Der symbolische Interaktionismus nach Mead und die Habitustheorie nach Bourdieu

Wie vollzieht sich Sozialisation nach Mead bzw. Bourdieu und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das pädagogische Handeln im schulischen Kontext?


Dossier / Travail, 2020

18 Pages, Note: 1,7

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der symbolische Interaktionismus – die Sozialtheorie von George Herbert Mead
2.1 Zeichen, Gesten und Symbole
2.2 Das Selbst und seine strukturellen Bestandteile – I, Self und Me
2.3 Die Rollenübernahme nach Mead: „Taking the role of the other“
2.3.1 Das Play & das Game

3. Die Sozialtheorie von Pierre Bourdieu
3.1 Das Kapital
3.2 Der soziale Raum
3.3 Der Habitus
3.4 Die sozialen Klassen

4. Vergleich

5. Bedeutung für die schulische Praxis

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Frage nach dem Werden eines Menschen treibt Pädagog*innen und Soziolog*innen seit Jahrhundert um und es entstanden immer wieder Theorien, welche große Auswirkungen auf das pädagogische Handeln der jeweiligen Epoche hatten. Auch das Seminar, in welchem Zusammenhang diese Hausarbeit entstand, widmete sich mit dem Thema ‚Theorien der Sozialisation‘.

Sozialisation wird verstanden als „Persönlichkeitsentwicklung im sozialen und kulturellen Kontext und eine Form der stets spannungsreichen Konstruktion der Biografie und der Behauptung der Identität in der Umwelt im teilweisen Widerspruch zur »ärgerlichen Tatsache der Gesellschaft« (Dahrendorf)“ (Hurrelmann & Bauer 2015, 18).

Um der Verschiedenheit dieser Theorien zur Persönlichkeitsentwicklung produktiv zu begegnen und pädagogische Konsequenzen abzuleiten, fokussiert diese Hausarbeit die beiden bedeutenden Sozialisationstheorien nach Mead und Bourdieu.

Dafür werden die beiden Theorien im Folgenden zunächst detailliert dargestellt und erläutert. Darauf aufbauend erfolgt der Vergleich der Theorien im Hinblick auf die Bereiche Individualität, Identität und Perspektivübernahme. Diese Schwerpunktsetzung wurde gewählt, da diese drei Bausteine elementar für die Sozialisationsmodelle erscheinen und da sich wesentliche Unterschiede der Theorien entlang dieser drei Elemente herausarbeiten lassen.

Die Erkenntnisse werden anschließend in pädagogische Handlungslinien überführt, um die verschiedenen Konsequenzen für die schulpraktische Arbeit sichtbar zu machen.

Abschließend werden die Ergebnisse in einem Fazit zusammenfasst.

2. Der symbolische Interaktionismus – die Sozialtheorie von George Herbert Mead

George Herbert Mead war ein amerikanischer Philosoph und Psychologe, der von 1863 bis 1931 lebte und eine bis heute noch bedeutende Sozialtheorie für die Pädagogik aufstellte. In seinem Hauptwerk ‚Geist, Identität und Gesellschaft‘ entwickelte Mead einen Ansatz, der die Interaktion im Blick auf Verständigungsgemeinschaften aufbereitet hat. Dies bezeichnet er als symbolvermittelte Interaktion. Sie beschreibt den stetigen Prozess der Kommunikation zwischen Individuum und Gesellschaft. Diese Kommunikation führt dazu, dass der Mensch sich stetig in einer Gesellschaft neu einordnen bzw. integrieren muss. Das Individuum begreift seine Umwelt durch Symbole. Durch die Sozialisation werden diese Symbole erworben und durch zwischenmenschliche Beziehungen reflektiert (vgl. Abels 2010, 17). Auf Grund dieser Tatsache bezeichnet Mead seine interaktionistische Theorie als Sozialbehaviourismus. Denn im Gegensatz zu anderen behavioristischen Theorien, fokussiert Mead sich nicht nur auf die Verhaltensweisen gegenüber Reizen, die auf Individuen einwirken (Reiz-Reaktions- Modelle), sondern auch die wechselseitige Interaktion zwischen Individuen.

George Herbert Mead sieht den Menschen als ein vernunftbegabtes und aktives Wesen, dass sich seine Umwelt selbst wählt und gestaltet (vgl. Mead 1973, 293).

