„Zimnjaja imperija dereva (...)“ von Arkadij Dragomoschenko – ein postmodernistisches Gedicht


Dossier / Travail, 2004

29 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Was ist Postmodernismus?

2. Analyse des Gedichts „Zimnjaja imperija dereva (...)“
2.1. Spiel mit der Erfahrung der Präsenz. Zeitliche und räumliche Bezüge
2.1.1. Semantische Beziehungen von „Heute ... Gestern ... Vergangenheit“
2.1.2. Partizipien und Adverbialpartizipien
2.1.3. Teilung des Raumes: draußen oder drinnen?
2.1.4. „Verzeitlichung“ und Aufschub
2.2. Dekonstruktion des Musen – Mythos
2.2.1. Das Personalpronomen “ona”
2.2.2. Intertextuelle Bezüge zu Achmatova und Mandel´štam
2.2.3. Sinnlosigkeit als Allegorie
2.3. „Zimnjaja imperija dereva (...)“ - ein postmodernistisches Gedicht

3. Zitierte und erwähnte Originaltexte
3.1. „Zimnjaja imperija dereva (...)“, Arkadij Dragomoščenko, 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts
3.2. „Bessonnica. Gomer. (...)“, Osip Mandel´štam, 1915
3.3. „Bessonnica“, Anna Achmatova, 1912
3.4. „Muza“, Anna Achmatova, 1924
3.5. „Muza“, Aleksandr Puškin, 1821

4. Literaturverzeichnis
4.1. Links

1. Einleitung

Das Ziel dieser Arbeit ist es, das Gedicht „Zimnjaja imperija dereva (...)“ von Arkadij Dragomoščenko unter der Annahme und dem Aspekt eines zum Teil bewusst postmodernistischen und dekonstruktivistischen Werks zu analysieren und zu interpretieren. Es ist ein Fragment aus einem mit „Pod podozrenijem“ überschriebenen Ganzen aus dem Zyklus „Opisanie“, entstanden in den 90-er Jahren des 20. Jh.[1]

Der postmodernistische und dekonstruktivistische Aspekt ergibt sich sicherlich auch aus der Perspektive meiner Lektüre. Es scheint als müsse man bei der Interpretation moderner Lyrik sehr vorsichtig sein. Einen Text fixieren, einengen, in seinen Möglichkeiten einschränken und kategorisieren zu wollen, scheint die größte Sünde beim Lesen zeitgenössischer Lyrik zu sein,[2] was zum großen Teil in ihrem Wesen selbst angelegt ist. Eine gewisse Fixierung des Textes wird sich jedoch bei einer Interpretation, auch wenn sie dekonstruktivistische Ansätze hat, nicht vermeiden lassen. Wie gesagt, soll das Gedicht unter dem Aspekt des Postmodernismus und Dekonstruktivismus unter Zuhilfenahme der „Grammatologie“ von Jacques Derrida[3] gelesen werden.

1.1. Was ist Postmodernismus?

Bevor ich mich dem Gedicht selbst zuwende, möchte ich mir über die Position des Dichters und über einige literaturkritische Begriffe klar werden. Zu diesem Zweck soll ein Interview mit Arkadij Dragomoščenko aus „Peterburgskij knižnyj vestnik“[4] angeführt werden, aus dem sich zum Teil ergibt, dass Dragomoščenko bewusst in der Tradition des postmodernistischen Stils schreibt. Wir wollen uns dieses Interview mit Arkadij Dragomoščenko etwas genauer ansehen, um auf der Grundlage seines Verständnisses von russischer Dichtung und Dichtung überhaupt zu fragen, was die Begriffe Postmodernismus und Dekonstruktion beinhalten.

