Eine Videostudie zum Verhalten von Mädchen und Jungen bei Gruppenarbeiten im Rahmen des forschend-entdeckenden Lernens


Examination Thesis, 2006

202 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist forschend- entdeckendes Lernen?

3. Belege der Geschlechterforschung
3.1 Die Entwicklung der Frauenbewegungen
3.2 Geschlechterunterschiede
3.3 Geschlechterstereotype

4. Interaktionsstudien

5. Das Untersuchungsdesign
5.1 Der Verlauf der Untersuchung
5.2 Die Untersuchungspopulation
5.3 Die Auswertungsmethoden

6. Ergebnisse
6.1 Verteilung der vergebenen Codierungen in Gruppe
6.2 Verteilung der vergebenen Codierungen in Gruppe
6.3 Verteilung der vergebenen Codierungen in Gruppe

7. Fragestellungen und Hypothesen

8. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Literaturverzeichnis

Anhang

Übersicht der gesamten Codierungen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: „Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung“

Abbildung 2: „Anderweitige Gespräche"

Abbildung 3: „Behauptungen"

Abbildung 4: „Anweisungen"

Abbildung 5: „Inhaltliche Fragen"

Abbildung 6: „Methodische Fragen“

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Keine Geschlechterunterschiede

Tabelle 2: Geschlechterunterschiede

Tabelle 3: Geschlechterstereotypen

1. Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht das Verhalten von Mädchen und Jungen bei Gruppenarbeiten im Rahmen des forschend- entdeckenden Lernens. In diesem Zusammenhang geht es darum, ob es und welche Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Laufe der Unterrichtseinheit sichtbar werden. Die heutige Forschung besitzt keine statistisch abgesicherten Fakten über das Verhalten von Jungen und Mädchen bei Gruppenarbeiten im Rahmen des forschend- entdeckenden Lernens.

In den 50er Jahren wurde die koedukative Schule zum allgemeinen Schultyp und gilt seitdem als pädagogische Errungenschaft. Doch schon in den 80er Jahren wurden stimmen über die Benachteiligung von Mädchen im koedukativen Bildungssystem laut. Man begann in den 90er Jahren Mädchen gezielter zu fördern. In vielen Bereichen sind nun die Jungen die Benachteiligten in der Schule. Wie auch die Schulleistungsstudien PISA und TIMMS aufgezeigt haben, schneiden Jungen heute in vielen Bereichen schlechter ab. Statistisch gesehen fallen die Jungen öfter durch, haben schlechtere Schulabschlüsse und sind in Gymnasien unter-, aber in Sonderschulen überpräsentiert.

In der heutigen Koedukationsdebatte stellt sich die Frage, ob und wie Schule Mädchen und Jungen gleichermaßen gerecht werden kann. Die aktuelle Verpflichtung zum Gender Mainstreaming bedeutet für die Schule das Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ verstärkt in den Vordergrund zu stellen (Vgl. Homepage „Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur“).

Gender Mainstreaming bedeutet in der Schule Mädchen und Jungen Chancen zu eröffnen, um ihre individuellen Fähigkeiten sowohl im mathematisch- naturwissenschaftlichen als auch im sprachlichen Bereich entfalten zu können. Um die unterschiedlichen Kompetenzen der Mädchen und Jungen zu fördern, müssen geschlechtsspezifische Ansätze gefunden werden, die den jeweils Voraussetzungen gerecht werden. Denn nur mit dem Wissen um die differenziellen Stärken und Schwächen der Jungen und Mädchen können sie auch gezielt gefördert werden. In jedem schulischen Bereich sollte genau untersucht werden, ob die Mädchen oder Jungen bevorteilt werden und ob es schon nicht Wege gibt, beiden Geschlechtern gerecht zu werden. Wo entweder Defizite oder Benachteiligungen existieren, sollte eine gezielte Förderung, auch gegebenenfalls eine geschlechtsspezifische Förderung einsetzen (Vgl. Stürzer/ Roisch/ Hunze/ Corneließen, 2003).

Für eine gezielte Förderung beider Geschlechter ist es wichtig zu erfahren, wie Mädchen und Jungen mit unterschiedlichen Unterrichtsformen und Interaktionsstrukturen umgehen und ob bestimmte Konstellationen mehr die Mädchen oder die Jungen fördern. Dies kann nur mit der Untersuchung von schulischen Interaktionen erreicht werden.

Die meisten Studien, die die Interaktionsprozesse von Mädchen und Jungen untersuchen, stammen aus den 80er Jahren. Es ist interessant zu prüfen, ob die damaligen Beobachtungen auch heute noch zutreffen.

Die Forschungsergebnisse über die Interaktion zwischen Jungen und Mädchen basieren auf Unterrichtsbeobachtungen, die sehr aufwändig sind und sich auf geringe Fallzahlen beziehen, aus denen sich keine repräsentativen Aussagen ziehen lassen. Sie zeigen jedoch Trends auf und führen zu Hypothesen über den Ablauf der Interaktionsprozesse im Unterricht und darüber welche Unterrichtsformen den Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am besten gerecht werden (Vgl. Stürzer, 2003, S. 167).

Die vorliegende Studie soll zeigen, wie sich die „forschend- entdeckende“ Arbeit in verschieden besetzten Gruppen auf das Verhalten von Mädchen und Jungen auswirkt und welche Unterschiede in den Gruppenarbeiten aufzufinden sind. Herauszufinden ist, ob die gewählte Unterrichtsform „forschend- entdeckend“ und Interaktionsstruktur „geschlechterhomogene“ und „geschlechterdifferente“ Gruppenarbeit eher den Kompetenzen der Mädchen oder der der Jungen entsprechen. Diese Erkenntnis soll zur Entwicklung einer geschlechtsspezifischen Förderung und die damit verbundene Gleichberechtigung der Geschlechter in der Schule beitragen.

Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit einer Definition von „forschend- entdeckendem Lernen“. Im Anschluss folgt ein Überblick über die Entstehung und Erkenntnisse der Geschlechterforschung. Im dritten Teil werden Studien vorgestellt, die verschiedene Unterrichtsformen auf die Interaktion der Geschlechter in der Schule hin untersucht haben. Sie konnten einen Zusammenhang feststellen zwischen den verschiedenen Unterrichtsformen, Unterrichtsstilen und dem Interaktionsgeschehen der Geschlechter.

Ebenso werde ich auf die Studie von Hannelore Faulstich- Wieland (2004) eingehen, die die Inszenierungsformen von Geschlecht in schulischen Interaktionen in den Blick genommen hat.

Von dem Videomaterial der Gruppenarbeiten wird eine qualitative Inhaltsanalyse erstellt. Die Ergebnisse werden vorgestellt und diskutiert.

2. Was ist forschend- entdeckendes Lernen?

Obwohl „forschend- entdeckendes Lernen“ ein mittlerweile etablierter Begriff ist, findet man keine einheitliche Definition. Viele Autoren und Autorinnen um- und beschreiben diesen Begriff und sind sich bis heute nicht einig. Eindeutig ist, dass der forschend- entdeckende Unterricht im naturwissenschaftlichen Schulunterricht zur didaktisch bedeutsamsten Methode gehört und ein Gegensatz zum rezeptiven Lernen darstellt.

In der Literatur wird entweder von „forschendem“ oder „entdeckendem“ Lernen gesprochen.

Es empfiehlt sich deshalb den Begriff in die Teilbereiche „forschendes“ oder „entdeckendes“ Lernen zu gliedern, um umfangreichere Ergebnisse zu erzielen.

In den verschiedenen Definitionen bin ich auf Termini wie Lernprozess, Methode, Unterrichts- und Erziehungsprinzip, Lernform, Lernziel und Lerntheorie gestoßen. Dies zeigt, dass sich die Begriffe im Laufe der Zeit gewandelt haben und dass es viele, uneinheitliche Positionen und Versuche gibt, diese zwei Begriffe zu definieren.

Die forschend- entdeckende Unterrichtsform enthält Elemente, die die naturwissenschaftliche Forschung kennzeichnen. Wichtig ist, dass der Lehrende die Möglichkeit hat, den Unterricht überwiegend durch die Lernenden gestalten zu lassen.

Der Biologiedidaktiker Franz Radits beschäftigte sich in Lehrerausbildungsprojekten mit forschendem und entdeckendem Lernen. Er sieht den Unterschied zwischen entdeckendem und forschendem Lernen darin, dass beim forschenden Lernen analog zur Wissenschaft systematisch Forschungsfragen und Hypothesen formuliert werden. Beim entdeckendem Lernen kommt es zu einer Addition von Fundstücken an die vorhandenen Konzepte, die eher zufällig geschehen (Vgl. Aepkers/ Liebig, 2002, S.76).

Beim forschend- entdeckenden Lernen werden das Entdecken und das Forschen verbunden. Forschen bedeutet, dass die Schüler neue Erkenntnisse mit Hilfe ihrem bereits vorhandenem Wissen und ihnen zur Verfügung stehenden Methoden weitgehend selbständig erlangen.

