Wolframs von Eschenbach "Willehalm": Der doppelte Loys. Ein Vergleich der Königsgestalt mit der Vorlage "Bataille d' Aliscans"


Term Paper, 2004

45 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhalt

Einleitung

1. Die historischen Ereignisse und ihre Werkrelevanz für „Bataille d’Aliscans“ und „Willehalm“
1.1 Vorüberlegungen
1.2 Das Frankreich des 9. und 12. Jahrhunderts
1.3 Deutschland zur Zeit Wolframs von Eschenbach

2. Der doppelte Loys - Ein Vergleich der Königsdarstellungen in „Bataille d’Aliscans“ und „Willehalm“
2.1 Willehalms Weg an den Königshof
2.2 Die Munleun-Episode
2.2.1 Der Empfang Willehalms und die Auseinandersetzung mit Loys
2.2.2 Loys Hilfszusage an seinen Vasallen
2.2.3 Der zögerliche König und das Motiv der verletzten Ehre
2.2.4 Loys als Feldherr

3. Anpassung des „Willehalm“ an die deutschen Verhältnisse

Schluss

Synopse

Übersetzung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Willehalm Wolframs von Eschenbach stand lange Zeit im Schatten des Parzival, da er als „das sprödere, das weniger attraktive Werk“[1] galt. Die Vielschichtigkeit dieses Epos wurde erst in der jüngeren Forschung ausreichend gewürdigt und das Interesse am Willehalm stieg. Mittlerweile hat sich der Willehalm als Gegenstand wissenschaftlichen Forschens etabliert und verschiedenste Fragestellungen wurden an das Werk herangetragen.[2] Um so mehr verwundert, dass man „sich fast immer auf eine eingehende Untersuchung des deutschen Textes beschränkt [hat]“[3] und die französische Vorlage nur selten berücksichtigte. Diese einseitige Betrachtungsweise mag uns vielleicht erlauben, „uns selbst über die eigene Rezeption des Werkes klar zu werden“[4], lässt aber das Spannungsfeld, in dem der Willehalm zwischen den Ansprüchen der Zeitgenossen Wolframs und den Vorgaben der Vorlage oszilliert, außer Acht. Die einzige Arbeit, die näher auf den französischen Text eingeht stammt von Marly und setzt den Schwerpunkt auf die Analyse der Munleunszene, in der es zu dem zentralen Konflikt zwischen dem König und seinem Kronvasallen Willehalm kommt.

Ziel meiner Arbeit ist, an Hand der Gestaltung des Königs Loys ein Schlaglicht auf die Bearbeitungsmethode Wolframs zu werfen, indem ausgewählte Textstellen mit den korrespondierenden Passagen der Bataille d'Aliscans verglichen werden. Neben der Munleun-Episode werden auch, in diesem Zusammenhang, selten besprochene Passagen des zweiten Buches behandelt. Eine kommentierte Synopse und eine Übersetzung[5] sämtlicher Textstellen, die sich auf König Louis beziehen, sollen diese kritische Auseinandersetzung mit Wolframs Willehalm abrunden.

1 Die historischen Ereignisse und ihre Werkrelevanz für „Bataille d’Aliscans“ und „Willehalm“

1.1 Vorüberlegungen

Wolframs Willehalm basiert auf dem mittelfranzösischen Versepos Bataille d'Aliscans (im Folgenden als Aliscans zitiert), das um 1185[6] von einem unbekannten Autor verfasst wurde. Sowohl die Vorlage[7], als auch die deutsche Adaption spielen „im historisch-realen (oder doch zumindest als real gedachten) Raum der Heidenkämpfe der Karolingerzeit“.[8] Ort der Handlung ist das von Verfallserscheinungen und Thronstreitigkeiten geprägte Frankreich unter der Ägide Karls des Frommen zur Mitte des 9. Jahrhunderts. Beide Werke sind jedoch ungeachtet des gemeinsamen Sujets ihrer eigenen Geschichtlichkeit unterworfen und entstanden in einem unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontext, obwohl ihr zeitlicher Abstand nur ca. 30 Jahre beträgt. Der Willehalm ist also kein isoliertes, aus historischen Bezügen herausgelöstes Werk, sondern verwischt die Grenzen zwischen dem Frankreich des 9. Jhdts., in dem die Handlung spielt, dem Frankreich zum Ende des 12. Jahrhunderts, in dem Aliscans niedergeschrieben wurde und Wolframs Gegenwart. Gerade der interpretatorische Ansatz, der sich komparatistisch mit der Anlage der Königsgestalt und ihren Veränderungen beschäftigt, muss diese vielfältigen historischen Bezüge berücksichtigen. „Es geht [...] [aber] nicht darum, den dichterischen Niederschlag bestimmter historischer Ereignisse nachzuweisen“[9], sondern zeitimmanente Grunderfahrungen aus den Texten herauszudestillieren.[10]

