Die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien durch das Antidiskriminierungsgesetz in nationales Recht


Diploma Thesis, 2006

77 Pages, Grade: 1,7


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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Ziele der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien (RL/2000/43/EG, RL/2000/78/EG, RL/2002/73/EG)
2.1 Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich
2.2 Unerwünschte Verhaltensweisen
2.2.1 Unmittelbare Diskriminierung
2.2.2 Mittelbare Diskriminierung
2.2.3 Belästigung
2.2.4 Anweisung zur Diskriminierung
2.3 Positive Maßnahmen
2.4 Rechtfertigungsgründe von Diskriminierungen
2.4.1 Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung
2.4.2 Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters
2.5 Rechtsfolgen von Diskriminierungen
2.6 Rechtsdurchsetzung
2.6.1 Rechtsschutz
2.6.2 Beweislast
2.6.3 Viktimisierung

3 Identifizierte Problemfelder im Entwurf des ADG 15/4538 aus Perspektive der Arbeitgeber
3.1 Notwendigkeit eines „einheitlichen“ ADG
3.1.1 Arbeitsrechtliche Umsetzungserfordernisse
3.2 Unbestimmte Rechtsbegriffe
3.2.1 Behinderung
3.2.2 Belästigung
3.2.3 Entschädigung und Schadensersatz
3.3 Entschädigung durch den Arbeitgeber bei Benachteiligungen
durch Dritte
3.3.1 Haftung für weisungsbefugte Beschäftigte
3.3.2 Haftung für Arbeitskollegen und sonstige Dritte
3.4 Beweislastverteilung
3.5 Klagerecht der Gewerkschaften/Betriebsräte
3.6 Klagerecht der Antidiskriminierungsverbände

4 Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht und die personalpolitische Praxis
4.1 Vorvertragliche Konsequenzen
4.1.1 Stellenausschreibung und Bewerbungseingang
4.1.2 Vorstellungsgespräch
4.2 Prävention / Diversity Management
4.3 Altersbefristung nach TzBfG
4.4 Dokumentationsaufwand
4.5 Prozessrisiko

5 Überblick: Entwicklungshistorie des ADG

6 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Bekämpfung von Diskriminierung ist eines der zentralen Ziele der Europäischen Gemeinschaft. Bereits in Art. 13 des Amsterdamer Vertrags wurde der Rat der Europäischen Union ermächtigt Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Insgesamt wurden in den Jahren 2000 und 2002 drei Antidiskriminierungsrichtlinien ins Leben gerufen, um auf europäischer Ebene gegen Diskriminierung vorzugehen.

Die Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV, in einem Antidiskriminierungsgesetz ist dringend geboten, um auch in Deutschland einen Mindeststandard beim Schutz vor Diskriminierungen zu entwickeln und die Vorgaben des europäischen Gesetzgebers einzuhalten. Wie allgegenwärtig Diskriminierungen in Deutschland sind beweisen aktuelle Umfragen.[1]

Das in dieser Arbeit thematisierte Antidiskriminierungsgesetz (ADG) kann einen Schritt zur Verwirklichung eines diskriminierungsfreien Zusammenlebens der Menschen in Deutschland darstellen. Des Weiteren, drängt die Umsetzung aus rechtlichen Gründen, da die Bundesrepublik wegen nicht fristgerechter Umsetzung der Richtlinien schon zweimal zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt wurde. Der zeitliche Druck zur Umsetzung hat sich noch erhöht, da in der letzten Legislaturperiode der Entwurf der rot-grünen Koalition der Diskontinuität zum Opfer gefallen ist und die schwarz-rote Koalition sich nur langsam dem brisanten Thema ADG näherte.

Die Entwürfe des ADG haben einen Entrüstungssturm unter den Arbeitgebern und ihnen nahe stehende Gruppierungen ausgelöst. Das ADG wird aus Arbeitgeberperspektive als eine Kulturrevolution im Arbeitsrecht bezeichnet.[2] Außerdem würde das ADG ein Bürokratiemonster darstellen, welches Arbeitsplätze vernichte. Ebenso sei eine Prozesslawine an Antidiskriminierungsklagen zu befürchten, die die Arbeitgeber als Folge mit hohen Entschädigungszahlungen belasten würden.

