Karin Knorr-Cetina: Soziologie der Finanzmärkte


Hausarbeit, 2006

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung: Der ethnomethodologische Ansatz

2. Globale Mikrostrukturen

3. Finanzmärkte aus soziologischer Perspektive

4. Wechsel zum „Face to Screen“

5. Körperliche Verankerung globalen Handelns

6. Möglichkeit einer globalen „Wir-Beziehung“

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Der ethnomethodologische Ansatz

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit Karin Knorr-Cetina und einem ihrer Forschungsschwerpunkte: Die Soziologie der Finanzmärkte. Als Grundlage sollen vier von ihr verfasste Texte dienen, die den Theorieansatz unter Beihilfe von Urs Brügger beschreiben. Ziel dieser Hausarbeit ist die Darstellung ihrer Erforschung von globalen Mikrostrukturen anhand von Finanzmärkten und deren Akteuren.

Die Analyse dieses Arbeitsgebietes stützt sich auf den handlungstheoretischen Forschungsansatz der Phänomenologie und der daraus entsprungenen Ethnomethodologie. Entwickelt wurde der phänomenologische Ansatz von Edmund Husserl erstmals im Jahre 1907 mit seiner “Idee der Phänomenologie“. Sozialwissenschaftler wie Alfred Schütz führten diesen Begriff Mitte des 20. Jahrhunderts in die Soziologie ein. In der Philosophie wurde die Phänomenologie verwendet, um die subjektiven Erfahrungen eines Individuums für objektive Muster und Verallgemeinerungen zu rechtfertigen (vgl. Vetter, 2004, S. 410ff, Hügli/Lübcke, 1998). Die soziologische Phänomenologie behandelt nach Schütz die Reichweite der direkten Erfahrung und die Sinnstruktur der sozialen Welt (vgl. Krieger, 1998, S. 27). Diese allgemein hin als "Lebenswelt" (Eberle, 2000, S. 15) bezeichnete Diskussion war eine der Ursprünge der Ethnomethodologie. ‚Lebenswelt’ bezeichnet in diesem Sinne schlicht die Welt, in der wir uns täglich unreflektiert bewegen (vgl. Bühl, 2002, S. 150).

Der Begriff Ethnomethodologie wurde von Harold Garfinkel eingeführt und nachhaltig geprägt. Der Terminus setzt sich aus den Silben "ethno" und "methodology" zusammen. Die Vorsilbe "Ethno" bezieht sich, in Anlehnung an die Ethnographie, auf die anthropologische Erforschung von Wissen, also der beschreibenden Völkerkunde. Gleichzeitig verweist dieser Wortestandteil auf die praktischen Handlungen gewöhnlicher Menschen bzw. auf die Frage, wie jene als Mitglieder der Gesellschaft über das Alltagswissen dieser Gemeinschaft verfügen können. Das Suffix "methodology" deutet auf die methodischen Strukturen, mit denen dieses Wissen von den Mitgliedern der Gesellschaft verwendet wird. Garfinkel konnte zum damaligen Zeitpunkt auf keinen soziologischen Fachbegriff zurückgreifen und prägte den Ausdruck, weil er sich seines außergewöhnlichen Forschungsinteresses bewusst war (vgl. Fink-Heuberger, 1997, S. 111).

Die Ethnomethodologie bezieht die von Husserl entwickelte ‚phänomenologische Reduktion’ auf alltägliche Handlungen, indem sie versucht, die Konstitution der alltäglichen Lebenswelt zu entschlüsseln. Dabei stehen nicht die Interpretationen oder andere Metaebenen im Vordergrund, sondern die Praxis des menschlichen Handelns. Ethnomethodologen widmen sich den direkten Phänomenen und beschränken sich nicht nur auf deren Reflexion (vgl. ebenda, S. 183):

„Die Ethnomethodologie hat also etwas zu tun mit einer Blickwendung weg von der rein transzendentalen Analyse hin zum praktischen Kontext.” (Bühl, 2002, S. 187).

