Durch den Global Marshall Plan zu einer neuen Weltordnung? Eine Organisationsanalyse


Mémoire de Maîtrise, 2006

169 Pages, Note: 1,00


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

- Einleitung

A. THEORETISCHER HINTERGRUND
1. Das Global Governance Konzept
1.1. Thematiken der Globalisierung
1.2. Global Governance
1.2.1. Der Begriff Governance – eine Verortung
1.2.2. Die Vision einer globalen Weltordnungspolitik
1.3. Global Governance Strategien
1.3.1. Commission on Global Governance
1.3.2. Der Global Compact
1.3.3. Die Vereinten Nationen und Global Governance
1.3.4. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)
1.4. Institutionen und Blockaden
1.4.1. Die Reform der Vereinten Nationen als Baustein in der Global Governance Architektur
1.4.2. Blockaden und Kernprobleme
1.5. Die Rolle der Nicht-Regierungsorganisationen im Global Governance Konzept
1.5.1. Daten
1.5.2. Historischer Rückblick – Zivilgesellschaft
1.5.3. Nicht-Regierungsorganisationen und Neue Soziale Bewegungen
1.5.4. Nicht-Regierungsorganisationen und Global Governance
1.6. Kritik am Global Governance Konzept
2. Skizzen ausgewählter Organisationstheorien
2.1. Begriffe und Forschungszugänge
2.2. Allgemeine Entwicklung der Organisationssoziologie
2.3. Betriebswirtschaftliche Organisationstheorie
2.4. Administrationstheorie
2.5. Bürokratietheorie
2.6. Human Relationstheorie
2.7. Systemtheorie
2.8. Kontingenztheorie
2.9. Soziotechnische Integrationstheorie
2.10. Weitere Ansätze
2.11. Netzwerk und Netzwerkanalyse
2.11.1. Geschichte der Netzwerkanalyse
2.11.2. Forschungsfelder

B. EMPIRISCHER TEIL
- Forschungsinteresse
- Hypothesen
3. Analyse der Global Marshall Plan Initiative
3.1. Die Global Marshall Plan Initiative (GMPI)
3.1.1. Der Global Marshall Plan
3.1.2. Finanzierungsinstrumente
3.1.3. Ökosoziale Marktwirtschaft
3.1.4. Der Global Marshall Plan und das Global Governance Konzept
3.1.5. Die Entwicklung der Initiative
3.1.6. Organisationsstruktur
3.1.7. Finanzierung und Tätigkeiten
3.2. Analyse der Organisation
3.2.1. Unabhängige Organisationsvariablen
3.2.1.1. Ziele
3.2.1.1.1. Begriff und theoretische Bedeutung der Ziele
3.2.1.1.2. Praktische Festlegung und empirische Ermittlung der Ziele
3.2.1.1.3. Veränderung der Organisationsziele
3.2.1.2. Instrumente
3.2.1.2.1. Begriff und theoretische Bedeutung der Instrumente
3.2.1.2.2. Menschliches Instrumentarium
3.2.1.2.3. Andere Instrumente
3.2.1.2.4. Beziehungen zwischen Instrumenten und Ziele
3.2.1.3. Bedingungen
3.2.1.3.1. Begriff und theoretische Bedeutung der Organisations­bedingungen
3.2.1.3.2. Organisationskultur als Organisationsbedingung
3.2.2. Abhängige Organisationsvariablen
3.2.2.1. Strukturen
3.2.2.1.1. Begriff und allgemeine Bedeutung der Organisations­strukturen
3.2.2.1.2. Rollenstrukturen
3.2.2.1.3. Leitungsstrukturen
3.2.2.1.4. Kommunikationsstrukturen
3.2.2.1.5. Autoritätsstrukturen und Führungsstile
3.2.2.1.6. Beziehungen zwischen Strukturen und unabhängigen Variablen
3.2.2.2. Funktionen
3.2.2.2.1. Soziale und interne Funktionen
3.2.2.2.2. Beziehungen zwischen Funktionen und unabhängigen Variablen
3.2.2.3. Verhalten
3.2.2.3.1. Begriff und allgemeine Bedeutung des Organisations­verhaltens
3.2.2.3.2. Ziel- und nicht Ziel orientiertes Organisationsverhalten
3.2.2.3.3. Beziehungen zwischen Verhalten und anderen Variablen
3.3. Darstellung der Ergebnisse der SWOT Analyse
3.4. Kritik am Global Marshall Plan
4.
Einstellung und Interesse der Bevölkerung

4.1. Beschreibung des Datensatzes
4.2. Auswertung der Daten
4.2.1. Demographische Daten
4.2.2. Analyse der potentiellen Variablen für eine Faktorenanalyse
4.2.3. Explorative Faktorenanalyse
5. Rückschlüsse auf die Forschungsfragen
und Prüfung der Hypothesen
6. Abschließende Betrachtung

C. ANHANG
C.1. Literaturverzeichnis
C.2. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
C.3. Transkript des Experteninterviews
C.4. CV Florian Huber

-Einleitung

„Niemand würde bestreiten,

dass wir in einer zunehmend globalisierten Welt leben.

Aber damit hört der Konsens schon auf.“

(Heath/Potter, 2005, S.395)

Globalisierung ist ohne Zweifel einer der prominentesten Begriffe unserer Zeit. Neben der Beschreibung von ökonomischen Wirkungs­zusammen­hängen dient er auch zur Begründung von Problemen, die im globalen Kontext auftreten. So werden damit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive jene gesellschaftlichen und politischen Veränderungen beschrieben, welche die soziale Ungleichheit auf globaler Ebene weiter forcieren. Im Gegensatz zur Option der Umgestaltung besteht jedoch nicht die Möglich­keit einer generellen Umkehrung des Prozesses, hin zu einer nicht-globalisierten Welt. (vgl. Beck, 1997, S.29)

Angesichts der Heraus­forderungen, mit denen unsere Gesellschaften derzeit konfrontiert sind, sind derartige Überlegung im Grunde relativ un­erheblich. Faktum ist, dass etwas getan werden muss, um diese Probleme zu bewältigen. Hier knüpft das Global Governance Konzept an, indem es Wege sucht, wie die inter­nationalen Institutionen in sinnvoller Weise unter­einander und mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren verknüpft werden können, um etwa die Fragen der Sozialen Ungleichheit, des Friedens oder der Umwelt­problematik im globalen Kontext lösen zu können. Um den nötigen Druck auf die Politik zu erzeugen, Reformprozesse in Gang zu setzen und die Bevölkerung mit einzubinden, bedarf es eines regen Engagements aus der Zivilgesellschaft, da dadurch aufgezeigt wird, dass den Menschen diese Probleme und deren Lösung ein Anliegen sind, um, im Sinne der Nachhaltigkeit, auch zukünftigen Generationen ein würdiges Leben zu ermöglichen.

In der vorliegenden Arbeit wird versucht herauszufinden, inwieweit die relativ junge zivilgesellschaftliche Organisation Global Marshall Plan Initiative dazu imstande ist, einen Beitrag in Richtung einer Global Governance Architek­tur zu leisten. Somit wird in dieser Arbeit sowohl ein organisationssoziologischer Ansatz verfolgt, als auch auf das Thema der zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die ein Motor für gesellschaftliche Veränderung sein können, eingegangen. Zudem wird ein möglicher Lösungsansatz für das Problem der Sozialen Ungleichheit näher betrachtet.

Zu diesem Zweck werden im ersten Teil der Arbeit unterschiedliche Aspekte von Global Governance vorgestellt, um anschließend, da es sich bei der Initiative um einen zivilgesellschaftlichen Akteur handelt, in Kapitel 1.5. die Rolle der Nicht-Regierungsorganisationen innerhalb der Global Gover­nance Archi­tek­tur zu beschreiben und im Hinblick auf die Global Marshall Plan Initiative herauszufinden, welche Merkmale für diese zutreffend sind. Danach erfolgt unter Punkt 1.6. die Dar­stellung einiger kritischer Positionen zu diesem Konzept. Der Punkt 1.7., welcher einige weitere Beispiele für Ansätze globaler Steuerung behandelt, dient hingegen rein zur Übersicht und besitzt somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da es im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher möglich wäre. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit einigen bedeutenden Organisations-­ und Netzwerktheorien, die wesentlichen Einfluss auf die Organisations­analyse genommen haben. Diese wird schließlich im dritten Kapitel, nach einer Be­schreibung des Global Marshall Plans, an der Organisation durchgeführt, um Aufschluss über die Struktur, die Ziele, die Ressourcen, die Probleme und die Selbst­ein­schätzung zu erlangen. Zusätzliche Erkenntnisse darüber liefert auch die SWOT Analyse, deren Ergebnisse unter Punkt 3.3. dargestellt sind, worauf­hin unter Punkt 3.4. eine Zusammenfassung von kritischen Stellung­nahmen zum Global Marschall Plan folgt. Um auch die Meinung der Bevölkerung zu den Themen Globale Steuerung, zivilgesellschaftliches Engagement und Politikinteresse mit einzubeziehen, wird im Kapitel 4 eine Faktorenanalyse anhand einer Auswahl von Variablen aus dem Datensatz des European Social Survey 2002/2003 durchgeführt. Nach dieser Auswertung und der Beschreibung der Faktoren wird schließlich auf die Fragen und Hypothesen eingegangen, welche den Aufbau der gesamten Arbeit wesent­lich bestimmt haben.

Eine umfassende Darstellung der Forschungsfragen und Hypothesen ist zu Beginn des zweiten Teils der Arbeit (B. Empirischer Teil) zu finden.

A. Theoretischer Hintergrund

1. Das „Global Governance Konzept“

1.1. Thematiken der Globalisierung

Die Entwicklungen und Phänomene, welche der Einfachheit halber gerne unter dem Begriff Globalisierung subsummiert werden, besitzen bei weitem nicht die Homogenität, mit welcher sie gerne dargestellt werden. Zum einen verlaufen die Entwicklungen verschiedener Gesellschaften äußerst kontro­vers, da sich einige Staaten und Gesellschaften zwar zu größeren Ver­bän­den vereinigen, andere sich wiederum von eben diesen aufgrund religiöser oder ethnischer Zu­gehörigkeiten abkoppeln bzw. ausgegrenzt werden. Die Ökonomie sieht sich einerseits im globalen, also Welt umspan­nenden Wett­bewerb integriert, anderer­seits gewinnt Regionalität in Ver­bindung mit dem Konzept der Nachhaltigkeit unter anderem in der Land­wirtschaft wieder zunehmend an Bedeutung, wobei sich die Frage stellt, ob dieser Umstand nicht auch zu Zwecken der Vermarktung eines gesellschaft­lichen Trends derart massiv beworben wird.

