Dr. Krowski und Sigmund Freud - Seelenzergliederer


Seminar Paper, 2006

13 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Gliederung

I. Einleitung

II. Dr. Edhin Krokowski – der Seelenzergliederer

III. Sigmund Freud und die irrenden Triebe

IV. Psychoanalytische Indikatoren im Zauberberg

V. Resümee

I. Einleitung

Wenn Psychologie und Literatur aufeinander treffen ergeben sich nur allzu oft ganz neue Sichtweisen – nicht nur für den Rezipienten, sondern auch für den Autor selbst. Thomas Mann war einer der Schriftsteller, der in seinen Werken psychologische Ansätze einfließen ließ und so neue Interpretationsansätze schaffte. In seinem Roman „Zauberberg“ (1924) greift er wahrscheinlich auf die „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ (1905) des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud zurück und schmückt so die Vorträge des Seelenzergliederers Dr. Krokowski.[1] Der „Zauberberg“ handelt von dem jungen Mann Hans Castorp, der kurz vor seinem Studienbeginn für Schiffbautechnik für drei Wochen in einem Davoser Sanatorium seinen Vetter Joachim Ziemßen besuchen will. Doch fasziniert von Krankheit und Tod, mit denen er dort konfrontiert wird und auf Grund seines zunehmenden Desinteresses an der Welt „dort unten“ bleibt er insgesamt sieben Jahre im Sanatorium Berghof. Neben zahlreichen anderen Charakteren wie dem Klinikleiter Dr. Behrens, dem Literaten Settembrini oder der Russin Madame Chauchat lernt er auch den Seelenzergliederer Dr. Edhin Krokowski kennen, der als Psychoanalytiker einen Vortragszyklus über die Formen der Liebe hält.

Die Idee zu diesem Roman trägt sehr wahrscheinlich autobiographische Züge.

Thomas Manns Frau, Katja Mann, hatte im Jahr 1912 einen Aufenthalt im Davoser Waldsanatorium, da sie, nach damaligen Berichten, an Tuberkulose erkrankt war. Später fand man allerdings heraus, dass auf den Röntgenbildern keinerlei Spuren zu finden waren und dass die Ursache der Krankheit psychosomatisch sein musste. Nach dem Thomas Mann seine Frau drei Wochen lang besuchte, inspirierten ihn die Eindrücke, die er im Sanatorium gewann und er verarbeitete diese in seinem Roman Zauberberg.

Wie bereits erwähnt, drängt sich der Verdacht auf, dass hinter Dr. Krokowskis Vortrag über die Macht der Liebe „Die drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ von Freud stecken.

Die Frage, die sich nun stellt ist, wie viel wusste Thomas Mann über Freuds Sexualtheorie und inwiefern lassen sich Dr. Krokowskis und Sigmund Freuds psychoanalytische Erkenntnisse miteinander vergleichen? Dies werde ich im Folgenden erörtern.

II. Dr. Krokowski – der Seelenzergliederer

Dr. Edhin Krokowski hat im Zauberberg die Rolle des Psychoanalytikers, bzw. des Seelenzergliederers, was sozusagen der deutsche Begriff dafür ist. Er hält als solcher im Sanatorium Berghof jeden Montag einen Vortrag aus seinem Zyklus, der von Macht der Liebe handelt, denn dies ist sein Spezialgebiet. Er spricht darüber sehr kühl, unerschrocken, wissenschaftlich und benutzt das Wort „Liebe“ so selbstverständlich und häufig, dass es Hans Castorp, der bei diesem Vortrag auch dabei ist, schon unangenehm auffällt, denn er ist der Meinung, dass diesem Wort bei Weitem nicht so viel Aufmerksamkeit gebührt. Castorp kann nicht begreifen, wie man von solchen Dingen wie der Liebe so unverfroren und frei sprechen kann und fühlt sich davon richtig angeekelt.

Indem er an der Hand von Büchern und losen Blättern, die vor ihm auf dem Tische lagen, seine Aufstellung durch allerlei Beispiele und Anekdoten stützte und mehrmals sogar Verse rezitierte, handelte Dr. Krokowski von erschreckenden Formen der Liebe, wunderlichen,

leidvollen und unheimlichen Abwandlungen ihrer Erscheinung und Allgewalt.[2]

Krokowski nennt die Liebe einen Naturtrieb, der aber gewaltiger und mächtiger sei als alle anderen, der mehr Verwirrung schaffe und der die größten Irrungen mit sich bringe. Er spricht nicht von der Liebe als romantisches Gefühl, als Notwendigkeit unter den Menschen und als schönste Sache der Welt sondern er bringt sie in Verbindung mit Schrecken, mit Leid und mit Unheimlichkeit.

Denn dieser mächtige Impuls sei nichts Einfaches, er sei seiner Natur nach vielfach zusammengesetzt […] aus lauter Verkehrtheiten.[3]

Dr. Krokowski meint also, die Liebe sei ein mächtiger Impuls, sie sei aber nicht als Ganzes zu sehen. Vielmehr setzt sie sich zusammen aus vielen kleinen Einzelteilen und bildet so das Ganze. Wenn man nun von der Verkehrtheit der Liebe spricht ist es nicht so, dass sie als Ganzes verkehrt ist, sondern ihre vielen Einzelteile sind verkehrt. Weiter erklärt er, dass diese Verkehrtheiten aber unter dem Einfluss von z.B. seelischen Widerständen oder anständigen Instinkten, die ausgleichend und einschränkend wirken, trotzdem wieder zu einem nützlichen Ganzen verschmelzen würden.[4] Wenn diese Einschränkung aber nicht funktioniert, so findet ein Kampf zwischen zwei Kräftegruppen statt – nämlich zwischen dem Liebesdrang und den gegnerischen Impulsen, wobei er Scham und Ekel als Impulse besonders hervorhebt. Unter diesen Umständen verhindert der Kampf zwischen diesen beiden Kräften die Sicherung der irrenden Triebe und somit das vorschriftsmäßige Liebesleben. Nun fragt er sich, ob dieser Kampf mit dem Sieg der Keuschheit endet, widerlegt jedoch im selben Atemzug diese These.