Charakteristisch für das forschend- entdeckende Lernen ist, dass nicht nur fachspezifische Lernziele erreicht werden, sondern auch allgemeine Lernziele. Der naturwissenschaftliche Unterricht soll lernwirksam gestaltet werden und dazu führen, einfache und komplexe Aufgaben möglichst systematisch zu lösen. Die Lernenden sollen lernen Probleme zu erkennen, zu beschreiben, zu analysieren und mit verfügbaren Mitteln zu lösen (Vgl. Schmidkunz, 1999). Das grundlegendste Lernprinzip für das forschend- entdeckende Unterrichtsverfahren ist das Lernen aus Problemsituationen. Das Unterrichtsziel (Inhalt, Thema) wird problematisiert und so entsteht eine Problemsituation. Die Aufgaben der Lernenden liegen darin, Probleme zu erkennen, zu formulieren und deren Lösung anzustreben. Mit Hilfe des Lehrenden entwickeln sie eine Lösungskonzeption, die sie dann durchführen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden diskutiert und abstrahiert. Schließlich wird das Lernenswerte als Wissen gesichert (Vgl. Rost, 1998). Der Unterrichtsprozess wird zu einer didaktisch konzipierten Problemerkenntnis- und Problemlösestrategie, die sich in der Struktur des forschend- entwickelnden Unterrichtsverfahrens wieder spiegelt. Um problemlösenden Unterricht zu gestalten, ist es wichtig, Problemsituationen für den Lernenden zu schaffen. Für einen Lernenden entsteht eine Problemsituation, wenn er mit Gegenständen, Situationen, Geschehnissen oder Vorgängen konfrontiert wird, die er mit seinem Vorwissen und seinen bisherigen Erfahrungen nicht erklären oder nicht nach ihm bekannten Verhaltensmustern lösen kann. Er muss den Widerspruch erkennen und die fehlende Klärung der Situation als Mangel empfinden. Die Grundlage und das Bedürfnis zur Lösung des Problems sind die erkannten Problemsituationen. Das geschaffene Problem muss für den Schüler ein echtes Problem darstellen. Der Lehrende muss sich darüber klar sein, welches Wissen zur Problemerkenntnis und zur Problemlösung notwendig ist und den Lernenden dabei helfen, das bereits vorhandene Wissen bereit zu stellen.

Der Unterrichtsverlauf, also der Erkenntnisprozess hat eine weitgehend gegliederte Struktur in Denkstufen (Lernstufen). Durch diese Struktur kann sowohl der Anfänger als auch der erfahrene Lehrer jederzeit den Stand des Unterrichtsfortganges erkennen und handelnd beeinflussen. Falls erforderlich kann der Lehrende sicher steuernd und regelnd in den Unterricht eingreifen.

FRIES und ROSENBERGER strukturierten den naturwissenschaftlich- mathematischen Bereich auf der Basis psychologischer Forschungsergebnisse in Denkstufen, die zeitlich aufeinander folgen, wobei ja nach Unterrichtssituation und Themenstellung die eine oder andere Denkstufe unterschiedlich groß sein oder sogar ausfallen kann:

1. Denkstufe: Problemgewinnung
2. Denkstufe: Überlegungen zur Problemlösung
3. Denkstufe: Durchführung eines Lösevorschlags
4. Denkstufe: Abstraktion der gewonnenen Erkenntnisse
5. Denkstufe: Wissenssicherung

(Vgl. Schmidkunz, 1999).

Wir haben es heute an der Schule mit einer veränderten Kindheit zu tun. KNAUF benennt als Folgen der veränderten Lebensumstände und der damit veränderten Kindheit die soziale Vereinsamung und die „Verinselung“ sozialer Erfahrungen. Die Kinder erhalten keine Möglichkeiten zur sinnlichen Weltaneignung und die Eigentätigkeit gerät immer mehr in den Hintergrund. Die heutigen Schüler werden mit alltäglichen Gewalterfahrungen konfrontiert und die sinnstiftenden Wertvorstellungen sind durch Multikulturalität und Pluralität gekennzeichnet. Die heutige Schule muss auf diesen Gesellschaftswandel reagieren und neben einem Lernort auch Lebensort werden, indem die Schüler in einer anregungsreichen und geöffneten schulischen Umgebung Erfahrungen machen können. Ebenso muss sie dazu beitragen, die außerschulische Selbständigkeit bei Kindern zu stärken (Vgl. Foster, 1993). SCHNEIDER/ MEIER sehen die Aufgaben der Grundschule darin, den Kindern Zeit zu widmen, ihre Interessen anzunehmen und sie selbständig handeln zu lassen (Vgl. SCHNEIDER/ MEIER, 1998, S. 35 aus: Foster, 1993). Nach Foster sind dies sind Aufgaben, die sich im forschend- entdeckendem Lernen vereinigen.

3. Belege der Geschlechterforschung

In diesem Teil meiner Arbeit wird ein Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Geschlechter-, wie auch über die Befunde der Geschlechterunterschiedeforschung gegeben.

Die so genannten „Gender Studies“ beziehungsweise die Geschlechterforschungen entwickelten sich aus der Frauenbewegung und ihren Forderungen an die Politik. Deshalb finde ich es wichtig, zunächst auf die Entwicklung der Frauenbewegungen einzugehen.

3.1 Die Entwicklung der Frauenbewegungen

Die erste politische Frauenbewegung fand im 19. Jahrhundert statt. Hier spielte der radikale, sozialistische und bürgerliche Feminismus eine große Rolle. Während der radikale und sozialistische Feminismus sich für die Gleichheit und Gleichberechtigung einsetzte, machte sich die bürgerliche Frauenbewegung für die Gleichwertigkeit, aber Besonderheit der Frauen stark.

Die neue Frauenbewegung, die in den 1970er Jahren datiert wird, weist drei verschiedene Arten von Feminismus auf (Vgl. Faulstich- Wieland, 2003, S. 98):

1. Liberaler Feminismus
2. Sozialistischer Feminismus
3. Radikaler Feminismus

Der „Liberale Feminismus“ orientierte sich an den Menschenrechten als Individualrechte und setzte sich für die Förderung von individuellen Wahlmöglichkeiten ein.

Der „Sozialistische Feminismus“ zeigte, dass Geschlecht eine grundlegende Strukturkategorie sozialer Ungleichheit ist. Hier befasste man sich mit Fragen über Ökologie, Krieg, Gewalt und internationaler Ungleichheit, wobei auch die Differenzen zwischen den Frauen sichtbar gemacht wurden.

Die dritte Frauenbewegung entstand in Selbsterfahrungsgruppen, in denen sich die Frauen über ihre eigenen Erfahrungen und Benachteiligungen austauschten. „Das Private ist politisch“ diente als Slogan der „radikalen Frauenbewegung“ (Vgl. Faulstich- Wieland, 2003, S. 99).

Der „Liberale Feminismus“ der zweiten Frauenbewegung deckt sich mit dem „radikalen Feminismus“ der ersten Frauenbewegung. Wobei die Forderungen des heutigen radikalen Feminismus mit denen der bürgerlichen Frauenbewegung übereinstimmen. So fand eine Umkehrung des radikalen Verständnisses statt. Während der ersten Frauenbewegung meinte es die Erreichung von Gleichheit, in der zweiten Frauenbewegung mehr die Anerkennung von Differenzen zwischen den Geschlechtern.

Die feministischen Ansätze entsprangen aus den politischen Aktivitäten der Frauen und ihren gesellschaftsveränderndem Potenzial. Ilse Lenz, Professorin für Geschlechter- und Sozialstrukturforschung teilt die Entwicklung in verschiedene Phasen ein. Die Zeit zwischen 1968 und 1975 sieht sie als „Bewusstwerdungs- und Artikulationsphase“, in der „Empowerment“ eine große Rolle spielt. Selbsterfahrungsgruppen wurden gegründet und Frauenzentren etabliert, wodurch neue kulturelle und politische Räume entstanden und somit auch eine feministische Öffentlichkeit. Im Vordergrund dieser Aktivitäten stand der klare Separatismus, einerseits gegenüber Institutionen und andererseits besonders gegenüber Männern. Die homosozialen Zusammenhänge von Frauen sollten etabliert werden.

Die fünf Jahre zwischen 1975 und 1980 gelten als „Projekte- und Konsolidierungsphase“, in der eine zunehmende Differenzierung der Aktivitäten nach Themen, Praxisfeldern und Richtungen entstand. Es kam zu einer Auflockerung der Trennlinien zwischen den autonomen Frauengruppen und institutionalisierten Formen des Zusammenschlusses von Frauen, zum Beispiel in Parteien, Gewerkschaften und Frauenverbänden.

Hier beginnt auch die Frauenforschung, die zunächst die folgenden zwei Ziele besonders verfolgte:

- Beseitigung des Androzentrismus der Wissenschaft und
- Abbau von Herrschaftsformen.

Das bestehende Wissenschaftssystem sollte grundlegend in Frage gestellt werden, denn Frauen fehlten in der Wissenschaft sowohl als Forschungssubjekte wie als „Forschungsobjekte“ (Vgl. Faulstich- Wieland, 2003, S. 100).

Dazu war es nötig, Geschlecht als soziale Kategorie zu analysieren und die Differenzen der Geschlechter herauszuarbeiten. Die damalige Frauenforschung wurde als „Differenzfeminismus“ und die Zeit der 1980er Jahre als „Phase der Differenzierung, Professionalisierung und institutionellen Integration“ bezeichnet. Die offen ausgesprochene Kritik an der männlich zentrierten Moderne und die Absage an Analysen, die Frauen als defizitär gemessen an männlichen Normen ansahen, führte zur Suche nach Besonderheit von Frauen (Vgl. Faulstich- Wieland, 2003, S.100). Man setzte sich mit verschiedenen Differenzkonzepten auseinander, die schließlich zu einer reflexiven Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit führte.

Zunächst stellte Carol Hagemann- White die theoretischen Grundlagen der „Zweigeschlechtlichkeit“ in Frage.

Auch zwischen den verschiedenen Wissenschaftlern gibt es bei der Festlegung der Anzahl und Definition der Ebenen der Geschlechterdifferenzierung Unterschiede. Money (1969) unterscheidet sieben verschiedene Geschlechtsbestimmungen: Chromosomengeschlecht, Keimdrüsengeschlecht, Hormongeschlecht, morphologisches Geschlecht, hypothalamisches Geschlecht, Zuweisungsgeschlecht und Geschlecht der Geschlechtsidentität. Neumann (1980) hingegen bestimmt nur fünf: chromosomales Geschlecht, Keimdrüsengeschlecht, körperliches Geschlecht, psychisches Geschlecht und Habammengeschlecht (Vgl. Sigrun Richter, 1996, S. 116). Diese verschiedenen Möglichkeiten beinhalten komplexe Kombinationsformen, so dass die Zuordnung jedes Menschen zu einem weiblichen oder männlichen Geschlecht eine gesellschaftlich entwickelte Übereinkunft ist, die das morphologische Geschlecht als primäres Merkmal zulässt.