1.2 Das Frankreich des 9. und 12. Jahrhunderts

Ludwig der Fromme, Vorlage für die Königsgestalten in Aliscans und Willehalm, konnte den Zerfall des Reiches seines Onkels Karls des Großen trotz guten Willens nicht aufhalten. Die „Dynamik der Teilungen“[11] brachte das einst so stolze Reich der Franken ins Straucheln und an den Rand eines Bürgerkrieges. In den Wirren der Diadochenkämpfe wurde Ludwig mehrmals von seinen Söhnen abgesetzt, schaffte aber den Weg zurück auf den Thron. „Die letzten zehn Jahre von Ludwigs Herrschaft sind eher glücklos“[12] und zeugen von der institutionellen Schwäche eines krisengebeutelten Königtums.

Nach einer erneuten Periode der Kraftlosigkeit unter König Ludwig VII.[13] erlebte die Monarchie unter Philipp II. Augustus einen rasanten Wiederaufstieg. Dennoch bleibt das

„Bild des moralisch und machtpolitisch versagenden Herrschers [...] bis auf minimale Korrekturen unbeeinflusst von dem Erstarken des historischen Königtums in Frankreich“.[14]

Das erbärmliche Königtum der älteren Wilhelmstradition ist zu einem festen Typus in der französischen Chanson de geste geronnen und hat sich, z.B. in der Gestalt des feigen Königs Louis erhalten.[15] Ab dem 12. Jhdt. wurden von deutschen Dichtern die Motive und Inhalte der französischen Chanson de geste übernommen und „die unwürdige Darstellung des Herrschers [drang] neuerdings in die deutsche Dichtung ein“.[16]

1.3 Deutschland zur Zeit Wolframs von Eschenbach

Der Beginn des 13. Jhdts. war eine Zeit weitreichender Umwälzungen in allen Lebensbereichen und markierte zugleich den Höhepunkt der höfischen Literatur. Der politische Zustand Deutschlands war um die Jahrhundertwende „äußerst verworren“[17] und undurchsichtig.[18] Nach dem Tod des Stauferkaisers Heinrich VI. im Jahre 1197 entbrannte zwischen Staufern und Welfen ein erbitterter Streit um die Thronnachfolge, der ein Jahrzehnt währte. 1198 wurden dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto IV. in einer Doppelwahl die Königswürde verliehen. Nach der Ermordung Philipps wird Otto IV. von Papst Innozenz III. zum Kaiser gekrönt. Als Otto IV. durch seine Machtpolitik die Gunst der Kirche verspielt, sandte der Papst den Staufer Friedrich II. als Gegenkönig nach Deutschland.

In dieser Zeit fortwährender Anarchie gelang es den Fürsten, allen voran Hermann von Thüringen, der Wolfram mit der französischen Chanson de geste Bataille d’Aliscans vertraut machte, aus wechselnden Allianzen ihren Nutzen zu ziehen. Da der König von einem kleinen elitären Kreis der Fürsten gewählt wurde, stand dieser

„Thronstreit[...]in enger Wechselbeziehung zu der Machtsteigerung der weltlichen und geistlichen Fürsten“.[19]

Eine mit der Beteiligung Hermanns von Thüringen angezettelte Verschwörung gegen Otto schlug fehl, was Hermann einen blutigen Rachefeldzug einbrachte.[20] Nach dem Tod Ottos im Jahr 1218 wurde Friedrich II. zum deutschen Kaiser gekrönt.

