Se non é vero, é bon pintado - Zur Instrumentalisierung der Illusionsmalerei im römischen Barock


Seminararbeit, 2007

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Forschungsstand

3. Il Gesù
a. Bau
b. Beschreibung
c. Interpretation

4. San’ Ignazio
a. Bau
b. Beschreibung.
c. Interpretation.

5. Vision und Realität – Illusionsmalerei als Bedeutungsträger.

6. Schlusswort – Die Instrumentalisierung der Illusionsmalerei

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildung 1: Fiktiver Aufriss des ‚Himmelstunnels’ in Il Gesù.

Abbildung 2: Projektion planer Entwürfe auf gekrümmte Bildflächen

Abbildung 3: Erstellung einer perspektivisch korrekten Scheinarchitektur in der Vertikalen

1. Einleitung

Im italienischen Seicento – dem späten 17. Jahrhundert – wird in Rom im Auftrag der Kirche eine Kunstgattung neu erfunden, die – obgleich bereits seit der Antike bekannt – in dieser neuen Form ihresgleichen sucht. Der Illusionismus, der bislang stets als Spielerei mit Raumwahrnehmung, mathematischer Perspektivkonstruktion und technischen Fähigkeiten ein Schattendasein fristete, wird plötzlich zum Hauptelement des Bilderschmuckes in mehreren Kirchen, nicht nur in Rom, sondern auch in Wien – um nur ein Beispiel zu nennen. Diese Arbeit will sich mit den Hintergründen und Absichten dieser Zuwendung zum Illusionismus auseinandersetzen. Anhand zweier Beispiele – der Kirchen San’ Ignazio und Il Gesù – soll aufgezeigt werden, inwiefern sich diese ‚neuen’ Typen des Bilderschmuckes von der traditionellen Malweise innerhalb eines Kirchenraumes unterscheiden. Die Kernfrage erscheint dabei fast zu einfach: Warum setzte man Illusionsmalerei in diesen beiden Kirchenräumen ein? Wieso wollte man – musste man – die Fertigkeiten der beteiligten Künstler bis zur perfekten optischen Täuschung ausreizen? Handelte es sich nur darum, durch besondere Kunstfertigkeit aufzufallen, oder war es nicht vielmehr so, dass man besondere Bildinhalte vermitteln wollte, die man mit Hilfe der Illusionsmalerei besser verdeutlichen konnte? Hierbei wird auch die Rolle des Auftraggebers dieser beiden Kirchen zu betrachten sein: Die Societas Iesu, der Jesuitenorden. Die beiden Jesuitenkirchen gehörten zu den wichtigsten Gotteshäusern des Ordens, nicht nur in Rom, sondern überhaupt. Im zweiten Themenkomplex soll dargestellt werden, inwieweit sich die Ansprüche und Ziele der Jesuiten mit der Anwendung und Perfektionierung der Illusionsmalerei gegenseitig beeinflussen. In Il Gesù und San’ Ignazio – soviel sei schon gesagt – haben sich inhaltliche Absichten und illusionistische Malweise in einer Art miteinander verbunden, die an sich singulär, ja: revolutionär, ist. Wie genau dies von Statten ging, soll im Folgenden gezeigt werden.

2. Forschungsstand

Die Literatur zur barocken italienischen, vor allem zur römischen Illusionsmalerei ist uferlos. Insbesondere zu Person und Schaffen Andrea Pozzos gibt es eine umfangreiche Forschungsliteratur, die hier nicht ausführlich aufgeführt werden kann. Bernhard Kerber (1971), einer der großen Pozzo-Kenner hat seiner Monographie über den Künstler eine umfangreiche Bibliographie bis zum Jahre 1970 beigefügt.

