In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, inwieweit die zivilgesellschaftliche Organisation Global Marshall Plan Initiative in Anbetracht ihrer relativ losen netzwerkförmigen Organisati-ons-struktur dazu imstande ist, die Umsetzung einer Global Governance Architek-tur voranzu-treiben. Somit wird in dieser Arbeit sowohl ein organisationssoziologischer Ansatz verfolgt, als auch auf das Thema der zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die ein Motor für gesell-schaftliche Veränderung sein können, eingegangen. Diesbezüglich ist es weiters von Inte-resse, inwieweit Druck und Engagement aus der Zivilgesellschaft eine Veränderung innerhalb der großen Institutionen bewirken kann.
Als Drittes wird danach gefragt, ob die von der Initiative propagierte Ökosoziale Marktwirt-schaft und die Global Go-vernance Idee in ihren Konzeptionen identisch sind oder ob es zu-mindest gewisse Ähnlichkeiten gibt. Als letzter Punkt wird zudem mit Hilfe einer Faktoren-analyse die Einstellung der befragten Personen des European Social Survey 2002/03 zu Global Governance geklärt.
Die gesamte Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel, die wiederum drei Hauptteilen zugeordnet werden können: Theoretischer Hintergrund (Kapitel 1 und 2), Empirischer Teil (Kapitel 3 bis 6) und Anhang (Literatur-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis, Transkript und Lebenslauf des Autors).
Derzeit besitzt die Initiative, neben einigen Aspekten, die sich positiv auf die Funktionalität der Organisation auswirken, nicht die Möglichkeit, die Umsetzung einer Global Governance Architektur erfolgreich vorantreiben zu können. Weiters stellen die teils negativen Stellungnahmen anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, die aufgrund der verwendeten Begrifflichkeiten und der Probleme mit dem Gesamtkonzept abgegeben wurden, ein Problem dar. Durch Druck aus der Zivilgesellschaft können Veränderungen innerhalb der globalen Insti-tutionen durchgesetzt werden, wie anhand von Beispielen gezeigt wurde, obwohl dies ein langsamer und schwieriger Prozess ist. Die Idee eines Global Marshall Plans (wie sie von der Initiative verfolgt wird) weist in den wesentlichen Punkten (wie etwa Implementierung von globalen Rahmenbedingungen bzw. Standards und Reformprozesse innerhalb der globalen Institutionen) Ähnlichkeiten mit dem Global Governance Konzept auf. Die Auswertung der Daten ergab, dass die Bevölkerung vor allem Themen wie Entwick-lungszusammenarbeit oder Umweltschutz auf der globalen Ebene behandelt wissen will.
INHALTSVERZEICHNIS
- Einleitung
A. THEORETISCHER HINTERGRUND
1. Das Global Governance Konzept
1.1. Thematiken der Globalisierung
1.2. Global Governance
1.2.1. Der Begriff Governance – eine Verortung
1.2.2. Die Vision einer globalen Weltordnungspolitik
1.3. Global Governance Strategien
1.3.1. Commission on Global Governance
1.3.2. Der Global Compact
1.3.3. Die Vereinten Nationen und Global Governance
1.3.4. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)
1.4. Institutionen und Blockaden
1.4.1. Die Reform der Vereinten Nationen als Baustein in der Global Governance Architektur
1.4.2. Blockaden und Kernprobleme
1.5. Die Rolle der Nicht-Regierungsorganisationen im Global Governance Konzept
1.5.1. Daten
1.5.2. Historischer Rückblick – Zivilgesellschaft
1.5.3. Nicht-Regierungsorganisationen und Neue Soziale Bewegungen
1.5.4. Nicht-Regierungsorganisationen und Global Governance
1.6. Kritik am Global Governance Konzept
2. Skizzen ausgewählter Organisationstheorien
2.1. Begriffe und Forschungszugänge
2.2. Allgemeine Entwicklung der Organisationssoziologie
2.3. Betriebswirtschaftliche Organisationstheorie
2.4. Administrationstheorie
2.5. Bürokratietheorie
2.6. Human Relationstheorie
2.7. Systemtheorie
2.8. Kontingenztheorie
2.9. Soziotechnische Integrationstheorie
2.10. Weitere Ansätze
2.11. Netzwerk und Netzwerkanalyse
2.11.1. Geschichte der Netzwerkanalyse
2.11.2. Forschungsfelder
B. EMPIRISCHER TEIL
- Forschungsinteresse
- Hypothesen
3. Analyse der Global Marshall Plan Initiative
3.1. Die Global Marshall Plan Initiative (GMPI)
3.1.1. Der Global Marshall Plan
3.1.2. Finanzierungsinstrumente
3.1.3. Ökosoziale Marktwirtschaft
3.1.4. Der Global Marshall Plan und das Global Governance Konzept
3.1.5. Die Entwicklung der Initiative
3.1.6. Organisationsstruktur
3.1.7. Finanzierung und Tätigkeiten
3.2. Analyse der Organisation
3.2.1. Unabhängige Organisationsvariablen
3.2.1.1. Ziele
3.2.1.1.1. Begriff und theoretische Bedeutung der Ziele
3.2.1.1.2. Praktische Festlegung und empirische Ermittlung der Ziele
3.2.1.1.3. Veränderung der Organisationsziele
3.2.1.2. Instrumente
3.2.1.2.1. Begriff und theoretische Bedeutung der Instrumente
3.2.1.2.2. Menschliches Instrumentarium
3.2.1.2.3. Andere Instrumente
3.2.1.2.4. Beziehungen zwischen Instrumenten und Ziele
3.2.1.3. Bedingungen
3.2.1.3.1. Begriff und theoretische Bedeutung der Organisationsbedingungen
3.2.1.3.2. Organisationskultur als Organisationsbedingung
3.2.2. Abhängige Organisationsvariablen
3.2.2.1. Strukturen
3.2.2.1.1. Begriff und allgemeine Bedeutung der Organisationsstrukturen
3.2.2.1.2. Rollenstrukturen
3.2.2.1.3. Leitungsstrukturen
3.2.2.1.4. Kommunikationsstrukturen
3.2.2.1.5. Autoritätsstrukturen und Führungsstile
3.2.2.1.6. Beziehungen zwischen Strukturen und unabhängigen Variablen
3.2.2.2. Funktionen
3.2.2.2.1. Soziale und interne Funktionen
3.2.2.2.2. Beziehungen zwischen Funktionen und unabhängigen Variablen
3.2.2.3. Verhalten
3.2.2.3.1. Begriff und allgemeine Bedeutung des Organisationsverhaltens
3.2.2.3.2. Ziel- und nicht Ziel orientiertes Organisationsverhalten
3.2.2.3.3. Beziehungen zwischen Verhalten und anderen Variablen
3.3. Darstellung der Ergebnisse der SWOT Analyse
3.4. Kritik am Global Marshall Plan
4.
Einstellung und Interesse der Bevölkerung
4.1. Beschreibung des Datensatzes
4.2. Auswertung der Daten
4.2.1. Demographische Daten
4.2.2. Analyse der potentiellen Variablen für eine Faktorenanalyse
4.2.3. Explorative Faktorenanalyse
5. Rückschlüsse auf die Forschungsfragen
und Prüfung der Hypothesen
6. Abschließende Betrachtung
C. ANHANG
C.1. Literaturverzeichnis
C.2. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
C.3. Transkript des Experteninterviews
C.4. CV Florian Huber
-Einleitung
„Niemand würde bestreiten,
dass wir in einer zunehmend globalisierten Welt leben.
Aber damit hört der Konsens schon auf.“
(Heath/Potter, 2005, S.395)
Globalisierung ist ohne Zweifel einer der prominentesten Begriffe unserer Zeit. Neben der Beschreibung von ökonomischen Wirkungszusammenhängen dient er auch zur Begründung von Problemen, die im globalen Kontext auftreten. So werden damit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive jene gesellschaftlichen und politischen Veränderungen beschrieben, welche die soziale Ungleichheit auf globaler Ebene weiter forcieren. Im Gegensatz zur Option der Umgestaltung besteht jedoch nicht die Möglichkeit einer generellen Umkehrung des Prozesses, hin zu einer nicht-globalisierten Welt. (vgl. Beck, 1997, S.29)
Angesichts der Herausforderungen, mit denen unsere Gesellschaften derzeit konfrontiert sind, sind derartige Überlegung im Grunde relativ unerheblich. Faktum ist, dass etwas getan werden muss, um diese Probleme zu bewältigen. Hier knüpft das Global Governance Konzept an, indem es Wege sucht, wie die internationalen Institutionen in sinnvoller Weise untereinander und mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren verknüpft werden können, um etwa die Fragen der Sozialen Ungleichheit, des Friedens oder der Umweltproblematik im globalen Kontext lösen zu können. Um den nötigen Druck auf die Politik zu erzeugen, Reformprozesse in Gang zu setzen und die Bevölkerung mit einzubinden, bedarf es eines regen Engagements aus der Zivilgesellschaft, da dadurch aufgezeigt wird, dass den Menschen diese Probleme und deren Lösung ein Anliegen sind, um, im Sinne der Nachhaltigkeit, auch zukünftigen Generationen ein würdiges Leben zu ermöglichen.
In der vorliegenden Arbeit wird versucht herauszufinden, inwieweit die relativ junge zivilgesellschaftliche Organisation Global Marshall Plan Initiative dazu imstande ist, einen Beitrag in Richtung einer Global Governance Architektur zu leisten. Somit wird in dieser Arbeit sowohl ein organisationssoziologischer Ansatz verfolgt, als auch auf das Thema der zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die ein Motor für gesellschaftliche Veränderung sein können, eingegangen. Zudem wird ein möglicher Lösungsansatz für das Problem der Sozialen Ungleichheit näher betrachtet.
Zu diesem Zweck werden im ersten Teil der Arbeit unterschiedliche Aspekte von Global Governance vorgestellt, um anschließend, da es sich bei der Initiative um einen zivilgesellschaftlichen Akteur handelt, in Kapitel 1.5. die Rolle der Nicht-Regierungsorganisationen innerhalb der Global Governance Architektur zu beschreiben und im Hinblick auf die Global Marshall Plan Initiative herauszufinden, welche Merkmale für diese zutreffend sind. Danach erfolgt unter Punkt 1.6. die Darstellung einiger kritischer Positionen zu diesem Konzept. Der Punkt 1.7., welcher einige weitere Beispiele für Ansätze globaler Steuerung behandelt, dient hingegen rein zur Übersicht und besitzt somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da es im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher möglich wäre. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit einigen bedeutenden Organisations- und Netzwerktheorien, die wesentlichen Einfluss auf die Organisationsanalyse genommen haben. Diese wird schließlich im dritten Kapitel, nach einer Beschreibung des Global Marshall Plans, an der Organisation durchgeführt, um Aufschluss über die Struktur, die Ziele, die Ressourcen, die Probleme und die Selbsteinschätzung zu erlangen. Zusätzliche Erkenntnisse darüber liefert auch die SWOT Analyse, deren Ergebnisse unter Punkt 3.3. dargestellt sind, woraufhin unter Punkt 3.4. eine Zusammenfassung von kritischen Stellungnahmen zum Global Marschall Plan folgt. Um auch die Meinung der Bevölkerung zu den Themen Globale Steuerung, zivilgesellschaftliches Engagement und Politikinteresse mit einzubeziehen, wird im Kapitel 4 eine Faktorenanalyse anhand einer Auswahl von Variablen aus dem Datensatz des European Social Survey 2002/2003 durchgeführt. Nach dieser Auswertung und der Beschreibung der Faktoren wird schließlich auf die Fragen und Hypothesen eingegangen, welche den Aufbau der gesamten Arbeit wesentlich bestimmt haben.
