Die Große Koalition von 1966 bis 1969 - Koalitionsbildung und informelles Regieren


Seminararbeit, 2007

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Regieren in der Großen Koalition 1966 - 1969 - Koalitionsbildung und informelles Regieren
2.1 Prämissen und Überlegungen zur Betrachtung der Koalitionsbildung und des Informellen Regierens in der Großen Koalition 1966 - 1969
2.1.1 Koalitionsbildung
2.1.2 Informelles Regieren
2.2 Die Entstehung der Großen Koalition 1966
2.2.1 Das Ende der Regierung Erhard
2.2.2 Die Koalitionsverhandlungen
2.2.3 Die Wahl Kiesingers zum Bundeskanzler und die Kabinettsbildung
2.2.4 Beurteilung der Koalitionsbildung
2.3 Informelles Regieren in der Großen Koalition 1966 - 1969
2.3.1 Informelles Regieren zu Beginn der Großen Koalition
2.3.2 Der Kressbronner Kreis
2.3.2.1 Die Entstehung des Kressbronner Kreises - „Die Nebenregierung am Bodensee“
2.3.2.2 Die Entwicklung des Kressbronner Kreises bis 1969
2.3.2.3 Der Kressbronner Kreises – Verlegenheitsschöpfung oder Überkabinett?

3 Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Große Koalition bestehend aus CDU/CSU und SPD, die von 1966 bis 1969 unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger regierte, stellte ein Novum im bundesrepublikanischen Parlamentarismus dar. Seit 1949 befanden sich CDU und CSU in der Regierungsverantwortung, meist mit der FDP als Koalitionspartner, während die SPD sich auf bundespolitischer Ebene in der Opposition befand. Trotz dieser neuen Form des Regierungsbündnisses geriet die Große Koalition lange Zeit in Vergessenheit, sie wurde sozusagen zu einer „Vergessene[n] Regierung“.[1]

Unter einer Koalition versteht man im politikwissenschaftlichen Sinne ein „Parteienbündnis, das abgeschlossen wird, um eine Regierung zu bilden und diese […] parlamentarisch zu unterstützen“.[2] Große Koalitionen werden in der Regel von den beiden großen Parteien eines dualistisch angelegten Mehrparteiensystems gebildet.[3] So verfügte die Große Koalition von 1966 bis 1969 über die für Verfassungsänderungen nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag.[4]

Obwohl es bereits von 1947 bis 1950 in Hessen und ab 1965 in Niedersachsen eine große Koalition gab,[5] weckte das Entstehen der Großen Koalition auf Bundesebene Befürchtungen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit und bei verschiedenen Intellektuellen, wie etwa Karl Jaspers oder Günter Grass, die das demokratische System der Bundesrepublik in Gefahr sahen.[6] Man befürchtete „Machtkartell, Proporzdemokratie, Vernichtung der parlamentarischen Demokratie.“[7] Es schien so, als widerspräche eine Regierung bestehend aus den beiden großen Parteien dem Geist der Bonner Republik.[8]

Es stellt sich anhand dieser einleitenden Überlegungen die Frage nach dem Zustandekommen der Großen Koalition im Dezember 1966 und dem Regieren, genauer gesagt dem informellen Regieren, innerhalb dieser Koalition. Neben dem empirischen Teil, der sich der Regierung Kiesinger widmet, wird ein Blick auf die Theorie der Koalitionsbildung und auf die theoretischen Überlegungen zu informellem Regieren geworfen. Abschließend wird der Versuch einer Bilanzierung der Großen Koalition vorgenommen.

