Ist die Kindheit wirklich verschwunden? - Fragen einer Diplompädagogin an Neil Postman


Mémoire (de fin d'études), 2001

112 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Vorüberlegung

I. Kindheit und Kindheitsgeschichte
1. Definition der Kindheit
1.1 Annäherung an eine Definition der Kindheit
1.1.1 Definition der Kindheit – Die unterschiedlichen Sichtweisen
1.1.2 Definition der Kindheit – Die gemeinsamen Aspekte
1.2 Postmans Auffassung der Kindheit
1.3 Zusammenfassung
2. Geschichte der Kindheit
2.1 Einleitung
2.2 Antike
2.2.1 Einleitung
2.2.2 Das Bild des Kindes
2.2.3 Kindestötung
2.2.4 Pflege des Kindes
2.2.5 Spiel
2.2.6 Schule / Erziehung / Sexualität
2.2.7 Fazit
2.3 Mittelalter
2.3.1 Einleitung
2.3.2 Das Bild des Kindes
2.3.3 Kindestötung
2.3.4 Pflege / Einstellung
2.3.5 Spiel
2.3.6 Schule
2.3.7 Fazit
2.4 Neuzeit
2.4.1 Einleitung
2.4.2 Das Bild des Kindes
2.4.3 Kindestötung
2.4.4 Pflege / Einstellung
2.4.5 Spiel
2.4.6 Schule
2.4.7 Kinderarbeit
2.4.8 Fazit
2.5 Fazit zur Geschichte der Kindheit

II. „Das Verschwinden der Kindheit“ – eine kritische Auseinandersetzung mit Neil Postmans These
1. Vorstellung der These Postmans
1.1 Die „Erfindung“ der Kindheit
1.2 Das Verschwinden der Kindheit
1.3 Das Verschwinden des Erwachsenalters
1.4 Kritik am Fernsehen
1.4.1 Unterhaltung als primäres Ziel
1.4.2 Kontextlosigkeit der Informationen
1.5 „Das Medium ist die Botschaft“
2. Diskussion der These Postmans
2.1 Einleitung
2.1.1 Fragen an Postman
2.1.2 Pädagogische Relevanz der These Postmans
2.2 Der Begriff der Kindheit nach Postman
2.3 Literalität als Ursache für die Entstehung der Kindheit
2.4 Fernsehen als Ursache für das Verschwinden der Kindheit
2.4.1 Medienängste – Mediennutzung
2.4.2 Die Medienwahrnehmung von Kindern
2.4.3 Autoritätsverlust
2.5 Kindheit heute – Gesellschaftlicher Hintergrund
2.5.1 „Die Risikogesellschaft“
2.5.2 Wandel der Familie
2.5.3 Die Einstellung gegenüber dem Kind
Der übersteigerte emotionale Wert des Kindes
Das Kind als „Quasi-Ersatzpartner“
Perfekte Sozialisation
2.5.4 Kindliche Handlungskontexte
2.5.5 Institutionen
2.5.6 Fazit: Veränderte Kindheit
3. Fazit

III. Konsequenzen für die Pädagogik
1. Pädagogische Diskussion der neuen Medien
2. Pädagogische Diskussion der veränderten Kindheit
3. Fazit

Schlußbetrachtung

Literatur

Erklärung

„Weiß Gott, es gibt keine Kinder mehr.“

(Molière: Der eingebildete Kranke[1] )

„Die Natur will, daß die Kinder Kinder sein sollen, ehe sie Männer werden. Wollen wir diese Ordnung umkehren, so werden wir frühreife Früchte hervorbringen, die weder volle Reife noch Geschmack haben und alsbald verderben werden. Wir werden junge Gelehrte und alte Kinder erhalten.“

(Rousseau: Emil[2] )

Vorüberlegung

Schlagzeilen wie: „Ende der Kindheit”[3], „Wenn die Kindheit verschwindet”[4], „Um die Kind­heit be­trogen”[5], „Kinder – gestreßt und überfordert”[6] hier kommen Schlagzeilen aus Spiegel, Stern und Fokus in der Presse und Fernsehen zeigen, daß das Thema Kindheit nach wie vor mit besorgter Auf­merk­sam­keit verfolgt wird.

Den Berichterstattungen der Medien zufolge hat sich Kindheit verändert, sie ist nicht mehr das, was sie einmal war: kindliche Eß­stö­rungen, Drogen­ab­hängig­keit, Gewalt­bereit­schaft, zunehmender Fernseh­konsum und die wach­sende Beliebtheit von Computerspielen bei Kindern liefern unerschöpflichen Gesprächs­stoff.

Laut den Medien sind die heutigen Kinder verstärkt psychischen und psy­cho­somatischen Belastungen ausgesetzt, infolgedessen sie an Er­wachsenen­krank­heiten leiden. Die Delinquenz der Heranwachsenden nimmt zu. Die heutigen Kinder sind angeblich mit so gut wie allen Aspekten unserer modernen Lebens­führung vertraut. Kindheit ist heute Schul-, Medien- und Konsum­kind­heit, die Kinder von heute haben eigentlich keine Kind­heit mehr.

Die Relevanz Brisanz der Thematik ist einleuchtend: Kinder sind die Garanten unserer Zu­kunft. Durch das Aufziehen und Sozialisieren einerder jeweils neuen Genera­tion reproduziert sich die Ge­sell­schaft. Gestalt und Verlauf der Kindheit üben einen ent­scheidenden Einfluß auf unsere Nachwelt aus.

Eine besondere Beachtung findet dabei der Einfluß der Medien auf die Kindheit. Seit Jahrzehnten wird vor der schädlichen Wirkung des Fernsehens ge­warnt und durch die Ver­breitung der Personalcomputer und die Zunahme der Inter­net­zu­gänge in den deutschen Haus­halten hat sich die Diskussion noch verstärkt. Auch die Einführung der eigens für Klein­kinder bis drei Jahren konzipierten SerieS „Tele­tubbies” hat die Ge­müter erregt: Mit Titeln wie „Seifen­oper für Windelträger”[7] oder „Wer hat Angst vor den Tele­tubbies?”[8] flammte die Diskussion Ende der 90er Jahre um Ge­fahr und Nutzen von Medien erneut auf.

In diesem Zusammenhang scheint die in dem Buch „The disappearance of childhood“ (1982) beschriebene These des US-amerikanischen Medien­ökologen Neil Postman – daß die Kindheit am Ver­schwinden sei – immer noch aktuell zu sein. Nach postmans Auffassung entstand die Idee der Kindheit durch die Erfindung der Druckerpresse und die darauf folgende Verbreitung der „sozialen Literalität“ (d.h. die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben[9] ). Da die elektronischen Massen­medien, ins­besondere das Medium Fern­sehen, die Notwendigkeit der sozialen Literalität zum Verschwinden bringen, erlöscht laut postman damit auch die Kindheit.

Obwohl Postmans Buch sehr große Resonanz unter den Sozialwissenschaftlern (wie z. B. Hurrelmann[10], Hengst[11], Jostock[12], Kemper[13] ) hervorgerufen hat und viele in ihren Büchern noch in den 90er Jahren auf Postmans These verweisen, findet außer einigen wenigen kurzen Rezensionen keine umfassende Auseinandersetzung mit seiner Theorie statt.

Ebenfalls hält Postman auch nach fast zwanzig Jahren seine These aufrecht: In einem Interview von 1998 hat er auf die Frage, ob sie noch immer stimme, geantwortet: „Mehr denn je.“[14] Auch in seinem jüngstem Werk mit dem Titel „Die zweite Aufklärung“ von 1999 betont Postman die Aktualität seiner These: „Die Kindheit wurde Individuen siebzehnten Jahrhundert erfunden. Seit dem achtzehnten Jahrhundert begann sie die uns vertraute Form anzunehmen. Im zwanzigsten Jahrhundert setzte die Auflösung der Kindheit ein und im einundzwanzigsten Jahrhundert könnte sie ganz verlorengehen – es sei denn, es besteht ein ernsthaftes Interesse daran, sie zu erhalten.“[15]

Die ständige Präsenz der Thematik sowie die Tatsache, daß das Ende der Kindheit schon seit Jahrzehnten vor­hergesagt wird, war mein Antrieb, mich mit diesem Thema näher zu beschäftigen.

