Der Hindu-Nationalismus als Gefahr für die indische Demokratie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Entstehung und Grundlagen des Hindunationalismus
II.1 Die Idee von Hindutva oder: Die Harmonie der Hierarchie
II.2 Bedrohung und existentieller Konflikt
II.3 Das Verhältnis von Hindu-Nationalismus und Demokratie
II.3.1 Religion und Nationalismus
II.3.2 Hindutva und Demokratie

III. Bedingungen des Aufstiegs des Hindu-Nationalismus in den 1980ern
III.1 Politische Rahmenbedingungen: Der Zusammenbruch des Congress-Systems
III.2 Sozioökonomische Rahmenbedingungen: Soziale Polarisierung vs. Harmonie der Hierarchie
III.3 Die existentielle Bedrohung als Mobilisierungskampagne

IV. Organisationsformen des Hindu-Nationalismus: Die Sangh Parivar
IV.1 Der RSS und sein Netzwerk
IV.2 Der Vishwa Hindu Parishad – Der Welt-Hindurat
IV.3 Die Bharatiya Janata Partei und ihre Rolle in der indischen Demokratie
IV.3.1 Die BJP als politischer Arm des Hindu-Nationalismus
IV.3.2 Die BJP und ihr Verhältnis zur Demokratie

V. Der Hindunationalismus nach dem Machtverlust der BJP 2004
V.1 Die BJP nach ihrer Wahlniederlage
V.3 Außerparlamentarische Aktivität hindunationalistischer Organisationen: Das Beispiel Shivsena

VI. Fazit

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Mit der Abwahl der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Partei im Jahr 2004 scheint der Hindu-Nationalismus wieder in die Position eines gesellschaftlichen Randphänomens zurückgedrängt worden zu sein. Prognosen über den Untergang der indischen Demokratie haben sich offensichtlich nicht bewahrheitet und der rasante Aufstieg des Hindunationalismus, welcher in den 80er-Jahren seinen Lauf nahm, ist offensichtlich beendet.

Doch auch nach dem Machtverlust der BJP auf Bundesebene bleibt der Hindu-Nationalismus eine bedeutsame Kraft in der indischen Politik und Gesellschaft. So wurde die BJP 2003 bei den Wahlen im Bundesstaat Gujarat wiedergewählt und kann dort wie auch in anderen Provinzen ihren Einfluss geltend machen, um zumindest teilweise eine Hinduisierung der Politik durchzusetzen.[1] Der renommierte indische Historiker Sumit Sarkar weist Mitte 2005 auf diesen Umstand hin: „Wir müssen die BJP weiterhin sehr ernst nehmen, denn wie jeder andere große Zusammenschluss operieren auch die Hindunationalisten auf verschiedenen Ebenen“.[2] Mit diesen verschiedenen Ebenen ist jedoch nicht nur das parlamentarische Engagement auf Bundes- und Staatsebene gemeint, sondern auch die zahlreichen religiös-kulturellen Organisationen die zum dem Netzwerk der hindu-nationalistischen Partei, der Sangh Parivar, gehören und die die indische Gesellschaft geradezu durchdringen.

Die anhaltenden kommunalistischen Spannungen und Unruhen in Indien, wie z.B. im April diesen Jahres ein Bombenanschlag auf eine Moschee in Neu-Delhi,[3] zeigen außerdem, dass grundlegende religiös-kulturelle aber auch nationale Konflikte in der indischen Gesellschaft noch nicht ausreichend gelöst sind. Auch kommunalistische Gewalt gegen Muslime ist als ein Aspekt des modernen Hindu-Nationalismus zu sehen, aber auch eine Reduzierung des Hindu-Nationalismus auf seine gewalttätige Komponente, wäre zu begrenzt.

Im Folgenden sollen nun erst einmal die ideologischen und religiösen Wurzeln des Hindu-Nationalismus, welcher auf der von V.D. Savarkar geprägten Idee von Hindutva besteht, beleuchtet werden. Anschließend soll eben dieses Hindutva-Konzept auf seine Beziehung zu Demokratie und Pluralismus hin untersucht werden. Dabei soll es darum gehen, seine spezifische Form des kulturellen Nationalismus darzustellen sowie zu klären, wie es sich zu demokratischen Werten wie Toleranz und Pluralismus verhält. Von hier ausgehend gilt es, den Aufschwung des Hindu-Nationalismus in den 80er Jahren anhand der politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen sowie anhand der spezifischen Mobilisierungsstrategien der Hindu-Nationalisten zu erklären.

