Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Prävention und Intervention durch Bewegung und Ernährung


Examination Thesis, 2005

96 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.1 Definition und Bestimmung der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.2 Prävalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.3 Ätiologie
2.3.1 Metabolischer Hintergrund
2.3.2 Biologische Faktoren
2.3.3 Ernährungsverhalten
2.3.4 Körperliche Aktivität
2.3.5 Soziale Faktoren
2.4 Folgen von Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.4.1 Physische Folgen
2.4.2 Psycho-soziale Folgen

3 Bewegung im Kindes- und Jugendalter
3.1 Die Bedeutung von Bewegung für Kinder und Jugendliche
3.2 Veränderte Kindheit
3.3 Bewegungsstatus von Kindern und Jugendlichen in Deutschland

4 Ernährung im Kindes- und Jugendalter
4.1 Grundlagen der Ernährungslehre
4.2 Ernährungserziehung und Ernährungsgewohnheiten
4.3 Die optimale Mischkost: opimiX
4.4 Ernährung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland

5 Präventions- und Interventionsmaßnahmen bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter
5.1 Begriffsbestimmung Prävention und Intervention
5.2 Allgemeine Präventions- und Interventionsmaßnahmen
5.3 Therapieansätze
Inhaltsverzeichnis
5.3.1 Verhaltenstherapeutische Ansätze
5.3.2 Bewegungstherapeutische Ansätze
5.3.3 Ernährungstherapeutische Ansätze
5.4 Aktuelle Programme
5.4.1 Projekte der Primärprävention
5.4.2 Projekte der Sekundärprävention
5.5 Präventionsmaßnahmen und gesundheitspolitische Forderungen

6 Präventive Maßnahmen in der Schule
6.1 Schulinterventionen
6.2 Ernährung in der Schule

7 Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

[ … ] In den vergangenen zwei Jahren wog ich immer an die 170 Kilo. Ich habe nicht nur mittags und abends warm und die doppelte Portion gefuttert, sondern auch noch zwischendurch alles Mögliche. Pizza, Döner, Brötchen mit Remoulade, was mir so vor die Zähne kam. [ … ] Ich habe immer viel Fleisch gegessen. Selten Salat. [ … ] Ich habe mittlerweile richtig Angst, dass ich nach der Schule mit meinem Gewicht keine Arbeit bekomme. [ … ]

Kudret, 16 Jahre, 1,78 Meter, 148 Kilo

„ Als ich vor 17 Wochen die Langzeittherapie begonnen habe, zitterte die Waage bei fast 160 Kilo. 80 Kiloübergewicht! Ich hatte Plattfüß e und Rückenschmerzen. [ … ] Wenn ich zu Hause war, hockte ich vor dem Fernseher oder dem Computer und futterte nebenher, selbst wenn ich null Hunger hatte. [ … ] “

Raphael, 16 Jahre, 1,81 Meter, 131 Kilo.

„ [ … ] Ehe ich vor 15 Wochen [hierher] kam, wog ich 132 Kilo, hatte einen BMI von 42, eine Fettleber und Bluthochdruck. Drei Jahre zuvor hatten sie mir schon die Gallenblase rausgenommen, weil ich viele kleine Gallensteine hatte. [ … ] “

Nicole, 16 Jahre, 1,76 Meter, 110 Kilo

„ [ … ] Ich habe Briefe bekommen, in denen was von XXL und Körbchengr öß e DD stand, und wenn ich durchs Klassenzimmer gelaufen bin, riefen Mitschüler

„ Vorsicht, Erdbeben “ , beim Schulschwimmen „ Vorsicht Walross “ .[ … ] “ Sara, 16 Jahre, 1,61 Meter, 97 Kilo1.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb. 1 Perzentilen für den Body Mass Index für Jungen im Alter von 0 bis 18 Jahren

Abb. 2 Perzentilen für den Body Mass Index für Mädchen im Alter von 0 bis 18 Jahren

Abb. 3 Nährstoffe und ihre Aufgaben

Abb. 4 Kriterien von optimiX

Tab. 1 Häufigkeiten vonübergewicht und Adipositas bei Kinder und Jugendlichen in Deutschland und Österreich

Tab. 2 Anstieg der Prävalenz vonübergewicht und Adipositas bei Einschülern in NRW

Tab. 3 Anstieg der Prävalenz vonübergewicht und Adipositas im Cresc-Net

Tab. 4 Empfehlenswerte Lebensmittel für den Schulkiosk

1 Einleitung

Die WHO warnt, bald stürben erstmals ebenso viele Menschen an den Folgen vonüberernährung und Bewegungsmangel wie an denen von Hunger; britische Fettforscher wagen gar die These, die jetzige Generation sei die erste, die weniger zu leben habe als ihre Eltern. […] In den USA, wo Wissenschaftler zum ersten Mal die „Generation XXL“ ausmachten, erklärte ein Regierungssprecher jüngst, Fettsucht bei Kindern könne die Nation ähnlich bedrohen wie der Terror. Aufgerüttelt schreiben Lehrer im Bundesstaat Arkansas ihren Schülern in diesem Jahr auch Gewicht und Body-Mass-Index ins Zeugnis. („Bewegte Kindheit“, Spiegel, 40, 2004, S.175f.)

Diese Szenarien, sollten sie auch ein wenigüberspitzt bzw. dramatisch erscheinen, weisen auf eines der derzeitig größten Gesundheitsprobleme der Industrieländer hin:übergewicht und Adipositas.

Zunehmend mehr Menschen leiden unterübergewicht und Adipositas. Hierzulande nimmt die Prävalenz der Adipositas seit Jahrzehnten kontinuierlich zu (vgl. Leitlinien AGA, 2004, S. 10). Den Ergebnissen des WHO-MONICA Projektes zufolge ist in Deutschland jeder zweite Erwachseneübergewichtig und etwa 20 Prozent sind adipös. Für das Jahr 2030 wird gar prognostiziert, dass mehr als die Hälfte aller Europäer von Adipositas betroffen sein wird, sollte sich die derzeitige Entwicklung unbeeinflusst fortsetzen (vgl. Fromme, 2002, Einleitung, S. X).

