Die Türkei zwischen dem Kemalismus und dem politischen Islam: eine Demokratie


Dossier / Travail, 2006

17 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kemalismus -
2.1. Entstehungsgründe
2.2. Sechs Grundprinzipien
2.3. Einparteiensystem- die CHP und das Militär

3. Politischer Islam -
3.1. Hintergründe
3.2. Funktionen des politischen Islams nach 1980

4. Kritik: Kemalismus plus Islamismus gleich Demokratie? -

5. Schlusswort

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit befasst sich mit dem Phänomen des türkischen Demokratiemodells, das sich seit der Republikgründung als dualistisch und sehr widersprüchlich aufweist. Einerseits, wurden die demokratischen Grundlagen der modernen Türkei durch das autoritäre Regime von Mustafa Kemal Atatürk aufgebaut, dessen Legitimation historisch begründet in der Krise des Osmanischen Reichs und der damit verbundenen außenpolitischen Aufteilung des Landes lag. Der an seiner Wirkkraft zunehmende Kemalismus betrachtete den Islam als eine Art „Bedrohung der nationalstaatlichen Integrität“[1] und als einen Störfaktor in den Modernisierungsprozessen. Er versuchte die Religion als wichtigsten Bestandteil der türkischen Kultur ganz zu beseitigen. Andererseits, hat sich dann auch das türkische strikte Laizismusverständnis im Zeitverlauf unter außenpolitischem Druck so transformiert, dass Islam nicht nur wieder an seiner Bedeutung gewann, sondern sich sogar stark politisierte. Wie hat sich aber die Demokratisierung in der Türkei zwischen diesen zwei antagonistischen Strömungen, also dem Kemalismus und dem politischen Islam, entwickelt und zu welchem Ergebnis kommt man heute? Welche politischen Akteure waren an den Transformationsprozessen beteiligt und welche Rolle wurde ihnen beigemessen? Eine objektive komparative Analyse der typischen Kennzeichen des Kemalismus und des politischen Islams in der Türkei ist sehr relevant, denn daraus lässt sich ein gutes Bild nicht nur über die Besonderheiten des türkischen Regierungssystems, sondern auch über die außenpolitischen Perspektiven, wie z.B. im Hinblick auf aktuelle Debatte um den Beitritt der Türkei in die Europäische Union zusammenstellen. Das Ziel meiner Arbeit ist also den Systemwandel in der Türkei unter den zwei oben genannten Gesichtspunkten aufzuklären und dadurch einen Erklärungsversuch für das gegenwärtige Demokratieverständnis zu wagen. Bei der Literaturrecherche lehnte ich mich hauptsächlich an den Werken solcher Autoren wie F.Adanir, G.Seufert, H.Wehling, C.Leggewie, M.Bozdemir, den unterschiedlichen Texten aus unserem Grundkurs I sowie den elektronischen Zeitungen an.[2]

Im Folgenden möchte ich auf das kemalistische Konzept, seine Entstehungsursachen, die sechs wichtigsten Grundprinzipien ausführlich eingehen, danach den Stellenwert der Militärs und das Einparteiensystem kurz beschreiben. Im nächsten Schritt wird der politische Islam, seine Hintergründe, Formen und intensive Entwicklung ab 1980 untersucht. Hier wird die wichtige Frage nach der Bedeutung der türkischen Re-Islamisierung, ihren Beweggründen und Folgen untersucht. Auch das Programm der gegenwärtigen Partei - der AKP wird in Stichpunkten erfasst. Das Kapitel vier beschäftigt sich mit dem kritischen Vergleich der beiden Ideologien im Bezug auf die Demokratiewerte. Hier werden z.B. derartige Fragen gestellt, wie: „Welche Folgen hatten der türkische Nationalismus und Laizismus für den Aufbau der demokratischen Gesellschaft?“; “Wie kemalistisch ist die Türkei also heute noch?“, und letztendlich- „Welche Tendenzen im politischen Islam stehen seit der zunehmenden Re-Islamisierung im Mittelfeld der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen?“.