2. Der doppelte Loys - Ein Vergleich der Königsdarstellungen in

„Bataille d’Aliscans“ und „Willehalm“

2.1 Willehalms Weg an den Königshof

Der Name des Königs wird zum ersten mal von Gyburc erwähnt [W. 103, 13-15]. Nach der verheerenden Niederlage von Alischanz, bei der fast die gesamten Streitkräfte Willehalms

ums Leben gekommen sind, hielte Orange, ohne auswärtige Unterstützung einem erneuten Ansturm der Heiden nicht Stand. König Loys ist der Silberstreif am Horizont, und von seiner tatkräftigen Unterstützung scheinen die Geschicke Oranges abzuhängen. In der Rolle des potentiellen Retters ist Loys zunächst einmal positiv besetzt, wobei in Aliscans erste Zweifel Williams die großen Erwartungen Guibourcs trüben: Der Markgraf bezeichnet sich als “the cause of pain to all the French“ [AL. 1933], weil er in der Vergangenheit schon öfters die Hilfe der Franzosen in Anspruch genommen hat, weswegen er nicht mehr mit einer Hilfszusage rechnet “unless I go myself“ [AL. 1940]. Er belässt im Unklaren, inwieweit sein persönliches Erscheinen bei Hofe der argumentativen Unterfütterung seines Hilfsgesuchs dienen soll und die Vorbehalte der Fürstengemeinschaft ihm gegenüber auszuräumen vermag. Offensichtlich spielt William mit dem Gedanken, gezielt eine Drohkulisse aufzubauen, um sich militärischen Beistand notfalls zu erzwingen. Wolfram legt den Vorwurf, Willehalm habe die Gunst der Franzosen aus eigener Schuld verspielt, in der Munleunszene der Königin in den Mund, die behauptet

ez si min bruoder Willalm,

der manegen jæmerlichen galm

hat al den Franzeysen

gevrumt mit sinen reisen. [W. 129, 21-24]

Auf dem Weg nach Munleun wird Willehalm in der Stadt Orléans von einem Amtmann des Königs an der Durchreise gehindert und zu Zollzahlungen aufgefordert [W. 112, 22-27]. Nach seiner Weigerung, das Wegegeld zu entrichten und einem Verweis auf seine ritterliche Herkunft, kommt es zu einer blutigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Amtmann enthauptet wird und die Umherstehenden die Flucht ergreifen. In Aliscans hingegen richtet William im seinem furor heroicus ein Blutbad an [AL. 2146-2148]. Auch wenn Loys nicht unmittelbar an den Vorfällen beteiligt ist, so sind es doch seine Leute, die einen hilfsbedürftigen Ritter unwürdig behandeln und den König somit in ein schlechtes Licht rücken. Dennoch lässt Willehalm die Hoffnung nicht fahren und erfährt von seinem Bruder Ernalt, den er in einem Zweikampf gerade noch rechtzeitig erkennt, dass

von hiute an dem dritten tage

ein hof ze Munleun ist gelegt,

der al die Franzoyser wegt: [W. 121, 16-18]

In Aliscans richtet Ernalt noch zusätzliche affirmative Worte an seinen Bruder:

“Go there, my lord - this would be best, quite clearly;” [AL. 2268]

In der einschlägigen Forschungsliteratur wird diese Szene zu Gunsten einer ausführlichen Behandlung des Hoftages in Munleun oftmals außen vor gelassen. Ohne Zweifel steht die Munleunepisode nicht nur formal, als Spiegelachse der beiden großen Schlachten, im Mittelpunkt des Willehalm, sondern konstituiert auch den, für die Motivierung der weiteren Handlung zentralen Konflikt zwischen König und Vasall. Willehalms beschwerlicher Weg nach Munleun läuft zielgerichtet auf das bevorstehende Zerwürfnis zu und in Orléans zeigen sich bereits vor dem ersten Zusammentreffen tiefe Risse und Verwerfungen in dem Verhältnis von König und Vasall. Haug stellt die Frage

