Entwicklung eines Handbuchs zur Förder- und Integrationsplanung in der Benachteiligtenförderung

Konzipierung und Überlegungen zur Implementierung einer Förder- und Integrationsplanung beim Internationalen Bund Bildungszentrum Stuttgart


Diploma Thesis, 2006

156 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Problemstellung

1 Bestandsaufnahme der Ausbildungssituation
1.1 Die Situation am Ausbildungsstellenmarkt in Deutschland
1.2 Die Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Großraum Stuttgart
1.3 Die Folgen der aktuellen Entwicklungen auf dem Ausbildungsstellenmarkt

2 Die Benachteiligtenförderung
2.1 Zum Begriff "Jugendliche"
2.2 Der Begriff der Benachteiligung
2.3 Das Wesen der Benachteiligtenförderung
2.3.1 Der Internationale Bund als Träger der Benachteiligtenförderung
2.3.2 Die Ausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen
2.4 Fördern in der Benachteiligtenförderung

3 Die Förder- und Integrationsplanung
3.1 Die Förderplanung
3.1.1 Das Wesen der Förderplanung
3.1.2 Das Verfahren der Förderplanung
3.1.2.1 Die Eignungsdiagnose
3.1.2.2 Der individuelle Förderplan und die differenzierten Angebote
3.1.3 Die bisherige Förderplanung des BZ Stuttgart
3.2 Die Integrationsplanung
3.2.1 Übergangshilfen während und nach der Ausbildung
3.2.2 Die Integrationsplanung im BZ Stuttgart

4 Die Notwendigkeit einer überarbeiteten Förder- und Integrationsplanung
4.1 Die neue Ausschreibungspraxis der Arbeitsagentur
4.1.1 Die Reform des Vergaberechts
4.1.2 Die Folgen der Ausschreibungspraxis für Träger, Mitarbeiter und Teilnehmer
4.1.3 Die Reaktion der Agentur für Arbeit auf die Ausschreibungskritik
4.2 Die neue Rolle der Förder- und Integrationsplanung im Ausschreibungsverfahren
4.2.1 Die Bedeutung der Förderplanung
4.2.2 Der Stellenwert der übergreifenden Integrationsstrategien
4.3 Der Strukturwechsel des Bildungszentrums Stuttgart

5 Die Entwicklung eines Handbuchs zur Förder- und Integrationsplanung
5.1 Vorüberlegungen zur Entwicklung des Handbuches
5.1.1 Die Ziele des Handbuches
5.1.2 Die Ergebnisse des Arbeitskreises Sozialpädagogen
5.2 Schritte zur Entwicklung einer professionellen Förder- und Integrationsplanung
5.2.1 Die veränderte Förderplanung
5.2.1.1 Die Festlegung der Zeitpunkte der Förderplanung
5.2.1.2 Die Methoden und Instrumente der individuellen Förderplanung
5.2.1.3 Die Dokumentation der Förderplanung
5.2.2 Die Ergebnisse einer überarbeiteten Integrationsplanung
5.3 Die Zusammenstellung der professionalisierten Förder- und Integrationsplanung
5.3.1 Die Erstellung des Handbuches zur Förder- und Integrationsplanung
5.3.2 Der Aufbau des Handbuches
5.3.3 Beispielhafte Darstellung einer individuellen Förder- und Integrationsplanung

6 Die Implementierung des Handbuches
6.1 Die zu erwartende Akzeptanz des Handbuches
6.2 Die Einführung des Handbuches

Schlussbetrachtungen

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Struktur der Benachteiligtenförderung

Abbildung 2: Netzwerke IB BZ Stuttgart

Abbildung 3: Stufen des Förderprozesse

Abbildung 4: Ablauf Förderplan BZ Stuttgart

Abbildung 5: Vergleich Bewertungsmatrix Verdingungsunterlagen - Förderplanung

Abbildung 6: Vergleich Bewertungsmatrix Verdingungsunterlagen - Integrationsstrategie

Abbildung 7: Ursprüngliche Struktur des BZ Stuttgart

Abbildung 8: Die neue Struktur des BZ Stuttgart

Abbildung 9: Integrationsplanung BZ Stuttgart

Problemstellung

Der traditionelle Weg des Berufserwerbs, der in Form einer betrieblichen Ausbildung vielen Generationen den Eintritt in die Arbeitswelt eröffnet hat, wird für einen wachsenden Teil Jugendlicher immer unzugänglicher. Gerade für die Gruppe der Benachteiligten scheinen die Chancen in Bezug auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in der Lerngesellschaft und wissensbasierten Wirtschaft noch schlechter zu werden als bisher. Sie sind die Verlierer, wenn es um eine zukunftsorientierte Berufsausbildung geht. Der strukturelle Wandel, die hohe Veränderungsdynamik, das Anzweifeln der früheren Linearität von Bildungs- und Erwerbsarbeit und der grundlegende Wandel der Arbeitsgesellschaft stellen schon „Nicht-Benachteiligte“ vor große Probleme, umso mehr werden von ihnen die Benachteiligten betroffen. Jeder fünfte Jugendliche ist nach Verlassen der Schule ohne zusätzlich begleitende Qualifizierungsmaßnahme nicht in der Lage, eine Berufsausbildung zu beginnen. Eine qualifizierte Berufsausbildung beutet jedoch nach wie vor das Fundament und den Einstieg in eine berufliche Zukunft. Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten hingegen treffen junge Menschen besonders hart – nicht nur materiell, sondern primär durch die psychosozialen Folgen (vgl. Laur-Ernst 2000a, S. 3; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 2; Severing, E., Zedler, R. 2000, S. 1; Troltsch, K. 1999, S. 14; Projektgruppe Förderplanung 2001b, S. 68; Allespach, M., u. a. 2001, S. 13, 19; Allespach, M., u. a. 2005, S. 7; Schlag, T. 2003, S. 7; Wolff, H. 2003, S. 16; Mutscheller, E. 1999, S. 94; Fülbier, P. 1999, S. 123).

Insbesondere benachteiligte Jugendliche schaffen die Integration praktisch nicht mehr aus eigener Kraft. Die Benachteiligtenförderung bietet diesen Jugendlichen besondere Unterstützungsmöglichkeiten, um die Schwierigkeiten an den Hürden zu Ausbildung, Beruf und Arbeit zu überwinden. Vor allem die Förderplanung liefert hierbei Unterstützungsmechanismen, die es ermöglichen auf die individuellen Erfordernisse der Jugendlichen einzugehen.

Im Rahmen der Instrumente der aktiven Arbeitsförderung ist insbesondere die Integration der Teilnehmer der Benachteiligtenförderung zum zentralen Erfolgsmaßstab geworden. Diesen Anspruch hat die Arbeitsagentur im Zuge der grundlegenden Neuausrichtung ihrer Geschäftspolitik seit 2003 deutlich in den Vordergrund gerückt. Kennzeichnend ist dafür nicht zuletzt, dass die Aufgaben „aktivieren“ und „vermitteln“ eine zentrale Bedeutung für ihre Maßnahmen gewannen (vgl. Funk, T. 2005, S. 2f.; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005b, S. 22). Demgemäß taucht seit 2005 in den Ausschreibungen für die Maßnahmen der außerbetrieblichen Berufsausbildung (BaE) erstmals als neue Schwerpunktanforderung der Begriff der „übergreifenden Integrationsstrategien“ auf. Über die ausbildungsbezogenen Inhalte hinaus sind den

Teilnehmern Hilfestellungen zum Übergang in eine betriebliche Ausbildung bzw. Arbeit zu geben. Diese Hilfestellungen werden somit zum integralen Bestandteil der Maßnahmen und zwar bereits von Beginn der Maßnahme an. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit eine überarbeitete Förder- und Integrationsplanung in die außerbetrieblichen Maßnahmen aufzunehmen (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 2001, S. 3).

Der Internationale Bund (IB), als einer der großen freien Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit in Deutschland, bietet gerade im Bildungszentrum (BZ) Stuttgart ein umfassendes und vielschichtiges Programm rund um den Bereich „Berufliche Bildung“ auch im Rahmen der Benachteiligtenförderung an. Heute trägt das BZ Stuttgart dazu bei, die berufliche Leistungsfähigkeit der Jugendlichen zu fördern, um sie den ständig wachsenden Anforderungen in Ausbildung und Beruf anzupassen. Hierbei kommt es seit 2005 auf Grundlage einer verstärkten Marktorientierung zu einer prozesshaften Veränderung der Organisationsstruktur des BZ Stuttgart, die eine Neustrukturierung der Zuständigkeiten und Aufgaben erfordert.