Ich hoffe, dass diese Arbeit ihr Endziel erreicht, bzw. beim Leser das Interesse weckt und ihm einen guten Überblick über den politischen Zustand der modernen Türkei verschafft.

2. Kemalismus

Der Kemalismus als kulturelles Gedankengut, das sich seit Mitte des 20.Jahrhunderts in der Türkei zu einer mächtigsten politischen Ideologie entwickelt hatte, beinhaltet mehrere Elemente, darunter sind die wichtigsten der Nationalismus und die Westorientierung. Die Werte, auf denen sich diese zwei Pfeile beruhen, sind in den Entstehungsursachen der türkischen Republik sowie den daraus später von der CHP[3] in ihrem Parteiprogramm formulierten sechs Grundprinzipien zu finden.

2.1. Entstehungsgründe

Noch bevor Mustafa Kemal zum Nationalheld und Vater der Türken aufgestiegen und somit sein Konzept des nationalistischen modernen Staates zugrunde gelegt hatte, gab es im Osmanischen Reich bereits zahlreiche Versuche „den Staat und die Gesellschaft nach europäischen Vorbildern zu reformieren“.[4] Das betriebene Millet -System[5] im osmanischen Vielvölkerreich hat mit der Zeit zu inneren Konflikten und einer ungleichmäßigen Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen geführt. Dieser Unmut gegen illegitime absolute Herrschaft der Osmanen, gravierende Wohlstandsunterschiede und schlechtere soziale und rechtliche Lage der muslimischen Massen als Unterklasse erwuchs zu einem massiven Widerstand, der dringende Reformen erforderte. Auch viele verlorene Kriege deuteten auf einen Modernisierungsbedarf in allen Bereichen hin, unter anderem in Verwaltung, Wirtschaft, Technik, Bildung, Kultur, Religion. Die Gründe für die Neuerungen lagen also in der starken Heterogenität der osmanischen Gesellschaft und den ständigen Bedrohungen von außen. „Ein gemeinsames Staatsbürgerbewusstsein, wie es moderne Nationen kennen“, so Günter Seufert, „war bei so einer derart organisierten Bevölkerung schwerlich zu erwarten.“[6]

Die Tanzimat - Reformen[7] entsprachen zwar der bedingten Wirklichkeit, trugen in sich jedoch viele Widersprüche zwischen Traditionalisten und Modernisten. Die ersten glaubten das Osmanische Imperium mit seinem Herrschaftsstil durch eine konstitutionelle Monarchie mit Parlament fortsetzen zu können, die zweiten wollten „einen säkularen und demokratisch legitimierten Territorialstaat“[8] und damit verbundene Gleichberechtigung von ethnischen und religiösen Minderheiten. Die Situation war paradox, denn man musste einerseits der Europa nachahmen, um den eigenen Staat sicherzustellen und später dem kolonialen Druck des Westens entgegenzuwirken. Und andererseits, war eine totale Demokratisierung auch nicht erwünscht, weil sie dann separatistische Bestrebungen aller Völker im Reich auslösen würde. Sowohl Traditionalisten als auch Modernisten hatten das Ziel, ihren Staat zu retten. Die Bewegung der Jungen Osmanen proklamierte in 1876 die erste Verfassung, die inhaltlich sehr demokratisch war. Ihre integrativen Bemühungen scheiterten, so wie die der „Jungtürken“. Die letzteren strebten als Gegner der Diktatur Abdulhamids ebenfalls nach einer Zentralisierung des Landes, Gleichheit aller Völker und der demokratischen Verfassung von 1876. Ihr Programm fand allerdings nur wenig Unterstützung in den muslimischen Massen, denen sie in der Tat „kulturell entfremdet“ waren, indem sie die Rückständigkeit des Landes dem Islam anlasteten[9]. Im Mittelpunkt des von den Jungtürken geschaffenen konstitutionellen Systems standen nur die Grundbesitzer und Militärs, die sich nach einer gewaltsamen Revolution 1908 an der Spitze der osmanischen Regierung etabliert hatten. Um die Lage im ganzen Region zu stabilisieren und die Unruhen der enttäuschten Mehrheit der Bevölkerung abzumildern, bildeten die Intellektuellen, Lehrer, Dichter, Offiziere und religiösen Kräfte ihre eigenen Ideologien heraus, nämlich den Panturkismus[10] und den Panislamismus[11], die allein für eine totale Konsolidierung der Völker nicht ausreichten. Erst die Niederlagen im Balkankrieg 1912/1913 sowie im Ersten Weltkrieg verschärften wieder, aber diesmal mehr denn je den Bedarf an einer einheitlichen starken Ideologie. Im Namen des Befreiungskrieges gegen Aufteilungspläne der Alliierten gelang es dem damaligen türkischen General Mustafa Kemal in kurzer Zeit sein gesamtes Volk zu mobilisieren. Als Nachfolger der jungtürkischen Bewegung und hoher Militär war er es gewohnt, „für das Volk zu denken und an seiner Stelle zu entscheiden“[12]. Zu diesem Zweck nutzte er sogar den islamischen Widerstand in Anatolien, um das Vaterland zu retten. Der Volkswiderstand als gerechtfertigte, spontane Reaktion stützte sich in der ersten Phase des Befreiungskampfes auf „einem aufrichtigen Patriotismus, in dem noch kein starres ideologisches Moment vertreten war“[13]. Das türkische Nationalbewusstsein ist somit aus einem allgemeinen Verteidigungsinstinkt geboren, der in seiner radikalen Form bis heute in den Chauvinismus übergeht[14]. Nach der Gründung der Republik 1923 wurde die Idee der türkischen Nation als „wichtigste Legitimations- und Integrationseinheit“[15] ins kemalistische Konzept angelegt. Worum es dabei geht, stellt das nächste Kapitel dar.

