Agieren Kommunalvertretungen in der lokalen Politik als Verwaltungsorgane oder als Parlamente?

Das Beispiel Stuttgart


Term Paper (Advanced seminar), 2005

20 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die äußere Kommunalverfassung in der Bundesrepublik Deutschland

3. Die innere Kommunalverfassung in Baden-Württemberg

4. Die Gemeindevertretung: Verwaltungsorgan oder Parlament?
4.1 Die Gemeindevertretung als Verwaltungsorgan
4.2 Die Gemeindevertretung als Parlament
4.3 Zwischenergebnis

5. Das Beispiel Stuttgart

6. Schluss

7. Literatur

1. Einleitung

Mit dem Argument, in Städten und Gemeinden gebe es keine christlich- oder sozialdemokratischen Bürgersteige, wurde lange Zeit grundsätzlich zwischen der Kommunal- und der „großen“ Bundespolitik unterschieden.[1] Diese Unterscheidung hatte auch zur Folge, dass die kommunalen Vertretungen nicht wie Bundestag und Landtage als Parlamente, sondern als Verwaltungsorgane betrachtet wurden. Diese Einordnung von Kommunalvertretungen erscheint insbesondere im Hinblick auf die Tatsache verwunderlich, dass alle deutschen Kommunalverfassungen der kommunalen Vertretungskörperschaft grundlegende politische und administrative Entscheidungen und damit weit mehr als bloße exekutive Aufgaben zuweisen. Der um diese Kategorisierung schon seit den 70er Jahren geführte normative Streit, der auch Gegenstand dieser Arbeit ist, erscheint auf den ersten Blick als rein akademische Fragestellung ohne erkennbare praktische Bedeutung. Doch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Gemeinden beispielsweise rund zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen tätigen und etwa achtzig Prozent aller Bundes- und Landesgesetze ausführen[2], ist es sinnvoll, die Entscheidungsstrukturen und Mechanismen sowie die entsprechenden Akteure auf kommunaler Ebene zu identifizieren und ihre Beziehungen unter einander zu analysieren. Dabei macht es einen Unterschied, ob die zumindest formal maßgebliche Institution Gemeindevertretung nach parlamentarischen Grundsätzen ähnlich den staatlichen Parlamenten funktioniert oder ob die Interaktionen zwischen Gemeindevertretung und Verwaltung ignoriert und Kommunalpolitik als etwas Einheitliches und Konfliktfreies betrachtet wird. Auch für die Analyse des Einflusses von Interessengruppen auf kommunaler Ebene ist es wesentlich, den politischen Charakter von Kommunalvertretungen zu erkennen. Darüber hinaus wirft die Analyse von Kommunalvertretungen ganz grundsätzliche Fragen zur ihrer Stellung im Verfassungs- und Verwaltungssystem der Bundesrepublik Deutschland auf.[3]

Im Folgenden werde ich zunächst die Stellung der Gemeinden im deutschen Verfassungssystem darstellen, um dann speziell auf die baden-württembergische Kommunalverfassung einzugehen. Daran schließt sich eine Gegenüberstellung der Argumente an, die für beziehungsweise gegen Kommunalvertretungen als Parlamente sprechen. In Punkt 5 werden diese Argumente dann am Beispiel Stuttgart empirisch geprüft und in den Schlussbemerkungen zusammengefasst und bewertet.

2. Die äußere Kommunalverfassung in der Bundesrepublik Deutschland

Die äußere Kommunalverfassung, das heißt, die vertikale Stellung der Kommunen im bundesdeutschen Verfassungssystem, weist im Gegensatz zur Verfassungs- und Gesetzeswelt vor 1945 erhebliche rechtliche Veränderungen auf[4]. Die maßgebliche Verfassungsnorm ist Art. 28 GG, der bereits durch seine Stellung im Grundgesetz, nämlich in Abschnitt II. „Der Bund und die Länder“ die Gemeinden klar dem öffentlichen Bereich zuordnet[5]. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil sich noch in der Weimarer Verfassung der für die vertikale Stellung der Gemeinden maßgebliche Art. 127 WV im Abschnitt „Gemeinschaftsleben“ befand, unter dem auch das Ehe- und Vereinsleben geregelt wurde, Gemeinden also offenbar eher der privaten als der öffentlichen Sphäre zugerechnet wurden[6].

