Jugend im Strafrecht

Zum Eröffnungsvortrag des 26. Deutschen Jugendgerichtstages von Winfried Hassemer (Stand 2005)


Seminararbeit, 2005

15 Seiten, Note: 15


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Ausgangspunkt - Fall

3. Medien

4. Was passiert hier? 5 Annahmen

5. Welche Gefahr entsteht?

6. Welche Lehren lassen sich nun aus dem Status quo ziehen?
6.1 Pressehetze
6.2 Sprengsätze

7. Kriminalpolitische Konsequenz - Was wird geordert?

8. Das gute Jugendstrafrecht
8.1 Forderungen gegen das Jugendstrafrecht
8.1.1 Abschaffung
8.1.2 Entdifferenzierung
8.2 Traditionen und Gewissheiten
8.2.1 Erziehungsgedanke
8.2.2 Formalisierung

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Das Jugendstrafrecht steht wie das Erwachsenenstrafrecht ständig unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Dadurch wird es folglich für die Medien interessant, die immer wieder ein Scheitern des Strafrechts, gestützt auf Fälle beschreiben. Die Fälle der sich die Medien dabei bedienen sind unglaubliche Einzelfälle, aufgebaut als radikale Vereinfachungen. Als Konsequenz daraus wird eine Annäherung des Jugendstrafrechts an das Erwachsenenstrafrecht gefordert, welches einen Abbau traditioneller Differenzierungen zur Folge hätte. Um sich dieser Kritik zu stellen, müssen die guten Traditionen des Jugendstrafrechts neu bestimmt werden, welches auch den Erziehungsgedanken beinhaltet.

2. Ausgangspunkt - Fall

Als Ausgangspunkt für den Artikel dient ein Fall, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.04.04 erschienen ist:

„ Zwölfjährige prahlt mit 300 Taschendiebstählen“.1 In Darmstadt wurde ein 12 jähriges Mädchen und eine 43 jährige Frau aus Osteuropa festgenommen. Nach der Festnahme prahlte das Mädchen bereits 300 Taschendiebstähle begangen zu haben und sie sei der Polizei bereits mit 31 Aliasnamen und in 159 ähnlichen Fällen bekannt. Die 43 jährige osteuropäische Frau ist bereits wegen 29 Diebstählen polizeilich registriert. Die Polizei hält diese Form von Strafunmündigkeitsnutzung bereits für organisierte Kriminalität, da Kinder systematisch instrumentalisiert werden und zum kriminellen Lebenswandel gezwungen und ausgebildet werden. Nach einer Vernehmung müssen aber beide wegen fehlender Haftgründe wieder entlassen werden.

Einen Tag später erscheint - unabhängig vom o. g. Fall- in der Frankfurter Rundschau vom 23.04.04 eine Diskussion über die Herabsetzung der Strafunmündigkeitsgrenze von 14 Jahre auf 12 Jahre, welches auf die Forderungen des Frankfurter Polizeipräsidenten gestützt wird. Wieder einen Tag später in der Frankfurter Rundschau vom 24.04.04, wird vom „Jugend Debattiert Landesfinale“ berichtet, wo die Finalisten über genau diese Strafmündigkeitsgrenze und deren Herabsetzung diskutierten.

3. Medien

Offensichtlich wird hier, das genau mit dieser Intensität von Berichten und mit Intensivbeispielen von Einzelfällen, Emotionen geschaffen werden und so Institutionen auf Trab gehalten werden. Es ist für die Medien leicht ihre Zuschauer, Leser oder Hörer zu erreichen, da sich faktisch jeder aus einer dieser Quellen informiert. Deshalb ist es wichtig, genau zu schauen was hier passiert.