Aus diesem Grunde wurden bereits in den 1950er Jahren die Begriffe „sex“ und „gender“ in den USA eingeführt.

Mitte der 1980er Jahre entwickelten Candace West und Don Zimmermann das Konzept des „doing gender“ und schalteten zwischen „sex“ als körperliches Merkmal und „gender“ als soziales Geschlecht die „sex category“ als den Prozess der Zuordnung des Menschen zu einem Geschlecht. Dies wurde 1992 von Regine Gildemeister in die deutsche Diskussion eingebracht. Als Konsequenz aus der Erkenntnis der sozialen Konstruktion von Geschlecht heben sie drei Punkte hervor:

„1. Die analytische Unabhängigkeit von körperlichem Geschlecht (sex), sozialer Zuordnung zu einem Geschlecht (sex category) und sozialem Geschlecht (gender) trägt der Einsicht Rechnung, dass die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit nicht unmittelbar aus der biologischen Ausstattung des Menschen abgeleitet werden kann.

2. Die wechselseitig reflexive Beziehung zwischen körperlichem Geschlecht und sozialer Geschlechtszuordnung bietet Ansatzpunkte, um herauszuarbeiten, wie Natur als kulturell gedeutete gleichwohl an zentraler Stelle- und sei es nur als Unterstellung- in die Konstitution des Geschlechts eingeht.

3. Die interaktive und situationsspezifische Verortung des Prozesses und der Herstellung und Validierung von sozialem Geschlecht bewahrt schließlich vor dem Missverständnis, das Geschlecht sei irgendwo im Individuum zu verankern, als Merkmal oder Eigenschaft von Personen dingfest zu machen, die im Alltagshandeln nur ihren Ausdruck finden“ (Gildemeister/ Wetterer 1992, S.213 aus: Faulstich- Wieland, 2003, S.102).

1991 wurde die deutsche Diskussion stark von Judith Butlers Buch „Gender trouble“ (deutsch: „Das Unbehagen der Geschlechter“) bestimmt. Mit ihren provozierenden Thesen zeigte sie auf, wie alle Bestimmungen von Geschlecht zugleich den Festschreibungsprozess unterstützten. Dies brachte die Frauenforschung in eine paradoxe Situation und eine neue Stufe der Auseinandersetzung in der Frauenforschung entwickelte sich.

Nicht mehr Zweigeschlechtlichkeit war angesagt, sondern critically queer- Sein, das bedeutet, eine Vervielfältigung von Existenzformen. Dadurch verlöre die Frauenforschung ihre Berechtigung, unter dem Terminus Genderforschung jedoch sollte sie weiterhin zu einer Veränderung von Wissenschaft beitragen (vgl. Braun 1995, Genschel 1996, Hauser 1996 aus: Faulstich- Wieland, 2003, S. 103).

Sabine Hark, Carola von Braun und Inge Stephan sehen die heutige Situation von feministischer Theorie ähnlich und charakterisieren sie folgendermaßen: „Geschlechterforschung/ Gender- Studies fragen nach der Bedeutung des Geschlechts für Kultur, Gesellschaft und Wissenschaften. Sie setzen keinen festen Begriff von Geschlecht voraus, sondern untersuchen, wie sich ein solcher Begriff in den verschiedenen Zusammenhängen jeweils herstellt bzw. wie er hergestellt wird, welche Bedeutung ihm beigemessen wird und welche Auswirkungen er auf die Verteilung der politischen Macht, die sozialen Strukturen und die Produktion von Wissen, Kultur und Kunst hat“ (Stephan/von Braun 2000, S.9 aus: Faulstich- Wieland, 2003, S. 104).

Die neue Frauenbewegung sieht Ilse Lenz „eingebettet in Internationalisierungen und Neuorientierungen, bei denen es durch einen multikulturalistischen Feminismus gelang, den generellen Opfermythos zu durchbrechen, durch „men’s feminism“ den Blick auf die männliche Dividende (Connell 1998, 1999, 2002 aus: Faulstich- Wieland, 2003, S. 104) zu richten und durch Queer theory die Ordnungskategorie Geschlecht überhaupt in Frage zu stellen.

So haben sich in den 1990er Jahren Prozesse des Mainstreamings und eine Geschlechterforschung entwickelt, die nach neuen Konzepten suchen: „Nicht mehr Anerkennung von Verschiedenheit, sondern gender- free, die Aufhebung des Geschlechts als kollektive Zwangszuschreibung wird an den Horizont geschrieben“ (Lenz 2002, S. 63 aus: Faulstich- Wieland, 2003, S. 104).

An das reflexive und analytische Potenzial des Feminismus, der Frauenbewegung und der Geschlechterforschung werden durch den veränderten Kontext neue Anforderungen gestellt. Auch in Bezug auf die eigenen Entwicklungen. „Trotz aller Ausdifferenzierungen und Weiterentwicklungen bleibt jedoch der ursprüngliche, politisch intendierte Ausgangspunkt erhalten: nach wie vor geht es um den Abbau von Hierarchien, um die Verwirklichung von Demokratie“ (Vgl. Faulstich- Wieland, 2003, S. 104).

Gender sei eine „grundlegende wissenschaftliche Analysekategorie, mit der ,die fragwürdig gewordene Opposition zwischen Männern und Frauen’ dekonstruiert, gleichzeitig aber die in der Praxis weiterbestehende Opposition, in ihren sozialen, kulturellen und politischen Realitäten als Mechanismus der Hierarchisierung ernst genommen werden könne“ (Stephan 2000, S. 68 aus: Faulstich- Wieland, 2003, S. 104).

Waren die Anfänge des Feminismus durch Autonomie und Emanzipation gekennzeichnet, wird die neue Frauenbewegung mit Vielfalt, Unterschiedlichkeit, Relationalität und Dezentralität beschrieben.

3.2 Geschlechterunterschiede

Bevor ich mich mit den gegenwärtigen Befunden zu Geschlechterunterschieden in Erlebens- und Verhaltensbereichen beschäftige, möchte ich auf die Frage eingehen, wie sinnvoll es ist, sich wissenschaftlich wie politisch mit Geschlechterunterschieden zu beschäftigen. Kommt es dadurch nicht zu einer Unterstützung der Kategorisierung und einer einseitigen Blickrichtung auf die Unterschiede, anstatt auf die immer deutlicher werdenden psychologischen Gemeinsamkeiten aufmerksam zu machen? Die folgenden Sichtweisen zu diesem Thema zeigen, dass die Analyse der Geschlechterunterschiede seit Jahrzehnten ein viel diskutiertes Thema darstellt. Denn das Thema ist sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftspolitisch wichtig. Bei der Untersuchung von Geschlechterunterschieden ist es wichtig, die dazugehörigen Determinanten und Erklärungsansätze für geschlechtstypisches Verhalten zu durchleuchten. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Geschlecht eine soziale Konstruktion ist, und dass Erwartungen, die an Personen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gestellt werden, entscheidend für die soziale Interaktion und individuelle Entwicklung sind. Nach der Untersuchung und Feststellung von Geschlechterunterschieden muss eine Analyse der möglichen Einflussgrößen erfolgen (vgl. Alfermann, 1996).

Wie im Kapitel 3.1 beschrieben, kämpften die Frauen mit dem Aufkommen der Frauenbewegung gegen die Vorstellungen ihrer Minderwertigkeit. Sie forderten schrittweise Wahlrecht, Recht auf gleiche Bildung und Arbeit und politische Betätigung. Zeitgleich wurden die damaligen philosophischen und psychologischen Annahmen über das Geschlechterverhältnis hinterfragt. Dennoch galten bis ins 20. Jahrhundert die unterschiedlichen Eigenarten als etwas Naturgegebenes (Vgl. Andrea Hilgers, 1994, S.39).

Simone Beavoir (1949) fordert als eine der ersten die Aufhebung der Denkweise, Frau- Sein würde ausschließlich über das biologische Geschlecht (Uterus und Ovarien) bestimmt. Sie untersucht die Rolle der Gesellschaft bei der Differenzierung der Geschlechter. Jedoch findet ein größeres Umdenken in den 1950er und 1960er Jahren statt. Hier entstehen im Laufe intensivierter Forschungsbemühungen immer größer werdende Zweifel an der einseitig biologischen Determinierung weiblicher und männlicher Eigenarten. Die empirische Forschungstradition beginnt in den USA mit Hilfe von ersten experimentellen Untersuchungen. Die Psychologie schafft durch verschiedene Befragungsmethoden und Leistungstests einen Überblick über die Geschlechterdifferenzen. Die feststellbaren soziopsychologischen Geschlechterunterschiede fallen geringer aus, als in der interpretierenden Literatur dargestellt wird.

In den 1970er Jahren entstand der Trend der psychologischen Ähnlichkeit der Geschlechter.

1974 stellten Macoby & Jacklin in ihrer Monographie anhand vorliegender Forschungsergebnisse aus dem angloamerikanischen Raum die Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden dar. Ihre additive Berechnungsmethode, die sich auf bestimmte, psychologische Variablen bezog, brachte das Ergebnis, dass Geschlechterunterschiede in einigen kognitiven Fähigkeiten bestünden.

Derzeit gelten als empirisch gesichert vier Geschlechterdifferenzen:

- verbale Fähigkeiten
- quantitative Fähigkeiten
- räumliche Wahrnehmung
- Aggressivität (Vgl.: Andrea Hilgers,1994, S. 41).

Sie stellten also auf psychologischer Ebene zwischen den Geschlechtern viel größere Ähnlichkeiten als Unterschiede fest.