Alarmierend ist vor allem, dass auch die Prävalenz vonübergewicht und Adipositas bei Kindern und Heranwachsenden weltweit in dramatischer Weise zunimmt. In Deutschland sind je nach Definition bis zu 20 Prozent aller Kinderübergewichtig (vgl. Wabitsch/Kunze, 2001, S. 149).

Für eine Adipositaserkrankung gibt es eine Vielzahl an Gründen. Als fundamentale Ursachen für diese chronische Krankheit werden eine genetische Disposition in Verbindung mit verändertem Ernährungsverhalten und Bewegungsmangel genannt, Faktoren, die oftmals Resultat der veränderten Lebensbedingungen einer Kindheit in der heutigen Zeit sind. Adipositas gilt als der wichtigste Risikofaktor für eine Reihe von chronischen Krankheiten, wie Herzkreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes Mellitus Typ II und Gicht. In den USA werden ca. 280 000 Todesfälle pro Jahr auf die Adipositas und ihre Folgeerkrankungen zurückgeführt. Sie ist damit, nach dem Rauchen, die zweithäufigste Todesursache im Erwachsenenalter. In Deutschland können etwa 75 000 Todesfälle pro Jahr der Adipositas zugeschrieben werden (vgl. Wirth, 2003, S. 2).

Ungeachtet dessen werdenübergewicht und Fettleibigkeit speziell im Kindesalter auch heute noch oft verharmlost und nicht als gesundheitliches Risiko betrachtet. Angesichts der Tatsache jedoch, dass Adipositas mittlerweile die am meisten verbreitete Ernährungsstörung ist, darf der Krankheitswert nicht unterschätzt werden. Im Kindes- und Jugendalter führtübergewicht nicht nur zu gesundheitlichen Risiken, sondern auch zu psychosozialer Benachteiligung, wie auch die zuvor angeführten Zitate verdeutlichen. Sie alle weisen nicht nur auf ein ungünstiges Ernährungs- und Bewegungsverhalten hin, sondern machen gleichzeitig auf die gesundheitlichen und emotionalen Probleme, einschließlich der erniedrigenden Äußerungen des Umfeldes, mit denen adipöse Kinder und Jugendliche konfrontiert werden, aufmerksam.

In dieser Arbeit soll Adipositas im Kindes- und Jugendalter thematisiert werden. Mein Anliegen besteht darin, die Krankheit in all ihren Facetten darzustellen. Was istübergewicht und Adipositas und wie lassen sich die zwei Begriffe von einander abgrenzen? Was sind die Ursachen für diese Krankheit und die steigenden Prävalenzraten der letzten Jahre? Mit welchen Folgen werden die Betroffenen konfrontiert? Was kann und muss getan werden, um der fortschreitenden Ausbreitung der Krankheit entgegenzuwirken bzw. sie erst gar nicht entstehen zu lassen und welche gesellschaftlichen und politischen Bereiche müssen dazu aktiviert werden?

Wenn man bedenkt, dass einer Studie zufolge jeder dritteübergewichtige oder adipöse erwachsene Amerikaner auch im Kindesalterübergewichtig war (vgl. AGA-Leitlinien, 2004, S. 6), erscheint es umso wichtiger, dass Prävention und Intervention schon im Kindesalter beginnen muss und von signifikanter Bedeutung ist. Daher ist ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit, Möglichkeiten und Maßnahmen zur Prävention und Intervention darzustellen, wobei besonders Bewegung und Ernährung in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen, da sie einerseits entscheidenden Einfluss auf die Entstehung und Manifestation haben und andererseits auch in der Therapie und Prävention einen großen Stellenwert einnehmen.

Im Folgenden wird kurz der Aufbau der Arbeit erläutert. Zunächst werden im zweiten Kapitel alle wichtigen Aspekte der Adipositas erörtert, dazu zählen die Definition und Begriffsbestimmung der Krankheit im Kindes- und Jugendalter, ihre Prävalenz, ebenso die Ursachen für die Entstehung der Krankheit sowie Folgen physischer und psycho-sozialer Art. Da speziell Bewegung und Ernährung in der Prävention und Intervention von Adipositas relevante Komponenten sind, werden diese Themen im dritten und vierten Kapitel genauer untersucht. Das vierte Kapitel befasst sich mit Präventions- und Interventionsmaßnahmen und stellt Therapieansätze sowie aktuelle Programme zur Primär- und Sekundärprävention vor.überdies beschreibt es allgemeine Präventionsmaßnahmen und gesundheitspolitische Forderungen. Vor dem Hintergrund, dass Kinder und Jugendliche sehr viel Zeit in der Schule verbringen, werden im fünften Kapitel Maßnahmen dargestellt, die von Seiten der Schule angeboten werden können. In der Schlussbetrachtung werden abschließend noch einmal die wichtigsten Ergebnisse zusammenfasst und ein thematischer Ausblick skizziert.

2 Adipositas im Kindes- und Jugendalter

2.1 Definition und Bestimmung der Adipositas im Kindes- und

Die Begriffe Adipositas undübergewicht werden häufig synonym verwendet, obwohl dies aus medizinischer Sicht nicht korrekt ist und die Begriffe eindeutig voneinander getrennt werden müssen.

Eine Adipositas besteht, „wenn der Anteil des Fettgewebes an der Gesamtkörpermasseüber eine definierte Grenze kritisch erhöht ist“ (Kromeyer- Hauschild, 2005, S. 4). Fromme (2002) definiert Adipositas als einen massiven und krankhaften Zustand desübergewichtes, der mit erhöhter Morbidität und Mortalität sowie psychischen Belastungen verbunden ist (vgl. S. 17). Einübergewicht hingegen liegt dann vor, wenn „das körperhöhenbezogene Körpergewicht ein bestimmtes Maßübersteigt“ (Kroymeyer-Hauschild, 2005, S. 4) und kann durch eine Zunahme von Fettgewebe, Muskelmasse oder Wassergehalt hervorgerufen werden (vgl. Salzmann, 2002, S. 17). Der Unterschied zwischenübergewicht und Adipositas besteht darin, dass beiübergewicht eine erhöhte Körpermasse vorzufinden ist bei gleichzeitigem niedrigem Körperfettanteil. Dieser Unterschied wird insbesondere am Beispiel eines Bodybuilders evident, dessen Körpermasse zwar erhöht, sein Körperfettanteil aber gering ist (vgl. Warschburger et al., 1999, S. 15). Es kann festgestellt werden, dass zwar Adipositas in der Regel mitübergewicht verbunden ist, aberübergewichtige nicht zwangsläufig adipös sind.