Eine umfassende Darstellung der Forschungsfragen und Hypothesen ist zu Beginn des zweiten Teils der Arbeit (B. Empirischer Teil) zu finden.
A. Theoretischer Hintergrund
1. Das „Global Governance Konzept“
1.1. Thematiken der Globalisierung
Die Entwicklungen und Phänomene, welche der Einfachheit halber gerne unter dem Begriff Globalisierung subsummiert werden, besitzen bei weitem nicht die Homogenität, mit welcher sie gerne dargestellt werden. Zum einen verlaufen die Entwicklungen verschiedener Gesellschaften äußerst kontrovers, da sich einige Staaten und Gesellschaften zwar zu größeren Verbänden vereinigen, andere sich wiederum von eben diesen aufgrund religiöser oder ethnischer Zugehörigkeiten abkoppeln bzw. ausgegrenzt werden. Die Ökonomie sieht sich einerseits im globalen, also Welt umspannenden Wettbewerb integriert, andererseits gewinnt Regionalität in Verbindung mit dem Konzept der Nachhaltigkeit unter anderem in der Landwirtschaft wieder zunehmend an Bedeutung, wobei sich die Frage stellt, ob dieser Umstand nicht auch zu Zwecken der Vermarktung eines gesellschaftlichen Trends derart massiv beworben wird.
Dass die ökonomische Globalisierung keine unkontrollierbare Naturgewalt ist, verdeutlicht schon der Umstand, dass sie im Grunde das Resultat von vorangegangenen politischen Entscheidungen auf Ebene der Staaten ist.[1] Durch die Innovationen im Bereich der Telekommunikation hat sie sicherlich eine neue Qualität erreicht, welche die Beschleunigung weiterhin vorantreibt. Dennoch bestehen nach wie vor Institutionen, die, basierend auf Konsensebene der beteiligten Staaten, wirtschaftliche Entwicklungen forcieren oder abschwächen können. (vgl. Von Plate, 2003, S.3)
Die unterstellte Dichotomie zwischen der globalen Wirtschaft und der Politik ist nach Ansicht mancher Autoren ein reines Konstrukt, welches in der Realität nicht existiert. Der globalisierte Weltmarkt ist vielmehr ein Projekt, welches durch den Einfluss von neoliberal orientierten Eliten auf die politischen Entscheidungsträger/innen zustande kam, mit dem Ziel, den globalen Kapitalismus neu zu strukturieren und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu verschieben. (vgl. Brand et al., 2000, S.139)
Die Diskussion um die Richtung der Globalisierung und die damit verbundenen Beschreibungs- und Begründungsansätze für Umbrüche und Veränderungen, die in nahezu allen Gesellschaften stattgefunden haben und weiterhin stattfinden, hat vor allem in den letzten Jahren, nachdem diese Entwicklungen offensichtlich wurden und eine Vielzahl von Menschen (negativ) betroffen haben, massiv an Präsenz gewonnen. Einen wichtigen Aspekt stellt dabei die Frage nach der Gestaltbarkeit und den Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung dar, die in den Jahrzehnten davor bereits mit dem Begriff der Internationalisierung beschrieben wurde, um die Zunahme der wirtschaftlichen Aktivitäten zwischen den Nationen zu beschreiben. (vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.15) Die vielseitige Verwendung des Begriffs Globalisierung drückt sich unter anderem dadurch aus, dass einerseits der Bedeutungsverlust nationaler Grenzen beschrieben wird, andererseits verschiedene Handlungsanleitungen (wie etwa der Freihandel oder die Vereinheitlichung der Bildungssysteme) damit begründet werden. So werden in diesem Sinn unterschiedlichste wirtschaftliche, kulturelle und politische Positionen vertreten, wodurch die Gefahr besteht, dass Globalisierung zum reinen Kampfbegriff werden könnte und dadurch seine deskriptive Bedeutung verliert. (vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.16)
In seiner ursprünglichen Bedeutung beschreibt Globalisierung die Veränderungen, mit denen Gesellschaften seit cirka 20 bis 30 Jahren konfrontiert sind. Der Begriff thematisiert den Umstand, dass keine wirtschaftlichen, ökologischen, politischen und kulturellen Themen außerhalb des globalen Kontextes diskutiert werden können. (vgl. Müller, 2002, S.7) Trotzdem manche Autor/innen die Existenz einer globalen Wirtschaft verneinen, da sie von einer verhältnismäßig geringen Dichte der Wirtschaftsbeziehungen außerhalb jenes Pols von Staaten bzw. Staatengemeinschaften, die in der Wirtschaftsgeographie als „Triade“ bezeichnet werden (USA, EU, Japan), ausgehen, kann die Zunahme des weltweiten Handels sowie die Zunahme der Auslagerungen von Produktionsstandorten nicht verleugnet werden.
(vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.19)
In der Literatur ergibt sich daher ein Richtungsstreit, je nachdem, ob Globalisierung eher positiv oder eher negativ verstanden wird, beziehungsweise ob die Chancen oder die Gefahren überwiegen, oder ob sie überhaupt existiert. So ergeben sich diesbezüglich folgende unterschiedliche Positionen:
- Die Argumentation jener, die den Entwicklungen positiv gegenüberstehen, beläuft sich darauf, dass anstatt der Menschenrechte nun Weltbürgerrechte treten, deren Geltung gegen den Willen der einzelnen Staaten durchgesetzt werden kann, da sich diese gegenüber einer Weltbürgergesellschaft zu verantworten haben, die jedoch, so die Kritik an dieser Argumentation, in der Realität in dieser (idealisierten) Form nicht existiert. Die größere Chance wird zudem eher in der Ausweitung des Freihandels und der damit verbundenen internationalen Arbeitsteilung, die eine Zunahme des weltweiten Wohlstands zur Folge haben sollte, gesehen. Dass Flexibilisierung und Konkurrenzdruck nicht für alle Produzent/innen positive Folgen haben, klammern die Befürworter/innen dieser Maßnahmen meist aus.
- Neben der Ansicht von Autor/innen, welche Globalisierung als etwas, in dieser Form nicht existentes beschreiben, gibt es andere, welche die Dramatisierung der derzeitigen Entwicklungen nicht nachvollziehen können. Ihrer Argumentation zufolge gab es Verflechtungen der Wirtschaft (über nationalstaatliche Grenzen hinaus) bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Dieser Umstand ist zwar mittels Daten belegbar, es wird jedoch die ungleich größere Notwendigkeit zur Entwicklung von Handlungsstrategien und Regelungen, die aufgrund des Souveränitäts- und Machtverlusts von Nationalstaaten nötig geworden sind, negiert, ebenso wie die Verschiedenheit der damaligen zur aktuellen Problemlage.
- Eine weitere Gruppe von Autor/innen wiederum geht davon aus, dass Globalisierung einer Interessensgruppe zur Rechtfertigung des Abbaus von Sozialleistungen und von demokratischen Rechten dient. Der öffentliche Diskurs wird ihrer Ansicht nach in eine Richtung dramatisiert, die es möglich macht, unliebsame Maßnahmen und Kürzungen in sozialen Bereichen mit Hilfe der Argumente „Standort“ oder „Wettbewerbsfähigkeit“ durchzusetzen.[2]
- Zudem werden die Spaltungslinien, die sich zwischen den Gesellschaften in den unterschiedlichen Regionen der Erde (z.B.: zwischen Norden und Süden) befinden, nicht mehr durch vereinfachende Begriffe wie „erste,“ „zweite“ oder „dritte“ Welt ausreichend erklärt. Es treten neue, wesentlich komplexere Muster auf, die sich sowohl auf Armut und Reichtum, als auch auf Sektoren der Wirtschaft beziehen und durch die Auflösung der traditionellen Lebensformen (Individualisierung) und Grenzen verstärkt werden. Dennoch wäre es falsch, daraus zu schließen, dass die Divergenz der Spaltungslinien mit den politischen Grenzen grundsätzlich eine grenzenlose Globalisierung ermöglicht. Ständig neue und zum Teil unsichtbare Barrieren bestimmen nach wie vor über die Chancen, die privilegierten Gesellschaften offen stehen und marginalisierte Gruppen exkludieren. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 2004, S. 25-29)
Die Auflösung der traditionellen individuellen und institutionellen Beziehungen durch den Einfluss der Globalisierung wird von Ulrich Beck in seinem Buch „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ (1986) mit dem Modell der dreifachen Individualisierung beschrieben, das sich wie folgt zusammensetzt: Zuerst erfolgt die Herauslösung aus traditionellen Lebenslagen und sozialen Bindungen, die Beck als die „Freisetzungsdimension“ bezeichnet. Als „Entzauberungsdimension“ beschreibt er den anschließenden Verlust der traditionellen Sicherheiten in Bezug auf Glauben, Handlungswissen und Normen, der schließlich in eine neue Art der sozialen Einbindung mündet („Reintegrationsdimension“). Der Autor versteht Individualisierung als gesellschaftsgeschichtliche Kategorie und weniger unter dem Aspekt der Einmaligkeit oder der Emanzipation. Sein Forschungsinteresse gilt in erster Linie der Biographieforschung und den Veränderungen in den Lebensläufen, welche durch die neuen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, in den Bildungssystemen oder in anderen Bereichen, die größeren Umbrüchen aufgrund der Globalisierung unterworfen sind, ausgelöst werden (vgl. Beck, 1986, S.207).
Als Konsequenz der Herauslösung der Biographie aus traditionellen sozialen Vorgaben ergibt sich zwangsläufig, dass der Lebenslauf durch Entscheidungen gestaltet und durch das eigene Handeln bestimmt werden kann. Ulrich Beck beschreibt diesen Umstand mit dem Begriff „selbst-reflexiv.“ (vgl. Beck, 1986, S.216) Es ergeben sich zahlreiche wählbare Kombinationsmöglichkeiten, die jedoch erstens nicht für alle gleich vorhanden sind und zweitens das eigene Ich unweigerlich in den Mittelpunkt rücken. Die Ich-Zentrierung des Weltbildes ist daher die Voraussetzung für ein erfolgreiches Überleben in der neu entstandenen Gesellschaftsordnung.
In Bezug auf die Individualisierung, wie sie von Beck beschrieben wurde, muss jedoch angemerkt werden, dass sich dieser Vorgang vornehmlich in den Industriestaaten der westlichen Hemisphäre vollzieht und die Einbettung der Individuen in die Familie bzw. ihr soziales Umfeld in Gesellschaften des Südens nach wie vor sehr stark ist.
