Gesundheitsschutz in der WTO - eine neue Bedeutung des Codex Alimentarius im Lebensmittelrecht?


Essai Scientifique, 2000

36 Pages


Extrait


Inahlt

A. Einleitung

B. Die Codex Alimentarius Kommission
I. Aufbau und Arbeitsweise der CAK
1. Konferenzen, Exekutivkomitee und Sekretariat
2. Die Untergremien der CAK
a) Regionale und weltweite Codex Komitees
b) Horizontale und vertikale Komitees
c) Regionale Koordinierungskomitees
d) Ad hoc Intergouvernmental Task Forces
e) Beratende Gremien
II. Ziele und Aufgaben der CAK
III. Rechtliche Handlungsformen
1. Die Codex Standards
2. Die Codes of Practice und Guidelines
IV. Das Zustandekommen der Codex Standards
1. Das Verfahren
2. Die Annahme der Standards
V. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Zustandekommens der Standards
VI. Beeinflussung des EG-Rechts durch die Codex Standards
1. Annahme der Standards durch die Europäische Gemeinschaft
2. Beachtung der Codex Standards durch den EuGH
3. Unsicherheit über die künftige Wirkungsweise der Codex Standards
VII. Würdigung der Arbeit der CAK

C. Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen
I. Einführung
II. Anwendungsbereich
1. Zusätze
2. Verunreinigungen, Toxine und krankheitsverursachende Organismen
3. Von Tieren übertragene Krankheiten
4. Anwendung auf Vorschriften über gentechnische Veränderungen
5. Anwendung auf Vorschriften über die Bestrahlung von Lebensmitteln
6. Ergebnis
III. Verhältnis zu weiteren Abkommen im Rahmen der WTO
1. Übereinkommen über Technische Handelshemmnisse
2. Verhältnis des SPS-Abkommens zum GATT
IV. Verstoß nationaler Maßnahmen gegen das SPS-Abkommen
1. Verstoß gegen Art. 3.1 und 3.3 SPS-Abkommen
a) Beweislastverteilung
b) Anwendbarkeit internationaler Standards
c) Bindungswirkung der internationalen Standards
d) Wissenschaftliche Begründungspflicht
2. Verstoß gegen Art. 5.1 SPS-Abkommen
3. Verstoß gegen Art. 5.5 SPS-Abkommen
a) Willkürlicher und nicht gerechtfertigter Unterschied im Schutzstandard
b) Keine Diskriminierung und kein verschleiertes Handelshemmnis
4. Nichtdiskriminierungsverbot des Art. 2.3
5. Bewertung der Berufungsentscheidung
V. Beteiligung der EG in Streitschlichtungsverfahren
VI. Auswirkungen des SPS-Abkommens

D. Ergebnis

A. Einleitung

Gesundheitsschutzmotive eignen sich besonders zur Förderung protektionistischer Ziele und rücken deshalb zunehmend ins Blickfeld internationaler Liberalisierungsbemühungen. Vor allem im Bereich des Lebensmittelhandels bestehen zahlreiche nationale Handelsbeschränkungen, die mit Zielen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden. In der Schlussakte von Marrakesch wurden verschiedene Abkommen vereinbart, die das Spannungsverhältnis zwischen Freihandel und Gesundheitsschutz aufgreifen und damit erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsschutzpolitik der Vertragsparteien haben. Hierbei handelt es sich insbesondere um das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Abkommen)[1] sowie das Übereinkommen über Technische Handelshemmnisse (TBT-Abkommen). Daneben besteht von Beginn des GATT an in Art. XX (b) eine Rechtfertigungsvorschrift für nationale Gesundheitsschutzmaßnahmen. Vergleichbare Bestimmungen wurden in die neuen Abkommen des WTO-Vertragswerks übernommen, so in Art. XIV (b) GATS sowie Art. 27:2 TRIPS-Abkommen.

Das weite Feld des Gesundheitsschutzes soll im Folgenden auf den Aspekt der Lebensmittelsicherheit beschränkt werden. Hiermit ist das SPS-Abkommen angesprochen, das Bezug auf die Arbeiten internationaler Normierungsorganisationen wie der Codex Alimentarius Kommission nimmt. Aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades der Unterorganisation von FAO und WHO soll diese zunächst näher vorgestellt werden.