Als angehende Pädagogin wird man früher oder später mit der Problematik von Auch während meines Praktikums in der Er­ziehungs- und Familien­be­ratungs­stelle in Amberg wurde ich mit dem Thema Medien­konsum und Medien­kom­petenz konfrontiert. Immer wieder wurden die wir Berater von besorgten Eltern ge­fragt, wieviele Stunden am Tag sie ihre Kinder fernsehen lassen dürfen, welche Sendungen empfehlens­wert seien und welche Auswirkungen Fernsehen auf die Kin­der hätte. Diese Fragen weckten mein Interesse am Thema motivierten mich, zu dem Thema Kindheit und Fernsehen auseinandersetzen.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich insbesondere mit der These von Neil Postman über das Verschwinden der Kindheit. Jedoch müssen auch Fragen, die sich zwangsläufig aus dieser These ergeben, untersucht werden.

Es stellt sich die Frage, ob diese Aussage überhaupt haltbar ist, und wenn ja, ob sie zwei Jahrzehnte nach ihrem Entstehen immer noch ihre Gültigkeit besitzt.

Da Deutschland im 20. Jahrhundert durch die Vereinigten Staaten in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht entscheidend mitgeprägt wurde,[16] ist ebenfalls zu fragen, ob US-amerikanische Entwicklungstendenzen auf die BRD übertragbar sind.

Unter­sucht wird, ob Kind­heit wirklich verschwindet – oder sich vielleicht nur verändert – und welche Rolle dabei die Medien, besonders das Fernsehen spielen. Zu fragen ist, ob der Pro­zeß des Verschwindens bzw. der Veränderung aufgehalten werden kann oder überhaupt soll. Weiterhin ist die Frage welche Indikatoren sich für diese Entwicklung feststellen lassen. Ebenso ist zu hinterfragen, wann Kindheit entstanden ist und wie sie in früheren Epochen ausgesehen hat. Ferner ist die Frage nach der pädagogischen Relevanz von Postmans These für Pädagogen von besonderer Bedeutung.

Diese Arbeit ist verbunden mit der Hoffnung, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen zu leisten und einen Anstoß für die Pädago­gen zu gebendazu zu gebzu, ihre gestellten Anforderun­gen zu überprüfen und bei Bedarf auch Konsequenzen für die Praxis zu ziehen.

Im ersten Teil der Arbeit wird eine Annäherung an eine Definition von Kindheit vor­genommen. Es wird geprüft, wie sich die Phase des Heranwachsens in den Epochen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit gestaltete. Um einen Bezug zu Postmans These herstellen zu können, werden dabei die letzten Jahrzehnte der Neuzeit im zweiten Teil untersucht.

Im zweiten Teil folgt eine Auseinandersetzung mit Postmans These über das Verschwinden der Kindheit. Nach der Vorstellung der These wird neben Postmans Kindheitsbegriff untersucht, ob Kindheit tatsächlich durch die Literalität entstanden ist und durch das Medium Fernsehen wieder verschwindet. Ebenfalls soll im zweiten Teil geprüft werden, ob es andere Ursachen für das Verschwinden der Kindheit gibt. In diesem Zusammenhang wird auf die Gestaltung der heutigen Kindheit näher eingegangen. Im dritten Teil wird die Frage gestellt, welche Konse­quenzen sich aus den gewonnenen Er­kenntnissen für die Pädagogik ergeben.

„Man kennt die Kindheit nicht, und infolge der falschen Vorstellungen über sie verirrt man sich weiter, je weiter man geht.“

(Rousseau: Emil[17] )

I. Kindheit und Kindheitsgeschichte

1. Definition der Kindheit

Zunächst stellt sich die Frage, was unter „Kindheit” zu verstehen ist und welche Merkmale dieser Begriff aufweist.

1.1 Annäherung an eine Definition der Kindheit

Der Begriff Kindheit assoziiert Vorstellungen wie Kleinsein, Unschuld, eine Zeit des Wachs­tums und Bild­sam­keit, des Lernens und Spielens, eine Phase der Un­be­kümmert­heit sowie Un­mittel­bar­keit der Lebensäußerungen, Fra­gen, Wün­sche und Gefühle. Mit Kindheit verbinden wir soziale Ab­hängig­keit und starke soziale Bindung, Hilfs­be­dürftig­keit, aber auch wachsende Selb­ständig­keit.[18]

Kindheit wird in Fachlexika als „der erste große Abschnitt in der Entwicklung des Menschen”[19] de­finiert. Zeitlich wird sie fol­gender­maßen be­stimmt: „Kindheit er­streckt sich von der Geburt bis zur Voll­endung des 14. Le­bens­jahres (rechtlich) oder bis zum Beginn der Ge­schlechts­reife (ent­wicklungs­theoretisch)”.[20] Ihr Ende wird auch unter­schiedlich an­ge­geben: Demnach endet sie „wenn die Reifungen einsetzen”[21] oder mit „Beginn des Jugend­alters”[22].

Sie wird in verschiedene Etappen unterteilt, am häufigsten in: Säuglings- (Geburt bis zwei J.), Klein­kind- (zwei bis sechs J.) und Schul­kind­zeit (sechs bis 14 J.)[23], wobei sich die Ein­teilung in Alters­stufen an den Durchschnittswerten körper­licher, psychisch-geistiger und sozialer Ent­wicklung orientiert, deren Verlauf fließende Übergänge aufweist.

1.1.1 Definition der Kindheit – Die unterschiedlichen Sichtweisen

Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen akzentuieren unterschiedliche Aspekte der Kind­heit.

Die psychologische Sichtweise betrachtet Kindheit als eine Entwicklungsspanne, die durch quantitative und qualitative psychische Veränderungen gekennzeichnet ist. Sie fragt nach den Bedingungs- und Einflußfaktoren psychischer Prozesse sowie nach dem Zusammenhang zwischen somatischem Wachstum und psychischer Ent­wicklung, nach Prägungsvorgängen und den Ursachen psychischer Fehlent­wicklungen. Sie betont die früheste Kindheit als den be­deutendsten Abschnitt für die Entwicklung des Menschen und beschäftigt sich mit der Ent­wicklung der ein­zelnen Funktionsbereiche wie Wahrnehmung, Denken, Sprache, Gedächtnis usw.[24]

Die Soziologie definiert Kindheit über die Zugehörigkeit zu Altersgruppen der Ge­sell­schaft. Dabei untersucht sie vor allem die soziale Rolle und die recht­liche Stellung des Kindes innerhalb und außerhalb der Familie, aber auch den sozialen Status der heran­wachsenden Kinder im Verhältnis zu den Erwachsenen. Be­sondere Beachtung findet die „Sozialisation”, womit der Prozeß der Persönlichkeitsentwicklung in dialektischer Beziehung mit der gesellschaftlich vermittelten sozialen Umwelt verstanden wird. Im Verlauf dieses Prozesses entwickelt sich das Individuum zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen menschlichen Subjekt.[25] Demnach ist Kind­heit die Phase, in der der Mensch durch die Aneignung von Werten, Normen und Handlungs­mustern seine Handlungs­fähigkeit und persönliche Identität erwirbt.

Nach der pädagogisch en Auffassung bezeichnet Kindheit jene Phase, in welcher der Mensch eine eigen­wertige Anfangs- und Aufbaugestalt aufweist, die zu ihrer Differenzierung und Strukturierung im körperlichen, psychisch-geistigen und sozialen Bereich auf entfaltende, re­gulierende, appellierende und informierende Erziehung angewiesen und für sie ansprechbar ist.[26]

Die anthropologische Sichtweise der Kindheit versteht sich als übergreifende Be­trachtung: Es geht ihr nicht um die Analyse einzelner Verhaltens- und Leistungsformen des Kindes, sondern um die Erfassung der Ganzheit der kindlichen Lebensweise und des kindlichen Welterlebens. Sie bemüht sich um die Ergründung des kindlichen „In-der-Welt-Seins“ als Ganzem und als einer Weise menschlichen „In-der-Welt-Seins“.[27]

Durch die Erkenntnis, daß Mensch-Sein als Kind-Sein anfängt, wird Kindheit nach anthropologischer Auffassung nicht mehr als eine Aufbauphase oder ein zu überwindendes Stadium, sondern als eine eigenständige und eigenwertige Lebensgestalt des menschlichen Daseins mit einer eigenen Sinngestalt der Existenz und mit einer eigenen Art von Vollkommenheitsstreben angesehen.[28]