Dass die ökonomische Globalisierung keine unkontrollierbare Naturgewalt ist, verdeutlicht schon der Umstand, dass sie im Grunde das Resultat von voran­gegangenen politischen Entscheidungen auf Ebene der Staaten ist.[1] Durch die Innovationen im Bereich der Telekommunikation hat sie sicherlich eine neue Qualität erreicht, welche die Beschleunigung weiterhin vorantreibt. Dennoch bestehen nach wie vor Institutionen, die, basierend auf Konsens­ebene der beteiligten Staaten, wirtschaft­liche Ent­wicklungen forcieren oder ab­schwächen können. (vgl. Von Plate, 2003, S.3)

Die unterstellte Dichotomie zwischen der globalen Wirtschaft und der Politik ist nach Ansicht mancher Autoren ein reines Konstrukt, welches in der Realität nicht existiert. Der globalisierte Weltmarkt ist vielmehr ein Projekt, welches durch den Einfluss von neoliberal orientierten Eliten auf die politischen Ent­scheidungs­träger/innen zustande kam, mit dem Ziel, den globalen Kapitalismus neu zu strukturieren und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu verschieben. (vgl. Brand et al., 2000, S.139)

Die Diskussion um die Richtung der Globalisierung und die damit ver­bundenen Beschreibungs- und Begründungsansätze für Umbrüche und Ver­änderungen, die in nahezu allen Gesellschaften stattgefunden haben und weiterhin stattfinden, hat vor allem in den letzten Jahren, nachdem diese Entwicklungen offensichtlich wurden und eine Vielzahl von Menschen (negativ) betroffen haben, massiv an Präsenz gewonnen. Einen wichtigen Aspekt stellt dabei die Frage nach der Gestalt­barkeit und den Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung dar, die in den Jahrzehnten davor bereits mit dem Begriff der Internationalisierung beschrieben wurde, um die Zunahme der wirtschaftlichen Aktivitäten zwischen den Nationen zu be­schreiben. (vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.15) Die vielseitige Verwendung des Begriffs Globalisierung drückt sich unter anderem dadurch aus, dass einerseits der Bedeutungsverlust nationaler Grenzen beschrieben wird, andererseits verschiedene Handlungsanleitungen (wie etwa der Freihandel oder die Vereinheitlichung der Bildungssysteme) damit begründet werden. So werden in diesem Sinn unterschiedlichste wirtschaftliche, kulturelle und politische Positionen vertreten, wodurch die Gefahr besteht, dass Globali­sierung zum reinen Kampfbegriff werden könnte und dadurch seine deskriptive Bedeutung verliert. (vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.16)

In seiner ursprünglichen Bedeutung beschreibt Globalisierung die Veränder­ungen, mit denen Gesellschaften seit cirka 20 bis 30 Jahren konfrontiert sind. Der Begriff thematisiert den Umstand, dass keine wirtschaftlichen, ökologischen, politischen und kulturellen Themen außerhalb des globalen Kontextes diskutiert werden können. (vgl. Müller, 2002, S.7) Trotz­dem manche Autor/innen die Existenz einer globalen Wirtschaft verneinen, da sie von einer verhältnismäßig geringen Dichte der Wirtschafts­bezieh­ungen außerhalb jenes Pols von Staaten bzw. Staatengemeinschaften, die in der Wirtschaftsgeographie als „Triade“ bezeichnet werden (USA, EU, Japan), ausgehen, kann die Zunahme des weltweiten Handels sowie die Zunahme der Auslagerungen von Produktions­standorten nicht verleugnet werden.

(vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.19)

In der Literatur ergibt sich daher ein Richtungsstreit, je nachdem, ob Globalisierung eher positiv oder eher negativ verstanden wird, beziehungs­weise ob die Chancen oder die Gefahren überwiegen, oder ob sie überhaupt existiert. So ergeben sich diesbezüglich folgende unterschiedliche Positionen:

- Die Argumentation jener, die den Entwicklungen positiv gegen­überstehen, beläuft sich darauf, dass anstatt der Menschenrechte nun Weltbürgerrechte treten, deren Geltung gegen den Willen der einzelnen Staaten durchgesetzt werden kann, da sich diese gegenüber einer Welt­bürger­gesellschaft zu verantworten haben, die jedoch, so die Kritik an dieser Argumentation, in der Realität in dieser (idealisierten) Form nicht existiert. Die größere Chance wird zudem eher in der Ausweitung des Freihandels und der damit verbundenen internationalen Arbeitsteilung, die eine Zunahme des weltweiten Wohlstands zur Folge haben sollte, gesehen. Dass Flexibilisierung und Konkurrenzdruck nicht für alle Produzent/innen positive Folgen haben, klammern die Befürworter/innen dieser Maßnahmen meist aus.
- Neben der Ansicht von Autor/innen, welche Globalisierung als etwas, in dieser Form nicht existentes beschreiben, gibt es andere, welche die Drama­tisie­rung der derzeitigen Entwicklungen nicht nachvollziehen können. Ihrer Argu­men­tation zufolge gab es Ver­flech­tungen der Wirtschaft (über national­staatliche Grenzen hinaus) bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Dieser Umstand ist zwar mittels Daten belegbar, es wird jedoch die ungleich größere Notwendigkeit zur Entwicklung von Handlungsstrategien und Re­gelungen, die aufgrund des Souveränitäts­- und Machtverlusts von National­staaten nötig geworden sind, negiert, ebenso wie die Verschieden­heit der damaligen zur aktuellen Problem­lage.
- Eine weitere Gruppe von Autor/innen wiederum geht davon aus, dass Globalisierung einer Interessensgruppe zur Rechtfertigung des Abbaus von Sozialleistungen und von demokratischen Rechten dient. Der öffentliche Diskurs wird ihrer Ansicht nach in eine Richtung dramatisiert, die es möglich macht, unliebsame Maßnahmen und Kürzungen in sozialen Bereichen mit Hilfe der Argumente „Standort“ oder „Wett­bewerbsfähigkeit“ durchzusetzen.[2]
- Zudem werden die Spaltungslinien, die sich zwischen den Gesellschaften in den unterschiedlichen Regionen der Erde (z.B.: zwischen Norden und Süden) befinden, nicht mehr durch vereinfachende Begriffe wie „erste,“ „zweite“ oder „dritte“ Welt ausreichend erklärt. Es treten neue, wesen­tlich komplexere Muster auf, die sich sowohl auf Armut und Reichtum, als auch auf Sektoren der Wirtschaft beziehen und durch die Auflösung der traditionellen Lebensformen (Individualisierung) und Grenzen verstärkt werden. Dennoch wäre es falsch, daraus zu schließen, dass die Divergenz der Spaltungslinien mit den politischen Grenzen grundsätzlich eine grenzen­lose Globalisierung er­möglicht. Ständig neue und zum Teil unsichtbare Barrieren bestimmen nach wie vor über die Chancen, die privilegierten Gesellschaften offen stehen und marginalisierte Gruppen exkludieren. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 2004, S. 25-29)

Die Auflösung der traditionellen individuellen und institutionellen Be­zieh­ungen durch den Einfluss der Globalisierung wird von Ulrich Beck in seinem Buch „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ (1986) mit dem Modell der dreifachen Individualisierung beschrieben, das sich wie folgt zusammensetzt: Zuerst erfolgt die Heraus­lösung aus traditionellen Lebens­lagen und sozialen Bindungen, die Beck als die „Freisetzungs­dimension“ bezeichnet. Als „Entzauberungs­dimension“ be­schreibt er den an­schließen­den Verlust der traditionellen Sicherheiten in Bezug auf Glauben, Handlungswissen und Normen, der schließlich in eine neue Art der sozialen Einbindung mündet („Reintegration­sdimension“). Der Autor versteht In­dividuali­sierung als gesell­schafts­geschichtliche Kategorie und weniger unter dem Aspekt der Einmaligkeit oder der Emanzipation. Sein Forschungs­interesse gilt in erster Linie der Biographie­forschung und den Veränderungen in den Lebensläufen, welche durch die neuen Bedingungen auf dem Arbeits­markt, in den Bildungssystemen oder in anderen Bereichen, die größeren Umbrüchen aufgrund der Globalisierung unterworfen sind, aus­gelöst werden (vgl. Beck, 1986, S.207).

Als Konsequenz der Herauslösung der Biographie aus traditionellen sozialen Vorgaben ergibt sich zwangsläufig, dass der Lebenslauf durch Entscheidungen gestaltet und durch das eigene Handeln bestimmt werden kann. Ulrich Beck beschreibt diesen Umstand mit dem Begriff „selbst-reflexiv.“ (vgl. Beck, 1986, S.216) Es ergeben sich zahlreiche wählbare Kombinationsmöglichkeiten, die jedoch erstens nicht für alle gleich vorhanden sind und zweitens das eigene Ich unweigerlich in den Mittel­punkt rücken. Die Ich-Zentrierung des Weltbildes ist daher die Vor­aussetzung für ein erfolg­reiches Überleben in der neu entstandenen Gesellschafts­ordnung.

In Bezug auf die Individualisierung, wie sie von Beck beschrieben wurde, muss jedoch angemerkt werden, dass sich dieser Vorgang vornehmlich in den Industriestaaten der westlichen Hemisphäre vollzieht und die Einbettung der Individuen in die Familie bzw. ihr soziales Umfeld in Gesellschaften des Südens nach wie vor sehr stark ist.

In Gesellschaften des Nordens werden die traditionellen (Herrschafts­-) Beziehungen, aus denen das Individuum herausgelöst wird, von den Zwängen des Arbeits­marktes und der Konsumwelt ersetzt, die wiederum eine Vielzahl von Standardisierungen und Kontrollen beinhalten. Diese „sekundären Instanzen und Institutionen“ (Beck, 1986, S.211) prägen die Lebensläufe der Menschen, indem sie von Moden, Verhältnissen und Markt­entwicklungen abhängig werden und dadurch „institutionelle Lebens­laufmuster“ (Beck, 1986, S.211) annehmen, was Beck zu der Schluss­folgerung bringt:

„Individualisierung bedeutet Markt­abhängigkeit in allen Dimensionen der Lebensführung.“ (Beck, 1986, S.212)

Die Veränderungen, die sich aufgrund der Neuerungen und dem Gewinn an Gestaltungs­macht der verschiedenen Ebenen ergeben, stellen auch die Politik vor neue Aufgaben. Der Wandel des Verhältnisses von Politik und Gesellschaft ergibt sich einerseits durch neue Möglichkeiten zur demo­kratischen Partizipation und andererseits aufgrund der verstärkten Wahr­nehmung der Interessen in den Bereichen der Wirtschaft und der Arbeit. So erfolgt eine Ausdifferenzierung zwischen einem politisch-administrativen und einem technisch-ökonomischen System, welches in der Tradition eher dem Nichtpolitischen zugeordnet wurde, obwohl es schon immer als Entscheidungs­grundlage für Ersteres diente. (vgl. Beck, 1986, S.301) Durch die wachsende Freiheit der Märkte, die zunehmend in das Feld der Politik hineinspielen, ergibt sich das Problem, dass nur mehr ein Teil der Entscheidungen, die für eine Gesellschaft wesentliche Bedeutung haben, innerhalb demokratischer Gremien getroffen wird. Der andere Teil wird der öffentlichen Kontrolle entzogen und mittels informeller Gespräche abgewickelt.[3] Die Politische Soziologie hat sich intensiver mit der Einflussnahme von Interessensverbänden auf den Gesetzgebungsprozess beschäftigt und in mehreren empirischen Untersuchungen ab den 1960er Jahren nachgewiesen, dass dieser Einfluss am deutlichsten in jener Phase der Gesetzgebung einsetzt, bei der sich der Entwurf in einem parlamentarischen Ausschuss befindet, bis hin bis zur entgültigen Verabschiedung. (vgl. Stammer/Weingart, 1972, S.198) Theoretischen Unterbau für diese Entwicklung, also dem Abzug von Entscheidungsgewalt aus dem Feld der Politik, liefert unter anderem die von Friedrich von Hayek beeinflusste ökonomische Verfassungstheorie. Darin werden die Aufgaben des Staates auf wenige Punkte, wie die Sicherung der individuellen Freiheitsrechte, den Schutz des Privateigentums, die Verfügbarkeit einer geregelten Geldversorgung und die Garantie des freien Wettbewerbs, beschränkt. (vgl. Müller, 2002, S.44)