B. Die Codex Alimentarius Kommission

Die Aufgabe der Codex Alimentarius Kommission (CAK) besteht in der Ausarbeitung weltweit gültiger Lebensmittelstandards. Der Sitz der Kommission befindet sich in Rom. Die Tagungen der einzelnen Komitees finden jedoch an verschiedenen Orten der Welt statt. Am 1. Juli 1999 waren 165 Staaten Mitglieder der CAK, die 97 % der Weltkonsumenten repräsentieren. Angesichts dieser Zahlen wird die wachsende Bedeutung der Tätigkeit der CAK und ihrer ausgearbeiteten Standards deutlich.

I. Aufbau und Arbeitsweise der CAK

Durch einfache Erklärung gegenüber dem Generaldirektor können der CAK sämtliche Mitgliedstaaten und assoziierte Mitglieder der FAO und WHO beitreten (Art. 2 der Satzung, Regel I Nr. 1 der Verfahrensordnung[2] ). Ziel dieser schlichten Prozedur ist die Gewährleistung einer möglichst großen Zahl teilnehmender Staaten.

Als gemeinsames Unterorgan der FAO und WHO verfügt die CAK über eigene Organe, ein eigenes Sekretariat und Budget sowie über eine eigene Satzung und Verfahrensregeln. Ihre Tätigkeit zeichnet sich durch eine weitgehende Selbständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den beiden UN-Sonderorganisationen aus.

1. Konferenzen, Exekutivkomitee und Sekretariat

Alle zwei Jahre finden öffentliche Konferenzen der CAK statt, die abwechselnd bei der FAO in Rom und der WHO in Genf tagen. Jeder Mitgliedstaat hat eine Stimme und kann einen Vertreter sowie weitere Stellvertreter und Berater entsenden. Auf der Tagung werden neben dem künftigen Arbeitsprogramm, insbesondere Standardisierungsvorhaben beschlossen und ausgearbeitete Standards verabschiedet. Die Konferenz kann zudem den Versammlungen der FAO und WHO Empfehlungen und Berichte vorlegen. Bis auf Satzungs- oder Verfahrensordnungsänderungen ist für die Beschlüsse eine einfache Mehrheit ausreichend (Regel VI Nr. 2). Die Annahme der Codex Standards erfolgt dabei in der Regel im Konsensverfahren. Die Beschlussfähigkeit ist bereits erreicht, wenn 20 % aller Mitgliedstaaten ihre Stimme abgegeben haben (Regel IV Nr. 6 S. 2).

Das Exekutivkomitee der CAK besteht aus elf Mitgliedern. Hierzu zählen unter anderem der Vorsitzende der Kommission und seine drei Stellvertreter, die von der Konferenz der CAK bis zur nächsten ordentlichen Tagung gewählt werden. Ihre Wiederwahl ist auf dieser Sitzung zulässig. Die übrigen sieben Mitglieder werden ebenfalls von der Konferenz gewählt, wobei bestimmte Regionen mit einem Vertreter beteiligt sein müssen.[3] Sie werden für zwei Sitzungsperioden gewählt. Das Exekutivkomitee nimmt im Zeitraum zwischen den Konferenzen die Aufgaben im Namen der CAK wahr (Regel III Nr. 2 S. 1). Es arbeitet Leitlinien für die künftige Arbeit der CAK aus und schlägt sie der Konferenz vor.[4] Außerdem wirkt das Komitee bei der Umsetzung der Programme mit. Es kann außerdem spezielle Befugnisse der CAK ausüben. Diese Maßnahmen bedürfen allerdings der nachträglichen Zustimmung der Konferenz bei ihrer nächsten Tagung. Zu diesen besonderen Kompetenzen gehört u.a. die Einrichtung spezieller Gremien und die Festlegung ihrer personellen Besetzung.

