Mit dem Argument, in Städten und Gemeinden gebe es keine christlich- oder sozialdemokratischen Bürgersteige, wurde lange Zeit grundsätzlich zwischen der Kommunal- und der „großen“ Bundespolitik unterschieden. Diese Unterscheidung hatte auch zur Folge, dass die kommunalen Vertretungen nicht wie Bundestag und Landtage als Parlamente, sondern als Verwaltungsorgane betrachtet wurden. Diese Einordnung von Kommunalvertretungen erscheint insbesondere im Hinblick auf die Tatsache verwunderlich, dass alle deutschen Kommunalverfassungen der kommunalen Vertretungskörperschaft grundlegende politische und administrative Entscheidungen und damit weit mehr als bloße exekutive Aufgaben zuweisen. Der um diese Kategorisierung schon seit den 70er Jahren geführte normative Streit, der auch Gegenstand dieser Arbeit ist, erscheint auf den ersten Blick als rein akademische Fragestellung ohne erkennbare praktische Bedeutung. Doch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Gemeinden beispielsweise rund zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen tätigen und etwa achtzig Prozent aller Bundes- und Landesgesetze ausführen , ist es sinnvoll, die Entscheidungsstrukturen und Mechanismen sowie die entsprechenden Akteure auf kommunaler Ebene zu identifizieren und ihre Beziehungen unter einander zu analysieren. Dabei macht es einen Unterschied, ob die zumindest formal maßgebliche Institution Gemeindevertretung nach parlamentarischen Grundsätzen ähnlich den staatlichen Parlamenten funktioniert oder ob die Interaktionen zwischen Gemeindevertretung und Verwaltung ignoriert und Kommunalpolitik als etwas Einheitliches und Konfliktfreies betrachtet wird. Auch für die Analyse des Einflusses von Interessengruppen auf kommunaler Ebene ist es wesentlich, den politischen Charakter von Kommunalvertretungen zu erkennen. Darüber hinaus wirft die Analyse von Kommunalvertretungen ganz grundsätzliche Fragen zur ihrer Stellung im Verfassungs- und Verwaltungssystem der Bundesrepublik Deutschland auf.
Im Folgenden werde ich zunächst die Stellung der Gemeinden im deutschen Verfassungssystem darstellen, um dann speziell auf die baden-württembergische Kommunalverfassung einzugehen. Daran schließt sich eine Gegenüberstellung der Argumente an, die für beziehungsweise gegen Kommunalvertretungen als Parlamente sprechen. In Punkt 5 werden diese Argumente dann am Beispiel Stuttgart empirisch geprüft und in den Schlussbemerkungen zusammengefasst und bewertet.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die äußere Kommunalverfassung in der Bundesrepublik Deutschland
- 3. Die innere Kommunalverfassung in Baden-Württemberg
- 4. Die Gemeindevertretung: Verwaltungsorgan oder Parlament?
- 4.1 Die Gemeindevertretung als Verwaltungsorgan
- 4.2 Die Gemeindevertretung als Parlament
- 4.3 Zwischenergebnis
- 5. Das Beispiel Stuttgart
- 6. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle von Kommunalvertretungen in der lokalen Politik. Sie beleuchtet die Frage, ob diese als Verwaltungsorgane oder Parlamente zu betrachten sind, und analysiert die Entscheidungsstrukturen und Mechanismen auf kommunaler Ebene. Ein besonderer Fokus liegt auf der empirischen Prüfung der Argumente am Beispiel Stuttgart.
- Die Stellung der Gemeinden im deutschen Verfassungssystem
- Die innere und äußere Kommunalverfassung
- Die Gemeindevertretung als Verwaltungsorgan vs. Parlament
- Analyse der Entscheidungsstrukturen auf kommunaler Ebene
- Empirische Untersuchung am Beispiel Stuttgart
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Rolle von Kommunalvertretungen – Verwaltungsorgan oder Parlament – in den Mittelpunkt. Sie hebt die Bedeutung der kommunalen Ebene für politische und administrative Entscheidungen hervor und begründet die Relevanz der Untersuchung im Kontext hoher öffentlicher Investitionen und der Umsetzung von Bundes- und Landesgesetzen. Die Arbeit kündigt den methodischen Aufbau an, der die Analyse der Kommunalverfassung auf Bundes- und Landesebene mit einer empirischen Untersuchung in Stuttgart verbindet. Die Unterscheidung zwischen Kommunal- und Bundespolitik wird kritisch hinterfragt, und es wird auf die Notwendigkeit der Analyse der Interaktionen zwischen Gemeindevertretung und Verwaltung hingewiesen.