2.2. Sechs Grundprinzipien

Der „Kemalismus“, bzw. die von Mustafa Kemal Atatürk geführte Politik stützte sich auf sechs Prinzipien: Nationalismus, Modernismus, Laizismus, Etatismus, Republikanismus und Populismus. Sie alle wurden zuerst im Programm von Atatürks CHP, der Republikanischen Volkspartei, formuliert und dann in der Verfassung von 1937 verankert[16]. Unter diesen Grundsätzen spielen heute insbesondere Nationalismus und Laizismus eine große Rolle. Die Westorientierung bzw. Säkularisierung ist eng mit diesen Begriffen verbunden.

Der Nationalismus bedeutet eine Art „Ersatzreligion für die islamisch geprägte Zivilisation des Osmanischen Reichs“[17] und strebt sowohl nach der türkischen Volkssouveränität innerhalb des Staates, d.h. der Identifizierung seiner Bürger mit der türkischen Nation durch Sprache, Geschichte, Symbole des Nationalstolzes und ihrer Integration in den Staat, als auch nach der Anerkennung außerhalb des Staates, d.h. der Verteidigung territorialer Grenzen. Dieses Prinzip des Nationalstaates, das nicht islamisch begründet war, hat den Türken nach der Proklamation der Republik geholfen, „in die universale zeitgenössische Zivilisation einzutreten“[18].

Der Modernismus, bzw. Reformismus steht für eine kontinuierliche Säkularisierungspolitik, bzw. den sozialen Prozess der „Verweltlichung“ und der Aufklärung, wo die Religion mit der Zeit ihre Bedeutung verliert[19]. Laut Binnaz Toprak hat Mustafa Kemal die Säkularisierung auf drei Ebenen durchgeführt: auf der symbolischen, bzw. kulturellen (Hut-, Kalender-, Schriftreform); institutionellen (Abschaffung der religiösen Institutionen) und funktionalen (Übernahme der Funktionen von Religion durch den Staat)[20].

[...]