Die CAK besitzt zudem ein eigenes Sekretariat in Rom. Das Personal wird von der Verwaltung der FAO gestellt; die Bediensteten stehen jedoch ausschließlich der CAK zur Verfügung. Ihre Hauptaufgabe besteht neben der normalen Sekretariatsarbeit in der Publikation der verschiedenen Lebensmittelstandards im Codex Alimentarius.

2. Die Untergremien der CAK

Zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedient sich die CAK verschiedener Komitees. Zum einen können weltweit tätige oder nur regional arbeitende Codex Komitees unterschieden werden, zum anderen bestehen horizontal bzw. vertikal arbeitende Gremien. Hinzu treten regionale Koordinierungskomitees, beratend tätige Gremien und seit 1999 Ad-hoc-Ausschüsse zu speziellen Lebensmittel- und Tierfutterfragen.

Den Vorsitz im jeweiligen Komitee führt das Mitgliedsland, das bereit ist, dem Gremium Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und die laufenden Kosten zu tragen. Dieses Vorgehen entlastet zwar den Haushalt der CAK, sichert allerdings den Industrienationen entscheidenden Einfluss[5] und schließt die Entwicklungsländer von dieser Position weitgehend aus.[6] Da die teilnehmenden Staaten auch die eigenen Reisekosten tragen müssen, sind die Delegierten der Industrienationen bei den einzelnen Tagungen weit überrepräsentiert.[7]

a) Regionale und weltweite Codex Komitees

Neben Codex Komitees, die weltweit gültige Lebensmittelstandards ausarbeiten, können auch ausschließlich regional tätige Ausschüsse eingerichtet werden. Insbesondere in den Entwicklungsländern wird es auf diese Weise möglich, Standards mit erheblich geringeren Anforderungen einzuführen.[8] Außerdem existieren regional verbreitete Lebensmittel, für die eine globale Standardisierung nicht erforderlich ist.[9] Da solche Komitees allerdings dem Sinn und Zweck einer Standardisierung zuwiderlaufen, gibt es in der Praxis nur wenige Anwendungsfälle. So wurde das letzte solcher Komitees, das mit der Entwicklung europäischer Standards für natürliche Mineralwässer befasst war, in ein international tätiges Gremium umgewandelt.

b) Horizontale und vertikale Komitees

Eine weitere Unterscheidung kann nach dem jeweiligen Arbeitsgebiet getroffen werden. Neben horizontalen Ausschüssen, die sich mit allgemeinen Standards beschäftigen, existieren vertikale Komitees, die Standards für bestimmte Produktgruppen festlegen.

Die horizontal arbeitenden Komitees, die sog. Allgemeinen Codex Komitees, entwickeln einheitliche Standards, die auf eine Vielzahl von Lebensmitteln Anwendung finden.[10] Von großer Bedeutung sind insbesondere die Komitees für Lebensmittelzusatzstoffe und für Pestizidrückstände, die beide ihren Sitz in den Niederlanden haben. Das Codex Committee for Food Additives and Contaminants hat die Beurteilung der gesundheitlichen Auswirkungen von Fremdstoffen in Nahrungsmitteln unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse vorzunehmen. Die Prüfung der Anforderungen erfolgt regelmäßig auf Vorschlag von vertikalen Codex Warenausschüssen, welche die technische Notwendigkeit des Einsatzes der Zusatzstoffe in bestimmten Lebensmittelprodukten in Frage stellen.[11]

Diese vertikalen Gremien der CAK legen für bestimmte Nahrungsmittelsektoren konkrete Warenstandards fest. Beispiele für Produkt Codex Komitees sind die Gremien für natürliches Mineralwasser in der Schweiz, für Fette und Öle in Großbritannien, für Milch und Milchprodukte in Neuseeland sowie der Ausschuss für Fisch und Fischerzeugnisse in Norwegen.

c) Regionale Koordinierungskomitees

Die regionalen Koordinierungskomitees dienen den Staaten einer bestimmten Region zur Abstimmung ihres Vorgehens in der CAK. Die Festlegung gemeinsamer Standpunkte wird auf regionalen Tagungen vorgenommen. Dabei geht es nicht um die Ausarbeitung regionaler Standards, sondern um eine Koordinierung regionaler Standardsetzung im Hinblick auf die spezifischen geographischen und ökonomischen Bedingungen sowie unter Berücksichtigung der verschiedenen nationalen Verkehrsauffassungen.[12]