Da der Fettanteil im Körper nur mithilfe aufwendiger und kostspieliger Methoden exakt zu bestimmen ist, hat sich als Berechnungsgrundlage für die Gewichtsklassifikation international der Körpermassenindex bzw. der Body Mass Index (BMI) durchgesetzt. Der BMI ist der Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat (vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 4)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In zahlreichen Untersuchungen wurde gezeigt, dass der BMI ein akzeptables Maß für die Gesamt-Körper-Fett-Masse darstellt (vgl. Micozzi, 1986; Spyckerell, 1988; Daniels, 1997; Pietrobelli, 1998; zitiert AGA-Leitlinien, 2004, S.12). Dies trifft nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche zu. Daher wird sowohl von der Childhood Obesity Group der International Obesity Task Force (IOTF) als auch von der European Childhood Obesity Group (ECOG) die Anwendung des BMI zur Definition und Bestimmung vonübergewicht und Adipositas auch bereits im Kindes- und Jugendalter empfohlen (vgl. AGA-Leitlinien, 2004, S.12).

Während im Erwachsenenalter feste Grenzwerte zur Definition vonübergewicht und Adipositas von der WHO empfohlen werden, gibt es im Kindes- und Jugendalter Besonderheiten bei der Anwendung des BMI. Durch das Wachstum und die Pubertätsentwicklung und den damit verbundenen Änderungen der Körperzusammensetzung unterliegt der BMI typischen alters- und geschlechtsspezifischen Veränderungen, die bei der Bestimmung vonübergewicht und Adipositas berücksichtigt werden müssen. Im Kindes- und Jugendalter sollte die Bestimmung deshalb anhand geschlechtsspezifischer Altersperzentilen für den BMI erfolgen (vgl. AGA-Leitlinien 2004, S. 13).

Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) hat bundesweit 17 Studien zusammengetragen und ausgewertet (vgl. Kromeyer- Hauschild et al., 2001; www.a-g-a.de; zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 5). In Deutschland bilden diese Studien derzeit verbindlich die Grundlage für die Einteilung der BMI-Perzentilen zur Bestimmung vonübergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Die folgenden Grafiken veranschaulichen, ab welchen Perzentilen bei Kindern Untergewicht, Normalgewicht undübergewicht bzw. Adipositas vorliegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Perzentilen für den Body Mass Index von Jungen im Alter von 0 bis 18 Jahren

Quelle: FKE, Kersting & Alexy, 2001, S. 14.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Perzentilen für den Body Mass Index bei Mädchen im Alter von 0 bis 18 Jahren

Quelle: FKE, Kersting & Alexy, 2001, S. 14

Demnach gilt das 90. Alters- und Geschlechtsperzentil für deutsche Kinder und Jugendliche als Grenzwert zur Definition vonübergewicht und das 97. Perzentil als Grenzwert zur Bestimmung von Adipositas. Eine extreme Adipositas liegt vor, wenn der BMI das 99,5. alter- und geschlechtsspezifische Perzentil überschreitet (vgl. AGA-Leitlinien, 2004, S. 13). Die alters- und geschlechtsabhängigen Grenzwerte sind auf den Perzentilenkurven so gelegt, dass sie beimübergang ins Erwachsenenalter den dort definierten konkreten Zahlenwerten fürübergewicht und Adipositas entsprechen (vgl. Epstein, L. H. et al., 1998, zitiert nach Roth et. al., 2002 S. 329)

Es stellt sich nun die Frage, welche Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung von kindlicher und juveniler Adipositas spielen? Wieso sind manche Kinder und Jugendlicheübergewichtig oder gar adipös und andere nicht? Diesen Fragen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit nachgegangen. Zunächst wird jedoch im folgenden Kapitel die Prävalenz, d. h. die Häufigkeit der Adipositas bei Erwachsenen sowie im Kindes- und Jugendalter, untersucht.

2.2 Prävalenz

Die Adipositas ist heutzutage eine epidemische Erkrankung mit weltweit erheblich zunehmender Tendenz. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht gar von einer „globalen Epidemie des 21. Jahrhunderts“ (Lache & Klemt, 2004, S. 56). Während in den westlichen Ländern vor allem Kinder aus einem sozial schwachen Milieu betroffen sind, so sind es in den Ländern der dritten Welt primär die Kinder „der sich neu konstituierenden am westlichen Lebensstil orientierten Mittel- und Oberschicht“ (de Onis/ Blossner, 2000, zitiert nach von Kries, 2005, S. 17). In der Literatur gibt es nur leicht voneinander abweichende Zahlen zur Prävalenz dieser Krankheit, die nachfolgend aufgeführt werden.

Generell lässt sich feststellen, dass im Vergleich zu früheren Untersuchungen ein steter und nahezu linearer Anstieg der Adipositasprävalenz in allen Altersgruppen zu verzeichnen ist (vgl. WHO, 1998, zitiert nach Müller et. al., 2001, S.31). Sollte sich dieser Trend unverändert fortsetzen, wird im Jahr 2040 die Hälfte der in wohlhabenden Ländern lebenden erwachsenen Bevölkerung adipös sein (vgl. Müller et al., 2001, S. 31).

Ergebnisse zu Prävalenzraten von Adipositas in Deutschland liegen vorwiegend von der MONICA-Studie, der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) und der PROCRAM-Studie vor (vgl. Wirth, 2003, S. 1). Sie zeigenübereinstimmend, dass der BMI der Deutschenüber die letzten Jahre stetig gestiegen ist. Demnach ist in Deutschland jeder zweiter Erwachseneübergewichtig und etwa 20 Prozent der erwachsenen Gesamtbevölkerung gelten als adipös (vgl. WHO/NUT/NCD/98/1; WHO-MONICA Projekt, zitiert nach Müller et. al., 2001, S. 31).