Ziel dieser Arbeit ist es ein Handbuch der Förder- und Integrationsplanung für die Benachteiligtenförderung zu entwickeln, dass den neuen Anforderungen der Arbeitsagentur aber auch der veränderten Struktur innerhalb des BZ Stuttgart gerecht wird.

Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie eine solche Förder- und Integrationsplanung aufgebaut sein soll, welche Elemente zwingend enthalten sein müssen, woran sich eine solche Planung orientiert und wie schließlich ein solches Handbuch in den pädagogischen Alltag integriert werden kann.

Im ersten Teil der Arbeit wird auf die momentane Situation am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt eingegangen und deren Folgen für Schulabgänger dargestellt. Anschließend werden die Benachteiligtenförderung, der Internationale Bund als Träger sowie die außerbetriebliche Ausbildung als eine Maßnahme der Benachteiligtenförderung näher betrachtet. Hierbei sollen sowohl sozial benachteiligte und lernbeeinträchtigte als auch behinderte Jugendliche berücksichtigt werden.

Im Rahmen des dritten Teils wird auf die Bedeutung der Förder- und Integrationsplanung im Rahmen der außerbetrieblichen Ausbildung eingegangen und deren momentan praktizierte Durchführung beim Internationalen Bund dargestellt. Nachfolgend beschäftigt sich der vierte Teil der Arbeit schließlich mit der Notwendigkeit der Überarbeitung der Förder- und Integrationsplanung aufgrund der Veränderungen des Ausschreibungsverfahrens der Bundesagentur für Arbeit (BA) aber auch der Umgestaltung der Trägerstruktur des BZ Stuttgart. Anschließend wird im fünften Teil auf die Schritte der Erstellung des Handbuches der Förder- und Integrationsplanung eingegangen und an

einem Beispiel veranschaulicht, um abschließend die Installierung des Handbuches in den pädagogischen Alltag vorzustellen. Diese Überlegungen sind jedoch rein theoretisch. Die Umsetzung in die Praxis erfolgt bis Beginn der Maßnahmen im September.

Im Rahmen der Ausarbeitung der Arbeit wurden mir einerseits Protokolle, Unterlagen und Konzepte durch den Internationalen Bund zur Verfügung gestellt, andererseits konnte ich Besprechungen (z. B. Arbeitskreis Sozialpädagogen) direkt beiwohnen. So hatte ich die Möglichkeit den Entwicklungsprozess zu begleiten und erste Vorschläge und Vorüberlegungen mit dieser Arbeit einzubringen. Es kann hierbei jedoch noch nicht von einem abgeschlossenen Prozess gesprochen werden, dies wird erst mit Beginn der neuen Maßnahmen im September 2006 der Fall sein.

1 Bestandsaufnahme der Ausbildungssituation

1.1 Die Situation am Ausbildungsstellenmarkt in Deutschland

Im deutschen Bildungssystem nimmt die duale Berufsausbildung einen hohen Stellenwert ein und bildet für den überwiegenden Teil der 16-20jährigen Jugendlichen die Basis für den Einstieg ins Berufs- und Arbeitsleben sowie die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004, S. 1, 6; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 2). Doch längst hat der Grundsatz „Ausbildung für alle“ angesichts knapper Ausbildungsangebote noch viel größere Bedeutung erlangt.

Im Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 30.September 2005 wurden bundesweit insgesamt 550.180 Ausbildungsverträge abgeschlossen, 4 Prozent weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum und der niedrigste Stand nach der Wiedervereinigung. Damit setzt sich nach dem positiven Ergebnis 2004 die ungünstige Entwicklung bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen der vergangenen Jahre wieder fort. Das Angebot an Ausbildungsplätzen sank gegenüber dem Vorjahr um knapp 4 Prozent (562.816), wobei sich die Anzahl der Nachfragenden auf 591.080 mit der Folge verringerte, dass sich die Relation zwischen Angebot und Nachfrage geringfügig verbesserte. Am 30.09.2005 betrug somit die Zahl der unvermittelten Bewerber 40.900. Diese konnte jedoch bis Mitte Dezember 2005 auf 17.500 weiter vermindert werden, womit das durch die BA gemeldete Ausbildungsangebot von den Jugendlichen so intensiv ausgeschöpft wurde wie noch nie zuvor seit der staatlichen Einheit Deutschlands. 4 Prozent der Jugendlichen wurden im Rahmen von staatlichen Maßnahmen zur Ergänzung des betrieblichen Ausbildungsangebotes, der Benachteiligtenförderung sowie der Ausbildung für behinderte Menschen nach dem SGB III ausgebildet (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 3f., 8, 27, 31, 33). Betrachtet man jedoch die Zahl der Abgänger aus allgemeinbildenden Schulen wurde hier mit 948.200 ein

Höchststand erreicht, womit im Verhältnis zur Schulabgängerzahl der Anteil neu abgeschlossener Ausbildungsverträge auf 58 Prozent und damit zum ersten Mal unter die 60 Prozent Marke fällt. Damit wird deutlich, dass immer mehr Jugendliche nach Verlassen der allgemein bildenden Schulen in schulische Einrichtungen oder berufsvorbereitende Maßnahmen statt Ausbildungen einmünden. Die Teilnehmerzahlen an Berufsfachschulen, im Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsjahr stiegen von 1995 bis 2004 kontinuierlich um 172.000 auf 459.000 Schüler, mit dem Effekt, dass die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren trotz des gesunkenen Ausbildungsangebots relativ niedrig blieb (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 17f.).

Besorgniserregend ist ebenso der Rückgang ausländischer Jugendlicher in Ausbildung zu betrachten. So nahm besonders der Anteil der männlichen ausländischen Auszubildenden1 von 42 Prozent (1992) auf 28 Prozent (2004) ab und erreichte damit fast das niedrige Niveau der ausländischen jungen Frauen (23%) (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 6).

Problematisch an dieser Statistik zeigt sich, dass Jugendliche, die in eine andere Maßnahme (z.B. Berufsvorbereitung), Arbeit oder Arbeitslosigkeit einmünden, der Nachfrage nicht mehr zugerechnet werden, auch wenn sie weiterhin den Wunsch nach einer Lehrstelle beibehalten. Somit kann der Versorgungsbedarf am Ende eines Jahres nicht mehr allein mit der Zahl der „noch nicht vermittelten Bewerber“ gleichgesetzt werden, sondern geht deutlich darüber hinaus. Für das Jahr 2004 kann hier von 48.712 Jugendlichen ausgegangen werden, die ihren Vermittlungswunsch aufrechterhalten und die Zahl steigt stetig an. Die momentan praktizierte Berechnung der Angebots-Nachfrage-Relation birgt die Gefahr, dass problematische Entwicklungen nicht frühzeitig genug erkannt werden und allzu lang zu wenig Beachtung finden (vgl. Bundesinstitut für Berufsausbildung 2005, S. 27; Ulrich, J.G. 2005, S. 19f., 28, 35; Brosi, W. 2005b, S. 115, 117; Schierholz, H. 1999, S. 212).

Auch die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes mit Wirkung zum April 2005 sowie der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs (Ausbildungspakt)2 konnten die angespannte Lage am Ausbildungsstellenmarkt bisher nicht entlasten und das Problem der mangelnden Ausbildungsplätze grundlegend heilen. Beendeten sie jedoch die Illusion des reibungslosen Funktionierens des deutschen Ausbildungssystems und die Fiktion, dass es sich nur um eine kleine Randgruppe handelt, die Schwierigkeiten beim Übergang in Ausbildung und Arbeit hat. Bedenklich zeigt sich hierbei auch die Verankerung der Berufsvorbereitung im Berufsbildungsgesetz, was diese zu einem offiziellen Zwischenglied zwischen Schule und Ausbildung macht. Betrachtet man jedoch

die Übergangsquoten dieser Jugendlichen, schaffen nur 10 bis 20 Prozent den Sprung in den Lehrstellenmarkt oder den ersten Arbeitsmarkt (vgl. Allespach, M., u. a. 2001, S. 140; Greinert, W.-D. 2004, S. 31ff.). Wenig verwunderlich ist folglich der Anstieg Jugendlichen mit Hauptschulabschluss und mittlerer Reife um jeweils 14 Prozent (seit 2000), die nach ihrem Schulabschluss an einer Arbeitsstelle interessiert sind (vgl. Deutscher Bundestag 2005, S. 4).