Zunächst existierte nur das europäische Komitee als Nachfolger des Europäischen Rates des Codex Alimentarius. Inzwischen haben sich regionale Komitees jedoch weltweit herausgebildet.[13] Als Folge der Zusammenarbeit in den unterentwickelten Regionen konnten die Entwicklungsländer erreichen, dass neue Codex Komitees eingerichtet wurden, welche nunmehr jene Agrargüter betreffen, die für diese Staaten von großer ökonomischer Bedeutung sind. Hierzu zählen insbesondere Getreide, Hülsenfrüchte und Gemüse sowie pflanzliches Eiweiß.[14]

d) Ad hoc Intergouvernmental Task Forces

Für die Behandlung aktueller Fragestellungen können besondere Projektgruppen gebildet werden. Vor allem der zunehmende Handel mit gentechnisch verändertem Mais und Soja sowie der durch falsche Schlachttierernährung ausgelöste BSE-Skandal zeigen die Notwendigkeit der Bildung solcher Ad-hoc-Ausschüsse. Seit der 23. Sitzung der CAK im Jahre 1999 beschäftigen sich drei Gremien mit der Beurteilung Biotechnischer Lebensmittel in Japan, mit Tierfuttermitteln in Dänemark und mit Frucht- und Gemüsesäften in Brasilien.

e) Beratende Gremien

Die einzelnen Komitees können sich bei ihrer Arbeit von wissenschaftlichen Expertengremien beraten lassen. Diese ermitteln die wissenschaftlichen Daten, welche die Grundlage für Beschlüsse der CAK bilden. Die abgegebenen Stellungnahmen sind allerdings nicht verbindlich, sondern dienen nur als Diskussionsgrundlage. Die hierfür in Betracht kommenden Gremien werden gemeinsam von FAO und WHO gegründet. Beide Organisationen ernennen auf Grundlage sog. Panels die Mitglieder dieser Ausschüsse. Diese Vorgehensweise unterliegt jedoch grundsätzlichen Bedenken. Die Zusammensetzung der wissenschaftlichen Komitees ist ausschließlich in das Belieben von FAO und WHO gestellt. Es findet keine Berücksichtigung der einzelnen Regionen statt, und ihnen werden auch keine Mitspracherechte eingeräumt.[15]

Eines dieser wissenschaftlichen Komitees ist das 1955 in Genf gegründete Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives zur Beurteilung von Lebensmittelzusatzstoffen. Es soll wissenschaftlich den Prozess der Zugabe von Stoffen in Nahrungsmitteln begleiten und Vorschläge für nationale Gesundheitsbehörden und einschlägige Gremien machen. Das Komitee übt seine Beratungsfunktion für die WHO und FAO sowie für das Codex Komitee für Lebensmittelzusatzstoffe und für die Mitgliedstaaten aus. Die Expertengruppe gibt auch Empfehlungen zu Prüfungsmethoden, die Aus- und Bewertung von toxikologischen Untersuchungen sowie für den Gebrauch und die Reinheit von Zusatzstoffen. Diese Vorschläge werden in Form von Monographien den interessierten Kreisen weltweit zu Verfügung gestellt.[16]

Daneben bestehen unter anderem Sachverständigenausschüsse für Lebensmittelbestrahlung (International Consultative Group on Food Irradiation) und für Gentechnik und Lebensmittelsicherheit (Joint FAO/WHO Consultative Group on Biotechnology and Food Safety). Im Bereich zulässiger Rückstände von Pflanzenschutzmitteln wurden von der CAK auf Grundlage der Höchstwertempfehlungen des Joint FAO/WHO Expert Meeting on Pesticide Residues und der Vorschläge des Codex Komitees für Pestizidrückstände bislang mehr als 3.000 Empfehlungen verabschiedet.[17]

