Hauptseminar Prof. Dr. Jürgen Newig: Städte und Stadtensemble

Moskau - Der Kreml und der Rote Platz als Bauensemble


Term Paper (Advanced seminar), 2005

35 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Gliederung

1. Die Beschreibung einzelner Markanter Objekte und Ensembles
1.1. Der Kreml
1.1.1. Die Profanbauten des Kreml
1.1.1.1. Kremlmauer
1.1.1.2. Großer Kremlpalast
1.1.1.3. Facettenpalast
1.1.1.4. Terempalast
1.1.1.5. Rüstkammer
1.1.1.6. Vergnügungspalast
1.1.1.7. Staatlicher Kremlpalast
1.1.1.8. Arsenal
1.1.1.9. Senatsgebäude
1.1.1.10.Präsidiumsgebäude der russischen Förderation
1.1.2. Die kirchlichen Bauten um den Kathedralenplatz
1.1.2.1. Mariä-Verkündigungs-Kathedrale
1.1.2.2. Erzengelkathedrale
1.1.2.3. Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale
1.1.2.4. Mariä-Gewandlegungs-Kathedrale
1.1.2.5. Patriarchenpalast und Zwölf-Apostel-Kathedrale
1.1.2.6. Glockenturm Iwan der Große
1.2. Der Rote Platz
1.2.1. Basiliuskathedrale
1.2.2. Leninmausoleum und Ehrenfriedhof
1.2.3. Historisches Museum
1.2.4. Kauhaus GUM
1.2.5. Kasaner Kathedrale

2. Beschreibung der Anordnung der erwähnten markanten Objekte und Ensembles in Bezug auf die Gesamtanlage
2.1. Die gegenseitige Anordnung des Kremls und des Roten Platzes
2.2. Die Anordnung der Objekte innerhalb des Kremls
2.3. Die Anordnung der Objekte auf und am Roten Platz

3. Beschreibung und Deutung der Gesamtanlage einschließlich der dazugehörigen Plätze und Stadtteile
3.1. Stalins Kathedralen
3.2. Kitai Gorod
3.3. Arbat
3.4. Twerskaja Uliza
3.5. Manegenplatz
3.6. Erlöserkathedrale

4. Kommunale, regionale, nationale und internationale Stellung und Deutung des Ensembles und somit der Stadt Moskau

5. Bibliographie

1. Die Beschreibung einzelner markanter Objekte und Ensembles

„Über Moskau steht nur der Kreml und über dem Kreml steht nur Gott“, besagt ein russisches Sprichwort. Der Kreml und der Rote Platz sind das Zentrum Russlands, sind schon lange das Symbol schlechthin für Russland gewesen. Moskau war das „Mekka des Kommunismus“ (Parigi 1971, S. 85) und noch immer schlägt das russische Herz hier, im Zentrum Moskaus. Der Kreml und der Rote Platz mit ihren Bauten sind das Wahrzeichen ganz Moskaus und Russlands. Seit 1990 ist dieses Bauensensemble Weltkulturerbe der UNESCO.

Um die Symbolik, die Repräsentativität, den Kult und die Bedeutung des Kremls und des Roten Platzes zu verstehen, bedarf es der ungefähren Kenntnis der Geschichte der Stadt Moskau, die mit der des Kremls und des Roten Platzes sehr eng verknüpft ist.

Im Folgenden wird erst der Kreml bzw. der Rote Platz als Ganzes beschrieben, da sich die genaue physische Genese und somit die Geschichte der alten Holzpaläste,

-Kirchen und -Häuser im Kreml und am Roten Platz als sehr schwer nachvollziehbar gestaltet und verlässliche Quellen fehlen. Die jeweilig dazugehörigen, einzelnen, markanten Objekte werden in den Unterpunkten spezieller erläutert. Deswegen beginnen die Folgepunkte meist erst mit dem ersten urkundlich erwiesenen Zeitpunkt des Ausbaus, der dann meist mittels Steinen geschah. Aus gleichem Grunde wird im Punkt 1.1. auch bis ins 15. Jahrhundert hinein der Kreml als Ganzes betrachtet.

