Grundlagen und Praxis der tiergestützten Therapie und Pädagogik


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2005

25 Pages, Note: 1.5


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Fragestellung

2 Wie entstanden tiergestützte Therapie und Pädagogik?
2.1 Kulturgeschichtliche Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung
2.2 Werdegang zur tiergestützter Erziehung und Heilung

3 Tiergestützte Therapie und Pädagogik
3.1 Begriffsklärung
3.2 Welche Tiere sind als therapeutische Begleiter geeignet und wo werden sie eingesetzt?
3.3 Für wen sind Tiere als therapeutische Begleiter geeignet?

4 Einfluss und Wirkung von Tieren auf Menschen

5 Theorien der tiergestützten Therapie und Pädagogik
5.1 Psychologische Ansätze
5.1.1 Tiefenpsychologischer Ansatz nach Boris Levinson
5.1.2 Realitätspsychologischer Ansatz nach Samuel und Elizabeth Corson
5.2 Biophilie-Hypothese
5.3 Kritische Würdigung der Erklärungsansätze

6 Einwände der tiergestützten Therapie und Pädagogik
6.1 Allgemeine Schwierigkeiten
6.2 Instrumentalisierung von Tieren
6.3 Ethik
6.4 Gefahren

7 Folgerungen für die Soziale Arbeit

8 Schlussgedanken und Ausblick

9 Quellenverzeichnis
9.1 Literatur
9.2 Internetquellen

1 Einleitung und Fragestellung

Persönlich hatte ich immer einen starken Bezug zu Tieren. Sowohl als Kind wie auch als Erwachsene hatte ich immer Haustiere und nahm lange Zeit Reit-Unterricht. Als tiergestützte Therapie waren mir jedoch nur das heilpädagogische Reiten und die Delphintherapie bekannt. In meinem Vorpraktikum hatte ich ausserdem die Hippotherapie kennen gelernt.

Tiere in der Therapie und Pädagogik sind hierzulande ausser den genannten Bereichen tat­sächlich noch nicht sehr bekannt. In den letzten Jahren hat sich die Wissenschaft etwas ver­mehrt mit der Wirkung von Tieren auf Menschen beschäftigt. Verschiedene Studien mit Tieren haben nicht nur im medizinischen Bereich eine Reduktion der Herzfrequenz und des Blutdrucks gezeigt, sondern auch bei sozial auffälligen Kindern die Aufmerksamkeit, die Kommunikationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit erhöht. Es sind aber erst wenige theore­tische Erklärungsansätze über die Wirkung von Tieren auf Menschen vorhanden und nur zögerlich befasst sich die deutschsprachige Wissenschaft mit diesem Thema. Zu Unrecht, denn in angelsächsischen Ländern ist man uns bezüglich der „animal assisted therapy“, wie sie dort genannt wird, weit voraus, und speziell in den USA, wo das erste Werk zu diesem Thema schon 1969 erschien, existiert zahlreiche Fachliteratur zu diesem Thema.

Immer mehr Professionelle aus verschiedenen Richtungen interessieren sich vermehrt für tiergestützte Therapie und Pädagogik und setzen Tiere in ihrer Arbeit ein. Auch die Medien haben in letzter Zeit verschiedentlich über tiergestützte Therapie und Pädagogik oder über Modellversuche wie Projekte mit Tieren in Gefängnissen berichtet. Neuerdings werden professionelle Weiterbildungen für Heilpädagogen[1], Sozialarbeiterinnen, Logopäden, Ergo­therapeutinnen etc. in tiergestützter Therapie und Fördermassnahmen angeboten[2]. Der Ge­danke, dass Tiere offensichtlich eine heilsame Wirkung auf Menschen haben, faszinierte mich und bewog mich dazu, mich mit diesem Thema in der Semesterarbeit zu beschäftigen.

Die Hauptfragestellung lautet daher: Was sind tiergestützte Therapie und Pädagogik und wie wirken sie? Zur Beantwortung der Hauptfrage stellen sich folgende Unterfragen:

- Welche Tiere sind als therapeutische Begleiter geeignet und wo werden sie eingesetzt?
- Für wen sind Tiere als therapeutische Begleiterinnen geeignet?
- Welche Einwände gibt es bei der tiergestützten Therapie und Pädagogik?