Die Ergebnisse des neu aufgelegte Ausbildungsstrukturprogramm „Jobstart“3 zum Januar 2006 und des „Tages des Ausbildungsplatzes“ am 29. Mai 2006 sind dabei noch abzuwarten (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 14, 16; 41ff.).

Die Berufsberatungsstatistik signalisiert jedoch für Mai 2006 bisher keine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt. Von Oktober 2005 bis Mai 2006 sind den Agenturen für Arbeit insgesamt 362.500 Ausbildungsstellen gemeldet worden, was einem Rückgang von 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Gleichzeitig haben 626.200 Bewerber die Berufsberatung bei der Vermittlung einer Ausbildungsstelle eingeschaltet, 3 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die rechnerische Differenz zwischen unbesetzten Stellen und unterversorgten Jugendlichen ist damit deutlich größer als vor einem Jahr (220.100; Vorjahr: 185.000). Die Bundesregierung sieht die Gründe für die rückläufige Zahl der Ausbildungsplätze in den Konkursen von jährlich 40.000 Betrieben, bürokratischen Hürden für die Ausbildung in kleineren Betrieben und der mangelnden Ausbildungsreife der Jugendlichen. Eine Vorausschau auf das Ende des Beratungsjahres lässt derzeit mit schätzungsweise 28.300 fehlenden Lehrstellen eine größere Lücke als Ende September 2005 befürchten (vgl. http://www.arbeitsagentur. de/vam/vamController/CMSConversation/anzeige Content?navId=219&category=press _info&docId=107491&rqc=3&1s=false&ut=0; http://www.bundesregierung.de/servlet/ init.cms.layout.LayoutServlet?global.naviknot; Bundesagentur für Arbeit 2006f, S. 8ff.).

Die Bundesregierung hat sich, im Einklang mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union, das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Zahl der Jugendlichen, die bisher ohne Ausbildung bleiben bis zum Jahr 2010 um die Hälfte zu reduzieren. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird man sich im Jahr 2006 jedoch auf rund 950.000 Schulabsolventen einstellen müssen, wobei hier noch die Abgänger teilqualifizierter beruflicher Schulen und berufsvorbereitender Maßnahmen hinzukommen. Nach Hochrechnungen wären zur Deckung des Bedarfs demgemäß 593.000 neue Ausbildungsstellen erforderlich (vgl. Fachbeirat der Benachteiligtenförderung 2003, S. 3; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 10, 35, 89, 91).

Die Region Stuttgart spiegelt diese Entwicklungen auf dem Ausbildungsstellenmarkt gleichermaßen wieder.

1.2 Die Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Großraum Stuttgart

Im Jahr 2005 wurden im Arbeitsagenturbezirk Stuttgart 7.272 neue Ausbildungsverhältnisse abgeschlossen, das sind im Vergleich zum Vorjahr 532 weniger Ausbildungsverträge. Den größten Anteil machten dabei Industrie und Handel (61,6%) und Handwerk (23,7%) aus. Die Angebots-Nachfrage-Relation4 in Stuttgart lag im Jahr 2005 bei 98,3 Prozent womit sich die Situation am Ausbildungsmarkt zu Ungunsten der Auszubildenden verschlechterte. Besonders der Anteil von ausländischen Auszubildenden an Ausbildungsverhältnissen ist rückläufig, da immer mehr ausländische junge Menschen auch im Raum Stuttgart keine Berufsausbildung aufnehmen (vgl. http://www.statistik-bw.de /Pressemitt/2006057. asp; Wörner, M. 2005, S. 15ff.; http://www.statistik-bw.de/ Pressemitt/2005220.asp).

Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat in einer Analyse der regionalen Arbeits- und Ausbildungsmärkte einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Beschäftigungsentwicklung und dem betrieblichen Ausbildungsangebot nachgewiesen. So kann bei einem Abbau von 1,358 Mio. sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen im Zeitraum von 1999 bis 2005 das Ausbildungssystem schließlich nicht unberührt bleiben. Auch wenn im April 2006 die Arbeitslosigkeit überraschend stark sank und sich die Zahl der Arbeitslosen um 255.000 verringerte, unterschreiten die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen weiter das Vorjahresniveau um 88.000 Stellen (vgl. http://www.arbeitsagentur.de/vam/vamController/CMSConversation/anzeigeContent?navId=219&category=press_info&docId=107491&rqc=3&1s=false&ut=0; Bundesagentur für Arbeit 2006f, S. 2). Laut dem Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bildeten von den 2,054 Millionen Betrieben im Jahr 2004 schließlich 47 Prozent trotz Ausbildungsberechtigung aufgrund eines rückläufigen Bedarfs, steigender Ausbildungskosten und der Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre nicht aus. Politisch ist es jedoch nicht akzeptabel einem zunehmenden Anteil Jugendlicher sagen zu müssen, dass sie zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt Ausbildungsplätze nachfragen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 4, 9, 17; Deutscher Bundestag 2005, S. 7; Ulrich, J.G. 2005, S. 24; Brosi, W. 2005a, S.39; Walden, G. 2005, S. 41, 48; Werner, D. 2005, S. 55; Richter, I. 2004, S. 27; Eckert, R. 2003, S. 31; Schierholz, H. 1999, S. 218; Walden, G., u. a. 2002, S. 35f.; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006b, S. 18ff.). Bei der Betrachtung des Arbeitsmarktes der Region Stuttgart wird deutlich, dass in den letzten fünfzehn Jahren 5,3 Prozent der Arbeitsplätze verloren gingen. Der Verlust ist im Wesentlichen auf Rationalisierungen, Betriebsaufgaben und Produktionsverlagerungen im sekundären Sektor zurückzuführen. Dieser konnte jedoch zum Teil durch neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor kompensiert werden. So gingen zwischen 1990 und 2004 im produzieren-

den Sektor über 163.000 Jobs (-27%) verloren, gleichzeitig wurden über 105.000 neue Arbeitsplätze (+21%) im Dienstleistungssektor geschaffen. Beteiligt an diesem Beschäftigungsboom waren insbesondere die unternehmensbezogenen Dienstleistungen, wie Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatungen, aber auch informationstechnische und personenbezogene Dienstleistungen (vgl. Deutscher Industrie- und Handelskammertag 2006, S. 9ff.).

Im Bezirk der Agentur für Arbeit Stuttgart waren im März 2006 39.882 Menschen arbeitslos, bei einer Arbeitslosenquote von 8,1 Prozent (Vorjahr: 8,9 %). Für die Gruppe der unter 25 Jährigen sind die Zahlen rückläufig, so betrug die Arbeitslosenquote 6,7 Prozent gegenüber 10,3 Prozent im März 2005 (vgl. http://www.statistik-bw.de).

Laut einer Untersuchung der IHK Stuttgart weist die Region Stuttgart einen überdurchschnittlichen Anteil an gering Qualifizierten auf, deren Arbeitsplätze in den letzten Jahren in hoher Zahl weggefallen sind. Eine Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der gering Qualifizierten bis 2010 von 20 Prozent auf 10 Prozent aller Beschäftigten zurückgehen wird und somit jeder zweite Arbeitsplatz für Personen ohne formalen Ausbildungsabschluss wegfallen wird. Eine grundlegende berufliche Qualifikation ist damit in nahezu allen Tätigkeiten erforderlich geworden und selbst hier sind circa 30 Prozent der ausgebildeten Facharbeiter unterqualifiziert beschäftigt (vgl. Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 2000, S. 31; Zeller, B. 2003b, S. 115; Galiläer, L. 2004, S. 27; Laur-Ernst, U. 2000b, S. 7; Gidion, G. 2003, S. 47f.; Gart-Mingels 1997, S. 41; Voigt, B. 1997, S. 51; Schierholz, H. 1999, S. 217; Stauber, B., Walther, A. 1995, S. 67ff.).