Allein dieser Sieg der Keuschheit sei nur ein Schein- und Pyrrhussieg, denn der Liebesbefehl lasse sich nicht knebeln, nicht vergewaltigen, die unterdrückte Liebe sei nicht tot, sie lebe, sie trachte im Dunklen

und Tiefgeheimen auch ferner sich zu erfüllen, sie durchbreche den Keuschheitsbann und erscheine wieder, wenn auch in verwandelter, unkenntlicher Gestalt…[5]

Was passiert nun mit der Liebe wenn sie unterdrückt wird, wenn sie nicht zugelassen wird? Sie endet also nicht in der Keuschheit, denn sie ist zu stark um unterdrückt zu werden. Sie taucht wieder auf, allerdings nicht in der ursprünglichen Form der Liebe sondern in veränderter Form. Sie erscheint so wieder, dass man sie nicht mehr erkennen kann…nämlich in der Gestalt der Krankheit.

[…]die Krankheit erscheint – dem Psychoanalytiker Dr. Krokowski als >>verkappte Liebesbetätigung<<, >>verwandelte Liebe<<.[6]

Unterdrückte und verdrängte Liebe verschwindet nicht einfach, sie lässt sich nicht beiseite schieben. Sie ist nicht einfach tot sondern sie lebt solange im Verborgenen, im Dunklen weiter, bis sie ausbricht. Und wenn sie ausbricht, dann tut sie es nicht in ihrer ursprünglichen Form, nein, sie kommt wieder und erscheint in Form der Krankheit.

III. Sigmund Freud und die irrenden Triebe

Sigmund Freud war nicht nur der Wegbereiter der Psychoanalyse, sondern er beschäftigte sich auch mit der Sexualität der Menschen. In seinem Buch „Die drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ geht er im ersten großen Kapitel auf den Geschlechtstrieb der Menschen ein und auf dessen „Sexuelle Abirrungen“, die dieser Trieb mit sich bringt.

„Er [Er, d.h. der Geschlechtstrieb, Anm. S.P.] soll der Kindheit fehlen, sich um die Zeit und im Zusammenhang mit dem Reifungsvorgang der Pubertät einstellen, sich in den Erscheinungen unwiderstehlicher Anziehung äußern, die das eine Geschlecht auf das andere ausübt, und sein Ziel soll die geschlechtliche Vereinigung sein oder wenigstens solche Handlungen, welche auf dem Wege zu diesen liegen. Wir haben aber allen Grund, in diesen Angaben ein sehr ungetreues Abbild der Wirklichkeit zu erblicken; fasst man sie schärfer ins Auge, so erweisen sie sich überreich an Irrtümern, Ungenauigkeiten und Voreiligkeiten.“[7]

Der Mensch soll also während der Pubertät einen Geschlechtstrieb entwickeln, der dazu führen soll, dass Mann und Frau sexuelle Handlungen vollziehen. Freud ist aber der Meinung, dass dies nicht immer der Realität entspricht und kommt so auf die Theorie der „Sexuellen Abirrungen“ zu sprechen. Solche Abirrungen können z.B. das Sexualobjekt betreffen. Dies äußert sich dann dahingehend äußern, dass die betreffende Person invertiert (d.h. homosexuell) ist oder einen Hang zu Pädophilie oder Sodomie besitzt.[8] An die Stelle des ‚normalen’ Sexualobjektes tritt also in den drei genannten Fällen entweder ein gleichgeschlechtlicher Partner, ein Kind oder ein Tier, was Freud dann als abnormes Sexualverhalten bezeichnet.

[...]


[1] Vgl. Dierks, Manfred: Thomas Mann und die Tiefenpsychologie, in: Helmut Koopmann (Hrg.): Thomas-Mann-Handbuch. Stuttgart (Alfred Kröner Verlag) 1995, S.286.

[2] Mann, Thomas: Der Zauberberg. Gesammelte Werke in Einzelbänden. Berlin (Fischer Verlag) 1930, S.214 [Kurztitel: Mann: Zb].

[3] Ebd. S.214

[4] Mann: Zb, S.214.

[5] Ebd. S.215

[6] Mehring, Reinhard: Thomas Mann. Künstler und Philosoph. München (Wilhelm Fink Verlag) 2001, S. 86.

[7] Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Die sexuellen Abirrungen, in: Freud, Anna (Hg.) Gesammelte Werke, Frankfurt am Main (Fischer Verlag) 1961, S. 33f [Kurztitel: Freud: SA].

[8] Vgl. Freud: SA, S. 34-48.

Excerpt out of 13 pages

Details

Title
Dr. Krowski und Sigmund Freud - Seelenzergliederer
College
University of Bamberg
Grade
2,3
Author
Year
2006
Pages
13
Catalog Number
V70637
ISBN (eBook)
9783638618243
File size
400 KB
Language
German
Keywords
Sigmund, Freud, Seelenzergliederer, Thomas Mann, Zauberberg, Krokowski
Quote paper
Stefanie Pokorny (Author), 2006, Dr. Krowski und Sigmund Freud - Seelenzergliederer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70637

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