Sozialforscher wie Erving Goffmann (1974) und Harold Garfinkel (1967) beschreiben, dass durch Interaktion die soziale Ordnung konstruiert wird. Bei einer geglückten Interaktion sind die Regeln des gemeinschaftlichen Umgangs den Akteuren bekannt und werden im Unterbewusstsein umgesetzt. Erst bei einer erneuten Interaktion kommen diese Regeln wieder zum Vorschein (vgl. Krieger, 1998, S. 22).

Die Ethnomethodologie kann folglich nicht nur auf den theoretisch interpretativen Forschungsansatz reduziert werden, denn Ethnomethodologen stellen Methoden bereit, die soziale Mikrostrukturen empirisch analysieren können.

Dergestalt bewegt sich die Kulturanthropologin und Soziologin Karin Knorr-Cetina, wenn sie versucht ein Paradigma für soziales Handeln zu entwickeln, wobei die Analyse der Handlungsabläufe im Vordergrund steht (vgl. Fink-Heuberger, 1997, S. 101). In den neunziger Jahren beschäftigte sich Frau Knorr-Cetina mit der Soziologie der Finanzmärkte, indem sie die Arbeitsplätze und Handlungswirklichkeiten von Devisenhändlern untersuchte. In der Tradition des ethnomethodologischen Forschungsansatzes beschäftigt sie sich dabei mit den Basisregeln von Interaktionen und sprachlichem Handeln, wobei sie diese Studien zur Mikrokonstruktion sozialer Welten mit der Vorstellung der Globalität dieser Welten verknüpft (vgl. Laudatio der Universität Luzern, 2005).

2. Globale Mikrostrukturen

Der mikrosoziologische Ansatz in der Soziologie beschäftigt sich mit dem Handeln von Individuen innerhalb eines Systems. Untersucht werden vor allem die Integrationsmuster dieser Individuen, die sich durch ständige Interaktion konstitutiv zu einer Institution festigen, wonach sich im Laufe der Zeit bestimmte Rollenstrukturen entwickeln.

In diesem Sinne versucht Karin Knorr-Cetina die Integrationsmuster globaler Finanzmärkte zu untersuchen. Der Begriff Globale Mikrostrukturen soll dabei helfen, diese Muster zu analysieren, indem er Koordinationsformen bezeichnet, die globale Netze aufspannen, aber dennoch mikrosozialer Natur sind (vgl. Knorr-Cetina/Brügger, 2005a, S. 145). Die soeben dargestellte Definition lässt auf den ersten Blick einen Widerspruch erkennen, wonach es irrational erscheint, dass sich lokale Mikrostrukturen global ausweiten lassen können. Frau Knorr-Cetina versucht diesem scheinbaren Widerspruch aber entgegen zu wirken, indem sie versucht, die globalen Integrationsmuster anhand von Devisenmärkten zu erläutern. In ihren Texten werden diese Märkte teilweise als Finanz- aber auch als Händlermärkte bezeichnet, um sie von den produzierenden Märkten abzugrenzen (vgl. ebenda, S. 147). Wenn in dem darauf folgenden Teil der Arbeit der Begriff Finanzmarkt benutzt wird, soll er jene Devisen- und Händlermärkte bezeichnen, die sich mit dem Handel von Währungstransaktionen (‚Foreign Exchange’) beschäftigt. Zugleich werden auch die Individuen, die sich auf diesem globalen Markt befinden als Händler bezeichnet.

Laut Karin Knorr-Cetina sind Finanzmärkte globale Formen, die durch Interaktionen konstituiert werden und aus einem lokalen Kontext weltweit ausgedehnt werden. Diese globale Ausweitung vollzieht sich durch die einzelnen Individuen, die ein Netz von Mikrostrukturen entstehen lassen, wodurch sie weltweit miteinander verbunden sind. Verknüpfungen solcher Art benötigen natürlich einen gewissen Grad an Technologisierung, der Konversationen über regionale Grenzen hinweg erst möglich macht. So können sich derartige mikrosoziale Muster in Form von persönlichen Beziehungen und Konversationen äußern, wodurch wirtschaftliche Transaktionen, die man hier als soziales Handeln bezeichnen kann, erklärt werden. Dadurch kann auch die Entstehung globaler Märkte auf die kontinuierliche Integration und Interaktion von Mikrostrukturen erklärt werden (vgl. ebenda, S. 146).

