Brücken nach Kuba - Transnationale Austauschbeziehungen kubanischer MigrantInnen in Deutschland


Thesis (M.A.), 2006

125 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie: Migrationsforschung
2.1 Die Transmigrationstheorie
2.2 „Multi-sited Ethnography“: Feldforschung
unter Mobilitätsdruck

3. Landeskunde: Kuba
3.1 Kuba und der período especial
Exkurs: Jineterismo in Kuba – eine Alternative
für die kubanische Jugend?
3.2 Emigrationsbewegungen in Kuba seit 1959
3.3 Kubanische Familien und der período especial

4. Feldforschungsbericht: Brücken nach Kuba – Thesen,
Fragestellungen, Vorgehensweise und Methoden
4.1 Thesen und Fragestellungen
4.2 Vorgehensweise
4.3 Methoden

5. Forschungsverlauf
5.1 Erster Forschungsabschnitt: Deutschland
5.2 Zweiter Forschungsabschnitt: Kuba
5.3 Probleme

6. Forschungsergebnisse
6.1 Erster Abschnitt: Deutschland
6.1.1 Migrationsgeschichte
6.1.2 Der Alltag in Deutschland
6.1.3 Kommunikationskanäle
6.2 Zweiter Abschnitt: Kuba
6.2.1 Der Alltag in Kuba
6.2.2 Kommunikationskanäle

7. Ergebnisanalyse
7.1 THESE 1: „Migration ist ein Prozess“
7.2 THESE 2: „Die Austauschbeziehungen sind reziprok“
7.3 THESE 3: „Transnationale Migration nach Europa
als Überlebensstrategie“

8. Resumée

9. Ausblick

10. Anhang
10.1 Familiendiagramme
10.1.1 Macuto
10.1.2 Marta
10.1.3 Miladys
10.1.4 Piyo
10.1.5 Ruben
10.1.6 Sonia
10.1.7 Yisleidi
10.1.8 Yoan
10.2 Interviews
10.2.1 Interview mit Yisleidi
10.2.2 Interview mit Sonias Vater
10.2.3 Interview mit Rubens Tochter

11. Literatur

1 Einleitung

Als ich 1998 erstmals mit meinem kubanischen Freund Fredy seine Heimat besuchte, verbrachten wir die ersten fünf Tage damit, in ganz Havanna Briefe und kleine Päckchen zu verteilen. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was vor sich ging: Einige in Hamburg lebende KubanerInnen hatten Fredy etwas für ihre Familien in Havanna mitgegeben. Die Übergabe war aufgrund der begrenzten Transport-möglichkeiten in Havanna eine zeitaufwändige Aufgabe, die mein sonst eher ungeduldiger Freund überraschend pflichtbewusst erfüllte. Das sei selbstverständlich, erklärte er mir, fast jeder Kubaner nehme etwas für andere mit, wenn er nach Kuba fliegt. Im Gegenzug könne man dann selbst etwas mitgeben, wenn ein anderer seine Familie besucht. Er selbst würde nur auf diesem Wege den Kontakt zu seiner Familie pflegen, da die Post langwierig und unzuverlässig sei und Geldüberweisungen über die Bank zu teuer. Also überreichte er nun der Mutter von Ricardo dessen erste selbstproduzierte CD, die Eltern von Omar bekamen aktuelle Fotos von ihren deutsch-kubanischen Enkeln, Yamila schickte ihrer Mutter Stoff für Gardinen, und alle sechs Familien bekamen von uns Briefumschläge überreicht, worin sich außer einigen persönlichen Zeilen ihrer Angehörigen auch Dollarnoten befanden. Einen Rollstuhl für die Großmutter von Diogenes hatten wir übrigens schon am Flughafen übergeben. Dort erwartete uns Diogenes’ Bruder, um das sperrige Stück gleich in Empfang zu nehmen.

2001 hieß es für mich, ein Thema für meine Lehrforschung zu finden, die ich im Rahmen meines Ethnologiestudiums zu absolvieren hatte. Schnell kam mir die Idee, dem soeben geschilderten Phänomen auf den Grund zu gehen, zumal ich mich während des Hauptstudiums viel mit dem Thema Transnationalismus beschäftigt hatte. Die erlernten Theorien mit meinen empirischen Beobachtungen zu verbinden, erschien mir hochinteressant: Durch die Analyse und Nachverfolgung alltäglicher Austauschbeziehungen zwischen kubanischen Emigrant-Innen und ihren Familien in Kuba wollte ich die „transnationalen sozialen Räume“ ausfindig machen, von denen in der Fachliteratur die Rede ist. Meine oben geschilderten Eindrücke machen bereits deutlich, dass die kubanischen EmigrantInnen ihre Heimat nicht ein für alle Mal hinter sich gelassen haben, sondern sich in einem „Dazwischen“ befinden, zwischen Kuba und Deutschland. Mittlerweile hatte ich durch die vielen Gespräche mit meinem Freund einen tieferen Einblick in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen Kubas der letzten zehn Jahre bekommen. Die kubanische Gemeinde in Hamburg und vor allem auch in Berlin (wo ich inzwischen hingezogen war) wächst stetig. Seitdem Fidel Castro im Jahre 1990 als Reaktion auf die prekäre wirtschaftliche Lage Kubas nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Notzustand in Friedenszeiten (período especial en tiempos de paz) ausrufen ließ, verlassen immer mehr KubanerInnen ihre Heimat, und zwar zunehmend auch in Richtung Europa. Die Kommunikation mit den Familienangehörigen, so meine ist Annahme, spielt für die meisten eine zentrale Rolle in ihrem Alltag.

Ziel dieser Magisterarbeit ist es, auf der Grundlage der Ergebnisse meines Feldforschungspraktikums im Jahre 2002 die alltäglichen familiären Austauschbeziehungen der kubanischen MigrantInnen in Deutschland und ihren Familien im Heimatland aufzuzeigen. Die Untersuchung stützt sich auf die Bestandsaufnahme der verschiedenen Kommunikationskanäle und Reisewege, also jeder Form der alltäglichen Austauschbeziehungen zwischen Deutschland und Kuba. Daran soll die Prozesshaftigkeit von Migration sowie die Reziprozität der Austauschbeziehungen deutlich gemacht werden, die wiederum Aufschluss über die Transnationalität der Lebensentwürfe der MigrantInnen geben sollen. Dabei liegt der Fokus auf die Entwicklungen seit 1990 in Kuba, die – wie gezeigt werden soll – zu einer verstärkten Emigration nach Europa geführt haben.

Ich werde mit einer kurzen Einführung über die soziale Migrations-forschung beginnen, dann den Transmigrationsansatz von Glick Schiller et al., auf dessen Annahmen meine Arbeit basiert, darlegen sowie auf die Auflösung angestammter Forschungsfelder der Ethnologie und die Folgen für die bisherige Forschungspraxis eingehen. Im dritten Abschnitt folgt eine Einführung in die sozioökonomischen Entwicklungen seit 1990 in Kuba, ein Überblick über die Emigrationsbewegungen seit 1959 und eine Betrachtung der Aus-wirkungen des período especial für kubanische Familien. Nach dieser theoretischen Einbettung werde ich mein Forschungsthema genau erfassen und meine Thesen, Fragestellungen und Methoden erläutern. Der fünfte Teil beschreibt den Forschungsverlauf und im sechsten Abschnitt werde ich die Ergebnisse darstellen, um diese dann im darauffolgenden siebten Teil in Bezug auf meine Thesen zu analysieren. Abschließend erfolgen ein Resumée sowie ein Ausblick, in dem ich auf die Lebensläufe meiner InformantInnen bis zum heutigen Tage eingehe, bei denen es zum Teil seit der Feldforschung deutliche Veränderungen gegeben hat.

Wenn nicht anders gekennzeichnet, gelten alle Fakten und Zahlen für den Forschungszeitraum 2002.