2.1 Zeichen, Gesten und Symbole

Wie bereits dargestellt, steht im Fokus seines Hauptwerkes die wechselseitige Kommunikation, die durch Zeichen, Gesten und Symbole geprägt ist.

Als Zeichen bezeichnet der Sozialpsychologe das Zusammenspiel aus Sinnesreizen und der darauffolgenden instinktiven Reaktionen. Hierbei unterstreicht Mead, dass diese Zeichen unabhängig von sozialen Beziehungen sind. Auf diese reagieren nahezu alle Individuen gleich, da es sich zumeist um ausgelöste, reaktionäre Reflexe handelt.

Im Gegensatz dazu finden die Gesten in sozialen Beziehungen statt. Nur wenn zwei Individuen interagieren, können in konkrete Situationen konkrete Handlungen ausgelöst werden. Gesten sind somit immer eindeutig und lassen keinen Interpretationsspielraum.

Symbole sind komplexe Gesten, die unterschiedlich interpretierbar sind und somit einen Deutungsspielraum zulassen. Wenn ein Mensch beispielsweise weint, kann dies emotionaler Ausdruck von Trauer aber auch von Freude sein. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die signifikanten Symbole, welche sich durch ihre Komplexität auszeichnen, aber immer die gleiche Reaktion der Anderen hervorruft. Wie zum Beispiel das Wort „Achtung“: Hier werden bei dem Gewarnten alle Sinnesorgane auf der Stelle aktiviert und er befindet sich im nächsten Moment in Alarmbereitschaft (vgl. Esser 2002, 47f.).

2.2 Das Selbst und seine strukturellen Bestandteile – I, Self und Me

Wie schon erwähnt, ist George Herbert Mead der Ansicht, dass die Grundlage für die Identität und eine funktionierende Gesellschaft die Sprache ist.

Eine gesunde Identität bezeichnet er als das Self. Da der Mensch nicht von Geburt an sprechen kann, besitzt er auch keine angeborene Identität. Diese muss zunächst durch Erfahrungs- und Entwicklungsprozesse gebildet und vermittelt werden. Das Selbst (Self) wird laut Mead von zwei ‚Seiten‘ beeinflusst:

Das I wird als das ‚impulsive Ich‘ bezeichnet, weil es angeboren ist und die eigenen Bedürfnisse spontan zum Ausdruck bringt. Dabei nimmt es keine Rücksicht auf die Erwartungen der Gesellschaft.

Auf der anderen Seite steht das Me. Dies ist das ‚reflektierte Ich‘, welches durch soziales Lernen entsteht. Um das Me konkret zu entwickeln, muss das Individuum zunächst besondere Bezugspersonen - die signifikanten Anderen - später aber auch die anderen Mitglieder der Gesellschaft - die generalisierten Anderen - in ihrem Verhalten beobachten, um deren Erwartungen einschätzen zu können.

Das Self steht also in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen dem I und dem Me. Dies führt dazu, dass das Selbstbild des Individuums immer wieder überdacht und -arbeitet wird. Die Wahrnehmung der eigenen Identität kann also nur durch die Betrachtung Anderer erfolgen (vgl. Reiger 2009, 148).

2.3 Die Rollenübernahme nach Mead: „Taking the role of the other“

Um dies zu ermöglichen, sieht Mead die Rollenübernahme als eine der entscheidenden Kriterien zur Entwicklung der eigenen Identität an.

Durch die Orientierung des/ der Einzelnen (EGO) am Verhalten der Anderen (ALTER), kann sich der Mensch in die Lage der anderen Menschen versetzt und deren Reaktionen ‚voraussehen‘. Dadurch erlernt das Individuum, welches Verhalten von ihm erwartet wird. Dadurch ist es den Akteur*innen möglich, ihre individuelle Handlungslinie zu entwerfen (vgl. Reiger 2009, 145). Die Identität ist also ein ständiger Prozess des Rollenspiels (taking the role of the other) und das damit verbundene Hineinversetzen in die Perspektiven der Anderen. Dadurch wird das eigene Handeln dem Individuum immer bewusster und kontrollierbarer.

2.3.1 Das Play & das Game

Der Soziologe unterscheidet in seiner Theorie im Sozialisationsprozess von Kindern zwei Phasen. Damit es dem Kind ermöglicht wird sich in die Gesellschaft einzufügen und eine Identität aufzubauen, benutzt es sowohl die Methode des ‚Plays‘ als auch des ‚Games‘ in Rollenspielen.