1.1.2 Definition der Kindheit – Die gemeinsamen Aspekte

Auffallend ist die Tatsache, daß eine Definition von Kindheit in der päda­go­gi­schen, psycho­logischen und sozio­logischen Literatur oft fehlt. Viel häufiger als „Kindheit” wird der Begriff „Kind” definiert. Dies liegt wahrscheinlich an der Komplexität des Fachausdrucks. Weiter­hin ist es bemerkenswert, daß sich trotz der unter­schied­lichen Akzentuierungen die De­fi­ni­ti­on­en der Fachliteratur ähneln. Zum einen finden sich – unabhängig von der Fachrichtung – immer wieder die gleichen Merkmale von Kindheit. Es wird z.B. von „eigenem Status”[29] oder „kindlicher Eigenart”[30] ge­sprochen und damit das Attribut der Eigenartigkeit akzentuiert. Betont wird auch die Hilflosigkeit und Abhängigkeit: „der soziale Status des Kindes ist gekennzeichnet durch die psy­chische und soziale Abhängigkeit”[31] usw. und die fehlende Ver­ant­wortung: „Kindheit als Lebensabschnitt, in dem das Kind von der Ver­ant­wortung der Erwachsenen frei­ bleibt”[32]. Hervorge­hoben wird die Lernbedürftigkeit: „Die Phase der Kind­heit ist ein Alters­abschnitt des Lernens”[33]. Auch die besondere Be­deutung für die spätere Entwicklung wird betont.[34] Der besondere Einfluss der frühkindlichen Lebensphase ergibt sich nach Portmann aus der Betrachtung des Menschen als „physiologische Frühgeburt”: In die­ser Zeit vollzieht sich der stärkste Schub der Reifung und der Erwerb von Fähigkeiten.[35]

Zum anderen wird in der Fachliteratur übereinstimmend festgehalten, daß Kindheit gesellschaftlich produziert[36] werde und eine „gesellschaftliche Ein­richtung[37] sei. Ge­meint ist damit, daß die Lebensform und Eigenart des Kindes nicht nur ent­wicklungs­be­dingt ist, sondern ebenso von der politischen, ge­sellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Situation der Zeit abhängt ist: Nicht nur die Kindheiten in Nationen und Völker sind verschieden, nicht nur die Kindheiten der Jahrhunderte und Epochen, sondern auch die Kindheiten in Stadt und Land und der Armen und Reichen unterscheiden sich.[38] Das gesellschaft­liche Verständnis nimmt einen ent­scheidenden Ein­fluß auf die Dauer der Kindheit, den sozialen Status und die Möglichkeiten individueller Persönlichkeitsbildung. Kindheit ist keine feste Größe, sondern wird im Wandel der Kultur immer neu definiert. Als Konsequenz daraus folgt, daß Kindheit nur in Ver­bindung mit der jeweiligen Zeitsituation, den sozio­öko­nomischen und kulturellen Verhältnissen zu verstehen ist.

1.2 Postmans Auffassung der Kindheit

Die drei Grundpfeiler dessen, was Postman unter Kindheit versteht, sind die Begriffe: „Literalität”, „Scham­ge­fühl” und „Erziehung”. Für ihn beruht Kindheit auf dem Nicht-lesen-können, während Er­wachsen­heit auf dem Lesen-können gründet. Da jede Literatur Geheimnisse sammelt und bewahrt, haben nur Erwachsene, die die Kunst des Lesens und Schreibens beherrschen, Zugang zu den kulturellen Geheimnissen wie Tod, Sexu­alität, Gewalt usw. und verfügen dadurch über eine „Wissens­exklusivität” den Kindern gegenüber. Das in den Büchern kodierte Wissen kann nur durch das Lesenlernen allmählich erschlossen werden, wozu Kinder Erziehung benötigen. Nach Postman existiert Kindheit nicht ohne das Schamgefühl der Erwachsenen, durch das Kinder vor den Erwachsenengeheimnissen – und besonders den sexuellen Geheimnissen – abgeschirmt werden. Die Enthüllung der Geheimnisse erfolgt erst nach und nach in dem Maße, wie angenommen wird, daß Kinder psy­chisch in der Lage sind, sie zu verarbeiten.[39] Kindheit ist nach Postman eine Bildungs- Phase, in der Kinder von den Anforderungen, der Verantwortlichkeit und den Geheimnissen der Erwachsenenwelt ferngehalten werden, durch die Erziehung – abgesondert von den Erwachsenen – die Literalität erwerben – wozu sie Erziehung benötigen – und langsam die trennende Wissenskluft überwinden.

1.3 Zusammenfassung

Um eine Aussage treffen zu können, wann Kindheit entstanden ist und ob sie am Ver­schwinden sei – wie Postman behauptet – ist an dieser Stelle eine Definition der Kind­heit gefragt, die als Maßstab dienen wichtige Orientierungspunkte liefert.

Kindheit als Zustand (biologische Gegebenheit) bezeichnet die Phase im Leben, in der der Mensch phy­sisch und psychisch nicht voll ausgereift, infolgedessen (zwar in abnehmendem Maß) hilflos und abhängig ist.

Kindheit als an den jungen Menschen gestellte Aufgabe ist die Zeit des Lernens und der Übergang von der anfänglichen völligen Hilflosigkeit und Unwissenheit zum aufgeklärten, wissenden, gesunden und gleichberechtigten Menschen.

Die Entwicklungsaufgaben, die an den Heranwachsenden gestellt werden, lassen sich dabei in folgende Kategorien einordnen:

1. psychische Entwicklungsaufgaben: Erwerb von Sprache, logischem Denken, Intelligenz, Moral, Wissen, Bildung, Ausdrucksfähigkeit, usw.
2. physische Entwicklungsaufgaben: Entwicklung der körperlichen Fertigkeiten, Motorik; Erlangen der körperlichen Reife.[40]
3. soziale Entwicklungsaufgaben: Erlangen der Selbständigkeit, Verantwortlichkeit und sozialen Handlungsfähigkeit; Übernahme von Normen und Werten.

Kindheit als Aufgabe der Gesellschaft ist jene erste Zeit im Leben eines Menschen, in welcher der junge Mensch Zuwendung, Rücksichtnahme, Förderung und Erziehung bedarf. Die Erwachsenengesellschaft ist gefordert, ihren physisch, psychisch und intellektuell noch nicht entwickelten Indi­viduen einen „Schon­raum” einzuräumen, damit diese sich spielend und lernend, Erfahrungen sammelnd auf eine mitwirkende Rolle im jeweiligen sozialen Bezugsrahmen vorbereiten können.[41]

Diese Arbeit definiert Kindheit als eine biologische Gegebenheit, eine Phase der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und als einen von der Gesellschaft eingeräumten Schonraum.

„[...] ein Jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein.”

( Goethe: Aus meinem Leben[42] )

2. Geschichte der Kindheit

2.1 Einleitung

Einklang herrscht in der Ansicht, daß wir wenig Informationen über die Kindheit[43] in früheren Zeiten haben: „there are wide gaps in our knowledge about the life of children in past ages […].”[44] Als Grund dafür wird aufgeführt, daß Historiker wenig Interesse am Alltagsleben der Kinder hatten: Lange Zeit hat man ge­glaubt, seriöse Geschichtsschreibung befasse sich mit der Darstellung öffentlicher – und nicht privater – Ereignisse.[45] Ein Kind war früher kein Gegenstand des Interesses für reife Men­schen, da es als un­fertiger Erwach­sener und nicht mehr galt. Wie Kinder in der Vergangenheit be­handelt und großgezogen wurden, wie sie sich fühlten – darüber schweigen sich die Quellen aus. Historische Kindheit ist eine „terra incognita“.[46]

Hinweise auf Kinder findet man beiläufig in Zeitdokumenten, in Briefen, bei Be­darfs­artikeln so­wie in der Literatur oder Kunst. Auch Bio­graphien oder Auto­bio­graphien beschreiben die Kind­heit einzelner Personen, sind aber mit Vorbehalt auf­zu­nehmen zu sehen. Erstere neigen zu Über­treibungen, besonders wenn sie von berühmten Per­sönlichkeiten berichten. In Autobiographien kann die retrospektive Be­trachtungs­weise zur Verklärung und Verfälschung der Tatsachen führen.

Zwei Standardwerke der Literatur über die Kindheitsgeschichte, auf die immer ver­wiesen wird, sind an dieser Stelle zu erwähnen: „Hört ihr die Kinder weinen” von Lloyd deMause und im besonderem Philippe Ariès’ „Geschichte der Kindheit”.

Die französische Originalausgabe von Ariès Werk erschien 1960 unter dem Titel: „L` enfant et la vie familiale sous l’ancien régime” (Das Kind und das Familien­leben unter dem Ancien Régime[47] ). Der deutsche Titel ist weit gefaßt, denn das Buch beschränkt sich auf das späte Mittel­alter und die frühe Neuzeit, räumlich auf Frankreich – und unter dem Aspekt der Sozial­struktur – auf den Adel und das Bürgertum.