Die Gemeinden nehmen im Staat eine Doppelstellung ein. Einerseits fungieren sie als untere Verwaltungsebene im Staat und andererseits sind sie demokratisch strukturierte Körperschaften mit eigener politischer Willensbildung. Die staatsrechtlich herrschende Meinung, die auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geteilt wird, betrachtet die Bundesrepublik Deutschland dennoch als zweistufigen Bundesstaat, in dem zwar dem Gesamtstaat und den Gliedstaaten Staatscharakter zukommt, nicht aber den Gemeinden.[7] Sie gelten staatsrechtlich also nicht als dritte Ebene, sondern werden der Länderexekutive zugerechnet. Allerdings ist dies ist im Grundgesetz nirgends eindeutig geregelt. Lediglich ein Hinweis auf diese Sichtweise findet sich in Art. 106 IX GG.[8] Die Regelung der inneren Kommunalverfassungen ist Sache der Länder und obliegt den Landtagen.

Im Außenverhältnis gibt es allerdings keinen qualitativen Unterschied zwischen Staats- (also: Bundes- und Landesverwaltung) und Kommunalverwaltung. Es gilt uneingeschränkt das gleiche Allgemeine Verwaltungsrecht und gleichermaßen das jeweilige Landesverwaltungsverfahrensgesetz sowohl für die Landes- als auch die Kommunalverwaltung.[9] Gemeinden bilden so de facto die dritte Verwaltungsebene neben Bund und Ländern im Staat, werden juristisch aber nicht als solche betrachtet.

Art. 28 GG enthält in seinem ersten Absatz die so genannte Homogenitätsklausel, die die Übereinstimmung der demokratischen Grundsätze auf allen Ebenen des Staates vorschreibt. Besonders wichtig ist Art. 28 II 2 GG. Dieser enthält die Garantie des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen. Danach haben die Gemeinden das Recht „(…) alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Für die „örtlichen Angelegenheiten“ besteht also eine umfassende Regelungs- und Entscheidungskompetenz für die Gemeinden, wobei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die Begrenzung kommunaler Selbstverwaltung nicht gegenständlich, sondern räumlich getroffen wird[10], was die umfassende Zuständigkeit der Gemeinden weiter unterstreicht.

3. Die innere Kommunalverfassung Baden – Württembergs

Die innere Kommunalverfassung bezeichnet die Gesamtheit aller Regeln, die den inneren Aufbau der Gemeinde betreffen, also deren innere Organisation, die Arten und Aufgaben der verschiedenen Organe, deren Bildung und Zusammensetzung, ihr Verhältnis zu einander und ihre Zuständigkeit im kommunalpolitischen Entscheidungs- und Vollzugsverfahren[11].

Die aktuelle innere Kommunalverfassung ist festgelegt in der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg in der Fassung vom 24. Juli 2000 (GemOBW). Für die vorliegende Fragestellung spielen allerdings nur Wahl, Rechtsstellung, Zusammensetzung und Arbeitsweise des Gemeinderates und des Bürgermeisters eine Rolle.

Der Bürgermeister, der in größeren Städten die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister führt, ist alleiniger Gemeindevorsteher, dem auch die Beigeordneten unterstehen. Er ist nicht nur Chef der Verwaltung, sondern auch Vorsitzender des Gemeinderates und aller seiner Ausschüsse (§ 42 GemOBW). Er wird nach § 45 GemOBW nach Mehrheitswahlrecht für acht Jahre direkt vom Volk gewählt. Die direkte Legitimation, die relativ lange Amtszeit und fehlende Abwahlmöglichkeiten führen dazu, dass der Bürgermeister verhältnismäßig unabhängig von den lokalen Parteien und Wählergruppen agieren kann.