Seit den 1980er Jahren wird diese Ähnlichkeitsthese der Geschlechter anhand von beobachteten Geschlechterunterschieden im sozialen Handeln und im Interaktions- und Kommunikationsverhalten infrage gestellt (Vgl. Alfermann, 1996, S.95).

1995 stellte Alice Eagly anhand ihrer Untersuchungen eine Abweichung von Macoby & Jacklin’s Beschreibung fest, da sie Unterschiede der Geschlechter in der sozialen Interaktion und Persönlichkeit beobachtete.

Alice Eagly spricht sich aus sozialpsychologischer Sicht dafür aus, Geschlechterunterschieden in sozialen Interaktionen mehr Beachtung zu geben. Die Geschlechterunterschiede im sozialen Handeln werden mit unterschiedlichen Status- und Rollenzuschreibungen erklärt. Auch Vertreter der Entwicklungspsychologie weisen darauf hin, dass die Geschlechterseparierung im Alltag Folgen für das soziale Interaktionsmuster und das soziale Handeln hervorruft.

Dennoch gibt es Vertreter der Ähnlichkeitsthese, die darum bemüht sind, die wachsende Ähnlichkeit zwischen den Geschlechtern hervor zu heben. So betonen Hyde & Plant 1995 die nicht aufweisbaren Geschlechterunterschiede in der Mehrheit der untersuchten psychologischen Variablen.

Blickt man auf die Geschlechterforschung der letzten drei Jahrzehnte zurück, so besteht der auffälligste Befund darin, dass sich die Geschlechterunterschiede verringert haben. Dorothee Alfermann stellte Variablen zusammen, in denen sich keine bis geringe oder mittlere bis hohe Geschlechterunterschiede zeigen. Sie differenzierte dabei nach Verhaltensbereichen, die in der Psychologie der Geschlechterunterschiede berücksichtigt wurden. Die folgenden Tabellen zeigen ihre dargestellten Ergebnisse:

Tabelle 1 stellt die Variablen dar, in denen keine bis geringe Geschlechterunterschiede aufzufinden sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Keine Geschlechterunterschiede

Wie die Tabelle zeigt, ist nicht nur in den kognitiven Fähigkeiten ein Wandel in den letzten Jahrzehnten aufzufinden.

Frauen und Männer haben bei Tests zur Erfassung des verbalen, des mathematischen und des räumlichen Denkens bis auf eine Ausnahme vergleichbare Ergebnisse erzielt. Ebenso zeigen die Kategorien Leistungsmotivation, Leistungsbewertung und Ursachenerklärung von Leistungen keinerlei Geschlechterunterschiede. Es fällt besonders auf, dass sich die kognitiven Leistungen der Geschlechter mit vergleichbarem Bildungsniveau angeglichen haben. Dies führt zur Annahme, dass Bildungs- und Sozialisationsunterschiede für die früher zu beobachtenden Geschlechterunterschiede verantwortlich waren. Die Ausnahme bei den kognitiven Fähigkeiten findet sich beim räumlichen Denken. Und zwar ist die Fähigkeit gemeint, dreidimensionale Gebilde (zum Beispiel Würfel) gedanklich zu drehen. Dort finden sich bei den männlichen Probanden die höchsten Werte.

Festzuhalten bleibt, dass die bisherige Forschung zu psychologischen Geschlechterunterschieden zeigt, dass nur geringe oder keine Geschlechterunterschiede nachzuweisen sind. Aber wie lassen sich dann die geschlechtstypische Arbeitsteilung und die großen Ungleichheiten im beruflichen Bereich unserer Gesellschaft erklären?

Tabelle 2 enthält Variablen, bei denen sich mittlere bis hohe Geschlechterunterschiede zeigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Geschlechterunterschiede

Bei Betrachtung der zweiten Tabelle sieht man, dass es ein großer bis sehr großer Geschlechterunterschied in motorischen Fähigkeiten gibt. Dies betrifft alle Tests, bei denen die Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer erforderlich sind. Die Ursachen sind zunächst biologischer Art, die aber durch Sozialisationsbemühungen noch verstärkt werden. Als Ursache für die mittleren bis großen Geschlechterunterschiede der Tabelle 2 lassen sich die bekannten Geschlechtsrollenerwartungen anführen. Das bedeutet, dass an eine männliche und eine weibliche Rolle Erwartungen gestellt werden, die zur Entstehung von Geschlechterunterschieden in solchen Verhaltensbereichen führen, wo auch soziale Rollenerwartungen einfließen. Geschlechtstypische Rollenerwartungen spiegeln sich in folgenden Unterschieden wieder: unterschiedliche Interessen, Persönlichkeitsmerkmale, Unterschiede im nonverbalen Verhalten, im sozialen Handeln, in Partnerwahlkriterien und sexuellen Einstellungen.

Andere Verhaltensbereiche, wie die unterschiedlichen Erkrankungsrisiken und die Lebenserwartung lassen sich mit rollentheoretischen Ansätzen nur gering erklären. Hier wirken biologische Ursachen, unterschiedliche Lebensbedingungen und Rollenerwartungen zusammen. Dass die Jungen eine höhere Aggressivität aufweisen, lässt sich auch eher interaktionistisch erklären. Und dass diese Aggressivität sich im Erwachsenenalter verringert, lässt sich mit dem Einfluss von Erziehungsbemühungen erklären. So erhalten wir den Befund, dass wenn man die Geschlechter auf der Grundlage individueller Daten und individueller Merkmale miteinander vergleicht, große Ähnlichkeiten zwischen ihnen bestehen. Dennoch lassen sich Geschlechterstereotype beobachten, die bedeutende Unterschiede bei den Geschlechtern annehmen. Dies zeigt sich auch in den Geschlechterrollen. „In der sozialen Wahrnehmung, in der sozialen Interaktion und in der gesellschaftlichen Wirklichkeit bildet das Geschlecht eine so auffallende Variable, dass der Eindruck entstehen muss, dass das Geschlecht doch erheblich bedeutsamer für die individuelle Lebensentwicklung ist, als es aufgrund der vorliegenden Ergebnisse zur Psychologie der Geschlechterunterschiede erscheinen mag“(Vgl. Alfermann, 1996, S.9).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für unsere Gesellschaft und das menschliche Zusammenleben Geschlechtsstereotype und Geschlechtsrollenerwartungen sehr bedeutend sind. Sie fließen in die Interaktion der Geschlechter mit ein. Jedoch sind sie bei psychologischen Merkmalen nicht für Geschlechterunterschiede verantwortlich, da dabei das Geschlecht als individuelles Merkmal auftritt. In der sozialen Interaktion kommt es darauf an, Geschlecht als soziale Kategorie zu aktivieren. Dies wird in unserer zweigeschlechtlich strukturierten Gesellschaft im beruflichen Bereich besonders deutlich. Das Bild der geschlechtergetrennten Arbeitswelt zeigt, dass Männer und Frauen unterschiedliche Kategorien darstellen. Dorothee Alfermann konstatiert, dass je bedeutsamer die Geschlechtsgruppenzugehörigkeit in der Interaktion oder in Entscheidungsprozessen wird, desto stärker kommen die Geschlechtsrollenerwartungen ins Spiel. Dadurch werden auch die Geschlechterunterschiede größer.

Die epochalen (Intelligenz und Sex) und ontogenetischen (Aggression) Veränderungen der Geschlechterunterschiede in einigen psychologischen Merkmalen zeigen, dass in allen menschlichen Bereichen soziale Lernprozesse eine bedeutende Rolle spielen.

3.3 Geschlechterstereotype

Es gibt bis heute kein einheitliches Konzept, das weibliche und männliche Persönlichkeitsunterschiede belegen, dennoch gibt es viele Eigenschaften, die zum jeweiligen Geschlecht als „weiblich“ oder „männlich“ konnotiert werden. Soziale Stereotypen basieren auf den konventionalen Vorstellungen einer Gruppe beziehungsweise eines Kulturkreises (Vgl. Hilgers, 1994, S. 43). Sie geben verbreitete und allgemeine Annahmen über die Eigenschaften einer Personengruppe dar, die im Laufe der Sozialisation durch eigene Beobachtungen, Aussagen anderer Personen oder über die Medien erworben werden. Geschlechterstereotypen sind demnach Annahmen über die personalen Eigenschaften von Frauen und Männern. Sie gehören zum Alltagswissen in jeder Kultur und werden schon früh im Laufe der kindlichen Entwicklung erworben. Spence, Deaux & Helmreich gehen davon aus, dass im Laufe der Entwicklung eines Kindes die Kenntnis über stereotype Eigenschaften wächst und dass der Erwerb der eigenen Geschlechterstereotype nach Abschluss des Grundschulalters vermutlich weitgehend abgeschlossen ist (Vgl. Alfermann, 1996, S.13). Die Inhalte der Geschlechterstereotypen zeigen bis auf einige interkulturelle Schwankungen große Gemeinsamkeiten auf. Eine kulturvergleichende Studie, die in 25 Ländern durchgeführt wurde, verdeutlichte, dass die Kenntnis von Geschlechterstereotypen und die interkulturelle Übereinstimmung im Erwachsenenalter endgültig ausgeprägt ist (Williams und Best, 1990a, aus: Alfermann, 1996, S. 13). Es bestehen außerdem große Gemeinsamkeiten in den inhaltlichen Zuschreibungen der Eigenschaften. Die folgende Tabelle zeigt die Eigenschaften, die in mindestens 20 der 25 Nationen als typisch „weiblich“ oder typisch „männlich“ bezeichnet wurden. In den Nationen gab es keine Umkehrungen der männlichen und weiblichen stereotypen Eigenschaften.

