Systemtransformation in der Theorie und in der Praxis am Beispiel Russlands


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2007

30 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definition von Demokratie

3 Defekte Demokratien

4 Das autoritäre Regime

5 Das totalitäre Regime

6 Transformationsbegriffe
6.1 Systemwandel
6.2 Systemwechsel
6.3 Transition
6.4 Konsolidierung

7 Transformationstheorien
7.1 Die Modernisierungstheorie
7.2 Die Strukturtheorie
7.3 Die Kulturtheorie
7.4 Die Handlungstheorie 16

8 Embedded Democracy

9 Russlands Demokratie
9.1 Russlands Entwicklung nach der Auflösung der Sowjetunion
9.2 Die soziale Ungleichheit
9.3 Die russische Gesellschaft

10 Russlands embedded democracy
10.1 Das Wahlregime
10.2 Politische Teilhaberrechte
10.3 Effektive Regierungsgewalt
10.4 Horizontale Gewaltenteilung
10.5 Bürgerliche Freiheitsrechte
10.6 Zusammenfassung der russischen embedded democracy

11 Ursachenforschung

12 Fazit

13 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 beschreitet Russland den schwierigen und müheseligen Weg der Transformation von einem diktatorischen, planwirtschaftlichen Staat in eine präsidiale Marktwirtschaft. Die Verfassung von 1993 bezeichnete Russland als demokratischen, föderalen Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform und legte einen Grundrechtskatalog fest.“[1]

Beim ersten Lesen des Zitats entsteht der Eindruck, dass Russland nach dem Zerfall des Ostblocks gute Fortschritte in Richtung Demokratie macht. Die Wirtschaft wird nicht mehr zentral gelenkt, es wurde eine Verfassung erlassen, in der Russland schon als demokratischer und föderaler Rechtsstaat bezeichnet wird.

Dies ist aber definitiv nicht der Fall: Russland hat die Konsolidierung nicht geschafft und besitzt eine defekte Demokratie.

Um diese These begründen zu können, wird wie folgt vorgegangen. In dieser Hausarbeit wird die Systemtransformation eines autoritären hin zu einem demokratischen Systems vorgestellt. Dies geschieht zunächst in einem theoretischen Teil, in dem die Grundaspekte und Begriffe definiert und erläutert werden. Zunächst wird der Begriff Demokratie nochmals definiert, um anschließend eine defekte Demokratie klassifizieren zu können. Anschließend werden autoritäre und totalitäre Regime erklärt. Als nächstes werden die Begriffe der Transformation näher gebracht. Diese sind in der zeitlich korrekten Abfolge erklärt, um verstehen zu können, wie eine Systemtransformation zustande kommen kann. Fortfolgend werden vier Transformationstheorien vorgestellt, die dazu dienen sollen, die Erfolgs- und Misserfolgsbedingungen in sozialen Teilsystemen zu suchen. Als letztes im theoretischen Teil wird die embedded democracy vorgestellt, mit deren Hilfe anschließend im praktischen Teil festgestellt werden soll, ob Russland eine funktionierende Demokratie besitzt.

Zu Beginn des praktischen Teils wird Russlands Demokratie näher gebracht. Zunächst folgt ein kurzer Exkurs in die Entwicklung Russlands nach dem Fall der Sowjetunion, um danach die soziale Ungleichheit und die russische Gesellschaft zu beleuchten. Im weiteren Ablauf wird nun konkret anhand der embedded democracy Russlands System ergründet, um anschließend in einer Ursachenforschung die Gründe darzulegen. Am Schluss resümiert das Fazit die vorliegende Arbeit und beinhaltet eine eigene Stellungnahme zu diesem Sachverhalt.

Das Vorgehen bei dieser Arbeit wurde bewusst so gewählt, dass sie aus zwei Teilen besteht, den theoretischen und den praktischen Teil. Dies dient dazu, zunächst Begrifflichkeiten zu erklären um sie anschließend konkret auf Russland anwenden zukönnen.