Nicht nur die Sanktionen, die durch den EuGH verhängt werden, üben Druck auf die Bundesrepublik Deutschland aus, ein Antidiskriminierungsgesetz zu beschließen. Des Weiteren, ist die Verabschiedung eines ADG im Jahr 2006 unbedingt notwendig, da Deutschland ab Januar 2007 „im europäischen Jahr der Chancengleichheit“ die Ratspräsidentschaft der EU innehat. Demnach wäre es beschämend, wenn das vorsitzende Land gerade im Bereich der Gleichstellungs-/Antidiskriminierungspolitik noch immer im Verzug wäre.

Diese Diplomarbeit hat zum Ziel die aus Perspektive der Arbeitgeber kritisierten Punkte aufzugreifen und zu diskutieren, ob die vielgeregte Kritik gerechtfertigt ist, und welche Auswirkungen durch das ADG tatsächlich im Arbeitsrecht und in der personalpolitischen Praxis zu erwarten sind.

Die Behandlung des Themas gliedert sich in 5 Kapitel. Nach dieser Einführung (Kapitel 1) wird ein kurzer Überblick über die verfolgten Ziele der Diskriminierungsbekämpfung der drei hier aufgeführten Richtlinien gegeben (Kapitel 2). Im darauf folgenden Abschnitt wird das Antidiskriminierungsgesetz aus der letzten Legislaturperiode aus Sicht der Arbeitgeber kritisch diskutiert und erörtert, ob die deutsche Umsetzung der Richtlinien durch das Antidiskriminierungsgesetz über die europäischen Vorgaben im Bereich des Arbeitsrechts hinausgeht (Kapitel 3). Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den prognostizierten Auswirkungen des Antidiskriminierungsgesetzes auf die deutsche Arbeitsrechtspraxis bzw. auf personalpolitische Entscheidungen in der betrieblichen Praxis. Anschließend wird der aktuelle Stand der Gesetzgebung erläutert, da ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz bis zum Tag der Fertigstellung dieser Arbeit nicht in Kraft getreten ist (Kapitel 5). Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einem kurzen Ausblick (Kapitel 6).

2 Ziele der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien (RL/2000/43/EG, RL/2000/78/EG, RL/2002/73/EG)

Die hier aufgeführten europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft bezeichnen die Gleichheit vor dem Gesetz und den Schutz aller Menschen vor Diskriminierung als ein allgemeines Menschenrecht.[3]

Ziel dieser Richtlinien ist, einen einheitlichen europäischen Mindeststandard zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft,[4] der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Ausrichtung[5] oder des Geschlechts[6] im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in allen Staaten der EU sicher zu stellen.[7]

Die Richtlinien, die 2000 erlassen wurden, stützen sich insbesondere auf den Art. 13 des EG-Vertrags wonach der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.[8] Die Richtlinie 2000/78/EG „zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ (Richtlinie „Beschäftigung“) soll Diskriminierungen aufgrund bestimmter Merkmale am Arbeitsplatz verhindern. Die Richtlinie 2000/43/EG (Richtlinie „Rassismus“) geht gegen Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft vor und beschränkt sich nicht auf das Arbeitsrecht.[9]

Im Jahr 2002 wurde die sogenannte Gender-Richtlinie (RL/2002/73/EG) als Überarbeitung der Richtlinie 76/207/EWG aus dem Jahr 1976 erlassen. Diese Richtlinie basiert auf Art. 141 Abs. 3 des EG Vertrags, welcher speziell auf die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen abstellt.[10]

Im Folgenden soll nur auf die Ziele und Aspekte der Richtlinien, die eine Relevanz für das deutsche Arbeitsrecht haben, eingegangen werden. Insbesondere die Richtlinie 2000/43/EG (Rassismus-Richtlinie) und 2002/73/EG (Gender-Richtlinie) haben einen zivilrechtlichen Anwendungsbereich, der deutlich über rein arbeitsrechtliche Sachverhalte hinausgeht. Die anschließenden Kapitelabschnitte zielen darauf ab, die wichtigsten Inhalte der Richtlinien für die arbeitsrechtliche Diskriminierungsproblematik aufzuzeigen, um die Basis für die darauf aufbauenden kommenden Kapitel dieser Arbeit zu schaffen. Hierbei wird insbesondere auf den Geltungsbereich der Richtlinien (2.1), den Diskriminierungsbegriff (2.2), positive Maßnahmen (2.3), die Rechtfertigungsgründe (2.4) und die Rechtsfolgen von Diskriminierungen (2.5), sowie die Rechtsdurchsetzung (2.6) eingegangen.

