Ursachen ethnischer Konflikte


Dossier / Travail, 2003

24 Pages, Note: 5,5 (CH)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1. Einführung ins Thema
2. Die Forschungstheorien

II. Hauptteil
1. Definitionen der wichtigsten Begriffe
1.1 Ethnische Identität
1.2 Ethnische Gruppen
1.3 Ethnischer Konflikt
2. Ursachen ethnischer Konflikte
2.1 Externe Faktoren
2.1.1 Koloniales Erbe
2.1.2 Globalisierung und Liberalisierung
2.1.3 Modernisierung
2.2.1 Interne Faktoren
2.2.2 Schwacher Staat
2.2.3 Kollektive Angst
2.2.4 Diskriminierung
2.2.5 Repression
2.2.6 Demokratisierung
2.2.7 Politisierung von Ethnizität
2.2.8 Kampf um Ressourcen
2.2.9 Emotionen und verfälschte Geschichte
3. Fallbeispiel: Der Bürgerkrieg im Sudan (1955 - 1989)
3.1 Historischer Hintergrund des Konflikts
3.1.1 Vorkoloniale Phase
3.1.2 19. Jahrhundert: kolonialherrschaftliche Phase
3.1.3 Unabhängigkeitsbewegung (1953-1955)
3.1.4 Die Zeit von 1972 bis 1983
3.1.5 Neueste Entwicklungen

III. Fazit

IV. Bibliographie

I. Einleitung

1. Einführung ins Thema

Ethnizität, ethnische Identität, und vor allem daraus abgeleitet, ‚ethnische Konflikte’, sind längst keine ethnologischen Spezifitäten mehr. Zudem sind die Zeitungen täglich voll davon: Ob Völkermord in Ruanda oder Burundi, der Kampf der Timoresen um Unabhängigkeit, die Verfolgung chinesischstämmiger Indonesier nach dem Ende der Suharto-Diktatur, Gewalt und Vertreibung auf dem Balkan, die Hinwendung deutsch-türkischer Jugendlicher zum Islam oder der Krieg zwischen der PKK und der türkischen Armee – viele gesellschaftliche Prozesse und Auseinandersetzungen, die oft genug mit extremer Gewalt und Brutalität verbunden sind, werden als ‚ethnisch’ qualifiziert (Sökefeld 2001)[1].

Viele PolitikerInnen und JournalistInnen haben eine einfache und simple Erklärung für die Ursachen von Bürgerkriegen. Während die zwischenstaatlichen, sog. Stellvertreterkriege Konflikte des Kalten Krieges vor allem auf ideologische Faktoren zurückgeführt wurden, neigen JournalistInnen, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen seit den 90er Jahren oft dazu, Bürgerkriege auf monokausale Ursachen wie kulturelle Faktoren (Wiedererwachen alter ethnischer Spannungen) oder ökonomische Faktoren (private Bereicherung) zurückzuführen. So behauptete z. B US-Präsident George Bush Senior, dass der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien zwischen Bosniern, Serben, Kroaten und Muslimen seine Ursachen in „age-old animosities“ hatte (Brown 2001: 3).

Es ist offensichtlich, dass die ethnische Begründung und Etikettierung dieser Bürgerkriege und der innergemeinschaftlichen Gewalt häufig benutzt wird, um die fundamentaleren ökonomischen und sozio-politischen Faktoren, welche vielfach für den Ausbruch von Bürgerkriegen verantwortlich sind, in den Hintergrund zu drängen. So wenig aber Charakterisierungen wie „Klassenkonflikte“ oder „Stellvertreterkriege“ geeignet waren, die komplexen Ursachen von Gewaltkonflikten auf den Begriff zu bringen, so wenig tragen Bezeichnungen wie „ethnischnationalistisch“, „ethnisch-religiös, „ethno-demographisch“ oder gar „ethno-ökologisch“ zur Aufklärung über die Entstehungsgründe gegenwärtiger Gewaltkonflikte bei. Im Gegenteil, sie verschleiern, was es aufzudecken gilt. Dass sich Konfliktparteien entlang ethnischer oder religiöser Bande formieren, ist nicht der Ausgangspunkt, sondern das Resultat konflikterzeugender sozialer Entwicklungen und Transformationsprozesse. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Ursachen kriegerischer Konflikte besitzen die genannten Be-griffe nur wenig Erklärungskraft (Siegelberg 1994: 33). Solche weitverbreiten Annahmen können, aber nicht erklären, warum es in einigen Fällen zu gewaltsame Konflikten kam und in anderen Fällen nicht (Brown 2001: 3). Monokausale Erklärungen sind somit problematisch, da Bürgerkriege meistens verschiedene Ursachen haben, die auf komplexe Art miteinander in Zusammenhang stehen.