In der frühen Kindheit versetzt sich ein spielendes Kind in vertraute Rollen: In sich selbst und in die eines/ einer signifikanten Anderen. Spielerisch übernimmt der Heranwachsende die Denkweisen und Reaktionen zum Beispiel der Mutter. In diesem Moment spielt das Kind nicht als ob es die Mutter wäre, sondern es ist die Mutter (vgl. Reiger 2009, 113).

Die Methode des Games ist wesentlich abstrakter als die des Plays. Bei dieser fortgeschrittenen Form des Rollenspiels agiert das Kind nicht nur mit bekannten Personen, sondern mit sehr vielen unterschiedlichen Charakteren der Gesellschaft - die generalisierten Anderen (vgl. Mead 1934, 196f.). Diese Phase des Rollenspiels erlangt das Kind also erst, wenn es eine soziale Welt voller Regeln und Normen kennenlernt (z. B. im Kindergarten). Im Game erlernt der Heranwachsende, zu entscheiden, welche Reaktionen und Verhaltensweisen seine Aktionen auslösen. Dadurch erarbeitet er sich seinen eigenen Platz in seiner sozialen Welt und erfährt die Werte- und Normorientierung der Gesellschaft.

„Im Play geht das Kind in der Rolle eines signifikanten Anderen ganz auf, im game muss es sich genau davon entfernen und das generelle Prinzip des Handelns aller Beteiligten erfassen“ (Abels 2010, 78). Trotz dieser Beispielsetzung ist es wesentlich zu erkennen, dass sich nach Mead die Sozialisation des Individuums nicht nur auf die frühe Kindheit beschränkt, sondern ein ewig fortlaufender und nie endender Prozess zwischen EGO und signifikanten bzw. generalisierten Anderen (ALTER) ist. Die Ausbildung der menschlichen Identität ist demnach nie abgeschlossen.

3. Die Sozialtheorie von Pierre Bourdieu

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu lebte von 1930 bis 2002. 1979 schrieb er sein Hauptwerk ‚die feinen Unterschiede‘. In dieser schriftlichen Ausarbeitung kritisiert Bourdieu vor allem die gesellschaftliche Urteilskraft. Er stellt heraus, dass sich die Soziologie nach subjektiven Erfahrungen und Orientierungen richtet (vgl. Treibel 2006, 224). Bourdieu geht davon aus, „dass die Entfaltungsmöglichkeiten eines Individuums begrenzt sind“ (Lehmann 2013, 162). In seiner Theorie entwickelte der Soziologe verschiedene Konzepte wie das Kapital, den sozialen Raum, den Habitus und die sozialen Klassen, die die Stützpfeiler seiner Sozialtheorie bilden und im Folgenden nähere Betrachtung erfahren.

3.1 Das Kapital

Pierre Bourdieu geht von drei grundlegenden Kapitalformen eines Individuums aus:

1. Das ökonomische Kapital

Das ökonomische Kapital beschreibt der Soziologe als das materielle Kapital. Es ist dadurch charakterisiert, dass es „unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar“ (Bourdieu 1992, 52) ist. Diese Ressource liegt den anderen Kapitalarten zu Grunde. Dennoch warnt Bourdieu vor einer einseitigen Betrachtungsweise: Auch die Bedeutung des kulturellen und des sozialen Kapitals dürfen nicht außer Acht gelassen werden.

2. Das kulturelle Kapital

Das kulturelle Kapital kann zusammenfassend als Bildungskapital umschrieben werden. Es umfasst alle Formen des Wissens, die sich ein Mensch im Laufe seines Lebens aneignet, aber auch die erreichten akademischen Titel, die auf der Grundlage von Bildung erworben wurden. Der Soziologe sieht das kulturelle Kapital jedoch nicht als eine „nur individuelle Größe“ (Treibel 2006, 213), sondern weist ausdrücklich darauf hin, dass es in vielen Fällen von weiteren externen Faktoren (wie z. B. der Familie) abhängig ist. Diese Komponenten liegen nicht im Einflussbereich des Individuums.