2.1 Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich

Der arbeitsrechtliche Geltungsbereich ist in allen drei Richtlinien gleich ausgestaltet und umfasst alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen.[11] Die Richtlinien beschränken sich dabei nicht auf das reine Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Alle Beschäftigten, so auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte, freie Mitarbeiter und alle öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse von Beamten, Soldaten und Richtern sollen durch ein Antidiskriminierungsgesetz geschützt werden.[12] Natürlich gelten die Richtlinien auch in Bereichen außerhalb des Arbeitsrechts. Im Rahmen dieser Arbeit ist allerdings nur der Geltungsbereich mit Bezug zum Arbeitsrecht oder zur personalpolitischen Praxis relevant.

Der sachliche Anwendungsbereich aller drei Richtlinien beinhaltet die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, einschließlich des beruflichen Aufstiegs, die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen und die Entlassungsbedingungen. Ebenso sind die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, die Berufsausbildung, die betriebliche Aus- und Weiterbildung und Umschulung, sowie die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation erfasst.[13]

Die Diskriminierungsgrundsätze schützen demnach sämtliche Stationen der Erwerbstätigkeit, angefangen mit der vorvertraglichen Anbahnung des Arbeitsverhältnisses, der Ausgestaltung des Vertrags inklusive der diskriminierungsfreien Entgeltfindung und der Möglichkeit einer Interessenvereinigung anzugehören, bis hin zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.[14]

2.2 Unerwünschte Verhaltensweisen

Eine ungleiche Behandlung von Personen im Erwerbsleben kann durchaus üblich, rechtens und darüber hinaus notwendig sein. Ein Arbeitgeber, der mehrere Bewerber für eine offene Position zur Auswahl hat, kann nur eine Person einstellen. Ungleichbehandlungen sind folglich an der Tagesordnung. Zu einer Diskriminierung wird das Verhalten erst dann, wenn die Auswahl anhand von Kriterien vorgenommen wird, die für die Unterscheidung im konkreten Fall unzulässig und damit ungeeignet sind.[15]

2.2.1 Unmittelbare Diskriminierung

„Diskriminieren“ - aus dem Lateinischen stammend - bedeutet wörtlich nichts anderes als „trennen, absondern“ oder „unterscheiden“.[16] Nach ständiger Rechtsprechung sieht der EuGH eine Diskriminierung grundsätzlich dann, „wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalte angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Sachverhalte angewandt wird“.[17] Demgegenüber hat das Wort Diskriminierung im alltäglichen Gebrauch zweifellos eine eindeutig negative Konnotation erhalten und bedeutet „Ungleichbehandlung“, „Benachteiligung“ oder sogar „Herabsetzung“.[18]

Die Rechtsprechung des EuGH definierte eine unmittelbare Diskriminierung bei den Fällen der Geschlechtsdiskriminierung, wenn eine Ungleichbehandlung entweder direkt, d.h. tatbestandlich, an das verbotene Differenzierungsmerkmal oder an solche Merkmale angeknüpft, die objektiv von einer der nach dem Differenzierungsmerkmal abgegrenzten Personengruppe nicht erfüllt werden können.[19] Die unmittelbare Diskriminierung ist in allen drei Richtlinien gleich definiert. Eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinien liegt immer dann vor, „wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“[20].

2.2.2 Mittelbare Diskriminierung

Die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung wurde durch die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG[21] in das Gemeinschaftsrecht eingeführt. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG enthält eine Legaldefinition: es „liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion, Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters, einer bestimmten sexuellen Ausrichtung, mit einer bestimmten Rasse oder ethnischen Herkunft oder wegen des Geschlechts gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“[22]. Ziel der Richtlinien ist es, die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung vom indirekten statistischen Nachweis abzukoppeln, wie er in der Rechtsprechung der Geschlechterdiskriminierung bisher üblich war.[23] Inzwischen wird die Unterscheidung nach unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung vom EuGH auf alle Diskriminierungsverbote angewendet.[24]

2.2.3 Belästigung

Belästigungen sind nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinien unerwünschte Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit einem durch die Richtlinien geschützten Merkmal stehen und bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Mit Belästigung im Sinne der Richtlinien ist nicht die „sexuelle Belästigung“ gemeint. Diese wird zur allgemeinen „Belästigung“ noch in der Richtlinie 2002/73/EG gesondert aufgeführt.[25]