4. Was passiert hier? 5 Annahmen

Nach Hassemers Ansicht passiert hier Schlimmes. Wenn es nicht gelingt die Dinge substantiell und nachhaltig zu ändern, wird es nicht gelingen die menschenfreundlichen und rechtsstaatlichen Züge zu bewahren, die unser Jugendstrafrecht in Theorie und auch in der Praxis immer noch auszeichnen.2 Gestützt wird dies auf fünf Annahmen.

a.) Auffällige Jugendliche werden intensiv von Seiten der Gesellschaft und Politik beobachtet, um die Risiken die von ihnen ausgehen möglichst genau in Blick zu haben und frühzeitig reagieren zu können.
b.) Diese Beobachtung ist jedoch nicht analytisch und neutral, sondern synthetisch und politisch. Der einfache Zweck der Überwachung besteht in einem Interesse zur Rechtfertigung von Verschärfungen, von Kontrollen und Sanktionen, um so eine möglichst hohe Sicherheit für die Bevölkerung zu erreichen. Auf Einschränkungen der Freiheit und Grundrechte wird folglich gerne verzichtet.
c.) Um diese Verschärfungen durchzusetzen bedarf es in einer Demokratie der gewählten Vertreter des Volkes. Das Volk und die Politiker entscheiden jedoch nach Bildern, Hoffnungen, Informationen, Erwartungen und Ängsten, welche sowohl persönliche als auch gesellschaftlich vermittelte sein können. Allerdings besteht somit auch die Möglichkeit diese erheblich zu manipulieren.
d.) Die manipulierten Faktoren sind heute vor allem Annahmen über die Gefahren, die von den Jugendlichen ausgehen, auch wenn diese nicht wirklichen oder tatsächlichen Gefahren entsprechen. Somit treibt nicht die Verbrechensgefahr die Menschen und die Kritiker des Jugendstrafrechts, sondern die Verbrechensfurcht. Politiker geraten somit angesichts der aufgeregten Gemüter zunehmend in die Rolle, sich mit populistischen Forderungen als Kämpfer gegen das Böse zu profilieren.3
e.) Das Jugendstrafrecht kann folglich mit an einer kommunikativen Unverständlichkeit
scheitern, da es für die Bevölkerung und für die Politiker nicht verständlich und nicht vermittelbar ist. Unterstützt von den oben genannten Fällen ist ein Normvertrauen der Bevölkerung und damit ein verständliches Strafrecht nicht vermittelbar. Das Jugendstrafrecht muß sich verständlich machen, in Form von Wahrheit und gleichzeitig normativ akzeptabel, um zu existieren.

5. Welche Gefahr entsteht?

Wenn man sich über die Gefahren Gedanken macht die aus diesen Annahmen und den Medien entstehen, stellt man schnell fest, daß diese unmittelbar miteinander verbunden sind. Das Jugendstrafrecht wird von der Vorstellung der Menschen über die Gefahren und die Gefahrenbeherrschung getrieben. Wie manipulierbar diese Wahrnehmung ist läßt sich am Strafbedürfnis der Bevölkerung und die durchgesetzten Freiheitsstrafen gut ablesen. Die Bürger unterstellen im Durchschnitt eine Zunahme aller Straftaten, im Vergleich der Statistik des Jahres 1993 zu 2003, um 34,5 %, obwohl die Zahlen stabil geblieben sind. Auch bei Bankraub und Autodiebstahl wurde eine starke Zunahme angenommen, obwohl diese um ca. die Hälfte zurück gegangen waren. Die extremste Fehleinschätzung ergibt sich jedoch beim vollendeten Sexualmord. So wurde eine unglaubliche Vermehrung von 32 auf 208 Fälle angenommen. In Wirklichkeit dokumentiert die Polizei eine stetige Abnahme auf 11 Fälle. Ebenso wurde für vollendete Morde ein Zuwachs von 666 auf 1000 Fälle angenommen, tatsächlich gingen sie auf 421 zurück.4 Warum verschätzen sich die Bürger besonders bei schweren Gewaltdelikten, während die geringste Fehleinschätzung bei der Gesamtzahl der Straftaten beobachtet wird? Die Erklärung liegt wohl in den Medien, die über spektakuläre Morde oder Tötungsdelikten an Kindern und der damit verbundenen polizeilichen Ermittlung, viel intensiver berichten. Verbunden wird die Berichterstattung mit einer Menge Emotionen, die wohl für Alltagskriminalität nicht aufgebracht werden kann. Zu diesen Berichterstattungen der Massenmedien wurde durch das Institut für Journalismus und Kommunikationsforschung, Hannover, festgestellt, daß sich die Zahl der Fernsehsendungen verzehnfacht hat, die sich als Spielfilm, Serie oder Tatsachenbericht schwerpunktmäßig mit dem Thema Kriminalität befassen.5 Somit ist logisch zu schlußfolgern, daß je mehr Zeit die Bürger vor dem Fernseher verbringen, die Wahrscheinlichkeit auf kriminalitätshaltige Sendungen steigt, welche sich auf ihre Wahrnehmung und auch Fehleinschätzung der reellen Kriminalität auswirkt. Die Begleiterscheinung hieraus ist natürlich, daß diese sich auch für härter Strafen und kompromißlose Täterverfolgung aussprechen.