Arkadij Dragomoščenko behauptet, dass Russland den Postmodernismus verpasst hätte, „so wie seinerzeit Schuhe im Geschäft, Flugtickets nach Europa oder China, die Philosophie oder das, was man „Politik“ nennt.“. Deshalb würde Russland noch einige Zeit eines der schwach entwickelten Länder bleiben. Damit klassifiziert Dragomoščenko Postmodernismus als einen die westliche Zivilisation bezeichnenden Faktor. In Russland würde man unter die Kategorie des „Postmodernismus“ fallen, nicht weil man seinen allgemeinen Kategorien entspricht, sondern wegen der Produktionsweise, dem Charakter der öffentlichen Beziehungen und wegen dem umgekehrten Verhältnis zwischen Konsument und Produzent.[5]

Bevor er jedoch sagt, dass Postmodernismus als solcher in Russland nicht möglich sei, erklärt Dragomoščenko Russland im Gegensatz zum englischsprachigen Raum zu einer Art postmodernistischen Raum per se. Der russische Sprachraum sei flexibler, die Flexion spiele hier eine größere Rolle, deshalb brauche man nicht (wie z.B. in den USA) zu radikalen Mitteln der Bewusstseinsveränderung zu greifen. „Für uns (wer damit genau gemeint ist, bleibt offen)[6] bleibt die Sprache immer ein unvollendeter Zustand, ein unendliches Versprechen, im Unterschied zu dem, womit die Massenkultur (also die Volkskultur), die Medien und die Werbung, und demnach Ideologie im Allgemeinen, aufwartet.“

Wie kann Dragomoščenko in einem Atemzug Russland den Postmodernismus erst in so breiter Form zusprechen und dann wieder absprechen? Was überhaupt ist Postmodernismus?

Manche versuchen die Periode des Postmodernismus zeitlich einzugrenzen und positionieren sie zwischen den 50er und den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, also etwa in dem Zeitraum des „Kalten Krieges“. Demnach wäre die Periode des Postmodernismus vorbei und es hätte nun eine neue Epoche begonnen. Andere wiederum bestreiten das Ende der Epoche der Postmoderne.

Vielleicht lässt sich Postmodernismus aber am besten in Beziehung zur Moderne, als Reaktion auf welche er entstanden ist, erklären und abgrenzen. Einige Positionen des Postmodernismus führen diejenigen der Moderne fort oder radikalisieren sie. So wird zum Beispiel die materielle Seite, die des Signifikanten, der Form, von Ausdruckssystemen betont.

Die Motivation dafür unterscheidet sich jedoch bei den beiden Stilepochen. Während die Modernisten die Form nutzten, um sie auf ein funktionales Minimum zu reduzieren und damit etwas Neues, Originelles und Unikales zu schaffen, sehen sich die Postmodernisten auf die Form zurückgeworfen, sie haben kein anderes Arbeitsmaterial als die Form, es gibt nichts als die Form. Für die Moderne galt noch die Auffassung von den zwei verschiedenen Seiten des Zeichens, die sinnlich wahrnehmbare und die intelligible, die des Signifikats, des reinen, vom Signifikanten unberührten Sinns. Für die Postmoderne gibt es hingegen keinen objektiv abgesicherten Sinn mehr, Signifikanten verweisen immer nur auf Signifikanten.

Daraus ergeben sich wohl auch die Unterschiede im Umgang mit Tradition in den beiden Stilepochen. Die Modernisten glaubten sich von jeglicher Tradition lösen zu können und etwas völlig neues anzufangen, die Kunst und die Welt neu zu erschaffen, völlig neue und individuelle Formen des Ausdrucks zu finden. Die Postmoderne hingegen ist durch die Ansicht gekennzeichnet, dass in der Kunst unmöglich etwas neues zu schaffen sei und spielt in ihren Werken ironisch mit zahllosen Zitaten und stellt sie so in neue Beziehungen (im postmodernistischen Zusammenhang ist auch die Bedeutung des Wortes „neu“ kritisch zu sehen) zueinander.

Dadurch, dass der Postmodernismus nichts gelten lässt als die Form, gibt es in seinem Verständnis auch keine hierarchischen Beziehungen zwischen verschiedenen Ausdruckssystemen. Es existiert keine objektive Instanz, die einem Ausdrucksystem mehr Wert verleiht als einem anderen. Daraus folgt der die Epoche der Postmoderne kennzeichnende Stilpluralismus. Dogmatische und elitäre Ansprüche, wie beim Modernismus, kann es hier nicht geben.