Die Mitgliedstaaten können den Begriff „Belästigung“ im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten definieren.[26] Die sehr offen gehaltene Definition der „Belästigung“ hat unter Experten zur Diskussion geführt wie dieser Begriff auszulegen sei, bzw. wann eine Belästigung eine Diskriminierung ist, und ob der Belästigende bewusst, d.h. vorsätzlich gehandelt haben muss.[27] Nicht jede Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals stellt sofort eine unzulässige Ungleichbehandlung dar. Voraussetzung ist, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird und ein entsprechendes Umfeld geschaffen wird. Diese Erheblichkeitsschwelle impliziert, dass nur Belästigungen von gewisser Bedeutsamkeit von der Richtlinie erfasst werden.[28] Diese Unsicherheit über die Bedeutung der Definition der „Belästigung“ hat sich auch in der Umsetzung durch das deutsche Antidiskriminierungsgesetz fortgesetzt, da der Richtliniengeber die genauere Definition des Begriffs dem mitgliedsstaatlichen Gesetzgeber überlassen hat.[29] (siehe 3.1.2)

2.2.4 Anweisung zur Diskriminierung

Die Anweisung zur Diskriminierung ist der Diskriminierung gleichgestellt. Diese liegt vor, wenn der Arbeitgeber nicht selbst diskriminiert, aber anderen Arbeitnehmern oder Stellen anordnet, bestimmte Beschäftigte schlechter zu behandeln.[30]

Die Einbeziehung der „Anweisung“ in den Kreis der Diskriminierungen bezweckt, dass Unklarheiten in Bezug auf den Verursacher der diskriminierenden Handlung nicht zu Lasten des Diskriminierten gehen.[31] Dabei ist zu beachten, dass „Anweisungen“ in einem Hierarchieverhältnis geschehen. Der Angewiesene handelt hierbei immer aufgrund einer Anordnung des Vorgesetzten, der Vorgesetzte handelt gegenüber dem durch die Diskriminierung betroffenen eigentlich nicht. Ohne Einbeziehung der Anweisungsalternative wären Schutzbehauptungen der Vorgesetzten einfach möglich.[32]

2.3 Positive Maßnahmen

Gleichbehandlung allein reicht nicht aus, wenn sie nicht zu einer faktischen Gleichstellung führt. Aus diesem Grunde schreiben die Richtlinien[33] vor, dass es zur Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes es erforderlich sein kann, bestimmten Personengruppen besondere Rechte zuzuerkennen. Die Art. 5 RL/2000/43/EG und Art. 7 RL/2000/78/EG schreiben daher vor, „die erforderlichen administrativen und legislativen Maßnahmen zuzulassen oder einzuführen um Ungleichheiten zu beseitigen“. Der europäische Gerichtshof hat schon durch die Urteile Kalanke[34] und Marshall[35] bzgl. der Frage der Notwendigkeit positiver Maßnahmen bei Geschlechtsdiskriminierung erste Vorgaben gemacht.

Die Kommission merkt aber an, dass „positive Maßnahmen“ im Lichte der ständigen Rechtsprechung zur Geschlechterdiskriminierung sehr eng ausgelegt werden sollen. Als Beispiel für eine „positive Maßnahme“ nennt die Kommission die Eingliederung von Jugendlichen ins Berufsleben bzw. den fließenden, altersgerechten Übergang vom Berufsleben zum Ruhestand für Pensionäre.[36]

