Auf die Frage „Was ist ein Diskurs und was wollen uns die Dichter und Denker sagen?“ kann mit vorliegender Arbeit nicht geantwortet werden. Meine Frage lautet „Wie macht sich das Sagen zwischen Aussagen des geisteswissenschaftlichen Diskurses und metaphorischen Konstellationen der Poesie bemerkbar?“ Wie läßt es sich kulturwissenschaftlich denken und analysieren? Eines der wichtigsten Eingeständnisse der modernen Geisteswissenschaften ist, daß epistemologische Zentren wie ein kognitives Selbst, zu vervollkommnende Erfahrung und das Suchen nach letzten Wahrheiten an Bedeutung verlieren. Ein literatur- und diskurstheoretisch reformuliertes Interesse am Text will also nicht Interpretieren und Dekonstruieren. (Vgl. Silverman 1994, 246 und 256.) Vielmehr will ein solches Interesse abendländische Denktraditionen perforieren, indem es diskursive Zentren zum einen identifiziert und zum anderen Formationen ähnlicher Aussagen ihrer Struktur nach differenziert und analysiert. Hierbei erweist sich der topologische Diskurs als sinnvolles epistemologisches Werkzeug, das der Gefahr einer begrifflichen Beliebigkeit bzw. interpretativer Willkür vorbeugt.
Die Kapitel sind historisch geordnet nach Autoren der Sprach-, Kultur- und Literaturphilosophie des zwanzigsten Jahrhunderts. (Saussure, Wittgenstein, Heidegger, Derrida, Foucault, Deleuze, Serres, Eco, Bachelard, Blanchot, Jabès, Baudrillard). Eine zentrale Aussage der verbalinspirierten Existenzphilosophie Heideggers lieferte hierzu die Initiation. So unmöglich es ist, das Sein des Selben zu identifizieren, offenbaren sich dennoch erkennbare Strukturen der Wiederholung im diskursiven Sprechen der Sprache, d. h. im Sagen des Denkens an sich.
“Darum sagen die wesentlichen Denker stets das Selbe. Das heißt aber nicht: das Gleiche. Freilich sagen sie dies nur dem, der sich darauf einläßt, ihnen nachzudenken. […] In das Gleiche flüchten ist ungefährlich. Sich in die Zwietracht wagen, um das Selbe zu sagen, ist die Gefahr.” (Heidegger 1981, 53.)
Topologische Begriffe wie Ort, relative Lage, Rand, Dimension, Faltung und Mannigfaltigkeit sowie Hier und Anderswo bilden die terminologische Grundlage meiner Analyse. Die danach zu befragenden Begriffspaare sind beispielsweise Aussage – Gedanke, das Selbe – das Andere, der Diskurs – das Diskursive und das Innen – das Außen.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Initiation
- Lagebericht über Moderne und Diskursivität
- a Saussures Außen der Schrift und die identische Differenz
- b Wittgensteins Orientierung im Netz
- c Heideggers Glaube an die rettende Gefahr des Selben
- d Derridas Geflecht der webenden Diskurse
- e Foucaults ordentliche Unterwerfung des Diskurses
- f Deleuze' denkende Mannigfaltigkeit des Rhizoms
- g Serres' Selbstorganisation der komplexen Archive
- h Ecos Labyrinthe ähnlicher Texte und Enzyklopädien
- i Bachelards poetischer Raum der Episteme
- j Blanchots verschwommener Tod des Autors
- k Jabès' endloses Buch der Wüstenschrift
- l Baudrillards medialer Rest im anderen Selben
- AnSchluß
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, wie sich das Sagen zwischen Aussagen des geisteswissenschaftlichen Diskurses und metaphorischen Konstellationen der Poesie bemerkbar macht. Sie untersucht, wie sich diese Diskurse kulturwissenschaftlich denken und analysieren lassen. Der Schwerpunkt liegt auf der Identifizierung von diskursiven Zentren und der Analyse der Strukturen ähnlicher Aussagen im 20. Jahrhundert.
