Tempelaktion und Tempelwort Jesu in Joh 2, 13-22


Seminar Paper, 2006

35 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis:

Die Methoden neutestamentlicher Exegese, angewandt auf Joh 2, 13-22

1 Textkritik

2 Kontextanalyse

3 Sprachliche Gestalt

4 Struktur und Kohärenz

5 Narrative Analyse

6 Pragmatische Analyse

7 Formkritische Analyse

8 Literar- und traditionskritische Analyse

9 Redaktionskritische Analyse

10 Interpretation anhand der Analyse-Ergebnisse

11 Übersetzung als Essenz der Interpretation

12 Ein Beispiel für die Wirkungsgeschichte

Literatur

Anlage: Synopse zu Mk 11, 15-19 par (hg. von Josef Schmid)

Die Methoden neutestamentlicher Exegese, angewandt auf Joh 2, 13-22

Die traditionell als „Tempelreinigung“ bezeichnete Perikope Joh 2, 13-22 verknüpft Tempelaktion und Tempelwort Jesu und gehört zu den wenigen Johannesparallelen zu synoptischen Erzählungen[1]. Diese Seltenheit sowie ihre Dramatik und hohe theologische Relevanz für das Leben Jesu machen diese Perikope besonders interessant und sie soll daher in dieser Arbeit als Beispieltext dienen für die Anwendung des Instrumentariums der historisch-kritischen Exegese, von der Textkritik bis zur begründeten Übersetzung.

1 Textkritik

Die Textkritik erschließt unterschiedliche Textvarianten (‚Lesarten’) des rekonstruierten ‚Originaltextes’, der hier in der 27. Auflage des Nestle/Ahland - Textes[2] geboten wird:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die kritischen Zeichen im Text weisen auf die Variantendarstellungen im unten gebotenen Apparat, der die handschriftlichen Textzeugen mittels Sigla listet und so die textkritische Entscheidung nachvollziehbar macht als unverzichtbare Basis für exegetische Textarbeit und Übersetzung. Fast alle Verse von Joh 2, 13-22 bieten kleine, meist kurze Lesarten:

13 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων , καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς . Wenige Textzeugen ergänzen am Satzanfang δὲ = aber (z. T. statt des Anschlusses mit καὶ = und); deutlich mehr bezeugen ein Vorziehen von ὁ Ἰησοῦς vor εἰς Ἱεροσόλυμα, was wohl ein Eintrag aus den Parallelen Mk 11,15 und Lk 19,28 ist, da εἰς Ἱεροσόλυμα dort jeweils den Schluss des Satzes bildet.

14 καὶ εὗρεν ἐν τῷ ἱερῷ τοὺς πωλοῦντας βόας καὶ πρόβατα καὶ περιστερὰς καὶ τοὺς κερματιστὰς καθημένους , Wenige Handschriften ergänzen den Artikel τὰς vor βόας .

15 καὶ ποιήσας φραγέλλιον ἐκ σχοινίων πάντας ἐξέβαλεν ἐκ τοῦ ἱεροῦ , τά τε πρόβατα καὶ τοὺς βόας , καὶ τῶν κολλυβιστῶν ἐξέχεεν τὸ κέρμα καὶ τὰς τραπέζας ἀνέτρεψεν , Die einzige vom Greek New Testament[3] erwähnte Textvariante dieser Peri­kope findet sich hier: ein abschwächendes ω ς (wie) vor φραγέλλιον , das vielleicht das Improvisierte der Peitsche (‚wie eine Peitsche/Geißel’) herausstellen soll. Bei τὸ κέρμα (Geldstück, Münze) teilt sich die Überlieferung: statt des kollektiven Singulars (Münzgeld) bieten viele Handschriften den (attischen, auch bei Josephus bezeugten) Plural κέρματα (Geldstücke). Für ἀνέτρεψεν (umstürzen, zu Fall bringen, zerstören) bieten wenige Text­zeugen das fast bedeutungsgleiche ἀνέστρεψεν (umkehren, umwerfen) oder angeglichen an Mt 21,12 und Mk 11,15 κατέστρεψεν (umstürzen, umwerfen).