In Gesellschaften des Nordens werden die traditionellen (Herrschafts-) Beziehungen, aus denen das Individuum herausgelöst wird, von den Zwängen des Arbeitsmarktes und der Konsumwelt ersetzt, die wiederum eine Vielzahl von Standardisierungen und Kontrollen beinhalten. Diese „sekundären Instanzen und Institutionen“ (Beck, 1986, S.211) prägen die Lebensläufe der Menschen, indem sie von Moden, Verhältnissen und Marktentwicklungen abhängig werden und dadurch „institutionelle Lebenslaufmuster“ (Beck, 1986, S.211) annehmen, was Beck zu der Schlussfolgerung bringt:
„Individualisierung bedeutet Marktabhängigkeit in allen Dimensionen der Lebensführung.“ (Beck, 1986, S.212)
Die Veränderungen, die sich aufgrund der Neuerungen und dem Gewinn an Gestaltungsmacht der verschiedenen Ebenen ergeben, stellen auch die Politik vor neue Aufgaben. Der Wandel des Verhältnisses von Politik und Gesellschaft ergibt sich einerseits durch neue Möglichkeiten zur demokratischen Partizipation und andererseits aufgrund der verstärkten Wahrnehmung der Interessen in den Bereichen der Wirtschaft und der Arbeit. So erfolgt eine Ausdifferenzierung zwischen einem politisch-administrativen und einem technisch-ökonomischen System, welches in der Tradition eher dem Nichtpolitischen zugeordnet wurde, obwohl es schon immer als Entscheidungsgrundlage für Ersteres diente. (vgl. Beck, 1986, S.301) Durch die wachsende Freiheit der Märkte, die zunehmend in das Feld der Politik hineinspielen, ergibt sich das Problem, dass nur mehr ein Teil der Entscheidungen, die für eine Gesellschaft wesentliche Bedeutung haben, innerhalb demokratischer Gremien getroffen wird. Der andere Teil wird der öffentlichen Kontrolle entzogen und mittels informeller Gespräche abgewickelt.[3] Die Politische Soziologie hat sich intensiver mit der Einflussnahme von Interessensverbänden auf den Gesetzgebungsprozess beschäftigt und in mehreren empirischen Untersuchungen ab den 1960er Jahren nachgewiesen, dass dieser Einfluss am deutlichsten in jener Phase der Gesetzgebung einsetzt, bei der sich der Entwurf in einem parlamentarischen Ausschuss befindet, bis hin bis zur entgültigen Verabschiedung. (vgl. Stammer/Weingart, 1972, S.198) Theoretischen Unterbau für diese Entwicklung, also dem Abzug von Entscheidungsgewalt aus dem Feld der Politik, liefert unter anderem die von Friedrich von Hayek beeinflusste ökonomische Verfassungstheorie. Darin werden die Aufgaben des Staates auf wenige Punkte, wie die Sicherung der individuellen Freiheitsrechte, den Schutz des Privateigentums, die Verfügbarkeit einer geregelten Geldversorgung und die Garantie des freien Wettbewerbs, beschränkt. (vgl. Müller, 2002, S.44)
Durch den Druck der globalen Ökonomie dürfen demnach die Nationalstaaten ihre Monopolstellung zur räumlichen Ein- oder Ausgrenzung des Marktes nur mehr bedingt aufrechterhalten, da nationalstaatliche Grenzen die wirtschaftlichen Transaktionskosten steigern. Um die Produktions- und Dienstleistungsunternehmen im eigenen Land nicht gegenüber dem Weltmarkt zu benachteiligen, ist es deshalb ihre Aufgabe, einen Teil der politischen Kontrolle zugunsten der, nach dem Prinzip der Rationalität handelnden Ökonomie abzugeben. Somit operieren die Staaten zunehmend nach der Logik des Standortwettbewerbs, was sich unter anderem in Steuererleichterungen für Unternehmen (die so aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entlassen werden), der Reorganisation der Wissenschaft nach dem Prinzip der ökonomischen Verwertbarkeit und den Privatisierungen von staatlichen Unternehmen manifestiert.
Eine direkte und spürbare Auswirkung dieser Entwicklung ergibt sich zudem für jene Teile der Bevölkerung, die erwerbstätig sind. Die Quantität, also die Menge an vorhandener Arbeit und Erwerbstätigkeit ist gefährdet, da ein globaler Weltmarkt nicht unbedingt Wachstum, sondern eher den Abbau von Beschäftigung zur Folge hat. Vor allem große Unternehmenszusammenschlüsse wirken sich negativ aus, da die Ziele von Umstrukturierungen entweder die Zerstückelung und der anschließende Verkauf sind, oder aber die Entlassung einer großen Anzahl von Mitarbeitern den Rationalisierungsmaßnahmen nachfolgt. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, 1996, S.262-263)
Auch bei Direktinvestitionen in ausländische Produktionsstandorte sind, wie auch empirisch belegt ist, die Beschäftigungszuwächse nur gering bis negativ, da Arbeitsplätze eher innerhalb des Unternehmens umverteilt, anstatt neu etabliert werden. Selbst bei arbeitsintensiven Aktivitäten, von denen anzunehmen wäre, dass bei einer Auslagerung die Schwellen- und Entwicklungsländer vom Zuwachs an Arbeitsplätzen profitieren könnten, verfolgen Unternehmen eher die Strategie, durch höhere Investitionen in Produktionsanlagen den Bedarf an Belegschaft geringer zu halten als bisher. So wird der Faktor Arbeit, trotz der ohnehin schon geringen Kosten, durch Kapital ersetzt, um weitere Rationalisierungseffekte zu erzielen. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, 1996, S.266)
Neben dem Verlust von Arbeitsplätzen ergeben sich für die Industrieländer Probleme bezüglich der Qualität der Stellen, da auch Berufe mit hohen Qualifikationsanforderungen durch die Möglichkeiten der Aufwertung eines Wirtschaftsstandortes[4] verlagert werden können und so der historische Anspruch auf die lukrativen Arbeitsplätze schwindet. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, 1996, S.268) In einigen Ländern mit niederem Lohnniveau sind bereits hoch qualifizierte Arbeitskräfte, eine gute Infrastruktur und andere wichtige Faktoren vorhanden, wodurch der Konkurrenzdruck zwischen den Staaten um das beste Standortangebot weiter steigt und auch sogenannte „Billiglohnländer“ dem zunehmendem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt werden. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 1996, S.272)
Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf fassen folgende Aspekte von Globalisierung zusammen, wodurch eine Eingrenzung des Begriffs vollzogen wird: „Wir schlagen vor, (...), Globalisierung als Prozess der Transformation einer Gesellschaftsformation zu fassen, als eine „great transformation“[5] des späten 20. Jahrhunderts. (...) Dies ist eine Konsequenz der über alle Grenzen strebenden ökonomischen Beziehungen, der Ausweitung des Welthandels, der Zunahme von grenzüberschreitenden Direktinvestitionen, der Entwicklung von globalen Kapitalmärkten und von Migrationsbewegungen.“ (Altvater/Mahnkopf, 2004, S.31)
„Wenn also Globalisierung als Transformationsprozess gefasst wird, (...), können wir eine weitere Gruppe von Ingredienzien des Begriffs der Globalisierung identifizieren: Die Formen der Vergesellschaftungen von Arbeit, Geld, Natur und deren Transformationen müssen als widersprüchlicher Zusammenhang, als „Formation“ verstanden werden.“
(Altvater/Mahnkopf, 2004, S.33)
Trotz der sehr umfassenden theoretischen und zumeist auch empirisch belegten Darstellung von Altvater und Mahnkopf bleibt kritisch anzumerken, dass in diesem Werk einerseits der Fokus nahezu ausschließlich auf der ökonomischen Dimension von Globalisierung liegt und andererseits vorhandene positive Aspekte und Entwicklungen ausgeklammert werden. So sind auch transnationale Konzerne in einem Land verankert, von den dortigen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten abhängig und werden von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen mit Nachdruck auf ihre gesellschaftliche Verantwortung hingewiesen. So wird von den Autoren zwar ein sehr umfangreiches und fundiertes „worst-case“ Szenario erstellt, eine mögliche Lösung präsentieren sie aber nicht, da etwaigen Akteuren jegliche Handlungsfähigkeit abgesprochen wird. Diese möglichen Akteure (Vereinte Nationen, Nationalstaaten und Zivilgesellschaft) werden im Global Governance Konzept bewusst hervorgehoben. Dabei müssen zuerst natürlich die Verantwortlichkeiten der Akteure geklärt werden.
Mit der Zunahme der Vernetzung und der Abhängigkeiten ergeben sich konsequenterweise Fragen nach der Zuständigkeit für die Kategorie der größten Weltprobleme, wie Umwelt, Armut und Ungerechtigkeit, Globale Finanzmärkte und Migration, die in ihren verschiedenen Ausformungen in Wechselwirkung miteinander stehen. (vgl. Müller, 2002, S.10)
So gibt es zwar mit der Einigung auf bestimmte Ziele, wie sie zum Beispiel die Millenium Development Goals (MDGs) der Vereinten Nationen (UNO), auf die weiter unten näher eingegangen wird, oder das Kyoto-Protokoll vorsehen, Vorstöße in die Richtung. Globale Probleme gemeinsam zu lösen, wie etwa das der Klimaerwärmung, ist jedoch durch die Verweigerung der Kooperation durch jene Staaten, die am meisten zu der Erwärmung beitragen, wenig erfolgreich. Es stellt sich also unweigerlich die Frage nach der Verbindlichkeit der Regelungen, wobei dies zugleich auch mit der Frage nach der Souveränität von Staaten verbunden ist.
Ein Konzept, das Vorschläge zur Lösung des Problems der Unverbindlichkeit von gemeinsamen Zielen anbietet, ist das Global Governance Konzept, welches durch eine Reform und Stärkung der UNO und die Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Akteuren die Basis für einen breiten Konsens schaffen sowie die Verbindlichkeit zur Umsetzung erreichen will.
Im folgenden Kapitel wird nun auf diese Idee einer globalen Weltordnungspolitik näher eingegangen.
1.2. Global Governance
1.2.1. Der Begriff Governance – eine Verortung
Das englische Wort Governance bedeutet (laut Wörterbuch von Langenscheidt) Regierungsgewalt, -form oder Herrschaft / Gewalt / Kontrolle.
Im Fremdwörterbuch (Duden) findet sich nur der Begriff gouvernemental, der mit regierungsfreundlich übersetzt wird, allerdings mit dem Verweis, dass dieses Wort bereits veraltet ist. Das Etymologische Wörterbuch (Kluge) verweist wiederum auf das lateinische gubernare, das mit lenken übersetzt wird und so jener Bedeutung, unter welcher der Begriff in der Global Governance Diskussion verwendet wird, am ehesten entspricht.
