Was ist die Motivation Jugendlicher, sich in Kirche und Gemeinde zu engagieren?


Dossier / Travail, 2007

52 Pages, Note: 1,2


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter
2.1 Definition Jugendalter
2.2 Definition Entwicklungsaufgaben
2.3 Entwicklungsaufgaben, Funktionen und Belastungsfaktoren innerhalb der peer group

3. Entwicklungsmodelle im Jugendalter
3.1 Religion / Religiosität
3.1.1 „Religion“ - Versuch einer Begriffsbestimmung
3.1.2 „Religiosität“ – Versuch einer Begriffsbestimmung
3.1.3 Entwicklung der Religiosität
3.2 Entwicklung des Glaubens
3.2.1 „Glaube“ - Versuch einer Begriffsbestimmung
3.2.2 Die Stufen des Glaubens nach James W. Fowler

4. Praktischer Teil – Untersuchung
4.1 Begründung für die Auswahl des Teenkreises und gemachte Beobach- tungen – gelebter Glaube im hessischen Raum / Fronhausen
4.2 Interview mit Jugendlichen: Fragen / Methoden
4.3 Interview / Auswertung
4.3.1 Sozialisation
4.3.2 Bedeutung von Glaube und Spiritualität / Erfahrungen von Gemeinschaft
4.3.3 Religiöse Vorbilder
4.3.4 Motivation
4.3.5 Möglichkeiten, sich in Kirche auszuprobieren
4.3.6 Persönliche Beobachtungen
4.4 Versuch eines Vergleichs zu empirischen Untersuchungen
4.4.1 (15.) Shell-Jugendstudie
4.4.2 Studie: „Realität und Reichweite von Jugendverbandsarbeit am Beispiel
der Evangelischen Jugend
4.4.3 Einordnung der Ergebnisse

5. Persönliches Fazit

6. Literaturverzeichnis
Anhang
1. Abkürzungsverzeichnis
2. Interview
Nachwort

Vorwort

Es gibt schon viele Untersuchungen und Bücher über Religiosität und Glaube und deren Entwicklung. Ich möchte hier nicht noch eines schreiben. Vor dem Hintergrund wissen-schaftlicher Theoriebildung, möchte ich jedoch meine eigenen Erfahrungen und Untersu-

chungen zu dieser Thematik vorstellen, da sie grundlegend für mein eigentliches Thema in dieser Ausarbeitung sind.

Ich danke den vier Jugendlichen (zwei Mädchen, 14 und 17, und zwei Jungen, beide 17), die sich bereit erklärt haben, Fragen in einem Interview zu beantworten. Aus diesem Interview lässt sich natürlich noch keine Statistik erstellen, auch keine zentrale Aussage formulieren. Dazu bedarf es weit mehr. Trotzdem ist es sehr interessant, was diese vier Jugendlichen in wenigen Worten zu sagen haben.

Bellnhausen, den 12.02.2007

1. Einleitung

Heutzutage erleben wir einen weitgehenden Rückgang des kirchlichen Einflusses auf unser Alltagsleben. Dies hängt vor allem mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber kirchlichen und religiösen Belangen zusammen. Eltern stehen den traditionellen Formen christlicher Religiosität häufig ablehnend gegenüber. Dabei spielen zum Einen sicher auch Erinnerungen an die eigene, möglicherweise negativ erlebte religiöse Erziehung mit, zum Anderen hatten vielleicht bereits die eigenen Eltern wenig Bezug zu religiösen Fragen beziehungsweise zur Kirche.

Dabei erinnere ich mich an meine eigene „religiöse Biografie“. Das menschliche und christ-liche Miteinander hat mich bereits als Kind geprägt. Ich komme aus einem christlichen Elternhaus, in dem der regelmäßige Kirchgang, das Gebet und das Feiern der christlichen Feste gelehrt und praktiziert wurden (und werden). Mit knapp drei Jahren besuchte ich bereits den Kindergottesdienst, ging mit dreizehn zum Konfirmandenunterricht und wurde mit vier-zehn konfirmiert. Anschließend arbeitete ich im Kindergottesdienst mit und besuchte einen Jugendkreis bis dieser dann, mangels Mitarbeiter, aufgelöst wurde. Heute würde ich sagen: Nach der Pflicht kam die Kür. Zur damaligen Zeit konnte man das häufig beobachten, man wurde nicht nur von den Eltern, sondern auch von den Pfarrern regelrecht gedrängt. Ich möchte damit nicht sagen, dass mir der christliche Glaube „aufgezwungen“ wurde, ganz im Gegenteil. Es war eher die Art und Weise wie ich ihn lebte und wie ich von Kirche, im Speziellen von unserem damaligen Pfarrer (nach der Konfirmation), vereinnahmt und benutzt wurde. Fazit war, dass ich aus dieser Rolle „raus“ wollte und der Kirche für einige Jahre den Rücken kehrte.