1.3 Die Folgen der aktuellen Entwicklungen auf dem Ausbildungsstellenmarkt

Die Gründe für den eklatanten Misstand am Ausbildungsstellenmarkt sind vielfältig. Zum einen liegen sie auf der Seite der Jugendlichen selbst, was wiederum verschiedene Ursachen hat. Auf der anderen Seite sind sie jedoch vor allem in den strukturellen Bedingungen von Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, aber auch im Bildungs- und Ausbildungssystem selbst begründet. So sind für die Verschärfung der Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt geburtenstarke Jahrgänge, der sprunghaften Anstieg des Rationalisierungsdrucks, der Paradigmenwechsel in der Arbeitsorganisation, das Entstehen neuer Formen der Arbeit sowie die Neuverteilung und Flexibilisierung der Erwerbsarbeit verantwortlich (vgl. Rebhan, V. 2003, 53f.; Gericke, T. 2003, S. 116; Schulte, E. 2004, S. 8; Laur-Ernst, U. 2000a, S. 1f.; Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 2000, S. 29). Selbst bei ehemals als einfach beschriebenen Tätigkeitsfeldern haben sich die Erwerbschancen für Jugendliche mit Benachteiligungen verschlechtert und werden sich weiter verschlechtern, weil die Anforderungen in-

nerhalb der Tätigkeit zunehmen. Auch einfache Arbeiten kommen zukünftig nicht mehr ohne Qualifizierung aus (vgl. Gericke, T. 2003, S. 116; Zeller, B. 2003a, S. 57; Gaag, R., 2003, S. 217). Dementsprechend klagen die Unternehmen darüber, dass sie Ausbildungsplätze trotz angespannter Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt mangels geeigneter Bewerber nicht besetzen können. Die Bewerber würden grundlegende Schwächen bei Kulturtechniken, im Verhaltensbereich sowie bei überfachlichen Qualifikationen aufweisen und wären damit nicht ausbildungsfähig (vgl. Rebhan, V. 2003, S. 81; Mutscheller, E. 1999, S. 94; Schierholz, H. 1999, S. 213).

Um die Jugendlichen bei der Bewältigung dieser Hürden zu unterstützen, wurden auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen vielfältige Angebote, Maßnahmen und Programme mit berufsorientierenden, berufsvorbereitenden und berufsqualifizierenden Inhalten entwickelt. Als Ergebnis ist neben dem dualen System ein komplexes Parallelsystem von Hilfen mit einer Vielfalt von Zuständigkeiten, Institutionen und Angeboten entstanden, dessen charakteristische Merkmale Unübersichtlichkeit und Mangel an Abstimmung sind und zahlreiche Maßnahmekarieren5 bzw. Mehrfachförderung von Jugendlichen begünstigen, aber auch einen Beitrag zur politischen Stabilisierung des dualen Systems liefern. Damit wird einerseits Staat und Steuerzahler ein immer größer werdender Anteil der Verantwortung und der Aufwendungen für die berufliche Ausbildung auferlegt und andererseits eine Subventionsmentalität geweckt, bei der Betriebe Ausbildungsplätze zurückhalten, um diese als „zusätzlich“ subventioniert anzubieten.

Doch auch im Rahmen der Förderung benachteiligter Jugendlicher zeichnen sich Veränderungen ab. So bleibt für die Benachteiligtenförderung nicht ohne Folgen, dass sich die Bundesagentur für Arbeit vorgenommen hat, ihren Beitrag zu leisten, das öffentliche Haushaltsdefizit einzudämmen (vgl. Braun, F. 2003, S. 95; Hanesch, W. 2002, S. 13; Dahlem, R. o. J., S. 3; Enggruber, R. 2001, S. 21; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 20; Dann, S. 2003, S. 18; Schauer, R. 1999, S. 49; Eckert, M. 2004, S. 2; Felber, H. 1997b, S. 23f.; Gericke, T. 2003, S. 115, 118).

Jugendliche mit schlechten Bildungsvoraussetzungen, schwierigen sozialen Biographien und in benachteiligten Lebensverhältnissen sind folglich von beruflicher und sozialer Marginalisierung bedroht, weil das eigentlich zuständige duale System sie nicht zu integrieren vermag. Die weitgehende Ausgrenzung dieser Jugendlichen aus der betrieblichen Berufsausbildung erfolgt, weil Betriebe sich deren Ausbildung nicht mehr leisten können und sie den benötigten Nachwuchs an Fachkräften auf anderen Wegen kostengünstiger beschaffen können (vgl. Braun, F., Lex, T. 2003, S. 170f.; Herdt, U. 2003b, S. 79). Die erschwerten Zugangsbedingungen zu beruflicher Ausbildung führen unter den Bewerbern damit zu einer größeren Konkurrenz. Dies bedeutet insbesondere für die Jugendlichen mit nicht so guten Leistungsvoraussetzungen zunehmend eine

Abkopplung von der dualen betrieblichen Berufsausbildung. Der Mangel an Ausbildungsplätzen erzeugt eine von Jahr zu Jahr gewachsene Anzahl nicht vermittelbarer Jugendlicher. Vor allem unter den Benachteiligten findet so eine immer größer werdende Gruppe keinen Zugang zu einer betrieblichen Ausbildung (vgl. Gericke, T. 2003, S. 113).

Doch was versteht man überhaupt unter Benachteilung und welche Jugendlichen sind hiervon betroffen? Diese Fragen sollen im Folgenden näher betrachtet werden.

2 Die Benachteiligtenförderung junger Menschen

2.1 Zum Begriff „Jugendliche“

Eine Einteilung der Altersstruktur junger Menschen findet sich im achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) §7. Hiernach gilt als Jugendlicher, wer 14 aber noch nicht 18 Jahre alt ist und als junger Mensch, wer das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Im SGB III hingegen finden sich für die Zielgruppe der Jungendlichen keine genauen Altersgrenzen, 14jährige sind in den nach SGB III geförderten Maßnahmen jedoch nicht vorzufinden, da diese noch die allgemeinbildende Schule besuchen. Ebenso gelten die Maßnahmen im Rahmen des SGB III in der Regel für Jugendliche bis 25 Jahre (vgl. Stauber, B., Walther, A. 1995, S. 101f.; Gögercin, S. 1999, S. 100f.).

Im Rahmen dieser Arbeit sind mit dem Begriff „Jugendliche“ vor allem junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren gemeint.

2.2 Der Begriff der Benachteiligung

Der Benachteiligtenbegriff wurde mit der Einrichtung von Benachteiligtenprogrammen in die berufspädagogische Diskussion eingeführt. Es liegt jedoch keine eindeutige oder unstrittige Operationalisierung von „Benachteiligung“ vor, vielmehr stehen hinter dem Bestreben „Benachteiligung“ zu definieren unterschiedliche Ziele, darunter das Kennzeichnen von spezifischen Problemlagen, das Begründen von Förderabsichten oder das untermauern politischer Forderungen. Gerade die derzeit strukturelle Krise der Berufsausbildung und immer größer werdende Hürden für den Einstieg in das Berufsleben, führen zu einer inflationären Verwendung des Begriffs „Benachteiligte“. Hierbei ist zu beachten, dass die Population der benachteiligten Jugendlichen auch Veränderungen und unterschiedlichen Zusammensetzungen unterliegt. Die Bezeichnung „Benachteiligter“ ist zum Teil umstritten, da ihr ein diskriminierender oder gar stigmatisierender Charakter zugeschrieben wird. Häufiger ist daher von „ junge Menschen mit besonderem Förderbedarf“ die Rede. Da es sich hier um Jugendliche im Rahmen der Maßnahmen zur Förderung der Berufsausbildung nach dem Dritten Gesetzbuch handelt,

soll jedoch zugunsten der begrifflichen Klarheit im Folgenden die Bezeichnung der Benachteiligten beibehalten werden (vgl. Brojanowski, A., u. a. 2004, S. 2; von Dungen, B. 2003a, S. 10; Dann, S. 2003, S. 12; Bohlinger, S. 2004, S. 232; Felber, H. 1997a, S. 11; Braun, F. 1996, S. 13; Stange, E.-M. 2000, S. 45; Bohlinger, S. 2004, S. 231).