„in welcher Weise der Weg Willehalms an den Königshof auf ein Publikum wirken musste, dem das âventiure-Schema des Artusromans präsent war“.[21]

Die Vorfälle in Orléans lassen sich leicht in dieses theoretische, von Wolframs Zeitgenossen aber intuitiv verstehbare, Schema einbetten: Die Krise des Markgrafen nimmt zu, je näher er der höfischen Welt kommt und der „Hof und seine Gesellschaft sind nicht Ausgangspunkt und Zielpunkt, sondern sie stehen im Tiefpunkt des epischen Weges“.[22] Aus der Hofnähe erwachsen dem Helden zuvor nie geahnte Gefahren, denen er sich zusätzlich zu seinem erlittenen Leid stellen muss. Dennoch scheint das Vertrauen in das soziale Gefüge der familiären Bindungen nicht vollends verloren gegangen zu sein, wie der Zuspruch Ernalts beweist.

2.2 Die Munleun-Episode

2.2.1 Der Empfang Willehalms und die Auseinandersetzung mit Loys

Bei Willehalms Eintreffen in Munleun

„wird der Gegensatz zwischen der festlich gestimmten Hofgesellschaft und dem vom Krieg gezeichneten Markgrafen deutlich hervorgehoben“.[23]

Sein Erscheinen in abgerissenen Kleidern und „rostic harnasch“ [W. 128, 8] erregt das Misstrauen der Stadtbewohner, die den seltsamen Gast meiden. Auch das „lieht wapenlichiu wat“ [W. 128, 12] vermag die Spuren des letzten Kampfes nicht zu verbergen. Loys, dem die Ankunft Willehalms „niht behagete“ [W. 128, 2] verhält sich trotz seines Unwohlseins im Gegensatz zu Aliscans ruhig und besonnen und zeigt keine äußeren Anzeichen von Panik. In der französischen Vorlage bekreuzigt sich der König und verfällt in eine Angststarre [AL. 2312-2314]. Zu diesem Zeitpunkt ist die Identität des seltsamen Neuankömmlings noch völlig unbekannt. Für Reichel stellt das „äußere Nichterkennen Willehalms [...] nur ein Zeichen für die innere Blindheit der höfischen Gesellschaft“[24] dar. Das Erscheinen eines Ritters in verdreckter und verbeulter Kampfrüstung muss auf die „in sich zentrierte Hofgesellschaft“[25], und damit auch auf den König als herausragenden Teil der höfischen Gemeinschaft, verstörend wirken und einen Automatismus verschiedener Abwehrhaltungen hervorrufen. „Der Konflikt war zunächst von außen vorgezeichnet“[26], da die verzärtelte Welt des Hofes nicht gewillt ist, sich der harten Realität des Krieges zu stellen.[27] Der sich anschließende Handlungsverlauf wurde von Wolfram in entscheidenden Punkten verändert: In Aliscans befiehlt der verunsicherte Louis seinem Diener Sanson, Erkundigungen über den fremden “knight or lord“ [AL. 2326] einzuholen.[28]

Nach der Rückkehr Sansons erfährt Louis, wer sich im Schatten des Olivenbaums niedergelassen hatte und macht seinem Zorn über William Luft: “He can go to the devil before I’ll alter;“ [AL. 2396] Auf dem Höhepunkt seines Wutausbruches, beschuldigt er den Markgrafen als “fiend“ [AL. 2398], von dem er heimgesucht werde und verflucht alle, die über Williams Ankunft erfreut sind. Der

„durch nichts zu rechtfertigende Hochmut des Königs und der Hofgesellschaft über einen in Not geratenen Ritter“[29]

kulminiert in einer Spottrede, in der Louis, vom Fenster seines Palastes aus den hilfesuchenden Markgrafen verhöhnt. Seine Worte sind an Zynismus kaum zu überbieten und zeugen von der Unfähigkeit Louis, angestammte Denkmuster zu revidieren und die Ernsthaftigkeit der Situation zu erfassen.[30] „In Al.[iscans] ist der König von Anfang an schuldig [...].“[31]