Jetzt, 30 Jahre später, erlebe ich, dass Mitarbeit in der Kirche auch ganz anders sein kann. Ich möchte das an dem Beispiel von Jugendlichen eines Teenkreises in meiner Kirchengemeinde in Marburg-Land veranschaulichen. Auch sie kommen teilweise aus einem christlich gepräg-ten Elternhaus, gingen in den Kindergottesdienst und wurden konfirmiert. Nach der Konfir-mation gründeten sie einen Teenkreis, den sie anfangs mit Hilfe einer Jugendreferentin auf-bauten, inzwischen selbstständig durchführen. Außerdem machten einige von ihnen die JULEICA[1] -Ausbildung, arbeiten in der Jungschar mit und haben den seit vielen Jahren nicht mehr stattfindenden Kindergottesdienst zu neuem Leben erweckt. Zwischenzeitlich haben sie eine Band gegründet, die - nach ihren Aussagen – „nur für die Kirchengemeinde da ist“, organisieren und gestalten selbstständig Jugendgottesdienste und diverses mehr.

Was motiviert diese Jugendlichen, sich derart in und für Kirche und Gemeinde zu engagieren? Hat es etwas mit ihrer religiösen Erziehung, mit der Welt, in der sie leben zu tun (Elternhaus, Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht,...), was brauchen (diese) Jugendliche, wonach sehnen sie sich? Das sind Fragen, die mich sehr interessieren und motiviert haben, eine Hausarbeit zu diesem Thema zu verfassen.

In meiner Ausarbeitung beginne ich mit einem theoretischen Teil und beschäftige mich dort mit den Entwicklungsaufgaben und –modellen (hier im Speziellen mit der Entwicklung der Religiosität und des Glaubens) im Jugendalter. In diesem Kapitel werde ich verschiedene Ansätze beziehungsweise Sichtweisen vor dem Hintergrund der Theoriebildung im Anlage-Umwelt-Kontext vorstellen. Anschließend greife ich in einem praktischen Teil dieses Thema wieder auf und stelle dabei die Sichtweisen von vier Jugendlichen aus meiner Kirchenge-meinde vor, die aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen. Danach vergleiche ich die Ergebnisse der aktuellen Shell-Jugendstudie sowie der Studie „Realität und Reichweite von Jugendver-bandsarbeit am Beispiel der Evangelischen Jugend“ mit meinen eigenen und ziehe ein persönliches Fazit.

2. Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

2.1 Definition Jugendalter

Das Jugendalter wird von Entwicklungspsychologen und anderen Sozialwissenschaftlern oft als Übergangsphase zwischen Kindsein und Erwachsenwerden, die durch einschneidende Veränderungen biologischer und psychosozialer Art gekennzeichnet ist oder auch als Ent-wicklungsabschnitt der Konflikte und Krisen bezeichnet. Jugend ist eine Phase im Lebenslauf, in der sich die meisten Vorgänge in einer Person in Veränderung befinden, und zwar in einem Übergang von typisch kindlichem zu dem, was als typisch erwachsen angesehen wird. Der Jugendliche befindet sich an der Schwelle zur autonomen Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Veränderungen auf biologischer Ebene gehen mit interpersonellen Beziehungs- und sozialen Statusveränderungen einher. Aus dem fortschreitenden Übertritt in das Erwachsenen-alter ergeben sich neuartige Handlungsanforderungen und Handlungsmöglichkeiten, damit aber auch neue Gefahren scheiternder Entwicklung. Im Allgemeinen wird das Jugendalter unterteilt in:

- Vorpubertät (bis zur Geschlechtsreife)
- Pubertät (Prozesse der Selbstfindung) und
- Adoleszenz (Übergang ins Erwachsenenalter)

Bei Menschen mit geistiger Behinderung ist der psychosoziale Wachstumsprozess häufig zeitlich verzögert.