Benachteiligte Jugendliche sind in ihren Möglichkeiten zur Lebensgestaltung eingeschränkt und bringen im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen schwierige Startchancen bzw. ungünstigere individuelle Voraussetzungen für eine Berufsausbildung mit (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 2001, S. 3; Lippegau, P. 2000, S. 9; Gögercin, S. 1999, S. 101). Spricht man von benachteiligten jungen Menschen, kann dies in unterschiedlichen Kontexten geschehen. Benachteiligungen können sich dabei zum einen aus der Struktur des Berufs- und Beschäftigungssystems ergeben (Marktbenachteiligung), z.B. aufgrund eines Verdrängungswettbewerbs, der Segmentierung des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes oder fehlender Vorbereitung der Jugendlichen durch die Schule auf das Berufsleben. Diese Art der Benachteiligung wird in Form des Artikel 4 des Sofortprogramms der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit bearbeitet (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005b, S. 12ff.; Herdt, U. 2003a, S. 6; Reuling, J. 2000, S. 76; Paulsen, B. 2003, S. 3; Laur-Ernst, U. 2000b, S. 6; Ulrich, J.G. 1995, S. 370; Schierholz, H. 1999, S. 215; Paulsen, B. 2003, S. 3f.; Gögercin, S. 1999, S. 102).

Auf der anderen Seite können Benachteiligungen, die mit der Person selbst zusammenhängen, entstehen (originäre Benachteiligung). Diese sind beispielsweise durch problematische familiäre Strukturen, die soziale Herkunft, die schulischen Vorbildungen, die Nationalität, das Geschlecht oder allgemein schwierige Lebensgeschichten mit Brüchen und häufigen Misserfolgen begründet. Somit sind junge Menschen aus Unterschichtfamilien, Abgänger aus Sonderschulen oder ohne Hauptschulabschluss, Mädchen und Ausländer bzw. Aussiedler stärker benachteiligt als andere. Eine Benachteiligung stellt sich damit viel eher als Ergebnis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe als ein individuelles Problem dar. Die soziale Bewertung von individuellen Beeinträchtigungen kann zur sozialen Benachteiligung führen. Die soziale Benachteiligung zeigt sich darin, dass den Jugendlichen die volle Teilhabe an gesellschaftlichen Vollzügen und Erträgen verwehrt wird, was den sozialen Ausschluss zur Folge haben kann. Die Kategorisierung der Benachteiligung stellt jedoch keine statische und uneingeschränkt gültige Einteilung von benachteiligend wirkenden Faktoren dar, vielmehr können diese Merkmale je nach Fall zu Benachteiligung führen (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1999, S. 13; Förster, H. 2004, S. 15; Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 2001, S. 3; Lippegau, P. 2000, S. 15; Giessler, T. 2003, S. 16; http://www.good-practice.de/91.php; http://www.good-practice.de/93.php; Bohlinger, S. 2004, S. 232;

Chauhan, V. 1994, S. 53ff.; Staub-Bernasconi, S. 1994, S. 93ff.; Calogirou, C. 1994, S. 144ff.; Wolfinger, C. 1993, S. 187; Lippegaus, P. 1997, S. 142ff.; Gögercin, S. 1999, S. 102, Stauber, B., Walther, A. 1995, S. 102f.).

Die spezifischen Erscheinungsweisen der Benachteiligung sind sehr breit gestreut. Häufig kommt es zu einer Problemkumulation. Schlechte Leistungen beim Lernen führen beispielsweise oft zu Verhaltensauffälligkeiten, und Verhaltensauffälligkeiten setzen häufig die Lernleistung herab, so dass diese Phänomene in wechselseitigem Kausalzusammenhang gesehen werden müssen. Eine Störung im Verhalten liegt vor, wenn dieses als deutlich abweichend von einem als Norm gesetzten sozialen Verhalten diagnostiziert werden kann sowie die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt sind und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend zu überwinden ist. Die Verhaltensauffälligkeiten können dabei medizinische, psychologische, soziale oder pädagogische Ursachen aufweisen (vgl. auch im Folgenden Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005b, S. 17f.; Schläger, H. 1991, S. 8; http://www.good-practice.de/92.php; Zefelt, R. C. 2002, S. 57ff.; Klatta, R. 1997, S. 172; Gögercin, S. 1999, S. 115f.).

Beeinträchtigungen im Lernbereich können als Lernschwäche, Teilleistungsschwäche und Lernbehinderung klassifiziert werden. Unter Lernschwäche versteht man eine leichte und zeitlich befristete Reduzierung der Lernkurve, die sich bei ungünstigen Bedingungen zu einer Lernbeeinträchtigung oder –behinderung ausweiten kann. Lernbeeinträchtigungen können in leichtgradiger und mittelgradiger Form auftreten und werden als qualitative Stufen von Lernstörungen verstanden. Teilleistungsschwächen beschreiben Entwicklungsstörungen in begrenzten Funktionsbereichen, wie Legasthenie, Dyskalkulie oder Koordinationsstörungen. Lernbehinderungen stellen eine dauerhafte, umfängliche und schwerwiegende Beeinträchtigung des Lernens dar. Hierbei handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Störungen, die durch identifizierbare oder unklare Dysfunktionen des zentralen Nervensystems verursacht sind. Die Lernbehinderungen können durch genetische Anlagen, biochemische Faktoren, Ereignisse in der prä- und postnatalen Phase oder andere neurologische Schädigungen hervorgerufen werden. Die Einstufung der Jugendlichen als Lernbehinderte hat für diese weit reichende gesellschaftliche, soziale, rechtliche und berufliche Konsequenzen. Zum einen ist die Zuerkennung des Rehabilitantenstatus mit dem Anrecht auf besondere Hilfen, auf der anderen Seite aber auch mit einer Reihe gesellschaftlicher Reaktionen, Zuschreibungen und Erwartungshaltungen verbunden, die von den Betroffenen oft als negativ erlebt werden (vgl. Gögercin, S. 1999, S. 115).

Der Begriff der Behinderung ist vom Begriff der Benachteiligung abzugrenzen. Die gesetzliche Definition von Behinderung ist im SGB III6 geregelt: “Behinderte sind … Men-

schen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben …, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von §2 Abs.1 des Neunten Buches nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind, und die deshalb Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen, einschließlich lernbehinderter Menschen“ (SGB III §19[1]). Im Unterschied zur Benachteiligung handelt es sich bei der Behinderung um eine langfristige und dauerhafte Beeinträchtigung. Da sich die Übergänge von Behinderung und Benachteiligung jedoch fließend gestalten und sich nicht immer eindeutig bestimmen lassen, bilden Behinderte auch eine Teilgruppe in Maßnahmen der Benachteiligtenförderung, wie z.B. in außerbetrieblichen Ausbildungen und ausbildungsbegleitenden Hilfen, wenn sie nicht auf die Hilfe einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation angewiesen sind (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005b, S. 18; Pietsch, A. 2003, S. 27; Biermann, H. 2004, S. 12). Auffällig ist hierbei die steigende Zahl der „Lernbehinderten“ oder „Lernschwächeren“ in Zeiten von Ausbildungsplatzmangel. Der Anteil der benachteiligten Jugendlichen ist somit keine gleich bleibende oder konstante Größe, sondern vor allem Ergebnis schulischer, sozialer und gesellschaftlicher Verhältnisse sowie die Folge der Krise am Ausbildungsstellenmarkt. Für eine stetig größer werdende Gruppe von Jugendlichen ist eine Berufsausbildung somit nur noch dadurch zu sichern, dass ihnen das verwaltungsrechtlich wichtige Etikett von Benachteiligung bzw. Behinderung zugeschrieben wird, da die Bereitstellung von Lehrstellen grundsätzlich keine staatliche Aufgabe ist und einer besonderen Legitimierung bedarf. Dies ist für die Betroffenen jedoch mit Marginalisierung und Stigmatisierung7 verbunden. Damit wird das ursprüngliche Ziel des Benachteiligtenprogramms, tatsächlich beeinträchtigte Jugendliche zu unterstützen, verschoben. Es entwickelt sich vielmehr zu einem Instrument, um fehlende betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen und produziert damit in gewissem Umfang selbst Benachteiligte, indem es die Ursachen für die ursprüngliche Desintegration (fehlende Lehrstellen) mehr oder weniger auf die Person des Jugendlichen hineinverlagert. So wird die sozialpädagogisch orientierte Berufsausbildung für Benachteiligte immer häufiger undifferenziert mit den Problemen rein marktbenachteiligter Jugendlicher in einen Topf geworfen. Hierbei besteht auch die Gefahr, dass zum einen die Benachteiligten im Benachteiligtenprogramm noch einmal ausgegrenzt werden, da die Förderung marktbenachteiligter Jugendlicher aufgrund des geringeren Förderbedarfs wesentlich kostengünstiger ist. Zum anderen ist auch durch die starke Zunahme behinderter Jugendlicher im Rahmen des Benachteiligtenprogramms die Befürchtung verbunden, dass sich die Benachteiligtenförderung zu einer billigeren Variante der Behindertenförderung entwickelt (vgl. Allespach, M., u. a. 2005, S. 9, 13; Brüning, G., Kuwan, H. 2002, S. 14; Paulsen, B. 2003, S. 3; Ulrich, J.G., u. a. 2002, S. 4, 8; Ulrich,

J.G. 1998, S. 370, 372, 377, Braun, F., Lex, T. 2003, S. 157; Gericke, T. 2003, S. 114; Laur-Ernst, U. 2000a, S. 1f., 12; Rothe, T. 2001, S. 447; Laur-Ernst, U. 2000b, S. 7; Bölke, C. 1997, S. 155; Bohlinger, S. 2004, S. 235).

