Eine filmtheoretische Untersuchung von Orson Welles' "Citizen Kane"


Dossier / Travail, 2003

19 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Inhalt vonCitizen Kane

3. Die Sprache des Films
3.1 Rückblendetechnik
3.2 Verknüpfungstechnik
3.3 Kameraperspektive
3.4 Gegenstände als Zeichen
3.5 ‚Sound’
3.6 Tiefenschärfe

4. Der historische Hintergrund
4.1 Roosevelts Politik des New Deal
4.2 Der Mythos des Amerikanischen Traums

5. Das ‚Rosebud’-Motiv

6. Resümee

Bibliographie

1. Einleitung

„Der wahrscheinlich wichtigste amerikanische Film aller Zeiten“[1]– so lautet heute die einhellige Meinung anerkannter Filmkritiker in aller Welt auf die Frage nach der herausragenden Stellung von Orson Welles’ Erstlings- und MeisterwerkCitizen Kane, welches 1941 in Amerika veröffentlicht wurde.

Die Faszination, die der Film auf den Zuschauer ausübt, ist auch über ein halbes Jahrhundert nach seiner Erstaufführung ungebrochen. Jede neue Generation von Filmliebhabern – Wissenschaftler ebenso wie gewöhnliche Kinogänger – bemüht sich in gleichem Maße um die Auflösung des Rätsels um ein einziges Wort: ‚Rosebud’.

Doch auch im Hinblick auf historische Zusammenhänge, wie Roosevelts Politik des New Deal oder dem Mythos des Amerikanischen Traums, erwecktCitizen Kaneanhaltendes Interesse und fordert diesbezüglich eine tiefer gehende Untersuchung.

Der Film schildert die Saga des Charles Foster Kane, Medienmogul und Politiker, öffentliche Figur und Privatmann, und lässt ihn auf sozialkritische Weise zum Symbol des amerikanischen Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden.

Welles’ Klassiker lässt sich keinem bestimmten Genre zuordnen, vereinigt aber eine enorme Fülle an gattungsübergreifenden filmischen Mitteln. Durch für die damalige Zeit bahnbrechende Neuerungen wie der Wiedereinführung von Weitwinkelobjektiven und Tiefenschärfe anstelle von Schnitten, dem Bruch mit der chronologischen Erzählweise durch den Einsatz der Rückblendetechnik, der Erfindung der den Zuschauer führenden subjektiven Kamera oder der Verwendung der Überblendungstechnik erhob Orson WellesCitizen Kanezu einem filmhistorischen Meilenstein, der den Beginn einer neuen Filmepoche anzeigt.

Trotz den aus heutiger Sicht revolutionären Neuheiten und der meisterhaften Inszenierung durch Orson Welles, geriet der Film 1941 zu einem finanziellen Misserfolg und zog steigenden Druck auf Welles nach sich, was bald darauf zu seiner Entlassung aus Hollywood führte. Von da an musste er sich mit Auftragsarbeiten und mittelmäßigen Rollen durchschlagen, um weiterhin freiproduzierte Filme drehen zu können.

Ein Grund für den damaligen Kino-Flop rührt vom Boykott der Hearst-Presse her, da der Zeitungszar William Randolph Hearst sich in seiner Rolle als Vorlage für die Hauptperson inCitizen Kanenicht gefiel.

Trotz dieser Rückschläge hat Welles die Entwicklung des Films stark beeinflusst und seine Stellung als herausragender Regisseur, Produzent, Schauspieler und Drehbuchautor vor allem durchCitizen Kaneals einem Musterbeispiel des Autorenfilms gefestigt.

Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, eine filmtheoretische Untersuchung von Orson Welles’ MeisterwerkCitizen Kanezu liefern, wobei insbesondere auf filmtechnische Neuerungen, die Sprache des Films und auch historische Zusammenhänge eingegangen werden soll. Der Einfluss Welles’ auf die weitere Entwicklung des Films spielt hierbei eine bedeutende Rolle.