16 καὶ τοῖς τὰς περιστερὰς πωλοῦσιν εἶπεν , Ἄρατε ταῦτα ἐντεῦθεν , μὴ ποιεῖτε τὸν οἶκον τοῦ πατρός μου οἶκον ἐμπορίου . Viele Handschriften ergänzen anaphorisch vor μὴ nochmals καὶ , das schon den Anfang aller Verse (jeweils 13-16) bildet und ‚flüssig’ klingt.

17 Ἐμνήσθησαν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ὅτι γεγραμμένον ἐστίν , Ὁ ζῆλος τοῦ οἴκου σου καταφάγεταί με . Wenige Handschriften bringen auch an diesem Satzanfang καὶ (und), einzelne lateinische das korrelative Zeitadverb τότε (zu jener Zeit, damals), ein späterer Zusatz zur Verdeutlichung des zeitlichen Abstands der Jüngerreflexion; einen inhaltlichen Abstand drücken zahlreiche Textzeugen aus mit adversativen δὲ (aber) vor οἱ μαθηταὶ . Das Zitat aus Psalm 69,10 leiten einige Zeugen mit ὅτι (dass) ein, entsprechend der LXX.

Auffällig weniger Lesarten im Vergleich zur Tempelaktion (VV. 14-17) durchziehen das anschließende Tempelwort Jesu (VV. 18-22); Joh 2, 20-21 ist sogar einheitlich überliefert.

18 ἀπεκρίθησαν οὖν οἱ Ἰουδαῖοι καὶ εἶπαν αὐτῷ , Τί σημεῖον δεικνύεις ἡμῖν , ὅτι ταῦτα ποιεῖς; Wenige Handschriften lassen ἡμῖν aus.

19 ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτοῖς , Λύσατε τὸν ναὸν τοῦτον καὶ ἐν τρισὶν ἡμέραις ἐγερῶ αὐτόν . Der Codex Alexandrinus lässt ἐν (in) aus vor dem Dativ (‚mit drei Tagen’).

20 εἶπαν οὖν οἱ Ἰουδαῖοι , Τεσσαράκοντα καὶ ἓξ ἔτεσιν οἰκοδομήθη ὁ ναὸς οὗτος , καὶ σὺ ἐν τρισὶν ἡμέραις ἐγερεῖς αὐτόν; 21 ἐκεῖνος δὲ ἔλεγεν περὶ τοῦ ναοῦ τοῦ σώματος αὐτοῦ . Zu den Versen 20 und 21 sind keine abweichenden Lesarten überliefert.

22 ὅτε οὖν ἠγέρθη ἐκ νεκρῶν , ἐμνήσθησαν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ὅτι τοῦτο ἔλεγεν , καὶ ἐπίστευσαν τῇ γραφῇ καὶ τῷ λόγῳ ὃν εἶπεν ὁ Ἰησοῦς . Der Codex Freerianus tauscht ἠγέρθη (auferstanden, von ἐγείρω aktiv: aufwecken, errichten <von Bauwerken, wie V.19 und V.20>; passiv: auferstehen) mit ἠνεσθη (auferstanden, vgl. ἀνάστασις bzw. Joh 20,9; <aktiv> aufstehen). Etliche Handschriften wandeln den Akkusativ ὃν in einen Dativ um, dem Kasus von τῷ λόγῳ angepasst (attractio relativa[4], als stilistische Verbesserung).

Der textkritische Ertrag zeigt also keine signifikant abweichenden Lesarten mit deutlich anderen Übersetzungsmöglichkeiten. Die im ersten Teil der Perikope (Tempelaktion, bzw. VV. 13-17) zahlreichen Varianten betreffen vor allem stilistische Korrekturen, besonders im Bereich des Satzanfanges bzw. -anschlusses, und Einträge aus den Synoptikern und der Septuaginta. Die sprachlichen Korrekturen wie Ergänzung von Artikeln oder Partikeln und Verwendung alternativer, aber bedeutungsähnlicher Vokabeln bieten keine Basis für kontroverse theologische Deutungen. Der zweite Teil der Perikope (Tempelwort, VV. 18-23) ist in marginal wenigen Handschriften überhaupt abweichend überliefert und zeigt ebenfalls keine prägnanten theologischen Abweichungen.