Auf dieser Grundlage soll die Darstellung des hindu-nationalistischen Sangh Parivar-Netzwerkes erfolgen, wobei der Welthindurat VHP sowie die Barathiya Janata Partei aufgrund ihrer großen Bedeutung innerhalb des Spektrums und ihrer Mobilisierungsfähigkeiten genauer betrachtet werden sollen.

Nachdem im vorherigen Kapitel vor allem der Weg der BJP auf dem Weg an die Regierung, sowie ihre Politik als Regierungspartei beschrieben worden sind, soll es danach darum gehen, die Situation des Hindunationalismus nach der Wahlniederlage der Partei im Jahr 2004 darzustellen. Nach einer kurzen Einschätzung der Oppositionsrolle der BJP gilt der Hautaugenmerk den lokalen und außerparlamentarischen Aktivitäten der Hindu-Nationalisten. Am Beispiel der militanten Partei Shivsena soll zum Abschluss noch einmal die ideologische Durchdringung durch den Hindu-Nationalismus in Form von Basisarbeit dargestellt werden, sowie eine Einschätzung über die Konsequenzen und den Erfolg derartiger Aktivitäten erfolgen. Es wird also das Anliegen verfolgt, das breite Spektrum des Hindu-Nationalismus zumindest im Wesentlichen zu beleuchten und auf diese Weise darzustellen, warum eine hindu-nationalistische Bewegung auch ohne Regierungsbeteiligung eine Gefahr für ein demokratisches Regime darstellen könnte.

II. Entstehung und Grundlagen des Hindu-Nationalismus

II.1: Die Idee von Hindutva oder: Die Harmonie der Hierarchie

Die Idee von Hindutva gilt als wichtigster Einfluss des heutigen Hindu-Nationalismus. In seinen Schriften systematisiert der Brahmane V.D. Savarkar Mitte der 1920er die Prinzipien, auf welchen die hindu-nationalistische Ideologie, und mit dieser die meisten der heutigen hindu-nationalistischen Organisationen, basieren.[4] Schon vor seiner konkreten Formulierung finden sich wesentliche ideelle Grundlagen von Hindutva bei den radikalen Nationalisten, welche sich vom Congress Ende des 19. Jahrhunderts abspalten und deren Wortführer die Grundlage des späteren Hindu-Nationalismus liefern.[5]

Savarkar geht von dem indischen Volk als ursprünglicher Einheit aus, als „Organic National Being“[6], welches durch muslimische und britischer Eroberer zersplittert worden sei, und definiert in seiner 1923 erschienen Schrift Who is a Hindu? im Folgenden die Kriterien der Zugehörigkeit zum Hinduismus. Das Konzept von Hindutva postuliert die Einheit aller Hindus, auch über Riten- und Kastengrenzen hinweg. Es ist geprägt von der Vorstellung eines „harmonisch-hierarchischen Gefüges des hinduistischen Kastensystems“[7] in welchem jede gesellschaftliche Gruppe die Aufgabe habe, die ihm das hinduistische Dharma, also die hinduistische Ethik, zuweise[8] – erfüllt sie diese, so entstehe die Harmonie der Hierarchie. Daraus ergibt sich auch oftmals die Leugnung sozialer, vor allem Kasten-bedingter Unterschiede durch die frühen Hindu-Nationalisten der 1920er, wird doch die Funktion des Individuums als Teil eines großen Ganzen behauptet.[9]