Die Zahlübergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher steigt gleichermaßen stetig an. Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas der Deutschen Adipositas Gesellschaft, kurz AGA, geht von 10 bis 20 Prozentübergewichtiger bzw. adipöser Kinder und Jugendlicher aus (vgl. AGA-Leitlinien, 2004, S. 10), während Kromeyer-Hauschild (2005) von 10 bis 20%übergewichtiger und vier bis acht Prozent adiöser Kindern berichten (vgl. S. 12). Nach Angaben des Maganzin Stern sind mehr als 3, 5 Millionen Jungen und Mädchen unter 18 Jahrenübergewichtig (vgl. Nr. 24, S. 56).

Die folgende Tabelle soll einenüberblicküber die Prävalenz vonübergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland und Österreich geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten1 2 3 4 5 6

Tab. 1: Häufigkeit vonübergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland und Österreich

Quelle: Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

Wie zuvor schon berichtet wurde, ist speziell bei Kindern und Jugendlichen ist ein Anstieg derübergewichts- und Adipositashäufigkeit in den letzten Jahren zu verzeichnen. So lässt sich bei Jenaer Schulkindern im Alter zwischen sieben und 14 Jahren zwischen 1985 und 1995 ein signifikanter Anstieg der Häufigkeit der Krankheit feststellen (vgl. Kromeyer-Hauschild et al., 1999, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 12). Auch die Daten von Schuleingangsuntersuchungen aus NRW (Landesinstitut für den Öffentlichen Dienst NRW, 2003, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 12) sowie die Ergebnisse des CrescNet7 aus Leipzig (Kiess et al., 2001, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 12), verdeutlichen, dass die Prävalenz in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen ist. Die Ergebnisse sind in den nachfolgenden Tabellen zusammengefasst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Anstieg der Prävalenz vonübergewicht und Adipositas bei Einschülern in NRW

Quelle: Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 3: Anstieg der Prävalenz vonübergewicht und Adipositas bei Kindern im Cresc-Net

Quelle: Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13.

Eine weitere interessante Frage in diesem Zusammenhang ist, ob aus adipösen Kindern und Jugendlichen auch adipöse Erwachsene werden. Dazu gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Serdula et al. (1993) haben einenüberblicküber Studien, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, zusammengestellt. Aus ihm geht hervor, dass etwa 26 bis 41% der adipösen Vorschulkinder auch als Erwachsene adipös bleiben. Die Gefahr auch im Erwachsenenalter adipös zu werden ist für adipöse Kinder mindestens doppelt so hoch wie für normalgewichtige (zitiert nach Fromme, 2001, S. 29).

Nützliche Daten liefert auch die Bogalusa Heart Study (Freedman et al., 2001, zitiert nach Wirth, 2003, S.167). Dieser Studie nach waren dieübergewichtigen Kinder und Jugendliche im Alter von zwei- bis 17-Jahren nach 17 Jahren zu 77 Prozent adipös. Es bestand eine enge Beziehung zwischen dem BMI in der Kindheit und dem im Erwachsenenalter.

Diese Ergebnisse machen deutlich, von welch entscheidender Bedeutung die Prävention und Intervention von Adipositas schon im Kindesalter ist. Wird in diesem Alter nicht vorgebeugt oder eingeschritten, dann wird aus der „jetzigen Kindergeneration eine Generation Erwachsener hervorgehen, in der die Adipositas bisher unerreichte Ausmaße annehmen könnte.“ (Roth et al., 2002, S. 429).

Zusammengefasst ist festzustellen, dass die Prävalenzraten von Adipositas nicht nur im Erwachsenen-, sondern auch im Kindes- und Jugendalter international, wie auch national, in dramatischer Weise zunehmen, was zu erheblichen, meist langfristigen Folgen führen kann (siehe Kapitel 2.4). Welche Ursachen sind aber verantwortlich für diese Krankheit? Diese Fragestellung wird im folgenden Kapitel näher untersucht.

2.3 Ätiologie

Die Ursachen für die Entstehung von Adipositas sind multikatorell. Generell sind nicht nur familiäre Dispositionen, genetische Ursachen, Essstörungen und endokrine Erkrankungen zu nennen. Auch Immobilisierung, Schwangerschaft, Operationen oder Nikotinverzicht stellen Risikofaktoren dar (vgl. Evidenzbasierte Leitlinie-Adipositas, 2004, S. 5). Die fundamentalen Ursachen der Adipositas sind jedoch in dem heutigen Lebensstil zu finden, d. h. derüberwiegend sitzenden Lebensweise sowie einer den Energiebedarfübersteigenden Energieaufnahme, die aus einer zu energie- und fettreichen Ernährung resultiert. Anders ausgedrückt: als größte Risikofaktoren gelten neben einer genetischen Disposition außerdem Fehlernährung und Bewegungsmangel (vgl. Graf et al., 2004, S. 26). Infolgedessen wird Adipositas heute als eine komplexe Krankheit mit genetischen, verhaltens- und umweltbezogenen Ursachen verstanden (vgl. Schönfeld-Warden/Warden 1997, zitiert nach Roth et al., 2002, S. 330). Im folgenden Kapitel werden die multiplen Faktoren, die bei der Entstehung von Adipositas im Kindes- und Jugendalter eine Rolle spielen, näher betrachtet.

2.3.1 Metabolischer Hintergrund

Die Theorie der positiven Energiebilanz ist ein Erklärungsansatz für die Entstehung von Adipositas. Da jedoch die Risikofaktoren für die Entstehung und Manifestation von Adipositas sehr komplex sind, stellt diese Theorie allein keine ausreichende Erklärung dar und wird deshalb im folgenden Kapitel nur kurz erläutert. Sie soll vielmehr als ein physiologischer Prozess verstanden werden, der den Rahmen für die einzelnen Einflussfaktoren bildet.

Grundsätzlich hängt das Körpergewicht von komplexen physiologischen Prozessen ab, die allgemein mit dem Prinzip der Energiebilanz beschrieben werden (vgl. Fromme, 2002, S. 30). Die Energiebilanz ergibt sich aus dem Verhältnis von Energiezufuhr und Energieabgabe. Dem Körper wird Energie durch die Ernährung zugeführt, während die Energieabgabe durch den Bedarf des Körpers an Energie für den Grundumsatz, die Thermogenese und die körperliche Aktivität bestimmt wird.