II. Ziele und Aufgaben der CAK

Die Ziele des FAO/WHO-Lebensmittelstandardprogramms sind in Art. 1 lit. a der Satzung der CAK[18] niedergelegt. Danach hat die CAK die Sicherheit von Lebensmitteln zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher zu gewährleisten sowie Empfehlungen für eine richtige Ernährung zu geben. Außerdem soll die Kommission faire Praktiken im weltweiten Lebensmittelhandel, auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Verbraucher, sicherstellen.[19]

Darüber hinaus hat die CAK sämtliche Arbeiten staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen im Lebensmittelsektor zu koordinieren, zu leiten oder eine solche Tätigkeit anzuregen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben nahm die CAK im Laufe der Jahre formelle Beziehungen mit zahlreichen Organisationen, wie z.B. der OECD, auf. Die Ergebnisse der Standardisierungen sind neben den Praxisbestimmungen, den Leitlinien und Empfehlungen in der Sammlung „Codex Alimentarius“ weltweit zu veröffentlichen. Gleichzeitig sind die erreichten Standards ständig den jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen sowie dem Stand der Forschung anzupassen (Art. 1 lit. b bis e).

III. Rechtliche Handlungsformen

Im Folgenden werden die zentralen rechtlichen Instrumente der CAK dargestellt, die sie zur Erfüllung ihres Arbeitsauftrages ergreifen kann. Daneben existieren die sonstigen empfohlenen Maßnahmen, bei denen der „Verhaltenskodex für den internationalen Handel mit Lebensmitteln“ aus dem Jahr 1980 Erwähnung verdient. Er garantiert ein Recht der Konsumenten auf gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel, insbesondere im Hinblick auf Exporte in Entwicklungsländer.

1. Die Codex Standards

Hauptinstrument der CAK ist die Schaffung von Codex Standards. Sie dienen der Festsetzung von Anforderungen an Lebensmitteln in Bezug auf ihre Zusammensetzung, Behandlung, Qualität und Kennzeichnung, unabhängig davon, ob sie bereits verarbeitet oder noch halbfertig oder unverarbeitet sind.[20] Soweit die Standards Grenzwerte für Pestizide oder Tierarzneimittel enthalten, wird auch von Höchstrückstandswerten (Codex Maximum Residue Levels - MRLs) gesprochen. Wenn in den folgenden Ausführungen von Codex Standards die Rede ist, werden darunter auch die MRLs verstanden.

Auf der 21. Sitzung der CAK im Jahre 1995 in Rom wurden beispielsweise Standards für Lebensmittelzusatzstoffe, Höchstwerte für Pestizid- und Tierarzneimittelrückstände, Grenzwerte für tiefgefrorenen oder konservierten Fisch, Diätprodukte, Reis, Weizen, Hafer und Nüsse angenommen.[21] Insgesamt hat die CAK seit ihrer Gründung ca. 250 Standards und mehrere tausend Höchstwerte für Pestizide und Stoffe mit pharmakologischer Wirkung angenommen. In dieser Vielzahl der Normen und regulierten Bereiche zeigt sich die umfassende Bedeutung der Standards für den Verbraucherschutz.

Für die Geltung der Codex Standards in den Mitgliedsländern ist es erforderlich, dass diese von ihnen angenommen und in nationales Recht umgesetzt werden.[22] Der einzelne Mitgliedstaat ist dabei nicht verpflichtet, bestimmte Standards anzuerkennen. Durch seine aktive Teilnahme an ihrer Ausarbeitung kann jedoch ein politischer und moralischer Druck zur Annahme entstehen.

2. Die Codes of Practice und Guidelines

Im Gegensatz zu den Codex Standards behalten die Codes of Practice ihren empfehlenden Charakter und können nicht verbindlich werden. Als sog. Related Texts besitzen sie nur eine beratende oder erläuternde Eigenschaft. Inhaltlich regeln sie insbesondere Anforderungen für eine hygienische Herstellung von Nahrungsmitteln und die Kontrolle einer einwandfreien Produktion.