2.4 Rechtfertigungsgründe von Diskriminierungen

2.4.1 Wesentliche und entscheidende berufliche
Anforderung

Nach der Ausnahmeregelung in den Antidiskriminierungsrichtlinien rechtfertigt eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“[37] eine konkrete Ungleichbehandlung. Ausnahmen sind nach der Kasuistik des EuGH eng und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auszulegen,[38] weil sonst bestehende ungleiche Zustände gefestigt würden und dies kontraproduktiv für den Zweck von Diskriminierungsverboten wäre.[39] Daher wird auch in den Erwägungsgründen zu Richtlinie 2000/43/EG (Rassismus-Richtlinie) und 2000/78/EG (Beschäftigungs-Richtlinie) für die Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung, welche mit dem Diskriminierungsmerkmal zusammenhängt, „von sehr begrenzten Bedingungen“ gesprochen.[40] Es sind nur solche beruflichen Anforderungen gemeint, die zur Ausübung der betreffenden Tätigkeit unbedingt notwendig sind.[41] Fraglich ist, wie „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ in der Praxis definiert werden und wie diese mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH harmonieren. Problematisch sind hier insbesondere die Kundenerwartungen und ob diese auch als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ interpretiert werden können. Die Kommentarliteratur zu § 611a BGB beispielsweise urteilt großzügig. Sie will Unterscheidungen zulassen, wenn die Erwartungen der Personen, mit denen der Arbeitgeber in Geschäftsbeziehungen tritt, sie vorgeben.[42] Bei dem in jüngster Zeit viel besprochenen „Kopftuchfall“[43] einer Verkäuferin hatte sich der Arbeitgeber darauf berufen, dass Kunden an dem Kopftuch Anstoß nehmen würden. Das BAG ließ diese Begründung nicht zu, weil sich der Arbeitgeber nur auf eine abstrakte Gefahr berufen habe.[44]

2.4.2 Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters

Nach der RL/2000/78/EG „können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“[45]. Diese Regelung erinnert stark an die BFOQ-Einrede (bona fide occupational qualification) des „Age Discrimination in Employment Act“ der US-amerikanischen Gesetzgebung. Danach kann eine Benachteiligung Älterer zulässig sein, „wenn ein bestimmtes Alter vernünftigerweise für die Bewältigung der mit der speziellen Tätigkeit normalerweise verbundenen Aufgaben notwendig ist“.[46] Thüsing interpretiert daher die Ausnahmeregelung der Altersdiskriminierung in Art. 4 Abs. 1 der RL/2000/78/EG in Anlehnung an die Rechtsprechung der US-Gerichte, wonach Altersgrenzen bspw. für Feuerwehrmänner und Fluglotsen wegen der besonderen Belastung generell zulässig seien.[47]

2.5 Rechtsfolgen von Diskriminierungen

Ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus einem verpönten Merkmal[48] der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG wird sanktioniert. Entsprechend der drei Antidiskriminierungsrichtlinien legen die Mitgliedstaaten die Sanktionen selbst fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zu verhängen sind.[49] Die Richtlinien geben aber dazu keine konkrete gesetzliche Ausgestaltung der Sanktionen vor. Die Sanktionen müssen lediglich „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“[50]. Die Ausgestaltung des Sanktionserfordernisses bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Die Richtlinien sehen aber eine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten vor. Die Kommission muss über die durch die Richtlinien erzielten Ergebnisse unverzüglich in Kenntnis gesetzt werden. Die Nationalstaaten müssen auch gewährleisten, dass die Sozialpartner innerhalb der Umsetzungsfrist alle erforderlichen Maßnahmen treffen.[51]

Die Richtlinien erwähnen auch ausdrücklich, dass Sanktionen „Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können“[52]. Die Sanktion in Form eines Schadensersatzanspruchs soll sowohl Abschreckungs- als auch Ausgleichsfunktion haben. Hierbei soll die Abschreckung vor Diskriminierungen den Arbeitgeber treffen, wobei die Ausgleichsfunktion darauf abzielt ein angemessenes oder proportionales Verhältnis zwischen erlittenen Unrecht und Sanktion herzustellen.[53] Bezüglich der Schadensersatzleistungen im Hinblick auf Geschlechterdiskriminierung gibt es schon einige wichtige Urteile des EuGH in Zusammenhang mit § 611a BGB[54], die einen großen Einfluss auf die Ausgestaltung eines Schadenersatzanspruchsrechts der Antidiskriminierungsrichtlinien aus dem Jahr 2000 haben. Aus allen drei Richtlinien in Verbindung mit der Rechtsprechung des EuGH zu RL 76/207/EWG a.F. gibt es eindeutige Ansatzpunkte für die Sanktionierung des Verstoßes gegen ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot. Gemäß den schon genannten Anforderungen der Richtlinien muss die Sanktion wirksam, abschreckend und verhältnismäßig sein und der Mitgliedstaat kann einen Schadensersatzanspruch gegen den Diskriminierenden als Sanktion wählen.[55] Des Weiteren geht aus den Urteilen des EuGH (zu RL 76/207/EWG) hervor, dass eine Beschränkung auf den Vertrauensschaden nicht ausreicht. Die Richtlinien geben weder ein Mindestmaß noch ein Höchstmaß für Sanktionen vor. Außerdem darf der Anspruch auf Schadensersatz nicht an ein Vertretenmüssen des Diskriminierenden anknüpfen und die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs darf nicht schwerer sein als die vergleichbarer Ansprüche aus nationalem Recht.[56]