Durch den Druck der globalen Ökonomie dürfen demnach die National­staaten ihre Monopolstellung zur räumlichen Ein- oder Ausgrenzung des Marktes nur mehr bedingt aufrechterhalten, da nationalstaatliche Grenzen die wirt­schaftlichen Trans­­aktions­­kosten steigern. Um die Produktions- und Dienstleistungs­unter­nehmen im eigenen Land nicht gegenüber dem Weltmarkt zu benachteiligen, ist es deshalb ihre Aufgabe, einen Teil der politischen Kontrolle zugunsten der, nach dem Prinzip der Rationalität handelnden Ökonomie abzu­geben. Somit operieren die Staaten zunehmend nach der Logik des Standortwettbewerbs, was sich unter anderem in Steuer­erleichter­ungen für Unternehmen (die so aus ihrer gesellschaftlichen Ver­antwortung ent­lassen werden), der Reorganisation der Wissenschaft nach dem Prinzip der ökono­mischen Verwertbarkeit und den Privatisierungen von staatlichen Unter­nehmen manifestiert.

Eine direkte und spürbare Auswirkung dieser Entwicklung ergibt sich zudem für jene Teile der Bevölkerung, die erwerbstätig sind. Die Quantität, also die Menge an vorhandener Arbeit und Erwerbstätigkeit ist gefährdet, da ein globaler Weltmarkt nicht unbedingt Wachstum, sondern eher den Abbau von Beschäftigung zur Folge hat. Vor allem große Unternehmens­zusam­men­schlüsse wirken sich negativ aus, da die Ziele von Um­strukturierungen entweder die Zerstückelung und der anschließende Verkauf sind, oder aber die Entlassung einer großen Anzahl von Mitarbeitern den Ratio­nalisierungs­maßnahmen nachfolgt. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, 1996, S.262-263)

Auch bei Direktinvestitionen in ausländische Produktions­standorte sind, wie auch empirisch belegt ist, die Be­schäftigungs­­zuwächse nur gering bis negativ, da Arbeits­plätze eher inner­halb des Unternehmens umverteilt, anstatt neu etabliert werden. Selbst bei arbeitsintensiven Aktivitäten, von denen anzunehmen wäre, dass bei einer Auslagerung die Schwellen- und Entwicklungsl­änder vom Zuwachs an Arbeits­plätzen profitieren könnten, verfolgen Unternehmen eher die Stra­tegie, durch höhere Investitionen in Produktions­anlagen den Bedarf an Beleg­schaft geringer zu halten als bisher. So wird der Faktor Arbeit, trotz der ohnehin schon geringen Kosten, durch Kapital ersetzt, um weitere Ratio­nalisierungs­effekte zu erzielen. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, 1996, S.266)

Neben dem Verlust von Arbeitsplätzen ergeben sich für die Industrieländer Probleme bezüglich der Qualität der Stellen, da auch Berufe mit hohen Qualifikations­­anforderungen durch die Möglichkeiten der Aufwertung eines Wirtschaftsstandortes[4] verlagert werden können und so der historische Anspruch auf die lukrativen Arbeitsplätze schwindet. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, 1996, S.268) In einigen Ländern mit niederem Lohnniveau sind bereits hoch qualifizierte Arbeitskräfte, eine gute Infrastruktur und andere wichtige Faktoren vorhanden, wodurch der Konkurrenzdruck zwischen den Staaten um das beste Standortangebot weiter steigt und auch sogenannte „Billiglohnländer“ dem zunehmendem Verdrängungs­wettbewerb ausgesetzt werden. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 1996, S.272)

Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf fassen folgende Aspekte von Glo­balisierung zusammen, wodurch eine Eingrenzung des Begriffs vollzogen wird: „Wir schlagen vor, (...), Globalisierung als Prozess der Transformation einer Gesellschaftsformation zu fassen, als eine „great transformation“[5] des späten 20. Jahrhunderts. (...) Dies ist eine Konsequenz der über alle Grenzen strebenden ökonomischen Beziehungen, der Ausweitung des Welthandels, der Zunahme von grenzüberschreitenden Direktinvestitionen, der Ent­wicklung von globalen Kapitalmärkten und von Migrationsbewegungen.“ (Altvater/Mahnkopf, 2004, S.31)

„Wenn also Globalisierung als Transformationsprozess gefasst wird, (...), können wir eine weitere Gruppe von Ingredienzien des Begriffs der Globalisierung identifizieren: Die Formen der Vergesellschaftungen von Arbeit, Geld, Natur und deren Transformationen müssen als wider­sprüchlicher Zusammenhang, als „Formation“ verstanden werden.“

(Altvater/Mahnkopf, 2004, S.33)

Trotz der sehr umfassenden theoretischen und zumeist auch empirisch belegten Darstellung von Altvater und Mahnkopf bleibt kritisch anzumerken, dass in diesem Werk einerseits der Fokus nahezu ausschließlich auf der ökonomischen Dimension von Globalisierung liegt und andererseits vorhandene positive Aspekte und Entwicklungen ausgeklammert werden. So sind auch transnationale Konzerne in einem Land verankert, von den dortigen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten abhängig und werden von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen mit Nachdruck auf ihre gesellschaftliche Verantwortung hingewiesen. So wird von den Autoren zwar ein sehr umfangreiches und fundiertes „worst-case“ Szenario erstellt, eine mögliche Lösung präsentieren sie aber nicht, da etwaigen Akteuren jegliche Handlungsfähigkeit abgesprochen wird. Diese möglichen Akteure (Vereinte Nationen, Nationalstaaten und Zivilgesellschaft) werden im Global Governance Konzept bewusst hervorgehoben. Dabei müssen zuerst natürlich die Verantwortlichkeiten der Akteure geklärt werden.

Mit der Zunahme der Vernetzung und der Abhängigkeiten ergeben sich konsequenterweise Fragen nach der Zuständigkeit für die Kategorie der größten Weltprobleme, wie Umwelt, Armut und Ungerechtigkeit, Globale Finanz­märkte und Migration, die in ihren verschiedenen Ausformungen in Wech­sel­­wirkung miteinander stehen. (vgl. Müller, 2002, S.10)

So gibt es zwar mit der Einigung auf bestimmte Ziele, wie sie zum Beispiel die Millenium Development Goals (MDGs) der Vereinten Nationen (UNO), auf die weiter unten näher eingegangen wird, oder das Kyoto-Protokoll vorsehen, Vorstöße in die Richtung. Globale Probleme gemein­sam zu lösen, wie etwa das der Klimaerwärmung, ist jedoch durch die Verweigerung der Kooperation durch jene Staaten, die am meisten zu der Erwärmung beitragen, wenig erfolgreich. Es stellt sich also unweigerlich die Frage nach der Verbindlichkeit der Regelungen, wobei dies zugleich auch mit der Frage nach der Souveränität von Staaten verbunden ist.

Ein Konzept, das Vorschläge zur Lösung des Problems der Unverbindlichkeit von gemeinsamen Zielen anbietet, ist das Global Governance Konzept, welches durch eine Reform und Stärkung der UNO und die Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Akteuren die Basis für einen breiten Konsens schaffen sowie die Verbindlichkeit zur Umsetzung erreichen will.

Im folgenden Kapitel wird nun auf diese Idee einer globalen Welt­ordnungs­politik näher eingegangen.

1.2. Global Governance

1.2.1. Der Begriff Governance – eine Verortung

Das englische Wort Governance bedeutet (laut Wörterbuch von Langen­scheidt) Regierungsgewalt, -form oder Herrschaft / Gewalt / Kontrolle.

Im Fremdwörterbuch (Duden) findet sich nur der Begriff gouvernemental, der mit regierungsfreundlich übersetzt wird, allerdings mit dem Verweis, dass dieses Wort bereits veraltet ist. Das Etymologische Wörterbuch (Kluge) ver­weist wiederum auf das lateinische gubernare, das mit lenken übersetzt wird und so jener Bedeutung, unter welcher der Begriff in der Global Governance Diskussion verwendet wird, am ehesten entspricht.

In seiner Grundbedeutung beschreibt der Begriff Governance bzw. Regieren einen Prozess, bei dem für ein bestimmtes Problem eine Lösung gesucht wird, die anschließend durchgesetzt werden kann. Allgemeiner gefasst kann auch die Problem­lösungsfähigkeit des Gemeinwesens verstanden werden und drückt dabei die Offenheit für Kooperationen zwischen staatlichen und privaten Akteuren aus. (vgl. Seckelmann, 2005, S.1)

In diesem Prozess sind demnach mehrere Akteure involviert, von denen ei­ner eine Leitungsposition innehat. Im Fall des National­staates ist dies die Regierung. Daneben existieren, je nach Art und Umfeld des Prozesses, noch zahlreiche weitere Interessensgruppen, welche die Entscheidungen beeinflussen können. Wie etwa die Bürger, die, abgesehen von ihren Einflussmöglichkeiten bei demokratischen Wahlen, auch über eine beliebige Form von gemeinsamer Organisation mit Personen, die gleiche Interessen verfolgen, Druck auf die Regierung ausüben können. Jene Akteure bzw. Organisationen, die demnach weder der Regierung, der Verwaltung, noch dem Militär zugeordnet werden können, bezeichnet man als Zivilgesell­schaft.

