Bismarck und die Konstruktionsfehler der gesetzlichen Krankenversicherung


Hausarbeit, 2005

14 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Haupteil
2.1. Versichertenkreis
2.2. Lohnabhängige Beiträge
2.3. Fehlende Anreizstrukturen für sparsames Verhalten

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die gesetzliche Krankenversicherung ist dringend reformbedürftig – da sind Politiker, Ökonomen und Politologen einer Meinung. Seit Jahren, oder vielmehr Jahrzehnten, wird dem deutschen Gesundheitssystem eine schwere Krankheit attestiert, jedoch verschiedenste Therapien verschrieben. Mit den in der letzten Zeit häufig diskutierten Schlagworten „Bürgerversicherung“ und „Kopfpauschale“ lassen sich die verschiedenen Optionen in zwei grundsätzliche Vorgehensweisen unterteilen: Mehr Privatisierung oder mehr Verstaatlichung.

Wie aber, um in der bildlichen Sprache zu verbleiben, sind die genauen Symptome der Krankheit, an der das Gesundheitssystem leidet? Und noch wichtiger: Wie sind sie entstanden? Ein Arzt, der die Krankheitsursache nicht kennt, kann nur die Symptome lindern. Genauso kann ein Politiker, der nicht die Entstehung und Entwicklung der heutigen Strukturprobleme kennt, nur „Flickschusterei“ an dem System betreiben, es aber nicht grundlegend verbessern.

Wenn man Artikel, wissenschaftliche Beiträge und politische Reden der Vergangenheit liest, bekommt man den Eindruck, als wäre die Diskussion um eine Reform der Krankenversicherung so alt wie die gesetzliche Krankenversicherung selbst. Dabei stellt sich automatisch die Frage, welche Mängel des deutschen Gesundheitssystems tatsächlich von Anfang an bestanden haben und ob Entscheidungen, die heute Probleme verursachen, im historischen Zusammenhang sinnvoll waren, oder von vornherein eine Fehlentwicklung darstellten. Mit dieser Frage, welche strukturellen Mängel der gesetzlichen Krankenversicherung bereits bei ihrer Einführung im Jahre 1883 Bestand hatten, will sich diese Arbeit auseinandersetzen.

2. Haupteil

2.1. Versichertenkreis

Die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Pflichtversicherung. Das heißt, zunächst einmal ist jeder gezwungen, in der GKV versichert zu sein. Allerdings gibt es einige Ausnahmen. So ist jeder, der ein über eine bestimmte Versicherungspflichtgrenze liegendes Einkommen hat, von der Versicherungspflicht befreit und kann sich entscheiden, ob er sich bei der gesetzliche Krankenversicherung oder den privaten Krankenkassen versichert. Die Versicherungspflichtgrenze liegt momentan bei 46.800 Euro im Jahr[1]. Darüber hinaus sind bestimmte Berufsgruppen von vornherein von der Versicherungspflicht befreit, zum Beispiel Beamte und Selbstständige. Bestimmte selbständige Berufe unterliegen jedoch trotzdem der Versicherungspflicht, und zwar Gärtner, Landwirte, Künstler, Publizisten, Ärzte und Apotheker (Albrecht, 1977, S. 13 f.; Fink, 1997, S. 113 f.).

Diese Systematik hat zu einer Zweiteilung des deutschen Gesundheitssystems geführt. 90 % der Bevölkerung sind gesetzlich versichert, während die restlichen 10 % entweder privat versichert oder aber so vermögend sind, dass sie keine Versicherung benötigen. Nun könnte man meinen, dass 10 % der Bevölkerung nur ein geringer Anteil ist. Allerdings stellen diese 10 % „den reichsten Teil der Bevölkerung und die dynamischsten Segmente des Volkseinkommens [dar], nämlich die Einkünfte aus Gewinn und Kapital sowie die der Spitzenverdiener über der Pflichtversicherungsgrenze.“ (Hankel, 2002, S.1)

Hinzu kommt, dass die PKV im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung individuelle, risikoabhängige Beitragssätze festlegt. Wenn nun ein bei der gesetzliche Krankenversicherung Versicherter eine Gehaltserhöhung bekommt und nun über der Versicherungspflichtgrenze liegt, wird die Entscheidung, entweder zur PKV zu wechseln oder freiwillig in der gesetzliche Krankenversicherung zu bleiben, sicher erheblich von zusätzlichen Kosten beeinflusst. Dementsprechend wird jemand, der viel medizinische Leistung in Anspruch nehmen muss, viel weniger geneigt sein, zur PKV zu wechseln, denn seine monatlichen Beitragszahlungen würden bei einer PKV erheblich höher liegen. Dagegen können gesunde und junge Personen für viel weniger Geld die Vorteile der privaten Krankenversicherung nutzen. Das hat zur Folge, dass verstärkt besserverdienende, „gute“ Risikogruppen die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen und zur PKV wechseln. (Jordan 2003, S. 1 f.)

Es ist aber gerade der Zweck einer Solidargemeinschaft, dass sich die, denen es gut geht, um die kümmern, denen es nicht gut geht. Und mit „gut gehen“ ist hier Doppeltes gemeint. Zum einem im finanziellen Sinne, dass Personen mit hohen Einkommen auch die Gesundheitskosten derer mittragen, die nicht so viel verdienen. Zum anderen gesundheitlich, dass die Personen, die im momentanen Lebensabschnitt selten krank sind und wenig Kosten verursachen, die Kosten derjenigen, die oft krank sind, mittragen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich der eigene Gesundheitszustand jederzeit ändern kann und man plötzlich selbst auf Hilfe angewiesen ist. Eine Solidargemeinschaft, die jedoch von vornherein die Besserverdiener ausschließt und zudem verstärkt von gesunden Personengruppen verlassen wird, kann auf Dauer nicht funktionieren. (Braun 1981, S. 26 ff.; Knappe 2003, S 67 ff.)