Tabelle: „Stereotype Eigenschaften, die übereinstimmend in mindestens 20 der 25 untersuchten Staaten genannt wurden“ (Williams & Best, 1990a, aus: Alfermann, 1996, S. 16).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Geschlechterstereotypen

Auffallend ist, dass es mehr männliche Eigenschaften gibt als weibliche, und so das männliche Geschlecht die dominante Gruppe darstellt. Zusammenfassend ist das männliche Stereotyp durch Aktivität, Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und Leistungsstreben gekennzeichnet. Das weibliche Stereotyp beinhaltet hingegen Eigenschaften von Emotionalität, Soziabilität, Passivität und praktischer Intelligenz. Das männliche Stereotyp entspricht der instrumentellen Rolle, das weibliche Stereotyp der expressiven Rolle.

Die Geschlechterstereotype stimmen auch mit der geschlechtstypischen Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft überein und werden umgekehrt von ihr auch immer bestätigt.

Im Bereich der Stereotype und der Rollenübernahme wird das Geschlecht als soziale Kategorie relevant. Geschlecht beeinflusst die Selbst- und Fremdwahrnehmung und wirkt als Einflussfaktor in Gruppensituationen, indem sich Individuen abhängig von der Geschlechterzusammensetzung der Gruppe anders verhalten. Es ist bekannt, dass bei gleichgeschlechtlich zusammengesetzten Gruppen in Männergruppen die Diskussionsbeiträge eher aufgabenbezogen sind und in Frauengruppen die Beiträge mehr auf soziale Beziehungen ausgerichtet sind, die dadurch eine angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen. In gemischtgeschlechtlichen Gruppen gleichen sich beide Geschlechter in der Art ihrer Diskussionsbeiträge stärker an. Eagly & Karau (1991) beobachteten, dass in gemischtgeschlechtlichen Zweiergruppen meistens die Frau dem Mann die Führungsposition überlässt.

Im Laufe der Entwicklung vergrößert und verfestigt sich unser Wissen über die Stereotypen, sondern auch über die entsprechenden Geschlechtsrollenerwartungen. Die Geschlechtsrollenerwartungen repräsentieren was für das jeweilige Geschlecht angemessen ist und was von ihm erwartet wird. Die Geschlechterrollen beinhalten die normativen Erwartungen bestimmter Eigenschaften und Handlungsweisen. Die Geschlechtsrollenerwartungen treten in gemischtgeschlechtlichen Gruppen deutlicher in Erscheinung als in geschlechterhomogenen Gruppen. Dies führt auch zu vielen Geschlechterunterschieden in gemischtgeschlechtlichen Gruppen. Für Alice Eagly (1987) ist die zentrale Ursache für Geschlechterunterschiede im sozialen Handeln die Erwartungen an die Geschlechterrolle. Geschlechterrollen und damit auch Geschlechtsrollenerwartungen üben in sehr vielen Kontexten einen Einfluss auf die Wahrnehmung und das Handeln aus und haben somit Auswirkungen auf die Gestaltung der spezifischen Rollen.

In unserer Kultur sind die Geschlechterunterschiede in psychologischen Merkmalen sehr gering, im Gegensatz dazu fallen die sozialen Konsequenzen der Geschlechtszugehörigkeit groß aus. Die Forderung nach einer Geschlechterunterschiedsforschung rechtfertigt sich dadurch, dass nur die Kenntnis der Geschlechterunterschiede eine Erziehung zur Gleichstellung der Geschlechter erreichbar macht. Die Forschung kann die Daten zum Geschlechterunterschied bereitstellen, für die entsprechenden Konsequenzen muss aber die Politik sorgen (vgl. Alfermann, 1996).

4. Interaktionsstudien

Es gibt einige, wenn auch wenige Studien, die sich mit dem Einfluss unterschiedlicher Unterrichtsformen auf Interaktionsstrukturen und geschlechtsspezifische Entfaltungsmöglichkeiten befassen.

Das Lernen in der Schule findet in unterschiedlichen Unterrichtsformen und Interaktionsprozessen statt. Die Unterrichtsformen sind die Rahmenbedingungen, in denen die Lernprozesse strukturiert werden. Unterricht kann in folgenden Formen stattfinden:

- Frontalunterricht
- Fragend- entwickelnder Unterricht
- Gruppen- und Partnerarbeit
- Freiarbeit
- Projektunterricht
- Werkstattarbeit.

In den Interaktionen, die in der Schule zwischen Schülerinnen und Schülern stattfinden, wird Geschlecht situativ konstruiert. Diese Konstruktionen beinhalten Einstellungen, Erwartungen und sogar Stereotypen der einzelnen Interaktionsparteien. Dies wird in den unterschiedlichsten Interaktionsformen, wie zum Beispiel Verhalten, Beurteilen, Aufmerksamkeit gewähren oder verweigern sichtbar. Interaktionen basieren immer sowohl auf Inhalts- als auch auf Beziehungsebenen (Vgl. Stürzer, 2003, S. 151).

Helga Jungwirth führte 1990, 1991 das Projekt „Die geschlechtliche Dimension der Interaktionsstrukturen im Mathematikunterricht und ihre Folgen“ im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Sport durch. In 11 Klassen aller Jahrgangsstufen an allgemein bildenden höheren Schulen nahm sie 38 Mathematikstunden auf Video- und Audioband auf und wertete sie anschließend aus.

Sie stellte fest, dass Mathematik in der Schule zum größten Teil fragend- entwickelnd unterrichtet wird. Es fanden lediglich zwei Viertelstunden Gruppenarbeit als alternative Lernform statt, die aber nicht ausgewertet wurden. Nach Jungwirth zeichnet sich der fragend- entwickelnde Unterricht dadurch aus, dass der Unterrichtsstoff nicht einfach durch einen Lehrervortrag vermittelt wird, den die Schüler einfach rezipieren. Die Lehrperson gestaltet ein Frage- und- Antwort- Spiel, an dem sich die Schüler aktiv beteiligen können.

Dabei fand Jungwirth geschlechtsspezifische Handlungsmuster. Ihr Resumee lautet, dass Mädchen im Mathematikunterricht ihren Kompetenzen nicht gerecht werden, da sie sich dem praktizierten Frage- und Antwort- Spiel entziehen. Der fragend- entwickelnde Unterricht beinhaltet uneindeutige Situationen, in denen sich Mädchen zurückhaltender verhalten als die Jungen. Dies wird in der Schule von Lehrern oft als Nichtwissen oder auch als Unfähigkeit gesehen, wesentliche Zusammenhänge rasch erfassen zu können. Aus diesem Grund wurde den Mädchen weniger Kompetenz zugesprochen. Diese beobachteten Verhaltensweisen können auch durch das Verhalten der Lehrkräfte hervorgerufen worden sein. Denn Jungwirth konnte in Interaktionsprozessen beobachten, dass Lehrkräfte auf Äußerungen von Mädchen und Jungen unterschiedlich reagierten. Wenn Jungen im Unterrichtsgespräch nicht in der von der Lehrkraft erwarteten Weise antworteten, so versuchten die Lehrkräfte sich argumentativ zu einigen. So bekamen die Jungen Gelegenheit, sich überzeugen zu lassen. Bei Mädchen argumentieren die Lehrkräfte autoritativ, so dass es ihnen nicht möglich war, mit zu entscheiden und erschienen somit weniger kompetent.

Aber auch in anderen Unterrichtsformen erkennt man ungleichmäßige Unterrichtsbeteiligungen von Mädchen und Jungen.

Astrid Kaiser beobachtete in ihrer Untersuchung 45 Freiarbeitsstunden an einer Grundschule. Während der Arbeitsphasen verteilte sich die Interaktionshäufigkeit zwischen Mädchen und Jungen und ihren Lehrkräften zugunsten der Jungen. Denn Jungen forderten wie im Frontalunterricht mehr Aufmerksamkeit und bekamen diese auch von den Lehrkräften. Da die Jungen während der individualisierten Freiarbeit häufiger nach Zuwendung und Hilfe fragten, bekamen sie diese auch von den Lehrkräften. Diese Lernform lässt ein Konkurrenzprinzip entstehen („Wer bearbeitet seine Arbeitsblätter schneller? Wer gewinnt die Aufmerksamkeit der Lehrkraft?), das nach Kaiser einerseits das dominierende Verhalten der Jungen und andererseits den Rückzug der Mädchen aus dem schulischen Geschehen fördert. Anstatt des vorherrschenden, materialdifferenzierten Konzepts, plädiert sie für ein projektorientiertes Konzept. Dieses beinhaltet längerfristige Inhaltszusammenhänge und soll der Dominanz der Jungen in der Freien Arbeit Grenzen setzen und zugleich die sozialen Kompetenzen der Mädchen fördern, die in mehr gruppenstrukturierter Freier Arbeit zum Vorschein kommen sollen (Vgl. Stürzer, 2003, S.154).