Ariès zufolge hatte die mittelalterliche Gesellschaft kein bewußtes Verhältnis zur Kindheit, Kinder und Erwachsene lebten in unmittelbarer Gemein­schaft miteinander. Erst im Zeichen der neuzeitlichen Aufklärung wurde das Kind aus der mittelalterlichen „Sozialität” herausgerissen und Kindheit als Zeitabschnitt im mensch­lichen Leben entdeckt. Ariès unterstellt, es sei den Kindern vor der Entdeckung und Ein­führ­ung der Kindheit als einer exklusiven Sphäre besser gegangen als gegenwärtig.

Ariès wird vorgeworfen vor­ge­halten, seine Methode sei inkohärent, die Begriffe schillernd und seine Folgerungen kühn. Er hätte einen Hang zu Ver­all­ge­meinerungen und die Argumentation setze Kenntnisse der französischen Verhältnisse voraus. Ebenfalls zeige er vor den Schwierigkeiten der Gegenwart eine nostalgische Flucht zur Ver­gangenheit.[48]

Trotz der methodischen Mängel bedeutete das Erscheinen des Buches einen forschungs­ge­schicht­lichen Ein­schnitt: Von einer Beschäftigung mit dem Thema Kindheit kann man erst seit Ariès sprechen. Das Werk stellt auch eine der wich­tigsten Gesamtdarstellungen des Themas dar.

Eine andere Auffassung von Kindheit liefert Lloyd deMause. Sein Sammelband von 1974, der im Original „The History of Childhood” heißt, ist in Deutschland unter dem emotionsbefrachteten Titel: „Hört ihr die Kinder weinen?” erschienen. Die Eltern-Kind Beziehun­gen werden von deMause in sechs kontinuierlich aufeinander­folgenden Ab­schnitten periodisiert, analog der zunehmenden psychischen Fähigkeit der Eltern, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und zu befriedigen. Diese Entwicklung läßt sich nach deMause in einer aufsteigenden Linie vom Zeitalter des „Kindes­mordes” (Antike bis viertes Jh.) über jenes der „Weggabe” (viertes bis 13. Jh.), der „Ambi­valenz” (14. bis zum 17. Jh.) und der darauffolgenden „Intrusion” (Ein­dringen) (18. Jh.), „Sozialisation” (19. Jh. bis Mitte des 20. Jhs.) und „Unter­stützung” (ab Mitte des zwanzigsten Jh.) graphisch darstellen.[49] Er wendet sich gegen die Vorstellung von Ariès, daß Kinder in der traditionellen, vorzivilisatorischen Gesellschaft glücklicher waren, weil sie sich frei entfalten konnten. Nach DeMause liefen alle bisherigen Kind­heiten (wenn auch in abnehmender Tendenz) auf Kindesmißhandlung hinaus, weil den Eltern die nötigen psychischen Voraus­setzungen fehlten, für ihre Kinder zu sorgen. Positiv

Er behauptet: „Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, […]. Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto unzureichender wird die Pflege der Kinder, […] und desto größer wäre die Wahrscheinlichkeit, daß Kinder ge­tötet, ausge­setzt, geschlagen, gequält und sexuell mißbraucht wurden.”[50]

DeMause stieß auf heftige Kritik: Ihm wird unter anderem vorgeworfen entgegengehalten, daß seine Einstellung durch die utopische Fort­schritts­gläubig­keit unserer Gegen­wart geprägt ist, auch zeigt er sich von den Beiträgen der Autoren des vom ihm initiierten Sammelbandes unbeeindruckt.[51] Der von ihm gepriesene Fortschritt der Empathie der Eltern oder der „Psychogenese” wird gar als blanke Spekulation gewertet.[52]

Um eine Stellungnahme hier Stellung zu beziehen und vielleicht eine Tendenz entdecken zu können ist eine Untersuchung der Kindheit in früheren Zeiten nötig. Im Folgenden wird versucht, aus den vorhandenen Quellen einen Einblick zu geben, was Kindheit in Westeuropa in den Epochen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit bedeutete und welche Merkmale unseres heutigen Kindheitsbegriffes in diesen Zeitabschnitten aufzufinden sind.

Dabei wird nur auf einige ausgewählte Aspekte der Kindheit, wie das Bild des Kindes, Pflege, Erziehung etc. einge­gangen, da sie Schlussfolgerungen auf die Einstellung Kindern gegenüber und auf die Gestaltung der Kindheit zulassen. Andere Elemente wie die Darstellung des Kindes in der Kunst oder Kleidung usw. werden bewußt nicht behandelt, da sie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden.

2.2 Antike

2.2.1 Einleitung

Die Epoche des (von der Literatur erfaßten) griechischen und römischen Alter­tums umfaßt die Zeit von etwa 1250 v. Chr. bis 476 n. Chr.[53]

Über die Einstellung der Antike zu den Kindern gibt es keine zusammenhängende Dar­stellungen, man muß sie aus einzelnen Quellen wie utopischen Entwürfen in philosophischen Schriften, Komödien oder Gerichtsverhandlungen zusammensetzen. Die Aus­legung und Auswertung der Literatur ist allerdings kontrovers.

2.2.2 Das Bild des Kindes

Kindheit wird in Griechenland als Teil einer Entwicklung begriffen, die ihren Höhepunkt erst im Erwachsenenalter erreicht. Erst als Vorstand eines Oikos („Ð okoj”, griechisch: „Haus“, „Wohngemeinschaft“[54] ) bzw. als Ehefrau und Mutter ist man ein voll­wertiger Mensch. Kinder besaßen nicht den Wert eines erwachsenen Menschen, sie galten als unvollkommen.[55] Das Kind erhielt seine Be­deutung dadurch, daß es für das Weiterbestehen des Oikos, die Unterstützung seiner Eltern im Alter und die Be­wahrung des Totenkultes garan­tierte.[56]

Das Kind wurde als ver­standlos, töricht und schwach beschrieben, Erwachsene mit solchen Eigenschaften wurden als kindisch bezeichnet.[57] Kindheit galt nicht als glückliche Zeit. Nach Aristoteles liegt Glück im Tätig­sein der Seele und in der Fähigkeit, das Gute zu wählen. Da ein Kind als ver­stand­loses, gar tier­ähnliches Wesen zu diesem nicht fähig ist, kann es auch nicht glücklich sein: „Sinnvollerweise nennen wir nun auch weder ein Rind noch ein Pferd noch irgendein anderes Tier glückselig. Denn keines von ihnen kann an einer solchen Tätigkeit teilhaben. Aus demselben Grunde ist auch ein Kind noch nicht glückselig”.[58]

Auch in Rom galten Kinder als unreife Erwachsene, der römische Historiker hielt sie kaum für erwähnenswert. Man begriff sie nicht als Wesen mit eigenem Wert. Das Kind gehörte den Eltern, war ihr Eigentum und ein Ding, womit der Vater machen konnte, was er wollte.[59] Die Söhne und Töchter mußten sich der un­be­schränkten Gewalt des Vaters (pater familias)[60] unterwerfen und schuldeten ihren Eltern Liebe und Gehorsam (pietas).[61] Mit Quintilian kam der Gedanke auf, man solle in den Kindern Wesen sehen, die von Geburt an eine volle Ent­wicklungs­fähig­keit besitzen. Von diesem Gedanken, jedes Kind habe einen Verstand, der es wert sei, entwickelt zu werden, ist es nur ein kleiner Schritt bis zu der Über­zeugung, jedes habe eine Seele, die es zu retten gelte.[62]

Diese Sicht hat sich bis zur römischen Stoa erhalten. Erst Mit dem Aufkommen des Christen­tums veränderte sich das Bild des Kindes grund­legend.

2.2.3 Kindestötung

Der Antike wird eine grausame Geisteshaltung Kindern gegenüber unterstellt: So soll Kindermord in der antiken Zeit eine allgemein akzeptierte, alltägliche Erscheinung gewesen sein.[63]

Als Beweis für die Unbarmherzigkeit jener Zeit werden Aussagen großer Denker herangezogen: „Anlangend die Aussetzung oder Aufzucht der Neugeborenen soll es Gesetz sein, kein verkrüppeltes Kind aufzuziehen […]”[64]. Bei Seneca heißt es: „Tolle Hunde bringen wir um, einen wilden und un­bändigen Ochsen hauen wir nieder, […] ungestalte Geburten schaffen wir aus der Welt, auch Kinder wenn sie ge­brech­lich und mißgestaltet zur Welt kommen, ersäufen wir.”[65]

Diese harte drastische Erklärungen erfordern eine kritische Auseinander­setzung. Sicherlich wurden Kinder, die keiner Ehe oder keinem ehe­ähnlichen Verhältnis ent­stammten, oft ausgesetzt. Da schwere Mißbildungen als Zeichen göttlichen Zorns[66], Werk böser Mächte[67] oder als schlechtes Omen[68] galten, wurden mißgestaltete Kinder so­wohl in der griechischen, wie auch in der römischen Antike ausgesetzt.