Bei den Guidelines handelt es sich um unverbindliche Richtlinien für die Codex Komitees, die grundsätzliche Fragen der Ausarbeitung von Standards regeln. Zum anderen werden Guidelines erlassen, wenn ein neuer Bereich als regelungswürdig angesehen wird, der Erlass von Codex Standards oder Codes of Practice jedoch noch als zu früh erscheint.[23]

IV. Das Zustandekommen der Codex Standards

1. Das Verfahren

Das Verfahren zur Festlegung der Codex Standards ist mehrstufig ausgebildet.[24] Gekennzeichnet ist es vor allem durch ein ausgedehntes Schriftverfahren. Neben dem Exekutivkomitee oder einem Untergremium kann auch ein Mitgliedstaat die Ausarbeitung eines neuen Standards anregen. Nachdem die Konferenz der CAK den Beschluss zur Entwicklung eines Standards gefasst hat, ernennt sie das ausarbeitende Gremium und legt das Arbeitsprogramm fest.

Der von dem Codex Komitee in geheimer Sitzung ausgearbeitete Vorentwurf wird zunächst an die CAK, die Mitgliedstaaten, die Beobachter der Komiteesitzungen sowie interessierte Internationale Organisationen versandt. Weiterhin ist eine Bestätigung der vorgeschlagenen Standards durch die jeweils einschlägigen allgemeinen Komitees erforderlich (sog. endorsement). Die eingehenden Stellungnahmen werden vom Codex Komitee berücksichtigt. Es legt den Vorentwurf der CAK vor, die ihn als Standardentwurf beschließen kann. Falls es zu keiner Annahme kommt, können die vorherigen Schritte wiederholt werden. Bei der endgültigen Beschlussfassung zur Annahme als Codex Standard können weitere Änderungsvorschläge eingebracht werden.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Kommissionsmitglieder zur Beachtung sog. economic impacts verpflichtet sind. Das Economic Impact Statement von 1979 soll gewährleisten, dass an Entwicklungsländer keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Erreicht wird dieses Ziel dadurch, dass ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, die zu erwartenden Auswirkungen der Standardisierungsvorschläge auf ihre nationale Wirtschaft zu beschreiben, damit diese noch vor der Entscheidung berücksichtigt werden können.[25] Hier zeigt sich besonders deutlich, dass der Codex Alimentarius auch einer weiteren Liberalisierung des Welthandels dienen soll, was auf der anderen Seite aber zwangsläufig zu einer Einschränkung des Gesundheitsschutzes führt. Die ausgearbeiteten Standards enthalten damit häufig keine allzu hohen Anforderungen, die insbesondere von Entwicklungsstaaten nicht erfüllt werden können. Staaten, die (technisch) ein höheres Schutzniveau gewährleisten können, besitzen zwar die Möglichkeit, ihren heimischen Produzenten höhere Anforderungen aufzuerlegen, die höheren Produktionskosten verzerren allerdings den Wettbewerb und können wegen der WTO-Regeln nicht durch Importbeschränkungen kompensiert werden.[26]

Zulasten eines bestmöglichen Gesundheitsschutzes wirkt sich ferner die gravierende, zahlenmäßige Übermacht von Interessenvertretern der Industrie gegenüber den Beauftragten der Verbraucherorganisationen auf den Komiteesitzungen und den Konferenzen aus. Die Ursache liegt in erster Linie in den fehlenden Regelungen hinsichtlich einer institutionellen Beteiligung von privaten Interessen. Nichtregierungsorganisationen wird unter bestimmten Voraussetzungen lediglich ein Beobachterstatus eingeräumt.[27] Viele nationale Delegationen setzen zudem Verbandsvertreter der Wirtschaft als offizielle Berater ein.[28] Diese Wirtschaftsvertreter stellten in den Jahren 1989 bis 1991 insgesamt annähernd ein Viertel der Tagungsteilnehmer aller Komiteesitzungen.[29] Zwar befasste sich die 20. Tagung der CAK im Jahre 1993 mit diesem Problem, man sah jedoch aufgrund der heterogenen Struktur der Verbrauchergruppen keine Möglichkeit, diese in die Verhandlungen einzubeziehen und verwies sie auf eine Beteiligung in den Mitgliedstaaten.[30] Im Zuge der wachsenden Bedeutung der CAK durch das SPS-Abkommen wird die Frage der hinreichenden Beteiligung öffentlicher Interessenvertreter allerdings wieder diskutiert.