2 Theorie: Migrationsforschung

Migration gibt es seit Menschengedenken, die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erst seit knapp hundert Jahren. Die ersten Arbeiten kamen aus dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“: Die USA waren damals im Zusammenhang mit der Industrialisierung Ziel mehrerer Millionen Einwanderer aus Europa. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs und den dadurch ausgelösten weltweiten Wanderbewegungen in Form von Flucht, Vertreibung und Arbeitsmigration gewann die Migrationsforschung auch in Europa an Bedeutung.[1] Verallgemeinernd kann man sagen, dass fast allen theoretischen Ansätzen bis in die frühen 1980er Jahre die Vorstellung von Migration als einen einmaligen und unidirektionalen Akt, der einen Bruch im gesellschaftlichen Leben darstellt, zugrunde liegt.[2] Grenzüberschreitende Wanderbewegungen galten demnach als Ausnahme von der Regel und häufig als Problem: Entwurzelung, Instabilität, Identitätsverlust sind Begriffe, mit denen die Folgen von Migration immer wieder in Zusammenhang gesetzt wurden und zum Teil heute noch werden.[3] Die dem Menschen unterstellte Sesshaftigkeit bezieht sich nicht zuletzt auf die Konzeption des Nationalstaats: Bestimmte Bevölkerungsgruppen werden bestimmten geographischen Räumen zugeordnet. Soziale Beziehungen, so die verbreitete Vorstellung, bestehen innerhalb dieser begrenzten Räume:

„Die für die Strukturierung menschlicher Lebenswelten und Alltagsroutinen relevanten und dominanten sozialen Räume waren über einen längeren Zeitraum und bis heute vorwiegend im Bezugsrahmen von Nationalgesellschaften eingewoben.“ (Pries 1997: 29)

Seit den 1980er Jahren lässt sich ein stetiger Anstieg weltweiter Migration verzeichnen.[4] Dabei nehmen Art und Weise dieser Wanderungsbewegungen immer differenziertere Formen an. Während der Fokus der Migrationsforschung auf einmalige, unidirektionale und dauerhafte Ortswechsel zwischen Nationalstaaten, deren Dynamik durch das Wechselspiel von „Push“ – und „Pull“ – Faktoren bestimmt ist, bisher in der Regel vielleicht noch angemessen war, lassen sich die alltagsweltlichen Erfahrungen von MigrantInnen in der heutigen Zeit kaum mehr in die alten Modelle einordnen:[5]

„Eine bedeutsame neue Qualität internationaler Migration am Ende dieses Jahrhunderts besteht nun darin, dass der Anteil von mehrfacher, mehrdirektionaler, erwerbs- und lebensphasen-bezogener und etappenweiser flächenräumlicher Wanderung zunimmt und sich jenseits der (national-) gesellschaftlichen Grenzziehungen neue Migrationsnetzwerke und transnationale Lebenswirklichkeiten aufspannen, wodurch das schon seit Jahrhunderten bestehende Gerüst von Weltwirtschaft(en) mit neuen sozialen Verflechtungszusammenhängen gefüllt wird.“ (Pries 1997: 35)

Der Nationalstaat verliert im Zuge des Globalisierungsprozesses auf vielen Ebenen menschlichen Handelns an Bedeutung. Neuere empirische Untersuchungen über internationale Migration haben die Emigrierenden als AkteurInnen in den Mittelpunkt gerückt. Statt sie wie zuvor als passive Subjekte zu betrachten, die auf ihre ökonomischen, politischen oder sozialen Lebensbedingungen reagieren, werden sie nun als EntscheidungsträgerInnen wahrgenommen, deren alltagsweltlichen Austauschbeziehungen sich immer häufiger dauerhaft über verschiedene nationalstaatliche Grenzen hinweg erstrecken. Neben den nicht zu negierenden individuellen Erfahrungen von Entwurzelung und Instabilität durch Migration entstehen „neue Formen von Identität und Alltagspraxis sowie neue Orte sozialer Zusammenkunft“.[6] Auch wenn historisch gesehen Beziehungen von MigrantInnen zur Heimat keine neue Erscheinung sind, haben sich diese heute durch verschiedene Faktoren qualitativ und quantitativ verändert:

„Bedingt sind diese neuartigen Beziehungen durch die rapide sich entwickelnden Reise- und Kommunikationstechnologien (Luftfahrt, IT-Technologien usw.). Ebenso haben transnationale Beziehungen sichtbare ökonomische, politische und sozio-kulturelle Auswirkungen auf die Migranten, deren Familien oder Kollektivitäten: Dazu gehört beispielsweise die Auswirkung von Geldüberweisungen oder nicht monetären Gütern auf die lokalen Ökonomien und Arbeitsmärkte, ebenso wie die sozio-kulturellen Einflüsse auf die Verhandlung von Identitäten durch transkulturelle Ehen, religiöse Aktivitäten oder Medien.“(Lüthi 2005: 2)

Diese neuartigen Erscheinungen internationaler Migration werden in der Literatur als „transnationale Migration“ bezeichnet. Zu den Vor-reiterinnen dieser Perspektive gehören die Ethnologinnen Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Szanton Blanc, auf deren Ansatz sich meine Arbeit stützt.

Im Folgenden wird ihr Ansatz vorgestellt, wobei die für diese Arbeit relevanten Faktoren hervorgehoben werden.

2.1 Die Transmigrationstheorie

Die 1992 erstmals veröffentlichte Arbeit von Glick Schiller, Basch und Szanton Blanc beruht auf Feldforschungen über ImmigrantInnen aus Haiti, der englischsprachigen Karibik (Grenada und St. Vincent) und den Philippinen, welche die drei Ethnologinnen unabhängig voneinander in den Achtziger Jahren hauptsächlich in New York durchgeführt haben.[7] Dabei haben alle drei Wissenschaftlerinnen ähnliche Phänomene beobachtet, die sich nicht in die gängigen analytischen Konzepte der klassischen Migrationsforschung einordnen ließen: Linda Basch untersuchte in einer vergleichenden Studie die sozialen Organisationsstrukturen und Identifikationsprozesse karibischer MigrantInnen aus Grenada und St. Vincent, die in den USA oder in Trinidad leben. Besonders bemerkenswert fand Basch die gleichzeitige politische Einbindung der grenadischen Gemeinde sowohl in New York als auch im Heimatland. Während sie von politischen Führungspersönlichkeiten Grenadas bewusst in Entscheidungs-prozesse im Heimatland eingebunden wurde, konnte die grenadische Gemeinde auch in der Lokalpolitik New Yorks ihren politischen Einfluss geltend machen.[8] Statische Kategorien der Migrationsforschung trafen auf die Lebenswelt ihrer InformantInnen nicht zu:

„[…] the dichotomized social science categories used to analize migration experience could not explain the simultaneous involvements of Vincentian and Grenadian migrants in the social and political life of more than one nation-state. Rather than fragmented social and political experiences, these activities, spread across state boundaries, seemed to constitute a single field of social relations.” (Glick Schiller et al. 1994: 5)

Nina Glick Schiller wollte in ihrer Feldforschung über Identitätsbildung haitianischer MigrantInnen in New York die Klassifikationen „ethnisch“ (im Sinne der U.S.-amerikanischen Integrationspolitik als sogenannte ethnics im Aufnahmeland integriert) und „national“ (also nach wie vor mit dem Heimatland identifiziert und dort politisch aktiv) als Gegenpole verwenden, doch sie musste feststellen, dass sich viele als ethnics in den USA identifizierten und sich gleichzeitig für einen politischen Wechsel im Heimatland engagierten, also sich auch als haitianische nationals fühlten.[9] Statt der erwarteten „Entweder-oder“-Ergebnisse erhielt sie „Sowohl-als-auch“-Antworten auf ihre Forschungsfragen.