Unter Governance kann auch ein System aus Regeln und Kommunikations- bzw. Verwaltungsstrukturen verstanden werden, welches innerhalb der Staaten die Interaktion zwischen Regierung und Regierten beeinflusst und mitgestaltet. (vgl. Jasper, 2004, S.1)

Hierbei steht jedoch eher das effiziente Funktionieren des Gemeinwesens im Vordergrund, welches als verwaltungspolitisches Leitparadigma das staat­li­che Handeln beeinflusst. (vgl. Seckelmann, 2005, S.1)

Die Weltbank definiert Governance als die Traditionen und Institutionen, durch die Autorität in einem Land zum Wohlergehen der Bürger/innen aus­geübt wird. Dies beinhaltet erstens den Prozess, mit Hilfe dessen die Perso­nen, die Autorität ausüben, gewählt, überwacht und ersetzt werden, zweitens ihre Kapazität, Ressourcen gerecht zu verteilen und drittens den Respekt der Bürger gegenüber jenen Institutionen, welche die wirt­schaft­lichen und sozia­len Belange organisieren.[6]

Aus dem Umfeld der internationalen Finanz- und Entwicklungs­hilfe­institutio­nen[7] stammt auch das Konzept Good Governance, welches aus der Erfah­rung geboren wurde, dass finanzielle Hilfen in den Entwicklungsländern oft­mals nicht die gewünschten Effekte erzielten. Die institutionellen Rahmen­be­dingungen rückten somit, unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der Märkte, in den Blickwinkel der Vergabeinstitutionen. (vgl. Seckelmann, 2005, S.4) Durch den Good Governance Anspruch wurden die Zahlungen nunmehr an bestimmte Vorgaben geknüpft, die zu einer Umgestaltung der Insti­tu­tio­nen und Strukturen führen sollten. Nach wie vor gibt es jedoch keine ein­heit­liche Definition des Konzepts[8] und je nach Hauptaugenmerk der „Geberinsti­tution“ stehen unterschiedliche Aspekte im Vordergrund. So ist für die Welt­bank das Management sozialer und ökonomischer Ressourcen ausschlag­gebend – also die Betrachtung der Effizienz des Gemeinwesens, wobei da­bei die jeweiligen Akteure und Handlungs­formen problematischerweise eher außer Acht gelassen werden -, während für die Europäische Union die Ein­haltung der Menschenrechte und die Schaffung demokratischer und rechts­staatlicher Strukturen große Bedeutung hat. (vgl. Jasper, 2004, S.1)

Generell werden im Diskurs um Good Governance aber immer wieder die Begriffe Transparenz, Effizienz, Partizipation, Verantwortlichkeit, Markt­wirt­schaft, Rechtsstaat und Demokratie genannt, welche grundlegende Ver­ga­bekriterien für Kredite der Weltbank wurden. (vgl. Seckelmann, 2005, S.5)

Für die United Nations Economic and Social Commission for Asia and the pacific (UNESCAP) existieren bestimmte Merkmale, die in der Abbildung 1 ersichtlich sind, anhand derer Good Governance eingegrenzt werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Good Governance laut UNESCAP[9]

Neben Schwächen in der Definition und den äußerst vagen Aus­formulierun­gen attestieren Kritiker dem Konzept eine problematische Ausrichtung, welche im Abbau von staatlichen Verwaltungsstrukturen und in der umfassenden Ökono­misierung der Gesellschaften das einzige Heilmittel für jegliche Probleme sieht. Die Politik der westli­chen Industriestaaten stellt demnach die einzig richtige Möglichkeit dar, wie ein Staat organisiert sein müsse, wodurch alternative Politik- und Organisati­onsformen ausgeklammert und als Bad Governance bezeichnet werden, vor allem wenn sie versuchen, nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Ge­sichtspunkten zu agieren.

Die teils massive Kritik an Good Governance Konzepten, im Zuge derer im­mer wieder Vorwürfe des Imperialismus[10] laut wurden und Beurteilungen da­hingehend tendierten, dass die Ausrichtung eher von ökonomischen Interes­sen als dem Wunsch nach gleich berechtigter Partner­schaft geleitet wird, führte zu Überlegungen, wie eine Zusammen­arbeit aller Staaten und Nicht-Regierungs­organisationen in einem internationalen Kontext möglich sein könnte, um, unter Einbeziehung der ärmeren Gesellschaften, eine Lösung der globalen Probleme zu erarbeiten.

Die verschiedenen Formen bilateraler und multilateraler Kooperationen sind zunehmend der Hauptfaktor für die Stabilität eines internationalen Systems. Ebenso besitzen die internationalen Institutionen, welche an diesen Koopera­tionen beteiligt sind, mittlerweile genügend Macht, um Interessens­konflikte zu regeln und eigene Interessen wahren zu können. Um jedoch einen breiten, sprich globalen Konsens erreichen zu können, müssen erstens die Ziele ab­gestimmt und zweitens die nicht-staatlichen Akteure beteiligt werden.

1.2.2. Die Vision einer globalen Weltordnungspolitik

Ein Ausdruck globaler Interdependenz ist, dass ökonomische (und ökologi­sche) Entscheidungen in einem bestimmten Land oder Ort viele andere Län­der oder Orte beeinflussen können, ohne dass die dort lebenden Menschen darauf Einfluss nehmen können. Die zunehmende Ent­teritorialisierung, die durch die Globalisierung vorangetrieben wird, wirft außerdem ein weiteres Problem auf. Die traditionellen Kollektive (also die Nationalstaaten als Iden­tität stiftende Einheit) sind oftmals Auflösungs­tendenzen ausgesetzt, wie es sich durch Regionalisierung und Kollektiv­­zuschreibungen wie Ethnie, Rasse, Religion und Sprache ausdrückt. So diagnostizieren die Autoren, dass die Räume der Wirtschaft mittlerweile mit den Entscheidungen und Einflussmög­lichkeiten der Nationalstaaten nicht mehr kongruent sind, sich also nicht mehr decken. (vgl. Altvater/Mahnkopf, 1996, S. 542-549) Die Versuche, den Weltmarkt durch nationalstaatliche Politik unter Kontrolle zu bringen, er­scheinen den Autoren deshalb als ein unmögliches Unterfangen.

Trotzdem die Diagnose, dass die einzelnen Nationalstaaten in diesem Zusammenhang nicht mehr über die nötigen Handlungsmöglichkeiten verfügen, zum Teil sicherlich zutrifft, muss angemerkt werden, dass größere Zusammenschlüsse von Staaten, wie etwa die Europäische Union, durchaus das Potential besitzen, der Ökonomie verbindende Richtlinien vorzugeben.

Staatliche Souveränität ist immer an ein bestimmtes Territorium gebunden und innerhalb des Territoriums herrscht politische Kongruenz. Das heißt, dass sich darin sowohl die Entscheidungsträger, als auch die Betroffenen der Entscheidungen befinden, wobei diese gewisse Kontrollrechte gegenüber den Entscheidungsträgern haben, zum Beispiel in Form von Wahlen.

Somit ist die räumliche Kongruenz von Entscheidung und Kontrolle die Grund­lage für das klassische demokratische System, solange die politischen Prozesse eine gewisse Relevanz besitzen. Globalisierung bedeutet aber, dass „Entscheidungen aus der politischen Verantwortung entlassen und pri­vaten Mächten überantwortet werden, die sich nicht mehr gegenüber einem Wahlvolk zu verantworten haben.“ (Altvater/Mahnkopf, 1996, S. 543)

Eine mögliche Lösung sehen die beiden Autoren in der Erweiterung des demo­kratischen Prin­zips auf Basis der Weltgesellschaft. Ein Weltstaat ist für sie jedoch nur schwer vorstellbar, auch wenn er funktionalistisch begründet und institutionell konstruiert wäre. Die Neuerung, die das Konzept Global Governance bietet ist jene, dass die neue Weltordnung nur als eine vernetzte Einheit funktionie­ren kann, die ökonomische, ökologische und soziale Fragen gemein­sam be­handelt. Die vernetzte Einheit besteht nicht nur aus National­staaten, internati­onalen Organisationen, Banken und transnationalen Kon­zer­nen, sondern auch Akteure der Zivilgesellschaft sollen Mitsprache­recht besitzen. (vgl. Alt­vater/Mahnkopf, 1996, S. 550)

Die Idee einer Global Governance, die auch als eine besondere Form von multilateraler Politik definiert werden kann, beleuchtet die Frage nach der Regierbarkeit der Welt und versucht, Lösungen für grenzüberschreitende Probleme wie Umweltzerstörung, Migration und ökonomische Disparitäten anzubieten. Da es für die Nationalstaaten immer schwieriger wird, die Pro­bleme, wie etwa die Teilung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer der Glo­balisier­ung, in den Griff zu bekommen, soll mit Hilfe einer neuen Welt­ord­nungspolitik auf Konsensbasis versucht werden, zukunftsfähige Ent­wick­lun­gen im Bereich der Ökonomie, der sozialen Belange und der Ökologie umzu­setzen und so auch den Respekt gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Lebens­weisen zu fördern.

Neben diesen Eckpfeilern sollen, im Sinne einer umfassenden Weltethik, alle Menschen Anrechte auf Gleichberechtigung in Bezug auf ein sicheres Leben, den Zugang zu Informationen und globalen öffentlichen Gütern (GPG)[11], Ar­beit, kulturelle Unterschiede, das Geschlecht und einen fairen Gerichts­pro­zess im Fall von Ungerechtigkeit haben. Ebenso sind alle Menschen ver­pflichtet, dass sie auf eine, ihren Möglichkeiten ent­sprechenden Art, zum Gemeinwohl beitragen, Rücksicht auf andere Menschen nehmen, ihre Ent­scheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit treffen und sich an der Politik und am kulturellem Leben beteiligen. (vgl. Gruber, 2000, S.206-207)

In diesem Sinn versucht das Global Governance Konzept, welches bezüglich der eben beschriebenen Zielsetzungen auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie der Beschreibung der (Bürger/innen-) Rechte und Pflichten[12] der UN-Commission on Global Governance (siehe Punkt 1.3.1.) basiert, auch eine mögli­che Lösung für die Frage der sozialen Ungleichheit zu finden, also für die ungleiche Verteilung der materiellen und immateriellen Ressourcen inner­halb der Gesellschaft.

Der Begriff Governance grenzt sich bewusst von Government, also der Vor­stellung von einem Weltstaat, ab. Vielmehr fokussiert das Konzept die Be­deutung von Kooperation und Moderation in politischen Netzwerken und pro­pagiert ein Regieren jenseits des Staates. Ebenso werden in der Diskussion über Konzepte für eine Umgestaltung der derzeitigen Welt­ordnung die Beg­riffe Re-Regulierung (als Gegenkonzept zur durch die Globalisierung verur­sachten Deregulierung) und Wieder-Einbettung des Weltmarkts, oft synonym zur Governance Idee verwendet. Des Weiteren wird in der Literatur die Entschleunigung der Marktprozesse diskutiert, wobei da­bei nur ein Teilaspekt der heterogenen Global Governance Diskussion ab­deckt wird. (vgl. Greven/Scherrer, 2005, S.125)

Neben der Diskussion um den Begriff, seine Unschärfen und die Problematik einer fehlenden präzisen Übersetzung, gibt es jedoch ein Verständnis dar­über, dass grundsätzlich das „Zusammenwirken von Regierungen, internati­onalen und supranationalen Institutionen, Unternehmen, und NGOs im Rah­men formeller und informeller Beziehungen“ (Klein /Walk/ Brunnen­gräber, 2005, S.18) die Essenz des Konzeptes ausmacht.