Im Bewusstsein dieser komplexen Zusammenhänge von Ursachen ethnischer Konflikte werden folgende Fragestellungen formuliert:

- Welches sind die verschiedenen Faktoren von Ursachen ethnischer Konflikte?
- Wann wird ethnische Identität ausschlaggebend, um eine Identitätsgruppe zu mobilisieren?
- Welche Rolle spielt Ethnizität in Konflikten?

In einem ersten Schritt werden die die wichtigsten Begriffe (ethnische Identität, ethnische Gruppe und ethnischer Konflikt) definiert. Im Hauptteil werden Faktoren aufgezeigt, welche ethnische Konflikte verursachen beziehungsweise begünstigen können. Dabei wird generell eine Unterteilung in externe und interne Faktoren gemacht. Anhand eines historischen Abrisses des Kriegsgeschehens im Sudan werden die komplexen Faktoren für den Ethnischen Konflikt im Sudan aufgezeigt.

Das Fazit beinhaltet die wichtigsten Resultate. Dabei soll, ausgehend von den ersten beiden Fragen, anhand von zwei Thesen diskutiert werden, welche Rolle die Ethnizität in ethnischen Konflikten spielt.

2. Die Forschungstheorien

Unter den in der Ethnologie diskutierten Theorien des Krieges in tribalen Gesellschaften lassen sich folgende unterscheiden:

Krieg aufgrund angeborener Aggressivität oder psychologischer Mechanismen wie Frustration/Aggression; Krieg aufgrund von Werten, Normen, Motivationen, die gewalttätiges Verhalten hoch bewerten; Krieg aufgrund von Konkurrenz um knappe Ressourcen (Land, Wildbestände, Frauen, Handelsgüter); Krieg zur Aufrechterhaltung der Souveränität lokaler Gruppen; Krieg zwischen „fraternal interest groups“ aufgrund des Fehlens gruppenübergreifender Loyalitätsbeziehungen; Krieg als Resultat der Expansion von Kolonialstaaten in der „tribalen Zone“ (Helbling 1999: 11). All diese ethnologischen Erklärungsversuche für Kriegsursachen sind jedoch unbefriedigend. Demnach ist es nicht erstaunlich, dass Klaus-Jürgen Gantzel zu folgendem Schluss kommt:

„Es gibt Wissenschaftler und Stammtischlehrer, die – in grober oder verfeinerter Form – immerwährende zentrale Kriegsursachen ausgemacht haben wollen. Ich überspitze: in Jahrmillionen stammesgeschichtlicher Abbau der Hemmung intraspezifischen Tötens; dem Menschen angeborene Aggressivität; Revierverteidigung wie in der Tierwelt; Machttrieb; Todestrieb; das Patriarchat; offensive Identitätsfindung des männlichen Kleinkindes durch die Abgrenzung von (friedfertiger) mütterlicher Weiblichkeit; der Kapitalismus; der Staat per se als Kriegsursache; usw. Solchen Unsinn der Ubiquität und anthropologischen Konstanz machen wir nicht mit: wo nichts variiert und wo sich nichts wandelt, kann man auch nichts beweiskräftig erklären. Auch sind solche „Ursachen“ kaum zu beseitigen“ (Gantzel 1997: 257).

Der Ethnologe Jürg Helbling wünscht sich eine stärkere Bedeutung politologischer Theorien der internationalen Beziehungen (Helbling 1999: 11).

Tatsächlich scheint es für Ethnologen angebracht, politologische Theorien bei der Kriegsursachenforschung stärker zu berücksichtigen, denn die Ethnologie beschäftigt sich ja zunehmend mit Bürgerkriegen und ethno-politischen Kriegen.

PolitologInnen, sind sich bezüglich der multifaktoriellen Eigenschaften von innerstaatlichen Kriegen einig. Auch wenn jeder Krieg über Besonderheiten verfügt, lassen sich verallgemeinerbare Ursachen ausmachen (Matthies 1994: 23-25). In Bezug auf die Ursachen ethnischer Konflikte gibt es mehrere Erklärungsmodelle, die aber hier nicht alle im einzelnen dargelegt werden können. Die komplex miteinander verbundenen Ursachen-Faktoren, welche einen Bürgerkrieg auslösen oder begünstigen können, werden verschiedenen Kategorien zugeordnet. Im Zusammenhang mit den Ursachen ethnischer Konflikte scheint es aber angebracht, zwischen internen und externen Faktoren zu unterscheiden. Externe Faktoren, die zu einem ethnischen Konflikt führen können, sind gemäss den Autoren Scherrer (1994), Crawford (1998) und Siegelberg (1994) koloniales Erbe (Scherrer 1994), Globalisierung und Liberalisierung (Crawford 1998), Modernisierung (Siegelberg 1994). Interne Faktoren, die zu einem ethnischen Konflikt führen können, sind gemäss den Autoren, Gurr (2000), Crawford (1998), Posen (1993), Brown (2001), Diskriminierung (Gurr 2000), Demokratisierung (Crawford 1998), Schwacher Staat (Posen 1993, Lake & Rothchild 2001), Politisierung von Ethnizität (Crawford 1998, Gurr 2000), Kampf um Ressourcen (Crawford 1998), Emotionen und verfälschte Geschichte (Lake & Rothchild 2001, Brown 2001).