1.1. Der Kreml

1147 wird Moskau das erste Mal urkundlich als Fürstensitz erwähnt, 1156 wird es mit einem von Eichenholzpalisaden besetzten Erdwall mit vorgelagertem Graben befestigt, was die Siedlung zum Kreml werden lässt. Kreml bedeutet auf Deutsch nichts Anderes als Stadtburg, doch wieso war gerade Moskau befestigter Fürstensitz geworden? Namensgeber dieser Siedlung war der Fluss Moskwa, den man hier mittels einer Furt durchqueren konnte. Deswegen kreuzten sich hier unter anderem zwei große Handels- und Kommunikationswege, die zum einen Skandinavien mit dem Orient verbanden, zum anderen die damals schon sehr wichtigen Städte Smolensk und Kiew. Des Weiteren war die Moskwa ein schiffbarer Handelsweg, was den Marktflecken ebenfalls begünstigte. Die Umgebung war wie fast ganz Russland eher sumpfig und flach. Holz als Baumaterial war dank der dichten umliegenden Wälder im Überfluss vorhanden, lediglich Steine mussten von weit her angeliefert werden. Indes stellte das 40m hohe Steilufer zwischen der Moskwa und einem Zufluss, der Neglinnaja (die heute in Rohren direkt westlich des Kremls verläuft), eine relativ kapitale Erhebung dar, die ergo auch sicher vor Überschwemmungen, bestens drainiert und gut zu verteidigen war.

Aus diesen Gründen war Moskau schon lange Marktflecken gewesen und dank seiner günstigen Lage wurde der Kremlhügel aufgrund seiner stetig wachsenden Bedeutung 1156, im Geburtsjahr des Kremls, befestigt. Zu jener Zeit war Moskau allerdings noch weit davon entfernt, die Hauptstadt eines Fürstentums bzw. die eines Reiches zu werden. Im Jahr 1238 wird Moskau von den Tataren in Schutt und Asche gelegt. Für die nächsten 250 Jahre währte die Herrschaft dieses mongolischen Reitervolkes über Russland. Moskau erholte sich von dieser Katastrophe dank der verkehrsgünstigen Lage und der damit verbundenen Wegzölle und Abgaben schneller als andere zerstörte Städte. Hinzu kam die relativ sichere und trotzdem geographisch zentrale Lage in den tiefen Sümpfen und Wäldern, sodass sich bald ein kleines, den Tataren tributpflichtiges Fürstentum bildete.

Ab 1325 wurde Iwan I Fürst von Moskau. Dieser stand in besonderer Gunst beim Khan, so dass er das Privileg erhielt, bei den anderen Fürsten den Tribut für den Khan einzutreiben. So manche Münze wird aber in der Tasche von Iwan I hängen geblieben sein, was ihm den Beinamen „Geldbeutel“ einbrachte. In der Folge vervielfachte er die Besitzungen Moskaus durch Kauf, Heirat und wenn nötig auch durch Gewalt, er „sammelte die russische Erde ein“(Hamel 2004, S. 23). Der Kreml wurde allmählich Zentrum eines stolzen, immer größer werdenden Fürstentums. So kam es dann 1326 auch zur Verlegung des Sitzes der Metropoliten, der Oberhäupter der russisch-orthodoxen Kirche, nach Moskau, was einen regen Kirchenbau und Kirchenaus- oder Umbau innerhalb des Kremls zur Folge hatte. Dank des Reichtums verwendete man hierzu aber kein Holz mehr, woraus bis dato die gesamte Stadt bestand, sondern Stein. Auch wurden die Häuser des Klerus im Rücken der neu entstehenden Mariä-Himmelfahrt-Kirche aus Stein gebaut. Im selben Jahr begann der steinerne Ausbau der Kremlmauern. 1328 wurde Iwan I dann zum Großfürsten ernannt, woraufhin er an die byzantinische Herrschaftsform anknüpfte, nach der er alle weltliche und kirchliche Gewalt besitzt. Diese Form der absoluten Herrschaft wird bis zur Oktoberrevolution 1917 währen.