Der Grundumsatz beschreibt den Energieverbrauch, der zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Stoffwechselvorgänge im Ruhezustand des Körpers benötigt wird und mit 55 Prozent den größten Teil des gesamten Energieverbrauchs ausmacht. Die Thermogenese bezeichnet den Vorgang der Wärmebildung im Körper, der durch die Verstoffwechslung der Nahrung oder durch Kälte 25 Prozent des Energiebedarfs ausmacht (vgl. Ellrott/Pudel, 1997, S.21; Warschburger et al., 1999, S. 26). Wenn das Verhältnis von Energiezufuhr und Energieabgabe langfristig ausgeglichen ist, bleibt das Körpergewicht stabil, auch wenn es temporär zu einer erhöhten Energieaufnahme bzw. Bewegungsmangel kommt. Das wird mit dem Prinzip der Homöostase erklärt, nach der „ein einmal erreichter ‚set-point’ vom Körper kurzfristig verteidigt wird“ (Fromme, 2002, S. 30).überschreitet die Energiezufuhr jedoch regelmäßig den individuellen Energiebedarf deutlich, nimmt der Körper also mehr Nahrungskalorien zu sich als er tatsächlich verbraucht, dann kommt es zu einer positiven Energiebilanz und damit zu einem Anstieg des Köpergewichts (vgl. Laessle et al., 2001, S. 12). Es muss jedoch beachtet werden, dass Adipöse durchaus eine ausgeglichene Energiebilanz haben können, da sich das Körpergewicht bei ihnen stabilisiert, wenn auch auf einem höheren Niveau als zuvor.

Dieüberflüssige Energie aus der positiven Energiebilanz wird in Fett (Triglyceriden) umgewandelt, in den Fettzellen (Adipozyten) des Körpers gespeichert (vgl. Fromme, 2002, S. 30f) und kann so zu einer Adipositaserkrankung führen. Die Menge des Fettgewebes hängt von Größe und Anzahl der Fettzellen ab. Daraus lassen sich zwei Effekte der beiden Faktoren für die Symptomatik der Adipositas ableiten: die Anzahl der Fettzellen (hyperplastische Form) ist vermehrt oder das Volumen der Fettzellen ist vergrößert (hypertrophe Form) (vgl. van Itallie, 1984, zitiert nach Fromme, 2002, S. 31). Es ist bekannt, das die in der frühen Kindheit einmal angelegten Fettzellen nicht wieder abgebaut werden können, lediglich ihre durchschnittliche Größe ist reversibel und damit verringerbar (vgl. Fromme, 2002, S. 31).

„Folgt man dem Prinzip der positiven Energiebilanz, müssen die entscheidenden Faktoren, welche zuübergewicht führen, dort gesucht werden, woübermäßige Energieaufnahme gefördert, der Energieverbrauch reduziert und die Regulation des Energiehaushaltes im Köper gestört wird“ (Fromme, 2002, S. 31). Diese Faktoren werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels genauer untersucht.

2.3.2 Biologische Faktoren

Bis vor einigen Jahren waren sich Wissenschaftler und Ärzte einig, dass genetische Ursachen für die Entstehung von Adipositas keine Bedeutung haben (vgl. Salzmann, 2001, S.33). In den letzten Jahren hat die Forschung auf diesem Gebiet jedoch deutliche Fortschritte gemacht. Es steht fest, dass neben hormonellen Einflüssen, u. a. Insulin und Leptin, die entscheiden, wie viel Gewicht zugelegt wird (vgl. Liebermeister, 2002, S. 69), die Vererbung der Empfänglichkeit für die Adipositas ein wesentlicher Faktor für die Entstehung der Erkrankung ist (vgl. Warschburger et al., 1999, S. 28). Daher wird Adipositas heute zu Recht als eine familiäre Krankheit beschrieben. Im Folgenden wird verdeutlicht, inwiefern das vorgegebene Erbmaterial der biologischen Eltern als eine Ursache von Adipositas gilt.

Diverse Autoren haben sich mit der Vererbbarkeit von Adipositas befasst. Die Ergebnisse von Bouchard & Perusse (1997) besagen, dass Vererbung zu 30 bis 70 Prozent die Ursache für das Auftreten von Adipositas ist (vgl. Bouchard 1997; zitiert nach Laessle et al., 2001, S. 9). Das Adipositasrisiko von Kindern und Jugendlichen wird besonders durch dasübergewicht mindestens eines Elternteils und durch ein hohes Geburtsgewicht bestimmt; es beträgt gar 80%, wenn beide Elternübergewichtig sind (Müller et al. 2001, zitiert nach Jannsen, 2001, S. 36). Kinder schlanker Eltern hingegen habe nur eine Wahrscheinlichkeit von 20%übergewichtig zu werden (vgl. Laessle et al., 2001, S. 9). Man kann allerdings argumentieren, dass diese Tatsache durch Umweltfaktoren, d. h. familiäre wie soziale, und durch Verhaltensfaktoren erklärt werden kann.

Stärkere Argumente liefern jedoch Adoptionsstudien, wie sie von Stunkard et al. (1986) durchgeführt wurden. „In [diesen] Adoptionsstudien kann man genetische Effekte erforschen, da die Adoptierten mir ihren biologischen Eltern die Erbmasse und mit ihren Adoptiveltern die Umwelt teilen“ (Stunkard et al. 1986, zitiert nach Wirth, 2003, S. 29). Die Studien zeigten, dass der BMI adoptierter Kinder höher mit dem ihrer biologischen Eltern korrelierte als mit dem ihrer Adoptiveltern.

Zwillingsstudien bekräftigen dieses Argument ebenfalls. So unterschieden sich sowohl gemeinsam als auch getrennt voneinander aufwachsende eineiige Zwillinge kaum in ihrem Gewicht (vgl. Stunkard, Pedersen & Mcclearn, 1990, zitiert nach Fromme, 2002, S. 32). Diese Tatsache spricht für einen ausgeprägten genetischen Einfluss.