In seiner Grundbedeutung beschreibt der Begriff Governance bzw. Regieren einen Prozess, bei dem für ein bestimmtes Problem eine Lösung gesucht wird, die anschließend durchgesetzt werden kann. Allgemeiner gefasst kann auch die Problemlösungsfähigkeit des Gemeinwesens verstanden werden und drückt dabei die Offenheit für Kooperationen zwischen staatlichen und privaten Akteuren aus. (vgl. Seckelmann, 2005, S.1)
In diesem Prozess sind demnach mehrere Akteure involviert, von denen einer eine Leitungsposition innehat. Im Fall des Nationalstaates ist dies die Regierung. Daneben existieren, je nach Art und Umfeld des Prozesses, noch zahlreiche weitere Interessensgruppen, welche die Entscheidungen beeinflussen können. Wie etwa die Bürger, die, abgesehen von ihren Einflussmöglichkeiten bei demokratischen Wahlen, auch über eine beliebige Form von gemeinsamer Organisation mit Personen, die gleiche Interessen verfolgen, Druck auf die Regierung ausüben können. Jene Akteure bzw. Organisationen, die demnach weder der Regierung, der Verwaltung, noch dem Militär zugeordnet werden können, bezeichnet man als Zivilgesellschaft.
Unter Governance kann auch ein System aus Regeln und Kommunikations- bzw. Verwaltungsstrukturen verstanden werden, welches innerhalb der Staaten die Interaktion zwischen Regierung und Regierten beeinflusst und mitgestaltet. (vgl. Jasper, 2004, S.1)
Hierbei steht jedoch eher das effiziente Funktionieren des Gemeinwesens im Vordergrund, welches als verwaltungspolitisches Leitparadigma das staatliche Handeln beeinflusst. (vgl. Seckelmann, 2005, S.1)
Die Weltbank definiert Governance als die Traditionen und Institutionen, durch die Autorität in einem Land zum Wohlergehen der Bürger/innen ausgeübt wird. Dies beinhaltet erstens den Prozess, mit Hilfe dessen die Personen, die Autorität ausüben, gewählt, überwacht und ersetzt werden, zweitens ihre Kapazität, Ressourcen gerecht zu verteilen und drittens den Respekt der Bürger gegenüber jenen Institutionen, welche die wirtschaftlichen und sozialen Belange organisieren.[6]
Aus dem Umfeld der internationalen Finanz- und Entwicklungshilfeinstitutionen[7] stammt auch das Konzept Good Governance, welches aus der Erfahrung geboren wurde, dass finanzielle Hilfen in den Entwicklungsländern oftmals nicht die gewünschten Effekte erzielten. Die institutionellen Rahmenbedingungen rückten somit, unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der Märkte, in den Blickwinkel der Vergabeinstitutionen. (vgl. Seckelmann, 2005, S.4) Durch den Good Governance Anspruch wurden die Zahlungen nunmehr an bestimmte Vorgaben geknüpft, die zu einer Umgestaltung der Institutionen und Strukturen führen sollten. Nach wie vor gibt es jedoch keine einheitliche Definition des Konzepts[8] und je nach Hauptaugenmerk der „Geberinstitution“ stehen unterschiedliche Aspekte im Vordergrund. So ist für die Weltbank das Management sozialer und ökonomischer Ressourcen ausschlaggebend – also die Betrachtung der Effizienz des Gemeinwesens, wobei dabei die jeweiligen Akteure und Handlungsformen problematischerweise eher außer Acht gelassen werden -, während für die Europäische Union die Einhaltung der Menschenrechte und die Schaffung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen große Bedeutung hat. (vgl. Jasper, 2004, S.1)
Generell werden im Diskurs um Good Governance aber immer wieder die Begriffe Transparenz, Effizienz, Partizipation, Verantwortlichkeit, Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie genannt, welche grundlegende Vergabekriterien für Kredite der Weltbank wurden. (vgl. Seckelmann, 2005, S.5)
Für die United Nations Economic and Social Commission for Asia and the pacific (UNESCAP) existieren bestimmte Merkmale, die in der Abbildung 1 ersichtlich sind, anhand derer Good Governance eingegrenzt werden kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Good Governance laut UNESCAP[9]
Neben Schwächen in der Definition und den äußerst vagen Ausformulierungen attestieren Kritiker dem Konzept eine problematische Ausrichtung, welche im Abbau von staatlichen Verwaltungsstrukturen und in der umfassenden Ökonomisierung der Gesellschaften das einzige Heilmittel für jegliche Probleme sieht. Die Politik der westlichen Industriestaaten stellt demnach die einzig richtige Möglichkeit dar, wie ein Staat organisiert sein müsse, wodurch alternative Politik- und Organisationsformen ausgeklammert und als Bad Governance bezeichnet werden, vor allem wenn sie versuchen, nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu agieren.
Die teils massive Kritik an Good Governance Konzepten, im Zuge derer immer wieder Vorwürfe des Imperialismus[10] laut wurden und Beurteilungen dahingehend tendierten, dass die Ausrichtung eher von ökonomischen Interessen als dem Wunsch nach gleich berechtigter Partnerschaft geleitet wird, führte zu Überlegungen, wie eine Zusammenarbeit aller Staaten und Nicht-Regierungsorganisationen in einem internationalen Kontext möglich sein könnte, um, unter Einbeziehung der ärmeren Gesellschaften, eine Lösung der globalen Probleme zu erarbeiten.
Die verschiedenen Formen bilateraler und multilateraler Kooperationen sind zunehmend der Hauptfaktor für die Stabilität eines internationalen Systems. Ebenso besitzen die internationalen Institutionen, welche an diesen Kooperationen beteiligt sind, mittlerweile genügend Macht, um Interessenskonflikte zu regeln und eigene Interessen wahren zu können. Um jedoch einen breiten, sprich globalen Konsens erreichen zu können, müssen erstens die Ziele abgestimmt und zweitens die nicht-staatlichen Akteure beteiligt werden.
1.2.2. Die Vision einer globalen Weltordnungspolitik
Ein Ausdruck globaler Interdependenz ist, dass ökonomische (und ökologische) Entscheidungen in einem bestimmten Land oder Ort viele andere Länder oder Orte beeinflussen können, ohne dass die dort lebenden Menschen darauf Einfluss nehmen können. Die zunehmende Entteritorialisierung, die durch die Globalisierung vorangetrieben wird, wirft außerdem ein weiteres Problem auf. Die traditionellen Kollektive (also die Nationalstaaten als Identität stiftende Einheit) sind oftmals Auflösungstendenzen ausgesetzt, wie es sich durch Regionalisierung und Kollektivzuschreibungen wie Ethnie, Rasse, Religion und Sprache ausdrückt. So diagnostizieren die Autoren, dass die Räume der Wirtschaft mittlerweile mit den Entscheidungen und Einflussmöglichkeiten der Nationalstaaten nicht mehr kongruent sind, sich also nicht mehr decken. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 1996, S. 542-549) Die Versuche, den Weltmarkt durch nationalstaatliche Politik unter Kontrolle zu bringen, erscheinen den Autoren deshalb als ein unmögliches Unterfangen.
Trotzdem die Diagnose, dass die einzelnen Nationalstaaten in diesem Zusammenhang nicht mehr über die nötigen Handlungsmöglichkeiten verfügen, zum Teil sicherlich zutrifft, muss angemerkt werden, dass größere Zusammenschlüsse von Staaten, wie etwa die Europäische Union, durchaus das Potential besitzen, der Ökonomie verbindende Richtlinien vorzugeben.
Staatliche Souveränität ist immer an ein bestimmtes Territorium gebunden und innerhalb des Territoriums herrscht politische Kongruenz. Das heißt, dass sich darin sowohl die Entscheidungsträger, als auch die Betroffenen der Entscheidungen befinden, wobei diese gewisse Kontrollrechte gegenüber den Entscheidungsträgern haben, zum Beispiel in Form von Wahlen.
Somit ist die räumliche Kongruenz von Entscheidung und Kontrolle die Grundlage für das klassische demokratische System, solange die politischen Prozesse eine gewisse Relevanz besitzen. Globalisierung bedeutet aber, dass „Entscheidungen aus der politischen Verantwortung entlassen und privaten Mächten überantwortet werden, die sich nicht mehr gegenüber einem Wahlvolk zu verantworten haben.“ (Altvater/Mahnkopf, 1996, S. 543)
Eine mögliche Lösung sehen die beiden Autoren in der Erweiterung des demokratischen Prinzips auf Basis der Weltgesellschaft. Ein Weltstaat ist für sie jedoch nur schwer vorstellbar, auch wenn er funktionalistisch begründet und institutionell konstruiert wäre. Die Neuerung, die das Konzept Global Governance bietet ist jene, dass die neue Weltordnung nur als eine vernetzte Einheit funktionieren kann, die ökonomische, ökologische und soziale Fragen gemeinsam behandelt. Die vernetzte Einheit besteht nicht nur aus Nationalstaaten, internationalen Organisationen, Banken und transnationalen Konzernen, sondern auch Akteure der Zivilgesellschaft sollen Mitspracherecht besitzen. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 1996, S. 550)
Die Idee einer Global Governance, die auch als eine besondere Form von multilateraler Politik definiert werden kann, beleuchtet die Frage nach der Regierbarkeit der Welt und versucht, Lösungen für grenzüberschreitende Probleme wie Umweltzerstörung, Migration und ökonomische Disparitäten anzubieten. Da es für die Nationalstaaten immer schwieriger wird, die Probleme, wie etwa die Teilung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer der Globalisierung, in den Griff zu bekommen, soll mit Hilfe einer neuen Weltordnungspolitik auf Konsensbasis versucht werden, zukunftsfähige Entwicklungen im Bereich der Ökonomie, der sozialen Belange und der Ökologie umzusetzen und so auch den Respekt gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Lebensweisen zu fördern.
Neben diesen Eckpfeilern sollen, im Sinne einer umfassenden Weltethik, alle Menschen Anrechte auf Gleichberechtigung in Bezug auf ein sicheres Leben, den Zugang zu Informationen und globalen öffentlichen Gütern (GPG)[11], Arbeit, kulturelle Unterschiede, das Geschlecht und einen fairen Gerichtsprozess im Fall von Ungerechtigkeit haben. Ebenso sind alle Menschen verpflichtet, dass sie auf eine, ihren Möglichkeiten entsprechenden Art, zum Gemeinwohl beitragen, Rücksicht auf andere Menschen nehmen, ihre Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit treffen und sich an der Politik und am kulturellem Leben beteiligen. (vgl. Gruber, 2000, S.206-207)
In diesem Sinn versucht das Global Governance Konzept, welches bezüglich der eben beschriebenen Zielsetzungen auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie der Beschreibung der (Bürger/innen-) Rechte und Pflichten[12] der UN-Commission on Global Governance (siehe Punkt 1.3.1.) basiert, auch eine mögliche Lösung für die Frage der sozialen Ungleichheit zu finden, also für die ungleiche Verteilung der materiellen und immateriellen Ressourcen innerhalb der Gesellschaft.