Im Hinblick auf die speziellen Problemlagen benachteiligter Jugendlicher sind jedoch besondere Maßnahmen erforderlich (vgl. Arbeitsgruppe ‚Aus- und Weiterbildung’ im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit 1999, S. 1).

2.3 Das Wesen der Benachteiligtenförderung

Die Benachteiligtenförderung hat sich in 25 Jahren zu einem unverzichtbaren und dauerhaften Bestandteil der deutschen Berufsausbildungslandschaft entwickelt und bildet als Ermessensleistung der Bundesagentur für Arbeit die Grundlage einer effektiveren Förderung der Berufsausbildung lernbeeinträchtigter und sozial benachteiligter Jugendlicher. Sie soll benachteiligten jungen Menschen verlässliche Hilfe beim Übergang von Schule zu Beruf (1. Schwelle) und von der Berufsausbildung in Beschäftigung (2. Schwelle) bieten, da gerade diese Übergänge einen konfliktträchtigen Prozess darstellen und häufig mit Schwierigkeiten und Friktionen verbunden sind. Ehemals klar strukturierte Übergänge werden für eine wachsende Zahl von Jugendlichen somit zu schwer überwindbaren Hürden (vgl. Heidelberger Institut Beruf und Arbeit 2000, S. 11, 60; Arbeitsgruppe ‚Aus- und Weiterbildung’ im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit 1999, S. 7; Heidelberger Institut Beruf und Arbeit 2000, S. 65; Fachbeirat Benachteiligtenförderung 2003, S.3; Rebhan, V. 2003, S. 53; Braun, F. 2003, S. 94; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 20; Galuske, M. 1999, S. 31).

Ende der siebziger Jahre wies man im Rahmen einiger Modellversuche nach, dass es möglich ist, Jugendliche, die bis dahin als nicht ausbildungsreif 8 eingruppiert wurden, erfolgreich in anerkannten Berufen ausgebildet werden können. In der Folge entwickelte das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft einhergehend mit der Verknappung von Lehrstellen und dem Beginn der Jugendarbeitslosigkeit 1980 ein Programm der Benachteiligtenförderung mit vorerst 560 geförderten Jugendlichen. Ziel dabei war es, Jugendlichen eine Berufsausbildung zu ermöglichen, die aufgrund von Defiziten in ihrer schulischen Abschlussqualifikation und sozialer Defizite nicht in das reguläre duale oder schulische Bildungssystem einmünden konnten.

1986/87 erfolgte die Ausweitung des Förderansatzes durch die Finanzierung von ausbildungsbegleitenden Hilfen für benachteiligte Jugendliche, deren Ausbildung in Betrieben zu scheitern drohte. Diese Programme wurde 1988 im Arbeitsförderungsgesetz verankert und erhielten damit eine gesetzliche Grundlage. Hierbei wurde im Arbeitsförderungsgesetz auch festgelegt, dass der Förderansatz unabhängig von der Ausbil-

dungsplatzsituation zu sehen ist. (vgl. Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1997, S. 16; Heidelberger Institut Beruf und Arbeit 2000, S. 5, 61; Arbeitsstab Forum Bildung 2001, S. 45; Braun, F., u. a. 1999, S. 18; Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 2001, S. 5; Biermann, H. 2004, S. 9; Eckert, M. 1999, S. 27; Petzold, H.-J. 1994, S. 217; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ohne Jahr, S. 1; Haag, H-P. 1997, S. 151; Braun, F. 2000, S. 13; Stauber, B., Walther, A. 1995, S. 121f.).

Mit dem zunehmenden Wandel der Gesellschaft und der sich verändernden Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wurde jedoch besonders in den 90er Jahren deutlich, dass das vorhandene Programm nicht mehr ausreichend auf die aktuellen Bedürfnisse und Anforderungen der Zielgruppe und des Arbeitsmarktes zugeschnitten war. Demnach erweiterte man die bisherigen Maßnahmen durch zahlreiche Angebote in der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung, der Begleitung beim Übergang in Beschäftigung und der Nachqualifizierung (vgl. Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 2001, S. 5).

1998 wird die Benachteiligtenförderung vom Arbeitsfördergesetz (AFG) und Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) in das SGB III überführt. Dem wurde mit massiver Kritik begegnet, da man in der Überführung die Gefahr sah, den Leistungsdruck auf das Individuum zu verstärken und das Scheitern mehr denn je als persönliche Schwäche zu attestieren. Die Überführung kann jedoch auch in dem Sinne interpretiert werden, dass die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Personenförderung schließlich Anerkennung fand (vgl. Bohlinger, S. 2004, S. 239).

Die Benachteiligtenförderung kann schließlich als ein Sammelbegriff schulischer und außerschulischer berufsbezogener Fördermaßnahmen verschiedener Träger und Institutionen verstanden werden, die zur dauerhaften sozialen und beruflichen Integration Jugendlicher und junger Erwachsener in schwierigen Lebenslagen dienen soll (vgl. Brojanowski, A., u. a. 2004, S. 2; Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1997, S. 8). Originäre Zielgruppen der Benachteiligtenförderung, wie sie vom Gesetzgeber definiert sind, bilden ausländische Auszubildende, Jugendliche, die keinen Hauptschulabschluss oder Vergleichbares erworben haben, Abgänger von Sonderschulen, Auszubildende, deren betriebliche Ausbildung ohne die Gewährung von ausbildungsbegleitenden Hilfen zu scheitern droht und sozial benachteiligte Jugendliche, wie ehemals Drogenabhänge, Strafentlassene, Legastheniker oder Spätaussiedler mit Sprachschwierigkeiten. Die Bundesagentur für Arbeit ist dabei als verantwortliche Behörde für die Umsetzung des Dritten Sozialgesetzbuches (SGB III) die wichtigste Akteurin zur Förderung benachteiligter Jugendlicher. Sie lässt den regionalen Arbeitsagenturen jedoch die Möglichkeit, im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen des SGB III frei zu entscheiden, wie die Maßnahmen der Benachteiligtenförderung im Ein-

zelnen gestaltet werden sollen (vgl. Fachbeirat Benachteiligtenförderung 2003, S. 4; Bundesarbeitsgemeinschaft für Jugendsozialarbeit für 2005, S. 22; Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1997, S. 15; Biermann, H. 2004, S. 95; Petzold, H.-J. 1994, S. 216; Dann, S. 2003, S. 16).