Für den Erhalt des Oikos waren natürlich Söhne erwünschter als Töchter.[69] Deshalb wurden in Griechenland, wie auch in Rom vor allem Mädchen der Aussetzung preisgegeben, denn sie konnten die Familienlinie nicht fortsetzen und ihre Ver­heiratung war eine kostspielige Angelegenheit.[70]

Es gibt jedoch auch zahlreiche Zeugnisse Von Mißgestaltete Kinder galten als

Es Evon der Erwünschtheit der Kinder in der Antike: Medizin und Natur­wissen­schaft be­schäftigten sich intensiv mit dem Thema der Zeugung und Schwanger­schaft. Für den Kinderwunsch spricht die Betonung der Nützlichkeit des Kindes für Eltern und Staatvon durch Cicero, Hierokles und Augustus.[71]

Im Hinblick auf die Kindesaussetzung ist ein Umschwung im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu bemerken: Durch das Christentum erfuhr das Kind mehr Schutz und Rücksichtnahme. Staatlich sanktioniert wurde Kindestötung aller­dings erst in der Spätantike. Ein Erlaß Kaiser Valentinians III aus dem Jahre 374 erklärte schließlich die Tötung des Kindes zum Mord.[72]

2.2.4 Pflege des Kindes

Der Kinderpflege in der Antike wurde große Aufmerksamkeit geschenkt: Liest man Aristoteles’ „Politik”[73] so fällt es auf, mit welcher Sorg­falt er sich dem Thema der Kinder­er­nährung, Pflege und Erziehung widmete. Er war der Meinung, daß Kinder Unterstützung, Bewegung und Spiele brauchen. Er sprach sich sogar für die sorgfältige Auswahl der Kinder­märchen aus.[74]

An die Amme wurden hohe An­forderungen gestellt, was ihre Herkunft, Alter und Er­nährung betraf.[75] Mutter und Amme waren gleichzeitig um das Wohl des Kindes besorgt.

2.2.5 Spiel

Für den Griechen war zweckfreies Spielen als nutzlose Tändelei verpönt. Aristoteles möchte Spiele nur erlauben, wenn sie irgendeinen erkennbaren Nutzen im Hinblick auf das spätere Leben aufweisen: „darum sollten die Spiele vorwiegend eine Nachahmung dessen sein, womit sich die Kinder dereinst als Männer beschäftigen werden.”[76] Platon rät auch dazu, Kinder bereits spielerisch auf ihren späteren Beruf vorzube­reiten.[77]

Griechische Kinder spielten vom dritten bis zum sechsten/siebten Lebensjahr. Archäologische Quellen bieten reiches Anschauungsmaterial über spielende Kin­der, auch in der Dichtung wird das Spiel der Kinder geschildert. Kinder spielten mit Reifen, Balancier­stöckchen, Springseil, Jo-Jo oder die Mädchen mit Puppen. Die Römer zeigten mehr Nachsicht mit dem Spiel des Kindes, Quintilian be­trachtete das Spiel mit Wohlwollen.[78] Auch die Spiele der römischen Antike waren nicht wesentlich verschieden von denen der Griechen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß griechische Sklaven aus ihrer Heimat die Spiele mitbrachten.

2.2.6 Schule / Erziehung / Sexualität

Auf die Erziehung und die Ausbildung der Kinder wurde großer Wert ge­legt, welche schon mit der sorgfältigen Auswahl des Haus­gesindes anfing und mit der planmäßigen körperlichen und geistigen Ausbildung fortgeführt wurde. Schulausbildung wurde für wichtig erachtet: Schulen gab es in der Antike schon etwa um 500. v. Chr.[79]

Die antike Gesellschaft umfaßte mehrere Schichten, die natürlich nicht gleichermaßen in den Genuß von Schulbildung kamen. Im klassischen Athen begann die schulische Erziehung mit dem siebten Lebensjahr. Die Erziehung in Rom war für längere Zeit eine familiäre Aufgabe, je komplizierter aber die römische Gesellschaft wurde, desto umso weniger genügte eine durch die Praxis erworbene Erziehung. Dabei wurde Schulsystem der Griechen größtenteils über­nommen.

Der Weg zur Bildung war hart und tränenreich. Das Prügeln war eine übliche Erziehungsmethode. Es ging auch nicht ohne Strafarbeiten ab,[80] was bei der da­maligen Vorstellung vom Kind nicht überrascht.

Die Päderastie galt bei den Griechen als das wichtigste Erziehungsmittel: In Griechenland war es Sitte, daß jeder Mann sich einen Knaben oder Jüngling aus­erwählte, den er im täglichen Umgang als ratender und für­sorgender Freund zu allen männlichen Tugenden heranzog. Daß diese Beziehung zwischen Mann und Zögling auch sexueller Natur war, wider­sprach nicht den damaligen Moralvor­stellungen.[81] Bei der sog. „griechischen Knabenliebe“ hat es sich auch nicht wirklich um Knaben d.h. um unmündige Kinder gehandelt, sondern stets um geschlechts­reife Jungen, die die Pubertät schon hinter sich hatten.[82] So war der tägliche Umgang und die enge Lebens­gemein­schaft der männlichen Jugend mit Männern eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Die heutige Vorstellung vom Kind in der Antike, das in einer Atmosphäre sexuellen Mißbrauchs[83] lebte, muss daher relativiert werden.

Nicht zu leugnen ist, daß es damals auch käufliche Knaben und Knabenbordelle gab. In Rom wurde zwar die Knabenliebe nicht ins Erziehungssystem eingeordnet, aber man empfand den sexuellen Verkehr mit Knaben auch nicht als moralisch anstößig.[84]

2.2.7 Fazit

Nach der vorangegangenen Betrachtung ist festzuhalten, daß Kindheit Kind-Sein in der Antike etwas anderes bedeutete als heute. Positiv: Kinderwunsch, Spielraum, Unterricht, Zuneigung, Es lassen sich positive Aspekte in der Einstellung Kindern gegenüber in der Antike finden: Ihre Erwünschtheit, ihre Möglichkeit zum Spielen, die ihnen entgegengebrachte Fürsorge und Zuneigung sowie die Wertlegung Ge­wichtung auf ihrer Ausbildung.

Negativ zu werten ist die Sitte der Kindesaussetzung; nach unserer Auffassung gibt es an sich keine lebensunwerte Leben Existenz[85]. Die Anschauung über den Wert des Kinderlebens unterscheidet sich von der unseren drastisch.

Eine sexuelle Beziehung zu Kindern ist nach unserem Verständnis verwerflich und strafbar. Aller­dings hat der Begriff „Pädophilie” im Laufe der Zeit eine Bedeutungsverschiebung erfahren. In der Antike war die Knabenliebe eine erzieheri­sche Einrichtung und hatte keine normverstoßende Bedeutung. Man sollte des­halb nicht den gleichen Fehler machen wie manche Historiker oder auch deMause, die die Beziehung zwischen jüngeren und älteren Menschen mit dem Schema des 19./20. Jahrhunderts be­werten.

Es ist zutreffend, daß Kinder in der Antike nicht den Schutz, die Rücksichtnahme, Für­sorge und Förderung genossen wie heute. Kindheit bedeutete nicht der Schonraum, den wir kennen. Die Antike hat schon viele Ideen Aspekte von Kindheit entwickelt, aber eine Kindheit in unserem Sinne wie auch nach der dieser Arbeit zugrundeliegenden Definition gab es nicht.