Global Governance kann demnach als eine Art Legitimationsverfahren ver­standen werden, welches nach der Rechtfertigung von Herrschaft und der Berechtigung von politischen Akteuren fragt, die relevante Entscheidungen für die Gesellschaft treffen. Ebenso wie Demokratietheorien, die sich vor­nehmlich auf Gesellschaften innerhalb von Nationalstaaten be­ziehen, ein Höchstmaß an Partizipationsmöglichkeiten im Prozess der politischen Wil­lensbildung einfordern, braucht es laut den Autoren für die neuen globalen Heraus­forderungen eine Struktur, welche die Fähigkeit der Politik zur Gestaltung der Globalisierung herstellt. Eine Demokratietheorie auf globaler Ebene sozusagen, um die unkontrollierte Dynamik der Weltwirtschaft in ge­ordnete Bahnen zu lenken und die es den Regelwerken der Politik ermög­licht, sich innerhalb Reichweite den ökonomischen und politischen Handlungs­zusammenhängen anzupassen. (vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler, 2003, S.36)

Als Voraussetzungen für eine Global Governance Struktur dienen Systeme, die partnerschaftliche Entscheidungen ermöglichen, wechselseitige Inter­es­sen berück­sichtigen und all­gemeine Interessen wahren, wobei als Konsens im Hintergrund festgelegte Prinzipien dienen, wie sie zum Beispiel die Nach­haltige Entwicklung[13] oder die Menschen­rechte vorschlagen. (vgl. Roth, 2005, S.89)

Eine wichtige Prämisse der Global Governance Struktur ist eine neue Definition staatlicher Souveränität, welche das bisherige Souveränitätskonzept[14] in Frage stellt. Des weiteren soll eine Verrechtlichung der inter­nationalen Beziehungen und Abkommen stattfinden und der Kreis der Akteure erweitert werden, indem zivilgesellschaftliche Organisationen Mitspracherecht erhalten. Den Mittelpunkt der Strategien bildet das System der Vereinten Nationen, sowie andere internationale Organisa­tionen wie etwa die Welthandelsorganisation und globale Netzwerke bzw. NGOs. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.333)

Durch die Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Akteuren soll der Wandel (bzw. Paradigmenwechsel) von der Staatenwelt zu einer Gesellschaftswelt vollzogen werden und dadurch eine Demokratisierung der internationalen Politik und eine Balancierung der Macht innerhalb bestehender internationa­ler Netzwerke stattfinden. (vgl. Klein/Walk/Brunnengräber, 2005, S.20)

„Global Governance ist ein aus dem weltpolitischen Regierungsdefizit gebo­renes Konzept, mit dem die Kompetenz und Transparenz Internationaler In­stitutionen unter Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure gestärkt werden soll.“ (Müller, 2002, S.130)

1.3. Global Governance Strategien

Verschiedene Institutionen und wissenschaftliche Einrichtungen haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein Konzept auszuarbeiten, wie eine Struktur die­ser neuen Weltordnungspolitik aussehen könnte. Einer der wichtigsten Auto­ren, welcher Global Governance in den internationalen Diskurs ein­brachte, war James Rosenau, dessen Sammelband „Governance with­out Govern­ment: Order and Change in World Politics“ (gemeinsam mit Ernst-Otto Czempiel) ein zentrales Werk aller nachfolgenden Veröffent­lichungen wurde. (vgl. Brand et al., 2000, S.28)

In den folgenden Unterkapiteln werden die wichtigsten Einrichtungen bzw. Konzepte, die wesentlich zur Popularität des Konzepts beitrugen und welche in der Dis­kussion oder der einschlägigen Literatur regelmäßig zitiert werden, be­handelt.

1.3.1. UN-Commission on Global Governance

Ins Leben gerufen wurde die 27 Persönlich­keiten umfassende, internationale UN-Kommission im Jahr 1991 auf Initiative von Willy Brandt. Der im Jahr 1995 vor­gelegte Bericht „Nachbarn in einer Welt“ (engl: „Our Global Neighbourhood“) beinhaltet zahlreiche Vorschläge, wie die Rahmen­bedingungen für eine Welt­ordnungs­politik aus­sehen könnten und welche Institutionen an der Um­set­zung maßgeblich beteiligt sein sollten.

Von der Kommission wurde Global Governance wie folgt definiert:

„Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen, sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegen­hei­ten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und ko­operatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschafts­systeme, als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen verein­bart oder als im eigenen Interesse liegend angesehen werden.“ (Commission on Global Governance, 1995, S.4, zitiert nach Altvater/Mahnkopf, 1996, S.551 )

Aufgabe des Expertengremiums war es, Vorschläge zur Regierbarkeit der Welt zu unterbreiten und Möglichkeiten zur Initiierung eines solchen Systems zu finden, welches umfassende Sicherheits- und Demokratisierungs­per­spektiven, die durch das Ende des Kalten Kriegs aktuelle Themen waren, einbezieht. (vgl. Klein/Walk/ Brunnengräber, 2005, S.18)

Im Verständnis der Kommission bedeutet Global Governance einen Ausbau der Kooperationen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die einhergeht mit einer Aufwertung der Zivilgesellschaft. Diese soll, da ihr vor allem die Aufgabe eines Kontrollorgans zwischen Markt und Staat zukommt, als ein solches auch in das System der UNO integriert werden.[15] Obwohl die Staaten und internationalen Organisationen zu verstärkter Kooperation mit privaten Akteuren aufgerufen wurden, sah die Kommission nach wie vor die National­staaten als die Hauptakteure der Global Governance Struktur an.

Wie stark sich die Kommission auf die Gestaltungs- und Einfluss­möglich­kei­ten von politischen Führungskräften verlassen hat, zeigt auch folgendes Zitat aus dem Bericht:

„Die Welt braucht Führer, die durch Visionen gestärkt sind, die von Ethos getragen sind und die den politischen Mut haben, auch über die nächste Wahl hinaus zu denken. Welche Dimensionen eine Global Governance auch immer hat, wie stark ihr Instrumentarium auch erneuert und erweitert sein mag, welche Werte auch immer ihr Inhalt verleihen, ihre Qualität hängt letz­ten Endes von der politischen Führung ab.“ (Commission on Global Gover­nance, 1995, S.388, zitiert nach Messner/Nuscheler, 2003, S.13)

Abgesehen vom Fokus auf die Gestaltungsmacht der Nationalstaaten und deren politische Führungspersonen ergab die Analyse der globalen Situa­tion, dass nach Ansicht der Kommission das bestehende System der inter­nationalen Institutionen derzeit mit der Bewältigung der Weltkrisen über­for­dert sei. Deshalb schlug sie eine Reform der Vereinten Nationen vor, wobei neben der Reorganisation des Sicherheitsrates, der Einsetzung eines Eco­nomic Security Councils ( dessen Kompetenzen über jene des Wirt­schafts- und Sozialrates hinausgehen müssen[16] ) und der Reform der General­v­er­sammlung, auch ein Forum der Zivilgesellschaft eingerichtet werden sollte. (vgl. Messner/Nuscheler, 2003, S.13)

Im Endbericht betonte die Kommission neben diesen Vorschlägen zur Re­gierbarkeit der Welt zudem die Notwendigkeit eines globalen Ethos der Bür­ger, welcher universelle Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Respekt und Hilfs­bereitschaft beinhaltet und sich in einem gewissen Ausmaß bereits durch das Entstehen einer globalen Zivilgesellschaft in Form von Organisa­tionen und Neuen Sozialen Be­wegungen manifestiert hat. (vgl. Klein/Walk/Brunnen­gräber, 2005, S.21)

Die bereits erwähnten Reformideen in Bezug auf die Vereinten Nationen, welche von der UN-Commission on Global Governance in ihrem Bericht vorgelegt wurden, sind laut Ansicht von Expert/innen, die sich mit dem Global Governance Konzept auseinander gesetzt haben, hinter den Erwartungen zurück geblieben, besitzen nur sehr wenig Originalität und sind zudem wegen der starken Macht­konzentration und der fehlenden demokratischen Kontrolle proble­m­a­tisch.

„Die Kommission setzte allzu blauäugig auf die Fähigkeit eines reformierten UN-Systems und von ihrer Verantwortung bewussten Eliten, um die von ihr mit Katastrophenszenarien unterlegten Globalisierungskrisen zu bewältigen. So bleibt ihr zentraler Verdienst, den bisher nur wenigen Spezialisten bekannten Global Governance Begriff hoffähig gemacht zu haben und an verschiedenen Orten eine weiter führende Global Governance Forschung angeregt zu haben.“ (Messner/Nuscheler, 2003, S.13)

1.3.2. Der Global Compact

Um die generelle Skepsis der transnationalen Unternehmen[17] gegenüber der UNO, die eine Kooperation im Sinne einer Global Governance Architektur bereits von vornherein unmöglich macht, abzubauen, trat der UN-General­sekretär Kofi Annan nach zahlreichen Vorgesprächen mit Vertreter/innen der Internationalen Handelskammer beim Treffen des Welt­wirtschaftsforums in Davos im Jahr 1999 mit einem Projekt an die Öffentlichkeit, welches die neue Partnerschaft begründen sollte. Der Global Compact, wie sich das Koope­rationsprojekt nennt und zu dem sich Unternehmen bekennen sollen, um­fasst neun Prinzipien aus den Bereichen Menschen-, Arbeitsrechte und Um­weltschutz, die aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Er­klärung der ILO[18] über grund­legende Rechte von Arbeitnehmer/innen (1998) und der Erklärung der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) entnommen wurden. Trotz der positiven Wahr­nehmung durch die Medien und dem allgemeinen Konsens darüber, dass die Prinzipien grundsätzlich unterstützenswert sind, gab es massive Kritik von Seiten der Nicht-Regierungsorganisationen, denen der Global Compact in seiner Kon­sequenz viel zu vage formuliert war. (vgl. Paul, 2001, S.123)

Bereits die Rede, in welcher dieser vorgestellt wurde, beinhaltete Elemente, die Grund zur Skepsis gaben, da zum Beispiel an gemeinsame Werte statt an verbindliche Regeln appelliert und die Bedrohung, welche von der Oppo­sition gegen die Globalisierung ausgehen würde, angesprochen wurde. So war es zwar für die Unternehmen einfach, dieses Bekenntnis zu gemein­sa­men Werten zu unterstützen, solange keine konkreteren Regeln und Maß­nahmen zur Überwachung eingebracht wurden, für die Nicht-Re­gierungs­or­ganisationen gab dies jedoch Anlass zu der Kritik, dass nur strenge Kontrol­len zum gewünschten Erfolg führen könnten und der Vertrag zu viele Zuge­ständnisse an die Ökonomie beinhaltet[19]. (vgl. Paul, 2001, S.124-125)

Im Jahr 2000 wurde der Global Compact gemeinsam mit Vertreter/innen von cirka 50 großen Unternehmen[20] unterzeichnet und als Erfüllungsmaßnahme, bzw. um diesbezügliche Fortschritte auch einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde eine Webseite[21] eingerichtet, wo Konzerne ihre Tätigkeiten und „best practices“ (besten Beispiele) publizieren können. Trotz der Be­las­tung der Beziehungen zwischen UNO und NGOs und der Formulierung von Gegenvorschlägen wie den Citizen Compact, der neben einem recht­lichen Rahmen auch Überwachungsmaßnahmen beinhaltet, hielten die Vereinten Nationen bisher am Global Compact fest. (vgl. Paul, 2001, S.127)

1.3.3. Die Vereinten Nationen und Global Governance

Die zentrale Diskussion innerhalb der Vereinten Nationen um das Konzept einer Global Governance befasst sich vorrangig mit dem Politikmodell des Multilateralismus, also den Beziehungen zwischen drei oder mehr Staaten, die auf allgemeinem Konsens und von allen Partnern akzeptierten Prinzipien beruhen. Das Verbot von Gewaltanwendung zur Umsetzung politischer Ziele und die Erkenntnis, dass ein gemeinsames Arbeiten sinnvoller ist als die Durchsetzung von Partikularinteressen mittels Konflikten, sind die Grund­prinzipien multilateraler Politik. Basierend auf generell rationalem Verhalten der Akteure stützt sich das Modell zudem auf die Einsicht, dass inter­nationale Prozesse nur unter Be­achtung der Motive, Verhaltensweisen und Zielen von internationalen Organisationen erklärt werden können. Dies steht im klaren Gegensatz zum unilateralen Konzept, in welchem die National­staaten die zentralen Akteure sind und internationale Organisationen nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.328) Multilaterale Politikkonzepte „zielen hingegen auf internationale Politik als Ergebnis grenzüber­schreitender Aktionen zahlreicher Akteure und sehen in­ternationalen Einfluss als Resultate des gekonnten Umgangs mit den Ban­den der Interdependenz.“ (Gareis/Varwick, 2003, S.328) Der Staat agiert demnach auf internationaler Ebene innerhalb des UN-Systems und ist somit aktiver Teil der internationalen Staatengemeinschaft, welche die internationale Politik gestaltet.

