Vielseherforschung und Kultivierungshypothese


Term Paper, 2003

24 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Violence Profile
2.1 Die Message-System-Analysis
2.2 Problematik der Message-System-Analysis
2.3 Victimization Score und Killer-Killed Ratio

3. Die Kultivierungsanalyse
3.1 Die Vielseherforschung
3.2 Verbesserungen und Weiterentwicklungen

4. Mainstreaming und Resonance
4.1 Methoden und Fragestellungen des Mainstreaming-Konzepts
4.2 Ergebnisse des Mainstreaming-Konzepts

5. Kritik an der Kultivierungsanalyse
5.1 Kritik an der Methodik
5.2 Kritik am Ansatz
5.3 Kritik an der Interpretation der Ergebnisse
5.4 Das interaktive Kompensations- und Verstärkungsmodell
5.4.1 Hilflosigkeit, Kontrollverlust, Entfremdung
5.4.2 Die defensive Angstbewältigung
5.4.3 Interne Kontrollüberzeugung und nicht-defensive Angstbewältigung

6. Schluss

1. Einleitung

Das Fernsehen ist in den letzten fünf Jahrzehnten immer mehr zu einem Massenmedi-um geworden. Besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika hat sich dieses neue Medi-um schnell durchgesetzt, und es wurde zu einem neuen Lebensstil, ja zu einem Lebensgefühl. Bereits kleine Kinder verbringen dort mehrere Stunden pro Tag vor dem Fernseher, der in vie-len Fällen die Rolle eines Babysitters einnimmt. Gleichzeitig ist beinahe überall auf der Welt, aber auch wieder besonders stark in den USA, die Kriminalitätsrate, vor allem in den großen Städten, immens angestiegen. Der Schluss liegt also nicht fern, dass diese beiden Phänomene auf irgendeine Art miteinander verknüpft sind.

Wissenschaftler vieler Disziplinen befassen sich spätestens seit den sechziger Jahren zunehmend mit diesen Erscheinungen, und versuchen immer wieder nachzuweisen, dass das Fernsehen ein Grund für die angestiegene Gewalt ist, bzw. einen Zusammenhang der beiden Bestandteile unserer heutigen Gesellschaft zu beweisen. Es stellt sich also die zentrale Frage, in wie weit die heutige Funktion des Fernsehens als Informationsvermittler einen wie auch immer gearteten Einfluss auf die Meinungsbildung des Publikums hat.

Diese Arbeit wird sich mit dem Ansatz George Gerbners und seinem Team der Annenberg School of Communication in Philadelphia auseinandersetzen. Zunächst wird auf die Grundlage der Studien, einer Untersuchung der Inhalte amerikanischer Fernsehpro-gramme, und ihre Veröffentlichung eingegangen. In der Folge wird der sehr umstrittene An-satz der Vielseherforschung sowie der Kultivierungsanalyse erklärt und seine Ergebnisse auch anhand von Beispielen erläutert. Außerdem werden Weiterentwicklungen der Forschungsan-sätze mit dem Mainstreaming-Konzept und dem Begriff der Resonance dargestellt. Die starke Kritik, die an dieser Forschungs- und Darstellungsweise geübt wurde, füllt in der Arbeit einen eigenen Punkt aus, da so auf die Kritik an bestimmten Teilen der Gerbnerschen Forschungs-arbeiten genauer eingegangen werden kann. Im Anschluss findet sich außerdem ein Modell Peter Vitouchs, das darstellt, wie sich die Persönlichkeit eines vom Massenmedium Fernsehen beeinflussten Menschen entwickeln kann.

Da die verarbeiteten Studien alle im Original auf Englisch verfasst sind, sind auch in dieser Arbeit viele englische und englisch-deutsch-gemischte Fachbegriffe zu finden. Diese werden, damit eine Verwechslung mit Zitaten von vorne herein ausgeschlossen wird, kursiv gesetzt.