Die Literaturlage zu diesem Thema ist sehr vielseitig und auch sehr aktuell. Hauptwerke, die in dieser Arbeit Verwendung fanden, sind Merkels Schriften zur Systemtransformation und zur defekten Demokratie. Zur begrifflichen Erklärung fand das Lexikon der Politikwissenschaft von Nohlen häufige Verwendung. Ebenfalls genutzt wurde der Bertelsmann Transformation Index 2006. Hinzu kommen zahlreiche andere Werke, die hier nicht näher erwähnt werden müssen.

2 Definition von Demokratie

Angesichts der Erscheinungsvielfalt politischer Transitionsregime und der damit einhergehenden Klassifikationsprobleme ist es nicht verwunderlich, dass im Rahmen der dritten Demokratisierungswelle[2] erneut die Diskussion auflebte, ab wann ein politisches System als demokratisch einzustufen sei, die Frage also wieder aktuell wurde, was eine Demokratie ist.[3]

Um die Phasen des Übergangs eines ehemals autokratischen Systems hin zur Demokratie, wie im vorliegendem Fall der ehemaligen Sowjetunion hin zur Russländischen Föderation, betrachten zu können, sollte zuvor geklärt werden, was Demokratie eigentlich ist oder was allgemein darunter verstanden wird und was damit assoziiert wird.

Die etymologische Wurzel von Demokratie lässt sich eindeutig bestimmen. Das Wort stammt aus dem griechischen demokratia, das sich wiederum aus den beiden Wortbestandteilen demos (das Volk) und kratein (herrschen) zusammensetzt.[4] Es bedeutet also Volksherrschaft, Herrschaft der Mehrheit oder der Vielen und steht in Abgrenzung zu anderen Formen der Herrschaft bzw. anderen Staatsformen wie der Monarchie, der autoritären Regime oder der Diktatur.[5] Nach der berühmten Gettysburg-Formel Abraham Lincolns, geprägt während des US-amerikanischen Bürgerkrieges im Jahre 1863, ist Demokratie „Government of the people, by the people, for the people“, das heißt, dass in einer Demokratie die Herrschaft aus dem Volk hervorgeht und durch das Volk selbst und in seinem Interesse ausgeübt wird.[6]

Der Demokratiebegriff enthält eine historische und ideengeschichtliche Kernbedeutung. Demokratie vereinigt die Prinzipien der Volkssouveränität, der politischen Gleichheit, Freiheit der Bürger und der Herrschaftskontrolle. Volkssouveränität und die vertikale Verantwortlichkeit politischer Herrschaft gegenüber den Bürgern ist das Kernprinzip der Demokratie.[7]

Kurt L. Shell sieht in einer Minimaldefinition in einer demokratischen Herrschaftsordnung ein System, in dem „alle Staatsbürger [...] das gleiche Recht besitzen, an den sie alle betreffenden gesetzlichen Regelungen in gleicher Weise direkt oder indirekt teilzunehmen, ihre Willensbildung und –ausübung frei von rechtlicher Diskriminierung oder Unterdrückung gestalten zu können.“[8]

Die Kriterien für eine Demokratie sind also sehr weitreichend, so dass sich bei dem Versuch einer Definition des Begriffes bereits abzeichnet, welche Probleme sich für postautoritäre Staaten im Transformationsprozess ergeben könnten.

Um defekte Demokratien von funktionierenden, rechtsstaatlichen Demokratien unterscheiden zu können, müssen beide typologisch unterschieden werden. In der vergleichenden Demokratieforschung ist diese Differenzierung in den letzten Jahren zunehmend genutzt worden. So gab es erste theoretische Antworten auf das Phänomen der hybriden Regime oder unvollständigen Demokratien. Viele dieser unvollständigen Demokratien befinden sich in einer Grauzone zwischen Autokratie und Demokratie, doch es fehlen sowohl klare Grenzziehungen als auch eindeutige Kriterien für Differenzierungen innerhalb dieser Grauzone. Die Demokratie ist seit ihren Ursprüngen ein „contested concept“, das heißt ein angezweifeltes Konzept, für das es aufgrund seines vor allem normativ umstrittenen Charakters keine allgemein gültige Definition gibt und vermutlich auch keine geben kann.[9]