2. Inhalt von Citizen Kane

In seinem Märchenschloss Xanadu stirbt der steinreiche Charles Foster Kane einen einsamen Tod. Der Film schildert rückblickend die Erfolgsgeschichte eines Zeitungsmagnaten, der die öffentliche Meinung Amerikas über Jahrzehnte beherrschte, als die Biographie eines gescheiterten Mannes, der sich nie von seiner Vergangenheit lösen konnte. Zwar erlangt Kane, der als kleiner Junge gewaltsam von seinen Eltern getrennt wurde, unermesslichen Reichtum, Macht und Einfluss, doch sowohl seine politische Karriere als auch seine beiden Ehen scheitern. Von seiner ersten Frau Emily, der Nichte des Präsidenten, entfremdet er sich immer mehr, schließlich kommen sie und der gemeinsame Sohn bei einem Autounfall ums Leben. Auch seine zweite Ehe mit der unglücklichen Opernsängerin Susan, die von Kane zum Weitersingen gezwungen wird, endet in der Isolation auf Xanadu, wo sie sich gefangen fühlt und ihn schließlich verlässt. Die Rahmenhandlung des Films bildet der Auftrag des Reporters Thompson, das Geheimnis um Kanes letztes Wort ‚Rosebud’ zu entschlüsseln, was ihm trotz ausführlicher Schilderungen von ehemaligen Vertrauten des Zeitungszaren nicht gelingt.

Auf den Aufbau des Films soll im nächsten Kapitel in Hinblick auf die Rückblendetechnik näher eingegangen werden.

3. Die Sprache des Films

3.1 Rückblendetechnik

AnCitizen Kaneist besonders auffällig, dass ausgiebig mit dem Mittel der Rückblende gearbeitet wird. Unter der Rückblendetechnik versteht man den Einsatz von Szenen oder Einstellungen, in denen Ereignisse dargestellt werden, die vor der eigentlichen Handlung der erzählten Gegenwart liegen. Im Gegensatz zu verbal wiedergegebenen Geschehnissen aus der Vergangenheit durch einen Erzähler oder eine Figur, handelt es sich hierbei also um eine visuelle Form des zeitlichen Rückgriffs.

Durch sehr lange Rückblenden, welche sich zum Teil über 30 Minuten erstrecken, tendiert die Vergangenheit jedoch für den Zuschauer zur Gegenwart und Gegenwärtiges zur zukünftigen Vision zu werden.

Beginnend mit Kanes Tod erzählt der Film rückblickend sein Leben erst in einer Art Wochenschau, dann in Berichten von fünf Menschen, die Kane nahe standen. Zu ihnen zählen sein ehemaliger Vormund Thatcher, seine rechte Hand Bernstein, sein einstmals bester Freund Leland, seine zweite Frau Susan und sein Butler Raymond.

Welles bricht durch diese Rückblendetechnik mit der chronologischen Erzählweise und erzeugt durch die emotional geprägten Berichte der Zeugen, die sich zum Teil widersprechen und nicht immer in sich schlüssig sind, eine vielschichtige diskontinuierliche Erzählweise. Diese vielgerühmte Multiperspektivität offenbart dem Zuschauer die gegensätzlichen Charaktereigenschaften Kanes. Welles’ Absicht besteht darin, die Komplexität des menschlichen Charakters am Beispiel des Charles Foster Kane und die subjektive Natur des menschlichen Denkens am Beispiel der Zeugenaussagen hervorzuheben. So richtet er den Appell an den Zuschauer, sich ein eigenes Bild vom Zeitungszaren zu machen und ihn nicht durch widersprüchliche Zeugenaussagen zeitweise als Opfer und zu einem anderen Zeitpunkt als Täter zu sehen. Es kann keine eindeutige Identifikation Kanes als Held oder Bösewicht stattfinden, da Welles sich weigert, dem Zuschauer eine einheitliche Charakterdarstellung zu liefern. Dies führt zu einer ständigen Erwartungsenttäuschung des Zuschauers und stellt die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage. Doch gerade die Erzählweise aus so vielen unterschiedlichen Sichtweisen macht den Versuch der Charakterisierung Kanes spannend. Auf die vielfältigen Facetten seines Charakters werde ich in den Kapiteln 4.2 und 5 zurückkommen.