Cristina Szanton Blanc stieß in ihren Untersuchungen über philippinische MigrantInnen in den USA auf sehr gut etablierte Austauschstrukturen zwischen Wohnort und Heimatland. Beispielsweise wird täglich eine gewisse Anzahl sogenannter Balikbayan -Kartons[10] nahezu steuerfrei aus den USA in die Philippinen versandt. Unter bestimmten Bedingungen können emigrierte PhilippinInnen jährlich zwei solcher Pakete in die Heimat versenden. Die philippinische Regierung hat bereits 1973 den ökonomischen Stellenwert der außerhalb der Staatsgrenzen lebenden PhilippinInnen für die Landeswirtschaft erkannt. Präsident Marcos betitelte die EmigrantInnen als balikbayan (Heimkehrer) und ermunterte sie zu einem regelmäßigen Austausch mit der Heimat. Mittlerweile sorgen entsprechende rechtliche und politische Maßnahmen für eine feste Institutionalisierung des Geld-, Waren- und Personenverkehrs ins Herkunftsland.[11] Diese durch die Regierung vorangetriebene nachhaltige Einbindung der Ausgewanderten unterstützt die Abkehr von unilinearer Migration und fördert eine transnationale Lebensweise.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen haben die drei Ethnologinnen mit dem Begriff der Transmigration einen neuen analytischen Rahmen zur Erforschung grenzüberschreitender Migrationsprozesse geschaffen, der zum Einen die Statik vorhandener Kategorisierungen wie Nation, Gesellschaft oder Ethnizität hinterfragt und es zum Anderen ermöglicht, die transnationale Ebene der Lebenswelten von MigrantInnen sinnvoll zu erfassen:

“We define ‘transnationalism’ as the processes by which immigrants forge and sustain multi-stranded social relations that link together their societies of origin and settlement. We call these processes transnationalism to emphasize that many immigrants today build social fields that cross geographic, cultural, and political borders. Immigrants who develop and maintain multiple relationships – familial, economic, social, organizational, religious, and political – that span borders we call ‘transmigrants’.” (Glick Schiller et al. 1994: 7)

Ihrer Ansicht nach blieben bisherige Untersuchungen internationaler Migration „immer wieder in Theorien befangen, die jede Gesellschaft als eigenständige und begrenzte Ganzheit mit ihrer eigenen separaten Ökonomie, Kultur und historischen Überlieferung betrachten“.[12] Um eine solche Voreingenommenheit zu vermeiden, stehen für Glick Schiller et al. daher diejenigen alltagsweltlichen Handlungsmuster und Kommunikationsstrategien von MigrantInnen im Vordergrund, durch welche die transnationalen Verflechtungszusammenhänge ihrer sozialen Lebenswirklichkeit zutage treten. Diese kommen in verschiedener Weise zum Ausdruck:

„Wenn beispielsweise trockene Früchte und Stoffe kurzerhand heim nach Trinidad geschickt werden und dann als fertige Hochzeitsspeisen oder –kleider zurück nach New York kommen, oder wenn in speziellen Balikbayan-Kartons teure Güter aus den Vereinigten Staaten heim auf die Philippinen geschickt werden, ist der konstante und vielfältige Strom dieser Güter und Aktivitäten in die zwischenmenschlichen Beziehungen eingebettet, weil im familiären, institutionellen wie politischen Bereich die Verbindungen zwischen verschiedenen Gesellschaften erhalten, erneuert und verfestigt werden.“(Glick Schiller et al. 1997: 93)

Der Bedeutungsgehalt sozialer Beziehungen kann durch die bloße Registrierung des Ideen- und Warenverkehrs nicht offengelegt werden.[13] Indem der Fokus auf die Alltagspraktiken der MigrantInnen gelegt wird, kann verdeutlicht werden, wie MigrantInnen dauerhaft in dynamischen sozialen Netzwerken mit zwei oder mehr Welten verbunden sein können. Die aussendende und die aufnehmende Gesellschaft, das ist für meine Forschung von grundlegender Bedeutung, bilden dabei ein gemeinsames Feld der Analyse.[14]

Migrationsprozesse wirken sich tiefgreifend auf die Familienstrukturen aus. Familien, die ihr Leben zumindest mittelfristig „zwischen verschiedenen geografischen Räumen organisieren, sei es, weil die ganze Familiengruppe regelmäßig den Ort wechselt, sei es, weil Familienmitglieder auf Dauer oder eine bestimmte Zeitperiode getrennt von ihren Angehörigen leben“, werden als „transnationale Familien“ bezeichnet.[15] Oftmals stellt die Migration eines Familienmitglieds eine Strategie dar, unter den begrenzten sozioökonomischen Bedingungen im Heimatland den Zugang zu Ressourcen zu sichern und das Familieneinkommen zu optimieren.[16] Die dauerhafte Trennung sowie die veränderten Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Familie ändern den Familienalltag nachhaltig und beinhalten hohe persönliche Kosten für die Einzelnen:

„These costs have a number of dimensions: the personal, emotional cost for the individuals involved, who musts live daily with the pain and strain of separation; a shift in the quantity of family relationships away from ties built in the process of daily interactions and conservations to relationships built on brief interactions, occasional phone conversations, and voice or video tapes; and the stress that accompanies surviving in a transnational double world that forces migrants to adapt to considerable shifts in habits, expectations, and locale much too rapidly and frequently.” (Glick Schiller et al. 1994: 242)

Für die Emigrierten fungiert die Familie in der Regel als stabilisierender Faktor in einer fremden Umgebung, in der sie zumindest in der ersten Zeit einen unsicheren sozialen Status innehaben. Gemeinsame Vorstellungen und Werte der Familienmitglieder entwickeln sich dabei in der Fremde zu „kollektiven Identitätsgefühlen“.[17] Der Stellenwert der Familie bleibt demnach in der transnationalen Lebenspraxis zentral, wobei die Aufrechterhaltung der Verbindung einen großen Platz im Alltag einnimmt:

“El lugar central del parentesco en la conformación de las redes migratorias plantea la necesidad perenne para los migrantes y sus familias de invertir un caudal variable de tiempo y energía en la conservación y reproducción de sus vínculos, de preservar el valor que encierran como capital social.“[18] (Ariza 2002: 63)

Eine dauerhafte Unterbrechung und andere Formen der Störung der transnationalen Familienverbindung müssten zu Identitätsproblemen führen oder eben den Übergang von der transnationalen Migration zu einer im klassischen Sinne unidirektionalen Emigration darstellen. Ich werde im Rahmen meiner Ergebnisanalyse noch mal auf diesen Aspekt zu sprechen kommen.

2.2 „Multi-Sited Ethnography“: Feldforschung unter Mobilitätsdruck

Auch in der Ethnologie haben die Folgen der Globalisierung dazu geführt, tradierte Konzepte zu hinterfragen – in einigen Fällen ein überfälliger Schritt. Konventionelle Kulturbegriffe der Ethnologie, die „auf den Vorannahmen [aufbauen], dass Kulturen historisch gewordene, gruppenspezifische und an bestimmte geographische Räume gebundene kollektive Lebensformen sind“, sind heute angesichts der hybriden Bevölkerungsstrukturen vor allem der Industrieländer nicht mehr haltbar.[19] Dennoch werden in der traditionellen ethnologischen Feldforschung die untersuchten kulturellen Einheiten nach wie vor durch die geographische Eingrenzung des Feldes automatisch „lokalisiert“. Diese eingeschränkte Perspektive behindert bei vielen Fragestellungen den Blick auf grenzüberschreitende Phänomene. „Traveling Cultures“[20], Kulturen auf der Reise, werden zu „Moving Targets“[21], zu beweglichen Zielscheiben – voll postmoderner Selbstironie weisen EthnologInnen auf ihre prekäre Abhängigkeit von „stillhaltenden“ Kulturen hin, und damit auf die Hinfälligkeit altbewährter Forschungsansätze und Methoden, die sich durch die zunehmende Auflösung der Grenzen angestammter For-schungsfelder der Ethnologie ergibt:

„Localizations of the anthropologist’s objects of study in terms of a ‘field’ tend to marginalize or erase several blurred boundary areas, historical realities that slip out of the ethnographic frame.” (Clifford 1997: 22 f.)

Ein neuartiger methodischer Ansatz, die „Multi-Sited Ethnography“[22], bezieht sowohl die lokale als auch die globale Ebene mit ein und stellt dadurch eine Perspektive zur Anpassung an die veränderten empirischen Voraussetzungen dar. Anstatt sich auf einen vorgegebenen Ort zu beschränken, werden kulturelle Zusammenhänge durch die sprichwörtliche Verfolgung von (Migrations-) Wegen, Handelsbeziehungen, Konfliktlinien oder Kommunikationskanälen, aber auch der Verbreitung von Waren, Symbolen und Sprachgebräuchen nachvollzogen.[23] Statt eines geografisch verorteten Feldes bestimmen soziale, wirtschaftliche oder politische „Beziehungsfelder“ der beteiligten InformantInnen den Fokus einer „Multi-Sited Ethnography“:

„Generally, we may define the field, not primarily in terms of a locality, but as the field of relations which are of significance to the people involved in the study.” (Hastrup/Fog Olwig 1998: 8)

Dadurch eignet sich diese Methode besonders für Untersuchungen transnationaler sozialer Beziehungen.