2 Regieren in der Großen Koalition 1966 - 1969 – Koalitionsbildung und informelles Regieren

2.1 Prämissen und Überlegungen zur Betrachtung der Koalitions- bildung und des Informellen Regierens in der Großen Koalition 1966 - 1969

2.1.1 Koalitionsbildung

Theorien zum Zustandekommen von Koalitionen versuchen zu klären, welches Regierungsbündnis nach einer Wahl am wahrscheinlichsten zustande kommen wird. Für die Bildung solcher Modelle sind stark vereinfachte Annahmen notwendig.[9]

Die Forschung zur Koalitionsbildung, die seit den frühen 1960er Jahren einen eigenständigen Zweig der Vergleichenden Regierungslehre bildet,[10] hat verschiedene theoretische Ansätze geliefert. So sehen frühe Koalitionstheorien wie von Riker (1962) oder Gamson (1961) den Prozeß der Koalitionsbildung als ein „office-seeking-Modell“. Basierend auf der Spieltheorie streben die Parteien, die als einheitlich agierende und rational handelnde Akteure auftreten, nach einer Maximierung des Gewinns für ihre Seite. Der Profit wird gemessen an der Zahl der Ministerien, die die jeweilige Partei in der neuen Regierung erhalten wird. Gewinner sind also die künftigen Regierungsparteien, wohingegen die Oppositionsparteien vollständig ihren Einsatz verlieren und kein Ministerium erhalten. Die Schwächen dieser frühen Theorie werden rasch deutlich: Konflikte innerhalb der einzelnen Parteien werden ausgeblendet; alle Parteien werden als koalitionsfähig angesehen und eine klare Anordnung der Präferenzen wird angenommen.[11]

Ausgehend von der Spieltheorie entstehen am wahrscheinlichsten Koalitionen, die über eine möglichst knappe Mehrheit im Parlament verfügen. Manfred G. Schmidt bezeichnet diese Form der Koalition als „minimal-winning-Koalition“ beziehungsweise als „minimum-winning-Koalition.“[12] Hier ist der Vorteil für die Parteien, dass der Gewinn gemessen am Einsatz, das heißt an den Sitzen im Parlament, am größten ausfallen wird.

Problematisch hieran ist, dass politischer Erfolg auf die Maximierung der Ministeranzahl beschränkt wird. Die Bedeutung der einzelnen Ministerien ist unterschiedlich zu bewerten und für einzelne Parteien besitzen bestimmte Ressorts eine höhere Wertigkeit als andere. So ist das Wirtschaftsministerium für die FDP ein zentrales Ressort und das Umweltministerium sehr bedeutend für die Grünen.[13] Vernachlässigt wird außerdem die Auseinandersetzung um die Durchsetzung politische Inhalte innerhalb der Regierung. Ebenso wenig wird berücksichtigt, dass es innerhalb von Koalitionen entscheidend ist Verfahren- und Kooperationsregeln festzulegen.[14] Die Spieltheorie weist außerdem auch Schwächen bei der Erklärung der Entstehung von Großen Koalitionen hin. Hier handelt es sich „surplus-majority coalition“[15], deren Anteil an Parlamentssitzen größer ist als eigentlich zur Regierungsbildung nötig ist.

Der Ansatz des „office-seeking“ zieht die inhaltlichen Präferenzen der möglichen Koalitionspartner also nur unzureichend in die Betrachtung mit ein. Parteien handeln auch als „policy-seeking“-Akteure[16], das heißt in den Koalitionsverhandlungen und auch in einem möglichen Koalitionsvertrag sind die politischen Inhalte von wesentlicher Bedeutung, da das politische Profil einer Partei wichtig für künftige Wahlergebnisse sein wird.[17] Um ideologische Nähe und eventuelle politische Übereinstimmungen als ausschlaggebende Faktoren für die Bildung von Koalitionen zu bestimmen, ordnete De Swaan Parteien gemäß ihrer ideologischen Präferenzen auf einer eindimensionalen Links-Rechts-Skala ein. Je geringer die Differenz der Parteien auf dieser Skala, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Koalition zwischen diesen Partnern zustande kommt.