Anfangs war der Kreml eine reine Verteidigungsanlage. In den Jahren 1367/1368 jedoch sollte der Reichtum und die Macht der mittlerweile 30.000 Einwohner zählenden, längst über die Grenzen des Kreml hinausgewachsenen Stadt nicht mehr nur über die goldenen Kuppeln der kalksteinernen, prächtigen Kirchen symbolisiert werden, sondern durch die Kremlmauern selbst. Die gesamte Anlage wurde modernisiert, die Palisaden durch höhere Steinmauern ersetzt, die Gräben vertieft. Auch wurden steinerne Wehrtürme und mächtige, verzierte Eingangstore erbaut. Als Baumaterial verwendete man wie für die Kirchen weißen, kostbaren Kalkstein (KAH Bonn 2005). Der neue Kreml war größer geworden, musste er doch inzwischen schon rund 14.000 (Holz-)Häuser beschützen. Die Verwendung edler Baumaterialien und die Verzierungen am Kreml verdeutlichen das neu aufgekommene Bedürfnis der Großfürsten, ihre Macht durch Symbole, hier durch die Verteidigungsanlage, zu zeigen. Moskau war bereits zum weltlichen und geistlichen Zentrum, aber noch nicht zur Hauptstadt, Russlands avanciert, da repräsentierte ein weißes, also ein „reines“ oder „himmlisches“ Antlitz diese zentrale Rolle sehr passend.

In der Folge wagte Moskau zweimal den Aufstand gegen die Tataren und zweimal wurde es von ihnen verwüstet. Doch waren diese Niederlagen auch Siege für das Fürstentum Moskau, da sie ihm Ehre und Anerkennung als Führer gegen die Tataren einbrachten. So gelang es dann auch Iwan III, 1480 das „tatarische Joch“ endgültig abzuschütteln (dtv Merian 1990, S. 35). Er nannte sich fortan „Herrscher über die vereinigten russischen Fürstentümer“. Die weiße Festung des Kremls war sein Sitz und somit zum Symbol für das gesamte russische Reich geworden. Im Übrigen titulierte sich Moskau seit dem Fall Konstantinopels 1453 als „Drittes Rom“ (Parigi 1971, S. 87), was den Anspruch Moskaus als Hauptstadt einer neuen Weltmacht verdeutlicht.

Diese neue Souveränität und Macht des Reiches wurde in einem abermaligen Umbau des Kremls, seines Zentrums, verdeutlicht. Der Neubau erfolgte zwischen 1485 und 1495 in rotem Backstein. Sein Inneres wie sein Äußeres wurde von da an unter Iwan III & IV stark verändert, sollten seine Gebäude doch die Macht, die Standhaftigkeit und den Fortschritt des russischen Reiches repräsentieren, um so Moskau den wichtigsten Hauptstädten der Welt gleichzustellen (Thompson 1990). Holzbauten wurden durch solche aus Stein repräsentativ wirksam neu gebaut. Die einfache Bevölkerung und das Handwerk lebten zunehmend vor den Toren des Kremls, in den Vorstädten, die mittlerweile auch von Stadtmauern gesichert waren. Der Handel hatte sich längst vollständig auf den Roten Platz verlagert. Seine Perfektion als Verteidigungsanlage erfuhr der Kreml im 16. Jahrhundert durch die Ziehung eines 32m breiten und 12m tiefen Festungsgrabens, der die Moskwa auf der Seite des Roten Platzes mit der Neglinnaja verband und ihn so zur schier uneinnehmbaren Festung machte (er wurde 1821 wieder zugeschüttet). Seitdem hat er in etwa seine heutige Form, auf die in Punkt 1.1.1. genauer eingegangen wird. Lediglich die Silhouette des Kremls insgesamt hat sich seitdem enorm verändert, hierzu trugen die jeweiligen Gebäude mit deren Neu- oder Umbauten bei, die ebenfalls im Folgenden genauer erläutert werden.