2. Das Violence Profile

Will man – wie das Team der Annenberg School of Communication – erforschen, in-wiefern das Fernsehen Auswirkungen auf die Kultur und Gesellschaft hat, so muss die Auf-merksamkeit zuerst dem Inhalt der Fernsehsendungen gewidmet werden. Zwar ist jedem Rezipienten bewusst, dass die Welt, so wie sie im Fernsehen gezeigt wird, überzogen dargestellt wird und unserer Realität keineswegs gleicht. Trotzdem existiert keine Skala, ja nicht einmal eine messbare Größe, an der man Unterschiede feststellen und empirisch belegen kann. Um zu beweisen, dass beispielsweise die Gewalt im Fernsehen eine große, oder zumin-dest eine größere Rolle als in der Realität spielt, entwickelte das Team um Gerbner bereits 1967 ein so genanntes Violence Profile für das Fernsehen. Diese Arbeit wurde zum Großteil von der National Commission on the Causes and Prevention of Violence finanziert. Zur Be-stimmung des Gewaltgehalts bestimmter Sendungen im amerikanischen Fernsehen wurde ein so genannter Violence Index entwickelt, der im Folgenden näher beschrieben werden soll. (vgl. Schenk 2000, S. 538ff)

2.1 Die Message System Analysis

Um den Inhalten der Fernsehsendungen eine messbare Größe zuordnen zu können, entwickelte das Gerbner-Team ein System, in dem es bestimmte Sendungen und Programme auf die Häufigkeit und die Dauer der dargestellten Gewalt hin überprüfte. Die dabei ge-wonnenen Daten wurden in eine Tabelle (siehe Abb.1, S. 19) übertragen, um so am Schluss den Violence Index herauszubekommen. (vgl. Schenk 2000, S. 542 ff)

Die Tabelle setzt sich wie folgt zusammen: zunächst wird aufgezählt, wie viele Sen-dungen (plays), Sendestunden (program hours) und Hauptrollen (leading characters) analy-siert wurden. In den Zeilen darunter befinden sich Prozentangaben (%P), die veranschauli-chen, wie viel Prozent der Sendungen, bzw. der Sendestunden Gewaltszenen enthalten. Im Folgenden werden einzelne Gewaltszenen gezählt – zunächst die Gesamtanzahl (number of violent episodes), dann die durchschnittliche Zahl pro Sendung (R/P) und pro Sendestunde (R/H). Unter dem Begriff Roles werden schließlich die Hauptrollen analysiert. Besonders zu beachten hierbei sind die in irgendeine Art von Gewalt verwickelten (%V), und die in Morde verwickelten (%K) Charaktere. In den letzten drei Zeilen wird schließlich der Program Score, der Character-V Score und der Violence Index ermittelt (Berechnung siehe Tabelle). (vgl. Schenk 2000, S. 542 ff)

Wie man der Tabelle entnehmen kann, scheint der Violence Index im Laufe der Jahre von 1967 bis 1975 insgesamt gesunken zu sein. Vo einem Wert von anfangs 198,7 auf schließlich nur noch 179,7 – ein Rückgang um knapp zehn Prozent. Sieht man sich jedoch die Zwischenwerte, vor allem die der einzelnen Faktoren an, so kommt man zu dem Schluss, dass alle Werte von Jahr zu Jahr zum Teil stark schwanken. Diese und noch mehr Unstimmig-keiten in der Interpretation der Tabelle und allgemein des Violence Index führen zum Teil zu heftiger Kritik an der Methode (siehe 5.).

2.2 Problematik der Message System Analysis

Zunächst zur Berechnung selbst: Der Program Score setzt sich zusammen aus den Sendungen, bzw. den Sendestunden, die Gewalt enthalten, und der Häufigkeit der Gewalt-szenen pro Sendung und pro Stunde – und das jeweils noch einmal mit zwei multipliziert. Hier wird deutlich, dass dieser Wert relativ willkürlich berechnet ist. Der Character-V Score, der nichts anderes darstellt als eine Addition der in irgendeine Art von Gewalt und der in Mord verwickelten Rollen, wird einfach zum Program Score dazugezählt, und heraus kommt der Violence Index – eine zwar messbare Größe, die jedoch eigentlich keinen wirklichen Auf-schluss über den Gewaltgehalt von Fernsehprogrammen geben kann. (vgl. Schenk 2000, S. 542 ff)

Doch nicht alleine die Berechnung des Violence Index ist zweifelhaft. Weitere Kritik-punkte und Erläuterungen finden sich auch hierzu im Punkt 5.