Die Zugehörigkeit zu dieser harmonischen Einheit definieren Savarkar und seine Nachfolger nicht als religiös-einheitliche Gruppe, sondern durch Teilhabe am hinduistischen Erbe. Punyabhoomi, das heilige Land, dient Savarkar als zentrale Kategorie der Definition. Er nimmt damit eine Territorialisierung der Religion vor und meint, legitime Bürger Hindusthans seien die Gruppen, welche ihre heiligen Stätten auf seinem Boden haben. Als weitere Kriterien der Zugehörigkeit zur Hindu-Nation, zur Hindu Rashtra, gelten ihm ein gemeinsames rassisches Erbe sowie eine gemeinsame Kultur[10] und er folgert aus dieser religiös-kulturellen Zugehörigkeit auch die Begründung politischer Teilhabe.[11] Während nämlich Sikhs und auch Buddhisten sich als Hindus bezeichnen könnten, seien Christen und Muslime als Fremde zu betrachten, welche die homogene Einheit der Nation stören. Zudem könne die Hindu-Nation das ihr eigene Wesen, also Hindutva, erst in einem unabhängigen Hindu-Staat verwirklichen.[12] Diese Vorstellung von Hindutva, wie Savarkar sie prägte, kann als wichtigster Einfluss der aufkommenden hindu-nationalistischen Bewegung der 1920er gesehen werden und prägt diese bis heute.

II.2: Bedrohung und existentieller Konflikt

Die Konstruktion einer harmonischen Hindu-Einheit geht einher mit einer radikalen Abgrenzung von anderen Gruppen, insbesondere den Muslimen, welche als Bedrohung für die nationale Einheit betrachtet werden. So bestehe die Notwendigkeit zur Eigenbezeichnung und damit zu einem klaren Bekenntnis der Hindus erst eben durch den Kontakt, welchen Savarkar automatisch mit Konflikt gleichsetzt, mit dem Islam als „non-self“, um sich von diesem abzugrenzen.[13]

Der Gedanke der Fremdheit der Muslime, als operationale Andere, beruht auf der Erfahrung der einstigen Eroberung des Subkontinents durch die Moguln – einem historischen Ereignis, aus welchem die angeblich natürliche Aggressivität und Intoleranz der Muslime abgeleitet, und diese zum Feind aller Hindus stilisiert werden. Zwar sei der Hindu von sich aus tolerant und gewaltlos, doch dies könne in diesem Fall zu seiner Schwäche werden, sei die Selbstverteidigung gegen die muslimische Bedrohung doch dringend nötig. Savarkar sagt dazu: „Relative non-violence is our creed, and therefore we worship the defensive sword as the first saviour of man“[14] und neutralisiert damit Gewalt durch Hindus durch das Motiv der Verteidigung.[15] Die Visionen Savarkars sind jedoch offensichtlich stark durch Rachegelüste geprägt, sagt er doch, in Bewunderung des deutschen Nationalsozialismus, über die Muslim League seiner Zeit: „(...) if we Hindus in India i

grow stronger in time these Moslem friends of the league will have to play the part of German-Jews“.[16]

Die angebliche Bedrohung durch Muslime wird also bereits im frühen Hindu-Nationalismus zum existentiellen Konflikt stilisiert und andere, insbesondere innergesellschaftliche, Konflikte finden kaum Erwähnung oder werden gar geleugnet. Savarkar legitimiert in seinen Schriften Gewalt gegen Moslems als Kampf der Hindus für ihre national existence und wirft indischen Politikern vor, aus Opportunismus die Interessen der Hindus zu verraten - durch Sonderrechte für z.B. die muslimische Minderheit - und die nationale Einheit zu gefährden. Die äußere Bedrohung durch die Muslime sei eben aufgrund der inneren Uneinigkeit der Hindus eine solche Gefahr für ihre Existenz.[17]

II.3: Das Verhältnis von Hindu-Nationalismus und Demokratie

II.3.1 Religion und Nationalismus

Der Hindunationalismus ist ideologisch betrachtet zunächst also eine Kombination aus Religion und Nationalismus. Aufgrund der universalistischen Ansprüche der meisten Religionen, könnte man meinen, ihre ideologische Kombination mit dem Nationalismus sei kaum möglich. Doch die Geschichte zeigt, dass Religion und Nationalismus auch mächtige Verbündete sein können[18], vor allem um Menschen zu mobilisieren.