Verändert ist im Postmodernismus auch die Sichtweise der Rolle des Autors und die Rezeption eines Kunstwerks. Während der Modernismus den Autor als eine Art Prophet der Gesellschaft sieht, verkommt im Postmodernismus die Rolle des Autors zum bloßen Monteur von Textteilen.

Die Dekonstruktion ist das wichtigste Element und Werkzeug des Postmodernismus. Geprägt wurde dieser Begriff von Jacques Derrida, einem französischen Kultur- und Sprachphilosophen.[7] „Die Dekonstruktion will das westliche metaphysische Denken unterminieren, indem sie in einer Doppelstrategie dessen innere Widersprüche aufzeigt. Diese Strategie besteht darin, dass in einem ersten Schritt die Hierarchie der klassischen philosophischen Gegensätze umgekehrt wird. Der zweite Schritt besteht darin, das System hierdurch generell in Frage zu stellen:“[8] „Die Dekonstruktion muss, fährt Derrida fort, «durch eine doppelte Geste, eine doppelte Schreibweise eine Umkehrung des klassischen Gegensatzes und eine generelle Deplatzierung des Systems praktizieren. (…)» Der Praktiker der Dekonstruktion arbeitet innerhalb eines Begriffssystems, aber in der Absicht, es aufzubrechen.”[9][10][11][12]

Zu einem dieser „Praktiker der Dekonstruktion“ zählt sich auch Arkadij Dragomoščenko. In dem schon erwähnten Interview sagt er: „Odnako kak perevodčik i kak čelovek, kotoromu blizki nekotorye pozicii togo napravlenija, o kotorom vy upominali (postmodernizm),...“[13] Weiter oben in dem Interview erläutert Dragomoščenko sein Verständnis von Poesie. Die Ausdrücke und Definitionen, die er dabei wählt klingen teilweise sehr nach Positionen der Postmoderne: “...die Worte bleiben offen gegenüber einer ständigen Möglichkeit von Bedeutung, oder einfach gegenüber der Möglichkeit selbst. Poesie – das ist die reine Möglichkeit zu sein. Nur die Möglichkeit.“; „die Persönlichkeit produzierende Technologien“; das Objekt der Dichtung sei „der Wunsch zu wissen und zu verstehen, warum und wie wir unser eigenes Wissen und dessen Folgen erfahren wollen“; „Poesie ist die einzige Möglichkeit Sprache an sich zu verändern“.[14]

Nachdem Dragomoščenko sich selbst zum postmodernistischen Dichter erklärt und die oben genannten Merkmale des Postmodernismus nicht nur in seinem Werk, sondern in dem Werk nicht weniger russischer Autoren und Dichter zu finden sind, taucht wieder die Frage auf, wie es ihm möglich ist, Russland den Postmodernismus in so breiter Form ab- und gleichzeitig zuzuerkennen. Meiner Meinung nach spiegeln sich hier zwei Klischees, Vorstellung oder Mythen wider. Das erste Klischee besteht in der Meinung, dass Russland die wesentlichen kulturellen Epochen Europas in seiner Entwicklung „verpasst“ habe. Dadurch bleibt es dem „barbarischen“, „unterentwickelten“ Asien und nicht dem „zivilisierten“, „fortschrittlichen“ Europa zuzurechnen. Diese Vorstellung entstammt einem gewissen Fortschrittsglauben und ist sowohl den Russen selbst als auch den Bewohnern der „westlichen“ Welt eigen.

Das zweite Klischee bezieht sich auf die „Rechtgläubigkeit“ (pravoslavie) der Russen. Dieser Begriff ist nur scheinbar ausschließlich auf die religiöse Ebene zu beziehen. Der Begriff meint vor allem den „richtigen“ Umgang mit (religiösen) Zeichen. Da die Russisch-Orthodoxe Kirche sehr konservativ ist und Reformen des Ritus und des Textes der Bibel sehr kritisch gegenüber steht, herrscht die Ansicht vor, die Russische Orthodoxe Kirche pflege das ursprünglichere Christentum. Dadurch wurden auch solche Vorstellungen wie „Moskau – das dritte Rom“ möglich. Solche Gedankenkonstrukte dienten und dienen unter anderem der Abgrenzung vom „Westen“, dessen Entwicklungen und Erkenntnisse Russland einfach „übergestülpt“ würden, obwohl sie nicht passten.