In der folgenden Zeit wurden 1598 durch die endgültige Verlegung des Patriarchats von Konstantinopel in den Kreml die kirchlichen Bauten weiter ausgebaut. 1704 wurde nach einer weiteren, verheerenden Feuersbrunst ein Verbot von Holzhäusern innerhalb des Kremls erlassen, was das Volk endgültig aus dem Kreml ausschloss (KAH Bonn 2005). 1713 verlegte Peter I die Hauptstadt nach Moskau, was einen herben Bedeutungsverlust für Moskau nach sich zog, wenn es auch das „Herz“ Russlands blieb (Parigi 1971, S. 31). Erst Katharina die Große interessierte sich wieder für den Kreml, was sich in einer regen Bautätigkeit im Inneren manifestierte. Napoleon fiel 1812 in das verlassene Moskau ein, was das Ende seines Siegeszuges durch Europa zur Folge hatte. Der von den Moskauern wahrscheinlich selbst gelegte Großbrand, dem zwei Drittel der Häuser zum Opfer fallen, zwang Napoleon zum Rückzug, wobei er vergebens versuchte, aus Rache den gesamtem Kreml zu sprengen. Doch hatte dieser Brand auch eine positive Kehrseite der Medaille. Der Großteil der zerstörten Gebäude bestand wegen des Verbots, zwischen 1714 und 1728 Steinbauten außerhalb St. Petersburgs zu errichten, aus Holz. Der Brand schuf also den Ausgangspunkt für eine neue Gestaltung gesamt Moskaus mit den berühmten Baudenkmälern des klassizistischen, pseudorussischen und historisch altrussischen Stils (Parigi 1971, S. 88, Nagel 1974, S. 16, DuMont 1984, S. 29).

Seitdem ist der Kreml nur noch nach der Oktoberrevolution unter den Kommunisten stark verändert worden, die z.B. die Kirche komplett aus dem Kreml verdrängten und 2 Klöster und diverse Kirchen sogar sprengten. Den Anstoß zur Revolution, die in St. Petersburg ihren Anfang nahm, gaben die katastrophalen Lebensverhältnisse des russischen Volkes und der Erste Weltkrieg. Innerhalb der revolutionären Bewegungen gewannen bald die Kommunisten unter Lenin die Führung. Sie entmachteten die feudale Herrscherklasse und brachten sie anschließend weitestgehend um, die Zarenfamilie inbegriffen. Den Kreml machten sie zum Symbol für die Stärke der Sowjets und des Kommunismus an sich, auch wenn sie architektonisch nicht viel veränderten.

Seit Ende des Kommunismus wird wieder verstärkt der geistliche und zaristische Charakter des Kremls seitens der Regierung hervorgehoben. Auch die Revolution, die am 31.12.1991 das Ende der UdSSR und der Sowjets brachte, ergab sich wie schon 1917 aus der Not des Volkes. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Konsumgütern war auch nach den umfassenden Reformen Gorbatschows nicht ausreichend, sodass die Forderung der damaligen Opposition unter Jelzin nach demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen in weiten Kreisen der Bevölkerung den zum Systemwechsel nötigen Zuspruch fand. Eine Opposition konnte sich paradoxerweise erst wegen der Reformen Gorbatschows formieren; der Reformwille von oben verwandelte sich in eine nicht mehr aufzuhaltende Revolution von unten (Hamel 2004, S. 30). Das erste Mal in der Geschichte des Kremls beheimatete er eine direkt vom Volk gewählte Regierung und repräsentierte auf diese Weise die neu erlangte Freiheit des Volkes. Die neue Demokratie besinnte sich nun ohne die kommunistische Ära zu verdrängen auf die Traditionen und Symboliken des feudalen und religiösen Kremls zurück, um sich dadurch als deren würdige und moderne Nachfolgerin zu legitimieren, ohne ihre Wurzeln zu vergessen. Trotzdem ist der Kreml der Öffentlichkeit heutzutage in weiten Teilen nicht zugänglich. Diese Tatsache und die hohen Mauern bewirken noch heute ein Bild der Verschlossenheit und repräsentieren ungewollt noch immer eine gewisse Distanz der Regierenden zum Volk.