Die berufliche Qualifizierung Benachteiligter ist möglichst wirklichkeitsnah und arbeitsmarktorientiert zu gestalten, geprägt von den speziellen Förderinstrumenten einer sozialpädagogisch orientierten beruflichen Qualifizierung und setzt an den Stellen an, die für die jungen Menschen mit besonderem Förderbedarf im Berufsbildungssystem Probleme bergen können. Dabei werden nicht die Schwachstellen der Jugendlichen in den Blickpunkt gestellt, sondern vielmehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten vermittelt (vgl. Lippegau, P. 2000, S: 9; Petzold, H.-J. 1994, S. 218). Das Ziel der Benachteiligtenförderung geht damit über die berufliche Qualifikation der benachteiligten Jugendlichen hinaus und beinhaltet auch, die Jugendlichen zu stabilisieren, sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, soziales Verhalten zu trainieren, ihre Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, ihre Entwicklung zu Selbständigkeit und Identitätsbildung, zu Ich-Stärke, zu Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie zu Autonomie, Mündigkeit und Rollenempathie zu fördern (vgl. Allespach, M., u. a. 2005, S. 15f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2001, S. 17; Steinmetz, u. a. 1994, S. 15; Botuhmer, H. von, Fülbier, P. 2000, S. 234; Heidelberger Institut Beruf und Arbeit 2000, S. 9).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Struktur der Benachteiligtenförderung (vgl. Niemeyer, B. 2004, S. 2)

Die Bündnispartner im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit haben in den Beschlüssen 1999 und 2000 festgelegt, dass die sozialpädagogisch orientierte Benachteiligtenförderung als bildungspolitische Daueraufgabe und integraler Bestandteil der Berufsausbildung anzuerkennen ist, was das Gewicht des Arbeitszweiges zunehmen ließ (vgl. Heidelberger Institut Beruf und Arbeit 2000, S. 7; Bund-Länder-

Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1999, S. 7; Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1997, S. 7; Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit 2005, S. 26, 52; Schulte, E. 2004, S. 64; Bundesverband der Träger beruflicher Bildung e.V. 2005, S. 6; Fachbeirat Benachteiligtenförderung 2003, S. 3; Schulte, E. 2003, S. 11).

Bei der Qualifizierung benachteiligter Jugendlicher handelt es sich somit nicht um ein Randproblem einer Randgruppe. Aktuell nimmt ein Großteil der benachteiligten Jugendlichen Dienstleistungen der Träger, Einrichtungen oder Schulen der Benachteiligtenförderung in Anspruch. Dabei befinden sich diese in geförderten Ausbildungen, schulischen berufsvorbereitenden Maßnahmen und berufsvorbereitenden Maßnahmen der BA (vgl. Brojanowski, A., u. a. 2004, S. 3; Strauch, B. 2003, S. 225). Finanziert werden diese Förderangebote durch Bund-, Länder- und Kommunalprogramme, Leistungsgesetze, wie dem SGB II, SGB III und SGB VIII, sowie durch den Europäischen Sozialfond und öffentlich-rechtliche Stiftungen. Gerade der Europäische Sozialfond hat primär zum Ziel, Investitionen in Humanressourcen zu fördern, die Beschäftigungschancen für Jugendliche zu verbessern und vor allem der Integration von Problem- und Risikogruppen in den Arbeitsmarkt zu dienen (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 2001, S. 6; Münk, D. 2003, S. 30; Stauber, B., Walther, A. 1995, S. 118). Die finanziellen Kosten sind hierbei enorm. Nach Verlautbarungen der BA sind zwischen 1997 und 2002 die dortigen Ausgaben für außerbetriebliche Ausbildung und ausbildungsbegleitende Hilfen um 72 Prozent gestiegen. Der finanzielle Aufwand für die Förderung der Berufsausbildung Benachteiligter nach §§235 und 240-247 belief sich 2005 auf insgesamt 1,047 Mrd. € (vgl. Schulte, E. 2004, S. 9; Laur-Ernst, U. 2000a, S. 1; Bundesagentur für Arbeit 2006, S. 6; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 313).

Deutschland fehlt es somit nicht an den Mitteln und Maßnahmen der Benachteiligtenförderung, jedoch sind Defizite in den Strukturen identifizierbar. Das gilt sowohl hinsichtlich der Maßnahmevielfalt als auch der Aufbringung der Mittel und ihrer Verwendung. Problembereiche denen sich die Benachteiligtenförderung stellen muss, bestehen zum einen darin, dass es Zielgruppen innerhalb der benachteiligten Personengruppen gibt, die auch die Benachteiligtenförderung nur schwer erreichen kann. Zum anderen muss auch das Spektrum der Ausbildungsberufe in der Benachteiligtenförderung erweitert werden, da in einigen Regionen zu viele Benachteiligte im gleichen Beruf oder in Berufen mit geringen Zukunftsperspektiven ausgebildet werden. Es stellt sich folglich die Herausforderung an die Benachteiligtenförderung mehr moderne, arbeitsmarktverwertbare und zukunftsfähige Berufe auszubilden, wozu auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit betrieblichen Partnern eine Grundvoraussetzung darstellt, denn trotz aller finanzieller, personeller und operativer Anstrengungen ist das Problem

der Benachteiligung nicht gelöst, vielmehr scheint es sich auszuwachsen und zu verstetigen. Zudem gelingt Jugendlichen, die im Rahmen einer außerbetrieblichen Ausbildung einen Abschluss erworben haben, der Übergang in ein sich selbst tragendes Erwerbsleben eher schwierig. Die Entwicklung von theoriegeminderten Ausbildungsberufen, Helferberufen oder Benachteiligtenberufen ohne sozial anerkannten Status und höchst unsichere Beschäftigungschancen stellen hier jedoch keine Lösung dar. Ganz im Gegenteil ist in vielen Fällen bei Bildungsträgern die Erfahrung gemacht worden, dass Jugendliche trotz schwieriger Startbedingungen durch gezielte Förderung durchaus dazu befähigt werden können, eine anspruchsvolle Ausbildung aufzunehmen. Gleichzeitig muss der Trend hin zur steigenden Kompetenzanforderung auch für gering Qualifizierte berücksichtigt werden. Somit scheint eine Erweiterung und Neuorientierung des Berufsspektrums für Benachteiligte zwingend notwendig, die sich besonders den zukunftsträchtigen Berufsfeldern zuwendet, wie beispielsweise Dienstleistungen im Bereich Sport, Freizeit und Unterhaltung, Transport und Logistik, Wartung und Reparatur. Die Erwartung, dass mit theoriegeminderten Berufen neue Ausbildungsplätze geschaffen werden, hat sich nicht erfüllt. Wie die Untersuchung der Forschungsgruppe SALSS (Sozialwissenschaftliche Analysen zur Leistungssteigerung Sozialer Systeme in Bonn) ergeben, hat die Mehrzahl der Betriebe keinen Bedarf an solchen Mitarbeitern. Selbst Handwerksbetriebe melden steigende Qualifizierungsanforderungen. Das Nebeneinander von zwei- und dreijährigen Berufen führt schließlich zu schulischen- bzw. betriebsorganisatorischen Problemen und trägt zur Stigmatisierung der benachteiligten Jugendlichen bei, statt ihre Situation zu verbessern, da es eine geringe Entlohnung, die Gefahr, in Krisensituationen als Erster entlassen zu werden und das Image, nur einen Restberuf abbekommen zu haben, bedeutet. Die Befürworter sehen in den zweijährigen Ausbildungsgängen zum einen die Chance, dass Betriebe wieder motiviert werden sich an der beruflichen Qualifikation zu beteiligen. Zum anderen haben ihrer Meinung nach die verkürzten Ausbildungsberufe aus pädagogischer Sicht den Vorteil, den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben in absehbarer Zeit einen beruflichen Erfolg zu erreichen. Ohne entsprechenden Bedarf auf der anderen Seite kann sich dieses Erfolgserlebnis jedoch schnell in Frustration umwandeln. Die platte Forderung nach Ausbildungsgängen niedriger Qualifikationsstufen wie sie immer wieder gefordert werden, ist daher pauschalisierend und zeugt von mangelnder berufspädagogischer Kompetenz (vgl. Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1997, S. 9; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005b, S. 69ff.; Biermann, H. 2004, S. 9, 13; Botuhmer, H. von, Fülbier, P. 2000, S. 226f., 233f.; Ulrich, J.G., u. a. 2002, S. 1, 4, 7; Zeller, B. 2005, S. 2; Dauser, D. 2003, S. 20ff.; Galiläer, L. 2004, S. 310f.; Severing, E., Zedler, R. 2000, S. 344f.; Zeller, B. 2002, S. 25f.; Braun, F. 2003, S. 97; Petzold, H.-J. 1994, S. 222; Gericke, T. 2003, S. 115; Schulte, E. 2004, S. 9, 16;

Laur-Ernst 2000a, S. 3, 5; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 27; Laur-Ernst, U. 2000b, S. 7f.; Kloas, P.-W. 2001, S. 959, 961; Werner, D. 2005, S. 57; Allespach, M., u. a. 2001, S. 141ff.; Allespach, M., u. a. 2005, S. 7; Zedler, R. 1999, S. 238; Grottian, P. 2000, S. 26; Kath, F. 2005, S. 7f.).