Auch wenn 1883 die Zusammensetzung des Versichertenkreises noch völlig anders aussah, so wurden dennoch die Grundlagen für die heutige Zweiteilung des Systems geschaffen. Die gesetzliche Krankenversicherung wurde hauptsächlich eingeführt, um der Verelendung der durch die Industrialisierung entstandenen Arbeiterschicht entgegenzuwirken. (Mommsen 2002, S. 52 ff.)

Bismarck hatte die gesetzliche Krankenversicherung daher nur für Arbeiter konzipiert, wobei der Begriff „Arbeiter“ damals eher als „Arbeitnehmer“ verstanden wurde. Allerdings nicht für alle Arbeiter, sondern nur für die untersten Einkommensschichten, deren gesundheitliche Lage durch die gesetzliche Krankenversicherung verbessert werden sollte. Da man annahm, dass ärmere Personen ihr Geld nicht freiwillig für eine Krankenversicherung ausgeben würden, setzte man eine Versicherungspflicht für alle Arbeiter unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze fest.

Diese Versicherungspflichtgrenze lag damals bei 2000 Mark pro Jahr. Damals waren nur etwa 10 % der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. (Kleeis 1928, S. 95 ff.; Albrecht, 1977, S. 13; Töns, 1983, S.29; Eichenhofer 2000, S. 23 ff.; Marburger 1974, S. 529 f.; Deppe 2000, S. 10 f.)

Die Bismarcksche Krankenversicherung erwies sich schnell als äußerst erfolgreich. Ihr primäres Ziel, die gesundheitliche Situation des ärmsten Teils der Bevölkerung zu verbessern, wurde, wenn langsam, erreicht. Als Folge dieses Erfolges wurde der Versichertenkreis in der weiteren Entwicklung in der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland ständig erweitert. Es wurden immer mehr Berufsgruppen mit in die gesetzliche Krankenversicherung integriert und die Versicherungspflichtgrenze stetig angehoben, bis schließlich 90 % der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren. Außerdem wurde der Leistungskatalog, der anfangs nur eine absolute Basis-Versorgung beinhaltete, ebenso stetig erweitert. (Eichenhofer 2000, S. 24 f.; Mommsen 2002, S. 61; Fink 1997, S. 108 ff., 114 ff.; Neumann 1990, S 24 ff.)

Eine Versicherung aber, die nur für die Grundversorgung von 10 % der Bevölkerung konzipiert worden ist, kann nicht ohne weiteres für den Großteil der Bevölkerung übernommen werden. Denn kleinere Schwachstellen, die bei einem kleinen Versichertenkreis mit minimalem Leistungskatalog hingenommen werden können, erweisen sich bei einer Volksversicherung als fatale Mängel. (Hankel 2002, S. 5 f)

2.2. Lohnabhängige Beiträge

Die gesetzliche Krankenversicherung bezieht ihre Einnahmen durch Beiträge ihrer Mitglieder. Allerdings sind dies keine Beiträge im herkömmlichen Sinn. Zum einen werden sie nicht freiwillig gezahlt, wie z.B. bei Vereinen, sondern basieren auf der Versicherungspflicht. Zum anderen ist ihre Höhe vom Einkommen – bis zu einer bestimmten Beitragsbemessungsgrenze – abhängig. Vom Prinzip handelt es sich daher mehr um eine Art Einkommensteuer als um einen Beitrag. Allerdings wird nicht das gesamte Einkommen besteuert, sondern nur die Löhne. (Jordan 2003, S. 1 f.)

Die Beiträge werden paritätisch vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt. Allerdings muss der gesamte Beitrag vom Arbeitgeber erwirtschaftet werden, da er als reale Arbeitskosten einen Teil des Lohns darstellt. Durch diese Interpendenz zwischen den Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung und Löhnen ist die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems stark konjunkturabhängig. Während in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gesichert sind, brechen sie in einer konjunkturellen Schwächephase mit steigender Arbeitslosigkeit weg. Da aber die Ausgaben, die nicht konjunkturabhängig sind, gleich bleiben, gerät die gesetzliche Krankenversicherung in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Wenn sie diesen Schwierigkeiten durch Beitragserhöhungen entgegen wirken will, steigen wiederum die Lohnnebenkosten. Das schwächt die Wirtschaft weiter und behindert den notwendigen konjunkturellen Aufschwung erheblich. (Deppe 2000, S. 222; Hankel S. 1 ff.; Pimpertz 2003, S 4 f.)

[...]


[1] http://www.aspect-online.de/prodinfo/abc_kv/versicherungspflichtgrenze.htm.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Bismarck und die Konstruktionsfehler der gesetzlichen Krankenversicherung
Hochschule
Universität Hamburg  (Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Gesundheitspolitik in Deutschland
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V63333
ISBN (eBook)
9783638564052
ISBN (Buch)
9783656796442
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Welche Mängel des deutschen Gesundheitssystems haben von Anfang an bestanden? Waren Entscheidungen, die heute Probleme verursachen, im historischen Zusammenhang sinnvoll oder von vornherein eine Fehlentwicklung?. Mit diesen Fragen setzt sich diese Arbeit auseinander.
Schlagworte
Bismarck, Konstruktionsfehler, Krankenversicherung, Gesundheitspolitik, Deutschland
Arbeit zitieren
Johannes Frericks (Autor:in), 2005, Bismarck und die Konstruktionsfehler der gesetzlichen Krankenversicherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63333

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