Überlieferungsgeschichtlich fällt allerdings auf, dass die als besonders alt und daher wichtig eingeschätzten P66 und P75 (Bodmer-Papyrus II und I, um bzw. vor 200 n. Chr.) bei vielen Lesarten beteiligt sind, selten gegeneinander, öfters gegen den Mehrheitstext.

Insgesamt kann jedoch die Perikope Joh 2, 13-22 als gut überliefert gelten.

Die Textabweichungen sind nicht gravierend, weder in Syntax noch im Vokabular. Die meisten Lesarten sind nur gering belegt und betreffen nur Wortteile oder einzelne Wörter, nicht aber zusammenhängende Wortgruppen oder gar Satzteile. Die Textkritik erhebt, dass besonders das johanneische Tempelwort geschlossen und einheitlich tradiert wurde.

2 Kontextanalyse

Für eine Abgrenzung des Kontextes sind „der Anfang und das Ende einer Sinneinheit festzulegen. Hierbei sind Zeit- und Ortsangaben, Veränderungen in der Konstellation der Handlungsträger sowie Themenwechsel von besonderer Bedeutung.“[5]

Nach vorne ist die Abgrenzung zur Perikope der Hochzeit zu Kana eindeutig, denn das ihr angeschlossene, redaktionell klingende Summarium Joh 2, 11f. spricht von Kafarnaum als Aufenthaltsort Jesu, seiner Mutter, Brüder und Jünger, und dass sie dort nicht viele Tage blieben. Vers 13 setzt neu ein mit dem Paschafest der Juden, dem Zug nach Jerusalem und erzählt nur noch von Jesus, seine Mutter und Brüder bleiben unerwähnt.

Nach hinten könnten VV. 23-25 noch zur Perikope der Tempelreinigung gehören, bevor dann mit Joh 3,1 das Gespräch Jesu mit Nikodemus einsetzt. Allerdings bieten diese drei Verse eine mit ‚während’ eingeleitete Summe des Aufenthalts Jesu in Jerusalem mit zwei neuen Themen – die Wirkung der Zeichen Jesu und seine Menschenkenntnis – und sind daher als eigenständiger, wohl redaktioneller ‚Brückentext’ anzusehen. Als Abschluss der Perikope ist also V. 22 anzusehen, der mit der zweiten Jüngererinnerung (ἐμνήσθησαν wie in V.17) formal und inhaltlich abschließt.

Der Sinn eines Textes hängt oft entscheidend vom Kontext ab. Die Abhängigkeit vom um­gebenden Text ist also zu betrachten; die Kontextanalyse muss daher auch „die Stellung eines Teiltextes innerhalb einer größeren Sinneinheit (Makrokontext) und seiner unmittel­baren Umgebung (Mikrokontext) bestimmen.“[6]

Joh 2,13-22 steht im ersten Hauptteil des Joh, der von der Offenbarung Jesu vor der Welt handelt (Joh 1,19 – 12,50)[7]. Näher betrachtet steht die Perikope zwischen Prolog 1,1-18 und der (Rück-)Wanderung durch Samaria und Galiläa 3,22 – 4,54 (diese endet mit dem zweiten Kana-Wunder) und direkt hinter der ersten Woche des messianischen Wirkens (diese endet mit dem ersten Kana-Wunder bei der Hochzeit)[8]. Es geht also wohl um eine programmatische Darstellung Jesu am Beginn seines öffentlichen Wirkens und Deutung seiner Sendung und seines Messias- oder Prophetentums. Hierbei ist zu beachten, dass nur das Johannesevangelium diese Perikope an den Beginn des Wirkens Jesu stellt, und zwar an den ersten von mehreren Aufenthalten in Jerusalem, die Synoptiker bringen die Tempelaktion dagegen am Schluss des Lebens Jesu im Zusammenhang mit dem (ersten und einzigen) Einzug nach Jerusalem und z. T. als Begründung für den Tötungsbeschluss der Gegner Jesu. Der Kontext bei den einzelnen Evangelien ist dabei so verschieden und den Sinn differenzierend, dass der Begriff ‚Tempelreinigung’ nicht immer angemessen ist.

