Der Titel meiner Magisterarbeit lautet „Weiblichkeitsentwürfe und empfindsame Moral in G. E. Lessings ‚Miß Sara Sampson’ und ‚Emilia Galotti’“. Das von mir intendierte Ziel besteht darin, mittels einer Analyse der Trauerspiele bestimmte literarische Weiblichkeitskonzepte abzuleiten und mit Hilfe historischer und soziologischer Ergebnisse auf die Problemstellung einzugehen, inwiefern diese Weiblichkeitskonzepte mit der historischen Realität kongruent sind oder nicht.
Etwas profan ausgedrückt könnte man formulieren: Stehen die von Lessing dargestellten Frauenbilder im Einklang mit dem allgemeinen Geschlechterverständnis des 18. Jahrhunderts oder antizipiert Lessing eine modernere Auffassung bezüglich der Rolle der Frau? Diese Frage stellt sich meines Erachtens zu Recht, denn als Dramatiker der Aufklärung vertrat Lessing jene vernunftorientierten Maximen, die den ‚Menschen’ in den Vordergrund stellten und nicht dessen Geschlecht. Führt man diesen Gedankengang konsequent weiter, gelangt man zu den neueren feministischen Theorien und den von ihren Vertretern geforderten Egalitätsbestrebungen, deren wichtigste Prämisse analog zu Lessings humaner Einstellung darin bestand, dass „all of us, men as well as women should be regarded as human beings.”
Dass Lessing in seinen Dramen nicht die Theorien der modernen ‚Women’s Studies’ oder ‚Gender Studies’ antizipierte beziehungsweise antizipieren konnte, versteht sich von selbst. Wenn ich im Folgenden den Begriff ‚Emanzipation’ verwende, ist dieser nicht im Sinne gegenwärtig geführter Debatten zu verstehen, sondern muss als eine Anerkennung und Aufwertung der weiblichen Sphäre beziehungsweise einer partiellen Loslösung von dem traditionell vorherrschenden Frauenbild des 18. Jahrhunderts begriffen werden.
Für die Beantwortung der oben angeführten Frage besitzt zum einen der Diskurs über Tugend und Moral und die sich im Zuge der Empfindsamkeit konstituierende Korrelation zwischen Tugendhaftigkeit und weiblicher Unschuld Relevanz. Zum anderen ist die Frage nach der vorherrschenden Familienstruktur des 18. Jahrhunderts und der Funktion, die der Frau innerhalb dieses Systems zufiel, bedeutsam, da sie sich als aussagekräftiger Indikator für das Verhältnis zwischen Vätern und Töchtern beziehungsweise Ehegatten und Ehefrau erweist.
Inhaltsverzeichnis
- Prolog
- Thematik und Zielsetzung
- Methode und Aufbau
- Hauptteil
- „Tugend“ und „Moral“ im 18. Jahrhundert
- Der Tugendbegriff in Frühaufklärung und Empfindsamkeit
- Die Korrelation von „Geschlecht“ und „Moral“
- Die „tugendhaften“ Töchter
- „So ist die Tugend ein Gespenst“ (S.S.: I, 7; S. 15): Saras Tugendrigorismus
- „Ich stehe für nichts\"(E.G.: V 7; S. 85): Emilias Bekenntnis zur Verführbarkeit
- Die „lasterhaften“ Geliebten
- „Ich bin eine nichtwürdige Verstoßene, [...].“(S.S.: IV, 6; S. 66): Marwoods Intrige
- „Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das ihm zum Trotze, auch denken will?“(E.G.: IV, 3; S. 61): Orsinas Stigmatisierung als „Verrückte“
- Die Familie im 18. Jahrhundert
- Die Struktur der Familie in Frühaufklärung und Empfindsamkeit
- Die Relevanz der Frau im patriarchalischen Familiengefüge
- „Vater“ und „Familie“ in Lessings theoretischen Schriften
- Die Väter-Töchter-Beziehungen
- „Er ist noch der zärtliche Vater?“(S.S.: III, 3; S. 42): Sara und William Sampson
- „Solcher Väter gibt es keinen mehr“ (E.G.: V, 8; S. 86): Emilia und Odoardo Galotti
- Die Gruppe der Mütter
- Gott! ich ward eine Muttermörderin […]!“(S.S.: IV, 1; S. 57): Die Absenz der Mutter
- Soll ich umsonst Mutter sein?“ (S.S.: II, 4; S. 28): Marwoods Mutterschaft
- „- Ich unglückselige Mutter!“ (E.G.: III, 8; S. 53): Claudia als Mediatorin zwischen höfischer und familialer Lebenswelt
- Epilog
- Resümee der literarischen Weiblichkeitskonzepte
- Historische Weiblichkeitskonzepte in Frühaufklärung und Empfindsamkeit
- Abschließender Vergleich
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit den in G. E. Lessings Trauerspielen "Miß Sara Sampson" und "Emilia Galotti" dargestellten Weiblichkeitsentwürfen. Die Arbeit analysiert diese Entwürfe und untersucht deren Kongruenz mit der historischen Realität des 18. Jahrhunderts. Dabei werden die in den Dramen vermittelten Vorstellungen von Tugend und Moral sowie die Bedeutung der Familie und der Rolle der Frau im patriarchalischen System in den Fokus gerückt.
- Die Konzepte von Tugend und Moral im 18. Jahrhundert
- Die Korrelation von Geschlecht und Moral in Lessings Werken
- Die Darstellung weiblicher Charaktere und deren Funktion in den Dramen
- Die Familie im 18. Jahrhundert und die Rolle der Frau innerhalb dieses Systems
- Der Vergleich von literarischen Weiblichkeitsentwürfen mit historischen Konzepten
Zusammenfassung der Kapitel
Der Prolog führt in die Thematik der Magisterarbeit ein. Die Arbeit untersucht, wie die Weiblichkeitsentwürfe in Lessings Werken mit der historischen Realität des 18. Jahrhunderts in Bezug stehen.
Der Hauptteil der Arbeit betrachtet zunächst die Konzepte von Tugend und Moral im 18. Jahrhundert und analysiert die Korrelation von Geschlecht und Moral in Lessings Dramen. Anschließend werden die „tugendhaften“ Töchter in "Miß Sara Sampson" und "Emilia Galotti" sowie die „lasterhaften“ Geliebten untersucht.
Der zweite Teil des Hauptteils analysiert die Familie im 18. Jahrhundert und betrachtet die Rolle der Frau in diesem System. Hier werden die Beziehungen zwischen Vätern und Töchtern sowie die Rolle der Mutter in den Dramen untersucht.
Schlüsselwörter
Die Magisterarbeit befasst sich mit den Themen Weiblichkeitsentwürfe, Empfindsame Moral, Tugend, Moral, Geschlecht, Familie, Patriarchat, Aufklärung, Literaturanalyse, historische Kontextualisierung, "Miß Sara Sampson", "Emilia Galotti", G.E. Lessing.
- „Tugend“ und „Moral“ im 18. Jahrhundert
- Quote paper
- Elena Tresnak (Author), 2006, Weiblichkeitsentwürfe und empfindsame Moral in G.E. Lessings "Miß Sara Sampson" und "Emilia Galotti", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75840