3 Defekte Demokratien

Defekte Demokratien sind ein Subtypus von Demokratie. Der Begriff meint eine Herrschaftsform, in der das Prinzip der Volkssouveränität durch allgemeine, freie, gleiche und faire Wahlen institutionalisiert ist. Dieses wird aber durch formal oder informell entgrenzte Machtpotentiale unterlaufen, indem den Militärs oder anderen nicht durch Wahl legitimierten Gruppen Vorrechte zugestanden werden, Exekutiven in die Kompetenzen der anderen Gewalten übergreifen oder Teilen der Bevölkerung Freiheitsrechte vorenthalten werden.[10]

Zur Analyse der defekten Demokratie wird die Demokratie als ein Gefüge von fünf Teilregimen begriffen, das Wahlregime, politische Teilhaberrechte, bürgerliche Freiheitsrechte, horizontale Gewaltenkontrolle und effektive Regierungsgewalt, die sich wechselseitig beeinflussen. Defekte Demokratien werden definiert als Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrerer der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind. Vereinfacht ausgedrückt, sind defekte Demokratien politische Systeme, in denen zwar demokratische Wahlen stattfinden, die aber gemessen an den normativen Grundlagen liberaler Demokratien Defekte aufweisen.[11]

Defekte Demokratien repräsentieren eine Herrschaftsform, in der das Prinzip der Volkssouveränität zwar substantiell verwirklicht ist, aber durch formal oder informell entgrenzte Machtpotentiale unterlaufen und beeinträchtigt wird. Damit unterscheiden sich defekte Demokratien einerseits von weichen oder offenen autokratischen Regimen, da wesentliche Elemente des Sets demokratischer Spielregeln institutionalisiert sind und auch tatsächlich das politische Spiel bestimmen. Andererseits unterscheiden sie sich aber auch von funktionierenden Demokratien, da nicht alle Kanäle zur Garantie der Volkssouveränität geöffnet sind.[12]

Defekte Demokratien sind also Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines bedeutsamen und wirkungsvollen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur notwendigen Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle notwendig sind.

4 Das autoritäre Regime

Der Begriff „autoritär“ kennzeichnet eine politische Organisation, in welcher der alleinige Machtträger, eine Einzelperson oder Diktator, eine Versammlung, ein Komitee oder eine Partei, die politische Macht monopolisiert, ohne den Machtadressaten eine wirksame Beteiligung an der Bildung des Staatswillens zu gestatten. Der alleinige Machthaber zwingt der Gemeinschaft seine politische Grundentscheidung auf. Der Ausdruck autoritär bezieht sich aber mehr auf die Regierungsstruktur als auf die Gesellschaftsordnung. In der Regel begnügt sich das autoritäre Regime mit der politischen Kontrolle des Staates, ohne Anspruch darauf zu erheben, das gesamte sozio-ökonomische Leben der Gemeinschaft zu beherrschen oder ihre geistige Haltung nach seinem Ebenbild zu formen.[13]

Die wohl einflussreichste politikwissenschaftliche Definition von autoritären Systemen hat Juan Linz (1975, 1985) vorgestellt. Für ihn sind es drei Merkmale, die autoritäre von demokratischen und totalitären Systemen unterscheiden. Zum einen verfügen autoritäre Systeme über einen eingeschränkten politischen Pluralismus gegenüber dem prinzipiell unbegrenzten Pluralismus der Demokratien und dem Monismus[14] totalitärer Herrschaft. Zum anderen legitimieren sie sich nicht durch eine alle Lebensbereiche umfassende Weltanschauung wie totalitäre Systeme, sondern über den Rückgriff auf einzelne Werte wie Patriotismus, Nationalismus und innere und äußere nationale Sicherheit. Drittens ist die politische Partizipation eingeschränkt und die Gesellschaft ist demobilisiert, demgegenüber sind totalitäre Systeme über eine von oben inszenierte und kontrollierte Mobilisierung geprägt.[15]

[...]