Ein weiteres geschlechtersensibles Projekt realisierte die Laborschule Bielefeld in den 1990er Jahren. „Mädchen und Jungensozialisation“ ist ein Projekt aus den Jahren 1990- 1993, das das Ziel verfolgte, Benachteiligung in der Laborschule und Phänomene geschlechtsspezifischer Sozialisation zu untersuchen und zu dokumentieren. Im Rahmen dieses Projektes sollten Unterrichtsprojekte entwickelt werden, die für Mädchen und Jungen auf der Ebene der Erwerbs- als auch der Familienarbeit deutlich erweiterte Zugangsmöglichkeiten eröffnen. (Christine Biermann/ Annelie Wachendorff 1992 aus: Stürzer, 2003, S. 154). Die Forscherinnen konnten bei ihrer Arbeit feststellen, dass innerhalb der einzelnen Gruppen in geschlechtshomogenen Gruppen die Unterschiede zum Teil größer schienen als die zwischen Mädchen und Jungen. „Stärkere Sensibilität gegenüber vorgedachter Zuschreibungen“

Wiltrud Thies und Charlotte Röhrer untersuchten in ihrer Interaktionsstudie die Schulreform darauf, ob und inwieweit die Geschlechterfrage berücksichtigt wird und auf ihre Schulwirklichkeit übertragen wird. Die Studie wurde an zwei Schulen durchgeführt- im Primarbereich und Sekundarbereich I- die jeweils Reformansätze verfolgten und auch die Geschlechterfrage berücksichtigten. Dabei erstellten sie eine Teilstudie zum Kommunikationsverhalten sechs- bis achtjähriger Mädchen. Der Morgenkreis, der nach Thies und Röhner „eine dialogische, offene Form des Unterrichts“(Vgl. Stürzer, 2003, S. 155) darstellt, wurde zu Unterrichtsbeginn beobachtet und analysiert. Die Redebeiträge wurden quantitativ analysiert. Es stellte sich heraus, dass die Redebeiträge der Jungen überwiegten. Im Gegensatz zu den Jungen nahmen die Mädchen häufiger am offiziellen Unterrichtsgespräch teil und weniger an privaten Seitengesprächen. Sie kommunizierten überwiegend auf der Inhaltsebene, wobei die Jungen eher auf der Beziehungsebene Gespräche führten. Da Mädchen stärker das Unterrichtsgeschehen mitgestalten, werden sie von der Lehrkraft öfter zu Fragen, die den Inhalt betreffen, aufgerufen. Jungen müssen aus disziplinären Maßnahmen häufiger ermahnt werden. Sie erhalten so eine größere Aufmerksamkeit der Lehrperson, die häufiger auf der Beziehungs- als auf der Inhaltsebene basiert. Eine Analyse von Wochenendbeiträgen von zwei Mädchen und zwei Jungen ergab, dass Jungen Mädchen häufiger unterbrechen und dass während ihrer Beiträge häufiger von Jungen initiierte Nebengespräche stattfinden. So erhielten die Jungen insgesamt mehr Aufmerksamkeit. Die Beobachtungen werden von Thies und Röhner so interpretiert, dass im Morgenkreis, eine Form des offenen Unterrichts, geschlechtsstereotypes Verhalten gefestigt wird. Ihre Forderung ist, dass der reformierte Unterricht auf die Geschlechter reflektiert wird. Sie sehen als Alternative geschlechtsgetrennte Gesprächsphasen, so dass sowohl Mädchen als auch die Jungen Gelegenheit bekommen, kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen und lernen ihre sprachlichen Kompetenzen zu erweitern.

In den 1980er Jahren führten Uta Enders- Dragässer und Claudia Fuchs, Oswald und Krappmann Studien durch, die die Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern untersuchten. Im Rahmen ihrer Studie „Interaktion und Beziehungsstrukturen in der Schule“ führten Enders- Dragässer/ Fuchs in den Jahren 1985- 1987 Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern durch und analysierten anhand von Videoaufzeichnungen Unterrichtsstunden an verschiedenen Schulen, unterschiedlichen Klassenstufen und Fächern. Dabei konzentrierten sie sich ausschließlich auf das Verhalten der Jungen. Die Autorinnen beobachteten Ausgrenzungsstrategien, von denen die Jungen Gebrauch machten, wenn Mädchen in Mathematik gute Leistungen erzielten und damit selbstbewusst umgingen. Wenn die Mädchen aus der Rolle des gängigen Rollenstereotyps heraus traten. Bei den Ausgrenzungsstrategien handelte es sich um die Abwertung und Ignoranz der Mädchenleistungen, die letztendlich von den Jungen als Ausnahme oder streberhaftes Verhalten betrachtet wurde. Die Einsetzung dieser Ausgrenzungsstrategien erklären Enders- Dragässer und Fuchs damit, dass die Geschlechtsrolle der Jungen es nicht zulässt, dass Mädchen sie in Mathematik übertreffen. Sie vermeiden dadurch eine Auseinandersetzung mit der Realität, in dem sie das Verhalten der Mädchen negativ sanktionieren. Hier sehen die Autorinnen die Gefahr, dass Jungen im Laufe ihres sozialen Lernens keine realitätsnahe Sichtweise entwickeln und somit in ihren Handlungen und Reaktionen nicht realitätsgerecht agieren.

Lothar Krappmann und Hans Oswald führten zwischen 1980 und 1985 eine qualitative Studie zum Alltag und der Sozialwelt der Kinder durch. Sie beobachteten an einer Westberliner Schule die Klassen 1- 6 und gingen sowohl auf das Verhalten von Jungen als auch von Mädchen ein. Die auftretenden Geschlechterunterschiede in den Interaktionen werden aber nicht ausschließlich auf das dominante Verhalten der Jungen zurückgeführt. Obwohl in einer vierten und sechsten Klasse fast nur gleichgeschlechtliche Gruppen- und Freundschaftsbildung festgestellt wurde, war es möglich 400 Sequenzen zu erhalten, die Interaktionen zwischen Mädchen und Jungen zeigen. Diese aufgezeichneten Interaktionen ordneten die Autoren in folgende Verhaltensbereiche: „Hilfe und Kooperation“, „Quatschmachen“, „Spielen und Necken“, „Ärgern und Zurechtweisen“ und „körperliche Berührungen“. Ich werde aber nur auf die Auswertung der ersten Kategorie, „Hilfe und Kooperation“ eingehen, weil ich dieses Verhalten am wichtigsten für die Interaktion während Gruppenarbeiten sehe.

Bei „Hilfe und Kooperation“ beobachtete man bei den 10- jährigen Mädchen und Jungen eine seltene Zusammenarbeit. Die selten stattgefundenen Hilfeleistungen waren mit Problemen beheftet und in zwei Dritteln dieses Situationen kam es unter anderem zu Nörgeleien. Bei den Zehnjährigen waren es überwiegend die Mädchen, die die Rolle der Helferinnen einnahmen, um den Jungen, wenn sie um Hilfe baten, zu helfen. Die Mädchen halfen den Jungen zwar, nörgelten jedoch dabei. Bei den zwölfjährigen kamen Hilfeleistungen und kooperatives Verhalten in einem Viertel der Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern vor, die jetzt auf beide Geschlechter ungefähr gleich verteilt waren. Sie halfen sich gegenseitig gleichermaßen und glichen die Hilfestellungen auch mit Gegenleistungen aus.

Nach Astrid Kaiser weist sich nach dem gegenwärtigen Forschungsstand die Projektarbeit als am besten geeignet. Sie ermöglicht einen geschlechtergerechten Unterricht und eröffnet den Mädchen und Jungen neue Zugangsmöglichkeiten

Eine Studie, die sich mit der Inszenierung von Mädchen und Jungen in der Schule befasst, wurde von Hannelore Faulstich- Wieland veröffentlicht. Hannelore Faulstich- Wieland, Martina Weber und Katharina Willems führten 1998 eine dreijährige Längsschnittstudie mit Unterstützung der Max- Traeger- Stiftung der GEW durch. Bei ihnen kam es darauf an, die soziale Konstruktion von Geschlecht in schulischen Interaktionen zu beobachten. Die übergreifende Fragestellung ihrer Studie lautete: „Wie konstruieren Lehrkräfte und Jugendliche in der Adoleszenz in unterschiedlich zusammengesetzten Schulklassen durch Interaktion in verschiedenen Schulfächern Geschlecht als soziale Kategorie und welche Interaktionen tragen zur Neutralisation bei?“

Drei Schulklassen (7.-9. Schuljahr) eines Gymnasiums einer norddeutschen Stadt wurden drei Jahre lang begleitet.

Das zentrale Ergebnis ihrer Studie lautete, dass die Jugendlichen in ihren Interaktionen sowohl „doing gender“, „doing adult“ als auch „doing student“ praktizierten. Es wurden viel mehr Interaktionshandlungen über die Geschlechtergrenzen hinweg ermittelt als angenommen. Die Praktiken des „doing adult“ bezogen sich sehr stark auf das Geschlecht, wobei bei den Formen des „doing student“ das Geschlecht nicht im Vordergrund stehen musste. Sie zeigten anhand ihres Projektes, dass die Dramatisierung von Geschlecht, wie es als zentrales Moment in der feministisch orientierten Schulforschung vertreten wird allein nicht genügt. Es sei wichtig alle sozialen Kriterien, die für Interaktionen relevant sind zu beobachten. Denn es gibt offensichtlich eine Form des „undoing gender“ und zwar wenn für das Agieren in Interaktionen andere Kriterien bedeutsamer sind.

5. Das Untersuchungsdesign

In diesem Abschnitt werde ich das Untersuchungsdesign charakterisieren. Der erste Punkt beschreibt den Verlauf der Untersuchung. Im Anschluss folgt eine Charakterisierung der Untersuchungspopulation und im letzten Abschnitt erläutere ich die angewendeten Auswertungsmethoden.

5.1 Der Verlauf der Untersuchung

Am 1. Dezember 2005 wurde die 8. Jahrgangsstufe der Rudolf- Steiner Schule Siegen in die Räumlichkeiten der Universität Siegen von unserer Seminargruppe eingeladen.

In unserer Seminargruppe hatten wir für die Schüler eine Unterrichtseinheit zum Thema „Schmutzwasser“ vorbereitet.