Es bleibt jedoch zu erwähnen, dass die Genetik nur die Basis für die Entwicklung und Entstehung von Adipositas ist. Ob und in welchem Umfang die Adipositas auftritt, wird von Umweltfaktoren bestimmt (vgl. Fromme, 2002, S. 32). Ein typisches Beispiel für den Zusammenhang von genetischer Disposition und Umwelteinflüssen für den Beginn einer Adipositas sind die in einem US- amerikanischen Reservat in Ariozona lebenden Pima-Indianer (vgl. Laessle et al., 2001, S. 12). Sie gehören einem Stamm an, der sich durch eine hohe Prävalenz vonübergewicht und dessen Folgeerkrankungen wie Diatbetis melltius Typ II, Bluthochdruck etc. auszeichnet. Sie ernähren sich typisch westlich in Form einer kalorien-, fett- und proteinreichen Diät bei gleichzeitig geringer körperlicher Aktivität. Ein anderer Stamm von Pima-Indianern lebt unter grundlegend anderen Bedingungen in Mexiko. Bei ihnen sorgt intensive Feldarbeit für eine hohe körperliche Aktivität und ihre Ernährung ist fettarm, kohlenhydratreich und kalorienarm. Obwohl man davon ausgeht, dass beide Stämme genetisch weitgehend identisch sind, sind die mexikanischen Pima- Indianerüberwiegend schlank und frei von Folgeerkrankungen der Adipositas (vgl. Laessle et al., 2001, S.12).

Dieses Beispiel zeigt, dass nicht genetische Faktoren allein zu Adipositas führen können. Sie werden nur bei entsprechenden Umweltbedingungen wirksam. Zu den in Frage kommenden Umweltfaktoren, die Einfluss auf die Entstehung und Manifestation von Adipositas haben können, gehören ein verändertes Ernährungsverhalten, beeinflusst durch die familiäre bzw. soziale Umwelt, die körperliche Aktivität bzw. Inaktivität (vgl. Fromme 2002, S. 33) sowie der Sozialstatus der betroffenen Personen (MONICA-Studie). Diese Faktoren werden in den nachfolgenden Kapiteln dargestellt.

2.3.3 Ernährungsverhalten

Es stellt sich hier die Frage, in welcher Weise das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen zur weiten Verbreitung derüberernährung und der daraus eventuell resultierenden Adipositas in den Wohlstandsgesellschaften beiträgt. Kersting (2005) kommt zu dem Ergebnis, dass der Zusammenhang noch ungeklärt ist und dass auch eine Literaturauswertung zum Themaübergewicht im Kindesalter nicht zu eindeutigen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Rolle der Ernährung für die Adipositas bei Kindern und Jugendlichen kommt (vgl. S. 62). Gründe hierfür sind unter anderem darin zu finden, dass die Untersuchungen von Ernährungsgewohnheiten auf valide Verzehrdaten angewiesen sind, was durch die Befragung von Kindern und Jugendlichen oftmals nicht gewährleistet ist (vgl. Kersting, 2005, S. 62). Auch konnte trotz zahlreicher Quer- und Längsschnittuntersuchungen die zentrale Frage, ob und um wie viel höher die Energiezufuhr adipöser Kinder im Gegensatz zu nicht adipöser Kinder ist, nicht beantwortet werden, da die Genauigkeit der herkömmlichen Erhebungsmethoden nicht ausreicht. Trotzdem wird der Fettverzehr von Kindern und Jugendlichen aufgrund von theoretischen Grundlagen und einer Reihe von Querschnittsstudien oftmals als ein wesentlicher Einflussfaktor fürübergewicht angesehen (vgl. Kersting, 2005, S. 63).

Allgemein kann festgestellt werden, dass sich das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren verändert hat und heute energie- und fettreicher ist als noch vor einigen Jahren. So essen Kinder und Jugendliche laut Czerwinski-Mast et al. (2003) bevorzugt fettreiche Lebensmittel (vgl. S. 728). Verschiedene Autoren haben außerdem festgestellt, dass bei der Ernährung adipöser Kinder und Jugendlicher eine Verschiebung der Nährstoffe zugunsten eines hohen Fettanteils erfolgt (vgl. DGE et al., 2000; Kimm, 1993, zitiert nach Fromme, 2002, S. 33). Wirth (2000) zufolge sind Nahrungs- bzw. Genussmittel beliebt, die Fettes und Süßes kombinieren und dadurch schmackhaft und energiedicht sind, jedoch geringe Sättigung hervorrufen (zitiert nach Fromme, 2002, S. 34).

Dieser Trend wird durch verschiedene Faktoren bekräftigt. Unsere Gesellschaft ist geprägt durch eine Fast-Food-Esskultur, einen Markt, der immer stärker auf verarbeitete Lebensmittel ausgerichtet ist, sowie irreführende Werbung (vgl. Diehl 1996; Pudel & Ellrot, 1995, zitiert nach Fromme, 2002, S. 34). Sie beschreibt beispielsweise speziell für Kinder entwickelte Produkte, „bei denen ein ernährungsphysiologischer Wert durch isolierte Zusätze von Vitaminen und Mineralstoffen vorgetäuscht wird, obwohl diese Lebensmittel gleichzeitig einen extrem hohen Fett- und Zuckergehalt aufweisen“ (Roth et al., 2002, S. 332). Beispiele hierfür sind die Milchschnitte („Mit der extra Portion Milch“), Nutella („Mit dem besten aus 1/3 entrahmter Milch“), Nimm Zwei („Mit extra viel Vitamin C“), oder Fruchtzwerge, die alle einen sehr hohen Zucker- und Fettanteil haben.