Dieses eindimensionale Modell wirft Probleme auf. So muss neben den ideologischen Aspekten weiterhin die Größe einer Koalition berücksichtigt werden. Wenn eine Partei auf der genannten Skala in der Mitte angeordnet werden kann, so ist es kaum möglich zu prognostizieren, auf welcher Seite der Skala sich diese Partei einen Koalitionspartner suchen wird. Desweiteren muss berücksichtigt werden, dass eine eindimensionale Skala, auf der die ideologischen Präferenzen der Parteien verortet werden, für den Verlauf von Koalitionsverhandlungen nicht ausreichen ist.[18]

Bei Überlegungen zur Erklärung von Koalitionen müssen grundsätzliche Variablen berücksichtigt werden. Kropp / Schüttemeyer / Sturm unterscheiden zwischen institutionellen und Kontextvariablen. Unter den institutionellen Variablen sind das Wahlsystem, die Frage nach dem Ausmaß des Föderalismus und die Prägung des parlamentarischen Systems zu verstehen. Die Kontextvariablen bestehen aus der Zusammensetzung des Parteiensystems, dem Grad der innerparteilichen Fragmentierung sowie der historischen Komponente.[19]

2.1.2 Informelles Regieren

Einleitend muss darauf verwiesen werden, dass die Wortpaare „formal / informal“ und „formell / informell“ deckungsgleich verwendet können, da sie keinen inhaltlichen Unterschied aufweisen.[20] In dieser Arbeit wird „formell“ und „informell“ verwendet werden.

Die Verwendung und auch die Bewertung von informellen Prozessen in der Politikwissenschaft wurde lange Zeit kaum beachtet.[21] Obwohl der Gebrauch der Begriffe „formell“ und „informell“ üblich ist, handelt es sich hier nicht um analytische Begriffe, die politikwissenschaftlich präzise definiert sind.[22]

Aus juristischer Perspektive ist die Abgrenzung von formellen und informellen Handlungsweisen relativ einfach: „Formelles Regierungshandeln hat eine Basis in Rechtsnormen, ist institutionalisiert und unterliegt öffentlicher Kontrolle.“[23] Folgt man dieser Erklärung, so wären politische Vorgänge, die auf keiner eindeutigen Verfassungsgrundlage basieren, nicht institutionalisiert sind und keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen, als informell anzusehen.

Eine Verfassung läuft nach Schüttemeyer Gefahr in Widerspruch zur Verfassungswirklichkeit zu geraten, wenn die formellen Vorgaben zu strikt und konkret sind. Die Qualität einer Verfassung zeigt sich daran, inwieweit sie auf gesellschaftliche und politische Veränderungen reagieren kann. Aufgrund der Komplexität der politischen Entscheidungsfindung kann eine Verfassung nicht alle Vorgänge normieren. Daher spielen informelle Prozesse eine wichtige Rolle.[24] Folgerichtig erscheint eine klare und strikte Trennung von formellen und informellem Handeln in der Praxis sehr schwierig. Es scheint vielmehr eine Verschränkung von formellen Vorgaben und informellem Handeln zu geben, da „jegliches formale Handeln in informelle Alltagspraktiken eingebettet“[25] ist.

Von Beyme verweist darauf, dass „viele Handlungen öffentlicher Amtsträger […] erst durch Analyse des Kontextes klassifiziert werden“[26] können. In der Verfassungsrealität muss berücksichtigt werden, dass die formalen Vorgaben nicht alle Prozesse und Zustände rechtlich regeln können. Insofern erscheinen informelle Prozesse als notwendig, da sie formal nicht vorgesehene Strukturen, zumindest kurzfristig, stabilisieren und verfestigen können, was zu einer gesteigerten Effektivität führen kann.[27]

Rudzio verweist darauf, dass unter Entscheidungen nicht zwangsläufig der formalrechtliche Beschluss durch ein Verfassungsorgan zu verstehen ist, sondern gerade politisch brisante Fragen in informellen Gremien behandelt und geklärt werden.[28] „Entscheidung meint also den Vorgang, bei dem sich politische Akteure auf eine bestimmte Problemlösung einigen, die daraufhin auch von Kabinett, Bundestag und Bundesrat übernommen wird.“[29] Hieran wird deutlich, dass informelle Entscheidungsprozesse eine entscheidende Rolle in der politischen Praxis spielen. Gleichzeitig weist Kastning darauf hin, dass es Regierungskomponenten gibt, die formal verbindlich sind, deren materielle Bedeutung für Inhalt und Ergebnis des Regierungshandelns allerdings sehr gering sind.[30]

[...]


[1] Schmoeckel, B. / Kaiser, B., Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966 bis 1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn 1991.