Das Jugendalter stellt keine biologisch festliegende Größe dar, sondern muss als soziale und personale Verarbeitung, der mit der Pubertät eintretenden körperlichen Veränderungen ver-standen werden. Die Form dieser Verarbeitung ist abhängig von den Bedingungen, unter denen sie jeweils geschieht. Heute ist das Jugendalter durch seine lange, eher unbestimmte Dauer – verlängerte Schul- und Ausbildungszeit – gekennzeichnet. Das Ende des Jugendalters ist nicht nur eine Frage individueller Entscheidung, sondern steht in engem Verhältnis zum Status des Schüler- beziehungsweise Studentenseins. (Quelle: Friedrich Schweitzer: Die Suche nach eigenem Glauben)

2.2 Definition Entwicklungsaufgaben

Ich möchte hier Robert J. Havighurst[2] benennen, der sozusagen der „Urheber“ für die Theorie von den Entwicklungsaufgaben ist und die Grundlage für praktisch alle späteren Entwürfe und Weiterentwicklungen bereitet hat. Außerdem sei hier schon vorbemerkt, dass Entwick-lungsaufgaben im Jugendalter – so wie er sie beschreibt - typische Aufgaben von Jugend-lichen in westlichen (Industrie-) Gesellschaften darstellen und nicht ohne weiteres auf andere Gesellschaften übertragbar sind. Eine Entwicklungsaufgabe ist nach seiner Definition eine Aufgabe, die sich in einer bestimmten Lebensperiode dem Individuum stellt. Seine erfolg-reiche Bewältigung führt zu Glück und Erfolg, während Versagen das Individuum unglück-lich macht, auf Ablehnung in der Gesellschaft stößt und zu Schwierigkeiten bei der Bewäl-tigung späterer Arbeiten führt. Das heißt Entwicklungsaufgaben gliedern den Lebenslauf und geben Sozialisationsziele vor. Havighurst unterscheidet drei Quellen der Entwicklungsauf-gaben:

1. biologische, individuelle Leistungsfähigkeit (physische Reife - was KANN ich erreichen?)

Dem Alter und der physischen Reife entsprechend, das heißt von den individuellen Kompetenzen und Kapazitäten, die ein Jugendlicher aufgebaut und aktuell zur Verfügung hat, kann man davon ausgehen, dass er sprechen kann, schulfähig ist, verantwortungsbewusst handeln und mehr leisten kann, als die Gesellschaft ihm zutraut, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen

2. sozio-kultureller Druck (Erwartungen der Gesellschaft - was SOLL ich erreichen?)

Erwachsene Personen haben spezifische Erwartungen darüber, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Art Jugendliche Entwicklungsaufgaben lösen sollen. So wird eine ver-frühte Lösung von Entwicklungsaufgaben von ihnen am Meisten geschätzt, gefolgt von der Lösung von Entwicklungsaufgaben zum gesellschaftlich erwarteten Zeitpunkt und dem Nichtlösen mangels Kompetenz. Erwachsene reagieren mit Ärger, Ableh-nung bis hin zur Verachtung, wenn Jugendliche diese Entwicklungsaufgaben willent-lich nicht lösen

3. individuelle Zielsetzung (eigene Erwartungen – was WILL ich erreichen?)

Jugendliche wollen (zum Beispiel) selbstständig sein, Freiräume haben, ernst genom-men werden, eigene Ideologien entwickeln, aus eigenen Fehlern selbst lernen, einen hohen Lebensstandard erreichen

Nicht alle Entwicklungsschritte werden bereits im Jugendalter absolviert, vieles nimmt hier jedoch seinen Ausgangspunkt, was erst später konkretisiert werden kann – in der Zeit der Postadoleszenz (frühes Erwachsenenalter). Hier spiegelt sich ein bestimmtes Menschenbild von dem, was eine gelungene Entwicklung, das Erwachsensein in einem tieferen, sozialen Sinn, ausmachen sollte, das heißt es liegt eine gemeinsame Thematik zugrunde: In allen Auf-gaben geht es um die Herausbildung des Ich, des Selbst, der Identität. Die Anforderungen, die heutzutage an Jugendliche gestellt werden, sind sehr hoch. Sie wachsen in einer Gesellschaft auf, die weitaus höhere Erwartungen an sie stellt, als dies je zuvor der Fall war. Andererseits können Jugendliche nicht auf feste Traditionen zurückgreifen, von der sie annehmen dürfen, dass diese mittelfristig tragfähig und allgemein gültig sind.