Auch der Getränkekonsum hat sich verändert. So hat der Verbrauch von zuckerhaltigen Getränken stark zugenommen und wird unter anderem für das steigendeübergewicht von Kindern verantwortlich gemacht (vgl. Liebermeister, 2002, S. 60f.). In den USA beispielsweise nehmen Kinder und Jugendliche mittlerweile etwa die Hälfte ihres Getränkeverzehr und fast 10% ihrer Energiezufuhr in Form von Softdrinks auf. Bei Schulkindern erhöhte sich Ludwig, Peterson und Gortmarker (2001) zufolge das Adipositasrisiko bei einem zusätzlichen Verzehr von einer Dose gezuckerter Softdrinks im Laufe von 1,5 Jahren um 60% (zitiert nach Kersting, 2005, S. 66). Kersting (2005) weist allerdings darauf hin, dass die wenigen vorliegenden Längsschnittstudien einschließlich der DONALD-Studie8 die These vom erhöhten Fettverzehr als Einflussfaktor fürübergewicht eher in Frage stellen (vgl. S. 63). Anhand dieser Studie wurde darüber hinaus aufgezeigt, dass sich keine systematischen Zusammenhänge zwischen Lebensmittelverzehr undübergewicht erkennen lassen (vgl. Kersting, 2005, S. 65).

Kersting (2005) machtüberdies darauf aufmerksam, dass vielmehr die Verzehrgewohnheiten und Geschmackspräferenzen der Eltern sowie der elterliche Gewichtsstatus und Erziehungsstil den Lebensmittelverzehr und das potenzielle Adipositasrisiko beeinflussen. Abgesehen davon liegen nur sporadische Daten zum Zusammenhang von Lebensmittelauswahl und Adipositas vor (vgl. S. 65). Die Autorin stellt zusammenfassend fest, dass sich bei der Bewertung der Gesamtkost auf der Basis von Verzehrhäufigkeiten energiedichter Lebensmittel keine Unterschiede zwischenübergewichtigen und normalgewichtigen Schulkindern fanden (vgl. Kersting, 2005, S. 65). Es lassen sich demnach keine Zusammenhänge zwischen der Qualität der Nahrungsmittel und der Entstehung vonübergewicht herstellen.

Spricht manüber das Ernährungverhalten von Kindern und Jugendlichen, muss auch ein kurzer Blick auf das familiäre Ernährungsverhalten geworfen werden, das sich in den letzten Jahren ebenfalls verändert hat. So finden gemeinsame Mahlzeiten seltener statt, auch die Eltern nehmen sich weniger Zeit zum Essen, konsumieren mehr Fastfood und ernähren sich fettreicher (vgl. Wirth, 2003, S. 166). Verantwortlich dafür sind unter anderem die heutigen Lebensverhältnisse. Oft gehen beide Elternteile einer Berufstätigkeit nach. Der Alltag wird dann zunehmend hektischer, so dass Ernährung zur Nebensache wird; Tiefkühlkost, Mikrowelle, 5-Minuten-Gerichte und schnell sättigende Süßwaren müssen Zeitlöcher stopfen (vgl. Hauner&Hauner, 2001, S. 66).

Die Rolle des Ernährungsverhaltens und dem Adipositasrisiko wurde auch im Rahmen von Studien zur Nahrungsqualität, Nahrungsmenge und dem konkreten Essverhalten erforscht. Dabei wurde festgestellt, dass bereits die Ernährung während der ersten Lebensmonate Auswirkungen auf den späteren Gewichtsstatus hat (vgl. Fromme, 2002, S. 33). Ergebnisse einer Studie aus Bayern haben gezeigt, dass ein erhöhtes Risiko für Adipositas im Grundschulalter besteht, wenn die Kinder als Säuglinge weniger als sechs Monate gestillt wurden (vgl. von Kries et al., 1999, zitiert nach Fromme 2002, S. 33). Die präventive Wirkung des Stillens konnte auch von Jensen, Mast und Müller (2000) belegt werden (zitiert nach Fromme, 2002, S. 33). Der Vorteil des Stillens wird darin gesehen, dass die Nahrungsaufnahme beim Säugling weniger von der Kontrolle der Mutter abhänging ist, da das Kind selbstständig aufhört zu trinken, wenn es gesättigt ist. Bei der „Fläschchen-Ernährung“ hingegen wird häufig so lange gefüttert, bis die Flasche leer ist.

Ein weiterer Einfluss auf das Ernährungsverhalten ist das durch Emotionen induzierte Essverhalten, welches als ein weit verbreitetes Problem für den Gewichtsstatus gilt. Es wird als ein Verhalten definiert, das zur Regulation von Emotionen eingesetzt wird, um das psychische Gleichgewicht wieder herstellen zu können. Viele Kinder und Jugendliche benennen Emotionen als Auslöser für vermehrtes Essen (vgl. Aigner 2000, zitiert nach Fromme, 2002, S. 36). Ohne tatsächlich benötigten Nahrungsbedarf wird oftmals aus Frust oder Freude, Langeweile oder Stress gegessen, was die Emotionen jedoch nur kurzfristig verändert, aber eine erhöhte Energieaufnahme bedeutet und somit langfristig Auswirkungen auf das Körpergewicht hat.

Die Untersuchung des Ernährungsvehaltens hat gezeigt, dass die Rolle der Ernährung bei der Entstehung und Verbreitung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in der Literatur nicht vollständig geklärt ist. Während einige Autoren erklären, dass sich derzeit noch keine Zusammenhänge zwischen der Nahrungsqualität, Verzehrhäufigkeit energiedichter Lebensmittel und der Adipositas nachweisen lassen, bestätigen andere, dass das veränderte Essverhalten von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien, die Ernährung im Säuglingsalter und das durch Emotionen beeinflusste Essverhalten bedeutend für die Entstehung und Manifestation der Adipositas sind. Bisher kann also festgestellt werden, dass nicht nur die genetische Disposition, sondern auch das den Energieverbrauch des Körpersübersteigende Ernährungsverhalten eine signifikante Rolle spielt. Diese Faktoren allein stellen allerdings keinen ausreichenden und umfassenden Erklärungsansatz dar. Die Kieler Adipositas-Studie (kurz KOPS9 ) hat belegt, dass Gewichtsunterschiede von Kindern und Jugendlichen im Wesentliche durch Unterschiede des genetischen Risikos, vor dem Hintergrund sozialer Faktoren (siehe Kapitel 2.3.4), sowie vor allem der körperlichen Aktivität erklärt werden können (vgl. Müller, 2000a, S. 1).