- Die Rolle des Diskurses in der Moderne
- Die Struktur und Formation von Aussagen in verschiedenen Diskursen
- Die Analyse des "Selben" im Diskurs der Moderne
- Die Bedeutung des Topologischen Diskurses in der Geisteswissenschaft
- Die einflussreichen Denkrichtungen der Geisteswissenschaftlichen Moderne und Postmoderne
Zusammenfassung der Kapitel
Vorwort und Initiation
Die Einleitung erläutert die zentrale Fragestellung der Arbeit, die sich mit der Beziehung zwischen geisteswissenschaftlichem Diskurs und Poesie beschäftigt. Dabei wird betont, dass die Arbeit nicht nach einer Definition des Diskurses sucht, sondern sich auf die Analyse seiner Strukturen und Formationen konzentriert. Die Relevanz des topologischen Diskurses als Werkzeug zur Analyse wird hervorgehoben, und die historische Ordnung der Kapitel nach einflussreichen Denkern des 20. Jahrhunderts wird begründet.
Lagebericht über Moderne und Diskursivität
Dieses Kapitel untersucht die Entstehung und Bedeutung des Begriffs "Moderne" in der Literaturgeschichte, insbesondere in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Es analysiert die programmatische Prägung des Begriffs durch Eugen Wolff und Hermann Bahr, wobei der Schwerpunkt auf dem Konzept der "Sehnsucht" als modernem Ideal liegt. Der Einfluss der Antike und die Herausforderungen des modernen Lebens in Bezug auf Technologie und Kultur werden beleuchtet.
a Saussures Außen der Schrift und die identische Differenz
Dieses Kapitel befasst sich mit Ferdinand de Saussures Konzepten von Sprache und Schrift und analysiert, wie Saussure den Diskurs als ein System von Zeichen und Differenzen begreift. Dabei wird die Frage behandelt, wie das "Außen" der Schrift im Diskurs eine Rolle spielt und wie die identische Differenz als konstitutives Element des Diskurses fungiert.
b Wittgensteins Orientierung im Netz
Dieses Kapitel untersucht Ludwig Wittgensteins philosophische Ansätze und konzentriert sich auf seine Konzepte von Sprache, Bedeutung und Logik. Es analysiert, wie Wittgenstein den Diskurs als ein komplexes Netzwerk von sprachlichen Regeln und Bedeutungsstrukturen begreift. Dabei wird die Rolle der Orientierung im Netz des Diskurses hervorgehoben.
c Heideggers Glaube an die rettende Gefahr des Selben
Dieses Kapitel analysiert Martin Heideggers philosophische Konzepte des Seins, der Sprache und der Wiederholung. Es untersucht Heideggers These, dass das "Selbe" im Diskurs immer wieder neu gesagt wird und dass diese Wiederholung eine rettende Gefahr darstellt. Die Rolle des Denkens und Sprechens im Verhältnis zum Sein und zur Sprache wird im Kontext von Heideggers Analyse des "Selben" diskutiert.
d Derridas Geflecht der webenden Diskurse
Dieses Kapitel behandelt Jacques Derridas Dekonstruktionsphilosophie und analysiert, wie Derrida den Diskurs als ein Geflecht von verschiedenen Texten und Bedeutungen betrachtet. Derrida betont, dass der Diskurs niemals vollständig kontrolliert oder definiert werden kann, sondern immer schon eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Texten und Kontexten herstellt.
e Foucaults ordentliche Unterwerfung des Diskurses
Dieses Kapitel analysiert Michel Foucaults Konzepte von Macht, Diskurs und Wissen. Es untersucht, wie Foucault den Diskurs als ein Werkzeug der Macht betrachtet, das bestimmte Formen des Wissens und Verhaltens vorschreibt und reguliert. Die ordentliche Unterwerfung des Diskurses und die Rolle der Machtstrukturen im Diskurs werden in diesem Kapitel analysiert.