2.3 Victimization Score und Killer-Killed Ratio

Neben dem Violence Index entwickelte das Team um Gerbner auch andere Methoden, um die Häufigkeit und Intensität von Gewalt im Fernsehen festzustellen und zu belegen. Zwei weitere dieser Kennwerte sind der Victimization Score (auch Risk Ratio genannt) und die Kil-ler-Killed Ratio (siehe Abb.2, S. 20). Bei dieser Methode werden die Rollen in Fernsehsen-dungen in verschiedene soziale Gruppen unterteilt. Dann werden Vergleiche angestellt, wie oft die entsprechende Gruppe als Verursacher von Gewalt (z. B. Killer) in Erscheinung tritt, und wie oft sie in der Opferrolle (Killed) vorkommt. Die beiden Werte werden schließlich aufeinander bezogen, so dass sich entweder ein positiver Wert (die soziale Gruppe tritt öfter als Täter denn als Opfer in Erscheinung) oder ein negativer Wert (öfter Opfer als Täter) er-gibt. Erscheint der Wert 0.00, so bedeutet dies, dass die Gruppe weder Opfer noch Täter beinhaltet (+0.00 bedeutet nur Täter und –0.00 nur Opfer). (vgl. Schenk 2000, S. 546f)

Diese Methode bietet zwar keine feste Größe, nach der man die Häufigkeit von Gewalt im Fernsehen messen kann, aber sie zeigt doch klar den Unterschied zur Realität. Bei näherer Betrachtung der Tabelle stellen sich interessante Dinge heraus: zunächst lässt sich allgemein feststellen, dass Frauen öfter in der Opferrolle zu finden sind, als Männer. Abgesehen davon erscheinen beide – sowohl Männer als auch Frauen – öfter in der Opferrolle, als in der Täter-rolle. Nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in vielen Filmen meist ein Mensch mehrere ermordet, dagegen fast niemals ein Opfer von mehreren Tätern heimgesucht wird. (vgl. Schenk 2000, S. 546ff)

Die meisten TV-Morde werden offensichtlich von jungen, unverheirateten Männern der sozialen Mittelschicht begangen. Dagegen ist selbst die Wahrscheinlichkeit für weibliche positive Heldinnen „im Verlauf der Handlung ihr Leben zu verlieren, [...] sechs mal höher, als ihre ‚Chance’, selbst einen Tötungsakt zu begehen.“ (Schenk 2000, S. 548) Diese Zahlen zei-gen eindeutig, wie wenig die Fernsehwelt mit der Realität zu tun hat.

3. Die Kultivierungsanalyse

Wie in Punkt 2. dieser Arbeit deutlich geworden ist, unterscheidet sich die Fernseh-welt in vielen Punkten von unserer Realität. Im Zuge der Verbreitung von Fernsehen als Mas-senmedium in allen sozialen und kulturellen Schichten stellt sich nun die Frage, in wie fern diese oft übertrieben und nicht selten sogar falsch dargestellte Realität Auswirkungen auf das menschliche Bewusstsein, und damit auch auf soziale und kulturelle Strukturen in unserer Gesellschaft hat. Diese Hypothese vom Kultivierungseffekt des Fernsehens galt es für George Gerbner und sein Team zu belegen.