Es muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Benachteiligtenförderung im Laufe der Jahre zentrale Innovationsimpulse für das gesamte Bildungs- und das duale Ausbildungssystem gegeben hat, wie z.B. durch zielgruppenspezifische Didaktikansätze, sozialpädagogisch orientierte Lernförderung oder wirksame Verzahnung zwischen Theorie- und Praxislernen (vgl. Fachbeirat Benachteiligtenförderung 2003, S. 4).

Die berufsbezogene Benachteiligtenförderung umfasst zwei grundlegende Säulen, zum einen die außerbetriebliche Ausbildung (BaE), in der benachteiligte Jugendliche bei einem Träger der Benachteiligtenförderung eine sozialpädagogisch begleitete Ausbildung durchlaufen und zum anderen die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH), bei denen benachteiligte Jugendliche ergänzend zur betrieblichen Ausbildung Unterstützung und Begleitung erhalten (vgl. zur abH insbesondere Redecker, U. 1993; Dann, S. 2003, S. 97ff.; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005b, S. 21; Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik 1997, S. 16; Schulte, E. 2004, S. 29). Ein Träger, der diese Maßnahmen der Benachteiligtenförderung anbietet, ist der Internationale Bund.

2.3.1 Der Internationale Bund als Träger der Benachteiligtenförderung

Der Internationale Bund wurde 1949 in Tübingen gegründet, um zunächst in den Wirren der Nachkriegszeit entwurzelte Jugendliche und junge Erwachsene von der Straße zu holen und mit ihnen gemeinsam eine Basis für ein geregeltes Leben zu schaffen (vgl. Internationaler Bund 2001, S. 2). In den 50er Jahren waren es die Aussiedler aus dem Osten, in den 60er Jahren die ausländischen Arbeitnehmer, die Unterstützung und Betreuung benötigten. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte entwickelte der Verband Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und spezialisierte sich auf die Förderung beruflicher Weiterbildung.

Damals wie heute besteht der Zweck des IB darin, „Menschen zu helfen, sich in Freiheit zu entfalten, ihr Leben selbst zu gestalten, sich in die Gemeinschaft einzugliedern, persönlich Verantwortung zu übernehmen und die gesellschaftliche Entwicklung tätig mitzugestalten“ (Internationaler Bund 2004a, S. 2f.).

Die Arbeit des IB ist als gemeinnützig anerkannt und finanziert sich sowohl durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Zuschüsse der öffentlichen Hand als auch durch Entgelte für Dienstleistungen im Auftrag von Betrieben der gewerblichen Wirtschaft.

Der Internationale Bund unterhält heute rund 700 Einrichtungen an ca. 300 Orten in Deutschland. Über 12.000 Mitarbeiter helfen jährlich etwa 300.000 Menschen aller Altersgruppen und Nationalitäten bei der persönlichen und beruflichen Lebensplanung. Die bundesweite Tätigkeit gliedert der IB dabei in vier Regionen, in welchen wiederum Verbünde gebildet werden. Mit dieser Dezentralisierung wird gewährleistet, dass sich der IB an den örtlichen Notwendigkeiten orientiert und Arbeitsschwerpunkte regional unterschiedlich setzt.

Das Bildungszentrum Stuttgart wurde 1973 gegründet, um bestehende Ausbildungsmöglichkeiten zu koordinieren und ein umfassendes Programm rund um die „Berufliche Bildung“ anzubieten. Schwerpunkte des BZ Stuttgart bilden heute die Berufsvorbereitung, die Ausbildung für Förderungsbedürftige, Umschulung und Fortbildung, sowie die Teilqualifizierung Erwachsener (vgl. Internationaler Bund 2001, S. 2; Internationaler Bund 2005d, S. 6f.). Hierzu ermöglichen beim BZ Stuttgart rund 850 Mitarbeiter, dass an ca. 5.000 Schulungsplätzen eine praxisnahe Qualifizierung in mehr als 30 verschiedenen Berufsbereichen durchgeführt werden kann.

Die Angebote der beruflichen Integration des BZ Stuttgart unterstützen Jugendliche und junge Erwachsene auf vielfältige Weise bei ihrem Start ins Berufsleben. Das Ausbildungskonzept ist dabei neben der fachlichen Qualifikation auch auf die Förderung von Schlüsselqualifikationen im sozialen und methodischen Bereich ausgerichtet. Die berufsbildenden Angebote des BZ werden schließlich von sozialpädagogischen und zum Teil psychologischen Fachdiensten begleitet.

Jugendliche, die wegen der Art oder Schwere einer Behinderung keinen Ausbildungsplatz auf dem allgemeinen Ausbildungsmarkt finden, oder eine kontinuierliche Betreuung durch Ärzte, Psychologen, Sonderpädagogen oder andere Rehabilitationsfachleute benötigen, können die Berufsausbildung beim IB als sonstigem freien Reha-Träger aufnehmen. Die Auszubildenden erhalten hier individuelle Förderung und sozialpädagogische Hilfen. Die praktische Ausbildung wird in Lehrwerkstätten, Übungsfirmen oder Kooperationsunternehmen durchgeführt (vgl. Internationaler Bund 2005b, S. 7; Internationaler Bund 2004a, S. 25; Internationaler Bund 2001, S. 4).

Das BZ Stuttgart verfügt über langjährige Kontakte zu den maßgeblichen Akteuren von Ausbildung und Förderung und ist Mitglied verschiedener Gremien, die sich für die berufliche Integration benachteiligter und behinderter junger Menschen einsetzen. Durch Angebote an Beschäftigungsfirmen und Transfergesellschaften und die Einrichtung von Jobbüros hat der IB eine Vielzahl weiterer Kooperationen entwickelt.

Der IB arbeitet nach dem EFQM-Modell, dem European Foundation of Quality Management. Hier sind regelmäßige Selbstbewertungen sowie Mitarbeiter- und Teilnehmerbefragungen die Grundlage für die Verbesserung der Qualität. Um diese Qualität in den einzelnen Einrichtungen zu gewährleisten, führen geschulte Auditoren einmal jähr-

lich interne Audits durch. Die Ergebnisse werden in jährlichen Management-Reviews ausgewertet. Im Bereich der Erwachsenenbildung ist der IB gemäß AZWV (Annerkennungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung) und dem Bildungsqualitätsmanagement-Handbuch zertifizierter Träger. Im Bereich der Ausbildung im Rahmen der Benachteiligtenförderung fehlt es an einer Zertifizierungsgrundlage, was diesen Prozess erheblich erschwert. Trotz allem arbeitet man im IB momentan an der Zertifizierung in diesem Bereich.

[...]

Excerpt out of 156 pages

Details

Title
Entwicklung eines Handbuchs zur Förder- und Integrationsplanung in der Benachteiligtenförderung
Subtitle
Konzipierung und Überlegungen zur Implementierung einer Förder- und Integrationsplanung beim Internationalen Bund Bildungszentrum Stuttgart
College
University of Applied Sciences Jena
Grade
1,0
Author
Year
2006
Pages
156
Catalog Number
V65539
ISBN (eBook)
9783638602907
ISBN (Book)
9783656778783
File size
1355 KB
Language
German
Notes
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung eines Handbuchs zur Förder- und Integrationsplanung in der Benachteiligtenförderung und wurde in Kooperation mit dem Internationalen Bund Stuttgart erstellt. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie eine solche Förder- und Integrationsplanung aufgebaut sein soll, welche Elemente zwingend enthalten sein müssen, woran sich eine solche Planung orientiert und wie schließlich ein solches Handbuch in den pädagogischen Alltag integriert werden kann.
Keywords
Entwicklung, Handbuchs, Förder-, Integrationsplanung, Benachteiligtenförderung, Konzipierung, Implementierung, Internationalen, Bund, Bildungszentrum, Stuttgart
Quote paper
Denise Kouba (Author), 2006, Entwicklung eines Handbuchs zur Förder- und Integrationsplanung in der Benachteiligtenförderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65539

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Title: Entwicklung eines Handbuchs zur Förder- und Integrationsplanung in der Benachteiligtenförderung



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