3. Finanzmärkte aus soziologischer Perspektive

Wie bereits erwähnt, ist Frau Knorr-Cetina der Ansicht, dass sich die Analyse von globalen Mikrostrukturen gut an Systemen durchführen lässt, die einen sehr hohen Globalisierungsgrad haben. Demnach bildet der Finanzmarkt ein geeignetes Exempel, um mikrosoziale Muster herauszuarbeiten, mit denen man Phänomene wie Integration, Interaktion und soziales Handeln erklären kann (vgl. Knorr-Cetina/Brügger, 2005a, S. 146).

Wenn man nun diesen Finanzmarkt aus soziologischer Perspektive betrachtet, stechen drei Merkmale heraus, die ihn als Bereich für eine mikrosoziologische Untersuchung qualifizieren und gleichzeitig von Produzentenmärkten unterscheiden. Karin Knorr-Cetina will damit die Wirtschaftssoziologie auf den Kapitalhandel lenken, um darzustellen, dass sich wirtschaftliches Handeln nicht nur auf die Produktion und den Konsum von Gütern beschränkt. Gleichzeitig bestätigt sie dadurch Hypothesen der modernen Wirtschaftssoziologie, wonach wirtschaftliches Handeln eine soziale Interaktion darstellt, die zugleich von sozialen Komponenten beeinflusst wird (vgl. ebenda, S. 147).

Ein erstes Charakteristikum der Finanzmärkte bildet die Handelsorientierung seiner Teilnehmer. Denn globale Firmen orientieren sich in unterschiedlicher Weise auf dem Kapitalmarkt, als dies die Händler tun. Ein Händler hat demnach komplett unterschiedliche Bedingungen und dadurch auch andere Möglichkeiten, die sich besonders in der Art und Weise der Kommunikation äußern. So entwickelt sich der Händler mehr oder minder zum Sprachrohr seiner Firma oder Bank, die er auf dem „Trading Floor“ (ebenda, S. 146) repräsentiert. Mit ‚Trading Floor’ ist der Raum der Interaktion gemeint, indem sich die Devisenhändler bewegen, um miteinander zu Kommunizieren, sei es in den realen Handelsetagen oder den virtuellen Informationskanälen.

Die soziale Rolle der Händler differenziert sich zudem auf den unterschiedlichen Märkten, so dass ihnen innerhalb der Produzentenmärkte “nur” ein Status als Lieferant gerecht wird, wobei die Firma die Handlungsverantwortung trägt (vgl. ebenda, S. 148).

Ein zweites Merkmal des Finanzmarktes ist dessen globale Ausrichtung. Hierbei unterscheidet Karin Knorr-Cetina zwei Systeme, die die Globalität der Märkte prägen. Zum einen differenziert sie den “global intensiven Finanzmarkt“ (ebenda, S. 149), wonach individuelle Investoren Anteile über regionale Grenzen handeln können. Das Problem bei diesem System sind die infrastrukturellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Investoren, die das System erfüllen muss. Vor allen Dingen die technischen und sozialen Ansprüche der Individuen werden zurzeit nur in industriell fortgeschrittenen Regionen erfüllt, wonach man also kaum von einem globalen Anspruch dieses Systems sprechen kann.

Das zweite Modell stimmt eher mit dem von Knorr-Cetina untersuchten Bereich überein und wird als “global exklusives System” (ebenda, S. 150) bezeichnet. In diesem Netzwerk vollzieht sich der weltweite Handel durch Brückenkopfzentren. Dies sind Städte mit überregionaler Bedeutung, die sich in den verschiedenen Zeitzonen befinden und so den Globus mit einem Interaktionsnetz umspannen. Filialen oder Banken, die sich innerhalb dieser Städte befinden, werden nicht durch ihren Namen bezeichnet, sondern nach dem Ort benannt, an dem sie sich befinden (vgl. Knorr-Cetina/Brügger, 2005a, S. 150).