Für die Beantwortung dieser Frage stütze ich mich vor allem auf deutschsprachige Literatur, Studien und Internetseiten, die den deutschsprachigen europäischen Raum repräsentieren.

2 Wie entstanden tiergestützte Therapie und Pädagogik?

2.1 Kulturgeschichtliche Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung

Das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier hat eine lange Tradition. Menschen und Tiere waren und sind Nahrungskonkurrenten und –lieferantinnen. Im Lauf der Geschichte begann der Mensch, Tiere zu domestizieren und sie als Arbeitspartner einzusetzen. Mit der kulturellen Entwicklung des Menschen veränderte sich auch die Mensch-Tier-Beziehung.

Obwohl Tiere in Hochkulturen prähistorischer Zeit eine wichtige Rolle gespielt hatten[3], sah man Tiere als untergeordnete Wesen ohne Seelen. Erst der griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.), für den Tiere eine gewisse Wahrnehmungsfähigkeit besassen und damit eine untere Erkenntnisstufe erreichen konnten, sprach ihnen eine Seele zu. Unter dem Ein­fluss religiöser Deutungen veränderte sich diese Sichtweise aber wieder, z.B. durch die Schriften des Philosophen Descartes, der dem Menschen, nicht aber dem Tier eine Seele zu­sprach, da nur der Mensch seine gedanklichen Reflexionen auch ausdrücken konnte. Daher sollte der Mensch dem Tier überlegen sei, so die Schlussfolgerungen. Dies gab dem Mensch die Berechtigung, das Tier zu benutzen und es auf einer anderen Stufe einer imaginären Werteskala einzustufen (vgl. Otterstedt 2001, S. 13f).

Auch die jüdisch-christliche Kultur bestimmte das Tier dazu, dem Menschen zu dienen, weil: „Gott hat dem Menschen die Herrschaft über alle lebenden Wesen gegeben.“ Dies war wegweisend für die spätere Mensch-Tier-Beziehung. Man unterschied zwischen Geist und Natur und hob den Mensch damit über das Tier. Einzig der französische Schriftsteller und Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592), der als Vordenker der Aufklärung und Vater der modernen Tierpsychologie gilt, zeigte die Möglichkeiten einer nonverbalen Kommuni­kation und damit sozialen Beziehung zwischen Mensch und Tier auf. Seine Erkenntnisse veränderten aber die Mensch-Tier-Beziehung noch nicht. Erst mit Jean-Jacques Rousseau begann im 18. Jahrhundert ein Umdenken, als man nicht mehr allein die geistige Leistung als Massstab ansah, sondern im Bereich des Fühlens und der Sensibilität Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier entdeckte. Das ethische Handeln basierte nun auf dem Empfin­dungsvermögen der Tiere, nicht mehr auf der Verstandesfähigkeit (vgl. Otterstedt, Caro­la: Tiergestützte Therapie und tiergestützte Pädagogik: Positionierung eines interdisziplinä­ren Arbeitsfeldes: Kultur- und religionsphilosophische Gedanken zur Mensch-Tier-Bezie­hung. In: Olbrich/Otterstedt 2003, S.15-24). Auch die modernere Verhaltensforschung konnte zu diesem Sinneswandel beitragen. Man erkannte, dass Tiere leidensfähig waren. Der Jagdgefährte und das Arbeitstier traten immer mehr in den Hintergrund und heute hat das Tier einen wichtigen Stellenwert als Sozial- und Lebenspartner.