Mk 11,15-19 rahmt die Szene im Tempel in Sandwich-Technik mit der Episode vom un­fruchtbaren Feigenbaum, dessen Absterben zum Zeichen für das Ende des Jerusalemer Kultes im Tempel wird. Dessen Wiedererrichtung als ‚Haus des Gebetes für alle Völker’ findet nicht mehr in Israel, sondern in der Jüngergemeinde statt, der Tempel wird in seiner Heilsfunktion außer Kraft gesetzt.

Mt 21,12-17 stellt die Feigenbaumverfluchung der Tempelaktion nach und lässt dadurch Jesus bei seinem messianischen Einzug in Jerusalem (21,1-11) direkt zum Heiligtum ge­langen (21,12-17) und stellt ihn dabei als den verheißenen Friedenskönig (nach Sach 9,9) dar, der aus der ‚Räuberhöhle’ einen Bezirk des Gottesfriedens macht. Durch die sofort anschließende Heilung von (zum Priesterdienst unfähigen) Lahmen und Blinden und ein erneutes ‚Hosanna dem Sohne Davids’ durch (die kleinen und verachteten) Kinder wird deutlich: der Tempel wird durch Jesu heilende Aktivität ‚gereinigt’, also als Heilsort neu begründet.

Lk 19,45-48 streicht die Feigenbaum-Episode und schaltet Jesu Wehe- und Klageruf über Jerusalem vor, der den Verlust der Heilsfunktion des Tempels enthält. Durch die (in ihrer Aggressivität entschärfte) Austreibung der Händler macht Jesus das Heiligtum zur Stätte seines messianischen Lehrens und räumt damit Jerusalem noch einmal die Chance zur Umkehr ein. Mit dem Zusatz, dass Jesus täglich im Tempel lehrte, wird dieser zum Ort der letzten Lehrtätigkeit Jesu; dort verharrt später die Urgemeinde (Apg 2,46).

Joh 2,13-17 schmückt die Tempelaktion sehr bildlich aus, bringt ein anderes Schriftzitat zur Begründung (Ps 69,10 statt Jes 56,7 und Jer 7,11) und lässt Jesus anschließend vom ‚Tempel seines Leibes’ sprechen. Der Tempel bleibt in keiner Form bestehen, der Begriff Tempel geht auf Jesus über.

„Bei allen vier Evangelisten ist die Tempelszene eine Schlüsselperikope. Betont Markus die Dialektik von Gericht und Heil, die im Zeichen der nahekommenden Gottesherrschaft zur Konstituierung der Jüngergemeinde aus allen Völkern führt, so Matthäus den wunder­baren Wechsel der Verhältnisse, den Jesus im Namen Gottes zugunsten der Schwachen vornimmt, und Lukas die Initiative Jesu, am Vorort Israels der Stimme Gottes Gehör zu verschaffen, während Johannes Jesus selbst als das Heiligtum Gottes vorstellt, in dem Gott die Welt heiligt und in dem die Glaubenden Gott anbeten können.“[9]

Der Kontext-Vergleich zeigt also, dass der Begriff ‚Tempelreinigung’ für Mk nicht passt, weil der Tempel nicht gereinigt, sondern ausgesetzt wird! Für Mt aber passt er, denn der Tempel wird als Motiv rehabilitiert, weil Jesus dort heilt. Lk nimmt eine Zwischenposition ein, es gibt (19,44) keine Chance mehr für den Tempel, aber Hochachtung, weil Jesus dort lehrt(e). Ähnlich sieht auch Joh ein Ende des Tempels, wobei die Bezeichnung als ‚Tempelreinigung’ auf seine Perikope passt in dem Sinn, dass der Begriff des Tempels gerettet wird: der Tempel ist nunmehr und zukünftig Jesus selbst.