3.1 Vielseherforschung

Um den Kultivierungseffekt, den das Fernsehen angeblich auf unsere Gesellschaft aus-übt, nachzuweisen, sind eigentlich zwei Gruppen von Versuchspersonen notwendig: Perso-nen, die fernsehen, und solche, die nie fernsehen. Da das Fernsehen in den USA auch zum Zeitpunkt der Untersuchungen aber schon so weit verbreitet war, gab es kaum die Möglich-keit, so genannte Nichtseher zu befragen. Gerbner unterscheidet deshalb zwischen Vielsehern (sehen mehr als 4 Stunden pro Tag fern) und Wenigsehern (weniger als 2 Stunden). (vgl. Schenk 2000, S. 548f)

Damit bei der Befragung eindeutige Ergebnisse erzielt werden konnten, wurden ganz bestimmte, auf die Fernsehwelt abzielende Fragen gestellt, und jeweils zwei bis drei Antwor-ten vorgegeben. Beispielsweise wurde gefragt, wie viel Prozent der amerikanischen Bevölke-rung beruflich mit der Durchsetzung von Gesetz und Ordnung befasst seien. Der reale Wert liegt bei knapp unter einem Prozent. Als Antworten waren jedoch nur entweder ein Prozent oder fünf Prozent vorgegeben, so dass zwischen der richtigen Antwort (ein Prozent) und der Fernsehantwort, also die, die näher an der Situation in der Fernsehwelt liegt, (fünf Prozent) unterschieden werden konnte. Das Ergebnis ist deutlich in Abbildung 3 zu erkennen: 50 Pro-zent der befragten Wenigseher, dagegen aber 59 Prozent der befragten Vielseher gaben die Fernsehantwort. (Siehe Abb. 3, S. 20) (vgl. Schenk 2000, S. 548f)

Weitere Fragen, die den Untersuchten Gruppen gestellt wurden, waren beispielsweise, wie viel Prozent der Weltbevölkerung in den USA leben (hier lag der Unterschied zwischen Viel- und Wenigsehern bei 19 Prozent), wie viel Prozent aller Amerikaner entweder Akade-miker oder Manager seien (36 Prozent Unterschied), ob man den meisten Menschen trauen könne (35 Prozent Unterschied), wie die Befragten die Wahrscheinlichkeit einschätzten, in-nerhalb der nächsten Woche in irgendeine Art von Gewalttätigkeit verwickelt zu werden (33 Prozent Unterschied) und noch einige andere. (vgl. Gerbner 1981, S. 20f)

In jedem Fall wurde von den Vielsehern häufiger die Fernsehantwort gegeben, als von den Wenigsehern. Diese Untersuchungsergebnisse konnten sowohl in Australien als auch (wenn auch eingeschränkt, da die Studie in etwas anderer Form durchgeführt wurde) in der Schweiz bestätigt werden. In einer ähnlichen Untersuchung in England dagegen konnte kein Kultivierungseffekt nachgewiesen werden. (vgl. Schenk 2000, S. 549 und Bonfadelli 1987)

3.2 Verbesserungen und Weiterentwicklungen

Die vehemente Kritik die das Gerbner-Team von beinahe allen Seiten erfuhr, veran-lasste Gerbner zu Verbesserungen an seiner Arbeit. Er führte in seinem Violence Profile No. 8 die Partialkorrelations-Methode ein, „um zu verdeutlichen, dass der Zusammenhang zwischen dem Fernsehkonsum und der Häufigkeit von ‚Fernsehantworten’ auch nach Ausschaltung des Einflusses dritter Variablen erhalten bleibt.“ (Schenk 2000, S. 550). Hierbei wird deutlich, dass sich durch die Ausschaltung solcher dritten Variablen nur äußerst kleine Korrelationen auftreten, die nicht nennenswert, und damit für die Arbeit irrelevant sind. Auf Grund der man-gelnden Wichtigkeit weichen die Partialkorrelationen in den späteren Arbeiten Gerbners wie-der der alten Darstellungsform – dem Kultivierungsdifferential (Vielseher – Wenigseher) wird lediglich eine Spalte zugefügt, die die Signifikanz der Differenzen anzeigt. (vgl. Schenk 2000, S. 549ff)

[...]

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Vielseherforschung und Kultivierungshypothese
College
University of Bamberg
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
24
Catalog Number
V86215
ISBN (eBook)
9783638016537
ISBN (Book)
9783640612703
File size
571 KB
Language
German
Keywords
Vielseherforschung, Kultivierungshypothese
Quote paper
Dipl. Germ. Univ. Nikolai Sokoliuk (Author), 2003, Vielseherforschung und Kultivierungshypothese, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86215

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