Die theoretischen Ausrichtungen der jeweiligen Mitgliedsstaaten bestimmen demnach, ob die Vereinten Nationen eine uni- oder eine multilaterale Politik verfolgen werden und, falls ein multilaterales Leitbild von den Staaten als Erfolg versprechend angesehen wird, auch an internationalen Prozessen teilnehmen können.

Falls sich also ein multilaterales Paradigma im Sinn einer Global Governance Architektur in der Staatenwelt durchsetzt, würde die UNO eine zentrale Posi­tion einnehmen und als Koordinierungsstelle auch mit Sanktions­befugnissen ausgestattet sein, wobei viele Autoren das Eintreffen dieses Szenarios als relativ unrealistisch einschätzen. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.337-338)

1.3.4. Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)

Das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) wurde im Jahr 1990 von der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF)[22] und der Gerhard-Mercator-Univer­sität Duisburg als eine Forschungs­einrichtung des geistes­wissen­schaftlichen Fachbereichs gegründet und ist (im deutsch­sprachigen Raum) in der For­schung und in der Erstellung von Expertisen, die sich mit globalen Interde­pendenzen und Global Governance beschäftigen, führend. Es wurde in den 1990er Jahren zu einem der wichtigsten sozialdemokratischen think tanks, der sich mit Friedens- und Entwicklungsfragen beschäftigt und dessen rege Publikationstätigkeit das Global Governance Konzept auch einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte. (vgl. Brand et al., 2000, S.29)

Aufgaben des Instituts sind die Erforschung von globalen Trends und Global Governance, den Zusammenhängen zwischen Entwicklung und Frieden in den Entwicklungsländern und deren Perspektiven in der Weltwirtschaft, den globalen Interdependenzen zwischen Umwelt, Wirtschaft und Sicherheit, so­wie der Weltpolitik. Da es sich die Einrichtung zum Ziel gemacht hat, den na­tionalen, europäischen und internationalen Dialog über globale Inter­depen­denzen und Global Governance mitzugestalten und Anstöße für politisches Handeln zu geben, stammen eine Vielzahl der wissenschaftlichen Publikatio­nen und Konzepte zu Global Governance aus diesem Umfeld.[23]

In erster Linie beschäftigt sich das INEF mit der Ausarbeitung eines poli­tisch-strategischen Konzepts von Global Governance. Obwohl das Institut grundsätzlich auf dem Bericht der Kommission (siehe Punkt 1.3.1.) aufbaut, werden durch die Analyse von Kooperations- und Entscheidungsstrukturen in den Internationalen Beziehungen neue Akzente gesetzt, vor allem im Hin­blick auf die Neugestaltung von Staatlichkeit. (vgl. Brand et al., 2000, S.34)

„Als forschungsleitende Fragestellungen schälten sich die Steuerungs­fähig­keit und die Funktionsveränderungen der Staaten im Globalisierungs­prozess heraus.“ ( Messner/Nuscheler, 2003, S.14)

Ausgehend von Regimetheorien griff man in der Global Governance For­schung auf Theorien und Publikationen zurück, die sich mit jenen Ent­wick­lungen beschäftigen, welche dazu führten, dass ein Verständnis des Staates als zentraler Steuerungs­mechanismus der Gesellschaft be­deutungs­los wird und sich eine neue Form von gesellschaftlicher Organisation entwickelt, de­ren Akteure mit dem Staat in Kooperation treten können. So finden sich in diesem Kontext immer wieder Konzepte zu Netz­werk­steuerung, Selbst­koor­dination, Ver­handlungs­systemen und Mehr­­ebenen­politik.

Aus diesen Bausteinen wurde das politisch-strategische Konzept des Insti­tuts für Entwicklung und Frieden ausgearbeitet, welches anhand der folgen­den sieben Kernaussagen beschrieben werden kann.

1. Der Begriff Global Government, welcher eher mit Weltregierung oder Weltstaat gleichgesetzt werden kann, wird bewusst vermieden, da ein derar­tiges Konstrukt keine, aufgrund der Unmöglichkeit einer demokratischen Le­gitimation, realistische oder erstrebenswerte Option darstellt. Da die Staaten jedoch durch den Druck von Dezentralisierung und Globalisierung an Mög­lichkeiten zur Gestaltung verlieren, liegt es im eigenen Interesse, nach neuen Formen von Politik zu suchen, die den Verlust ihrer politischen Handlungs­fä­higkeit eindämmen können.

Global Governance entspricht einer Weltföderation von freien Republiken, welche durch ein notwendiges Maß an zentraler Organisation verbunden sind und deren Herausforderung darin besteht, die Welt ohne einen Welt­staat zu regieren.

2. Das Konzept beruht auf Formen der internationalen Kooperation, Koor­dination und kollektiven Entscheidungsfindung, wobei internationale Organi­sationen (wie zum Beispiel die UNO) die Kontrolle der verbindlichen Regel­werke zur Bearbeitung gemeinsamer Probleme übernehmen und einen Bei­trag zur Herausbildung globaler Sichtweisen leisten sollen.

Die Aufgabe der Übersetzung des grundsätzlichen Bekenntnisses zur Ko­operation übernehmen Gremien, die im INEF-Konzept als Regime bezeichnet, ansonsten jedoch nicht näher definiert werden. Im herkömmlichen Sprachgebrauch wird unter einem Regime eher ein autoritäres oder tota­litäres Herrschaftssystem verstanden. In der Lehre der Internationalen Be­ziehungen hingegen bezeichnet der Begriff ein spezielles Regelwerk der Ko­operation und als solches wird er von den Autoren des Konzepts auch ver­wendet. (vgl. Schmidt, 1995, S.819)

Die Gremien, welche aus führenden bzw. autorisierten Vertreter/innen aller eingebundenen Nationalstaaten bestehen müssen, übersetzen den Koope­ra­tions­willen in verbindliche Regelwerke, zu denen sich die Staaten verpflichten.

3. Durch den Zwang zur Kooperation ergeben sich zwar Verluste in Bezug auf staatliche Souveränitäten, diese sind durch die Effekte der Globalisierung aber ohnehin bereits vorhanden und können von den Nationalstaaten nicht mehr kompensiert werden. Die ökonomisch starken Staaten der sogenann­ten Triade[24] müssen laut dem Konzept überzeugt werden, dass diese Koope­ration keinen Verlust, sondern einen Zugewinn an gemeinsamen Lösungs­strategien für Probleme darstellt, um die politische Handlungs­fähigkeit auch in Zukunft gewährleisten zu können.

4. Durch die Globalisierung und den Abhängigkeiten der Staaten unter­einander verstärkt sich die Regionalisierung bzw. Lokalisierung, weshalb für dieses Phänomen in der Literatur der Mischbegriff „Glokali­sierung“, der sich aus global und lokal zusammensetzt, verwendet wird, um diesen strukturbil­denden Entwicklungstrend zu beschreiben. Regio­nalisierung kann neben ne­gativen Tendenzen, die eine religiös oder politisch motivierte Abschottung von der restlichen Gesellschaft anstreben, auch zu positiven Ergebnissen führen, sofern ein nachhaltiges Kooperations- bzw. Integrationsmodell die Intention dieser Bestrebungen darstellt.

Eine Global Governance Architektur müsste auf diesen positiven regionalen Kooperationen aufbauen und sie auch in organisatorischer Hinsicht als sta­bilen Unterbau nutzen. Da eine Umsetzung von Handlungsanleitungen, die in einem globalen Kontext stehen, nur erfolgreich sein kann, wenn sie bis in die regionalen Ebenen als sinnvoll wahrgenommen werden, kann somit vermie­den werden, dass internationale Strategien und Organisationen ineffizient werden. Ebenso können über einen soliden Unterbau, der in permanentem Austausch mit den übergeordneten Institutionen steht, die Bedürfnisse und Forderungen der Bevölkerung erfolgreicher manifestiert werden.

5. Im Gegensatz zu Gipfeln von Staats- und Regierungschefs oder inter­nationalen Organisationen, in denen nur Regierungsvertreter der jeweiligen Länder anwesend sind und Stimmrecht besitzen, bekennt sich die Commis­sion on Global Governance und das Global Governance Konzept neben ei­ner Zunahme von staatlichem Multilateralismus auch zu einer respektvollen und ernsthaften Kooperation von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, welche die lokale Ebene ebenso mit einbindet wie die globale. Ähnlich den Public Private Partnership[25] Konzepten wird eine Zusammenarbeit der Staaten, der zivilgesellschaftlichen Akteure und der transnationalen Unter­nehmen angestrebt, um Lösungsstrategien für Pro­ble­me, welche durch die Akteure nicht mehr im Alleingang zu bewältigen sind, zu finden.

Die Autoren des Global Governance Konzepts bezeichnen diese Art der ge­meinsamen Arbeit als Neokorporatismus[26] und verweisen als Hintergrund auf den bereits oben angeführten Global Compact der Vereinten Nationen.

6. Das Global Governance Konzept erkennt das Wirken der NGOs als ei­nen wichtigen konsultativen und korrektiven Faktor in der Diskussion an, der sich bisher meist mittels medienwirksamer Kampagnen im Zuge von Welt­konferenzen manifestiert hat. Schon jetzt werden sie zum Teil in Ver­hand­lungen eingebunden oder zumindest angehört, um das vorhandene Exper­tenpotential nutzen zu können und Protestpotential zu neutralisieren. Das Drängen der Organisationen, politische Entscheidungen auf allen Ebenen zu beeinflussen, wird unter anderem durch ihre hohe gesellschaft­liche Akzep­tanz und ihre flexiblen Organisations­formen ermöglicht. Die starke (transnati­onale) Vernetzung, welche durch die elek­tronischen Kommu­nika­tions­formen wie Homepage, Weblog oder E-Mail unterstützt wird, erlaubt koordinierte, zeitgleich stattfindende Aktionen und bietet zudem abgestimmte Informati­onsplattformen für potentielle Unter­stützer/innen. So kann mittels globaler Kampagnen auch in jenen Bereichen eine Zunahme an Transparenz er­zwungen werden, wo sich Machtkartelle der parla­mentarischen bzw. demo­kratischen Kontrolle entzogen haben. Zudem be­steht die Möglichkeit, ge­wählte Volksvertreter/innen zu ersuchen, ihren Kontrollrechten und Pflichten vermehrt nachzukommen. Trotz der wichtigen Funktion, die Nicht-Re­gie­rungs­organisationen in der Global Governance Architektur zukommt, stellen die Autoren des Konzepts deutlich klar, dass trotz der zum Teil sehr erfolg­reichen Einflussnahme von NGOs zum Beispiel auf die Umwelt-, Ent­wicklungs- oder Menschenrechtspolitik, keine umfassende „NGOisierung der Weltpolitik“ (Messner/Nuscheler, 2003, S.17) etabliert werden konnte und schließen dies auch für die Zukunft aus.