2.3.4 Körperliche Aktivität

Laut Aussage verschiedener Autoren hat unter den vielfältigen Ursachen für Adipositas im Kindes- und Jugendalter die mangelnde köperliche Aktivität eine besondere Bedeutung (vgl. Ziroli & Döring, 2003, S. 249). Wie bereits angeführt wurde, kann ein Mangel an körperlicher Aktivität bzw. einübermaß an Inaktivität zu einer positiven Energiebilanz und damit langfristig zu einem erhöhten Körpergewicht führen (vgl. Fromme, 2002, S. 36). So haben beispielsweise Studien zur körperlichen Aktivität, in denen Adipöse mit Nicht- Adipösen verglichen wurden, gezeigt, dass sich adipöse Kinder weniger bewegen und mehr fernsehen (vgl. Epstein et al., 1991; Gortmaker et al., 1996, zitiert nach Fromme, 2002, S. 37).

Eine inaktive Lebensweise ist im Wesentlichen ein Ergebnis der Umwelt, in der wir leben. Diese bietet zur zeit wenige Anreize und Herausforderungen für körperliche Arbeit und für einen aktiven Lebensstil (vgl. Müller, o. J., zitiert nach Jannsen, 2002, S. 35). Die gesteigerte Motorisierung und Technisierung etwa (vgl. Kapitel 2.1), sowie der erhöhte Fernsehkonsum spielen in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle.

Bereits Kleinkinder weisen einen weitgehend „sitzenden Lebensstil“ auf (vgl. Hebebrand/Bös, 2005, S. 51). Bei 1500 untersuchten deutschen Grundschulkindern haben Bös, Opper und Woll (2002) herausgefunden, dass ihre Bewegungsaktivität gering ist und nur ein Viertel der Kinder einmal oder weniger pro Woche im Freien spielen (zitiert nach Hebebrand & Bös, 2005, S. 51). Obst und Bös (1997) kommen bei ihrer Analyse von 1000 Bewegungstagebüchern zu dem Resultat, dass ein durchschnittliches Grundschulkind heutzutage neun Stunden liegt, neun Stunden sitzt, fünf Stunden steht und sich lediglich noch eine Stunde bewegt (zitiert nach Hebebrand & Bös, 2005, S. 51). Es muss jedoch erwähnt werden, dass dieser offensichtliche Bewegungsmangel im Widerspruch zur Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen steht, die Bewegung und Sport nach wie vor als wichtige und beliebte Freitzeitaktivitäten bezeichnen (vgl. zusammenfassend Schmidt/Harmann-Tews/Brettschneider 2003, zitiert nach Hebebrand & Bös, 2005, S. 51).

Auch die Rolle des Fernsehkonsums ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Gortmaker et al. (1996) untersuchten die Verbindung von Fernsehkonsum mit der Prävalenz der Adipositas in einer Studie, dieüber vier Jahre geführt wurde. Die Autoren konnten frühere Beobachtungen bestätigen, nach denen ein erhöhter Fernsehkonsum mit einem höheren Körpergewichtsstatus einhergeht. Das Risiko für die Entwicklung von Adipositas war bei Jugendlichen, die mehr als fünf Stunden fernsahen, 8,3fach höher als bei Jugendlichen, die maximal zwei Stunden vor dem Fernseher verbrachten (zitiert nach Fromme, 2002, S. 37).

Robinson (2001) fasst die bis 2001 publizierten Studien zum TV-Konsum zusammen und nennt drei mögliche Ursachen, wie das Fernsehen zur Entwicklung vonübergewicht beitragen kann: Fernsehen ersetzt nicht nur körperliche Aktivität und führt somit zu einem niedrigerem Energieverbrauch, sondern führt auch zu einer erhöhten Energieaufnahme durch parallel erfolgendes Essen. Dies wurde ebenfalls in einer Studie von Coon et al. (2001) belegt: Neben dem verminderten Energieverbrauch im Sitzen vor dem Fernsehgerät kommt es außerdem in vielen Fällen zu einer erhöhten bzw. zusätzlichen Energieaufnahme durch den Konsum von Genussmitteln, die einen hohen Kalorienanteil aufweisen (zitiert nach Fromme 2002, S. 37). In der Realität stellt sich dies so dar, dass häufig ungesunde Lebensmittel genascht und geknabbert werden, ohne dass ein tatsächliches Hungergefühl besteht. Als dritten Grund nennt Robinson, dass Fernsehen eine Absenkung des Ruheumsatzes bewirkt (zitiert nach Hebenbrand/Bös, 2005, S. 57).

[...]


1 alle Zitate aus Stern, 24, 2004.

1 Böhm et al., 2002, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

2 lögde, 2003, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

3 Elmadfa et al., 2003, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

4 Elmadfa et al., 2003, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

5 Böhm et al., 2002, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

6 Elmadfa et al., 2003, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 13

7 Die CrescNet ist ein Netzwerk, in welchem Daten von Kindern und Jugendlichen aus Kinderarztpraxen zusammengefasst werden (Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 12)

8 In der DONALD-Studie („Dortmund Nutritional and Anthropometric Longitudinally Designed Study“) wurden seit 1985 mehr als 9000 Ernährungsprotokolle von ca. 1100 Kindern und Jugendlichen im Alter von 0,25-18 Jahren gesammelt (vgl. Kersting, 2005, S. 67).

9 Im Rahmen der zwischen 1996 und 2001 durchgeführten KOPS-Studie wurden Kinder bei den alljährlichen schulärztlichen Eingangsuntersuchungen im Hinblick auf biologische, sozio-ökonomische, ernährungs- und verhaltensrelevante Faktoren untersucht. Sie verfolgt das Ziel, die Determinaten der Adipositas zu charakterisieren und die Adipositasinzidenz zu reduzieren (Bundesgesundheitsblatt- Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2003, S. 727).

Excerpt out of 96 pages

Details

Title
Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Prävention und Intervention durch Bewegung und Ernährung
College
University of Paderborn
Grade
1,3
Author
Year
2005
Pages
96
Catalog Number
V66192
ISBN (eBook)
9783638584494
File size
852 KB
Language
German
Keywords
Adipositas, Kindes-, Jugendalter, Prävention, Intervention, Bewegung, Ernährung
Quote paper
Nadine Haddenhorst (Author), 2005, Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Prävention und Intervention durch Bewegung und Ernährung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66192

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