2.3 Entwicklungsaufgaben, Funktionen und Belastungsfaktoren innerhalb der peer group

Die peer group ist eine bedeutsame Ressource zur Bewältigung der Entwicklungsaufgaben der Jugendphase und des jugendlichen Alltags. Junge Menschen sind auf der Suche nach sich selbst. Sie sind anfällig für alles Extreme. Sie sind keine Kinder mehr, aber auch längst noch nicht erwachsen. Die Übergangsphase führt nicht selten zu Unsicherheiten. Jugendliche haben auf dem Weg zum Erwachsenwerden eine Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten zu meistern. Sie fragen sich nicht nur nach dem Sinn des eigenen Lebens, sondern müssen ihren Platz innerhalb der Gesellschaft finden. Das sie dabei nicht nur mit Unterstützung und Ver-ständnis durch ihre erwachsenen Mitmenschen rechnen können, weiß jeder aus seinen Erfah-rungen der eigenen Jugendphase. Der Jugendliche macht sich auf eine „Reise“. Er sucht Ant-worten auf seine Fragen, sucht die Anerkennung innerhalb der peer group, ist ständig neuer Entscheidungen und Erwartungen ausgesetzt. Er muss sich in dieser Zeit bestimmten Ent-wicklungsaufgaben stellen:[3]

- Akzeptieren der neuen körperlichen Gestalt

Beschäftigung mit dem eigenen Aussehen, Veränderungen des Körpers

- eine männliche / weibliche soziale Rolle einnehmen

Beginn in der frühen Kindheit, Ende in der Pubertät; Beschäftigung mit der Frage des typisch „männlichen“ und „weiblichen“ Verhaltens

- Aufbau neuer und verantwortungsbewusster Beziehungen zu den Altersgenossen

Die peer group gewinnt an Bedeutung; Beziehung zum anderen Geschlecht werden wichtig; der Jugendliche ist geschickter im Umgang mit anderen und verantwortungsvoller

- emotionale Ablösung von den Eltern und anderen Erwachsenen

Mit dem Aufbau neuer Beziehungen zu Gleichaltrigen erfolgt die zunehmende emotionale Unabhängigkeit zu den Eltern, der von vielen Eltern als Ablehnung verstanden wird. Dies ist meist ein beunruhigendes und unangenehmes Ereignis für Eltern

- Vorbereitung des beruflichen Werdegangs

Jugendliche machen sich Gedanken über Lebensziele, das zukünftige Leben und die Berufsfindung

- Vorbereitung auf die Gründung von Familie und Ehe

Das Heiratsalter ist relativ „hoch“ aufgrund langer Ausbildungszeiten. Heute spielt die persönliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie die individuelle Lebensgestaltung eine große Rolle

- Erreichen eines sozial verantwortungsvollen Verhaltens

Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen der Gesellschaft; Entwicklung eigener Überzeugungen (kann zu sozialem Engagement oder nach Enttäuschungen zu zeit-weisem Rückzug aus der Gesellschaft führen)

- eigene Werte und ein ethisches System errichten und danach leben

Die Suche nach für Jugendliche bedeutenden Wertvorstellungen, führt zu häufigen Konflikten mit Familie, kritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Kultur, Religion, Erziehungssystem, Arbeitswelt u. s. w.

Die peer group hat für einen Jugendlichen eine sehr wichtige Sozialisationsfunktion, das heißt, wenn Sozialisation erfolgreich verläuft, verinnerlicht das Individuum die sozialen Werte, Normen etc., aber auch die sozialen Rollen seiner gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung. Sie bietet eine Vielfalt an Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, die in der Familie allein nicht gegeben sind. Hier lernt der Jugendliche außerhalb der Familie auf eigenen Beinen zu stehen. Er kann sich selbst darstellen und definieren, was in der Familie aufgrund der meist sehr festgelegten Rollen nicht möglich ist. Sie stellt sozusagen ein „Spielfeld“ dar, auf dem es möglich ist, eigene Grenzen auszutesten, den Umgang mit anderen zu erlernen und den Übergang zum Erwachsensein zunächst im sicheren Raum der Gleichaltrigen zu erproben. Zusammengefasst finden sich folgende Funktionen in der peer group wieder:

- Zugehörigkeit, Verständnis und Geborgenheit, das heißt Jugendliche profitieren in ihrem Selbstwertgefühl und der Lebenszufriedenheit von dem Gefühl, in einer Freund-schaft emotional geborgen zu sein, verstanden zu werden und die Anerkennung durch andere Mitglieder zu bekommen. Zudem kann ihnen die peer group einen gewissen Schutz bieten

