Der Generalplan von 1935 und seine Bedeutung für die Stadt Leningrad


Trabajo, 2005

21 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhalt

Der Generalplan von 1935 und seine Bedeutung für die Stadt Leningrad

1. Einleitung

2. Die Bedeutung von Stadt und Stadtplanung in der Sowjetunion

3. Architekturgeschichtliche Einordnung

4. Der Generalplan von 1935

5. Die Wirkungselemente des Generalplans
5.1 Veränderung der städtischen Makrostruktur
5.2 Die Form des neuen Zentrums
5.3 Die Architektur des Dom sovetov

6. Die Rolle Leningrads in der Sowjetunion

7. Resümee

Bibliographie:

1. Einleitung

«Созданный по существу заново в советское время на месте жалких лачуг и унылых пустырей, Московский проспект является собой яркий пример заботы партии и правительства о благосостоянии народа. Его жилые кварталы просторны, квартиры – со всеми удобствами, вокруг жилищ много зелени, к услугам населения все виды пассажирского транспорта.

Здесь всё ново, и всё – для блага человека.»[1]

«Южная часть Московского проспекта – за Обводным каналом, – в основном застроенная в советское время, стала разительным примером превращения нищей рабочей окраины в район современного социалистического города»[2]

Wie die beiden Zitate aus Reiseführern der Sowjetzeit zeigen, galt die südliche Erweiterung Leningrads entlang dem heutigen Moskovskij prospekt als ein Gebiet, in dem die Segnungen der „sozialistischen Stadt“ der Sowjetbevölkerung zugute kommen sollten. Dass die Vorstellungen der Stadtplaner einmal viel weiter gingen und hier im Süden der Stadt das neue Zentrum Leningrads entstehen sollte, wird schon nicht mehr erwähnt. Heute, im postsowjetischen Russland, finden die einstmals stolz vorgezeigten Neubaugebiete ebenfalls keine Beachtung mehr und im Rückblick erscheint das gesamte Projekt als unbedeutende Episode in der Stadtgeschichte. „В 1935 г. было начато строительство Дворца Советов на Московском проспекте. Сюда предпологалось со временем перевести административный центр города.“[3] Dementsprechend knapp erwähnt A. R. Dzeniskevič im Beitrag zu dem 800 Seiten starken Band „Sankt-Peterburg. 300 let istorii“ die Idee, das administrative Zentrum Leningrads nach Süden an den Moskovskij prospekt zu verlegen. So scheinen dieses Ansinnen der 1930er Jahre und mit ihm die einst gefeierten Errungenschaften des sozialistischen Städtebaus heute fast vergessen. Es war jedoch nicht nur ein stadtplanerisches, sondern in seiner Symbolhaftigkeit auch ein in höchstem Maße politisches Vorhaben. Das Bild der Stadt St. Petersburg sollte auf immer verändert werden.

Der Hauptteil dieser Hausarbeit beschäftigt sich mit der Deutung der drei Elemente dieses Vorhabens. Diese sind die neue Struktur der Stadt, die Form des neuen Zentrums und schließlich die Art seiner architektonischen Gestaltung. Zuvor wird eine Einordnung des Projekts in die Tradition der Stadtplanung in Russland und ihre Bedeutung für die Sowjetmacht, eine architekturgeschichtlichen Einordnung, sowie eine Beschreibung des Projekts gegeben. Am Schluss der Arbeit stehen einige Überlegungen zu Bild und Rolle Leningrads innerhalb des Sowjetstaates.

2. Die Bedeutung von Stadt und Stadtplanung in der Sowjetunion

Bedingt durch das politische System und die räumlichen Gegebenheiten waren die Voraussetzungen für eine geplante Entwicklung von Städten in Russland und der Sowjetunion von jeher günstiger, bzw. kam dieser eine größere Bedeutung zu als im westlichen Europa. Hierbei spielt die individuelle Freiheit der Bevölkerung eine Rolle. Bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 konnten weite Teile der Bevölkerung nicht selbst über ihren Aufenthaltsort bestimmen.[4] Der Faktor der individuellen Unfreiheit begünstigte auch nach der Oktoberrevolution die Möglichkeiten der Regulierung der Landflucht und der Planbarkeit städtischen Wachstums. Die vorhandenen Kontrollinstrumente konnten jedoch letztendlich das rasante Wachstum der städtischen Bevölkerungen und die damit verbundene immerwährende Wohnraumknappheit nicht verhindern, was zur dauerhaften Aktualität des Themas Stadtplanung bis zum Ende des sowjetischen Staates und darüber hinaus beitrug. Auch das Fehlen von Möglichkeiten der (kommunal)politischen Partizipation und Meinungsäußerung der Bevölkerung, wie sie in demokratischen Gesellschaften gegeben sind, begünstigte die Planung von oben.