2. Die äußere Kommunalverfassung in der Bundesrepublik Deutschland: Dieses Kapitel beschreibt die vertikale Stellung der Kommunen im bundesdeutschen Verfassungssystem. Es werden die rechtlichen Veränderungen im Vergleich zur Zeit vor 1945 dargestellt, wobei Art. 28 GG als zentrale Verfassungsnorm hervorgehoben wird. Die Doppelstellung der Gemeinden als untere Verwaltungsebene und demokratisch strukturierte Körperschaften wird erläutert. Die herrschende staatsrechtliche Meinung, die die Bundesrepublik als zweistufigen Bundesstaat betrachtet, wird dargelegt, wobei die Gemeinden der Länderexekutive zugerechnet werden. Das Kapitel beleuchtet die Homogenitätsklausel und die Garantie des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen gemäß Art. 28 II 2 GG.
3. Die innere Kommunalverfassung Baden – Württembergs: Das Kapitel fokussiert auf die innere Organisation der Gemeinden in Baden-Württemberg, wie sie in der Gemeindeordnung festgelegt ist. Es konzentriert sich auf die Wahl, Rechtsstellung, Zusammensetzung und Arbeitsweise des Gemeinderates und des Bürgermeisters. Die Rolle des Bürgermeisters als Gemeindevorsteher, Chef der Verwaltung und Vorsitzender des Gemeinderates wird detailliert beschrieben. Seine direkte Wahl, die lange Amtszeit und die fehlenden Abwahlmöglichkeiten werden im Hinblick auf seine Unabhängigkeit von lokalen Parteien und Wählergruppen diskutiert.
Schlüsselwörter
Kommunalverfassung, Gemeindevertretung, Verwaltungsorgan, Parlament, Baden-Württemberg, Stuttgart, Selbstverwaltungsrecht, Kommunalpolitik, Entscheidungsstrukturen, Bundesstaat.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Arbeit: Die Gemeindevertretung: Verwaltungsorgan oder Parlament?
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Rolle von Kommunalvertretungen in der lokalen Politik, insbesondere die Frage, ob diese als Verwaltungsorgane oder Parlamente zu betrachten sind. Die Arbeit analysiert Entscheidungsstrukturen und -mechanismen auf kommunaler Ebene und konzentriert sich dabei empirisch auf Stuttgart.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt die Stellung der Gemeinden im deutschen Verfassungssystem, die innere und äußere Kommunalverfassung, die Gemeindevertretung als Verwaltungsorgan versus Parlament, die Analyse der Entscheidungsstrukturen auf kommunaler Ebene und eine empirische Untersuchung am Beispiel Stuttgart. Sie betrachtet die rechtlichen Grundlagen, die Organisationsstrukturen und die tatsächliche Praxis in der Stadt Stuttgart.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, Kapitel zur äußeren und inneren Kommunalverfassung (Bundesebene und Baden-Württemberg), ein ausführliches Kapitel zur Gemeindevertretung (als Verwaltungsorgan und Parlament), ein Kapitel zum Beispiel Stuttgart und einen Schluss. Jedes Kapitel fasst seine wichtigsten Ergebnisse zusammen.
Was ist die zentrale Forschungsfrage?
Die zentrale Forschungsfrage lautet: Ist die Gemeindevertretung ein Verwaltungsorgan oder ein Parlament? Die Arbeit untersucht diese Frage unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der praktischen Umsetzung in Stuttgart.
Welche Rolle spielt Stuttgart in der Arbeit?
Stuttgart dient als Fallbeispiel für eine empirische Untersuchung der Forschungsfrage. Die Analyse der Entscheidungsstrukturen und der tatsächlichen Rolle der Gemeindevertretung in Stuttgart soll die theoretischen Überlegungen der Arbeit illustrieren und überprüfen.
Welche Rechtsgrundlagen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt Artikel 28 des Grundgesetzes (GG) als zentrale Verfassungsnorm für die kommunale Selbstverwaltung und die Gemeindeordnung Baden-Württembergs für die innere Organisation der Gemeinden in diesem Bundesland. Sie beleuchtet auch die rechtlichen Veränderungen im Vergleich zur Zeit vor 1945.
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit kombiniert die Analyse der rechtlichen Grundlagen der Kommunalverfassung auf Bundes- und Landesebene mit einer empirischen Untersuchung in Stuttgart. Der genaue methodische Ansatz wird in der Einleitung detailliert beschrieben.
Welche Schlussfolgerungen werden gezogen?
(Die konkreten Schlussfolgerungen sind im Text der Arbeit enthalten und können hier nicht vollständig wiedergegeben werden. Die Zusammenfassung der Kapitel bietet jedoch einen guten Überblick über die Ergebnisse der einzelnen Kapitel.)
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Kommunalverfassung, Gemeindevertretung, Verwaltungsorgan, Parlament, Baden-Württemberg, Stuttgart, Selbstverwaltungsrecht, Kommunalpolitik, Entscheidungsstrukturen, Bundesstaat.
- Quote paper
- Martin Weber (Author), 2005, Agieren Kommunalvertretungen in der lokalen Politik als Verwaltungsorgane oder als Parlamente? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80244