2. Die Annahme der Standards

Die CAK reicht die ausgearbeiteten Standards an die Mitgliedstaaten der FAO und WHO bzw. an jene supranationalen Organisationen weiter, denen die Staaten die Kompetenzen in diesem Bereich übertragen haben. Diese können aus verschiedenen Handlungsalternativen auswählen. Zum einen können sie gegenüber dem Codex-Sekretariat die Standards uneingeschränkt oder mit Abweichungen annehmen,[31] zum anderen haben sie die Möglichkeit, eine förmliche „Verkehrsfähigkeitserklärung“ abzugeben.[32]

Im Falle einer Annahme bleibt es den Mitgliedstaaten allerdings unbenommen, jederzeit eine Annahme abzuändern oder sie vollständig wieder zurück zu nehmen. Bei einer ausreichenden Zahl von Annahmen wird der Standard in den Codex Alimentarius aufgenommen.[33] Wird ein Standard von einem Mitgliedstaat angenommen, hat dieser in seinem Hoheitsgebiet für die Verkehrsfähigkeit der Nahrungsmittel, die jene Kriterien erfüllen, Sorge zu tragen. Er hat die Einhaltung der Standards durch seine Bürger und Unternehmen zu kontrollieren sowie Verstöße zu verfolgen. Weiterhin darf der Staat keine Vorschriften erlassen, die Bereiche regeln, die bereits von den Codex Standards behandelt werden und die Verkehrsfähigkeit beeinträchtigen würden. Auf der anderen Seite hat der Staat Produkten, die nicht die Anforderungen des Standards erfüllen, die Teilnahme am freien Warenverkehr unter der im Standard festgelegten Bezeichnung oder Beschreibung zu verwehren.[34]

[...]


[1] Text des WTO-Vertragswerks in GATT, Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, 1994; deutsche Übersetzung in ABl. EG 1994 Nr. L 336, S. 1 ff. und Benedek, Die Welthandelsorganisation (WTO), 1998.

[2] Statutes of the Codex Alimentarius Commission und Rules of Procedure abgedruckt in Joint FAO/WHO Food Standards Programme, Codex Alimentarius Commission. Procedural Manual, 11. Aufl. 2000, S. 3 ff. und 6 ff.

[3] Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika mit der Karibik, Naher Osten, Nordamerika sowie der südwest-pazifische Raum haben jeweils einen Vertreter; vgl. Art. 6 S. 1 der Satzung der CAK i.V.m. Regel III Nr. 1 der Verfahrensordnung.

[4] FAO/WHO, This is Codex Alimentarius, 1993, S. 7.

[5] Eckert, Zur Harmonisierung des Lebensmittelrechts, 1. Teil: Bilanz der letzten 10 Jahre, ZLR 1984, S. 1 (11).

[6] Ausnahme ist z.B. das Komitee für tropische Früchte in Mexiko.

[7] Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 1994, S. 24.

[8] Eckert, Zur Harmonisierung des Lebensmittelrechts, 2. Teil: Entwicklungslinien und Perspektiven der Harmonisierungspolitik, ZLR 1984, S. 113 (118).

[9] Merkle, (Fn. 7), S. 23.

[10] Z.B. die Komitees für Tierarzneimittelrückstände und für Lebensmittelhygiene in den USA, für Analyse und Probenahmen in Ungarn, für Lebensmittelkennzeichnung in Kanada sowie für Diätische Lebensmittel in Deutschland.

[11] Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S. 33.

[12] Merkle, (Fn. 6), S. 25.

[13] Afrika (Sitz in Uganda), Asien (Thailand), Europa (Spanien), Naher Osten (Ägypten), Lateinamerika und Karibik (Dominikanische Republik) sowie Nordamerika mit dem süd-westpazifischen Raum (Australien).

[14] Das Komitee für Getreide, Hülsenfrüchte und Gemüse hat seinen Sitz in den USA. Gastgeber des Komitees für pflanzliches Eiweiß ist Kanada. Seit mehreren Jahren finden jedoch keine Sitzungen mehr statt.