2.3 Mittelalter

2.3.1 Einleitung

Das Mittelalter umfaßt die Zeit vom Untergang des weströmischen Reiches im fünften Jh. bis zu den großen Entdeckungen des 15. Jahrhunderts. Anfang und Ende der Epoche sind schwer zu bestimmen: Der Übergang von der Spätantike zum Mittelalter erstreckt sich auf knapp hundert Jahre (406-476), ihr Ende wird auch unterschiedlich angegeben. Das Enddatum variiert von 1450 (Gutenberg; Buchdruck), über 1492 (Entdeckung Amerikas), 1517 (Thesen­anschlag von Luther) bis 1789 (französische Revolution). Üblicherweise betrachtet man die Expansion Europas in Übersee als den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, da sich von diesem Zeitpunkt an die Geschichte Europas mit der übrigen Welt ver­knüpfte.[86] Für die Pädagogik aber ist der Buchdruck und seine Folgen von entscheidendem Interesse für die neue Zeitrechnung. Denn die Verbreitung des Buches und damit des Wissens brachte für Kinder grundlegende Veränderun­gen mit sich: Erstens konnten sich humanistische Ideen ausbreiten. Dieses Phänomen hat die Entwick­lung des Verständnisses und des Einfühlungsvermögens Kindern gegenüber entschieden vor­angetrieben. Zweitens wurde mit der Verbreitung der Schriftlichkeit der Schulbesuch der Kinder notwendig, eine Entwicklung, die auf ihre Stellung in der Gesellschaft grundlegende Auswirkungen hatte.

Bei der Untersuchung der Kindheit im Mittelalter ergibt sich ein ähnliches Problem wie bei der Antike: Über die Kindheit im Mittelalter wissen wir wenig, die Ursache ist das mangelnde Inter­esse der Chronisten und Biographen des Mittel­alters an den Alltäglichkeiten des Auf­wachsens Erwachsenwerdens.[87] Der Grund dafür ist, daß das Mittelalter als Epoche prä­individualistisch war, d.h. das Bedürfnis, sich selbst zum Gegen­stand literarischer Betrachtung zu machen, bestand nicht.[88]

2.3.2 Das Bild des Kindes

Von einem eindeutigen Bild des Kindes im Mittelalter kann nicht gesprochen werden, da die etwa tausend Jahre umfassende Epoche durch viele Wandlungen gekennzeichnet ist. Wie sich die Auffassung über Kinder in dieser Zeit verändert hatte verdeutlichen die folgenden Zitate, von denen das erste am Anfang (5. Jh.) und das zweite am Ende des Mittelalters (frühes 16. Jh.) entstanden ist.

„Wer aber würde nicht zurückschrecken und, vor die Wahl gestellt, entweder zu sterben oder noch einmal Kind zu werden, nicht lieber den Tod erwählen? Be­grüßt doch das Kind nicht lachend, sondern weinend dies Tageslicht und weissagt damit unbewußt, welchen Übeln es entgegengeht.”[89] „Wer weiß nicht, daß der Mensch nie wieder so fröhlich und der Liebling aller ist wie in der ersten Kindheit?”[90]

Die Auffassung der Antike, nach der das Kind als ein unvollkommenes und un­vernünftiges Wesen galt, hat sich auf jeden Fall auch im Mittelalter erhalten. Das Christentum fügte einen neuen Zug hinzu; das Kind wurde auch noch mit der Erbsünde belastet: „Das Kind wurde unter Wollust und fleischlicher Begierde empfangen und werde so mit der Sünde befleckt.”[91] Es trägt deshalb von An­be­ginn das Mal der Verdammung, seine Natur ist verdorben und strebt zum Bösen.[92] Anderseits brachte das Christentum auch etwas Gutes für das Kind: Durch den Hinweis Jesu: „Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Reich Gottes”, wurde wenigstens die Seele des Kindes als gleich­be­rechtigt anerkannt.

Ein weiterer Aspekt der mittelalterlichen Vorstellung des Kindes ist die An­nahme, daß das Kind eine „tabula rasa“ sei. Dementsprechend wird dessen Präg­samkeit und Formbarkeit betont: Erasmus von Rotterdam ver­gleicht Kinder mit weichem Wachs oder mit Ton.[93]

Der Umstand, daß es keine einheitliche Terminologie in mittelalterlichen Quellen für Kinder gab zeugt davon, daß der Kindheit nicht die Bedeutung von heute beigemessen wurde.[94]

Die Kindheit im Mittelalter ist kurz: Als Zäsur für das Ende der Kindheit wurde allgemein das siebte Lebensjahr angenommen.[95] Mit diesem Alter sind Stadtkinder entweder mit der Übergabe an Schule oder Lehrer in das Stadium der Erziehung außerhalb der Familie übergetreten oder bereits im Arbeitsleben eingegliedert. Knaben wurden bei Handwerkern und Kaufleuten in die Lehre gege­ben, Mädchen behielt man eher im elterlichen Haushalt um auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten.

In der ländlichen Arbeitswelt galt die Arbeitskraft des Kindes mit dem siebten Lebensjahr soweit entwickelt, daß es seinen Unterhalt selber verdienen konnte.[96] Kinder wurden entweder im elterlichen Hof in den Arbeitsprozeß integriert oder sie gingen als Dienstmagd oder Knecht in fremden Dienst.

Heranwachsende wurden auch früh verheiratet. Als angemessen für das Eingehen der Ehe wurde bei Mäd­chen das zwölfte, bei Knaben das 14. Lebensjahr angesehen.[97] Kinder, die für den Mönchstand bestimmt waren, wurden um das siebte Jahr, oft auch früher an das Kloster übergeben.[98] Erst mit dem Aufkommen des Humanis­mus im späten Mittelalter ändert sich die Auffassung Kindern gegenüber und damit die Stellung des Kindes in der Gesellschaft.

2.3.3 Kindestötung

Der Brauch der Kindestötung und – aussetzung lebte seit der Antike fort. So war im frühen Mittelalter das Leben eines neugeborenen Kindes nicht sehr sicher. Kinder kamen oft durchs Erdrücken im Bett der Mutter oder Amme zu Tode.[99]

Jedoch spielte bei der Praxis der Kindestötung seit der Spätantike der christliche Glaube eine immer größer werdende Rolle: Durch das Christentum hat das Kind eine Auf­wertung erfahren. Die Vorstellung, daß das Kind mit einer unsterblichen Seele begabt sei, welche be­wahrt werden muß, ist ein Verdienst dieser Religion.[100]

Da das Töten von Neugeborenen gegen die christliche Morallehre verstößt, ver­suchte die Kirche der Sitte der Kindestötung und Aussetzung ent­gegen­zu­wirken. Eine Reihe von Kirchenkonzilien verurteilte die Praxis der Kindestötung bzw. Kindesaus­setzung und verschaffte ausgesetzten Kindern Hilfe.

Um eine Abhilfe gegen die Aussetzung und Tötung ungewollter Kinder zu schaf­fen, wurden schon im frühen Mittelalter in Italien Findelhäuser ein­ge­richtet.[101] Papst Innozenz III. bestätigte die Ordens­bruderschaft vom Heiligen Geist, die sich insbesondere der Einrichtung von Spitälern und Findelhäusern widmete. Zu diesem Entschluß soll, der Legende nach, Papst Innozenz gekommen sein, nachdem er Zeuge war, wie ein Fischer in seinem Netz die Leichen neugeborener Kinder aus dem Tiber zog.[102] Findelanstalten ent­standen im Laufe der Zeit in vielen Städten des Abendlandes.[103]

Im frühen 13. Jh. ent­standen in England die ersten weltlichen Gesetze, denen zufolge die Tötung oder ungewollte Erstickung eines Kindes so bestraft werden sollte wie die Er­mordung eines Erwachsenen.[104]

Kindestötung und – aussetzung betraf in erster Linie in einer vorwiegend militärisch und land­wirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft Mädchen, körperlich miß­ge­bildete und geistig zurückgebliebene Kinder.[105] Obwohl sich im Laufe der Zeit immer bessere Formen der Aufnahme dieser Kinder durch Klöster, Findel- und Waisen­häuser herausbildeten, blieb das Leben der Kinder im Mittelalter gefährdet.