3 l andeskunde: Kuba

3.1 Kuba und der período especial

Die kubanische Revolution galt für viele lange als „Sinnbild für nationale Selbstbestimmung, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtig-keit“[24]. Massenarmut und Arbeitslosigkeit, Unterernährung, Analphabe-tismus und Kindersterblichkeit – sonst übliche Probleme von sogenann-ten Drittweltländern – konnten fast gänzlich ausgemerzt werden. Kuba trotzte den Blockademaßnahmen der USA und glänzte mit vorbildlichen Sozialsystemen sowie einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum.[25] Allerdings war diese scheinbar selbstbestimmte Entwicklung nur durch das strategische Bündnis mit der Sowjetunion und den anderen realsozialistischen Ostblockländern möglich und kam mit deren Zusammenbruch abrupt zum Erliegen. Der plötzliche Ausfall groß-zügiger Finanzspritzen aus der Sowjetunion sowie der Wegfall der wichtigsten wirtschaftlichen Handelspartner führte das sozialistische Kuba in eine tiefe wirtschaftliche und in der Folge auch gesellschaftliche Krise.[26] Der Einbruch machte sich auf allen Ebenen bemerkbar: Zwischen 1989 und 1992 lässt sich beispielsweise in der Nahrungs-mittelproduktion ein Produktionsrückgang von 40% bis zu 95% verzeichnen.[27] Die Grundversorgung der kubanischen Bevölkerung konnte nicht mehr bereitgestellt werden, der durchschnittliche Kalorien-verbrauch fiel in dieser Zeit um mehr als ein Drittel.[28] Es fehlte an allem. Die kubanische Regierung reagierte auf diese Versorgungskrise mit verschiedenen wirtschafts-politischen Maßnahmen. Bereits 1990 rief sie den Notzustand in Friedenszeiten (período especial en tiempos de paz) aus und bereitete die Bevölkerung damit auf tiefe wirtschaftliche Einschnitte vor. Akuter Benzinmangel legte den öffentlichen Verkehr lahm, Stromsperren von fünf bis zu zwölf Stunden waren zu Beginn der Neunziger Jahre alltäglich.[29] Nahrungsmittel und andere grundlegende Konsumartikel waren fast nur noch über die Rationalisierungskarte (libreta) in den staatlichen bodegas erhältlich, verbunden mit extrem langen Wartezeiten. Die Zuteilungen erfolgten unregelmäßig oder fielen manchmal auch ganz aus.[30] Vor 1989 wurden über die staatlich subventionierten Zuteilungsstellen sogar regelmäßig Bier und Zigaretten und andere nicht überlebensnotwendige Konsumgüter vergeben. Der offizielle freie Verkauf von Waren gegen Geld wurde im período especial so gut wie abgeschafft[31], der Schwarzmarkt war dadurch für das tägliche Auskommen unverzichtbar. Viele Produkte waren nur noch für Devisen oder überhöhte Pesopreise auf dem Schwarzmarkt oder in speziellen „Dollargeschäften“ (diplotiendas) erhältlich, die für DiplomatInnen, TouristInnen oder ausländische StudentInnen vorgesehen waren.[32] KubanerInnen war es jedoch unter Androhung von zum Teil hohen Gefängnisstrafen verboten, US-Dollars zu besitzen. Gleichzeitig verlor der kubanische Peso immer mehr an Wert, der Dollar wurde so zur heißesten Ware auf dem Schwarzmarkt. 1993 entschloss sich die kubanische Regierung zu einigen wirtschafts-politischen Maßnahmen. Eine kontrollierte Öffnung nach außen sollte neue Devisenquellen erschließen. Ausländische Investoren wurden animiert, sich in Kuba an Joint-Venture-Unternehmen zu beteiligen, insbesondere im Tourismusbereich. Außerdem wurde der Dollar legalisiert und die diplotiendas, mittlerweile im Straßenjargon chopis (Shopping) genannt[33], auch KubanerInnen zugänglich gemacht. Das Geld, das ohnehin auf der Straße im Umlauf war, sollte seinen Weg in die leeren Staatskassen finden. Die Auswirkungen sind weitreichend: Die nunmehr legalen Geldüberweisungen von Verwandten aus dem Ausland haben „heute eine zentrale Stellung in der kubanischen Wirtschaft und Gesellschaft inne, die ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte des Landes ist“[34] Die Schätzungen variieren zwischen 500 und 1100 Millionen US-Dollar jährlich, die seit der Legalisierung des Dollars von EmigrantInnen nach Kuba geschickt werden.[35] Da nur ein geringer Teil des Geldes per Banküberweisung gesendet wird, sind keine genauen Zahlen über den Geldfluss von Angehörigen aus dem Ausland verfügbar.[36] Jedenfalls stellen die Überweisungen noch vor den Netto-Einnahmen durch Zucker und Tourismus die höchste Devisen-Einnahmequelle des Landes dar und tragen entscheidend dazu bei, der Verarmung eines Großteils der Gesellschaft entgegenzuwirken. Denn die meisten Menschen in Kuba haben zuwenig Geld, da selbst Gehälter von normalerweise hochdotierten Berufsgruppen kaum für den Lebensunterhalt reichen, auch wenn die Lebenshaltungskosten hinsichtlich Miete, Bildung und Gesundheit durch das sozialistische System sehr niedrig sind. So verdient beispielsweise eine Kieferorthopädin – in anderen Ländern ein einträglicher Beruf – in Kuba 435 Pesos im Monat, umgerechnet etwas mehr als 15 Dollars.[37] Das Nebeneinander der zwei Währungen, von denen die einheimische nur ein Bruchteil des Dollars wert ist, führt zu zum Teil bizarren Überlebensstrategien:[38] So arbeiten viele ÄrztInnen, AnwältInnen oder Angehörige anderer Berufsgruppen lieber als Putzfrauen oder –männer in Hotels, als KellnerInnen, MusikerInnen oder Taxifahrer (ich habe nie eine Taxifahrerin in Kuba gesehen), da sie dort einen direkten Zugang zu Dollars haben und an einem Tag häufig mehr verdienen können als in ihren offiziellen, in Pesos bezahlten Berufen monatlich. Diese Lücke sollte mittels weiterer wirtschafts-politischer Beschlüsse der kubanischen Regierung 1994 überbrückt werden: Unter anderem erlaubte sie bestimmten Berufsgruppen, auf Selbstständigenbasis zu arbeiten (trabajo por cuenta propia) – allerdings zu restriktiven und häufig wechselnden Konditionen, durch die kapitalistische Ungleichheitsentwicklungen in der Gesellschaft verhindert werden sollten.[39] Vor allem wenn eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Bevölkerung erkennbar war, wurde diese Entwicklung durch die Erhöhung von Auflagen oder anderen Restriktionen wieder gebremst. Die Beschäftigung auf dem Schwarzmarkt ist in Kuba nach wie vor fester Bestandteil der Binnenwirtschaft – nicht zuletzt aufgrund der nicht einkalkulierbaren Änderungen der Gesetzeslage und des dadurch bedingten hohen Risikofaktors für Selbständige (cuentapropistas).[40] Die Öffnung der freien, nichtstaatlichen Agrarmärkte (mercados agropecuarios) im Jahre 1994 hat zu einer verbesserten Versorgungslage der Bevölkerung geführt, auch wenn die Preise – obwohl in kubanischer Währung – in Relation zu den Pesolöhnen überteuert sind.[41]

Seit dem massiven Ausbau des Tourismussektors strömen jährlich ca. 1,7 Millionen ausländische BesucherInnen auf die Insel.[42] Das Zusammentreffen von KubanerInnen und den dollarbringenden TouristInnen in Zeiten des período especial führt zu teilweise gravierenden Verschiebungen in der kubanischen Gesellschaft.

Exkurs: Jineterismo in Kuba – eine echte Alternative für die kuba-nische Jugend?