Ein Anspruch auf Vertragsschluss besteht für das arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot nicht. Die arbeitsrechtlichen Regelungen der Antidiskriminierungsrichtlinien sehen keinen Kontrahierungszwang vor, da ein Abschlusszwang zu Lasten anderer Arbeitnehmer gehen würde.[57]

2.6 Rechtsdurchsetzung

2.6.1 Rechtsschutz

Die Vorschriften zum Rechtsschutz benötigen keine weiteren Auslegung. Der Gerichts- und oder Verwaltungsweg ist Opfern von Diskriminierungen zu eröffnen, ebenso können Schlichtungsverfahren und Ausschlussfristen vorgesehen werden und der Rechtsweg muss offen stehen, auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.[58] Ein neuer Aspekt hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung von Diskriminierungsverboten stellt aber das Beteiligungsrecht von Verbänden dar. Neben dem individuellen Rechtsschutz besteht die Möglichkeit für Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die ein rechtmäßiges Interesse haben, für die Einhaltung der Richtlinie zu sorgen, d.h. sich entweder im Namen der diskriminierten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den vorgesehenen Gerichts- und Verwaltungsverfahren zu beteiligen.[59] Die betreffenden Artikel der Richtlinien sehen vor, dass sich Verbände im Namen der beschwerten Person am Verfahren beteiligen können.[60]

2.6.2 Beweislast

Üblicherweise müsste das Diskriminierungsopfer als Kläger das Risiko des Prozessverlustes für den Fall der Nichtbeweisbarkeit tragen.[61] In den Antidiskriminierungsrichtlinien ist jedoch eine Beweislasterleichterung vorgesehen. Danach genügt es, wenn der diskriminierte Kläger Tatsachen glaubhaft macht, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen. Der beklagte Arbeitgeber ist in der Pflicht zu beweisen, dass keine Ungleichbehandlung stattgefunden hat.[62] Die Modifikation der herkömmlichen Beweislastverteilung ist in Diskriminierungsfällen von großer Bedeutung, da die Betroffenen in der Regel in Beweisnot sind, weil Diskriminierungen entweder verdeckt vorgenommen werden oder die Betroffenen keine Zeugen oder andere Beweismittel haben.[63]

[...]


[1] vgl. Europäische Kommission, Eurobarometer 57.0, 2003

[2] Wolff, AuA, 2005, S. 82

[3] Erwägungsgrund 3, RL/2000/43/EG; S. 1 Erwägungsgrund 4, RL/2000/78/EG; S. 1 Erwägungsgrund 2, RL/2002/73/EG, S. 1

[4] RL/2000/43/EG: Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft

[5] RL/2000/78/EG: Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf

[6] RL/2002/73/EG: Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf Arbeitsbedingungen

[7] Art. 1 RL/2000/43/EG, Art. 1 RL/2000/78/EG,

[8] Art. 13 Abs. 1 EGV

[9] Högenauer, 2002, S. 23

[10] Art. 141 Abs. 3 EGV

[11] s. Art. 3 Abs.1 der Richtlinien

[12] Weber, AuR, 2002, S. 401

[13] Art 3 Abs.1 der RL/2000/43/EG; RL/2000/78/EG; RL/2002/73/EG

[14] Mohr, 2004, S. 214

[15] Kummer, 2003, S. 5

[16] Duden, 2001, S. 232

[17] vgl. Brown, EuGH, Slg. 1998, I-4185; Kording, EuGH, Slg. 1997, I-5289; Boyle, EuGH, Slg. 1998, I-6401

[18] Ausführlich bei Plötscher, 2003, S. 26 ff.

[19] Lingscheid, 2004, S. 49

[20] Art. 2 Abs. 2 a, RL/2000/43/EG; RL/2000/78/EG: RL/2002/73/EG

[21] Anm. der Verf.: RL/2002/73/EG ist die überarbeitete Version der Richtlinie 76/207/EWG

[22] Art. 2 Abs. 2b, RL/2000/43/EG; RL/2000/78/EG; RL/2002/73/EG

[23] Krüger, EuGH, Slg. 1999, vgl. Högenauer, 2002, S. 95 f.