Wolfram streicht diese Rede, die in der Vorlage der Auslöser für Williams Rachepläne ist völlig.[32] ”Some of Wolfram’s changes to this part of the text certainly serve to upgrade the King”.[33] Um eine Aufwertung der Königsgestalt zu erreichen, belastet Wolfram die Königin, die in der Vorlage beim Ausschluss Willehalms keine tragende Rolle gespielt hat. Nun gibt sie den Befehl die Tore zu verschließen und ihrem Bruder jegliche Unterstützung zu verwähren:

’[...] besliezet vaste zuo die tür;

Ob er uzen klopfe dran,

daz man in wise iedoch hin dan.’ [W. 129, 30 -130, 2]

Der König wird von seiner Frau bei der Beschlussfassung völlig in die Passivität abgedrängt und erhält nicht einmal die Möglichkeit zu einer Stellungnahme. Da er bei der Entscheidung außen vor bleibt und seine Frau die treibende Kraft bei der Ausschließung des Markgrafen ist, wird Loys zumindest von der Niederträchtigkeit der Königsgestalt in Aliscans freigesprochen. Bei der moralischen Bewertung seines (Nicht-)Handels tauchen auf Grund einer nicht ganz eindeutigen Textstelle dennoch Schwierigkeiten auf. Nach der Drohrede Willehalms [W. 145, 6 -146, 13], beginnt der König seine Antwort mit „her Willalm, sit irz sit,“ [W. 146, 25]. Setzt man diese Aussage mit der Äußerung der Königin, „ez si min bruoder Willalm“ [W. 129, 21] in Verbindung, dann wird die Frage aufgeworfen, wieso Loys auf Willehalm so überrascht reagiert. Musste er nicht durch den mahnenden Hinweis der Königin zweifelsfrei wissen, wen er vor sich hatte? Eine Antwort auf diese Frage ist die Forschung bis jetzt schuldig geblieben.[34]

2.2.2 Loys Hilfszusage an seinen Vasallen

Loys lässt Willehalms wuterfüllte Rede ins Leere laufen und pariert gekonnt mit einer prompten Hilfszusage, deren staatsmännischer Charakter durch die Großzügigkeit des Königs unterstrichen wird. Trotz Willehalms forschem Auftreten bewahrt Loys Haltung und „zeigt [...] sich als höfischer König“:[35]

’ [...] Iuwer zorn ist an not bekant

gein mir. ir wizzet, al min lant,

swes ir drinne gert, daz ist getan.

ich mac gabe und lehen han,

daz kert mit vuoge an iuweren gewin.’ [W. 147, 1-5]

Frey wittert hinter Loys Versprechen jedoch berechnendes Kalkül:

„Es ist jene generöse Geste, die unverbindlich gemeint ist und sinnvoll sein mag, solange sie als unverbindlich akzeptiert wird. Nimmt aber jemand die Sache wörtlich [...] dann bricht die Katastrophe herein. Loys würde seine Herrschaft verlieren, nähme Willehalm das Angebot wörtlich.“[36]

Frey kann sich bei seiner Unterstellung, dem König fehle es an der Ernsthaftigkeit seiner Absichten, auf keinerlei Textbelege stützen und lässt die Gründe für seine Argumentation im Dunkeln. Loys muss vielmehr davon ausgehen, dass der zu allem entschlossene Markgraf seinen Forderungen unverzüglich Nachdruck verleihen wird. Das Risiko einer so unvernünftigen Salami-Taktik, welche die Grenzen der Verbindlichkeiten ausloten soll, ist hoch, zumal der König in den Augen der Hofgesellschaft wegen seines Wortbruchs als Lügner diskreditiert wäre und sein Ansehen verspielt hätte. [W. 148, 14-15] referiert noch einmal auf die Lauterkeit der königlichen Motive und signalisiert Loys anfängliche Handlungsbereitschaft:

[...]


[1] Haug, Walter: Parzivals zwifel und Willehalms zorn. Zu Wolframs Wende vom höfischen Roman zur Chanson de geste. In: Wolfram-Studien III. Hrsg. von Werner Schröder. Berlin: Erich Schmidt 1975. S. 217.