[15] Eckert, Die neue Welthandelsordnung und ihre Bedeutung für den internationalen Verkehr mit Lebensmitteln, ZLR 1995, S. 363 (387 f.).

[16] Schlacke, (Fn. 11), S. 34.

[17] FAO/WHO, Understanding the Codex Alimentarius, 1999, S. 4.

[18] Abgedruckt in Joint FAO/WHO Codex Alimentarius Commission, (Fn. 2), S. 3 ff.

[19] Eckert, (Fn. 8), S. 114.

[20] Vgl. Merkle, (Fn. 7), S. 27 f.

[21] Codex Doc. ALINORM 95/37, Appendix IV.

[22] Eckert, (Fn. 5), S. 2.

[23] FAO, Introducing Codex Alimentarius, 1998, S. 10.

[24] 8-stufiges Verfahren der Procedures for the Elaboration of Codex Standards and Related Texts in: Joint FAO/WHO Codex Alimentarius Commission, (Fn. 2), S. 19 ff.

[25] Vgl. Merkle, (Fn. 7), S. 16.

[26] Beise/Oppermann/Sander, Grauzonen im Welthandel, 1998, S. 61 ff.

[27] Vgl. Principles Concerning the participation of International Non-Gouvernmental Organizations abgedruckt in: Joint FAO/WHO Food Standards Programme, (Fn. 2), S. 60 ff.

[28] So waren auf der 21. Sitzung der CAK 1995 in Rom für Deutschland 5 Regierungsvertreter und 5 Vertreter der Wirtschaft (Coca-Cola, Südzucker, Diätverband, Milchindustrie und vom industrienahen Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) und für die Schweiz 2 Regierungsvertreter sowie je ein Abgesandter von Nestlé und Hoffmann-La Roche, vgl. Pollmer/Hoicke/Grimm, Vorsicht Geschmack, S. 28 f. Auf den Codex-Komiteesitzungen 1989-1991 gehörten 49 % der US-Delegierten, 61 % der schweizerischen und 45 % der deutschen Vertreter der Privatwirtschaft an, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 24. Juni 1993, S. 2.

[29] epd-Entwicklungspolitik II/1993, S. 5 u. 12 f.

[30] Draft Report of the 20th Session of the Codex Alimentarius Commission, S. 14.

[31] Vgl. hierzu Codex Doc. ALINORM 95/7, S. 2 ff. und 6 ff.

[32] Die Möglichkeit, zum Schutze der heimischen Industrie erst nach einer bestimmten Übergangsfrist die Geltung zuzulassen (sog. „ target acceptance “), wurde für Waren- und horizontale Standards im Juli 1993 auf der 20. Tagung der CAK abgeschafft. Für Höchstwerte galt diese Rechtslage bereits seit der 18. Sitzung. Viele Beispiele zeigten, dass die Mitgliedstaaten die Standards zu einem späteren Zeitpunkt doch nicht in Kraft setzten.

[33] Alexandrowicz, The Law-Making Functions of the Specialized Agencies of the United Nations, 1973, S. 81.

[34] General Principles abgedruckt in: Joint FAO/WHO Food Standards Programme, (Fn. 2), Nr. 4A. I., Nr. 5A. I. u. Nr. 6A. I., S. 31 ff.

Fin de l'extrait de 36 pages

Résumé des informations

Titre
Gesundheitsschutz in der WTO - eine neue Bedeutung des Codex Alimentarius im Lebensmittelrecht?
Université
University of Tubingen  (Rechtswissenschaft)
Auteur
Année
2000
Pages
36
N° de catalogue
V7272
ISBN (ebook)
9783638145831
Taille d'un fichier
661 KB
Langue
allemand
Annotations
Sehr dicht - einzeiliger Zeilenabstand.
Mots clés
WTO, SPS-Abkommen, EG, Gesundheit
Citation du texte
Dr. Gerald G. Sander (Auteur), 2000, Gesundheitsschutz in der WTO - eine neue Bedeutung des Codex Alimentarius im Lebensmittelrecht?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7272

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