3 Sprachliche Gestalt

Die Analyse der Textgestalt, der Sprache und des Stils einer Perikope erhebt den Wort­schatz, untersucht Wortarten und Wortformen und ihre Verbindung nach den Regeln der Grammatik. Die Verknüpfung von Sätzen und Satzteilen ist dabei ebenso zu berücksichti­gen wie verwendete Stilfiguren und wahrnehmbare Spannungen.

Joh 2,13-22 ist ein erzählender Text mit einem hohen Anteil an Verben in kurzen Satz­teilen, womit viel Dynamik in den Erzählduktus hineinkommt. Die verwendeten Substan­tive sind (von Genitivkonstruktionen abgesehen) jeweils einzeln stehend bzw. einem Verb zugeordnet und von konkretem Inhalt; abstrakte Substantive fehlen fast ganz (außer V.18 Zeichen und V.22 Schrift und Wort, die als theologische termini technici aufgeladen sind). Da zudem fast alle Verben im aktiven Genus stehen, ergibt sich ein sehr lebendiger und bildhafter Erzählstil: der Text wirkt wie Rede, nicht wie ‚Schreibe’.

Der realistische Charakter wird unterstrichen durch die ausschließliche Verwendung von Indikativ (ein Konjunktiv fehlt völlig, drei Imperative finden sich in direkter Rede Jesu). Das bevorzugte Tempus der Verben ist der historische Aorist (mit deutschem Imperfekt zu übersetzen[10]). Sätze der direkten Rede stehen im Präsens. Das Psalmenzitat in V.17 steht (abweichend von der LXX) im Futur, ebenso ἐγερῶ in der Verheißung Jesu.

Auffällig ist der wiederholte Beginn von Sätzen und Satzteilen ausschließlich mit καὶ (und) im ersten Teil der Perikope, der Tempelaktion (2,13-16), eine siebenmalige Anapher, die einen vorwärts drängenden Erzähleindruck hervorruft – dies wird zudem unterstützt durch das gänzliche Fehlen von ausschmückenden Adjektiven in der ganzen Perikope: Fast hat es den Anschein, als sollten nur die harten Fakten ‚ohne poetisches Beiwerk’ geliefert werden, was zur Dramatik des Erzählstoffes passt bzw. diese steigert.

Der zweite Teil der Perikope, das Tempelwort (2,18-22) besitzt differenziertere Satz­verknüpfungen: dreimal das bei Joh recht beliebte οὖν, einmal ein adversatives δὲ , die Verse 18 und 19 sind durch eine Anapher verbunden (ἀπεκρίθησαν - ἀπεκρίθη). Die Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Juden wird in direkter Rede dialogisch und in Form eines Missverständnisses gestaltet. Eine Reihe von Vokabeln tauchen (in ver­schiedenen Formen) mehrfach auf: ἐγερεῖν und εἶπαν dreimal, ναὸς, ἐν τρισὶν ἡμέραις und ἔλεγεν je zweimal. Das kompakter überlieferte Tempelwort ist also zudem kohären­ter als die Tempelaktion, ist in sich verwoben (Konjunktionen, Dialog, Wortwiederholung).

Die Wortstatistik[11] ergänzt diese grammatikalische Betrachtung um interessante Befunde.

Die Perikope enthält zahlreiche seltene oder singuläre Vokabeln. Hapaxlegomena sind in V.14 κερματιστὰς (Münzenwechsler), in V.15 φραγέλλιον (Peitsche/Geißel; sonst im NT nur noch als Verb Mt 27,26 u. Mk 15,15) und κέρμα (kleine Münze/Münzgeld), sowie in V.16 ἐμπόριον (Handelsplatz/Kaufhaus; ähnlich nur noch Mt 22,5 ἐμπορίοα Handel).