Der heutige Kreml ist ergo das Ergebnis einer vielseitigen Geschichte der Stadt Moskau und Russlands, wobei er immer eine zentrale Rolle gespielt hat. So kommt es, dass der gesamte Kreml in einwandfreiem baulichen Zustand ist, da er als das Symbol überhaupt und als regionales bzw. nationales und internationales Wahrzeichen Moskaus, Russlands und des ehemaligen Kommunismus stetig restauriert und in Form gehalten wird und wurde. Des Weiteren ist er auch weiterhin Sitz der Regierung Russlands und seit dem Ende des Kommunismus wieder Sitz des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche und ist damit fortwährend das Herz Russlands. Er war stets das Herz dieser Kirche und ihr Heiligtum. Der Kreml steht in seiner Einheit als Domizil sowohl profaner wie auch kirchlicher Gebäude als Symbol für die sehr innige Verschmelzung von Kirche und Staat bis hin zur Oktoberrevolution. Auch die heutige, demokratische Regierung macht sich wieder die Nähe zu den religiösen Stätten und Protagonisten zunutze, indem sie deren Moralvorstellungen zu ihren Nutzen politisieren und so die Religions- und Ethikvorstellungen weiter Bevölkerungsgruppen, meiner Meinung nach ist dies äußerst problematisch, macht- und wahlwirksam instrumentalisieren.

Generell sei noch anzumerken, dass im Kreml weder ein architektonischer Gesamtplan auszumachen ist, noch die einzelnen Gebäude so zueinander geordnet sind, dass sich ein einheitliches Bild ergibt. Jeder Herrscher hat versucht, ihn nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten und doch ist keinem mehr gelungen, als der Anlage jeweils einzelne Objekte hinzuzufügen.

Zur Zeit der Sowjets war der Kreml größtenteils nicht zugänglich, was sich außer bei den Regierungsgebäuden inzwischen geändert hat. Die genaue physische Genese und somit die Geschichte der alten Holzpaläste und Kirchen in und um den Kreml gestaltet sich als sehr schwer nachvollziehbar, da verlässliche Quellen fehlen. Deswegen beginnen die Folgepunkte meist erst mit dem urkundlich immer erwähnten Zeitpunkt des Ausbaus in Stein. Aus gleichem Grunde wurde in diesem Punkt 1.1. auch bis ins 15. Jahrhundert hinein der Kreml als Ganzes betrachtet.

1.1.1. Die Profanbauten des Kremls

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Stadt Moskau war wegen der immensen Verfügbarkeit von Holz lange bis auf die Kirchen und die Befestigung nicht aus Stein errichtet. Durch zahlreiche Feuersbrünste wurden diese immer wieder zerstört und sind deswegen in ihrer Form auch nicht wissenschaftlich belegbar. Mit dem Machtgewinn im 15. Jh. stieg der Drang nach Repräsentativität jedoch sprunghaft an, was das Aufkommen steinerner Regierungsbauten zur Folge hatte. Initiator des Baus der folgenden Bauwerke war durchweg der Staat (Regierung und/oder Militär). Dieser gab auch immer die jeweilige Funktion vor, auch wenn diese nicht von Dauer sein musste und sich gemäß dem Zeitgeist des Öfteren wandelte. Gleichzeitig hatten sie immer die jeweiligen Herrscher zu repräsentieren, zu beherbergen und auch zu beschützen (noch heute ist Passkontrolle am Eingang des Kremls).

1.1.1.1.Die Kremlmauer

Die Kremlmauer wurde, wie bereits erwähnt, 1156 im Rahmen der Befestigung Moskaus als ein mit Palisaden besetzter Erdwall errichtet. In den Jahren 1367/1368 wurden die Palisaden durch eine weiße Kalkmauer ersetzt und mit hohen, prächtigen Wachtürmen versehen.

Der Ausbau zur heutigen Form geschah aber erst in den Jahren 1485-1495.

Die Gattin Iwan III holte zwei berühmte norditalienische Architekten (u.a. Pietro Solari, Erbauer des Vendramin-Calergi-Palastes auf dem Canal Grande in Venedig), die dem Kreml seine heutige Dimension und Form gaben. Grund des Neubaus waren einerseits die nötige Modernisierung der Verteidigungsanlage, andererseits aber der Drang nach Repräsentativität. Dieser ergab sich zum einen aus der neuen Rolle als Drittes Rom, also als Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche und aus der Rolle der Hauptstadt eines stetig aufstrebenden Reiches, zum anderen um den Reichtum, die Macht und die Pracht der Stadt und des Reiches anhand seines Äußeren, der Kremlmauer also, zu symbolisieren.