7. Obwohl die Nationalstaaten in vielen Bereichen der Politik an auto­nomen Spielräumen verlieren und Entscheidungen mit den betroffenen Ak­teuren abstimmen müssen, bleiben sie auch in Zukunft die Hauptakteure der internationalen Politik, werden aber viel stärker miteinander vernetzt und durch verbindliche Regelwerke verbunden sein und bilden so die Stützpfeiler der Global Governance Architektur. Eine Funktion der Staaten wird nach wie vor darin bestehen, in Kooperation mit anderen Nationen die Bereitstellung der Globalen Öffentlichen Güter wahrzunehmen und soziale Aufgaben umzusetzen. Um auftretende Probleme lösen zu können, werden sie jedoch zunehmend mit anderen gesellschaftlichen Organisationen zusammen­arbei­ten und auch neue Aufgaben übernehmen müssen, die sich zum Teil aus den multilateralen Kooperationen ergeben. Da Global Governance ohne ei­nen Weltstaat funktionieren soll, können Aufgaben nur in Selbst­koordination wahrgenommen werden, die auf mehreren Ebenen erfolgen muss. Als Mit­träger von multilateralen Entscheidungen müssen die Staaten außerdem für die Umsetzung im jeweiligen Zuständigkeitsbereich garantieren können.

(vgl. Messner/Nuscheler, 2003, S.15-18)

„Durch den Aufbau von Global Governance Strukturen soll die Gestaltungs­fähigkeit der Politik gegenüber der unbändigen Eigendynamik von öko­nomi­schen Globalisierungsprozessen gestärkt oder zurückge­wonnen wer­den, und gleichzeitig die Reichweite politischer Regelwerke der sich ten­den­ziell entgrenzenden Reichweite ökonomischer und sozialer Handlungs­­zusam­menhänge angepasst werden.“ (Messner/Nuscheler, 2003, S.36)

1.4. Institutionen und Blockaden

1.4.1. Die Reform der Vereinten Nationen (UNO) als Baustein einer Global Governance Architektur

Wie bereits weiter oben erwähnt, nehmen die Vereinten Nationen im Global Governance Konzept eine zentrale Rolle als Koordinierungsstelle ein, die auch das Gewaltmonopol zur Durchsetzung einer weltweiten (Menschen-) Rechts- und Friedensordnung umfasst, sowie die Entwicklung einer globalen Struktur für die Bereiche Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt beinhaltet. Da­für sind jedoch weitreichende Reformen nötig, deren Umsetzung mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist.

Grundsätzlich ist die UNO eine Organisation, die nur so weit agieren kann, wie es die Mitgliedstaaten nach Abwägen der eigenen Interessen zulassen, wobei dieser Umstand für eine Umgestaltung im Sinne einer Supra­nationali­sierung hinderlich ist. In zahlreichen Reform­berichten[27] wird der Wunsch ge­äußert, dass die Mitgliedstaaten die Vereinten Nationen besser auf die Her­ausforderungen der Globalisierung einstellen sollen, um die Rolle einer zent­ralen Koordinierungsstelle und Gestaltungsmacht übernehmen zu können.

Bereits in der Vergangenheit fanden Prozesse des Wandels und der Refor­men statt, die sich jedoch meist auf die Erweiterung bestehender Gremien und die Implementierung neuer Organe, Programme und Sonder­organisatio­nen beschränkte. Das organisatorische Grundprinzip, welches die Vereinten Nationen als eine Kernorganisation definiert, die aus dem Wissen und den Kompetenzen des ihr angeschlossenen losen institutionellen Beziehungs­ge­flechts Strategien formulieren sollte, wurde durch diese Ent­wicklung auf­grund einer zunehmenden Unüberschaubarkeit ad absurdum geführt. Die divergie­renden Interessen und Kräfte des Systems mündeten in einer weitgehenden Autonomie der Sonderorganisationen, deren Koordina­tion sich im Lauf der Zeit als immer schwieriger erwies und welche die Effektivität des gemeinsa­men Handelns massiv einschränkte.

Neben den Machtkonflikten zwischen der Generalversammlung, in welcher die Schwellen- und Entwicklungsländer aufgrund ihrer großen Anzahl eine gewichtige Funktion innehaben, und dem Sicher­heitsrat, sowie der Ver­weige­rung der Zahlung des Mitgliedsbeitrags seitens der USA (die dadurch eine Reform der Strukturen[28] und eine Konzentration auf die Kernkompetenz der Friedenssicherung erzwingen möchten), stellt sich das Problem, dass für die meisten Punkte der Umgestaltungsagenda eine Überarbeitung der UN-Charta nötig wäre. Eine solche ist jedoch mit erheblichen Hürden verbunden, die in der Charta verankert wurden. So bedarf jede Änderung einer Zwei-Drittel Mehrheit in der Generalversammlung und einer anschließenden Ratifi­zierung durch Zwei-Drittel der Mitglied­staaten des Sicherheitsrats, wobei wiederum auch alle fünf ständigen Mitglieder des Rates zustimmen müssen. Diese verfügen damit über eine bedeutende Sperr­minorität, die jegliche Re­formversuche unterbinden kann. Für die Durch­setzung eigener Reform­inte­ressen benötigen jedoch auch sie eine Mehrheit von über 120 UN-Mitglie­dern. Aufgrund der Machtverhältnisse und des komplexen Ver­fahrens ist demnach eine Umgestaltung der Vereinten Nationen trotz ihrer Notwendig­keit ein äußerst schwieriges Unterfangen. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.287-292)

Trotz der Hürden, die breit angelegte Reformversuche mit sich bringen wür­den, ist die UNO, da nahezu alle Staaten Mitglieder sind, ein wichtiger Akteur in einer Global Governance Architektur.

Die geforderte Einbindung der Nicht-Regierungsorganisationen ist bis zu ei­nem gewissen Grad bereits gegeben und oftmals bestehen mehr Einfluss­möglichkeiten, als in formalen Beschlüssen festgeschrieben wurde. Sie rei­chen vom Beobachterstatus über Lobby­tätigkeiten bis zu offiziellen Mitglied­schaften in Verhandlungs­delegationen. Zudem können sie Länder­berichte bei der Menschenrechtskommission in Genf einreichen und mittels etablierter informeller Beziehungen (unter anderem zu Mitgliedern des Sicherheitsrats), Konsultationsaufgaben wahrnehmen. Die Einbindung von nicht-staatlichen Akteuren (und auch von transnationalen Unternehmen im Rahmen des Glo­bal Compact) wird seitens der Vereinten Nationen jedoch nicht damit ge­rechtfertigt, dass dadurch die demokratische Legitimation erhöht werden soll. Durch die Öffnung verspricht sich die UNO eine Ergänzung und Erweiterung der Problemlösungsressourcen, um die sozialen, wirtschaftlichen und ökolo­gischen Agenden effizienter bearbeiten zu können. (vgl. Wolf, 2005, S.112-113)

Als logische Konsequenz dieser Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteu­ren stellt sich die Frage nach deren demokratischer Legitimation. Derzeit er­folgen Kooperationen im Rahmen von Netzwerken, in denen der politische Dialog vorangetrieben wird, und über Mitwirkung in Prozessen der konsenso­rientierten Entscheidungsfindung, die keiner Legitimation durch Wahlen be­dürfen. Eine umfassende Einbindung, durch die nicht-staatliche Akteure grundlegende Entscheidungsbefugnisse erhalten sollen, stellt sich als schwierig dar, da für diese Akteure bislang kein Äquivalent zum UN-Grund­satz „Ein Land – eine Stimme“ gefunden werden konnte.

Wie aus den beschriebenen Kooperationen und Konsultationsaufgaben er­sichtlich ist, findet in Bezug auf die UNO der Übergang zu einem Global Go­vernance System sicherlich statt, wenn auch derzeit weniger innerhalb ange­strebter reformierter UN-Strukturen, sondern meist in neu geschaffenen Gremien, welche jedoch als negativen Effekt die strukturelle Unüber­sichtlich­keit weiter fördern. (vgl. Wolf, 2005 S.118)

1.4.2. Blockaden und Kernprobleme

Sobald über etwaige Umsetzungsstrategien einer Global Governance Archi­tektur diskutiert wird, ergeben sich für die Autoren des Konzepts einige Blockaden und Kernprobleme, die separat von den kritischen Positionen anderer Wissenschafter (siehe Kapitel 1.6.) behandelt werden sollen, wobei sich die eingebrachten Punkte zum Teil überschneiden können.

Ein wichtiger Problempunkt bezieht sich dabei auf demokratische Strukturen und die Legitimation von multilateralen Entscheidungsprozessen auf inter­nationaler Ebene, da dadurch gewählten Parlamenten Befugnisse entzogen werden. Es stellt sich die Frage, ob Demokratie ohne der ihr immanenten Kongruenz von Volk und nationalstaatlichem Territorium überhaupt möglich bzw. legitim ist.

Manche Einschätzungen[29] gehen davon aus, dass Demokratie durch die Globali­­sierung zu einem universellen Leitbild wurde, welches durch diverse Kanäle der globalen Telekommunikation auch innerhalb von Diktaturen ein­wirkt und autoritäre Regime zunehmend unter Druck setzen kann. Des Weiteren wer­den Nationalstaaten und transnationale Unternehmen aufgrund der aufmerk­sam beobachtenden Weltöffentlichkeit und ihrer zivil­gesellschaft­lichen Orga­nisationen dazu aufgefordert, Rechenschaft über ihre Hand­lungen abzulegen bzw. sich gemäß menschen-, sozial- und umwelt­recht­licher Standards zu verhalten. (vgl. Messner/Nuscheler, 2003, S.33)

[...]


[1] Beck unterscheidet zwischen Globalismus (Ideologie der Weltmarktherrschaft; der Welt­markt hat politisches Handeln ver­drängt oder ersetzt), Globalität (wir leben in einer Weltgesellschaft; die Vorstellung geschlossener Räume wird fiktiv) und Globalisierung (be­schreibt Prozesse, durch welche die Souveränität der Nationalstaaten durch trans­nationale Akteure unterlaufen und querverbunden werden). (vgl. Beck, 1997, S.26-29)

[2] Vgl. dazu das Buch „Mythen der Ökonomie“, herausgegeben vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts-, und umweltpolitische Alternativen (Hamburg, 2005), welches Antworten und Auf­klärung zu den häufigsten Argumenten bietet.

[3] Vgl. hierzu den Begriff des „Lobbyings“, der (vom Duden Fremdwörterbuch ) als die „Beein­flussung von Abgeordneten durch Interessensgruppen“ definiert wird.