II. Hauptteil

1. Definitionen der wichtigsten Begriffe

1.1 Ethnische Identität

Die meisten Menschen haben mehrere Identitäten. So kann sich ein Individuum gleichzeitig über einen Clan, eine Nation oder ein Staatenbündnis identifizieren. Darüberhinaus definieren sich Individuen über eine Kombination von mehreren Eigenschaften, wie zum Beispiel gewohnheitsmässiges Verhalten, religiöse Glaubensvorstellungen, Sprache, physische Erscheinung, Residenzregion, traditionelle Beschäftigungen und historisches Bewusstsein von Eroberung und Unterdrückung von sich kulturell unterscheidenden Völkern. Diese Eigenschaften können auch für Identitätsgruppen zutreffen. Während es für ein Individuum jedoch möglich ist, seine Identität anzupassen und sich in neuen Gruppen oder Kulturen zu assimilieren, ist dies für eine Gruppe als Ganzes kaum durchführbar (Gurr 2000: 3-4).

Dass sich die Ethnologie mit den Ursachen von innerstaatlichen Konflikten auseinandersetzt, ist kein neues Phänomen. Ethnizität wird in diesem Zusammenhang in der Wissenschaft breit diskutiert, wobei drei Denkschulen vorherrschend sind.

Die Primordialisten vertreten die Ansicht, dass Mitglieder derselben ethnischen Gruppen eine gemeinsame ursprüngliche Vergangenheit haben, welche ihre persönliche Identität bestimmt und die Gruppe in einer natürlichen Gemeinschaft zusammenhält. Elemente gemeinsamer Kultur wurden über Generationen weitervererbt, was zu einer historischen Kontinuität führte. Gemäss den Primordialisten sind ethnische Gruppen daher dauerhafter als andere kollektive Gruppen oder Institutionen, einschliesslich dem Staat.

Die Instrumentalisten denken nicht in psychologischen Begriffen. Für sie ist Ethnizität eine von vielen Ressourcen, welcher sich Eliten bedienen, um politische Ziele zu erreichen.

Gemäss den Konstruktivisten ist Ethnizität einer andauernden sozialen Konstruktion erlegen, welche an eine Vielzahl sozialer Erfahrungen, kollektiver Erinnerungen und Normen gebunden ist (Crawford 1998: 10-11).

Der theoretische Diskurs über Ethnizität war lange vom Schlagabtausch zwischen Primordialismus und Konstruktivismus geprägt. Verfechter des Primordialismus in der Ethnologie sind heute eher in der Minderheit; es scheint sich ein common sense des Konstruktivismus entwickelt zu haben. Trotzdem können primordialistische Ideen nicht ad acta gelegt werden, da sie eindeutig die Identitätskonstruktionen der Akteure, die von der Ethnologie analysiert werden, dominieren (Gurr 2000: 4).

[...]


[1] http://www.uni-hamburg.de/Wiss/FB/09/EthnoloI/Artikel/edi3-1.html [Letzter Zugriff: 9.10.2003].

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Ursachen ethnischer Konflikte
Université
University of Zurich  (Ethnologisches Seminar)
Cours
Lizentiat
Note
5,5 (CH)
Auteur
Année
2003
Pages
24
N° de catalogue
V76260
ISBN (ebook)
9783638798457
ISBN (Livre)
9783638797597
Taille d'un fichier
542 KB
Langue
allemand
Annotations
Diese Arbeit wurde im Rahmen der Lizentiatprüfungen an der Universität Zürich verfasst (Dreitägige Hausarbeit). Die Arbeit wurde mit der Schweizer Note 5.5 benotet (Gut bis sehr gut)
Mots clés
Ursachen, Konflikte, Lizentiat, Bürgerkrieg, Völkermord, Sudan
Citation du texte
lic. phil. I Richard Müller (Auteur), 2003, Ursachen ethnischer Konflikte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76260

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