Ein weiterer Aspekt der Rückblendetechnik ist der Film im Film. Welles parodiert die damals beliebte amerikanische SerieMarch of Time, die von zwei großen Zeitungsverlagen zur Ergänzung gewöhnlicher Wochenschauen ins Leben gerufen worden war, durch die Erfindung vonNews on the March.. Diese Wochenschau widmet sich zuerst der Vorstellung des Wunderreiches Xanadu, berichtet dann über Kanes Tod und rollt schließlich seine Lebensgeschichte auf. Unterstützt wird die Glaubwürdigkeit der Dokumentation durch die Fingierung historischen Filmmaterials: Aufnahmen aus der Frühphase von Kanes Karriere werden beschleunigt abgespielt und künstlich ‚gealtert’, was nachvollziehbarerweise jedoch nur für Stummfilmpassagen möglich ist. Zudem wird der dokumentarische Aspekt dadurch verstärkt, dass Kane mit Figuren der Zeitgeschichte wie Roosevelt, Churchill oder Hitler gezeigt wird.

Die in diesem Kapitel angeführten Aspekte führen mich zur Überblendungstechnik, welche im engen Zusammenhang mit den Rückblenden steht. Wenn die Person des Erinnernden ihre Erzählung beginnt, bleibt sie meist für einen Augenblick im erinnerten Bild stehen, als ob sie in die Vergangenheit übergehen möchte. So werden also zwei Einstellungen in einer untergebracht, was einen verbindenden Effekt hat.

3.2 Verknüpfungstechnik

Ein weiteres verbindendes Merkmal, welches den durch die diskontinuierliche Erzählstruktur zustande kommenden Zeitraffungen einen festen Rahmen verleiht, ist die von Welles wiederholt eingesetzte Verknüpfungstechnik.

Als Musterbeispiel lässt sich hier die Frühstückssequenz anführen, in der sechs kurze Szenen den Zerfall von Kanes erster Ehe und die wachsende Entfremdung zwischen dem Paar schildern. Welles zeigt hier in auf extremste Weise zusammengeraffter Form einen Zeitraum von 8 Jahren in einer Sequenz von gut 2 Minuten Dauer. Die Verbindung der Szenen erfolgt vor allem durch die Tonmontage, insbesondere durch die Musik mit Dur-Moll-Wechsel, dunklerer Instrumentation oder tieferen Tonlagen, um den fortschreitenden Zerfall der Ehe anschaulich zu schildern. Auch die symbolischen Schwenks über Kanes Zeitung, denInquirer, stellen ein verbindendes Element dar, zudem stehen sie nicht nur zwischen den Szenen, sondern auch zwischen den Eheleuten. Emilys Ausspruch „Sometimes I think I’d prefer a rival of flesh and blood“[2], der in die nächste Szene hineinreicht und einen Zeitraum von etwa einem Jahr überbrückt, trifft die Problematik der gesamten Ehe auf den Punkt. Kane interessiert sich mehr und mehr ausschließlich für sein Presseimperium, und sein Machtstreben steigert sich ins Unermessliche. Am Ende der Sequenz besteht die ‚Kommunikation’ zwischen ihm und Emily gerade noch aus Anschweigen und Zeitung lesen, wobei Kane seinenInquirerund Emily demonstrativ das KonkurrenzblattChronicleentfaltet. Zeitungsstützen deuten sogar schon auf eine Gewohnheit hin. Weitere Zeichen für die wachsende Entfremdung sind, dass Blumen nützlichen Geräten weichen mussten, die Eheleute an gegenüberliegenden Tischenden weit voneinander entfernt sitzen oder Kane seine Frau grob mitten im Satz unterbricht.

[...]


[1]Monaco, James:Film Verstehen – Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien; Hamburg; Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH 2000: S. 313

[2]http://www.screenplay.co.jp/pd_database/database/citizen.html: S. 17 (im Folgenden zitiert als: Drehbuch)

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Eine filmtheoretische Untersuchung von Orson Welles' "Citizen Kane"
Université
University of Augsburg
Cours
Filmtheorie
Note
1,3
Auteur
Année
2003
Pages
19
N° de catalogue
V61107
ISBN (ebook)
9783638546331
ISBN (Livre)
9783656778240
Taille d'un fichier
517 KB
Langue
allemand
Mots clés
Untersuchung, Orson, Welles, Citizen, Kane, Filmtheorie, Filmtheoretisch, Filmanalyse, Filminterpretation, Xanadu, Kultfilm, Filmklassiker, Tiefenschärfe, Kameratechnik, Überblendung
Citation du texte
Julia Deitermann (Auteur), 2003, Eine filmtheoretische Untersuchung von Orson Welles' "Citizen Kane", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61107

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