[2] Vgl. Hellmann, Manfred: Fürst, Herrscher und Fürstengemeinschaft. Untersuchungen zu ihrer Bedeutung als politische Elemente in mittelhochdeutschen Epen. Annolied, Kaiserchronik, Rolandslied, Herzog Ernst, Wolframs ‘Willehalm’. Diss. Bonn 1969. S. 139. Teilweise erfolgte die Auseinandersetzung mit dem Werk auch unter ideologischen Gesichtspunkten, wie „die wenigen vorhandenen Untersuchungen zum politischen Gehalt“ zeigen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verfasst wurden und sich hauptsächlich mit der „Reichsidee“ befassten.

[3] Marly, Marie-Noël: Vom verachtungswürdigen Schwächling zum vorbildlichen König. In: ZfdPH 100. (1981). S. 105.

[4] Ebd.: S. 105.

[5] Grundlage ist die neuenglische Übersetzung der Bataille d’Aliscans: The Song of Aliscans. Translated by Michael A. Newth. New York: Garland 1992 (= Garland library of medieval literature 85).

[6] Hellmann 1969: S. 149. Diese Datierung stammt von Becker. Demnach fällt die Niederschrift von Aliscans in den Beginn der Regierungszeit Philipps II. Augustus.

[7] Zu bedenken ist, dass Aliscans wiederum eine „modernisierte und um die Königsszenen erweiterte Umdichtung des älteren Chanson de Guilleme“ ist, worauf im Rahmen dieser Arbeit aber nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. Hellmann 1969: S. 148.

[8] Ebd.: 1969: S. 139.

[9] Bumke, Joachim: Wolframs Willehalm. Studien zur Epenstruktur und zum Heiligkeitsbegriff Der ausgehenden Blütezeit. Heidelberg: Carl Winter 1959. S. 137.

[10] Vgl. Schmidt, der sich entschieden gegen „eine Erklärung aus allgemeinen zeitgeschichtlichen Verhältnissen“ wendet. Schmidt, Gerhard: Die Darstellung des Herrschers in den deutschen Epen des Mittelalters. Diss. Masch. Leipzig 1951. S. 83.

[11] Werner, Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Stuttgart: Deutsche Verlags- Anstalt 1989 (= Geschichte Frankreichs 1). S. 423.

[12] Treffer, Gerd: Geschichte Frankreichs. Regensburg: Pustet 1998. S. 50.

[13] Vgl. Hellmann 1969: S. 149. Ludwig der VII. wurde durch seine planlose Politik zusehends zum Spielball fremder Mächte. Insbesondere England nutzte die Gunst der Stunde, um sich in die französische Innenpolitik einzumischen.

[14] Reichel, Jörn: Willehalm und die höfische Welt. In: Euphorion 69. (1975). S. 394.

[15] Vgl. dazu auch Bender, der ein reges Interesse der Forschung beobachtet, „die verschiedenen epischen Ludwigsgestalten mit bestimmten karolingischen und kapetingischen Fürsten dieses Namens zu identifizieren;“ Bender, Karl-Heinz: König und Vasall. Untersuchungen zur Chanson de geste des XII. Jahrhunderts. Heidelberg: Carl Winter 1967 (= Studia Romanica 13). S. 43.

[16] Schmidt 1951: S. 88.

[17] Greenfield, John/ Miklautsch, Lydia: Der „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter 1998. S. 25.

[18] Einen geschichtlichen Abriss der Epoche liefert Greenfield 1998: S. 24-30, sowie Boockmann, Hartmut: Stauferzeit und spätes Mittelalter. Deutschland 1125-1517. Berlin: Siedler 1987 (= Das Reich und die Deutschen 7). S. 151-174.

[19] Greenfield 1998: S. 25.

[20] Bei dem Vergeltungsschlag wird angeblich zum ersten mal eine neue Belagerungsmaschine, der driboc, zum Einsatz gebracht, der im Willehalm erwähnt wird [W. 111, 9]. Diese Steinschleuder wird auch zur Datierung des Willehalm herangezogen. Vgl. hierzu Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Teil 2. Berlin: Erich Schmidt 1980 (= Grundlagen der Germanistik). S. 154.

[21] Haug 1975: S. 225.