Die einzelnen Gemeindevertreter werden ebenfalls direkt durch das Volk gewählt. Es gelten die Grundsätze des Verhältniswahlrechts. Die Bürger sind jedoch nicht darauf beschränkt, starre, von den Parteien aufgestellte Listen anzukreuzen, sondern können einzelne Kandidaten aus diesen Listen streichen und andere mit bis zu drei Stimmen hervorheben (kumulieren). Außerdem hat jeder Wähler so viele Stimmen wie Mandatsträger gewählt werden sollen und kann somit auch Bewerber verschiedener Listen ankreuzen (panaschieren; § 26 II GemOBW). Die Wahlperiode der Gemeinderäte – in Städten Stadträte – beträgt 5 Jahre.[12] Sowohl für die Wahl des Bürgermeisters als auch für die Wahl der Gemeindevertreter gelten die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 28 I 2 GG. Die Gemeinderäte sind ehrenamtlich tätig und üben wie Abgeordnete aus Bundes- und Landesebene ein freies Mandat aus (§ 32 GemOBW). Immunität und Indemnität besitzen die Gemeinderäte nicht. Trotz der Ehrenamtlichkeit ihrer Tätigkeit erhalten die Gemeinderäte als Entschädigung Ersatz für Auslagen, Verdienstausfall sowie eine Aufwandsentschädigung (§ 19 GemOBW).

Der Gemeinderat als ganzes ist nach § 24 I GemOBW das Hauptorgan der Gemeinde und die Vertretung der Bürger. Er besteht aus dem Bürgermeister als Vorsitzendem und damit Mitglied, sowie aus den ehrenamtlichen Mitgliedern in nach Gemeindegröße gestaffelter Anzahl. Als Volksvertretung besitzt der Gemeinderat ein Selbstorganisationsrecht. Er bildet Ausschüsse, kann einen Ältestenrat einsetzen und regelt seine inneren Angelegenheiten durch seine Geschäftsordnung (§ 36 GemOBW). Der Gemeinderat handelt durch Beschlüsse in Sitzungen. Er kann jedoch Beschlusskompetenzen auf „beschließende Ausschüsse“ übertragen (§ 39 GemOBW) und sich damit entlasten. Darüber hinaus kann er aus seiner Mitte heraus beratende Ausschüsse bilden (§ 41 GemOBW), die Parlamentsausschüssen ähneln. Pflichtausschüsse sieht die Gemeindeordnung nicht vor, aber in anderen Gesetzen sind bestimmte Ausschüsse vorgeschrieben, wie etwas der Gemeindewahlausschuss oder der Gutachterausschuss. Diese Ausschüsse bestehen aus dem Vorsitzenden und weiteren Mitgliedern. Den Vorsitz führt der Bürgermeister oder ein von ihm beauftragter Beigeordneter. Der Gemeinderat ist für die Behandlung aller wichtigen Gemeindeangelegenheiten zuständig (§ 24 GemOBW). Ausgeschlossen ist die Zuständigkeit des Gemeinderates nur dort, wo der Bürgermeister gesetzlich zuständig ist. Dies trifft für die laufenden Verwaltungsangelegenheiten, bestimmte Weisungsaufgaben, für die Leitung der Verwaltung und die Außenvertretung der Gemeinde zu. Das Verfahren im Gemeinderat folgt mit einigen Vereinfachungen dem parlamentarischen Verfahrensrecht. Dem Bürgermeister obliegt die Vorbereitung der Gemeinderatssitzungen, was insbesondere bedeutet, dass er die Tagesordnung bestimmen kann. Allerdings haben auch die Gemeindevertreter unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Aufnahme bestimmter Tagesordnungspunkte zu verlangen (§ 34 I GemOBW). Dem Bürgermeister steht der Gemeinderat trotz der Vorsitzfunktion des Bürgermeisters als übergeordnetes und kontrollierendes Organ gegenüber. So legt der Gemeinderat die Grundsätze für die Verwaltung fest, überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Missständen in der Gemeindeverwaltung für deren Beseitigung durch den Bürgermeister (§ 24 GemOBW). Vor allem zur Wahrnehmung der Leit- und Kontrollfunktionen besitzt der Gemeinderat Informationsrechte, der mit Mehrheit über sie verfügt, also etwa Informationen anfordert. Während dieses Kontrollrecht durch die Mehrheit beispielsweise auf Bundesebene kaum genutzt wird, weil die Mehrheit in der Regel den von ihr gewählten Regierungschef stützt und daher eher abschirmt als kontrolliert, ist das in Baden-Württemberg wegen der starken Stellung und der Direktwahl des Bürgermeisters anders. Es existieren aber auch Kontrollrechte für Minderheiten, die insbesondere dann bedeutsam werden, wenn Bürgermeister und Mehrheit im Gemeinderat eng miteinander verbunden sind. Nach § 24 III GemOBW kann ein Viertel der Gemeinderäte in allen Angelegenheiten Unterrichtung durch den Bürgermeister sowie Akteneinsicht verlangen. Nach § 24 IV GemOBW kann außerdem jedes Gemeinderatsmitglied schriftliche oder mündliche Anfragen an den Bürgermeister richten, die innerhalb einer angemessenen Frist beantwortet werden müssen. Schließlich hat der Bürgermeister nach § 43 III GemOBW die Pflicht, den Gemeinderat von sich aus über alles Wichtige zu informieren. Das Satzungsrecht (§ 4 GemOBW) fällt zwingend in die Kompetenz des Gemeinderates, denn diese Befugnis kann nicht auf beschließende Ausschüsse übertragen werden. Der Erlass der Haushaltssatzung und damit auch des Haushaltsplanes ist nach §§ 79 ff. GemOBW eines der wichtigsten Rechte des Gemeinderates.[13]