Zunächst wurde die gesamte Gruppe von Frau Kremer in unser Vorhaben eingeführt. Sie übernahm den Einstieg, bei dem die Schüler das Thema, das sie an diesem Tag zu bearbeiten hatten, selbst herausfinden sollten. Frau Kremer spielte den Schülern das Werbevideo des Mineralwassers „Selters“ vor. Der Werbetext lautete: „Vor Tausenden von Jahren nahm ein Wasser seinen Weg durch tiefes Mineralgestein bis hin zu dieser Quelle. Selters- ein reines Wasser muss durch einen tiefen Stein.“

Anschließend zeigte sie den Schülern auf dem Overhead- Projektor eine Folie der Abbildung, die sich auf der Volvic- Flasche befindet. Die Abbildung zeigt einen Querschnitt verschiedener Vulkangesteinsschichten (Humusschicht, Puzzolan, Andesit, Basalt, Granitsockel). Dabei las sie den nebenstehenden Text laut vor: „Die Quelle entspringt dem Naturschutzgebiet der Auvergne, einer Vulkanlandschaft im Herzen Frankreichs. Natürlich gefiltert durch vulkanische Gesteinsschichten erhält Volvic seine spezifische Mineralisierung und so die Kraft des Vulkans und es wird zu einem Trinkwasser. Das Video und die Folie dienten für die Schüler als Ausgangspunkt zur Diskussion, sowohl zum Thema der Unterrichtseinheit als auch zum Kontext des gezeigten Materials. Dann bekamen die Schüler eine vorbereitete Schmutzwasserreinigungsflasche gezeigt, die aber mit Alufolie abgedeckt war, so dass die Schüler deren Inhalt nicht sehen konnten. Sie beobachteten lediglich, wie Frau Kremer dunkles Schmutzwasser hinein goss und es unten etwas sauberer wieder heraus kam. Die Schüler wurden aufgefordert dies zu erklären und den Versuchsaufbau nachzubauen. Dafür wurden sie in fünf verschiedene Kleingruppen eingeteilt. Drei dieser Gruppen bearbeiteten das Thema „Schmutzwasser“ nach forschend- entdeckendem Prinzip, zwei dieser Gruppen wurden nach traditionellem Lehrverfahren durch die Unterrichtsstunde geführt. Die verschiedenen Gruppen wurden während ihrer Arbeit videographiert. Sie bekamen die Aufgabe, den vorher gezeigten Unterrichtsaufbau nachzubauen.

Die vorliegende Arbeit untersucht die Gruppen, die das Thema forschend- entdeckend bearbeitet haben. Bei den Gruppen handelt es sich um eine geschlechterdifferente Gruppe und zwei geschlechterhomogene Gruppen.

5.2 Die Untersuchungspopulation

Im Folgenden stelle ich die untersuchten Schüler vor. Die Schüler besuchen die 8. Klasse der Rudolf- Steiner Schule Siegen und befinden sich im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Sie besuchen keine „normale“ öffentliche Schule, sondern eine Freie Waldorfschule.

Die Rudolf- Steiner Schule Siegen wurde 1980 gegründet. Sie ist die einzige Schulform, in der Schüler von der ersten bis zur 13. Klasse unterrichtet werden. Sie befolgt den Erziehungsansatz Rudolf Steiners, der besagt, die Entwicklung des Kindes zu berücksichtigen und ein Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“ gleichermaßen zu ergreifen. Abgesehen von den üblichen Regelfächern beinhaltet der Lehrplan einen umfangreichen künstlerisch- handwerklichen Unterricht. Dazu gehört Malen, Plastizieren, Schmieden, Holz werken, Gartenbau, Eurythmie, Chor, Orchester, Rezitation und Theaterspiel. Die Fremdsprachen Englisch und Französisch werden bereits ab dem ersten Schuljahr unterrichtet. In den Klassen 8- 12 absolvieren die Schüler mehrere verschiedene Industrie- beziehungsweise Sozialpraktika durch. An der Waldorfschule können folgende staatlich anerkannte Abschlüsse erworben werden: Hauptschulabschluss, Sekundarabschluss I, Hauptschulabschluss, Sekundarabschluss I, Hauptschulabschluss nach Klasse 10, Sekundarabschluss I- Fachoberschulreife, Fachhochschulreife und allgemeine Hochschulreife (Abitur) (Vgl. http://www.siwikultur.de/khb/9/4/1002b.htm).

Da die Schüler den praktischen und nach dem Prinzip mit „Kopf, Herz und Hand“ ausgerichteten Unterricht kennen, sind sie es gewohnt, selbständig und praktisch zu arbeiten. Ebenso sind sie mit dem Unterrichtkonzept Wagenscheins „genetisches Lernen“ vertraut, da einer ihrer Lehrer dies oft im Physikunterricht einsetzt.

Die Schüler wurden in fünf verschiedene Gruppen eingeteilt. Gruppe 1, 2 und 4 bearbeiteten das Thema forschend- entdeckend, die zwei anderen traditionell. Die erste Gruppe ist eine reine Mädchengruppe bestehend aus acht Mädchen. Die Gruppe 2 besteht aus acht Schülern, davon vier Mädchen und vier Jungen. Die vierte Gruppe ist eine reine Jungengruppe von 7 Jungen.

5.3 Die Auswertungsmethoden

Als Auswertungsmethode wählten wir die qualitative Videoanalyse.

Die Inhaltsanalyse dient der Auswertung von Texten (Transkripte von Ton- und Videoaufnahmen, Artikel, Tagebücher). So kann einem Text inhaltliche Informationen entnommen werden. Da es oft zu einer Unüberschaubarkeit der Transkripte kommt, müssen Kategorien gebildet werden, um sich einen Überblick über die wesentlichen Informationen machen zu können. Auf dieser Kategoriebildung basiert die quantitative Inhaltsanalyse. Mayring erweiterte diese Inhaltsanalyse, die erstmal in den 20er Jahren in den USA angewandt wurde, auf die qualitative Analyseform (Vgl. Gläser/ Lauder/ Grit, 2004).

Der Grundgedanke der qualitativen Inhaltsanalyse basiert darauf, die Vorteile der quantitativen Inhaltsanalyse zu bewahren und auf qualitativ- interpretative Auswertungsschritte zu übertragen und weiter entwickeln zu können (Vgl. Mayring, 2000). Gesprächsprotokolle, Dokumente, Videobänder können mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse aufgearbeitet werden. Dabei werden nicht nur der Inhalt, sondern auch die formalen Aspekte des Materials untersucht. Mayring (2000) legt vier Punkte fest, die von zentraler Bedeutung für die qualitative Inhaltsanalysen sind:

- Einordnung in ein Kommunikationsmodell: Festlegung des Ziels der Analyse, der Variablen des Textproduzenten, der Entstehungssituation des Materials, des soziokulturellen Hintergrunds, der Wirkung des Textes.
- Regelgeleitheit: Das Material wird nach einem festgelegten Schema zerlegt und bearbeitet.
- Kategorien im Zentrum: Die analytischen Aspekte werden in begründete Kategorien gefasst, die laufend überarbeitet werden können.
- Gütekriterien: Die qualitative Inhaltsanalyse soll nachvollziehbar sein und mit anderen Studien vergleichbar sein. Dies geschieht unter anderem durch die Interkoderreliabilität.

Im Zentrum der Vorgehensweise des qualitativen Verfahrens stehen zwei Ansätze: Die induktive Kategorieentwicklung und die deduktive Kategorieanwendung.

Die induktive Kategorieentwicklung dient dazu, das Material auf das Wesentliche, für die jeweilige Fragestellung Wichtige zu reduzieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: „Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung“

(Vgl.:http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-00/2-00mayring-d.htm)

Zur Unterstützung der qualitativen Inhaltsanalyse werden immer mehr computergestützte Programme entwickelt. In der vorliegenden Untersuchung wurde MAXqda 2 verwendet. MAXqda ist eine Textanalysesoftware, die seit 15 Jahren in der Sozialforschung angewandt wird.

Nachdem bei der vorliegenden Untersuchung die Transkription der Videos erfolgt war, mussten Kategorien (Codings) erstellt werden, um die Aussagen der Schüler überschaubar zu machen.

Eine Liste mit allen vergebenen Codings befindet sich im Anhang.

6. Ergebnisse

Zunächst werde ich einen Überblick über alle vergebenen Codierungen in den einzelnen Gruppen schaffen.

6.1 Verteilung der vergebenen Codierungen in Gruppe 1

Die erste Gruppe ist eine reine Mädchengruppe, die aus acht Mädchen besteht. Angeleitet werden sie von drei Studentinnen. Eine qualitative Analyse ihrer Anweisungen, Aussagen, Beobachtungen, Vermutungen/ Hypothesen, Experimentiervorschläge, Fragen, Nachfragen, Antworten, Deutungen/Erklärungen, Behauptungen und anderweitige Gespräche durch MAXqda ergibt folgendes Ergebnis:

Die Schülerinnen geben insgesamt 27 Anweisungen, wobei sich 20 an eine einzelne Schülerinnen und 7 an mehrere Schülerinnen richten. Ihre 97 Aussagen teilen sich in 6 inhaltliche und 91 methodische auf. Die Schülerinnen äußern 11 Beobachtungen und 8 inhaltliche Vermutungen/Hypothesen, wie auch 15 methodische Vermutungen/Hypothesen. Sie äußern während ihrer Arbeit 18 Experimentiervorschläge. Insgesamt kommt es zu 57 Fragestellungen, die sich in 5 inhaltliche und 52 methodische Fragen gliedern lassen. Von den inhaltlichen Fragen werden 1 an eine Schülerin, 1 an mehrere Schülerinnen und 3 an die Studentinnen gestellt. Von den methodischen Fragen gehen 13 an eine Schülerin, 27 an mehrere Schülerinnen und 12 an die Studentinnen. Es kommt während der Gruppenarbeit zu zwei Nachfragen. Bei den 60 Antworten handelt es sich um 9 inhaltliche und 51 methodische. 3 Mal werden inhaltliche Antworten einer Schülerin gegeben und 6 Mal den Studentinnen. 36 Mal wird einer Schülerin methodisch geantwortet und 15 Mal den Studentinnen. Die Schülerinnen machen neun Deutungen und Erklärungen und führen 26 anderweitige Gespräche. Die 42 Behauptungen werden 26 Mal vorsichtig und 16 Mal bestimmend gestellt.

6.2 Verteilung der vergebenen Codierungen in Gruppe 2

Die zweite Gruppe besteht aus acht Schülern. Vier Mädchen und vier Jungen, die von zwei Studentinnen geleitet werden.