Zum oben genannten Fall: Was kann man aus der Berichterstattung für Schlußfolgen ziehen? Fraglich ist eher, ob man überhaupt theoretisch eine andere Botschaft aus dem Artikel ziehen kann, als das das Jugendstrafrecht völlig fehlgeleitet ist und das die Polizei, die wahrscheinlich sowieso keine andere Perspektive aufbringen kann, dieser Farce der Rücksichtnahme ein Ende setzen muß. Man wird wohl bei den meisten Lesern auf keine andere Reaktion treffen, denn es ist fast kein anderes Ergebnis möglich. Diese Form der Medien suggeriert, daß das Jugendstrafrecht nicht funktioniert und führt so eine bekannte und gezielte Maßnahme durch, die zu einer Demontage des Jugendstrafrechts führen soll. In den Hauptpunkten wird aufgezeigt, daß das Strafrecht nichts nutzt oder jedenfalls nicht so effizient arbeitet wie es leicht könnte und unbedingt müßte. So werden den unschuldigen Opfern und der Allgemeinheit schmerzliche Kosten verursacht und dafür sind bestimmte Rücksichten, Garantien oder Prinzipien verantwortlich.6 Dabei sind die Rücksichten, Garantien oder Prinzipien auswechselbar. So wird von Teilen der Medien sogar gefordert das bestimmte Teile gelockert werden ( Folter bei Gefahr in Verzug, Abhörrechte, usw.), in unserem Fall eine Untersuchungshaft trotz Strafunmündigkeit, da sonst die Fesseln des wirkungslosen Eingriffsrecht seiner vernünftigen Verwendung im Weg steht.7 Die Bürger dieses Landes werden Dinge nur akzeptieren, wenn überzeugende Antworten auf ihre Ängste gefunden werden und ihr berechtigtes Bedürfnis nach Sicherheit befriedigt wird.8

6. Welche Lehren lassen sich nun aus dem Status quo ziehen?

Es werden dazu zwei Punkte herausgehoben, beginnend mit dem was sich nicht aus der Angelegenheit lernen läßt.

6.1 Pressehetze

Das die Pressehetze die betrieben wird, egal ob von renommierten

Zeitungen oder Revolverblättern, durchaus in der Lage ist erheblichen Schaden anzurichten, ist zweifelsfrei gegeben. Jedoch kann dies nicht für ein vermeintliches Scheitern des Jugendstrafrechts gebraucht werden.

[...]


1 Siehe auch ähnlich: Spiegel, Kölscher Klau Klüngel, S.68- 69.

2 Hassemer, ZJJ 2004, S. 345.

3 Pfeiffer, Die Dämonisierung des Bösen, S. 4; siehe auch z.B. Otto Schily: Klingst, Der Grenzgänger, S 1- 3.

4 Zu den Auswertungen siehe: Pfeiffer, Die Dämonisierung des Bösen, S.2.

5 Pfeiffer, Die Dämonisierung des Bösen, S.3.

6 Hassemer, ZJJ 2004, S. 346.

7 Hassemer, ZJJ 2004, S. 346.

8 Pfeiffer, Die Dämonisierung des Bösen, S.7.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Jugend im Strafrecht
Untertitel
Zum Eröffnungsvortrag des 26. Deutschen Jugendgerichtstages von Winfried Hassemer (Stand 2005)
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
15
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V85121
ISBN (eBook)
9783638005883
ISBN (Buch)
9783638912945
Dateigröße
412 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jugend, Strafrecht
Arbeit zitieren
Sascha T. Bokhari (Autor:in), 2005, Jugend im Strafrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85121

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