Ein weiterer Faktor, der die Tradition des geplanten Baus von Städten bestärkte, war die Tatsache, dass es in Russland im Gegensatz zu den dicht besiedelten Staaten des westlichen Europa mit ihren alten Städten noch Gebiete gab, die durch Stadtneugründungen zu erschließen waren. Ein Beispiel hierfür ist etwa das 1893 im Zuge des Baus der Transsibirischen Eisenbahn gegründete Novosibirsk. Diese Entwicklung setzte sich auch nach dem Sturz des Zarismus fort. Zur Erschließung des nördlichen Sibirien wurde so noch 1935 unter sowjetischer Herrschaft der Grundstein für die Großstadt Noril’sk im Mündungsgebiet des Enisej gelegt. Auch der wirtschaftliche Entwicklungsrückstand, in dem sich Russland verglichen mit dem Westen befand, wurde in den ersten postrevolutionären Jahren von der internationalen Avantgarde der Stadtplanung in Verbindung mit den neu geschaffenen Besitzverhältnissen als ideale Voraussetzung für die Verwirklichung ihrer Ideen gesehen.[5]

Nach der Oktoberrevolution waren die sowjetische Wirtschaft und mit ihr alle Bereiche des öffentlichen Lebens gänzlich der Planung durch den Staat unterstellt. Partiell unterbrochen durch das kurze marktwirtschaftliche Interludium der NĖP (Novaja ėkonomičeskaja politika) in den 1920er Jahren blieb das planwirtschaftliche Dogma bis in die Jahre der Perestrojka hinein bestehen. Grundlage dessen war das Dekret vom 8. November 1917 zur Verstaatlichung von Grund und Boden, das für die Schaffung einer entfesselten, zentral gelenkten Stadtplanung die wichtigste praktische Voraussetzung war.[6]

Für die neu entstandene Sowjetmacht spielte die Stadt eine größere Rolle als für den Zarismus. Über die Rolle von Städten schreibt James H. Bater: „Throughout history the gathering of people into cities has tended to coincide with the material and cultural progress of society. In short, the city long has been both an agent and example of modernization.”[7] In diesem Sinne musste die Entwicklung der Stadt als Symbol von Modernität und Industrialisierung für die Bol’ševiki von äußerster Wichtigkeit sein. Überhaupt war die Stadt mit ihren Fabriken als Heimat des Proletariats, das im Übrigen ohne die Existenz des Phänomens Stadt gar nicht denkbar wäre, für die Partei ganz selbstverständlich von größerer Bedeutung als das Land und seine Bevölkerung, die zwar offiziell auch zur Kernklientel der Partei gehörte, deren politischer Zuverlässigkeit man jedoch eher misstraute als der des Proletariats.[8] Beispiele für die besondere Affinität der sozialistischen Bewegungen zur Stadt und ihrer Gestaltung gibt es angefangen mit der Pariser Kommune zahlreiche. Für die Sozialdemokratie sind im deutschsprachigen Raum das „Rote Wien“ der österreichischen Ersten Republik und der „Bremer Sozialismus“ der Nachkriegszeit als Beispiele zu nennen. In beiden Städten spielten Wohnungsbau und Stadtplanung zur jeweiligen Zeit eine wichtige Rolle. Im Staatssozialismus der DDR waren es etwa Stalinstadt (das heutige Eisenhüttenstadt) oder die Berliner Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee).

Die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Bol’ševiki durchsetzen wollten, forderten auch ihre Entsprechung in den Wohn- und Lebensstrukturen, so etwa die Auflösung der klassischen Familie zugunsten eines kommunalen Zusammenlebens oder die Zusammenführung von städtischem Proletariat und Landbevölkerung. Es gab hier verschiedenste Bestrebungen, die bis hin zur von den so genannten „Desurbanisten“ geforderten Auflösung aller Städte und der gleichmäßigen Verteilung der Bevölkerung über das gesamte bewohnbare Land gingen.[9]

Die Stadtplanung bot gleichzeitig die Möglichkeit die Stadt als Feld des Präsentierens von Macht und Staatsideologie zu nutzen.[10] Dies galt bereits im Zarismus für St. Petersburg – unbestritten – aber auch für andere Projekte. Bater schreibt hierzu:

„In planning St Petersburg, indeed in town planning generally during the eighteenth and early nineteenth centuries, creating an urban form that properly reflected the glory of the autocracy and Empire was the major concern. The needs or wishes of the individual, aesthetic or otherwise, were summarily subordinated.”[11]

Nach offizieller Lesart des sozialistischen Russland war die geplante Entwicklung der Städte eine Errungenschaft der Revolution und eine Verbesserung gegenüber der Planlosigkeit früherer Jahre.[12] „Die Unordnung und das Chaos früherer Zeiten sollten einem harmonischen, künstlerisch durchorganisierten Leben weichen“ schreibt hierzu Boris Groys.[13] Nicht nur die Wirtschaft sollte nach einem Plan funktionieren, sondern das gesamte Leben und somit auch die Gestaltung der Städte.