[22] Haug 1975: S. 225.

[23] Greenfield 1998: S. 98.

[24] Reichel 1975: S. 391.

[25] Reichel 1975: S. 391.

[26] Haupt, Barbara: Das Fest in der Dichtung. Untersuchungen zur historischen Semantik eines literarischen Motivs in der mittelhochdeutschen Epik. Düsseldorf: Droste 1989 (= Studia humaniora 14). S. 223.

[27] Vgl. [W. 127, 20-21]: Der Gebrauch von Waffen wird ausschließlich mit einem Turnier in Verbindung gebracht, ein militärischer Zusammenhang existiert nicht.

[28] Zu Beginn der 64. Laisses wiederholt Louis Teile seines Befehls annähernd wortwörtlich: Vgl. [AL. 2351] “Then Louis says: ‘Sanson, go down and see;’ ” und [AL. 2356] “ ‘Sanson, go down and see!’ King Louis orders“: Möglicherweise handelt es sich hierbei um einen Überlieferungsfehler, was bei mittelalterlichen Handschriften nicht ausgeschlossen werden kann. Andererseits korrespondiert die Verdoppelung, die den Lesefluss merklich unterbricht, mit dem blinden Aktionismus und der Ungeduld des Königs.

[29] Heintze, Michael: König, Held und Sippe. Untersuchungen zur Chanson de geste des 13. und 14. Jahrhunderts und ihrer Zyklenbildung. Heidelberg: Carl Winter 1991(= Studia Romanica 76). S. 127.

[30] Louis verliert sich hingegen in Oberflächlichkeiten, wie die Äußerungen über Williams schäbiges Erscheinungsbild belegen. [AL. 2476-2477].

[31] Mergell, Bodo: Wolfram von Eschenbach und seine französischen Quellen. 1. Teil: Wolframs Willehalm. Münster: Aschendorff 1936 (= Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung 1). S. 143.

[32] Die Verspottung durch Louis provoziert eine hasserfüllte Replik Williams [AL. 2479-2492], in der er an seiner defätistischen Entschlossenheit keinerlei Zweifel lässt und offen mit Königsmord droht.

[33] Humphreys, Gillian: Wolfram von Eschenbach’s “Willehalm“. Kinship and Terramer. Göppingen: Kümmerle 1999 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 657). S. 87. Auch Marly konstatiert Wolfram das Bemühen, „vom Anfang an, vom Hof und vom König ein möglichst positives Bild zu geben.“ Marly, Marie-Noël: Vom verachtungswürdigen Schwächling zum vorbildlichen König. In: ZfdPH 100. (1981). S. 109.

[34] Vgl. Schmidt 1951: S. 61. Wo Wolfram „hochmütiges oder unwürdiges Verhalten auf andere Personen überträgt, wird der König zur untätigen Hintergrundfigur“. Durch diese Kompetenz- und Schuld- verlagerung auf die Königin wird der König entlastet.

[35] Schmidt 1951: S. 57.

[36] Frey, Winfried: Wolfram von Eschenbach. Willehalm. In: Einführung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts. Bd. 1: Adel und Hof - 12./ 13. Jahrhundert. Hrsg. von Winfried Frey. Opladen: Westdeutscher Verlag 1979 (= Grundkurs Literaturgeschichte). S. 208.

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Title
Wolframs von Eschenbach "Willehalm": Der doppelte Loys. Ein Vergleich der Königsgestalt mit der Vorlage "Bataille d' Aliscans"
College
University of Regensburg  (Institut für Germanistik)
Grade
1,3
Author
Year
2004
Pages
45
Catalog Number
V81649
ISBN (eBook)
9783638862806
ISBN (Book)
9783668223950
File size
539 KB
Language
German
Keywords
Wolframs, Eschenbach, Willehalm, Loys, Vergleich, Königsgestalt, Vorlage, Bataille, Aliscans
Quote paper
M. A. Andreas Wutz (Author), 2004, Wolframs von Eschenbach "Willehalm": Der doppelte Loys. Ein Vergleich der Königsgestalt mit der Vorlage "Bataille d' Aliscans", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81649

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