Der Begriff Governance grenzt sich bewusst von Government, also der Vorstellung von einem Weltstaat, ab. Vielmehr fokussiert das Konzept die Bedeutung von Kooperation und Moderation in politischen Netzwerken und propagiert ein Regieren jenseits des Staates. Ebenso werden in der Diskussion über Konzepte für eine Umgestaltung der derzeitigen Weltordnung die Begriffe Re-Regulierung (als Gegenkonzept zur durch die Globalisierung verursachten Deregulierung) und Wieder-Einbettung des Weltmarkts, oft synonym zur Governance Idee verwendet. Des Weiteren wird in der Literatur die Entschleunigung der Marktprozesse diskutiert, wobei dabei nur ein Teilaspekt der heterogenen Global Governance Diskussion abdeckt wird. (vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.125)
Neben der Diskussion um den Begriff, seine Unschärfen und die Problematik einer fehlenden präzisen Übersetzung, gibt es jedoch ein Verständnis darüber, dass grundsätzlich das „Zusammenwirken von Regierungen, internationalen und supranationalen Institutionen, Unternehmen, und NGOs im Rahmen formeller und informeller Beziehungen“ (Klein /Walk/ Brunnengräber, 2005, S.18) die Essenz des Konzeptes ausmacht.
Global Governance kann demnach als eine Art Legitimationsverfahren verstanden werden, welches nach der Rechtfertigung von Herrschaft und der Berechtigung von politischen Akteuren fragt, die relevante Entscheidungen für die Gesellschaft treffen. Ebenso wie Demokratietheorien, die sich vornehmlich auf Gesellschaften innerhalb von Nationalstaaten beziehen, ein Höchstmaß an Partizipationsmöglichkeiten im Prozess der politischen Willensbildung einfordern, braucht es laut den Autoren für die neuen globalen Herausforderungen eine Struktur, welche die Fähigkeit der Politik zur Gestaltung der Globalisierung herstellt. Eine Demokratietheorie auf globaler Ebene sozusagen, um die unkontrollierte Dynamik der Weltwirtschaft in geordnete Bahnen zu lenken und die es den Regelwerken der Politik ermöglicht, sich innerhalb Reichweite den ökonomischen und politischen Handlungszusammenhängen anzupassen. (vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler, 2003, S.36)
Als Voraussetzungen für eine Global Governance Struktur dienen Systeme, die partnerschaftliche Entscheidungen ermöglichen, wechselseitige Interessen berücksichtigen und allgemeine Interessen wahren, wobei als Konsens im Hintergrund festgelegte Prinzipien dienen, wie sie zum Beispiel die Nachhaltige Entwicklung[13] oder die Menschenrechte vorschlagen. (vgl. Roth, 2005, S.89)
Eine wichtige Prämisse der Global Governance Struktur ist eine neue Definition staatlicher Souveränität, welche das bisherige Souveränitätskonzept[14] in Frage stellt. Des weiteren soll eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und Abkommen stattfinden und der Kreis der Akteure erweitert werden, indem zivilgesellschaftliche Organisationen Mitspracherecht erhalten. Den Mittelpunkt der Strategien bildet das System der Vereinten Nationen, sowie andere internationale Organisationen wie etwa die Welthandelsorganisation und globale Netzwerke bzw. NGOs. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.333)
Durch die Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Akteuren soll der Wandel (bzw. Paradigmenwechsel) von der Staatenwelt zu einer Gesellschaftswelt vollzogen werden und dadurch eine Demokratisierung der internationalen Politik und eine Balancierung der Macht innerhalb bestehender internationaler Netzwerke stattfinden. (vgl. Klein/Walk/Brunnengräber, 2005, S.20)
„Global Governance ist ein aus dem weltpolitischen Regierungsdefizit geborenes Konzept, mit dem die Kompetenz und Transparenz Internationaler Institutionen unter Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure gestärkt werden soll.“ (Müller, 2002, S.130)
1.3. Global Governance Strategien
Verschiedene Institutionen und wissenschaftliche Einrichtungen haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein Konzept auszuarbeiten, wie eine Struktur dieser neuen Weltordnungspolitik aussehen könnte. Einer der wichtigsten Autoren, welcher Global Governance in den internationalen Diskurs einbrachte, war James Rosenau, dessen Sammelband „Governance without Government: Order and Change in World Politics“ (gemeinsam mit Ernst-Otto Czempiel) ein zentrales Werk aller nachfolgenden Veröffentlichungen wurde. (vgl. Brand et al., 2000, S.28)
In den folgenden Unterkapiteln werden die wichtigsten Einrichtungen bzw. Konzepte, die wesentlich zur Popularität des Konzepts beitrugen und welche in der Diskussion oder der einschlägigen Literatur regelmäßig zitiert werden, behandelt.
1.3.1. UN-Commission on Global Governance
Ins Leben gerufen wurde die 27 Persönlichkeiten umfassende, internationale UN-Kommission im Jahr 1991 auf Initiative von Willy Brandt. Der im Jahr 1995 vorgelegte Bericht „Nachbarn in einer Welt“ (engl: „Our Global Neighbourhood“) beinhaltet zahlreiche Vorschläge, wie die Rahmenbedingungen für eine Weltordnungspolitik aussehen könnten und welche Institutionen an der Umsetzung maßgeblich beteiligt sein sollten.
Von der Kommission wurde Global Governance wie folgt definiert:
„Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen, sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme, als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse liegend angesehen werden.“ (Commission on Global Governance, 1995, S.4, zitiert nach Altvater/Mahnkopf, 1996, S.551 )
Aufgabe des Expertengremiums war es, Vorschläge zur Regierbarkeit der Welt zu unterbreiten und Möglichkeiten zur Initiierung eines solchen Systems zu finden, welches umfassende Sicherheits- und Demokratisierungsperspektiven, die durch das Ende des Kalten Kriegs aktuelle Themen waren, einbezieht. (vgl. Klein/Walk/ Brunnengräber, 2005, S.18)
Im Verständnis der Kommission bedeutet Global Governance einen Ausbau der Kooperationen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die einhergeht mit einer Aufwertung der Zivilgesellschaft. Diese soll, da ihr vor allem die Aufgabe eines Kontrollorgans zwischen Markt und Staat zukommt, als ein solches auch in das System der UNO integriert werden.[15] Obwohl die Staaten und internationalen Organisationen zu verstärkter Kooperation mit privaten Akteuren aufgerufen wurden, sah die Kommission nach wie vor die Nationalstaaten als die Hauptakteure der Global Governance Struktur an.
Wie stark sich die Kommission auf die Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten von politischen Führungskräften verlassen hat, zeigt auch folgendes Zitat aus dem Bericht:
„Die Welt braucht Führer, die durch Visionen gestärkt sind, die von Ethos getragen sind und die den politischen Mut haben, auch über die nächste Wahl hinaus zu denken. Welche Dimensionen eine Global Governance auch immer hat, wie stark ihr Instrumentarium auch erneuert und erweitert sein mag, welche Werte auch immer ihr Inhalt verleihen, ihre Qualität hängt letzten Endes von der politischen Führung ab.“ (Commission on Global Governance, 1995, S.388, zitiert nach Messner/Nuscheler, 2003, S.13)
Abgesehen vom Fokus auf die Gestaltungsmacht der Nationalstaaten und deren politische Führungspersonen ergab die Analyse der globalen Situation, dass nach Ansicht der Kommission das bestehende System der internationalen Institutionen derzeit mit der Bewältigung der Weltkrisen überfordert sei. Deshalb schlug sie eine Reform der Vereinten Nationen vor, wobei neben der Reorganisation des Sicherheitsrates, der Einsetzung eines Economic Security Councils ( dessen Kompetenzen über jene des Wirtschafts- und Sozialrates hinausgehen müssen[16] ) und der Reform der Generalversammlung, auch ein Forum der Zivilgesellschaft eingerichtet werden sollte. (vgl. Messner/Nuscheler, 2003, S.13)
Im Endbericht betonte die Kommission neben diesen Vorschlägen zur Regierbarkeit der Welt zudem die Notwendigkeit eines globalen Ethos der Bürger, welcher universelle Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Respekt und Hilfsbereitschaft beinhaltet und sich in einem gewissen Ausmaß bereits durch das Entstehen einer globalen Zivilgesellschaft in Form von Organisationen und Neuen Sozialen Bewegungen manifestiert hat. (vgl. Klein/Walk/Brunnengräber, 2005, S.21)
Die bereits erwähnten Reformideen in Bezug auf die Vereinten Nationen, welche von der UN-Commission on Global Governance in ihrem Bericht vorgelegt wurden, sind laut Ansicht von Expert/innen, die sich mit dem Global Governance Konzept auseinander gesetzt haben, hinter den Erwartungen zurück geblieben, besitzen nur sehr wenig Originalität und sind zudem wegen der starken Machtkonzentration und der fehlenden demokratischen Kontrolle problematisch.
„Die Kommission setzte allzu blauäugig auf die Fähigkeit eines reformierten UN-Systems und von ihrer Verantwortung bewussten Eliten, um die von ihr mit Katastrophenszenarien unterlegten Globalisierungskrisen zu bewältigen. So bleibt ihr zentraler Verdienst, den bisher nur wenigen Spezialisten bekannten Global Governance Begriff hoffähig gemacht zu haben und an verschiedenen Orten eine weiter führende Global Governance Forschung angeregt zu haben.“ (Messner/Nuscheler, 2003, S.13)
1.3.2. Der Global Compact
Um die generelle Skepsis der transnationalen Unternehmen[17] gegenüber der UNO, die eine Kooperation im Sinne einer Global Governance Architektur bereits von vornherein unmöglich macht, abzubauen, trat der UN-Generalsekretär Kofi Annan nach zahlreichen Vorgesprächen mit Vertreter/innen der Internationalen Handelskammer beim Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos im Jahr 1999 mit einem Projekt an die Öffentlichkeit, welches die neue Partnerschaft begründen sollte. Der Global Compact, wie sich das Kooperationsprojekt nennt und zu dem sich Unternehmen bekennen sollen, umfasst neun Prinzipien aus den Bereichen Menschen-, Arbeitsrechte und Umweltschutz, die aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Erklärung der ILO[18] über grundlegende Rechte von Arbeitnehmer/innen (1998) und der Erklärung der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) entnommen wurden. Trotz der positiven Wahrnehmung durch die Medien und dem allgemeinen Konsens darüber, dass die Prinzipien grundsätzlich unterstützenswert sind, gab es massive Kritik von Seiten der Nicht-Regierungsorganisationen, denen der Global Compact in seiner Konsequenz viel zu vage formuliert war. (vgl. Paul, 2001, S.123)
Bereits die Rede, in welcher dieser vorgestellt wurde, beinhaltete Elemente, die Grund zur Skepsis gaben, da zum Beispiel an gemeinsame Werte statt an verbindliche Regeln appelliert und die Bedrohung, welche von der Opposition gegen die Globalisierung ausgehen würde, angesprochen wurde. So war es zwar für die Unternehmen einfach, dieses Bekenntnis zu gemeinsamen Werten zu unterstützen, solange keine konkreteren Regeln und Maßnahmen zur Überwachung eingebracht wurden, für die Nicht-Regierungsorganisationen gab dies jedoch Anlass zu der Kritik, dass nur strenge Kontrollen zum gewünschten Erfolg führen könnten und der Vertrag zu viele Zugeständnisse an die Ökonomie beinhaltet[19]. (vgl. Paul, 2001, S.124-125)
Im Jahr 2000 wurde der Global Compact gemeinsam mit Vertreter/innen von cirka 50 großen Unternehmen[20] unterzeichnet und als Erfüllungsmaßnahme, bzw. um diesbezügliche Fortschritte auch einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde eine Webseite[21] eingerichtet, wo Konzerne ihre Tätigkeiten und „best practices“ (besten Beispiele) publizieren können. Trotz der Belastung der Beziehungen zwischen UNO und NGOs und der Formulierung von Gegenvorschlägen wie den Citizen Compact, der neben einem rechtlichen Rahmen auch Überwachungsmaßnahmen beinhaltet, hielten die Vereinten Nationen bisher am Global Compact fest. (vgl. Paul, 2001, S.127)
1.3.3. Die Vereinten Nationen und Global Governance
Die zentrale Diskussion innerhalb der Vereinten Nationen um das Konzept einer Global Governance befasst sich vorrangig mit dem Politikmodell des Multilateralismus, also den Beziehungen zwischen drei oder mehr Staaten, die auf allgemeinem Konsens und von allen Partnern akzeptierten Prinzipien beruhen. Das Verbot von Gewaltanwendung zur Umsetzung politischer Ziele und die Erkenntnis, dass ein gemeinsames Arbeiten sinnvoller ist als die Durchsetzung von Partikularinteressen mittels Konflikten, sind die Grundprinzipien multilateraler Politik. Basierend auf generell rationalem Verhalten der Akteure stützt sich das Modell zudem auf die Einsicht, dass internationale Prozesse nur unter Beachtung der Motive, Verhaltensweisen und Zielen von internationalen Organisationen erklärt werden können. Dies steht im klaren Gegensatz zum unilateralen Konzept, in welchem die Nationalstaaten die zentralen Akteure sind und internationale Organisationen nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.328) Multilaterale Politikkonzepte „zielen hingegen auf internationale Politik als Ergebnis grenzüberschreitender Aktionen zahlreicher Akteure und sehen internationalen Einfluss als Resultate des gekonnten Umgangs mit den Banden der Interdependenz.“ (Gareis/Varwick, 2003, S.328) Der Staat agiert demnach auf internationaler Ebene innerhalb des UN-Systems und ist somit aktiver Teil der internationalen Staatengemeinschaft, welche die internationale Politik gestaltet.