2.2 Werdegang zur tiergestützter Erziehung und Heilung

Bereits im 8. Jh. sollen in Gheel (Belgien) Tiere therapeutisch eingesetzt worden sein. Ende des 18. Jahrhunderts nahm die von Quäkern gegründete psychiatrische Anstalt „York Retreat“ die Idee wieder auf. Sie gilt heute als das älteste bekannte Beispiel eines bewussten therapeutischen Einsatzes von Tieren. Die Anstalt war für diese Zeit sehr tolerant: Die In­sassinnen wurden eher als Gäste denn als Kranke gesehen, Strafen und Einsperren, gängige Methoden dieser Zeit, gab es keine. Die Anstalt hatte einen Garten und viele Kleintiere, die von den Patienten versorgt werden durften. Obwohl man grossen Erfolg mit der Anstalt erzielte, weil die Patientinnen durch humane Methoden kuriert werden konnten, setzte sich das Modell nicht durch. Die Methode des Einbezugs der Tiere galt als „unwissenschaftlich“, wurde belächelt und schnell wieder vergessen. Die Anstalt Bethel bei Bielefeld nahm 100 Jahre später die Idee von Tieren als Co-Therapeuten wieder auf. Tiere wurden von Anfang an in das Konzept zur Behandlung von Epileptikerinnen und anderen geistig und psychisch gestörten Patienten einbezogen. Leider hat bisher niemand die Effekte wissenschaftlich dokumentiert und analysiert. Auch das 1942 in New York gegründete Army Air Force Convalescent Hospital für kriegsgeschädigte und -traumatisierte Soldaten setzte Tiere in der tiergestützten Psychotherapie ein: Es besass einen Bauernhof mit Nutztieren, die von den Patienten versorgt wurden und andere Tiere wie Enten und Wild konnten in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet werden. Auch diese Anstalt wurde nach Kriegsende aufgelöst. Auch die Studien der amerikanischen Psychologen Sam und Elisabeth Corson waren für die tiergestützte Therapie und Pädagogik von grosser Bedeutung. Die Corsons stiessen per Zufall auf ihr Forschungsziel „Überprüfung der Effekte durch tiergestützte Psychotherapien“. Für ihren Versuch, bei dem Expertinnen aus allen Berufsgruppen involviert waren, wählten sie solche Patienten, die auf konventionelle Behandlungsmethoden nicht ansprachen. Ihre gros­sen Erfolge dokumentierten sie später (vgl. Greiffenhagen 1991, S. 166-179).

Entscheidend für die tiergestützte Therapie und Pädagogik war aber das Schlüsselerlebnis des Psychotherapeuten Boris M. Levinson. Zufällig lag sein Hund unter dem Schreibtisch, als sein nächster Patient, ein autistischer Junge, mit seinen Eltern zu früh in die Praxis kam. Der Hund lief gleich zu dem Jungen und leckte ihn ab, und der Junge umarmte den Hund. Der Junge wollte nach dieser Stunde nur wiederkommen, wenn auch der Hund da wäre. Über den Hund gelang Levinson der Zugang zu dem Jungen. Mit der Zeit liess der Junge ihn mitspielen und Levinson erkannte und bestätigte in der Folgezeit, daß der Hund ein "sozialer Katalysator" war[4]. Levinson befragte daraufhin mehrere hundert Kolleginnen, ob sie schon einmal Tiere als therapeutische Helfer eingesetzt hätten. Etwa ein Drittel der Befragten antwortete bejahend, von denen wiederum 90% die Anwesenheit eines Tieres als hilfreich empfunden hatten. Daraufhin beschrieb er Erfahrungen mit Tieren als Co-Therapeuten in seinem Buch „Pet-oriented child psychotherapy“, das 1969 erschien. Wissenschaftlerinnen begannen mit Experimenten und Versuchsreihen, wie die Psychologen Samuel und Elizabeth Corson, die Soziologin Erika Friedmann und der Mediziner Aaron H. Katcher, die später mit ihren Studien und Berichten über die heilsame Wirkung von Tieren[5] auf kranke und einsame Menschen die medizinische Welt zum Staunen brachten. Der Begriff „pet facilitated therapy“ wurde zum Schlagwort eines neuen Wissenschaftszweigs (vgl. op.cit., S. 15/168-170).