Eine qualitative Analyse der männlichen Anweisungen, Aussagen, Beobachtungen, Vermutungen/ Hypothesen, Experimentiervorschläge, Fragen, Nachfragen, Antworten, Deutungen/ Erklärungen, Behauptungen und anderweitige Gespräche lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Insgesamt kann man 106 männliche Anweisungen fest halten. 84 richten sich an einen Schüler, davon 29 an einen männlichen Schüler und 55 an eine weibliche Schülerin. 22 der Anweisungen betreffen mehrere Schüler.

Von den 162 Aussagen sind 5 inhaltlich und 157 methodisch. Es sind 44 Beobachtungen, die ausgesprochen werden. Die männlichen Gruppenmitglieder äußern 41 Vermutungen/ Hypothesen, wobei vier inhaltlich und 37 zur Methodik zugeordnet werden können. Sie äußern insgesamt 78 Experimentiervorschläge. Insgesamt stellen die männlichen Probanden 102 Fragen, wobei sich 2 auf den Inhalt und 100 auf die Methodik beziehen. Die männlichen Schüler stellen inhaltliche Frage an einen weibliche Schülerin und eine an mehrere Schüler. Zur Methodik sind es 100 Fragen, wobei 54 Mal ein Schüler gefragt wird, davon 34 weibliche Schülerinnen. 41 Mal bezieht sich die methodische Frage auf mehrere Schüler und vier Mal an den Moderator, den zwei Studentinnen. Es wird eine Nachfrage seitens der männlichen Schüler ermittelt. Sie geben insgesamt 82 Antworten, die alle zur Methodik zugeordnet werden. 38 methodische Antworten gehen an einen männlichen Schüler und 42 an eine weibliche Schülerin. Den Studentinnen werden zwei methodische Antworten gegeben. Um den Versuch zu deuten oder zu erklären, machen die männlichen Gruppenmitglieder zwei Aussagen. Sie machen 33 bestimmte Aussagen und 10 vorsichtige.

In derselben Gruppe teilen sich die weiblichen Anweisungen, Aussagen, Beobachtungen, Vermutungen/ Hypothesen, Experimentiervorschläge, Fragen, Nachfragen, Antworten, Deutungen/Erklärungen, Behauptungen und anderweitige Gespräche folgendermaßen auf: Die weiblichen Schüler erteilen insgesamt 69 Anweisungen. 36 an einen männlichen Schüler, 23 an eine weibliche Schülerin und 10 an mehrere Schüler. Die 98 Aussagen sind methodische Aussagen. Sie machten 38 Beobachtungen und äußerten 16 methodische Vermutungen/Hypothesen. Zum Experimentieren machten sie 30 Vorschläge. Sie stellten 89 Fragen, 1 inhaltliche und 88 methodische. Die inhaltliche Frage richtet an die moderierenden Studentinnen. Zur Methodik werden 53 Mal einzelne Schüler befragt, 33 männliche und 20 weibliche. 29 Mal werden methodische Fragen an mehrere Schüler gestellt und sechs an die Studentinnen. Die Schülerinnen geben 58 Antworten. Sie antworten einmal Mal inhaltlich und 57 Mal methodisch. Bei den methodischen Antworten richten sich 21 an weibliche Schülerinnen und 32 an einen männliches Gruppenmitglied. Dem Moderator geben sie vier methodische Antworten. Sie versuchen zwei Deutungen/ Erklärungen und führen 138 anderweitige Gespräche. Ihre Behauptungen teilen sich in 13 vorsichtige und 10 bestimmte.

6.3 Verteilung der vergebenen Codierungen in Gruppe 4

Die vergebenen Codings in der Gruppe 4 sehen folgendermaßen aus: In der reinen Jungengruppen werden 146 Anweisungen erteilt. 123 an einen männlichen Schüler und 23 an mehrere Schüler. Es werden 184 methodische und 14 inhaltliche Aussagen gemacht. Die Schüler äußern 50 Beobachtungen. Ihre Vermutungen/ Hypothesen teilen sich in vier inhaltliche und 44 methodische. Es werden im Laufe des Experiments 39 Experimentiervorschläge gemacht. Die Schüler stellen 122 Fragen, davon drei inhaltliche und 119 methodische. An die Studentinnen richten sich drei inhaltliche und 7 methodische Fragen. Von den methodischen Fragen werden 78 an einen Schüler und 34 an mehrere Schüler gestellt. Sie geben insgesamt 155 antworten. 15 inhaltliche und 140 methodische. Die inhaltlichen Antworten richten sich an einen männlichen Schüler und 96 der methodischen auch. 44 Mal wird den Studentinnen methodisch geantwortet. Die Jungengruppe führen 69 anderweitige Gespräche. Ihre Behauptungen teilen sich in 20 bestimmte und 4 vorsichtige.

7. Fragestellungen und Hypothesen

Nach wiederholter Betrachtung des Videos und Einsicht in die Codierungen, wende ich mich vor allem den folgenden Fragestellungen zu:

- Wie sieht die Verteilung der „Anderweitigen Gespräche“ bei den Geschlechtern aus? Wie werden diese geführt?
- Wie vorsichtig beziehungsweise bestimmt werden Behauptungen von den Mädchen und den Jungen formuliert?
- An wen werden Anweisungen gegeben? Bekommen die Mädchen oder die Jungen mehr Anweisungen während des Experiments?
- Welche Fragen werden gestellt und an wen sind sie gerichtet?

Ins Auge fallen folgende Werte, die ich anhand von Säulendiagrammen darstellen möchte:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: „Anderweitige Gespräche"

Das abgebildete Diagramm zeigt die Verteilung der Codings für „Anderweitige Gespräche“. Die Anzahl der Codings für anderweitige Gespräche der männlichen Schüler wird mit den anderweitigen Gesprächen der weiblichen Schüler in den drei Gruppen gegenüber gestellt. Folgende Punkte fallen besonders auf:

1. Die Jungen führen weitaus mehr anderweitige Gespräche als die Mädchen. Dies gilt sowohl in der gemischten als auch in der homogenen Gruppe.

2. Betrachtet man nur die homogenen Gruppen, führt die reine Jungengruppe etwas mehr als doppelt so viele anderweitige Gespräche als die Mädchengruppe.

3. In der geschlechterdifferenten Gruppe verteilt sich dies ähnlich. Auch hier führen die Jungen doppelt soviel anderweitige Gespräche.

4. Auffallend ist auch, dass die Anzahl der anderweitigen Gespräche in der gemischten Gruppe verglichen mit der jeweiligen homogenen Gruppe sowohl bei Jungen als auch bei den Mädchen gewaltig ansteigt. Während die Jungen circa dreimal mehr anderweitige Gespräche führen, sind es bei den Mädchen fünfmal so viele.

In der gemischten Gruppe wurden die Mädchen zu mehr anderweitigen Gesprächen verleitet. Dies wird auch in der auffallend ähnlichen Struktur des Verlaufs der anderweitigen Gespräche deutlich. Dabei wird nur auf die anderweitigen Gespräche eingegangen, bei denen auch ein Dialog zwischen Jungen und Mädchen entsteht.

14 von 20 Gesprächen verlaufen sehr ähnlich. Dies sollen die folgenden Transkriptionsausschnitte verdeutlichen.

Das erste anderweitige Gespräch wird von einem Jungen nach 26 Minuten begonnen:

„Sm3: Male eine Kartoffel und sing ein Lied dazu.

Sw1: Nein, male ein Sack Kartoffeln.

Sw2: Was ist mit einem Sack Kartoffen?

Sw1: Ich glaub das war bei PISA. Oder wo war das noch mal?

Sm3: Wie heißt die Aufgabe wo so und so auf der Realschule?

Sw1: Ja genau. Aber auf der Waldorfschule male ein Sack Kartoffel und…

Sm3: Male eine Kartoffel.

Sm2: Male einen Sack Kartoffel und singe ein Lied dazu.

Sw2: Ich brauche gleich mal die Schere.

Sm2: Soll ich nicht so die Löcher machen?

Sm3: Ja stimmt.“

Ein männlicher Schüler wirft einen Satz ein, der nicht zum Unterrichtsgeschehen gehört. Eine Schülerin geht darauf ein, so dass ein anderweitiges Gespräch entsteht. Bis eine Schülerin nach der Schere fragt und die anderen Schüler ins Unterrichtsgeschehen „zurückholt“.

Nur eine Minute später beginnt der gleiche Schüler ein weiteres anderweitiges Gespräch:

„Sm3: Du darfst…du darfst mit 21 Alkohol trinken, aber mit 18 darfst du mit so `ne Halbautomatischen zu Hause rum sitzen.

Sm?: Du darfst ja schon einen auf der Straße abknallen…

Sw2: Wo denn?

Sm3: In Amerika. Darfst mit 16 Auto fahren, jou, mit 18 ne Waffe haben avber erst mit 21 Alkohol trinken.

Sm?: Aber nicht in jedem Staat.

Sm?: Da gibt es auch ein neues Gesetz! Da darfst du einen abknallen, wenn du meinst…

Moderator2: Was verändert ihr denn jetzt?

Sm3: Wir nehmen jetzt nicht mehr die Filter.“

[...]


[1] Diese Eigenschaften wurden übereinstimmend in allen (25) oder fast allen (24) Staaten als typisch männlich bzw. weiblich bezeichnet.

Excerpt out of 202 pages

Details

Title
Eine Videostudie zum Verhalten von Mädchen und Jungen bei Gruppenarbeiten im Rahmen des forschend-entdeckenden Lernens
College
University of Siegen
Grade
2,3
Author
Year
2006
Pages
202
Catalog Number
V86053
ISBN (eBook)
9783638900980
ISBN (Book)
9783638902588
File size
905 KB
Language
German
Keywords
Eine, Videostudie, Verhalten, Mädchen, Jungen, Gruppenarbeiten, Rahmen, Lernens
Quote paper
Maria Arroyo (Author), 2006, Eine Videostudie zum Verhalten von Mädchen und Jungen bei Gruppenarbeiten im Rahmen des forschend-entdeckenden Lernens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86053

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