[4] Bedingt durch den technischen Fortschritt und die Anbindung an globale Kommunikationsnetze ist es möglich, von nahezu jedem Ort der Welt aus bestimmte Tätig­keiten für ein Unternehmen durchzuführen (bis hin zur Teilnahme an Konferenzen mittels Videoschaltung in Echtzeit über das Internet), sofern die Infrastruktur vorhanden ist. „Globalisierung ist die Kompression von Raum und Zei t“ (Menzel, 2001, S.226)

[5] Dieser Begriff wurde von Karl Polanyi in seinem Werk „The Great Transformation“ (1944) geprägt und bezeichnet den Übergang von nicht-marktwirtschaftlichen Gesellschaften (in denen wirtschaftliche Aktivitäten in einen kulturellen Zusammenhang eingebettet waren) zu Gesellschaften der freien Marktwirtschaft. "Mit diesem Begriff sollen die tiefen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturbrüche angemessen auf den Punkt gebracht werden." (Altvater/Mahnkopf, 2004, S.30)

[6] Quelle: http://www.worldbank.org/wbi/governance/about.html#approach

(Zugriff: 20.11.2005)

[7] Weltbank, IMF, UNDP (United Nations Development Programm) und OECD

[8] eine Konzeption, die auch mit Nicht-Regierungsorganisationen abgestimmt ist, wäre sinnvoll, damit es von diesen auch mitgetragen wird.

[9] Begriffsdefinitionen: „Transparent“: Entscheidungen werden auf Basis von Gesetzen getroffen und Informationen darüber sind in verständlicher Form verfasst und leicht zugänglich; „Responsive“: Institutionen und Entscheidungsprozesse stehen allen Bürger/innen innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens zur Verfügung..

Quelle: http://www.unescap.org/huset/gg/Governance.htm - Zugriff: 15.11.2005

[10] Vgl. dazu den Artikel von Yves Dezalay und Bryant Garth: „Kaderschmieden der Entwicklungspolitik“, Le Monde Diplomatique (Nr. 7686) vom 10.06.2005;

verfügbar unter: http://www.taz.de/pt/2005/06/10.1/mondeText.artikel,a0081.idx,21

[11] Globale Öffentliche Güter (GPG), deren Präsenz in der internationalen Diskussion auf ein im Jahr 1999 erschienenes gleichnamiges Buch des United Nations Development Programm (UNDP) zurückgeht, sind in ihrer Bedeutung grundsätzlich unabhängig von national­staatlichen Grenzen. Die Effekte der Verteilung beziehen sich auf die Mehrheit der Bevölkerung aller Staaten und sollen auch für die nachfolgenden Generationen verfügbar sein. In der engeren Auslegung beziehen sich GPG vor allem auf den Umweltbereich, wie z.B. auf die Erhaltung der Artenvielfalt, den Schutz der Ozonschicht, die Sicherung der globalen Wasservorräte oder die Umkehrung der Bodenerosion. Weiter gefasst beziehen die globalen Gemeinschaftsgüter auch die Erhaltung des kulturellen Erbes, die Einhaltung der Menschenrechte oder die Stabilität der Finanzmärkte mit ein. So ergeben sich zwei ver­schieden „Arten von GPG,“ einerseits die natürlichen, andererseits die vom Menschen ge­schaffenen Gemeinschaftsgüter. Zu den Prioritäten der Ersteren zählen: Schutz des Klimas, Schutz der Biodiversität, Schutz der Wälder und Schutz der Meere. Die Prioritäten der zweiten Gruppe liegen im Frieden (inkl. der internationalen Sicherheit), in der Geltung des Völkerrechts, dem Schutz der Menschenrechte, der Chancengleichheit (inkl. der inter­natio­nalen Gerechtigkeit), der Gesundheit (insbesondere dem Schutz von HIV/Aids und anderen Infektionskrankheiten) und im Bereich Wissen bzw. Information. (vgl. Martens/Hain, 2002, S.5-19)

[12] Die Auflistung dieser Rechte und Pflichten findet sich im Bericht der UN-Commission on Global Governance „Nachbarn in einer Welt“, 1995 (Hrsg.: Stiftung Entwicklung und Frieden)

[13] Nachhaltige Entwicklung soll den Bestand an natürlichen Ressourcen erhalten und schützen, damit diese auch für zukünftige Generationen vorhanden sind. Das „Dreieck der Nachhaltigkeit“ ist die Balance zwischen ökologischem Gleichgewicht, Sozialer Gerechtigkeit und Ökonomischem Wachstum. Eine anerkannte Definition des Begriffs Nach­haltigkeit wurde 1987 im Bericht „Our Common Future“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (UNWCED) der UNO festgeschrieben, der unter dem Namen Brundtland-Bericht (bzw. Brundtland Report) bekannt ist.

[14] Souveränität beinhaltete bisher unter anderem die Unverletzbarkeit von Grenzen, das Verbot der Einmischung in innerstaatliche politische Angelegenheiten und die Verfügungs­gewalt des Staates über gesellschaftliche Verhältnisse.

[15] Wobei nicht auf eine konkrete Umsetzung dieser Einbindung eingegangen wurde.

[16] Der Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council, ECOSOC) umfasst 54 Mitglieder, die für jeweils 3 Jahre ihre Staaten in diesem Rat vertreten. Seit 1997 wird jährlich eine 4-wöchige Sitzungsperiode abgehalten, zu der fallweise auch Nichtmitglieder, Beobachter oder Vertreter von Sonderorganisationen eingeladen werden, die jedoch über kein Stimmrecht verfügen. Der Rat verfügt über 9 funktionale Kommissionen und 5 regionale Wirtschaftsorganisationen, 4 ständige Ausschüsse, sowie eine ständig wechselnde Anzahl von Arbeitsgruppen und Expertengremien. Die Befugnisse des ECOSOC, der sich vornehmlich mit Fragen der Entwicklung in armen Ländern beschäftigt, sind begrenzt und unterliegen der Autorität der Generalversammlung. Mit der Schaffung von Spezialorganen (wie dem United Nations Development Program UNDP oder der Konferenz für Handel und Entwicklung) wurden dem ECOSOC weitgehend die Kompetenzen für diesen Bereich entzogen, sodass die Menschen­rechtskommission eines der wenigen letzten operativen Betätigungsfelder darstellt. (vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.58-59)

[17] die vor allem Machtverslust fürchten

[18] Die International Labor Organisation (ILO) mit Hauptsitz in Genf wurde 1919 im Zuge des Friedensvertrags von Versailles gegründet und ist seit 1946 eng mit den Vereinten Nationen verbunden. Sie setzt sich im Allgemeinen für die Durchsetzung minimaler arbeitsrechtlicher Standards und die Legitimierung von gewerkschaftlichen Organisationen (für Arbeiter und Angestellte) ein.

(Quelle: http://www.ilo.org/public/english/about/index.htm, Zugriff: 08.01.2006)

[19] Auch, da Zulieferbetriebe und Partner von der Selbstverpflichtung ausgenommen sind.

[20] Z.B.: Unilever, Deutsche Bank, DaimlerChrysler, Royal Dutch Shell, Dupont und Nike. Zehn Unternehmen aus Österreich haben den Global Compact bisher unterzeichnet, u. a.: Adecco Austria, EVN AG, OMV AG, Wienerberger AG, VA Technologie AG, wobei zwei davon Organisationen der Vereinten Nationen sind (UNIDO und UNODC). (Stand 01/2006)

[21] http://www.globalcompact.org

[22] Die Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) geht auf eine Initiative des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt (gest. 1992) zurück. 1986 wurde die Stiftung ins Leben gerufen, Gründungsmitglieder waren Willy Brandt, Ministerpräsident Johannes Rau, Kurt H. Biedenkopf, Ralf Dahrendorf, Friedhelm Farthmann, Uwe Holtz, Klaus Dieter Leister, Dieter Senghaas und Carola Stern. Weitere Informationen: http://www.sef-bonn.org

[23] Weitere Informationen über das INEF: http://inef.uni-duisburg.de

[24] Nordamerika, Westeuropa und Japan (bzw. teilweise Südostasien).

[25] Als Public Private Partnership (PPP) wird eine langfristige, vertraglich abgesicherte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft verstanden, deren Nutzen in der Bündelung von erforderlichen Ressourcen zur Erreichung von einem oder mehreren gemeinsamen Zielen liegt und bei welcher die Risiken und die Verantwortung eines Projekts optimal verteilt werden können. So zieht sich der Staat nicht vollkommen aus den Aufgaben zurück, die bislang als Verpflichtungen der öffentlichen Hand wahrgenommen wurden. Der Vor­teil für den Staat besteht hauptsächlich in der Erschließung neuer finanzieller Ressourcen, sodass auch kostenintensive Projekte realisiert werden können. Für die Privat­wirtschaft ergeben sich aus der Partnerschaft neue Geschäftsfelder (z.B.: als Betreiber­firma), die zur Steigerung von Unternehmensgewinnen benötigt werden. Derzeit finden PPP-Modelle hauptsächlich in Infrastrukturprojekten Verwendung, etwa beim Bau von Um­fahrungen oder Tunnels, aber auch im Immobilienbereich, zum Beispiel im Zuge von Renovierungen oder Sanierungen.

[26] Neokorporatismus bezeichnet die Einbindung von organisierten Interessen in die Politik und deren Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Durch diese Funktion soll vor allem in jenen Problembereichen eine (Selbst)Regulierung ermöglicht werden, die weder einem Marktmechanismus folgen, noch mittels Staatsintervention bearbeitet werden können. Die (meist vorhandenen) Eigeninteressen der privaten Akteure sollen dabei im Allgemein­interesse aufgehen. (Quelle: Internet: Bundeszentrale für politische Bildung: Handwörterbuch des politischen Systems in Deutschland: Neokorporatismus,

http://www.bpb.de/wissen/01275914909434604335614077813943, Zugriff: 03.01.2006)

[27] unter anderem im Reformbericht zum Milleniumsgipfel (2000)

[28] Gegenstand der Kritik ist vor allem die Vielzahl an Institutionen, die zu großen und schwerfälligen (Personal)Strukturen und anachronistischen Arbeitsweisen. Ebenso wird der UNO verschwenderischer Umgang mit dem Geld der Mitgliedstaaten vorgeworfen.

(vgl. Gareis/Varwick, 2003, S.289)

[29] Die Autoren werden von Messner und Nuscheler nicht explizit genannt.

Fin de l'extrait de 169 pages

Résumé des informations

Titre
Durch den Global Marshall Plan zu einer neuen Weltordnung? Eine Organisationsanalyse
Université
University of Vienna  (Institut für Soziologie)
Note
1,00
Auteur
Année
2006
Pages
169
N° de catalogue
V67288
ISBN (ebook)
9783638585576
ISBN (Livre)
9783656817123
Taille d'un fichier
1409 KB
Langue
allemand
Mots clés
Durch, Global, Marshall, Plan, Weltordnung, Eine, Organisationsanalyse
Citation du texte
Mag. Florian Josef Huber (Auteur), 2006, Durch den Global Marshall Plan zu einer neuen Weltordnung? Eine Organisationsanalyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67288

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