Für manche Habaneros[43], vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, war es schon vor der Dollarlegalisierung Anfang der 1990er ein gefährlicher, aber lukrativer Weg, über den Kontakt zu TouristInnen an die US-Währung heranzukommen.[44] Ihr Arbeitsgebiet waren und sind touristische Orte und Sammelplätze (z.B. der Malecón, die Strandpromenade Havannas), die von den Jugendlichen „das Feuer“ (el fuego) genannt wurden, um die Brisanz ihrer Tätigkeit zu unterstreichen. Seitdem der Dollar legal im Umlauf ist, versuchen immer mehr KubanerInnen durch den Kontakt zu den seit der Öffnung nach Kuba strömenden TouristInnen – sei es offiziell in touristischen Berufen oder inoffiziell auf der Straße – ihren Lebensunterhalt zu verdienen.[45] Die inoffiziell mit TouristInnen arbeitenden KubanerInnen werden als jineteros bezeichnet.[46] Ihre Tätigkeiten „auf der Straße“ haben nicht unbedingt – wie häufig angenommen – immer mit Prostitution zu tun, sondern bedeuten jedwede Form der Geschäfte mit TouristInnen.[47] Viele machen sich als Tourist Guides, AnimateurInnen oder Beschaffer-Innen von irgendwelchen Waren (zum Beispiel Zigarren) für die TouristInnen nützlich. Dafür erhoffen sie sich ein Paar Turnschuhe, eine Armbanduhr oder gar ein paar Dollars. Es handelt sich dabei nicht immer um ein verabredetes Geschäft. Viele jineteros nähern sich wie zufällig den TouristInnen, zeigen ihnen aus „reiner Gefälligkeit“ die schönen Stellen Havannas oder lassen ihre Beziehungen spielen, um sie besonders günstig in einen beliebten Jazzclub zu bringen (der eigentlich kostenlos ist), oder sie verkaufen ihnen echte Zigarren zu Schwarzmarktpreisen. Häufig kommt es während der Begegnungen auch zu sexuellen Kontakten, die dann meist scheinbar freiwillig geschehen und nicht als „entgeltliche Dienstleistung“ angeboten wird.[48] Dabei haben die meisten einen kubanischen Partner – die Singlequote ist in Kuba verschwindend gering. Viele erhoffen sich aber durch den Kontakt mit dem Touristen oder der Touristin eine Einladung ins Ausland – eine der wenigen Möglichkeiten auszureisen – oder gar eine Heirat, was die dauerhafte Emigration ermöglichen würde. Zumindest erreichen sie meistens kurzfristig eine wirtschaftliche Verbesserung durch Geschenke, ein paar spendierte Dollars oder den Eintritt in teure Nachtclubs. Obwohl es durch den Zugang zur sonst unerreichbaren Glitzerwelt der TouristInnen vor allem für Jugendliche fast schon eine Modeerscheinung ist, als jinetero zu arbeiten,[49] wird es in vielen Kreisen abfällig als Prostitution betrachtet. Prostitution und jineterismo (was manchmal gleichgesetzt wird) ist zwar nach kubanischen Recht keine Straftat, aber, wie die kubanische Journalistin Sara Más Farías treffend feststellt, „trotzdem verboten“, da es als „asoziales Verhalten“ betrachtet wird und damit im Widerspruch zur sozialistischen Moral steht.[50] In touristischen Zonen sind regelmäßige Passkontrollen von KubanerInnen, die mit TouristInnen herumlaufen, üblich. Entsprechende Vermerke im Pass geben Aufschluss darüber, ob jemand schon wegen jineterismo oder sonstigem „asozialen Verhalten“ aufgefallen ist; dann droht die Mitnahme ins Polizeipräsidium, da solche Personen als gefährlich eingestuft werden. Bei regelmäßigen Razzien gegen jineteras drohen den Frauen teilweise langjährige Umer-ziehungsmaßnahmen, während Touristen nicht belangt werden, da das kubanische Recht keine Sanktionsmöglichkeiten gegen Freier vorsieht.[51] Einige Touristenorte sind mittlerweile regelrecht abgeriegelt und für „normale“ KubanerInnen, die nicht dort arbeiten oder andere Privilegien genießen, nicht zugänglich.

3.2 Emigrationsbewegungen in Kuba seit 1959

Die Ausreisebedingungen für KubanerInnen sind seit 1959 sehr restriktiv, wenn auch im wechselnden Maße. Bis in die Neunziger Jahre war die Emigration eigentlich nur als definitive Ausreiseentscheidung (salida definitiva) möglich.[52] Der Ausreisewunsch wurde immer als Opposition zum sozialistischen Staat interpretiert. Die Emigrierenden, offiziell als „konter-revolutionäre Würmer“ (gusanos) diffamiert, mussten also ihre Heimat für immer hinter sich lassen.[53] Durch die aufgeladene politische Stimmung während des kalten Krieges wurden persönliche Entscheidungen zu ideologischen Positionierungen, die so sehr im Vordergrund standen, dass deswegen teilweise sogar die Familien nach der Trennung jeglichen Kontakt zu den ausgereisten Angehörigen abbrachen. Für die Aufrechterhaltung von Familienbeziehungen war auch hinderlich, dass ExilkubanerInnen bis Ende der Siebziger Jahre nicht erlaubt war, nach Kuba zu reisen.

In der Literatur ist von vier Emigrationswellen seit der Revolution im Jahre 1959 die Rede:[54] Die erste trat unmittelbar nach der Machtergreifung der Revolutionäre ein, als vor allem Menschen der Ober- und Mittelschicht sich nach Miami absetzten. Die zweite Welle erfolgte über einen relativ langen Zeitraum in den Jahren von 1965 – 1973, als regelmäßig sogenannte „Freiheitsflüge“ zwischen Havanna und Miami verkehrten. Der 1966 durch den US-Kongress verabschiedete Cuban Adjustment Act räumte den ExilkubanerInnen zudem eine Sonderstellung unter den EinwanderInnen ein: Er schloss die Deportation von KubanerInnen, die US-amerikanisches Herrschaftsgebiet erreichten, aus und ermöglichte ihnen bereits nach einem Jahr die Einbürgerung.[55] Im Jahre 1973 wurden die Freiheitsflüge endgültig unterbunden – ob von Seiten der USA[56] oder Kubas[57] wird in der Literatur unterschiedlich dargestellt. Dass es trotz des Ausreisestopps großen Bedarf gab, die Insel zu verlassen, zeigen die gehäuften Fluchtversuche durch Flugzeug- und Fährenentführungen in diesem Zeitraum. Nachdem Castro im Jahre 1978 eine Gruppe von ExilkubanerInnen nach Havanna zum Dialog eingeladen hatte, waren erstmals Familienbesuche möglich.[58] Das Zusammentreffen von InselkubanerInnen und ExilantInnen machte den großen Unterschied hinsichtlich der Lebensqualität deutlich. Viele wollten Kuba daraufhin auch verlassen. 1980 eskalierte die Situation und Menschenmassen stürmten die peruanische Botschaft, um politisches Asyl zu beantragen. Die kubanische Regierung gab schließlich dem Druck aus der Bevölkerung nach: Sie öffnete den Hafen von Mariel und veranlasste damit die Verschiffung von mindestens 125.000 KubanerInnen nach Miami – ohne Rücksprache mit der US-Regierung.[59] Diese dritte Ausreisewelle dauerte 5 Monate. Menschen, die auf diesem Wege Kuba verließen, werden häufig als marielitos bezeichnet. Ein großer Teil von ihnen, vor allem diejenigen mit Familienanschluss in den USA, ging aus freien Stücken. Bei dieser Aktion zwang die Regierung Castros aber auch gezielt vorbestrafte, inhaftierte und psychisch erkrankte Personen ins Exil.[60] Die Herkunftsstruktur dieser Menschen unterschied sich stark von der der bisherigen Exilgemeinde in Miami, die vornehmlich weiß und wohlhabend war. Die soziale Heterogenität und die Mittellosigkeit der meisten marielitos schmälerte die bisherige bedingungslose Aufnahmebereitschaft der USA. Von nun an erhielten immer weniger KubanerInnen eine bevorzugte Behandlung (durch die umkomplizierte Einbürgerung), und sie wurden wie andere Flüchtlinge mit dem Immigrantenstatus aufgenommen. In einem Abkommen von 1984 zwischen der Reagan-Regierung und Kuba wurde die Vergabe von bis zu 20.000 Visa jährlich an KubanerInnen verabschiedet. Allerdings blieb die Zahl der tatsächlich erteilten Visa in den folgenden Jahren deutlich darunter.[61]