Gerade aber in den letzten 30 Jahren sind Fortschritte in der Betrachtung von und dem Denken über Pozzos Werk gemacht worden. Neben den mittlerweile zu Standardwerken gewordenen Abhandlungen von Peter Wilberg-Vignau (1966 und 1970) und Wolfgang Schöne (1961), sind es vor allem Martin Kemp (1987) und Bernd Lindemann (1994), die der Forschung neue Impulse gegeben haben. Auch sie beschränken sich letztendlich jedoch leider darauf, die Ausstattung von San’ Ignazio und Il Gesù unter einem weitgehend technischen Standpunkt zu betrachten: Die Analyse von Kemp betrifft nur das Langhausfresko von San’ Ignazio, während Lindemanns Untersuchung der Deckenmalerei in Il Gesù bedauerlicherweise zu kurz greift. Kemp und Burda-Stengel (2001) gehen besonders auf den „bewegten Betrachter“ im Werk von Pozzo ein, untersuchen perspektivischen Aufbau und das Problem eines eindeutig festzulegenden Betrachterstandpunktes in San’ Ignazio. Obwohl bereits Wilberg-Vignau (1966) feststellen konnte, dass Pozzo je nach Sujet verschiedene Darstellungsmethoden gewählt hat, ist es erst David Ganz (2003) zu verdanken, dass diese unterschiedlichen modi operandi auch in einem narrativen Kontext gewürdigt werden, indem sich Ganz nämlich nicht nur auf die Betrachtung des illusionistischen Langhausfreskos beschränkt, sondern seinen Blick auch auf die ‚traditionell’ gemalten Fresken des Chorabschlusses und der Kuppel richtet und so erst die Illusionsmalerei als Bedeutungsträger einer neuen narrativen Ebene identifiziert.

Zu Il Gesù sind an erster Stelle die Standardwerke von Pecchiai (1952) und Enggass (1963) zu nennen, die den Bau in seiner Gesamtheit beschreiben. Auch der Aufsatz von Fagiolo (1980) sowie die Beiträge von Lindemann (1994) und Lavin (1980) sind wertvoll und bilden die Grundlage für die Beschäftigung mit diesem Bau. Die Forschung der letzten 30 Jahre beschäftigt sich jedoch auch hier fast ausschließlich mit den illusionistischen Effekten des Freskos, nicht mit der narrativen, beziehungsweise der programmatischen Abischt. Auch hier bleibt es David Ganz (2003) vorbehalten, grundsätzlich neue Impulse zu geben und die Interpretation der Deckenmalerei um eine neue Ebene zu bereichern.

3. Il Gesú

a. Bau

Die Kirche Il Gesú – oder, besser: Il Santissimo Nome di Gesú – nimmt innerhalb der an Sakralbauten so reichen Stadt Rom einen besonderen Platz ein. In unmittelbarer Nähe des Kapitols und unweit von S. Andrea delle Valle entfernt gelegen, handelt es sich bei Il Gesù sowohl um die Haupt- und Mutterkirche des Jesuitenordens, als auch um die Grabstätte des Ordensgründers, des Heiligen Ignatius von Loyola. Sie ist keinem Titularheiligen geweiht, sondern dem Namen Jesu, dessen Monogramm auch im Wappen des Ordens zu finden ist.[1] Gestiftet von Kardinal Alessandro Farnese – dem bedeutendsten Kunstmäzen und Sammler des 16. Jahrhunderts – und erbaut zwischen 1568 und 1584 war Il Gesú der erste größere Kirchenbau in Rom seit dem bekannten Sacco di Roma, der Eroberung und Verwüstung der Stadt durch kaiserliche Truppen im Jahr 1527. Die Kirche ist weiterhin auch in ihrer Bedeutung für die Kunstgeschichte von überragender Bedeutung. Die Muster, die bei ihrem Bau angewendet wurden, sollten sie zu einem Vorbild für den jesuitischen, ja den römisch-italienischen Barock machen.[2]

b. Beschreibung

Die opulente Dekoration des heutigen Kirchenraumes schuf Giovanni Battista Gaulli – genannt Baciccia – von 1672 bis 1685.[3] Prunkstück der Dekoration ist zweifellos das Langhausfresko, das als Thema die Anbetung des Heiligen Namen Jesu hat. Scheinbar von einem prächtig ausgeschmückten Rahmen umgeben, besteht das Fresko aus mehreren Figurengruppen, die sich teils noch außerhalb der eigentlichen Darstellung befinden. Im Zentrum und etwas undeutlich schwebt das goldene Christus-Monogramm, das gleichzeitig auch das Wappen des Jesuitenordens darstellt. Halbkreisförmig angeordnet sieht man unterhalb des Monogramms mehrere Figurengruppen: Unmittelbar unter dem Namen Jesu die Heiligen Helena und Katharina, links daneben die Heiligen Drei Könige mit ihren Gaben, sowie Ludwig IX. der Heilige, König von Frankreich.[4] Ihnen gegenüber befinden sich der Zenturio Longinus, der zum Namen Jesu aufschaut und der Stifter der Kirche, Alessandro Farnese.[5] Am unteren Ende runden zu Boden stürzende Gestalten die Darstellung ab: Es handelt sich um gefallene Engel, sowie Personifikationen der Laster: Vanitas, Avaritia, Simonia und Haeresia. Zwei Putten breiten oberhalb des Freskos eine Schriftrolle aus, deren Inschrift ein Zitat aus den Apostelbriefen ist: „ Ut in nomine Iesu omne genu flectatur coelestium, terrestrium et infernorum.“[6]