[...]


[1] Schuster, Franz (1984): Vorwort, in Gabriel, Oscar W./Haungs, Peter/Zender, Matthias (Hrsg.) Opposition in Großstadtparlamenten, Forschungsbericht 42, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., S. 7.

[2] Holtmann, Everhard (1992): Politisierung der Kommunalpolitik und Wandlungen im lokalen Parteiensystem, Aus Politik und Zeitgeschichte B22-23, 1992, S. 13.

[3] Wollmann, Hellmut (1998): Kommunalvertretungen: Verwaltungsorgane oder Parlamente? In: Wollmann, Hellmut/Roth, Roland (Hrsg.): Kommunalpolitik, Leske+Budrich, Opladen, S. 50.

[4] Ebenda, S. 55.

[5] Ott, Yvonne (1994): Der Parlamentscharakter der Gemeindevertretung, Nomos, Baden-Baden, S. 79.

[6] Wollmann, 1998 (Anm. 3), S. 53.

[7] Katz, Alfred (1999): Staatsrecht, 14., neu bearbeitete Auflage, C.F. Müller Verlag, Heidelberg, S. 122.

[8] Püttner, Günter (1999): Kommunalrecht Baden-Württemberg, 2. neu bearbeitete Auflage, Boorberg, S. 19.

[9] Ebenda, S. 19.

[10] Zitiert nach, vgl.: Ott (Anm. 5), S. 79 f.

[11] Knemeyer, Franz-Ludwig (1999): Gemeindeverfassungen, in Wollmann, Hellmut/Roth, Roland (Hrsg.), Kommunalpolitik, Opladen, S. 104 (Fn 2).

[12] nach: Armin, Hans Herbert von (1997): Auf dem Weg zur optimalen Gemeindeverfassung?, in: Staat und Verwaltung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, S. 304.

[13] Seit der letzten Anmerkung sind die Ausführungen entnommen aus: Püttner (Anm. 8) S. 47-99.

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Details

Title
Agieren Kommunalvertretungen in der lokalen Politik als Verwaltungsorgane oder als Parlamente?
Subtitle
Das Beispiel Stuttgart
College
University of Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Course
Lokale Demokratie im Wandel
Grade
1,3
Author
Year
2005
Pages
20
Catalog Number
V80244
ISBN (eBook)
9783638870054
ISBN (Book)
9783638870108
File size
451 KB
Language
German
Keywords
Agieren, Kommunalvertretungen, Politik, Verwaltungsorgane, Parlamente, Lokale, Demokratie, Wandel
Quote paper
Martin Weber (Author), 2005, Agieren Kommunalvertretungen in der lokalen Politik als Verwaltungsorgane oder als Parlamente? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80244

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