Die theoretischen Ausrichtungen der jeweiligen Mitgliedsstaaten bestimmen demnach, ob die Vereinten Nationen eine uni- oder eine multilaterale Politik verfolgen werden und, falls ein multilaterales Leitbild von den Staaten als Erfolg versprechend angesehen wird, auch an internationalen Prozessen teilnehmen können.
Falls sich also ein multilaterales Paradigma im Sinn einer Global Governance Architektur in der Staatenwelt durchsetzt, würde die UNO eine zentrale Position einnehmen und als Koordinierungsstelle auch mit Sanktionsbefugnissen ausgestattet sein, wobei viele Autoren das Eintreffen dieses Szenarios als relativ unrealistisch einschätzen. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.337-338)
1.3.4. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)
Das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) wurde im Jahr 1990 von der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF)[22] und der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg als eine Forschungseinrichtung des geisteswissenschaftlichen Fachbereichs gegründet und ist (im deutschsprachigen Raum) in der Forschung und in der Erstellung von Expertisen, die sich mit globalen Interdependenzen und Global Governance beschäftigen, führend. Es wurde in den 1990er Jahren zu einem der wichtigsten sozialdemokratischen think tanks, der sich mit Friedens- und Entwicklungsfragen beschäftigt und dessen rege Publikationstätigkeit das Global Governance Konzept auch einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte. (vgl. Brand et al., 2000, S.29)
Aufgaben des Instituts sind die Erforschung von globalen Trends und Global Governance, den Zusammenhängen zwischen Entwicklung und Frieden in den Entwicklungsländern und deren Perspektiven in der Weltwirtschaft, den globalen Interdependenzen zwischen Umwelt, Wirtschaft und Sicherheit, sowie der Weltpolitik. Da es sich die Einrichtung zum Ziel gemacht hat, den nationalen, europäischen und internationalen Dialog über globale Interdependenzen und Global Governance mitzugestalten und Anstöße für politisches Handeln zu geben, stammen eine Vielzahl der wissenschaftlichen Publikationen und Konzepte zu Global Governance aus diesem Umfeld.[23]
In erster Linie beschäftigt sich das INEF mit der Ausarbeitung eines politisch-strategischen Konzepts von Global Governance. Obwohl das Institut grundsätzlich auf dem Bericht der Kommission (siehe Punkt 1.3.1.) aufbaut, werden durch die Analyse von Kooperations- und Entscheidungsstrukturen in den Internationalen Beziehungen neue Akzente gesetzt, vor allem im Hinblick auf die Neugestaltung von Staatlichkeit. (vgl. Brand et al., 2000, S.34)
„Als forschungsleitende Fragestellungen schälten sich die Steuerungsfähigkeit und die Funktionsveränderungen der Staaten im Globalisierungsprozess heraus.“ ( Messner/Nuscheler, 2003, S.14)
Ausgehend von Regimetheorien griff man in der Global Governance Forschung auf Theorien und Publikationen zurück, die sich mit jenen Entwicklungen beschäftigen, welche dazu führten, dass ein Verständnis des Staates als zentraler Steuerungsmechanismus der Gesellschaft bedeutungslos wird und sich eine neue Form von gesellschaftlicher Organisation entwickelt, deren Akteure mit dem Staat in Kooperation treten können. So finden sich in diesem Kontext immer wieder Konzepte zu Netzwerksteuerung, Selbstkoordination, Verhandlungssystemen und Mehrebenenpolitik.
Aus diesen Bausteinen wurde das politisch-strategische Konzept des Instituts für Entwicklung und Frieden ausgearbeitet, welches anhand der folgenden sieben Kernaussagen beschrieben werden kann.
1. Der Begriff Global Government, welcher eher mit Weltregierung oder Weltstaat gleichgesetzt werden kann, wird bewusst vermieden, da ein derartiges Konstrukt keine, aufgrund der Unmöglichkeit einer demokratischen Legitimation, realistische oder erstrebenswerte Option darstellt. Da die Staaten jedoch durch den Druck von Dezentralisierung und Globalisierung an Möglichkeiten zur Gestaltung verlieren, liegt es im eigenen Interesse, nach neuen Formen von Politik zu suchen, die den Verlust ihrer politischen Handlungsfähigkeit eindämmen können.
Global Governance entspricht einer Weltföderation von freien Republiken, welche durch ein notwendiges Maß an zentraler Organisation verbunden sind und deren Herausforderung darin besteht, die Welt ohne einen Weltstaat zu regieren.
2. Das Konzept beruht auf Formen der internationalen Kooperation, Koordination und kollektiven Entscheidungsfindung, wobei internationale Organisationen (wie zum Beispiel die UNO) die Kontrolle der verbindlichen Regelwerke zur Bearbeitung gemeinsamer Probleme übernehmen und einen Beitrag zur Herausbildung globaler Sichtweisen leisten sollen.
Die Aufgabe der Übersetzung des grundsätzlichen Bekenntnisses zur Kooperation übernehmen Gremien, die im INEF-Konzept als Regime bezeichnet, ansonsten jedoch nicht näher definiert werden. Im herkömmlichen Sprachgebrauch wird unter einem Regime eher ein autoritäres oder totalitäres Herrschaftssystem verstanden. In der Lehre der Internationalen Beziehungen hingegen bezeichnet der Begriff ein spezielles Regelwerk der Kooperation und als solches wird er von den Autoren des Konzepts auch verwendet. (vgl. Schmidt, 1995, S.819)
Die Gremien, welche aus führenden bzw. autorisierten Vertreter/innen aller eingebundenen Nationalstaaten bestehen müssen, übersetzen den Kooperationswillen in verbindliche Regelwerke, zu denen sich die Staaten verpflichten.
3. Durch den Zwang zur Kooperation ergeben sich zwar Verluste in Bezug auf staatliche Souveränitäten, diese sind durch die Effekte der Globalisierung aber ohnehin bereits vorhanden und können von den Nationalstaaten nicht mehr kompensiert werden. Die ökonomisch starken Staaten der sogenannten Triade[24] müssen laut dem Konzept überzeugt werden, dass diese Kooperation keinen Verlust, sondern einen Zugewinn an gemeinsamen Lösungsstrategien für Probleme darstellt, um die politische Handlungsfähigkeit auch in Zukunft gewährleisten zu können.
4. Durch die Globalisierung und den Abhängigkeiten der Staaten untereinander verstärkt sich die Regionalisierung bzw. Lokalisierung, weshalb für dieses Phänomen in der Literatur der Mischbegriff „Glokalisierung“, der sich aus global und lokal zusammensetzt, verwendet wird, um diesen strukturbildenden Entwicklungstrend zu beschreiben. Regionalisierung kann neben negativen Tendenzen, die eine religiös oder politisch motivierte Abschottung von der restlichen Gesellschaft anstreben, auch zu positiven Ergebnissen führen, sofern ein nachhaltiges Kooperations- bzw. Integrationsmodell die Intention dieser Bestrebungen darstellt.
Eine Global Governance Architektur müsste auf diesen positiven regionalen Kooperationen aufbauen und sie auch in organisatorischer Hinsicht als stabilen Unterbau nutzen. Da eine Umsetzung von Handlungsanleitungen, die in einem globalen Kontext stehen, nur erfolgreich sein kann, wenn sie bis in die regionalen Ebenen als sinnvoll wahrgenommen werden, kann somit vermieden werden, dass internationale Strategien und Organisationen ineffizient werden. Ebenso können über einen soliden Unterbau, der in permanentem Austausch mit den übergeordneten Institutionen steht, die Bedürfnisse und Forderungen der Bevölkerung erfolgreicher manifestiert werden.
5. Im Gegensatz zu Gipfeln von Staats- und Regierungschefs oder internationalen Organisationen, in denen nur Regierungsvertreter der jeweiligen Länder anwesend sind und Stimmrecht besitzen, bekennt sich die Commission on Global Governance und das Global Governance Konzept neben einer Zunahme von staatlichem Multilateralismus auch zu einer respektvollen und ernsthaften Kooperation von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, welche die lokale Ebene ebenso mit einbindet wie die globale. Ähnlich den Public Private Partnership[25] Konzepten wird eine Zusammenarbeit der Staaten, der zivilgesellschaftlichen Akteure und der transnationalen Unternehmen angestrebt, um Lösungsstrategien für Probleme, welche durch die Akteure nicht mehr im Alleingang zu bewältigen sind, zu finden.
Die Autoren des Global Governance Konzepts bezeichnen diese Art der gemeinsamen Arbeit als Neokorporatismus[26] und verweisen als Hintergrund auf den bereits oben angeführten Global Compact der Vereinten Nationen.