Das Fresko täuscht eine Öffnung im Kirchenraum vor, die dadurch noch unterstützt wird, dass die Figuren seitlich über den Rahmen hinausragen. Bei diesem Rahmen handelt es sich um Stuckdekorationen, die zeitgleich mit dem Fresko eingefügt wurden. Dort, wo die Figurengruppen plastischer wirken, aus dem Fresko hinausgreifen sollten, wurden die Stuckaturen einplaniert und die Figuren freskiert. Die Schatten, die den Figuren eine verblüffend plastische Erscheinung verleihen, sind auf reale Stuckaturen gemalt.

c. Interpretation

Bei dem Programm handelt es sich um eine künstlerische Auslegung des Wirkens Jesu –und mit ihm des Jesuitenordens. Erschaffen ex novo ist es sowohl freie Interpretation des oben erwähnten Paulus-Zitates, als auch die Darstellung dessen, auf das die Jesuiten hinarbeiten: Die Unterwerfung der Menschen unter die Gnade Gottes. Beim Erscheinen des Namens Jesu – sprich: der Societas Iesu – sinken die Herrscher der Welt, die Häupter von Kirche und Staat, wie von Paulus gefordert auf die Knie, während die Laster vertrieben und in die Tiefe geschleudert werden. Im Kontext der Darstellung der Heiligen Drei Könige verwandelt sich das Christusmonogramm gar zum biblischen Stern von Bethlehem[7], der nun die Menschen zur Erlösung führt.

Die besondere Bedeutung des Programms, wie auch seiner Darstellung, ergibt sich erst, wenn man die grenzüberschreitenden Figuren als quasi-real betrachtet. Es ergibt sich ein theologischer Grundriss der Deckenmalerei, der in dieser Form geradezu revolutionär war. Durch den Einsatz der illusionistischen Malweise wird eine Öffnung in der Decke vorgetäuscht, die den Blick in eine himmlische Sphäre freigibt. Die Decke wird somit zu einem Mittler zwischen irdischer Realität und metaphysischer Illusion. Es gibt allerdings einige Irritationsmomente, die dem Eindruck einer schlichten Himmelsöffnung zu widersprechen scheinen. Um die Konturen der Darstellung herum verläuft ein aufwendig verzierter Rahmen aus Stuckaturen, der von mehreren Engelsfiguren scheinbar mühelos getragen wird und den Eindruck eines regelrechten Gemäldes erweckt, welches von eben diesen Engeln absolut bewusst an gerade diese Stelle in gerade diesem Kirchenraum hochgehalten wird. Durch die plastischen Stuckskulpturen und die den Rahmen sprengende Figurenmalerei, die in den Innenraum der Kirche einzudringen scheinen, entsteht für den Betrachter ein Gefühl der Interaktion: Er ist hier nicht nur einfacher Betrachter, der ein Bildprogramm nachzuvollziehen sucht, sondern wird Teil des Programms. Durch das Fresko, das in seiner fiktiven, vertikalen Ausdehnung hier als ‚Himmelstunnel’ bezeichnet werden muss, gelangt der Betrachter von seiner irdischen Ebene erst zum Interaktionspunkt. Dort muss er sich – in Gedanken – dem Gericht Gottes stellen und entweder zusammen mit den Lastern wieder zur Erde stürzen, oder aber kann in die göttliche Gnade aufgenommen werden: Durch den metaphysisch präsenten Tunnel[8] gelangt der Gläubige also zur Erleuchtung – im Bild präsent als ein unkörperliches Symbol: der Name Jesu.