[24] Högenauer, 2002, S. 95

[25] Art. 2 Abs. 2 (vierter Spiegelstrich) RL/2002/73/EG

[26] Art. 2 Abs. 3 RL/2000/43/EG; RL/2000/78/EG; RL/2002/73/EG

[27] vgl. Lingscheid, 2004, S. 61 ff.; Hadeler, NZA, 2003, S. 77 ff.; Meyer, 2002, S. 65; Nickel, NJW, 2001, S. 2670; Schmidt, 2001, S. 190 Rn. 165

[28] Thüsing, ZfA, 2001, S. 412

[29] Kummer, 2003, S. 19

[30] vgl. Art. 2 Abs. 4 der RL/2000/43/EG, RL/2000/78/EG, RL/2002/73/EG

[31] Lingscheid, 2004, S. 61

[32] Kummer, 2003, S. 31

[33] vgl. Art. 5 RL/2000/43/EG; Art. 7 2000/78/EG; Art. 2 Abs. 8 RL/2002/78/EG

[34] vgl. EuGH, Kalanke, Slg. 1995, I-3051

[35] vgl. EuGH, Marshall, Slg. 1995, I-6363

[36] KOM (1999) 565 endg. S. 12 f.

[37] vgl. Art.4 RL/2000/43/EG; Art. 4 RL/2000/78/EG; Art.2 Abs. 6 RL/2002/78/EG

[38] Schmidt, 2001, S. 190 Rn. 166

[39] Lingscheid, 2004, S. 92

[40] Erwägungsgrund (18) RL/2000/43/EG; Erwägungsgrund (23) RL/2000/78/EG; Erwägungsgrund (11) RL/2002/73/EG

[41] Coen, AuR, 2000, S. 11

[42] vgl. Thüsing, JZ, 2006, S. 227

[43] BAG 10.10.2000 BAGE 103, 111

[44] Wank, NZA, 2004, S. 23

[45] Art. 6 Abs. 1 RL/2000/78/EG

[46] vgl. Lüderitz, 2005, S. 77

[47] vgl. Thüsing, NZA, 2001, S. 1063; Thüsing, ZfA, 2001, S. 408

[48] Rasse, ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, sexuelle Ausrichtung, Religion, Weltanschauung, Geschlecht

[49] Art. 15 RL/2000/43/EG; Art. 17 RL/2000/78/EG; Art. 8 d, RL/2002/73/EG

[50] Art. 15 RL/2000/43/EG; Art. 17 RL/2000/78/EG; Art. 8 d, RL/2002/73/EG

[51] Art. 16 RL/2000/43/EG; Art. 18 RL/2000/78/EG; Art.8 d RL/2002/73/EG

[52] Art. 15 RL/2000/43/EG; Art. 17 RL/2000/78/EG; Art.8 d RL/2002/73/EG

[53] Schiek, NZA, 2004, S. 880

[54] Umsetzung der RL 76/207/EWG in deutsches Recht

[55] Art. 15 RL/2000/43/EG; Art. 17 RL/2000/78/EG; Art. 8 d RL/2002/73/EG

[56] Benecke/Kern, EuZW, 2005, S. 362

[57] Armbrüster, ZRP, 2005, S. 43

[58] Art. 7 Abs.1 RL/2000/43/EG; Art. 9 Abs.1 RL/2000/78/EG; Art. 6 Abs.1 RL/2002/73/EG

[59] Art. 7 Abs. 2 RL/2000/43/EG; Art. 9 Abs. 2 RL/2000/78/EG; Art. 6 Abs. 3 RL/2002/73/EG

[60] vgl. Bauer, NJW, 2001, S. 2675

[61] vgl. Lingscheid, 2004, S. 98

[62] Art. 8 RL/2000/43/EG; Art. 10 RL/2000/78/EG

[63] Nickel, NJW, 2001, S. 2671

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Title
Die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien durch das Antidiskriminierungsgesetz in nationales Recht
College
University of Bamberg
Grade
1,7
Author
Year
2006
Pages
77
Catalog Number
V77735
ISBN (eBook)
9783638821001
File size
545 KB
Language
German
Keywords
Umsetzung, Antidiskriminierungsrichtlinien, Antidiskriminierungsgesetz, Recht, Auswirkungen, Arbeitsrecht, Praxis
Quote paper
Anja Schrade (Author), 2006, Die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien durch das Antidiskriminierungsgesetz in nationales Recht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77735

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