Selten im NT sind diese Begriffe: in V.15 σχοινίον (Binsenstrick/Seil; nur noch Apg 27,32 Schiffstau) und κολλυβιστής (Geldwechsler, nur noch in den Parallelstellen Mt 12,12 und Mk 11,15) und in V.18 δεικνύειν (zeigen; in Verbindung mit σημεῖον nur hier; ansonsten noch in Joh 5,20, Mt 16,21, 1Kor 12,31, Apg 22,8).

Im Joh nur hier V.19.20.22 zu finden ist ναὸς (Götterwohnung[12] /Tempel). Λύσατε als Im­perativ in V.19 findet sich im Joh nur noch 11,44 (Löst! <die Binden des Lazarus>).

Dieser Wortbestand mit Seltenheitswert ­ besonders im Kern V.14-16 der Tempelaktion ­ kann dahingehend gedeutet werden, dass hier recht alte Formulierungen vorliegen, die so als Tradition vom Joh übernommen wurden.

Andererseits bietet V.18 mit σημεῖον eine johanneische Vorzugsvokabel mit hoher theolo­gischer Bedeutung. Sie ist hier das zweite Mal benützt nach Joh 2,11; die vorausgehende Perikope von der Hochzeit zu Kana spricht vom ‚Anfang der Zeichen’ Jesu, während es in V.18 um ein gefordertes Zeichen geht (als Beweis der Legitimität der Tempelaktion Jesu). Eine Besonderheit stellt die Verwendung von σῶμα in V.21 dar, das im NT 142 (davon 91 paulinische) Belege hat: es ist hier „die einzige Stelle in den johanneischen Schriften, an denen σῶμα nicht Leiche oder Sklave heißt“[13].

Dieser Befund lässt vermuten, dass hier im Tempelwort 2,18-22 bewusste theologische Formulierungen vorliegen, mit denen der Evangelist der zuvor erzählten Tempelaktion 2,13-17 eine bestimmte theologische Deutung geben will.

Die sprachliche Analyse zeigt die Perikope der ‚Tempelreinigung’ in der johanneischen Fassung als dichte und dramatische Erzählung auf hohem literarischen Niveau, wobei der Wortbestand darauf hindeutet, dass eine vorliegende alte Tradition mit einer Deutung ver­knüpft wurde, was eine tiefer gehende Analyse mit diachronem Instrumentarium zwingend nahe legt.

4 Struktur und Kohärenz

Die Analyse von Struktur und Kohärenz eines Textes gibt Auskunft über die Beziehungen zwischen den Textelementen sowie den inneren Zusammenhalt einer Texteinheit. Diese Einheitlichkeit zeigt sich auf den drei Ebenen von Sprache und Stil (formale Ebene), Inhalt (semantische Ebene) und Funktion (pragmatische Ebene).

Die Perikope Joh 2,13-22 ist deutlich zweiteilig strukturiert: Der erste Teil zeigt Jesus als alleinig Handelnden, vom Zug nach Jerusalem bis zu seiner Aktion im dortigen Tempel; der zweite Teil zeigt Jesus im Redestreit mit den Juden, die auf seine Aktion reagieren. Den Schluss beider Teile bietet jeweils eine Art Einschub (V. 17 und V. 21f.), in der die reine Erzählebene verlassen wird.

„Der Aufbau des Berichts ist merkwürdig ‚doppelstöckig’: a) Aktion Jesu VV 14-15; Wort Jesu V 16; ‚Erinnerung’ der Jünger V 17; b) Aktion (bzw. Reaktion) der ‚Juden’ V 18; Rätselwort Jesu V 19; Missverstehen der ‚Juden’ V 20; Kommentar des Evangelisten und ‚Erinnerung’ der Jünger VV 21-22. Daraus folgt aber nicht unbedingt, daß der Evangelist zwei ursprünglich selbständige Stücke miteinander verbunden hat (obwohl auch das möglich bleibt). Tempelreinigung und ‚Tempelwort’, Aktion Jesu und Reaktion der Juden bilden eine vorzügliche Einheit.“[14]

Im ersten Teil wird der Eindruck von Kohärenz erwirkt durch die Anapher καὶ (und) sowie die dramatische Erzählweise, im zweiten Teil durch Konjunktionen, Wortwiederholungen und das antithetisch durchgeführte Streitgespräch. Beide Teile haben einen knappen Stil und innere logische Stringenz, besitzen jeweils ein eigenes geschlossenes Thema, aber auch einen gemeinsamen Zielpunkt: die Stellung Jesu zum Tempel, die in Tat und Wort dargestellt wird; als Kontrastfolie dient dabei der jüdische Tempelkult bzw. das jüdische Unverständnis, also der Gegensatz zwischen Jesus und den Juden.