Die Händler sind bei Firmen, die ihren Sitz in diesen Städten haben, angestellt und befinden sich somit im Zentrum des Geschehens. Da sie innerhalb dieser Zentren über strukturelle und technische Vorraussetzungen verfügen, reichen diese Brückenkopfzentren aus, um globale Transaktionen durchzuführen. Somit wird der Kernanspruch der technischen Bedürfnisse befriedigt, der dieses wirtschaftliche Handeln durch globale Kommunikation zustande kommen lässt (vgl. ebenda, S. 152).

Dass Kommunikation ein entscheidender Faktor des globalen Marktes ist, zeigt die Konversation zwischen Händlern. Diese Arten der Konversation halten den Markt in Bewegung, aber gleichzeitig auch zusammen, so bleibt der Markt liquide (vgl. Knorr-Cetina, 2005b, S. 43). Es entstehen unterschiedliche Wege der Konversation zwischen Händlern, wobei Karin Knorr-Cetina besondere Aufmerksamkeit auf die „Messages” (Knorr-Cetina/Brügger, 2005a, S. 153) legt. Diese empfängt und sendet der Händler auf seinem Handelsbildschirm in seinem Büro, wodurch Zeitzonen und Distanzen problemlos überwunden werden können (vgl. Knorr-Cetina, 2002b, S. 925). Beim Betrachten einer solchen Konversation werden mehrere Merkmale deutlich, die den globalen Charakter der ‚Messages’ aufzeigen und zugleich die wirtschaftliche Orientierung dieser Konversationsnorm herausstellt. Denn der globale Wettbewerb und ständige Preisbewegungen bewirken einen Minimalismus dieser ‚Messages’, der sich in institutionalisierten Konventionen innerhalb dieser Kommunikation verdeutlicht. So dauert eine Transaktion über diese Art der Konversation durchschnittlich nur 10-20 Sekunden, wobei grundsätzlich nur auf Englisch kommuniziert wird, selbst wenn zwei Deutsche miteinander Handeln. Die Zeit wird auf die ‚Greenwich Mean Time’ fixiert um Missverständnisse zu vermeiden. Zudem werden Synonyme und Symbole verwendet (Beispiel Preisspanne: 6267), die einer Transaktion eine höhere Geschwindigkeit geben und sie zusätzlich eindeutiger gestalten, da dieser Charakter der ‚Message’ jedem Händler bekannt ist und so keine weiteren Interpretationsmöglichkeit schafft (vgl. Knorr-Cetina, 2005b, S. 48). Außerdem schaffen diese Konventionen einen transparenten Umgang mit den ‚Messages’, der es dem Vorgesetzten Manager erleichtert sie zu kontrollieren, denn grundsätzlich werden die Konversationen gespeichert und ausgedruckt, um im Nachhinein Unklarheiten zu vermeiden und eine gewisse Nachweisfunktion sicherzustellen (vgl. Knorr-Cetina/Brügger, 2005a, S. 155).

[...]

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Karin Knorr-Cetina: Soziologie der Finanzmärkte
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
eld und Finanzmärkte: Die ökonomische und soziologische Perspektive
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
14
Katalognummer
V62420
ISBN (eBook)
9783638556637
ISBN (Buch)
9783656068242
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit Karin Knorr-Cetina und einem ihrer Forschungsschwerpunkte: Die Soziologie der Finanzmärkte. Als Grundlage sollen vier von ihr verfasste Texte dienen, die den Theorieansatz unter Beihilfe von Urs Brügger beschreiben. Ziel dieser Hausarbeit ist die Darstellung ihrer Erforschung von globalen Mikrostrukturen anhand von Finanzmärkten und deren Akteuren.
Schlagworte
Karin, Knorr-Cetina, Soziologie, Finanzmärkte, Perspektive
Arbeit zitieren
Christian Gülisch (Autor:in), 2006, Karin Knorr-Cetina: Soziologie der Finanzmärkte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62420

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