Die vierte Emigrationswelle fällt in den für diese Arbeit relevanten Zeitraum. Während die Ausreisegründe bisher hauptsächlich politischer Natur waren, hat Emigration in Kuba „in den neunziger Jahren eine zunehmend ökonomische Bedeutung bekommen“[62]. Damit wird auch die bisher im gesellschaftlichen Diskurs tief verwurzelte Trennlinie zwischen den revolutionsgetreuen Insulanern und den pauschal als gusanos betitelten ExilantInnen infrage gestellt. Gesinnung, Auswanderungsmotive und soziale Herkunft der Emigrierenden werden immer heterogener und komplexer, die Zielländer immer weiter verstreut:

„Vor allem aber etablierte sich nun jenseits von isla und exilio, von insilio und disidencia eine Diaspora, die sich um die alten Grenzziehungen [...] immer weniger kümmerte, ohne doch unbekümmert zu sein. Längst ist es nicht mehr möglich, das Exil auf der Insel und die Insel im Exil zu tabuisieren, ohne auf Widerspruch zu stoßen. [...] Immer neue Konstellationen der Heterotopie, immer neue „Bindestrich-Identitäten“ von den Cuban-Americans bis zu den Deutsch-Kubanern beider Deutschlands haben sich herausgebildet und bilden sich weiter aus.“ (Ette 2001: 21, Hervorhebung im Original)

In einer 1993 durchgeführten Studie über die Herkunftsstruktur und Motivation von Personen, die Kuba illegal über den Seeweg verlassen wollten, nannten die Befragten die materielle Unterversorgung in Kuba als einen der Hauptgründe. Die illegale Ausreise stellt eine Möglichkeit dar, die Versorgung der Familie in Kuba zu sichern:

„La información obtenida sobre el contenido del proyecto de vida, aspiraciones, motivos de salida y concepto de felicidad e infelicidad, permite apreciar el significado del valor de la familia para los sujetos, en tanto que se evalúan positivamente las relaciones familiares y se expresan motivos de salida dirigidos al bienestar familiar.“ [63] (Martínez et al. 1996 : 121)

Mit der Zuspitzung der Versorgungskrise während dem periodo especial kam es immer häufiger zu Fluchtversuchen. Auf selbst-gebauten Flößen aus Autoreifen und anderen Materialien, die gerade aufzutreiben waren, versuchten immer mehr Menschen, nach Florida zu gelangen, das „nur“ 90 Seemeilen von der kubanischen Küste entfernt liegt. Das hat auch mit der restriktiven Visavergabe der USA in diesem Zeitraum zu tun: nur ein Bruchteil der vereinbarten 20.000 Visa wurden Anfang der Neunziger tatsächlich erteilt. Gleichzeitig wurden diejenigen, die auf illegalem Wege die USA erreichten, mit offenen Armen empfangen und unter den Schutz des Cuban Adjustment Act gestellt.[64] Im Juli 1994 reagierte Fidel Castro auf diese Entwicklung mit der Öffnung der maritimen Grenzen: jeder konnte nun offiziell auf eigene Faust das Land verlassen. Diese Maßnahme endete jedoch in einem Fiasko, denn von den mindestens 35.000 sogenannten balseros, die auf abenteuerlich zusammen-geschusterten Flößen (balsas) die Insel verließen, fanden viele im Meer den Tod. Der omnipräsente Leitsatz der sozialistischen Regierung: „Vaterland oder Tod“ (patria o muerte) bekommt damit eine tragische Konnotation. Nach wenigen Wochen wurde die Maßnahme rückgängig gemacht. Um dennoch den Emigrationsdruck zu kanalisieren, beschlossen die Regierungen Kubas und der USA 1994 die Einführung einer Tombola (el bombo) nach dem Greencard-Prinzip der USA: Seit 1995 werden in Kuba jährlich mindestens (statt der bisherigen bis zu) 20.000 Einreisevisa für die USA verlost, das heißt, die 1984 vereinbarte Visaanzahl wird nun auch eingehalten.[65] Im Gegenzug erklärte sich die kubanische Regierung bereit, die eigenen Landesgrenzen strenger zu bewachen und den illegalen Fluchtversuchen dadurch Einhalt zu gebieten. Außerdem wurde der Cuban Adjustment Act von 1966 neu interpretiert: Alle KubanerInnen, die „trockenen Fußes“ das Territorium der USA erreichen, dürfen bleiben. Diejenigen, die im Meer aufgegriffen werden, werden nach Kuba zurückgeschickt.[66]

Weitere Möglichkeiten der Emigration stellen Heiratsvisa und teilweise auch Arbeitsvisa dar. Befristete Reisen bis zu maximal elf Monaten sind – abgesehen von Arbeitseinsätzen im Ausland – eigentlich nur durch die Einladung (carta de invitación) und Finanzierung durch einen Ausländer oder eine Ausländerin möglich. Heiratsmigration gewinnt als Folge des Massentourismus an Bedeutung. Empfängerländer sind vor allem westeuropäische Staaten, unter anderem die Bundesrepublik Deutschland.[67] Die Zunahme der Eheschließungen zwischen Aus-länderInnen und KubanerInnen sowie die wachsende finanzielle Abhängigkeit der kubanischen Wirtschaft von den Geldsendungen der ausgewanderten KubanerInnen hat die kubanische Regierung Anfang der 1990er zu einer Vereinfachung der Einreisebestimmungen für im Ausland lebenden KubanerInnen veranlasst. Die zuvor als Vaterlands-verräterInnen ihre Heimat endgültig hinter sich lassen mussten, waren von traidores (Verrätern) zu trae-dólares (Dollarbringern) geworden[68] oder, um das Bildmalerische der kubanischen Sprache zu unterstreichen: „...habían sido antes gusanos y se habían transformado en mariposas“[69]. Der 1990 eingeführte Permiso de Residencia en el Exterior[70] (PRE) erlaubt es im Ausland verheirateten KubanerInnen, die Insel zu besuchen, wann immer sie es wünschen. Dies gilt auch für diejenigen, die aufgrund eines Arbeitsvertrages im Ausland leben.[71] Für diejenigen, die nicht im Besitz des PRE sind, ist es möglich, eine Einreisegenehmigung (permiso de entrada) von 30 Tagen zu beantragen, die um 30 Tage verlängert werden kann.[72]

Die Option, über die Heirat mit einem Ausländer oder einer Ausländerin nach Europa zu emigrieren, ist aufgrund der vergleichbar einfachen Reiseregelungen sicherlich attraktiv. Durch den immerwährenden Konflikt zwischen Kuba und den USA müssen KubanerInnen, die in den USA leben, ständig mit veränderten Einreisebestimmungen rechnen, da beide Seiten je nach Konfliktlage immer wieder zusätzliche Restriktionen erheben können, sowohl hinsichtlich der Höhe der möglichen Geldsendungen nach Kuba als auch der Reise-bestimmungen.[73] So gilt derzeit in den USA beispielsweise eine Beschränkung von 300 US-Dollars, die vierteljährlich nach Kuba geschickt werden können.[74] AdressatInnen dürfen nur bestimmte, von der US-Regierung festgelegte Verwandtschaftsgruppen wie Großeltern, Eltern, Kinder oder Geschwister sein, nicht aber Onkel, Tanten, Nichten und Neffen.[75] Auch bei Heimatbesuchen – die zeitlichen Restriktionen obliegen[76] – dürfen die ExilkubanerInnen aus den USA nur festgelegte Geldsummen mitnehmen, so dass am Ende kaum etwas für die Unterstützung der Familie übrigbleibt.[77] Zudem bedeutet die Emigration in die USA für die meisten nach wie vor eine definitive Auswanderungsentscheidung:

„Aunque desde los años 80 quien emigra tiene derecho a regresar de visita a Cuba o solicitar su repatriación, para la población de esta nación caribeña ‚irse del país’ sigue siendo una opción ‚para siempre’. [...] La mayoría de los emigrantes cubanos se dirigen a Estados Unidos con una autorización de salida ‚definitiva’.“[78] (Acosta 2006: http://cubaalamano.net/sitio/reporte.asp?id=66)

Heute leben rund zwei Millionen KubanerInnen im Ausland, davon 1,5 Millionen in den USA.[79] Das sind bei einer Einwohnerzahl von 11,2 Millionen fast zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung.[80] Laut des „Zentrums für Internationale Migrationsstudien der Universität von Havanna“ (Centro de Estudios de Migraciones Internacionales de la Universidad de La Habana) gab es in Kuba Ende der Neunziger ein Auswanderungspotenzial von zirka 500.000 bis 700.000 Personen.[81]