[1] Klaeren, Jutta: Russland; in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Russland, Bonn 2003, S. 2.

[2] Huntington geht von drei Wellen der Demokratisierung und zwei des Rückfalls aus. Die erste Demokratisierungswelle, die auf die amerikanische und die französische Revolution zurückging, dauerte von 1828-1926, darauf folgte eine Phase des Rückfalls (Faschismus) von 1922-1942. Gegen Ende des 2. Weltkrieges setzte eine kürzere Welle der Demokratisierung ein, die von 1943-1962 dauerte. Sie wurde von einer ebenfalls kurzen Welle des Rückfalls (1958-1975) abgelöst. Schließlich ist seit 1974 die Dritte Welle der Demokratisierung im Gange.

[3] Vgl. Krennerich, Michael: Weder Fisch noch Fleisch? Klassifikationsprobleme zwischen Diktatur und Demokratie; in: Bendel, Petra; Croissant, Aurel; Rüb, Friedbert W. (Hrsg.): Zwischen Demokratie und Diktatur – Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen, Opladen 2002, S. 56.

[4] Vgl. Croissant, Aurel: Von der Transition zur defekten Demokratie, Wiesbaden 2002, S. 26.

[5] Vgl. Schultze, Rainer-Olaf: Demokratie; in:Nohlen, Dieter; Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft Band I A – M, 2. Auflage, München 2004, S. 124.

[6] Vgl. ebd., S. 124.

[7] Vgl. Croissant, Aurel: Von der Transition zur defekten Demokratie, Wiesbaden 2002, S. 26.

[8] Shell, Kurt L.: Demokratie, in: Holtmann, Everhard (Hrsg.): Politik-Lexikon, 3. Auflage, München 2000, S. 110.

[9] Vgl. Merkel, Wolfgang: Defekte Demokratie Band 1: Theorie, Opladen 2003, S. 30f.

[10] Vgl. ebd., S. 39.

[11] Vgl. Krennerich, Michael: Defekte Demokratie; in: Nohlen, Dieter; Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft Band I A – M, 2. Auflage, München 2004, S. 115.

[12] Vgl. Thiery, Peter: Demokratie und defekte Demokratien. Zur Präzisierung des Demokratiekonzeptes in der Transformationsforschung; in: : Bendel, Petra; Croissant, Aurel; Rüb, Friedbert W. (Hrsg.): Zwischen Demokratie und Diktatur – Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen, Opladen 2002, S. 71.

[13] Vgl. Loewenstein, Karl: Verfassungslehre, Heilbronn 1957, S. 53.

[14] Der Monismus ist die philosophische oder metaphysische Position, wonach sich alle Vorgänge und Phänomene der Welt auf ein einziges Grundprinzip zurückführen lassen. Der Monismus bezieht damit die Gegenposition zum Dualismus und Pluralismus, die zwei oder viele Grundprinzipien annehmen. In der Politikwissenschaft dient das Begriffspaar Monismus/Pluralismus vor allem zur Bezeichnung von Ein- und Mehrparteiensystemen.

[15] Vgl. Merkel, Wolfgang: Systemtransformation – Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999, S. 36.

Fin de l'extrait de 30 pages

Résumé des informations

Titre
Systemtransformation in der Theorie und in der Praxis am Beispiel Russlands
Université
RWTH Aachen University
Note
2,0
Auteur
Année
2007
Pages
30
N° de catalogue
V84745
ISBN (ebook)
9783638011228
ISBN (Livre)
9783638916264
Taille d'un fichier
529 KB
Langue
allemand
Mots clés
Systemtransformation, Theorie, Praxis, Beispiel, Russlands
Citation du texte
Tobias Wolff (Auteur), 2007, Systemtransformation in der Theorie und in der Praxis am Beispiel Russlands, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84745

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