6. Das Global Governance Konzept erkennt das Wirken der NGOs als einen wichtigen konsultativen und korrektiven Faktor in der Diskussion an, der sich bisher meist mittels medienwirksamer Kampagnen im Zuge von Weltkonferenzen manifestiert hat. Schon jetzt werden sie zum Teil in Verhandlungen eingebunden oder zumindest angehört, um das vorhandene Expertenpotential nutzen zu können und Protestpotential zu neutralisieren. Das Drängen der Organisationen, politische Entscheidungen auf allen Ebenen zu beeinflussen, wird unter anderem durch ihre hohe gesellschaftliche Akzeptanz und ihre flexiblen Organisationsformen ermöglicht. Die starke (transnationale) Vernetzung, welche durch die elektronischen Kommunikationsformen wie Homepage, Weblog oder E-Mail unterstützt wird, erlaubt koordinierte, zeitgleich stattfindende Aktionen und bietet zudem abgestimmte Informationsplattformen für potentielle Unterstützer/innen. So kann mittels globaler Kampagnen auch in jenen Bereichen eine Zunahme an Transparenz erzwungen werden, wo sich Machtkartelle der parlamentarischen bzw. demokratischen Kontrolle entzogen haben. Zudem besteht die Möglichkeit, gewählte Volksvertreter/innen zu ersuchen, ihren Kontrollrechten und Pflichten vermehrt nachzukommen. Trotz der wichtigen Funktion, die Nicht-Regierungsorganisationen in der Global Governance Architektur zukommt, stellen die Autoren des Konzepts deutlich klar, dass trotz der zum Teil sehr erfolgreichen Einflussnahme von NGOs zum Beispiel auf die Umwelt-, Entwicklungs- oder Menschenrechtspolitik, keine umfassende „NGOisierung der Weltpolitik“ (Messner/Nuscheler, 2003, S.17) etabliert werden konnte und schließen dies auch für die Zukunft aus.
7. Obwohl die Nationalstaaten in vielen Bereichen der Politik an autonomen Spielräumen verlieren und Entscheidungen mit den betroffenen Akteuren abstimmen müssen, bleiben sie auch in Zukunft die Hauptakteure der internationalen Politik, werden aber viel stärker miteinander vernetzt und durch verbindliche Regelwerke verbunden sein und bilden so die Stützpfeiler der Global Governance Architektur. Eine Funktion der Staaten wird nach wie vor darin bestehen, in Kooperation mit anderen Nationen die Bereitstellung der Globalen Öffentlichen Güter wahrzunehmen und soziale Aufgaben umzusetzen. Um auftretende Probleme lösen zu können, werden sie jedoch zunehmend mit anderen gesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten und auch neue Aufgaben übernehmen müssen, die sich zum Teil aus den multilateralen Kooperationen ergeben. Da Global Governance ohne einen Weltstaat funktionieren soll, können Aufgaben nur in Selbstkoordination wahrgenommen werden, die auf mehreren Ebenen erfolgen muss. Als Mitträger von multilateralen Entscheidungen müssen die Staaten außerdem für die Umsetzung im jeweiligen Zuständigkeitsbereich garantieren können.
(vgl. Messner/Nuscheler, 2003, S.15-18)
„Durch den Aufbau von Global Governance Strukturen soll die Gestaltungsfähigkeit der Politik gegenüber der unbändigen Eigendynamik von ökonomischen Globalisierungsprozessen gestärkt oder zurückgewonnen werden, und gleichzeitig die Reichweite politischer Regelwerke der sich tendenziell entgrenzenden Reichweite ökonomischer und sozialer Handlungszusammenhänge angepasst werden.“ (Messner/Nuscheler, 2003, S.36)
1.4. Institutionen und Blockaden
1.4.1. Die Reform der Vereinten Nationen (UNO) als Baustein einer Global Governance Architektur
Wie bereits weiter oben erwähnt, nehmen die Vereinten Nationen im Global Governance Konzept eine zentrale Rolle als Koordinierungsstelle ein, die auch das Gewaltmonopol zur Durchsetzung einer weltweiten (Menschen-) Rechts- und Friedensordnung umfasst, sowie die Entwicklung einer globalen Struktur für die Bereiche Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt beinhaltet. Dafür sind jedoch weitreichende Reformen nötig, deren Umsetzung mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist.
Grundsätzlich ist die UNO eine Organisation, die nur so weit agieren kann, wie es die Mitgliedstaaten nach Abwägen der eigenen Interessen zulassen, wobei dieser Umstand für eine Umgestaltung im Sinne einer Supranationalisierung hinderlich ist. In zahlreichen Reformberichten[27] wird der Wunsch geäußert, dass die Mitgliedstaaten die Vereinten Nationen besser auf die Herausforderungen der Globalisierung einstellen sollen, um die Rolle einer zentralen Koordinierungsstelle und Gestaltungsmacht übernehmen zu können.
Bereits in der Vergangenheit fanden Prozesse des Wandels und der Reformen statt, die sich jedoch meist auf die Erweiterung bestehender Gremien und die Implementierung neuer Organe, Programme und Sonderorganisationen beschränkte. Das organisatorische Grundprinzip, welches die Vereinten Nationen als eine Kernorganisation definiert, die aus dem Wissen und den Kompetenzen des ihr angeschlossenen losen institutionellen Beziehungsgeflechts Strategien formulieren sollte, wurde durch diese Entwicklung aufgrund einer zunehmenden Unüberschaubarkeit ad absurdum geführt. Die divergierenden Interessen und Kräfte des Systems mündeten in einer weitgehenden Autonomie der Sonderorganisationen, deren Koordination sich im Lauf der Zeit als immer schwieriger erwies und welche die Effektivität des gemeinsamen Handelns massiv einschränkte.
Neben den Machtkonflikten zwischen der Generalversammlung, in welcher die Schwellen- und Entwicklungsländer aufgrund ihrer großen Anzahl eine gewichtige Funktion innehaben, und dem Sicherheitsrat, sowie der Verweigerung der Zahlung des Mitgliedsbeitrags seitens der USA (die dadurch eine Reform der Strukturen[28] und eine Konzentration auf die Kernkompetenz der Friedenssicherung erzwingen möchten), stellt sich das Problem, dass für die meisten Punkte der Umgestaltungsagenda eine Überarbeitung der UN-Charta nötig wäre. Eine solche ist jedoch mit erheblichen Hürden verbunden, die in der Charta verankert wurden. So bedarf jede Änderung einer Zwei-Drittel Mehrheit in der Generalversammlung und einer anschließenden Ratifizierung durch Zwei-Drittel der Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats, wobei wiederum auch alle fünf ständigen Mitglieder des Rates zustimmen müssen. Diese verfügen damit über eine bedeutende Sperrminorität, die jegliche Reformversuche unterbinden kann. Für die Durchsetzung eigener Reforminteressen benötigen jedoch auch sie eine Mehrheit von über 120 UN-Mitgliedern. Aufgrund der Machtverhältnisse und des komplexen Verfahrens ist demnach eine Umgestaltung der Vereinten Nationen trotz ihrer Notwendigkeit ein äußerst schwieriges Unterfangen. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.287-292)
Trotz der Hürden, die breit angelegte Reformversuche mit sich bringen würden, ist die UNO, da nahezu alle Staaten Mitglieder sind, ein wichtiger Akteur in einer Global Governance Architektur.
Die geforderte Einbindung der Nicht-Regierungsorganisationen ist bis zu einem gewissen Grad bereits gegeben und oftmals bestehen mehr Einflussmöglichkeiten, als in formalen Beschlüssen festgeschrieben wurde. Sie reichen vom Beobachterstatus über Lobbytätigkeiten bis zu offiziellen Mitgliedschaften in Verhandlungsdelegationen. Zudem können sie Länderberichte bei der Menschenrechtskommission in Genf einreichen und mittels etablierter informeller Beziehungen (unter anderem zu Mitgliedern des Sicherheitsrats), Konsultationsaufgaben wahrnehmen. Die Einbindung von nicht-staatlichen Akteuren (und auch von transnationalen Unternehmen im Rahmen des Global Compact) wird seitens der Vereinten Nationen jedoch nicht damit gerechtfertigt, dass dadurch die demokratische Legitimation erhöht werden soll. Durch die Öffnung verspricht sich die UNO eine Ergänzung und Erweiterung der Problemlösungsressourcen, um die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Agenden effizienter bearbeiten zu können. (vgl. Wolf, 2005, S.112-113)
Als logische Konsequenz dieser Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteuren stellt sich die Frage nach deren demokratischer Legitimation. Derzeit erfolgen Kooperationen im Rahmen von Netzwerken, in denen der politische Dialog vorangetrieben wird, und über Mitwirkung in Prozessen der konsensorientierten Entscheidungsfindung, die keiner Legitimation durch Wahlen bedürfen. Eine umfassende Einbindung, durch die nicht-staatliche Akteure grundlegende Entscheidungsbefugnisse erhalten sollen, stellt sich als schwierig dar, da für diese Akteure bislang kein Äquivalent zum UN-Grundsatz „Ein Land – eine Stimme“ gefunden werden konnte.
Wie aus den beschriebenen Kooperationen und Konsultationsaufgaben ersichtlich ist, findet in Bezug auf die UNO der Übergang zu einem Global Governance System sicherlich statt, wenn auch derzeit weniger innerhalb angestrebter reformierter UN-Strukturen, sondern meist in neu geschaffenen Gremien, welche jedoch als negativen Effekt die strukturelle Unübersichtlichkeit weiter fördern. (vgl. Wolf, 2005 S.118)
1.4.2. Blockaden und Kernprobleme
Sobald über etwaige Umsetzungsstrategien einer Global Governance Architektur diskutiert wird, ergeben sich für die Autoren des Konzepts einige Blockaden und Kernprobleme, die separat von den kritischen Positionen anderer Wissenschafter (siehe Kapitel 1.6.) behandelt werden sollen, wobei sich die eingebrachten Punkte zum Teil überschneiden können.
Ein wichtiger Problempunkt bezieht sich dabei auf demokratische Strukturen und die Legitimation von multilateralen Entscheidungsprozessen auf internationaler Ebene, da dadurch gewählten Parlamenten Befugnisse entzogen werden. Es stellt sich die Frage, ob Demokratie ohne der ihr immanenten Kongruenz von Volk und nationalstaatlichem Territorium überhaupt möglich bzw. legitim ist.
Manche Einschätzungen[29] gehen davon aus, dass Demokratie durch die Globalisierung zu einem universellen Leitbild wurde, welches durch diverse Kanäle der globalen Telekommunikation auch innerhalb von Diktaturen einwirkt und autoritäre Regime zunehmend unter Druck setzen kann. Des Weiteren werden Nationalstaaten und transnationale Unternehmen aufgrund der aufmerksam beobachtenden Weltöffentlichkeit und ihrer zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu aufgefordert, Rechenschaft über ihre Handlungen abzulegen bzw. sich gemäß menschen-, sozial- und umweltrechtlicher Standards zu verhalten. (vgl. Messner/Nuscheler, 2003, S.33)
[...]