3.3 kubanische Familien und der período especial

Obwohl die USA nach wie vor Aufnahmeland Nummer eins sind, führt das Zusammenspiel der oben aufgeführten Vorgänge dazu, dass seit den Neunziger Jahren immer mehr KubanerInnen durch die Heirat mit einem Touristen oder einer Touristin nach Europa und andere Ecken der Welt emigrieren. Für die Familienangehörigen stellt die Ausreise eines Familienmitglieds in den schwierigen Zeiten des período especial eine Art Investition dar: In der Literatur wird von einem „Export der Arbeitskräfte“ gesprochen.[82] Hinzu kommt die Aussicht, mithilfe des ausgewanderten Verwandten eines Tages selbst ausreisen zu können. Gleichzeitig bedeutet diese Entwicklung eine Ausdehnung der kubanischen Kultur in andere Teile der Welt. Ob man nun die in Europa seit Mitte der Neunziger wie Pilze aus dem Boden schießenden Salsaclubs und den internationalen Erfolg des Buena Vista Social Clubs nimmt oder die beträchtliche Zunahme der „bindestrich-kubanischen“ Familien: Die Menschen der politisch und durch die andauernde Blockade der USA auch wirtschaftlich isolierten Insel sorgen durch den Anstieg der Emigration für eine gegenseitige Befruchtung zwischen Kuba und “dem Rest der Welt“. So spottet der in Barcelona lebende kubanische Literat Iván de la Nuez:

„Die kubanische Durchschnittsfamilie hat heute einen Arzt in Moskau, einen Gefallenen in Afrika, einen Fettleibigen in Miami, einen Unterernährten in Havanna und als vollkommenste Metapher ihres Daseins ein Mitglied, das gerade mit einem Schlauchboot im Golf von Mexiko unterwegs ist“. (Zitiert aus Kummels 2004: 31f.)

Hinzuzufügen wäre noch das in Europa verheiratete Familienmitglied. Diese Vorgänge haben ausschlaggebende Auswirkungen auf die kubanischen Familienstrukturen: Einen Touristen zu heiraten wird in Kuba mittlerweile häufig als „gute Partie“ betrachtet, während einheimische Partner zunehmend negativ betrachtet werden, da sie in der Regel wirtschaftlich schwach sind.[83] Dies bedeutet, dass die kubanische Gesellschaft einen tiefgreifenden Wandlungsprozess durchläuft. Die kubanische Revolutionsführung hat von 1959 an eine stark paternalistische Sozialpolitik betrieben. Flächendeckende Institutionen wie das Komitee zur Verteidigung der Revolution (CDR), der Verband der Kubanischen Frauen (FMC), der Verband Junger Kubaner (UJC), der Studentenbund (FEU), die Einheitsgewerkschaft (CTC) und viele andere Verbände mehr dienen der Integration und Mobilisierung des gesamten Volkes und als Medien, durch welche die Beschlüsse der Regierung nach unten vermittelt werden sollen.[84] Die kubanischen BürgerInnen waren zwar nie zur Mitgliedschaft in den entsprechenden Institutionen verpflichtet, doch waren und sind trotzdem die meisten Mitglied, da sie sonst in den Verdacht geraten könnten, dass sie die Revolution nicht unterstützen – was „Unannehmlichkeiten verschiedenster Art bis hin zu offenen Schikanen oder auch harten Repressalien bedeuten kann“.[85] Letztlich unterstützt diese flächendeckende Einbindung der kubanischen Bevölkerung die Verbreitung und Verankerung von sozialistischen Werten wie Solidarität, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, sie bedeutet aber auch staatliche Kontrolle auf privatester Ebene und trägt zu einem Konformitätszwang bei.[86] Das kostenlose Bildungssystem mit einer Schulpflicht von neun Jahren dient – neben dem positiven Aspekt, dass alle Gesellschaftsschichten gleichen Zugang zur Bildung haben – auch als Mittel, die Bevölkerung nach den Wertvorstellungen der kubanischen Revolution zu erziehen. Dies alles hat auch immer einen großen Einfluss auf die kubanischen Familienstrukturen gehabt. Ein großer Teil der sonst im familiären Bereich angesiedelten Aufgaben wie Erziehung und Wertevermittlung wird in Kuba von staatlichen Institutionen übernommen.

Durch die Entwicklungen nach 1990 werden jedoch die egalitären Strukturen in der kubanischen Gesellschaft aufgebrochen und damit auch die Einflussfaktoren auf die Bevölkerung verändert. Plötzlich steht das wirtschaftliche Überleben im Vordergrund, während kulturelle und emotionale Funktionen der Familie in den Hintergrund treten:

„Die kubanische Sozialstruktur hat sich allmählich neu zusammengesetzt. Es fand eine soziale Ausdifferenzierung hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten zum Dollar statt, die heute in den Wohnvierteln deutlich sichtbar ist. Diese neuen sozialen Unterschiede brechen mit der Vorstellung, dass alle Kubaner gleich sind.“ (Arés Muzio 2004: 47)

Was seit der Dollarlegalisierung im Jahre 1993 das kubanische Gesell-schaftsgefüge besonders gefährdet, ist die Tatsache, dass bei der sozialen Umschichtung vor allem diejenigen auf der Strecke bleiben, die ihr Leben ganz im Sinne der Revolution führen und im staatlichen Sektor arbeiten, da sie nur über kubanische Pesos verfügen.[87] Traditionell anerkannte Lebensmodelle reichen nicht mehr aus, um das Auskommen der Familie zu sichern. Der Devisenbesitz ist nicht nur überlebensnotwendig, sondern wird immer mehr auch zur Messlatte von Erfolg und Macht. In diesem Sinne hat sich Kuba zu einer Zweiklassengesellschaft entwickelt: Die einen haben, die anderen haben keine Dollarzugangsmöglichkeiten. Das wirkt sich direkt auf den Bereich der Partnerschaften und Familienbeziehungen aus, die schlimmstenfalls von einer „Vertragslogik“ bestimmt werden: Die Heirat mit AusländerInnen (und damit verbunden die Emigration) oder gar die von der Familie unterstützte Prostitution von jungen Männern und Frauen werden zu anerkannten Formen der Einkommensbeschaffung.[88] Von der Revolution propagierte Werte wie Solidarität und Gleichheit verlieren derweil an Bedeutung. Der Rückgriff auf die Unterstützung von im Ausland lebenden Familienangehörigen ist heute einer der Wege zum „Dollar-Glück“.[89] Dies gilt sowohl für die Familie als auch für den kubanischen Staat, dem die Deviseneinnahmen durch die Familien-unterstützung aus dem Ausland letztendlich zugute kommt. Die Institution Familie hat bei der Beziehung von EmigrantInnen und dem Heimatland eine besondere Bedeutung:

„La familia, además, ha devenido importante fuente para los emigrados entrar en contacto vivo con su país de origen. Esta relación que se establece entre los familiares de dentro y fuera de Cuba conforman las redes de parentesco en el proceso migratorio.“ [90] (Martín/Pérez 1998: 27)

Eben diese verwandtschaftlichen Netzwerke sind Gegenstand meiner Untersuchung, die nun folgend beschrieben wird.

[...]


[1] Han (2000): S. 1.

[2] Einen guten Überblick über die verschiedenen Strömungen der klassischen Migrations-forschung liefert Pries (1997): S. 30 ff..

[3] Nyberg Soerensen (1999): S. 16 sowie Clifford (1997): S. 24.

[4] Pries (1997): S. 16.

[5] Pries (1997): S. 34.

[6] Nyberg Soerensen (1999): S. 16.

[7] Erstveröffentlichung: Glick Schiller et al. (Hgs.), 1992, “Towards a Transnational Perspective on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Nationalism Reconsidered”, Annals of the New York Academy of Science, Vol. 645.

[8] Glick Schiller et al. (1997): S. 83 f..

[9] Glick Schiller et al. (1994): S. 5 f..

[10] Balikbayan bedeutet wörtlich “Heimkehrer“, siehe A.a.O.: S. 2 f..

[11] A.a.O.: S. 256 ff..