Der indische Staat definiert sich seit 1976 als säkular. Es setzten sich im Congress schließlich die Stimmen durch, die, anhand der Erfahrungen der muslimischen Minderheit, der Meinung waren, dass: „secularism is in practice the only guarantee for protection of minority rights“ und damit eine wichtige Voraussetzung für die indische Demokratie sei.[19] Die Hindunationalisten werfen dem Congress-System jedoch Pseudosäkularismus vor, da dieser religiösen Minderheiten Sonderrechte gewähre und so der nationalen Einheit schade und sie liefern zugleich eine umfassende Neuinterpretation des Nationsbegriffes, welcher sich von der staatsbürgerlichen Perspektive des Congress, durch seinen Kulturalismus, klar abgrenzt.[20] Es klingt zunächst erstaunlich, dass eine Bewegung, welche sich für die Wiederentdeckung hinduistischer Prinzipien einsetzt, sich zugleich als wahrhaft säkular versteht. Die Ursache hierfür ist hauptsächlich darin zu suchen, dass der Hinduismus weniger als Religion denn als soziales System betrachtet wird - ein durch das Hindu-Dharma vermitteltes Kastenwesen. Es sei daher keine Religionsgruppe prinzipiell von der Hindu-Nation ausgeschlossen, doch müsse diese Traditionen, Riten und Geschichte der Hindus anerkennen. Wie sich der hindu-nationalistische Staat, dessen Hauptaufgabe die Vermittlung des Dharmas, also im Grunde des Hindu-Glaubens sein soll, dennoch als säkular verstehen könnte, ist fraglich. Dieser Aspekt soll im Folgenden noch weiter erarbeitet werden, sowie damit zusammenhängend das Verhältnis des Hindu-Nationalismus zu Pluralismus und Demokratie geklärt werden.

[...]


[1] Vgl. Zwenger, Anna: Gujarat, ein innenpolitisches Spannungsfeld; Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik; Ausgabe 2/06; Brühl. S.3.

[2] www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Indien/nationalismus.html 24.08.06

[3] Vgl. Zwenger 2006; S.6.

[4] Vgl. Mc Kean, Lise: Divine Enterprise – Gurus and the Hindu-Nationalist Movement; The University of Chicago Press; Chicago; 1996; S.73.

[5] Vgl. Voll, Klaus und Uwe Skoda; Der Hindu-Nationalismus in Indien: Aufstieg – Konsolidierung – Niedergang?; Weißensee Verlag; Berlin 2005; S.7f.

[6] Bose, Sugata und Jalal Ayesha: Nationalism, Democracy and Development – State and Politics in India; Oxford University Press; Oxford; 1997; S.155.

[7] Eckert; Julia: Die Verstetigung des Konflikts: zur Rolle von Religion im Hindu-Nationalismus; in: Michael Minkenberg / Ulrich Willems (Hrsg.): Politik und Religion; PVS – Politische Vierteljahresschrift; Sonderheft 33/2002; Westdeutscher Verlag; Wiesbaden, 2003; S.346-369; S.349.

[8] Vgl. Voll 2005; S.23.

[9] Vgl. Eckert 2003; S.349.

[10] Vgl. Voll 2005; S.17f.

[11] Vgl Eckert 2003; S.352.

[12] Vgl. Voll 2005; S.19.

[13] Vgl. Bhatt, Chetan: Hindu Nationalism – Origins, Ideologies and modern Myths; Berg/ Oxford International Publishers; Oxford; 2001; S.89.

[14] Mc Kean 1996; S.89.

[15] Vgl. Eckert 2003; S.355.

[16] Mc Kean 1996; S.87.

[17] Vgl. Eckert, Julia: Partizipation und die Politik der Gewalt – Hindu-Nationalismus und Demokratie in Indien; Studien zu Ethnizität, Religion und Demokratie; Nomos Verlagsgesellschaft; Baden-Baden; 2004; S.97.

[18] Vgl. Berglund, Henrik: Hindu Nationalism and Democracy: A Study of the Political Theory and Practice of the Bharatiya Janata Party; Department of Political Science, Stockholm University; 2000; S.15.

[19] Vgl. Ebd. S.23.

[20] Vgl. Ebd.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Der Hindu-Nationalismus als Gefahr für die indische Demokratie
Hochschule
Universität Rostock  (Politik- und Verwaltungswissenschaften)
Veranstaltung
HS Politik, Wirtschaft und Außenpolitik Indiens zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
27
Katalognummer
V68044
ISBN (eBook)
9783638606202
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hindu-Nationalismus, Gefahr, Demokratie, Politik, Wirtschaft, Außenpolitik, Indiens, Beginn, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Rebecca Richter (Autor:in), 2006, Der Hindu-Nationalismus als Gefahr für die indische Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68044

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