Dragomoščenko scheint diese beiden Mythen ebenfalls verinnerlicht zu haben und überträgt sie einfach auf den postmodernistischen Zeichengebrauch. Er scheint sagen zu wollen: „Wir haben in Russland zwar nicht den gleichen historisch gewachsenen und folgerichtig entwickelten Postmodernismus, wie die „Westler“, aber im Gegensatz zu den Amerikanern, Engländern und Franzosen (Abgrenzung) haben wir eine Sprache, die von Grund auf postmodernistische Merkmale trägt.“

Wie man sieht, sind auch postmodernistische Dichter in der Sprache, ihren Bildern und Vorstellungen verwurzelt und verwickelt. Mir haben die Widersprüche in den Aussagen Dragomoščenkos jedoch als Anhaltspunkt gedient, um mir über den Begriffe des Postmodernismus klarer zu werden.

[...]


[1] http://www.vavilon.ru/texts/dragomot4.html (11.03.2004)

[2] vgl. dazu den Kommentar von Anatolij Barzah zu dem Zyklus „Opisanie“ von A. Dragomoscenko unter http://www.vavilon.ru/texts/barzakh1.html (11.03.2004)

[3] Derrida, Jacques: Grammatologie. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1983.

[4] Zeitschrift „Peterburgskij knižnyj vestnik“, Artikel „O jazyke piva, postmodernizma i bašmakov“ No 2 (5) 1999 unter http://bookman.spb.ru/05/Drago/Drago.htm (11.03.2004)

[5] vgl. dazu „Auch in der postkommunistischen Sowjetunion versuchen Autoren in einer Abkehr von den Schreibvorgaben des sozialistischen Realismus die Unsicherheit und die Heterogenität ihrer Gegenwart mit postmodernen Verfahren literarisch zu fixieren.“ Microsoft Encarta 97 Enzyklopädie. Stichwort „Postmoderne“

[6] eingefügt von K. F.

[7] Microsoft Encarta 97 Enzyklopädie. Stichwort „Derrida, Jacques“

[8] http://www.ottosell.de/pynchon/dekon.htm (14.03.2004)

[9] Culler, Jonathan: Dekonstruktion – Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie. S 95

[10] Microsoft Encarta 97 Enzyklopädie. Stichwort „Postmoderne“

[11] http://www.ottosell.de/pynchon/dekon.htm (14.03.2004)

[12] http://www.guilford.com/excerpts/best3EX.html (14.03.2004)

Best, Steven; Kellner, Douglas: The Postmodern Turn.

[13] Zeitschrift „Peterburgskij knižnyj vestnik“, Artikel „O jazyke piva, postmodernizma i bašmakov“ No 2 (5) 1999 unter http://bookman.spb.ru/05/Drago/Drago.htm (11.03.2004)

[14] Zeitschrift „Peterburgskij knižnyj vestnik“, Artikel „O jazyke piva, postmodernizma i bašmakov“ No 2 (5) 1999 unter http://bookman.spb.ru/05/Drago/Drago.htm (11.03.2004)

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Résumé des informations

Titre
„Zimnjaja imperija dereva (...)“ von Arkadij Dragomoschenko – ein postmodernistisches Gedicht
Université
Humboldt-University of Berlin  (Slawische Fakultät)
Cours
Hauptseminar: Die Zeit der Lyrik
Note
2,0
Auteur
Année
2004
Pages
29
N° de catalogue
V62581
ISBN (ebook)
9783638557955
ISBN (Livre)
9783638677677
Taille d'un fichier
623 KB
Langue
allemand
Annotations
Mots clés
Arkadij, Dragomoschenko, Gedicht, Hauptseminar, Zeit, Lyrik
Citation du texte
Katharina Friesen (Auteur), 2004, „Zimnjaja imperija dereva (...)“ von Arkadij Dragomoschenko – ein postmodernistisches Gedicht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62581

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