinesische Regierung geschwächt war, die Nima in großem Stile bekriegt. ... Die Labrang-Lama hatten eine starke Expedition ausgerüstet und versucht, das rotkappige Yü schu zu erobern, doch waren sie nicht stark genug und wurden unweit von Dscherku ndo aufs Haupt geschlagen und genötigt, ihre Reformpläne aufzugeben.” (ibid. zit.)

[15] In der Literatur tauchen zwei Schreibvarianten von Yarmothang auf: yar mo oder gyar mo thang. Nach S.C. Das (1902a, p.1131) ist Yar-mo thang der “name of a district in the province of lower Amdo and Khams”.

[16] Gyurme Dorje, p.617. Der Name des Kreises Pema (pad ma) mit seiner Bedeutung “Lotosblume” soll sich vom Umstand herleiten, daß man hier wilden Lotos finden kann. (Pu 1990, S.282)

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Details

Title
Pema: Im Lotos-Land der Ngolok-Nomaden. Eine architektonische Auslegung des 'Paradieses des Glorreichen Kupferfarbenen Berges'
Course
Publikation
Author
Year
2001
Pages
27
Catalog Number
V60771
ISBN (eBook)
9783638543583
ISBN (Book)
9783656783190
File size
662 KB
Language
German
Notes
© Andreas Gruschke (Freiburg) Erstveröffentlichung (in gekürzter Fassung): 'Pema - Im Lotos-Land der Ngolok-Nomaden', in: Rigpa Rundbrief, 14. Jg., Nr. 3 (Nov. 2001), S. 38-42.
Keywords
Pema, Lotos-Land, Ngolok-Nomaden, Eine, Auslegung, Paradieses, Glorreichen, Kupferfarbenen, Berges, Publikation
Quote paper
M.A. Andreas Gruschke (Author), 2001, Pema: Im Lotos-Land der Ngolok-Nomaden. Eine architektonische Auslegung des 'Paradieses des Glorreichen Kupferfarbenen Berges', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60771

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