- Hilfe bei der Bewältigung von Belastungen und Problemen, das heißt in der Phase, in der sich Jugendliche gerade befinden, kann es zu einem Gefühl von Identitätsverlust durch starke körperliche Veränderungen und der Überflutung neuer Impulse kommen. Besonders da wird die Funktion der peer group deutlich – die Jugendlichen helfen sich gegenseitig

- Entwicklungsförderung hinsichtlich sozialer Verhaltensweisen und Kompetenzen. Außerdem werden neue Verhaltensweisen und Wertvorstellungen erprobt und ver-mittelt. Das heißt die peer group bietet ein Übungsfeld, auf dem ohne fatale Konse-quenzen gelernt werden kann, Rollen auszuhandeln, entgegengesetzte Interessen zu balancieren oder einfache Beziehungen außerhalb der angeborenen zu Eltern und Geschwistern herzustellen und aufrechtzuerhalten

Des Weiteren ist ein zentrales Kennzeichen der peer group ein in der Regel vorherrschender Gruppendruck, der nicht uneingeschränkt als positiv bewertet werden kann. Wenn er zum Beispiel in einem problematischen Umfeld entsteht, kann dieser Druck zu sozial abweichen-dem und kriminellem Verhalten motivieren. Er kann sie zu gewalttätigen Handlungen oder Drogenkonsum verleiten, aber ebenso auch einen schädigenden Einfluss auf identitäts-schwache Jugendliche haben, die durch eventuelle Aufnahmerituale und Mutproben versu-chen, sich einen Stand in der Gruppe zu erarbeiten.

3. Entwicklungsmodelle im Jugendalter

3.1 Religion / Religiosität

3.1.1 „Religion“ –Versuch einer Begriffsbestimmung

Der Begriff Religion kommt vom lateinischen „religio“, was „Rückbindung des Menschen“ bedeutet. Es bezieht sich also auf den Umstand, dass wir eine Verbindung zu etwas aufge-geben haben und es nun unsere Aufgabe ist, uns wieder aufs Neue damit zu verbinden. Als Religion werden häufig bestimmte individuelle oder auch kollektive Bemühungen bezeichnet, menschlichem Leben und Tun Sinn zu geben. Religion hat eine objektive und eine subjektive Seite:

- die objektive Seite wird im Gestalten der Religion ausgedrückt, wie Lehre, Dogma[4], Kult[5], Mythos[6], Riten[7], individuelle religiöse Praktiken u. s. w.
- die subjektive Seite ist das, was die Subjekte zu dieser Gestaltung antreibt oder nötigt

Dennoch lässt sich der Begriff Religion nicht allgemein gültig definieren, er ist individuell zu verstehen. Hier einige Definitionsbeispiele namhafter Persönlichkeiten:

- „Religion ist die Kultur des rationalen Verhaltens zum Unverfügbaren.“Hermann Lübbe[8]
- „Religion ist im weitesten und tiefsten Sinne des Wortes das, was uns unbedingt angeht.“Paul Tillich[9]
- „Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche.“Friedrich Schleiermacher[10]
- „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt. Sie ist das Opium des Volkes. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“Karl Marx[11]
- „Religion ist die erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen.“Gustav Mensching[12]

Zusammenfassend könnte man sagen, dass Religion die Bindung des Menschen an eine Wirklichkeit ist, die nicht mit ihm selbst identisch ist, aber ihn zugleich betrifft und bewegt, wie es nur von einer Wirklichkeit gesagt werden kann, die eine alles bestimmende Wirklich-keit ist. Allerdings lässt sich dabei beobachten, dass die Materialbasis der Definitionen äußerst dürftig und subjektiv gefärbt ist.

Das Thema Religion ist so alt wie die Menschheit. In der Gegenwart ist Religion zu einer echten Frage geworden, weil sie in ihrer traditionellen Gestalt heute nicht mehr wie früher selbstverständlich ist, sondern kritisch nach ihrem Grund und Recht befragt wird. Ebenso nach ihrer Funktion und Glaubwürdigkeit, nach dem Zusammenhang von Anspruch und Realität. Die damit verbundenen Fragen beziehen sich aber auch darauf, ob Religion (und Religionen) angesichts der Probleme von Gegenwart und Zukunft Antwort und Orientierung zu geben vermögen.