f Deleuze' denkende Mannigfaltigkeit des Rhizoms
Dieses Kapitel befasst sich mit Gilles Deleuzes Konzepten von Differenz, Rhizom und Mannigfaltigkeit. Es untersucht, wie Deleuze den Diskurs als ein komplexes und dynamisches Netzwerk von Begriffen, Ideen und Beziehungen versteht, das nicht hierarchisch strukturiert ist. Das Rhizom als Metapher für die offene und unkontrollierte Struktur des Diskurses wird analysiert.
g Serres' Selbstorganisation der komplexen Archive
Dieses Kapitel untersucht Michel Serres' Theorie der Kommunikation und der "Archive". Es analysiert, wie Serres den Diskurs als ein komplexes und dynamisches Netzwerk von Texten und Zeichen betrachtet, das durch Selbstorganisation und komplexe Beziehungen entsteht. Die Rolle des Archives als Quelle und Generator von Diskursen wird in diesem Kapitel untersucht.
h Ecos Labyrinthe ähnlicher Texte und Enzyklopädien
Dieses Kapitel analysiert Umberto Ecos Konzepte von Text, Interpretation und Enzyklopädie. Es untersucht, wie Eco den Diskurs als ein Labyrinth von ähnlichen Texten und Bedeutungen versteht, in dem Interpretation eine zentrale Rolle spielt. Die Frage nach der Beziehung zwischen Text und Wirklichkeit und der Bedeutung von Enzyklopädien im Diskurs wird in diesem Kapitel behandelt.
i Bachelards poetischer Raum der Episteme
Dieses Kapitel befasst sich mit Gaston Bachelards Theorie der Wissenschaft und des poetischen Denkens. Es untersucht, wie Bachelard den Diskurs als ein komplexes und dynamisches Netzwerk von Wissen und Sprache betrachtet, in dem Poesie eine wichtige Rolle für die Entstehung von Erkenntnis spielt. Der poetische Raum der Episteme und die Verbindung zwischen Poesie und Wissenschaft im Diskurs werden in diesem Kapitel analysiert.
j Blanchots verschwommener Tod des Autors
Dieses Kapitel analysiert Maurice Blanchots Konzepte von Autor, Text und Tod. Es untersucht, wie Blanchot den Diskurs als eine unscharfe und unbestimmte Zone betrachtet, in der die Grenzen zwischen Autor und Text verschwimmen. Der "Tod des Autors" als Konzept und seine Auswirkungen auf die Analyse des Diskurses werden in diesem Kapitel beleuchtet.
k Jabès' endloses Buch der Wüstenschrift
Dieses Kapitel befasst sich mit Edmond Jabès' Konzepten von Schrift, Sprache und Wüste. Es untersucht, wie Jabès den Diskurs als eine unendliche und unbegrenzte Form der Sprache betrachtet, die aus der Stille und der Leere der Wüste entsteht. Das "endlose Buch" als Metapher für den unvollständigen und offenen Charakter des Diskurses wird in diesem Kapitel analysiert.
l Baudrillards medialer Rest im anderen Selben
Dieses Kapitel analysiert Jean Baudrillards Konzepte von Simulation, Hyperrealität und Medien. Es untersucht, wie Baudrillard den Diskurs als ein System von medialen Signalen und Bildern betrachtet, das die Wirklichkeit simuliert und verfälscht. Der "mediale Rest" als Ausdruck der Fragmentierung und Entgrenzung des Diskurses im digitalen Zeitalter wird in diesem Kapitel behandelt.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Diskurs, Moderne, Geisteswissenschaft, Poesie, Kulturwissenschaft, Topologie, Aussage, Differenz, "Selbes", Wiederholung, Struktur, Formation, Sprache, Schrift, Autor, Text, Macht, Wissen, Netzwerk, Rhizom, Archive, Enzyklopädie, Episteme, Simulation, Hyperrealität, Medien.
- Arbeit zitieren
- Dr. des. Robert Dennhardt (Autor:in), 2003, Die Mannigfaltigkeit des Selben im Diskurs der Moderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79266