Eine Besonderheit bildet in Russland die Radikalität der Wende, die der Oktober des Jahres 1917 darstellt.[14] Die Freiheit, die Welt in ihrer Gesamtheit – ohne Rücksicht auf in vergangenen Systemen Entstandenes – als künstlerisch zu gestaltendes Rohmaterial zu betrachten, zeigt sich wohl zuerst im Umgang mit Namen. „Russland“ wurde zur „Sowjetunion“, „Petrograd“ wurde zu „Leningrad“, „Nižnij Novgorod“ zu „Gor’kij“ und zuletzt „Naberežnye Čelny“ zu „Brežnev“. Beim Umgang mit Materie setzt sich diese Radikalität fort, weniger in Leningrad, das vom Verlust historischer Bauten weitgehend verschont blieb, deutlich jedoch in Moskau, etwa beim Abriss des Chram Christa spasitelja oder dem Bau des Prospekt Kalinina (heute: Novyj Arbat).[15] Die Planung eines neuen Zentrums bedeutet jedoch an sich bereits einen radikalen, eben im Wortsinne an die Wurzel gehenden Akt, unabhängig davon, ob der historische Kern bei diesem physisch getroffen wird oder nicht.

Nach den Auseinandersetzungen zwischen „Urbanisten“ und „Desurbanisten“ suchte man schließlich nach der Form der idealen „sozialistischen Stadt“. In den 1920er Jahren hatte man, ähnlich dem antizentralistischen Ansatz der Desurbanisten, angenommen, dass diese kein bestimmtes Zentrum haben würde. Mit dem Moskauer Generalplan von 1935, der Modellcharakter haben sollte, änderte sich dies. Die sozialistische Stadt sollte nun eine Mitte haben, die sich für Massenaufmärsche und Kundgebungen eignete. Hier sollte sich das soziale und politische Leben der Stadt konzentrieren, wobei die kulturellen und politischen Funktionen betont wurden gegenüber den die alltäglichen Bedürfnisse bedienenden Einrichtungen (Geschäfte etc.). Die Stadtmitte sollte als Präsentationsfläche des sowjetischen Staates dienen.[16]

[...]


[1] Solov’ev, Vladimir Borisovič: Moskovskij prospekt. Leningrad: Lenizdat 1964. S. 6.

[2] Jakovčenko, Raisa Nikitična: Moskovskij prospekt. Leningrad: Lenizdat 1986. S. 3f.

[3] Dzeniskevič, A. R.: Leningrad v gody industrializacii (1929-1941 gg.), in: Ganelin, R. Š./Koval’čuk, V. M. u. a.: Sankt-Peterburg. 300 let istorii. St. Petersburg: „Nauka“ 2003. S. 494-531, S. 516f.

[4] Vgl. Bater, James H.: The Soviet City. Ideal and Reality. London: Edward Arnold 1980, S. 10.

[5] Vgl. Kreis, Barbara/ Müller, Rita: Stadtplanung in der Sowjetunion, in: Archiv für Kommunalwissenschaften (AfK), 17. Jg., 1978, Zweiter Halbjahresband, S. 299-316, S. 299.

[6] Vgl. ebd.

[7] Bater, J. H.: The Soviet City, S. 1.

[8] Vgl. Wehner, Markus: Hauptstadt des Geistes – Hauptstadt der Macht. Leningrad/St. Petersburg und Moskau: Die Konfrontation im zwanzigsten Jahrhundert. In: Creuzberger, Stefan/Kaiser, Maria u.a. (Hrsg.): St. Petersburg – Leningrad – St. Petersburg. Eine Stadt im Spiegel der Zeit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 2000. S. 220-232, S. 223.

[9] Vgl. Kreis, B./ Müller, R.: Stadtplanung in der Sowjetunion, S. 300.

[10] Vgl. Bater, J. H.: The Soviet City, S. 2ff.

[11] Ebd., S. 11.

[12] Igor’ Bartenev begrüßt dies in „Sovremennaja architektura Leningrada“ und beklagt die „planlose Bebauung“ des westlichen Teils der Stadt mit Industrieanlagen in der Zeit des Kapitalismus, die Leningrad vom Meer isoliert habe. Vgl. Bartenev, Igor’ Aleksandrovič: Sovremennaja architektura Leningrada. Leningrad: Lenizdat 1966, S. 10.

[13] Vgl. Groys, Boris: Gesamtkunstwerk Stalin. Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion. München/ Wien: Carl Hanser Verlag 1996, S. 7.

[14] Vgl. ebd., S. 8.

[15] Vgl. Rudolph, Robert: Stadtzentren russischer Großstädte in der Transformation – St. Petersburg und Jekaterinburg. Leipzig: Institut für Länderkunde 2001 (= Beiträge zur regionalen Geographie, 54/2001), S. 83f.

[16] Vgl. Bater, J. H.: The Soviet City, S. 29f.

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Der Generalplan von 1935 und seine Bedeutung für die Stadt Leningrad
Universidad
University of Potsdam  (Institut für Slavistik)
Curso
HS "St. Petersburg"
Calificación
1,0
Autor
Año
2005
Páginas
21
No. de catálogo
V86826
ISBN (Ebook)
9783638019279
ISBN (Libro)
9783656059653
Tamaño de fichero
531 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Generalplan, Bedeutung, Stadt, Leningrad, Petersburg
Citar trabajo
Stefan Daute (Autor), 2005, Der Generalplan von 1935 und seine Bedeutung für die Stadt Leningrad, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86826

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