[1] Vgl. Leggewie C.(2004), Die Türkei und Europa, in: Demokratie und Religion, Einleitung, 1.Aufl., S.86

[2] Siehe Literaturverzeichnis

[3] CHP- „ Cumhuriyet Halk Partisi die Republikanische Volkspartei, von Mustafa Kemal Atatürk gegründete Partei und sein Herrschaftsinstrument während der Einparteien-Periode…“ Siehe Seufert G.,(1997), Politischer Islam in der Türkei, in: Beiruter Texte und Studien, Bd.67;Türkische Welten, Bd.3, Stuttgart: Steiner 1997, S.18

[4] Vgl. Adanir F.(2000), Vom osmanischen Vielvölkerreich zum türkischen Nationalstaat, in: Die Türkei vor den Toren Europas- Bürger im Staat 1/2000, S.2f

[5] Millet- im Osmanischen Reich die kulturell und rechtlich autonome Glaubensgemeinschaft, bzw. Konfessionsgruppe. Das Wort wird später für Religionsnation und im politischen Kontext für Nation verwandt, Siehe Seufert G.,(1997), Politischer Islam in der Türkei, in: Beiruter Texte und Studien, Bd.67;Türkische Welten, Bd.3, Stuttgart: Steiner 1997, S.21

[6] Zit. nach Seufert, G./Kubaseck, C.(2004), Die Türkei, Politik, Geschichte, Kultur, München 2004, S.69

[7] Tanzimat-Reformen 1839-1876 sind Reformen wie z.B. Emanzipation der Frauen, Gleichberechtigung der Nichtmuslime und Muslime u etc., Anmerk.d. Autors

[8] Vgl. Adanir F.(2000), Vom osmanischen Vielvölkerreich zum türkischen Nationalstaat, in: Die Türkei vor den Toren Europas- Bürger im Staat 1/2000, S.2f

[9] Vgl. eben da S.4

[10] Panturkismus „…bedeutete den Wunsch nach Vereinigung aller Turkvölker“, Siehe dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Panturkismus

[11] Unter Panislamismus „versteht man das politische, kulturelle und religiöse Zusammengehörigkeitsgefühl der Mohammedaner[…]“, Siehe dazu

http://www.stub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/php/suche_db.php?suchname=Panislamismus

[12] Vgl. Seufert, G./Kubaseck, C.(2004), Die Türkei, Politik, Geschichte, Kultur, München 2004, S.85

[13] Vgl. Bozdemir, M.(1988), Armee und Politik in der Türkei, 1.Aufl., Frankfurt 1988, S.89

[14] Vgl. Yesilguel,I.(WS2005/2006), Folien GK I

[15] Vgl. eben da

[16] Vgl. Rumpf, C.(2005), Das Verfassungssystem der Türkei, in: Der Bürger im Staat: Europa und die Türkei, Jg. 55 Heft 3, 2005, S.92f

[17] Vgl. Melinz, G.(1995), Vom osmanischen Mosaik zur türkischen Staatsnation, in: Bruckmüller, Ernst: Nationalismus, Wien 1995, Auszug, S. 67

[18] Vgl. Steinbach, U.(1996), Die Türkei im 20.Jahrhundert, Bergisch Gladbach 1996, S.140

[19] Vgl. Yesilguel,I.(WS2005/2006), Folien GKI

[20] Vgl. Toprak, B.(1996), S.67-69 in: Steinbach, U.(1996), Die Türkei im 20.Jahrhundert, Bergisch Gladbach 1996

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Die Türkei zwischen dem Kemalismus und dem politischen Islam: eine Demokratie
Université
University of Freiburg
Cours
Grundkurs I: Das parlamentarische System der Türkei und das kemalistische Erbe
Note
2,3
Auteur
Année
2006
Pages
17
N° de catalogue
V63928
ISBN (ebook)
9783638568593
ISBN (Livre)
9783656777762
Taille d'un fichier
512 KB
Langue
allemand
Mots clés
Türkei, Kemalismus, Islam, Demokratie, Grundkurs, System, Türkei, Erbe
Citation du texte
Luiza Usmanova (Auteur), 2006, Die Türkei zwischen dem Kemalismus und dem politischen Islam: eine Demokratie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63928

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