Pierre Bourdieu unterscheidet in seiner Theorie drei unterschiedliche Formen des kulturellen Kapitals:

a. Das objektivierte Kulturkapital besteht aus kulturellen Gütern, die zur Aneignung von Wissen benötigt werden, wie beispielsweise Bücher oder Gemälde. Diese kulturellen Güter besitzen zwar einen Wert, aber um diesen Wert auch wirklich schätzen zu können, benötigt das Individuum eine Voraussetzung an kulturellen Fähigkeiten (siehe inkorporiertes Kulturkapital). „Denn was wäre ein Buch ohne Leser, eine Maschine, die niemand bedienen kann, ein Kunstgegenstand ohne entsprechende ästhetische Disposition des Betrachters? Nichts anderes als das rein materielle Substrat der entsprechenden Objekte, das sich gänzlich auf den (ökonomischen) Materialwert des Papiers, des Metalls, der Leinwand reduzierte“ (Schwingel 2000, 84).
b. Das inkorporierte Kulturkapital umfasst alle persönlichen Leistungen, Fertigkeiten und alles Wissen, dass sich das Individuum mit Hilfe der Gegenstände des objektivierten Kulturkapitals und anderen Beobachtungen angeeignet hat. Diese Kapitalform ist also körpergebunden und wird durch den Verinnerlichungsprozess erworben. Es macht das Individuum aus. Es wird zum Teil in der Familie und in der Schule vermittelt, ist aber nicht weiter zu vererben oder zu verschenken. Es handelt sich demnach bei inkorporierten Kulturkapital um eine kognitive Kompetenz, während das objektivierte Kapital materiellen Wert umschreibt. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen den Kapitalformen.
c . Das institutionalisierte Kulturkapital setzt sich aus akademischen Titeln und Zertifikaten, die kulturelle Kompetenzen nachweisen, zusammen. Dies kann beispielsweise ein Abschluss an einer Universität sein. Das institutionalisierte Kulturkapital visualisiert also das inkorporierte Kulturkapital, was von besonderer Bedeutung im Berufsleben ist. Nur wer den entsprechenden Titel hat, kann auch eine besonders qualifizierte Tätigkeit ausführen (z. B. Chefärzt*in). „Die Bildungsinvestition hat nur Sinn, wenn die Umkehrung der ursprünglichen Umwandlung von ökonomischem in kulturelles Kapital zumindest teilweise objektiv garantiert ist“ (Treibel 2006, 214).

3. Das soziale Kapital

Bourdieu versteht unter dem sozialen Kapital die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer sozialen Gruppe (z.B. eine politische Partei, die Kirche oder eine Student*innenverbindung) (vgl. Bourdieu 1983, 190f.). Durch diese Kontakte wird Wissen (also inkorporiertes Kapital) weitergegeben und ein soziales Netzwerk errichtet. Diese Verknüpfung kann nur durch permanente Beziehungsarbeit aufrechterhalten werden (vgl. Schwingel 2000, 87). Der Umfang dieses sozialen Kapitals ergibt sich zum einen aus der Ausdehnung dieses Netzes, bezogen auf tatsächlich mobilisierbaren Beziehungen und zum anderen aus der Menge des Kapitals, das die entsprechenden Personen besitzen, die zu dieser Verflechtung gehören.

3.2 Der soziale Raum

Pierre Bourdieu stellt die soziale Welt als einen dreidimensionalen Raum dar, indem sich jedes Individuum abhängig von seiner Kapitalausstattung und seiner sozialen Laufbahn verorten lässt (vgl. Bourdieu 1985, 9). Wo eine Person im sozialen Raum steht, ist zum einen abhängig von dem Gesamtumfang des Kapitals und dessen Zusammensetzung (Kapitalvolumen) sowie zum anderen von der Kapitalstruktur, also in welchem Verhältnis das ökonomische Kapital zu dem kulturellen Kapital steht.

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Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Der symbolische Interaktionismus nach Mead und die Habitustheorie nach Bourdieu
Sous-titre
Wie vollzieht sich Sozialisation nach Mead bzw. Bourdieu und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das pädagogische Handeln im schulischen Kontext?
Université
University of Cologne  (Humf)
Note
1,7
Année
2020
Pages
18
N° de catalogue
V704363
ISBN (ebook)
9783346185464
ISBN (Livre)
9783346185471
Langue
allemand
Mots clés
Bourdieu Sozialisation Mead Vergleich Habitus Habitustheroie symbolischer Interaktionismus
Citation du texte
Anonyme, 2020, Der symbolische Interaktionismus nach Mead und die Habitustheorie nach Bourdieu, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/704363

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