Von besonderer Bedeutung sind dabei einige spezifische Irritationsmomente, die die metaphysische Brisanz des Freskos auf den ersten Blick abzumildern scheinen: Vom Gesims der Kirchenwände steigen drei Doppelgurte auf, die auf das Fresko zustreben und es zum Teil umlaufen – also den Eindruck verstärkten, die Öffnung im Kirchenraum wäre real und beabsichtigt, durch scheinbar triviale Zierelemente in die eigentliche Konstruktion eingepasst. Der Eindruck einer perfekten, optischen Täuschung, der sich auf den ersten Blick beim Betrachter einstellt, wird durch den ‚eigentlichen’ Rahmen konterkariert: Die Zierleiste, die sich an die Konturen des Freskos anschmiegt. An den Rändern dieser Leiste stellen die frei schwebenden Engelsfiguren ein zusätzliches Problem dar: Sie verstärken die Illusion eines schwebenden Gemäldes, dass in der Mitte des Kirchenraumes in Position gebracht wurde.[9]

Diese wechselnden Eindrücke sind durchaus bewusst eingeplant: Sie sind nicht nur illusionistische Spielerei, dazu gedacht, den Betrachter zu verwirren und zu beeindrucken, vielmehr handelt es sich dabei um ein zentrales Element des Bildsinnes, welches faktisch die verschiedenen Stufen der Inhaltserschließung darstellt: Die besagten Irritationsmomente führen nicht zu mehreren, gleichermaßen berechtigten, unterschiedlichen Interpretationen, sondern zu einer einzigen, die erst offenbar wird, wenn man alle Elemente des Freskos berücksichtigt. Dazu sollen hier folgende Abstufungen der Interpretation postuliert werden:

[...]


[1] IHS – die drei griechischen Anfangsbuchstaben von Iēsou.

[2] Alleine die Fassade ist quasi ein Urtyp der barocken Kirche, vergleicht man sie etwa mit der Anfang des 17. Jahrhunderts – also gute hundert Jahre später – erbauten Kirche S. Andrea delle Valle oder auch der Chiesa Nuova. Hieran zeigt sich auch, dass die ‚jesuitische’ Bauweise auch außerhalb des Ordens Anhänger fand: S. Andrea gehörte den Theatinern an, die Chiesa Nuova den Oratoriern.

[3] Da nicht relevant für das behandelte Thema, soll an dieser Stelle – ebenso wie für S. Ignazio – nicht näher auf Baugeschichte und Architektur eingegangen werden. Die Entwicklung der Bildprogramme, d.h. ursprünglich divergierende Vorschläge oder Ausführungen, werden nur soweit behandelt, als dass sie dem Verständnis des heutigen Erscheinungsbildes dienen. Zur Geschichte der Innenausstattung von Il Gesú vgl. z.B. Kummer, Stuckdekoration, S. 186ff.

[4] Für eine genauere Identifizierung der restlichen Figuren, vgl. Ganz, Bilderbauten, S. 319.

[5] Dass Farnese so zentral auftaucht, mag nicht nur seiner Rolle als Stifter zu verdanken sein, sondern auch dem Umstand, dass er ursprünglich geplant hatte, Il Gesú als seine eigene Grabstelle herzurichten.

[6] Paulus, Brief an die Philister, 2, 10: „[…] dass im Angesicht des Namens Jesu alle niederknien, im Himmel, auf der Erde und in der Hölle.“

[7] Ganz, Bilderbauten, S. 320.

[8] Vgl. Abb. 1.

[9] Vgl. Ganz (Bilderbauten, S. 321f), der das mangelnde Eingehen der Forschung der vergangene Jahrzehnten auf eben dieses Problem hervorhebt.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Se non é vero, é bon pintado - Zur Instrumentalisierung der Illusionsmalerei im römischen Barock
Hochschule
Universität Trier  (Fachbereich III)
Veranstaltung
Die Erfindung des Raumes in der Malerei
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V78108
ISBN (eBook)
9783638829823
ISBN (Buch)
9783638832052
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Untersuchung des Einsatzes von Illusionsmalerei zur Ausstattung römischer Barockkirchen im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Besonderer Fokus auf die Kirchen "Il Gesù" und "S. Ignazio" in Rom, sowie auf den Maler und Jesuiten Andrea Pozzo.
Schlagworte
Instrumentalisierung, Illusionsmalerei, Barock, Erfindung, Raumes, Malerei
Arbeit zitieren
Christian Rollinger (Autor:in), 2007, Se non é vero, é bon pintado - Zur Instrumentalisierung der Illusionsmalerei im römischen Barock, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78108

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