Zunächst entstanden daraufhin in den angelsächsischen Ländern Tierbesuchsdienste[6], wo Laien mit ihren Tieren Menschen in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäuser, Gefäng­nissen oder Psychiatrien besuchten. Zahlreiche Beispiele folgten weltweit: Es entstanden Spiel­plätze mit Tieren, Kindergärten mit Tieren, Streichelgehege im Zoo wurden abgeteilt und Jugendfarmen mit Tieren[7] aufgebaut, in Holland gab es Stadtparks mit Tieren. Auch Kran­kehäuser setzten vermehrt und bewusst Tiere ein. Neuerdings entstehen in den Niederlanden zunehmend Fürsorgebauernhöfe, wo Landwirtschaft und professionelle Begleitung für Men­schen mit sozialen, körperlichen oder psychischen Hilfsbedürfnissen gekoppelt sind (vgl. op.cit., S. 16 und Beetz, Andrea: Green Chimneys – ein Vorbild für tiergestützte Therapie mit Kindern und Jugendlichen. In: Olbrich/Otterstedt 2003, S. 411-422).

Im deutschsprachigen Raum, wo bis vor einigen Jahren fast nur der Einsatz des Blinden­hundes, das heilpädagogische Reiten sowie die Delphintherapie bekannt waren, bemühen sich in den letzten Jahren vermehrt Vereine und Projekte um den Einsatz von Tieren als the­rapeutische Begleiter, so das St. Galler Gefängnis Saxerriet, das in einem Modellversuch die positive Wirkung von Katzen auf Häftlinge erforscht hat. Der Anstaltsleiter ist überzeugt, dass die Katzen auf die Häftlinge eine beruhigende und stabilisierende Wirkung haben und hat eine Verringerung der Aggressivität unter den Häftlingen festgestellt. Auch Ergothera­peutinnen, Sozialarbeiter, Psychologinnen, Psychiater und Logopädinnen beginnen in den letzten Jahren vermehrt mit Tieren zu arbeiten. Neben dieser „pet facilitated therapy“, Thera­pie mit Haustieren, wie sie im englischen bezeichnet wird, ist dort auch die „animal assisted therapy“ oder „animal facilitated therapy“ entstanden. Sie unterscheidet sich von der „pet facilitated therapy“ dadurch, dass hier auch mit nicht-domestizierten Tieren therapeutisch gearbeitet wird, also z.B. mit wilden Delphinen. Im deutschsprachigen Raum werden sämtli­che Formen allgemein als tiergestützte Therapie oder Pädagogik bezeichnet.

[...]


[1] Damit sowohl das weibliche wie auch männliche Geschlecht gleichermassen angesprochen sind, werden in dieser Arbeit beide Formen willkürlich abwechselnd verwendet.

[2] Z.B. beim Institut für soziales Lernen in Würzburg oder bei der Veterinärmedizinischen Universität TAT in Wien, siehe Kapitel 8.

[3] Z.B. mit der Vorstellung von Gottheiten und Dämonen in Tiergestalt.

[4] Levinsons Theorie wird in Kapitel 5 beschrieben.

[5] Senkung des Blutdrucks und Verlangsamung des Herzrhythmus nur aufgrund der Liebkosung eines Fells.

[6] Im englischen „animal assisted activities“ genannt.

[7] Wie die mittlerweile berühmte Jugendfarm „Green Chimneys“, nördlich von New York gelegen.

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Grundlagen und Praxis der tiergestützten Therapie und Pädagogik
Université
University of Applied Sciences Northwestern Switzerland
Note
1.5
Auteur
Année
2005
Pages
25
N° de catalogue
V70335
ISBN (ebook)
9783638615594
Taille d'un fichier
470 KB
Langue
allemand
Annotations
Diese Arbeit zeigt auf, dass Tiere beim Menschen Wirkungen wie Senkung des Blutdrucks, Förderung des Selbstwertgefühls oder Steigerung der Konzentrations- und Kommunikationsfähigkeit erzielen können. Die Einwände, die gegen tiergestützte Therapie und Pädagogik sprechen, sehe ich vor allem in der Gefahr der Instrumentalisierung der Tiere. Der Schwerpunkt dieser Übersichtsarbeit liegt auf der kritischen Würdigung der theoretischen Erklärungsansätze zur Wirkung vonTieren auf Menschen.
Mots clés
Grundlagen, Praxis, Therapie, Pädagogik
Citation du texte
Claudine Haller (Auteur), 2005, Grundlagen und Praxis der tiergestützten Therapie und Pädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70335

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