Die Weiße Stadt wurde ihrer Farbe beraubt, da die neue Kremlmauer in rotem Ziegelstein erbaut wurde. Bis heute begrenzt die 2335m lange, zwischen 5m und 19m hohe und 3,5m und 6,5m dicke Mauer den inzwischen auf 28ha gewachsenen, unregelmäßig dreieckigen Kreml. Die Insgesamt 1045 Zinnen des Kremls sind 2m - 2,5m hoch. Modell für diese „prachtvolle“ (Hamel 2004, S. 78) Architektur standen die Mauern des Sforzapalastes in Mailand, was die wachsende Ausrichtung des russischen Reiches zu den westlichen Handelzentren und deren kulturellen Errungenschaften der Renaissance symbolisiert (Parigi 1971, S. 87,88). Die Genese der 20 Türme der Kremlmauer, die oft auch ein Tor beinhalten und in relativ gleichen Abständen errichtet sind, ist sehr unterschiedlich, weswegen sie im Folgenden einzeln behandelt werden. Die Ecktürme haben dabei mit 4m die dicksten Mauern und sind zur Verteidigung in alle Richtungen rund erbaut. Die Übrigen sind allesamt eckigem Grundrisses, was sie wuchtiger und kräftiger wirken lässt. Des Weiteren werden deren Häupter mal von den alten Sowjetsternen, mal von Kreuzen, mal vom Doppeladler der russischen Monarchie gekrönt, was die seit dem Kommunismus eingetretene Hochachtung vor allen Epochen und Regisseuren der russischen Geschichte symbolisiert.

Das 1490 von Solari erbaute, 50m hohe Borowitzki-Tor ist das älteste des Kremls. Dieser Turm, auf dessen Zeltdach das Symbol des russischen Zarenhauses, der Doppeladler, wie auch auf den übrigen Haupttürmen immer noch durch den roten Stern ersetzt ist, wurde besonders aufwendig gestaltet, da durch ihn die Straße nach Kiew führte. Die Ketten der im 17. Jahrhundert abgebauten Zugbrücke über die Neglinnaja sind noch heute sichtbar.

Strategisch von großer Bedeutung war der nächste, der Moskwa zugewandte, von den Franzosen gesprengte aber wieder aufgebaute Wasserhebeturm an der westlichen Ecke des Kremls. 1653 erhielt er von englischen Hydraulikmeistern eine Pumpanlage, die den Kreml autark mit Wasser aus der Moskwa versorgte.

Der folgende, mit Ikonen reich verzierte Verkündigungsturm erhielt seinen Namen von der in der postoktoberrevolutionären Epoche abgetragenen Verkündigungskirche, dessen Glockenturm er war. Mit dem Ende der UdSSR wurde dieser Turm mit dem im Kreml angrenzenden Park zum Mahnmal gegen den zerstörerischen Atheismus der KPdSU und die simple Wetterfahne wieder durch ein Kreuz ersetzt (Hamel 2004, S. 78).

[...]

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Details

Title
Hauptseminar Prof. Dr. Jürgen Newig: Städte und Stadtensemble
Subtitle
Moskau - Der Kreml und der Rote Platz als Bauensemble
College
Christian-Albrechts-University of Kiel  (Geographisches Institut)
Grade
1,3
Author
Year
2005
Pages
35
Catalog Number
V67753
ISBN (eBook)
9783638604994
ISBN (Book)
9783638672351
File size
1527 KB
Language
German
Notes
Die Stadt Moskau: Geschichte der Stadtentwicklung, Bauwerke, Symbolistik, Semiotik, Bauensembles, Wahrzeichen, Auswirkung Moskaus Bauwerke auf die Welt
Keywords
Moskau, Kreml, Rote, Platz, Bauensemble, Stadtgeschichte Moskau, Roter Platz, Zentralismus, Geschichte, Entwicklung, Stadtgeographie, Wahrzeichen, Kevin Lynch
Quote paper
Bastian Naumann (Author), 2005, Hauptseminar Prof. Dr. Jürgen Newig: Städte und Stadtensemble, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67753

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