3.1.2 „Religiosität“ – Versuch einer Begriffsbestimmung

Folgende Begriffserklärung stellt keine allgemeine Definition von Religiosität dar. Denn die Vielfalt der Worterklärungen, denen ich begegnet bin, ist im Blick auf die Pluralität religiöser Überzeugungen und Organisationen derart groß, dass es meines Erachtens nur schwerlich gelingen mag, Religiosität so zu charakterisieren, dass sie der Vielfältigkeit des Religiösen gerecht wird.

Religiosität ist die im Individuum durch Kognition, Emotion und Verhalten konkretisierte Religion. Alle Menschen sind mehr oder weniger religiös. Das heißt nicht, dass sie einer Religion oder Konfession im engeren Sinne angehören, dass sie evangelische oder katholische Christen, Muslime, Juden oder auch Buddhisten seien, sondern es heißt, dass sie der Welt, wie sie sie erleben, einen Sinn geben, der die reinen Fakten und alltäglichen Erscheinungen über-steigt. Sie haben eine Weltanschauung, wie immer diese auch geartet sein mag. Eine vor-sichtig-offene Beschreibung gibt Josefine Heyer[13]: „Religiosität ist also sowohl eine verhal-tens-normierende als auch eine sinngebende Erfahrung, die emotionale und kognitive Zuge-hörigkeit vermittelt. Sie kann Kirchlichkeit einschließen, ist aber ebenso existent in außer-kirchlicher, nicht gebundener Form, die sich gegenüber institutionellen Formen und Beein-flussung indifferent oder resistent verhält und sich in religiöser Erfahrung niederschlägt.“ (vgl. J. Heyer, Art. “Religiosität”, Frauenlexikon, Freiburg 1988, Seite 939).

Der Begriff Religiosität ist also recht weit gefasst.

3.1.3 Entwicklung der Religiosität

Mit den Theorien der religiösen Entwicklung beschäftigen sich nicht nur Psychologen und Theologen, sondern auch Ethiker, Historiker, Ärzte sowie kirchliche und staatliche Erzieher. Dabei wird aufgezeigt, wie ausgesprochen komplex und vielschichtig dieses Thema ist. Dazu gibt es verschiedene Ansätze beziehungsweise Sichtweisen, von denen ich einige benennen und auf andere näher eingehen möchte:

- der Mensch entwickelt sich aus endogenen[14] Anlagen heraus, die jedem angeboren sind und zur Reifung gebracht werden
- der Mensch kommt als Individuum auf die Welt, das noch nicht „fertig“ ist, und sich nach einem bestimmten Schema entwickeln muss
- der Mensch kommt „wie ein Stück Wachs auf die Welt, welches vollkommen glatt ist“ und wird von der Umwelt geprägt

[...]


[1] Jugendleitercard

[2] Robert J. Havighurst (1900-1991) amerikanischer Sozialwissenschaftler, ursprünglich deutscher Abstammung, der in den 1940er Jahren in Chicago/USA als Erziehungswissenschaftler tätig war.

[3] peer group = Gruppe Gleichaltriger

[4] Dogma ® (gr.) Lehrsatz, konfessionell verbindliche Glaubensaussage

[5] Kult ® „Religionspflege“, öffentliche gemeinsame Gottesverehrung

[6] Mythos ® (gr.) veranschaulicht religiöse Grundaussagen

[7] Riten (Ritus) ® (lat.) „Brauch“, Gefüge aus wiederholbaren religiösen Handlungen

[8] Hermann Lübbe (1926-2001), Theologe und Philosoph

[9] Paul Tillich (1886-1965) Theologe und Philosoph

[10] Friedrich Schleiermacher (1768-1834) Theologe, Philosoph und Pädagoge

[11] Karl Marx (1818-1883) Erfinder des Kommunismus

[12] Gustav Mensching (1901-1978) Religionswissenschaftler

[13] Josefine Heyer: Pastoralpsychologin

[14] endogen ® (gr.) „von innen her stammend“; (biolog.) „aus ererbter Anlage entstanden“

Fin de l'extrait de 52 pages

Résumé des informations

Titre
Was ist die Motivation Jugendlicher, sich in Kirche und Gemeinde zu engagieren?
Note
1,2
Auteur
Année
2007
Pages
52
N° de catalogue
V76549
ISBN (ebook)
9783638801485
ISBN (Livre)
9783638821179
Taille d'un fichier
617 KB
Langue
allemand
Mots clés
Motivation, Jugendlicher, Kirche, Gemeinde
Citation du texte
Sabine Klatt (Auteur), 2007, Was ist die Motivation Jugendlicher, sich in Kirche und Gemeinde zu engagieren?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76549

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