[1] Beck unterscheidet zwischen Globalismus (Ideologie der Weltmarktherrschaft; der Weltmarkt hat politisches Handeln verdrängt oder ersetzt), Globalität (wir leben in einer Weltgesellschaft; die Vorstellung geschlossener Räume wird fiktiv) und Globalisierung (beschreibt Prozesse, durch welche die Souveränität der Nationalstaaten durch transnationale Akteure unterlaufen und querverbunden werden). (vgl. Beck, 1997, S.26-29)
[2] Vgl. dazu das Buch „Mythen der Ökonomie“, herausgegeben vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts-, und umweltpolitische Alternativen (Hamburg, 2005), welches Antworten und Aufklärung zu den häufigsten Argumenten bietet.
[3] Vgl. hierzu den Begriff des „Lobbyings“, der (vom Duden Fremdwörterbuch ) als die „Beeinflussung von Abgeordneten durch Interessensgruppen“ definiert wird.
[4] Bedingt durch den technischen Fortschritt und die Anbindung an globale Kommunikationsnetze ist es möglich, von nahezu jedem Ort der Welt aus bestimmte Tätigkeiten für ein Unternehmen durchzuführen (bis hin zur Teilnahme an Konferenzen mittels Videoschaltung in Echtzeit über das Internet), sofern die Infrastruktur vorhanden ist. „Globalisierung ist die Kompression von Raum und Zei t“ (Menzel, 2001, S.226)
[5] Dieser Begriff wurde von Karl Polanyi in seinem Werk „The Great Transformation“ (1944) geprägt und bezeichnet den Übergang von nicht-marktwirtschaftlichen Gesellschaften (in denen wirtschaftliche Aktivitäten in einen kulturellen Zusammenhang eingebettet waren) zu Gesellschaften der freien Marktwirtschaft. "Mit diesem Begriff sollen die tiefen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturbrüche angemessen auf den Punkt gebracht werden." (Altvater/Mahnkopf, 2004, S.30)
[6] Quelle: http://www.worldbank.org/wbi/governance/about.html#approach
(Zugriff: 20.11.2005)
[7] Weltbank, IMF, UNDP (United Nations Development Programm) und OECD
[8] eine Konzeption, die auch mit Nicht-Regierungsorganisationen abgestimmt ist, wäre sinnvoll, damit es von diesen auch mitgetragen wird.
[9] Begriffsdefinitionen: „Transparent“: Entscheidungen werden auf Basis von Gesetzen getroffen und Informationen darüber sind in verständlicher Form verfasst und leicht zugänglich; „Responsive“: Institutionen und Entscheidungsprozesse stehen allen Bürger/innen innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens zur Verfügung..
Quelle: http://www.unescap.org/huset/gg/Governance.htm - Zugriff: 15.11.2005
[10] Vgl. dazu den Artikel von Yves Dezalay und Bryant Garth: „Kaderschmieden der Entwicklungspolitik“, Le Monde Diplomatique (Nr. 7686) vom 10.06.2005;
verfügbar unter: http://www.taz.de/pt/2005/06/10.1/mondeText.artikel,a0081.idx,21
[11] Globale Öffentliche Güter (GPG), deren Präsenz in der internationalen Diskussion auf ein im Jahr 1999 erschienenes gleichnamiges Buch des United Nations Development Programm (UNDP) zurückgeht, sind in ihrer Bedeutung grundsätzlich unabhängig von nationalstaatlichen Grenzen. Die Effekte der Verteilung beziehen sich auf die Mehrheit der Bevölkerung aller Staaten und sollen auch für die nachfolgenden Generationen verfügbar sein. In der engeren Auslegung beziehen sich GPG vor allem auf den Umweltbereich, wie z.B. auf die Erhaltung der Artenvielfalt, den Schutz der Ozonschicht, die Sicherung der globalen Wasservorräte oder die Umkehrung der Bodenerosion. Weiter gefasst beziehen die globalen Gemeinschaftsgüter auch die Erhaltung des kulturellen Erbes, die Einhaltung der Menschenrechte oder die Stabilität der Finanzmärkte mit ein. So ergeben sich zwei verschieden „Arten von GPG,“ einerseits die natürlichen, andererseits die vom Menschen geschaffenen Gemeinschaftsgüter. Zu den Prioritäten der Ersteren zählen: Schutz des Klimas, Schutz der Biodiversität, Schutz der Wälder und Schutz der Meere. Die Prioritäten der zweiten Gruppe liegen im Frieden (inkl. der internationalen Sicherheit), in der Geltung des Völkerrechts, dem Schutz der Menschenrechte, der Chancengleichheit (inkl. der internationalen Gerechtigkeit), der Gesundheit (insbesondere dem Schutz von HIV/Aids und anderen Infektionskrankheiten) und im Bereich Wissen bzw. Information. (vgl. Martens/Hain, 2002, S.5-19)
[12] Die Auflistung dieser Rechte und Pflichten findet sich im Bericht der UN-Commission on Global Governance „Nachbarn in einer Welt“, 1995 (Hrsg.: Stiftung Entwicklung und Frieden)
[13] Nachhaltige Entwicklung soll den Bestand an natürlichen Ressourcen erhalten und schützen, damit diese auch für zukünftige Generationen vorhanden sind. Das „Dreieck der Nachhaltigkeit“ ist die Balance zwischen ökologischem Gleichgewicht, Sozialer Gerechtigkeit und Ökonomischem Wachstum. Eine anerkannte Definition des Begriffs Nachhaltigkeit wurde 1987 im Bericht „Our Common Future“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (UNWCED) der UNO festgeschrieben, der unter dem Namen Brundtland-Bericht (bzw. Brundtland Report) bekannt ist.
[14] Souveränität beinhaltete bisher unter anderem die Unverletzbarkeit von Grenzen, das Verbot der Einmischung in innerstaatliche politische Angelegenheiten und die Verfügungsgewalt des Staates über gesellschaftliche Verhältnisse.
[15] Wobei nicht auf eine konkrete Umsetzung dieser Einbindung eingegangen wurde.
[16] Der Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council, ECOSOC) umfasst 54 Mitglieder, die für jeweils 3 Jahre ihre Staaten in diesem Rat vertreten. Seit 1997 wird jährlich eine 4-wöchige Sitzungsperiode abgehalten, zu der fallweise auch Nichtmitglieder, Beobachter oder Vertreter von Sonderorganisationen eingeladen werden, die jedoch über kein Stimmrecht verfügen. Der Rat verfügt über 9 funktionale Kommissionen und 5 regionale Wirtschaftsorganisationen, 4 ständige Ausschüsse, sowie eine ständig wechselnde Anzahl von Arbeitsgruppen und Expertengremien. Die Befugnisse des ECOSOC, der sich vornehmlich mit Fragen der Entwicklung in armen Ländern beschäftigt, sind begrenzt und unterliegen der Autorität der Generalversammlung. Mit der Schaffung von Spezialorganen (wie dem United Nations Development Program UNDP oder der Konferenz für Handel und Entwicklung) wurden dem ECOSOC weitgehend die Kompetenzen für diesen Bereich entzogen, sodass die Menschenrechtskommission eines der wenigen letzten operativen Betätigungsfelder darstellt. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.58-59)
[17] die vor allem Machtverslust fürchten
[18] Die International Labor Organisation (ILO) mit Hauptsitz in Genf wurde 1919 im Zuge des Friedensvertrags von Versailles gegründet und ist seit 1946 eng mit den Vereinten Nationen verbunden. Sie setzt sich im Allgemeinen für die Durchsetzung minimaler arbeitsrechtlicher Standards und die Legitimierung von gewerkschaftlichen Organisationen (für Arbeiter und Angestellte) ein.
(Quelle: http://www.ilo.org/public/english/about/index.htm, Zugriff: 08.01.2006)
[19] Auch, da Zulieferbetriebe und Partner von der Selbstverpflichtung ausgenommen sind.
[20] Z.B.: Unilever, Deutsche Bank, DaimlerChrysler, Royal Dutch Shell, Dupont und Nike. Zehn Unternehmen aus Österreich haben den Global Compact bisher unterzeichnet, u. a.: Adecco Austria, EVN AG, OMV AG, Wienerberger AG, VA Technologie AG, wobei zwei davon Organisationen der Vereinten Nationen sind (UNIDO und UNODC). (Stand 01/2006)
[21] http://www.globalcompact.org
[22] Die Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) geht auf eine Initiative des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt (gest. 1992) zurück. 1986 wurde die Stiftung ins Leben gerufen, Gründungsmitglieder waren Willy Brandt, Ministerpräsident Johannes Rau, Kurt H. Biedenkopf, Ralf Dahrendorf, Friedhelm Farthmann, Uwe Holtz, Klaus Dieter Leister, Dieter Senghaas und Carola Stern. Weitere Informationen: http://www.sef-bonn.org
[23] Weitere Informationen über das INEF: http://inef.uni-duisburg.de
[24] Nordamerika, Westeuropa und Japan (bzw. teilweise Südostasien).
[25] Als Public Private Partnership (PPP) wird eine langfristige, vertraglich abgesicherte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft verstanden, deren Nutzen in der Bündelung von erforderlichen Ressourcen zur Erreichung von einem oder mehreren gemeinsamen Zielen liegt und bei welcher die Risiken und die Verantwortung eines Projekts optimal verteilt werden können. So zieht sich der Staat nicht vollkommen aus den Aufgaben zurück, die bislang als Verpflichtungen der öffentlichen Hand wahrgenommen wurden. Der Vorteil für den Staat besteht hauptsächlich in der Erschließung neuer finanzieller Ressourcen, sodass auch kostenintensive Projekte realisiert werden können. Für die Privatwirtschaft ergeben sich aus der Partnerschaft neue Geschäftsfelder (z.B.: als Betreiberfirma), die zur Steigerung von Unternehmensgewinnen benötigt werden. Derzeit finden PPP-Modelle hauptsächlich in Infrastrukturprojekten Verwendung, etwa beim Bau von Umfahrungen oder Tunnels, aber auch im Immobilienbereich, zum Beispiel im Zuge von Renovierungen oder Sanierungen.
[26] Neokorporatismus bezeichnet die Einbindung von organisierten Interessen in die Politik und deren Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Durch diese Funktion soll vor allem in jenen Problembereichen eine (Selbst)Regulierung ermöglicht werden, die weder einem Marktmechanismus folgen, noch mittels Staatsintervention bearbeitet werden können. Die (meist vorhandenen) Eigeninteressen der privaten Akteure sollen dabei im Allgemeininteresse aufgehen. (Quelle: Internet: Bundeszentrale für politische Bildung: Handwörterbuch des politischen Systems in Deutschland: Neokorporatismus,
http://www.bpb.de/wissen/01275914909434604335614077813943, Zugriff: 03.01.2006)
[27] unter anderem im Reformbericht zum Milleniumsgipfel (2000)
[28] Gegenstand der Kritik ist vor allem die Vielzahl an Institutionen, die zu großen und schwerfälligen (Personal)Strukturen und anachronistischen Arbeitsweisen. Ebenso wird der UNO verschwenderischer Umgang mit dem Geld der Mitgliedstaaten vorgeworfen.
(vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.289)
[29] Die Autoren werden von Messner und Nuscheler nicht explizit genannt.
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