[2] Schüttmeyer, S., Koalition / Koalitionsbildung, in: Nohlen, D. (Hrsg.), Kleines Lexikon der Politik, München 2001, S.234.

[3] Vgl. ebd., S.234.

[4] Vgl. Schmidt, M.G., Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, München 2005, S.55.

[5] Vgl. Kropp, S. / Sturm, R. (Hrsg.), Koalitionen und Koaltionsvereinbarungen. Theorie, Analyse und Dokumentation, Opladen 1998, S.85ff.

[6] Vgl. Wolfrum, E., Die geglückte Demokratie, Stuttgart 2006, S.237.

[7] Koerfer, D., Die letzte Karte. Dreimal waren SPD und CDU zusammen erfolgreich – Rückblick auf die deutsche Parlamentsgeschichte, in: http://zeus.zeit.de/text/2005/13/Kiesinger_2fBrandt.

[8] Vgl. Schmöckel / Kaiser, Vergessene Regierung, S.13.

[9] Vgl. Kropp, S. / Sturm, R. (Hrsg.), Koalitionen, S.13.

[10] Vgl. Kropp, S. / Schüttemeyer, S. / Sturm, R. (Hrsg.), Koalitionen in West- und Osteuropa, Opladen 2002, S.7.

[11] Vgl. Kropp, S. / Sturm, R. (Hrsg.), Koalitionen, S.14.

[12] Schmidt, M.G., Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 2004, S.359.

[13] Vgl. Kropp, S., Regieren in Koalitionen. Handlungsmuster und Entscheidungsbildung in deutschen Länderregierungen, Wiesbaden 2001, S.26.

[14] Vgl. Kropp / Sturm, Koalitionen, S.16f.

[15] Schmidt, Wörterbuch, S.360.

[16] Kropp / Sturm, Koalitionen, S.37.

[17] Vgl. Kropp, Regieren, S.27.

[18] Vgl. Kropp / Sturm, Koalitionen, S.38ff.

[19] Vgl. Kropp / Schüttemeyer / Sturm, Koalitionen, S.18ff.

[20] Vgl. Mayntz, R., Informalisierung politischer Entscheidungsprozesse. In: Görlitz / Barth (Hrsg.), Informale Verfassung, Baden-Baden 1998, S.55.

[21] Vgl. ebd., S.58.

[22] Vgl. Kastning, L., Informelles Regieren – Annäherungen an Begrifflichkeit und Bedeutungsgehalt, in: Hartwich, H. / Wewer, G. (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik 2. Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation, Opladen 1991, S.69f.

[23] Von Beyme, K., Informelle Komponenten des Regierens, in: Hartwich, H. / Wewer, G. (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik II. Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation, Opladen 1991, S.31

[24] Vgl. Schüttemeyer, S., Fraktionen im politischen Entscheidungsprozeß, in: Görlitz, A. / Burth, P., Informale Verfassung, Baden-Baden 1998, S.67.

[25] Patzelt, W., Die Bundesregierung, in: Gabriel, O. / Holtmann, E., Handbuch politisches System der Bundesrepublik Deutschland, München 1997, S.198.

[26] Von Beyme, Informelle Komponenten, S.31.

[27] Vgl. Mayntz, Informalisierung, S.56.

[28] Vgl. Rudzio, W., Informelle Entscheidungsmuster in Bonner Koalitionsregierung, in: Hartwich, H. / Wewer, G. (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik II. Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation, Opladen 1991, S.125.

[29] ebd., S.125.

[30] Vgl. Kastning, Informelles Regieren, S.70.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Große Koalition von 1966 bis 1969 - Koalitionsbildung und informelles Regieren
Hochschule
Hochschule Heilbronn, ehem. Fachhochschule Heilbronn
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V75269
ISBN (eBook)
9783638797986
ISBN (Buch)
9783638810654
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Große, Koalition, Koalitionsbildung, Regieren
Arbeit zitieren
Daniel Stelzer (Autor:in), 2007, Die Große Koalition von 1966 bis 1969 - Koalitionsbildung und informelles Regieren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75269

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