2.3.4 Pflege / Einstellung

Auf die Pflege des Kindes wurde im Mittelalter nicht viel Wert gelegt: Selbst in der Oberschicht war es in dieser Epoche ein üblicher Brauch, das Kind in die Ob­hut einer Amme zu geben. Da die Ammen gleichzeitig mehrere Kinder ver­sorgten, waren sie oft überfordert. Wegen mangelnder Hygiene und schlechter medizinischer Ver­sorgung herrschte hohe Kindersterblichkeit[106]: Noch im 16. Jh. überlebte ein Drittel bis ein Fünftel der Neugeborenen nicht einmal das erste Lebensjahr.[107]

Auch die Einstellung Kindern gegenüber war wenig liebevoll. So wurde bei der Erziehung eine strenge Zucht propagiert. Die Verfechter der strengen Erziehung beriefen sich auf einschlägige Zitate aus der Bibel, ins­besondere aus dem Alten Testament: „Wer seine Rute schont, der haßt seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.”[108] Es sollte bis zur ersten Hälfte des 15. Jh. dauern, bis unter dem Einfluß des italienischen Renaissance­humanismus andere Sichtweisen aufkamen. Die Humanisten stellen die Antike als Vorbild dar: Es wurde auf Quintilian, Plutarch, Vergil ver­­wiesen und für eine maßvolle und ausge­wogene Erziehung plädiert. Nach dieser Überzeugung sollen Kinder mehr durch Ermahnung und Überzeugung auf den richtigen Weg ge­führt werden, als durch körperliche Züchtigung.[109]

Seit dem 12 Jh. vollzog sich eine Wandlung in der Einstellung Kindern gegen­über, kinder­freund­lichere Werte und Einstellungen fanden immer größere Ver­breitung.[110]

Mitte des 12. Jahrhunderts setzte sich langsam die Meinung durch, daß für den Eheschluß auch die Geschlechtsreife der Partner nötig sei. Auch im Hinblick auf die Oblation gelangte man zu der Überzeugung, daß ein vor dem 14. Lebensjahr abgelegtes Ordensgelübde nicht verpflichtend sei. Dies zeigt den einsetzenden Prozeß der Individualisierung: Die Lebensbahnen waren nicht mehr von vornherein vorgezeichnet, sie mußten auch vom Einzelnen bestätigt werden und gewollt sein.[111]

In einer wachsenden Zahl didaktischer Werke des 13. Jahrhunderts tritt das Inter­esse an der Gesundheitspflege und der körperlichen Ausbildung kleiner Kinder hervor. Verschiedene Erziehungslehren zeigen dieses neue Interesse am Kind: 1215 beschäftigt Konrad von Megenberg sich mit Kinderpflege[112] und Bartholomäus Anglicus liefert in einer der frühesten einflußreichsten En­zyklo­pädien eine genaue Beschreibung der körperlichen Anlagen, der emotionellen Eigenschaften und der Gewohnheiten von Kindern. Er läßt ein deutliches Verständnis für die Kindheit erkennen, indem er sie als einen sorglosen und dem Spiel zugewandten Lebensabschnitt betrachtet.[113]

2.3.5 Spiel

Die Auffassung der Antike über die Nutzlosigkeit des Spieles hat sich auch am Anfang des Mittelalters erhalten. Augustus schreibt in seinen Bekenntnissen: „und nicht weil ich Besseres gewollt hätte, war ich ungehorsam, sondern aus Liebe zum Spiel […].”[114] Nur den Allerkleinsten wird das Spiel an sich erlaubt, für das Heranwachsende gilt es schon als unwürdig, man möchte es so bald wie möglich aus diesem kindischen Zustand herausheben. Schon mit drei bis vier Jahren beginnt man bereits den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen, Bauernkinder müssen so früh wie möglich mitarbeiten.[115] Positiv zu werten ist, daß im Verlauf der Zeit viele mittelalterliche Autoren wie Aegidius Romanus, Avicenna, Vinzenz von Beauvais, Konrad von Megenberg die Wichtigkeit des Spielens betonen. Aber erst humanistische Pädagogen pro­pagierten mehr Freiheit, Bewegungsraum und Spiele für die Heranwachsenden.

Als Spielzeug waren bekannt: Rassel, Reifen, Lauf­rädchen­spiel, Steckenpferd, Schaukelpferd und die Puppe für Mädchen. Gespielt wurde mit Tonkugeln und Kreisel; auch Ball-, Fang- und Ringelspiele waren beliebt.[116]

2.3.6 Schule

Ziel der Erziehung war im Mittelalter die Vorbereitung des Kindes auf seine spätere Rolle als Mitglied der christlichen Gemeinschaft sowie als Angehöriger der ständ­ischen Gesellschaft.

Nach dem Untergang des antiken Schulwesens wurden zur Ausbildung des eigenen geistlichen Nachwuchses in den Klöstern die ersten Schulen errichtet.[117] Mit dem Aufblühen des Städtewesens und dem Aufstieg des Bürgertums entstand auch das Bedürfnis nach Schulen für diese Bevölkerungsgruppe und es kam zur Gründung städtischer Schulen.[118]

Nicht alle Kinder hatten die Möglichkeit zur Schulbildung: Für die Erziehung des Sohnes galt der Vater als direkt verantwortlich, aber es wurde zur Not auch auf einen Lehrer zurückgegriffen.

Mit dWurde die Arbeits­kraft des Kindes zu Hause benötigt, so besuchten sie erst zwischen neun bis 13 Jahren den Unter­richt und wurden wieder vorzeitig aus der Schule genommen. Für diejenigen, die die Schule nach kurzer Zeit wieder verlassen hatten, blieb die Kindheit weiter­hin auf eine sehr kurze Zeitspanne beschränkt.[119]

Die Aufteilung der Schulbildung entsprach nicht der Schichtung: Der Kern der Schüler­schaft wurde von den Kindern bürgerlicher Familien, von Beamten und von künftigen Geistlichen gebildet. Frauen waren von der Schulbildung ausgeschlossen, daher galten für sie die Ge­bräuche im Zusammenhang mit dem frühen Eintritt in die Erwachsenenwelt und der kurzen Kindheit. Mädchen waren mit zehn Jahren bereits kleine Frauen, d.h. außer der Anleitung zur Haushaltsführung genossen sie so gut wie keine Erziehung.[120] Ent­sprechend der mittelalterlichen Auffassung über das Kind waren auch die Methoden bei der Erziehung: In den Klassenzimmern waren Angst und Schläge vorherrschend.[121] Erst mit dem Aufkommen des Humanismus wurde die Nütz­lichkeit von Prügel in der Schule in Frage gestellt.[122]

[...]


[1] Molière in Fulda (Hg.), 1948, S. 128.

[2] Rousseau in Schmidt (Hg.), 1912, S. 51.

[3] Gaschke, 2000, S. 3.

[4] Heuser, 1998, S. 4.

[5] Marlier-Heil, 1999, S. L2.

[6] Steinkohl, 1999, S. 47.

[7] Förster, 1999, S. 242.

[8] Assheuer, 1999, S. 41 f.

[9] Vgl.: Postman, 1986, S. 20.

[10] Vgl.: Hurrelmann in Gogolin/Lenzen (Hg.), 1999, S. 110.

[11] Vgl.: Hengst in Aufenanger (Hg.), 1991, S. 19.

[12] Vgl.: Jostock, 1999, S. 88.

[13] Vgl.: Kemper in Renner (Hg.), 1995, S. 13.

[14] Postman zit. nach Heuser, 1998, S. 4.

[15] Postman, 1999, S. 147.

[16] Vgl.: Lüdtke/Marßolek/Saldern (Hg.), 1996, S. 9 ff., http://www.bpb.de/info-franzis/info_268/body_i_268_6.html

[17] Rousseau in Esterhues (Hg.), 1958, S. 8.

[18] Vgl.: Süssmuth in Speck/Wehle (Hg.), 1970, S. 602.

[19] Groothoff, 1964, S. 163.Hans-H. (Hg.): Das Fischer Lexikon -

[20] Böhm, Wörterbuch der Pädagogik 1994, S. 383.

[21] ReifungenGroothoff, 1964, S. 163.

[22] JugendalterSchröder, Grundwortschatz Erziehungswissenschaft 1992, S. 170.

[23] Vgl.: Böhm, 1994, S. 383.

[24] Vgl.: OerterKindheit in Oerter/Montada (Hg.): Entwicklungspsychologie, 1995, 1995, S. 248 ff.

[25] Vgl.: Hurrelmann in Hurrelmann (Hg.), 1976, S. 16 f.

[26] Vgl.: Süssmuth in Speck/Wehle (Hg.), 1970, Kind und Jugendlicher, in Handbuch pädagogischer Grundbegriffe S. 602.

[27] Vgl.: Behler, 1971, S. 3.

[28] Vgl.: Froese in Höltershinken (Hg.), 1976, S. 409, Behler, 1971, S. 3.

[29] Vgl.: Oerter Kindheitin Oerter/Montada (Hg.): Entwicklungspsychologie, 1995, 1995, S. 249.

[30] Vgl.: Süssmuth in Speck/Wehle (Hg.), 1970, Kind und Jugendlicher, in Handbuch pädagogischer Grundbegriffe S. 602 sowie Wulf, (Hg.), 1984, Wörterbuch der Erziehung 1984, S. 316.

[31] Süssmuth in Speck/Wehle (Hg.), 1970, Kind und Jugendlicher, in Handbuch pädagogischer Grundbegriffe S. 604.