[12] Glick Schiller et al. (1997): S. 87.

[13] A.a.O.: S. 93.

[14] Glick Schiller et al. (1995): S. 48 ff..

[15] Fernández de la Hoz (2004): S. 9.

[16] Ariza (2002): S. 61.

[17] Fernández de la Hoz (2004): S. 9.

[18] „Die zentrale Stellung der Verwandtschaft bei der Gestaltung der Netzwerke in der Migration verursacht für die MigrantInnen und ihren Familien die fortwährende Notwendigkeit, sehr viel Zeit und Energie in die Erhaltung und Reproduktion der Verbindungen zu investieren, um ihren Wert als soziales Kapital zu erhalten.“ (Übersetzung der Verfasserin)

[19] Welz (1998): S. 178 (Hervorhebung durch die Verfasserin).

[20] So lautet der Titel von: Clifford (1997).

[21] So lautet der Titel von: Appadurai (1989).

[22] Vgl Marcus (1995).

[23] Marcus (1995): S. 106 ff..

[24] Burchardt (2001): S. 313.

[25] Ebd.

[26] 1989 wickelte Kuba mehr als 85% des Außenhandels zu stark subventionierten Konditionen mit den Ostblockländern ab (Vgl. Hoffmann 2004).

[27] Hoffmann (1994): S. 238.

[28] Ebd.

[29] Hoffmann (2004): S. 21.

[30] Ebd. (Zur Grundversorgung der kubanischen Bevölkerung durch Güterrationierung vgl. Merkle 2000).

[31] Hoffmann (2000): S. 107.

[32] In dieser Zeit konnten sich die sonst durch den latent immer noch vorhandenen Rassismus in Kuba eher benachteiligten sehr dunkelhäutigen KubanerInnen eine bessere gesellschaftliche Position verschaffen, indem sie für andere KubanerInnen gegen ein Entgeld als angebliche afrikanische Austauschstudenten in den diplotiendas einkaufen gingen (Vgl. Kummels 2006: S. 16 f.).

[33] Zeuske (2000): S. 161.

[34] Monreal (1999): S. 73.

[35] Hoffmann (2000): S. 114.

[36] Widderich (2002): S.73.

[37] laut Eigenauskunft der Schwägerin meiner Informantin Sonia aus Santiago de Cuba im Februar 2002.

[38] 1994 lag der reale Wert eines kubanischen Pesos bei ca. 130:1 – offiziell jedoch bei 1:1 (Vgl. Hoffmann 2004). Inzwischen liegt der Tauschkurs bei durchschnittlich 26:1.

[39] Mesa-Lago (1994): S. 77 ff..

[40] A.a.O.: S. 81 f..

[41] Hoffmann (2004): S. 31.

[42] 1999 reisten 200.000 Deutsche nach Kuba. Hoffmann (2000): S. 111.

[43] BewohnerInnen der Hauptstadt Havanna.

[44] Die nun folgenden Informationen habe ich hauptsächlich aus privaten Gesprächen mit meinem Partner und anderen KubanerInnen. Keinesfalls sind sie als allgemeingültig zu verstehen. Sie stellen dennoch einen wichtigen Bestandteil der sozialen Entwicklungen in Kuba seit dem período especial dar. Zu diesem Thema siehe auch: Kummels (2006).

[45] Kummels (2006): S. 19.

[46] Wörtlich übersetzt bedeutet jinetero „Reiter“. Das dazugehörige Verb jinetear wird in Kuba auch mit „unter schwierigen Bedingungen kämpfen“ übersetzt (vgl. Mas Farías 2004: S. 106).

[47] Vgl. Kummels (2006): S. 8.

[48] Die scheinbare sexuelle Freizügigkeit der KubanerInnen hat dazu geführt, dass Kuba sich seit den 1990ern zu einem der beliebtesten Reiseziele von SextouristInnen entwickelt hat (Vgl. Kummels 2006: 20).

[49] Vgl. Kummels (2006): S. 16.

[50] Mas Farías (2004): S. 110 ff..

[51] A.a.O.: S. 111.

[52] Hoffmann (2005): S. 11.

[53] Hoffmann (1994): S. 244.

[54] Hoffmann (2005): S. 9.

[55] Martínez-Fernández (2003): S. 573.

[56] García (1996): S. 43.

[57] Hoffmann (2005): S. 9.

[58] Gonzalez-Pando (1998): S. 63f..

[59] Izquierdo Pedroso (2002): S. 76.

[60] Gonzalez-Pando (1998): S. 68.

[61] Hoffmann (2005): S. 12.

[62] Monreal (1999): S. 83.

[63] „Die Informationen, die wir hinsichtlich der verschiedenen Lebensprojekte, Sehnsüchte, Auswanderungsmotive und Konzepte des Glücks und des Unglücks erhalten haben, erlauben eine Wertschätzung der Bedeutung der Familie für die Befragungspersonen, insofern sie ihre Familienbeziehungen positiv bewerten und das Wohlbefinden der Familie als Begründung für die Emigration angegeben wird.“ (Übersetzung der Verfasserin).

[64] Hoffmann (2004): S. 25.

[65] Hoffmann (2005): S. 15.

[66] Martín/Pérez (1998): S. 63.

[67] Izquierdo Pedroso (2002): S.77.

[68] Hoffmann (2000): S. 115.

[69] „...sie waren Würmer und verwandelten sich in Schmetterlinge“ (Übersetzung durch die Verfasserin). Rodríguez (1996): S. 45.

[70] „Erlaubnis der permanenten Residenz im Ausland“ (Übersetzung durch die Verfasserin).

[71] Martín/Pérez (1998): S. 60.

[72] Vgl. www.botschaft-kuba.de/e_frame.html

[73] Vgl. Martín (1998): S. 62 ff..

[74] Mesa-Lago (1996): S. 226.

[75] Edith (2006): http://granma.co.cu/secciones/comentarios/nacional-36.htm.

[76] Laut Skaine war 2002 ein Besuch pro Jahr erlaubt (Skaine 2004: S. 77). Nach aktueller Rechtslage erlaubt die US-Regierung derzeit nur einen Besuch alle drei Jahre (vgl. www.commongroundtravel.com/who -can-travel.htm).

[77] Mesa-Lago (1996): S. 226 f.

[78] „Obwohl es den Emigrierten seit den 80er Jahren erlaubt ist, Kuba zu besuchen oder die Repatriierung zu beantragen, ist das Verlassen der Insel für die Bevölkerung dieser karibischen Nation immer noch eine Option „für immer“. [...] Die Mehrheit der kubanischen Emigranten kommt mit einer Genehmigung für die „definitive“ Ausreise in die Vereinigten Staaten.“ (Übersetzung der Verfasserin).

[79] Kummels (2006): S. 19.

[80] Ebd.

[81] Acosta (2006): http://cubaalamano.net/sitio/reporte.asp?id=66.

[82] Monreal (1999): S. 77.

[83] Ares Muzio (2004): S. 47f..

[84] Hoffmann (2000): S. 91.

[85] Hoffmann (2000): S. 92.

[86] Zeuske (2000): S. 104.

[87] Arés Muzio (2004): S.47.

[88] Arés Muzio (2004): S. 47.

[89] Martín/Pérez (1998): S. 25f..

[90] „Die Familie ist außerdem ein wichtiger Bezugspunkt für die Emigranten, um in Kontakt mit ihrem Heimatland zu treten. Diese Beziehung, die sich zwischen den Familienmitgliedern inner- und außerhalb Kubas etabliert, gibt den Verwandtschaftsnetzwerken im Migrationsprozess Gestalt.“ (Übersetzung der Verfasserin).

Excerpt out of 125 pages

Details

Title
Brücken nach Kuba - Transnationale Austauschbeziehungen kubanischer MigrantInnen in Deutschland
College
Free University of Berlin  (Institut für Ethnologie)
Grade
1,7
Author
Year
2006
Pages
125
Catalog Number
V86963
ISBN (eBook)
9783638009195
ISBN (Book)
9783638914727
File size
896 KB
Language
German
Keywords
Brücken, Kuba, Transnationale, Austauschbeziehungen, MigrantInnen, Deutschland
Quote paper
Jennifer Eggert (Author), 2006, Brücken nach Kuba - Transnationale Austauschbeziehungen kubanischer MigrantInnen in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86963

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