[...]


[1] Blank, Johannes 1981, S. 30f. listet zwölf weitere solcher Perikopen sowie drei Johannesparallelen zu Mt und Lk, womit der wenige, Joh und den Synoptikern gemeinsame Stoff schon erschöpfend dargestellt ist.

[2] Novum Testamentum Graece post Eberhard et Erwin Nestle, hg. von B. u. K. Ahland u.a., Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft ²⁷1993 (hier samt kritischem Apparat zusammengestellt aus S. 251f.).

[3] The Greek New Testament, hg. von B. Aland u.a., Stuttgart ⁴1994 (dieses bietet den gleichen Text wie auch Nestle/Aland, aber einen anderen kritischen Apparat, und ist die Basis für den Kommentar zur Textkritik von Metzger, Bruce Manning: A textual commentary on the Greek new testament, London: United Bible Soc. / Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1971).

[4] Vgl. Leroy, Rätsel und Missverständnis 1968, S. 140.

[5] Schnelle, Exegese 2000, S. 54.

[6] Schnelle, Exegese 2000, S. 55.

[7] Vgl. Vielhauer, Einleitung 1978, S. 415.

[8] Vgl. Jerusalemer Bibel 1978, S. 1491.

[9] Söding / Münch, Methodenlehre 2005, S. 56-58 (hier 58).

[10] Vgl. Stoy, Werner / Haag, Klaus: Bibelgriechisch leicht gemacht. Lehrbuch des neutestamentlichen Griechisch, Gießen: Brunnen ³1993, S. 128 f.

[11] Vom Autor selbst erstellt mit Hilfe der Suchfunktion der CD-ROM - Ausgabe des Novum Testamentum Graece 2001. Eine ausführlichere Vokabelstatistik bietet Paesler, Tempelwort Jesu 1999, S. 63-67.

[12] Rienecker, Fritz: Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament, Gießen: Brunnen 1974 (14. Aufl.), S. 200.

[13] Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament Bd. II (hg. von L. Coenen und K. Hacker), Wuppertal: Brockhaus 2000, S. 1282.

[14] Schnackenburg, Johannesevangelium 1981, S. 360.

Excerpt out of 35 pages

Details

Title
Tempelaktion und Tempelwort Jesu in Joh 2, 13-22
College
University of Augsburg  (Katholisch-Theologische Fakultät)
Course
Seminar: Methoden der neutestamentlichen Exegese
Grade
1,3
Author
Year
2006
Pages
35
Catalog Number
V69093
ISBN (eBook)
9783638596367
ISBN (Book)
9783656213284
File size
1437 KB
Language
German
Notes
Die Perikope der so genannten "Tempelreinigung" zeigt im synoptischen Vergleich ein zentrales Ereignis im Leben Jesu, und stellt sich zugleich als Schlüsselstelle im Johannesevangelium dar. Die umfangreiche Seminararbeit wendet alle gängigen Methoden der neutestamentlichen Exegese auf Joh 2, 13-22 an, und führt dabei vom griechischen Text über eine ausführliche versweise Exegese zu einer begründeten eigenen Übersetzung. Sie wurde am Lehrstuhl für (kath.) Exegese des NT als "sehr gut" bewertet.
Keywords
Tempelaktion, Tempelwort, Jesu, Seminar, Methoden, Exegese
Quote paper
Thomas Josef Frommel (Author), 2006, Tempelaktion und Tempelwort Jesu in Joh 2, 13-22, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69093

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