[32] Vgl.: Oerter Kindheitin Oerter/Montada (Hg.): Entwicklungspsychologie, 1995, 1995, S. 249.

[33] Vgl.: Wulf (Hg.), 1984, Wörterbuch der Erziehung S. 317.

[34] Schröder, : Grundwortschatz der Erziehungswissenschaft,1992, S. 170.

[35] Vgl.: Hamann, 1998, S. 138.

[36] Vgl.: Baacke, 1992, S. 50.

[37] Vgl.: Menne in Wendt/Loacker (Hg.), 1984, S. 264.

[38] Vgl.: Weber-Kellermann, 1989, S. 13.

[39] Vgl.: Postman, 1986, S. 19 ff.

[40] Vgl.: Mussen, 1974, S. 28 ff., Rauh in Oerter/Montada (Hg.), 1995, S. 178 ff.

[41] Vgl.: Weber-Kellermann, 1989, S. 13.

[42] Goethe in Birus/Schöne/Reinhardt, (Hg.), 1986, S. 13 f.

[43] zu beachten ist, daß der hier verwendete Kindheitsbegriff nicht mit der, im Punkt I.1.3 herausgearbeiteten Definition der Kindheit identisch ist.

[44] Bossard, 1966, S. 488.

[45] Vgl.: deMause in deMause, (Hg.), 1977, S. 12.

[46] Vgl.: Zahn in Plessen, 1979, S. 5.

[47] Unter dem Begriff wird das absolutistische Herrschaftssystem in Frankreich vom 16. Jahrhundert bis zur Revolution von 1789 verstanden.

[48] Vgl.: Arnold, 1980, S. 10 f.

[49] Vgl.: deMause in deMause, (Hg.), 1977, S. 82 ff.

[50] deMause in deMause, (Hg.), 1977, S. 12.

[51] Vgl.: Arnold, 1980, S. 10.

[52] Vgl.: Hentig in Ariès, 1976, S. 44.

[53] Vgl.: Lamer, 1976, S. 39 sowie Brodersen/Zimmermann (Hg.), 2000, S. 36.

[54] Vgl.: Andersen (Hg.), 1965, S. 2121.

[55] Vgl.: Lassahn, 1983, S. 30, Dirx, 1964, S. 318.

[56] Vgl.: Deißmann-Merten in Martin/ Nitschke (Hg.), 1986, S. 269 f.

[57] Vgl.: Deißmann-Merten in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 270.

[58] Aristoteles in Gigon (Hg.), 1951, 1099b, S. 71.

[59] Vgl.: Plessen, 1979, S. 25.

[60] Vgl.: Dahlheim, 1994, S. 356.

[61] Vgl.: Andersen (Hg.), 1965, S. 1526, Brodersen/Zimmermann (Hg.), 2000, S. 290.

[62] Vgl.: Lyman in deMause (Hg.), 1977, S. 122 f.

[63] Vgl.: Lassahn, 1983, S. 29, Dirx, 1964, S. 26 ff, deMause in deMause, (Hg.), 1977, S. 46 ff., Hartmann, 1904, S. 24.

[64] Aristoteles in Rolfes (Hg.), 1958, 1335b, S. 277.

[65] Seneca in Moser (Hg.), 1828, S. 46.

[66] Vgl.: Deißmann-Merten in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 281.

[67] Vgl.: Hartmann, 1904, S. 24.

[68] Vgl.: Eyben in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 318.

[69] Vgl.: Deißmann-Merten in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 278.

[70] Vgl.: Eyben in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 270ff, auch Plessen, 1979, S. 16.

[71] Vgl.: Eyben in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 320.

[72] Vgl.: Arnold 1980, S. 45.

[73] Korrekt heißt das Werk: „¹ polite…a”, gr.: „Die (Staats-) Verfassung“.

[74] Vgl.: Aristoteles in Rolfes (Hg.), 1958, 1336a, S. 277 f.

[75] Vgl.: Schneider, 1967, S. 133, Eyben in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 329, Deißmann-Merten in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 288.

[76] Aristoteles in Rolfes (Hg.), 1958, 1336a, S. 279.

[77] Vgl.: Arnold, 1980, S. 67.

[78] Vgl.: Dirx, 1964, S. 83.

[79] Vgl.: Schmitz, 1980, S. 14.

[80] Vgl.: Schneider, 1967, S. 147, sowie Plessen, 1979, S. 24.

[81] Vgl.: Licht, 1965, S. 291ff., Deißmann-Merten in Martin/Nitschke, (Hg.), 1986, S. 305.

[82] Vgl.: Licht, 1965, S. 289 sowie Deißmann-Merten in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 304.

[83] Vgl.: deMause in deMause, (Hg.), 1977, S. 71 f.

[84] Vgl.: Plessen, 1979, S. 22.

[85] Dem widerspricht allerdings die zur Zeit sehr umstrittene „Pränatale Diagnostik“.

[86] Vgl.: Bayer/Wende, 1995, S. 378 sowie Geiss, 1984, S. 248 ff.

[87] Vgl.: McLaughlin in deMause, (Hg.), 1977, S. 147, Plessen, 1979, S. 39.

[88] Vgl.: Winter, 1984, S. 11.

[89] Augustinus in Thimme/Andersen (Hg.), 1978, S. 708.

[90] Erasmus in Welzig (Hg.), 1975, S. 25.

[91] Vgl.: Arnold in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 460.

[92] Vgl.: Lassahn, 1983, S. 32.

[93] Vgl.: Arnold in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 450 f.

[94] Vgl.: Ariès, 1976, S. 82 f., Lyman in deMause, (Hg.), 1977, S. 115, Arnold, 1980, S. 20.

[95] Vgl.: Winter, 1984, S. 26, Arnold in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 446.

[96] Vgl.: Arnold in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 454.

[97] Vgl.: Winter, 1984, S. 149, McLaughlin in deMause (Hg.), 1977, S. 182.

[98] Vgl.: Arnold, 1980, S. 22.

[99] Vgl.: Arnold, 1980, S. 49, McLaughlin in deMause (Hg.), 1977, S. 174.

[100] Vgl.: Plessen, 1979, S. 33.

[101] Vgl.: Plessen, 1979, S. 33.

[102] Vgl.: Arnold, 1980, S. 46, McLaughlin in deMause (Hg.), S. 177.

[103] Vgl.: Arnold, 1980, S. 46, Dirx, 1964, S. 240.

[104] Vgl.: McLaughlin in deMause (Hg.), 1977, S. 174.

[105] Vgl.: McLaughlin in deMause (Hg.), S. 174, Arnold in Martin/Nitschke (Hg.), 1986, S. 462 f.

[106] Vgl.: Lassahn, 1983, S. 35.

[107] Vgl.: Weber-Kellermann, 1989, S. 26.

[108] AT, Sprüche, 13,24 in Nötscher (Hg.), 1959, S. 456.

[109] Vgl.: Arnold, 1980, S. 82.

[110] Vgl.: McLaughlin in deMause (Hg.), 1977, S. 197, Winter, 1984, S. 44.

[111] Vgl.: Winter, 1984, S. 148.

[112] Vgl.: Winter, 1984, S. 111 ff.

[113] Vgl.: McLaughlin in deMause (Hg.), 1977, S. 197.

[114] Augustinus in bernhardt (Hg.), 1987, S. 37.

[115] Vgl.: Dirx, 1964, S. 84 f.

[116] Vgl.: Arnold, 1980, S. 69 ff.

[117] Vgl.: Schmitz, 1980, S. 35.

[118] Vgl.: Schmitz, 1980, S. 40.

[119] Vgl.: Ariès, 1976, S. 460.

[120] Vgl.: Ariès, 1976, S. 460 f.

[121] Vgl.: Ross in deMause (Hg.), 1977, S. 306.

[122] Vgl.: Ross in deMause (Hg.), 1977, S. 305.

Fin de l'extrait de 112 pages

Résumé des informations

Titre
Ist die Kindheit wirklich verschwunden? - Fragen einer Diplompädagogin an Neil Postman
Université
University of Regensburg  (Philosophische Fakultät)
Note
1,5
Auteur
Année
2001
Pages
112
N° de catalogue
V689
ISBN (ebook)
9783638104524
Taille d'un fichier
778 KB
Langue
allemand
Mots clés
Postman, neue Medien, Fernsehen
Citation du texte
Zsuzsa Brunner (Auteur), 2001, Ist die Kindheit wirklich verschwunden? - Fragen einer Diplompädagogin an Neil Postman, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/689

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