Individuelle Eingangsvoraussetzungen von Jugendlichen als Determinanten für den Erfolg in der beruflichen Ausbildung


Diploma Thesis, 2007

112 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

1 Einleitung

2 Ziele und Aufbau der Arbeit

3 Berufliche Bildung in Deutschland
3.1 Das duale System der Berufsausbildung und seine funktionalen Äquivalente
3.2 Zieldimensionen der beruflichen Bildung

4 Theoretische Grundlagen zu Bedingungs- und Ergebnisvariablen beruflicher Bildungsprozesse
4.1 Ein Theoretisches Modell zu Struktur- und Prozessmerkmalen von Bildungsprozessen in der beruflichen Ausbildung
4.2 Möglichkeiten der Erfolgsdefinition im Kontext der beruflichen Ausbildung

5 Theorie und Empirie zu ausgewählten Bedingungsfaktoren
5.1 Vorwissen
5.1.1 Untersuchung des Vorwissens und des Ausbildungserfolgs an Hamburger Berufsschulen
5.1.1.1 Untersuchung der Eingangsvoraussetzungen
5.1.1.2 Untersuchung des Erfolges
5.1.2 Untersuchung des Vorwissens Berliner Schüler in MDQM II
5.1.3 Zusammenfassende Diskussion
5.2 Intelligenz
5.2.1 Untersuchung der Vorhersagekraft der Intelligenz auf den Ausbildungserfolg an Auszubildenden eines Chemieunternehmens
5.2.2 Untersuchung der Intelligenz Berliner Schüler in MDQM II
5.2.3 Zusammenfassende Diskussion
5.3 Motivation
5.3.1 Motiviertes Lernen in der kaufmännischen Erstausbildung
5.3.1.1 Querschnittstudie
5.3.1.2 Längsschnittstudie
5.3.2 Untersuchung motivationaler Faktoren bei Jugendlichen an Hamburger Berufsschulen
5.3.2.1 Motivationale Faktoren zu Beginn der Ausbildung
5.3.2.2 Motivationale Faktoren am Ende der Ausbildung
5.3.2.3 Zusammenfassende Diskussion

6 Fazit und Ausblick

Glossar

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1: Von der Schule in den Arbeitsmarkt (Bildungspfade)

Abbildung 2: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 1999 bis Ende September 2005

Abbildung 3: Betriebliche Ausbildungsverträge 1999 bis Ende September 2005

Abbildung 4: Entwicklung der relativen Bildungsbeteiligungen 1992 bis 2005

Abbildung 5: Dimensionen beruflicher Handlungskompetenz nach Pätzold

Abbildung 6: Das „Bildungsproduktionsmodell“ nach Timmermann und Windschild

Abbildung 7: Ein Modell zu Struktur- und Prozessmerkmalen von Bildungsprozessen in der beruflichen Ausbildung

Abbildung 8: Schulabschlüsse nach Ausbildungsberufen

Abbildung 9: Anteil der getesteten Jugendlichen, die das jeweilige durchschnittliche Leistungsniveau der LAU-Studien in den einzelnen Subtests erreicht oder übertroffen haben

Abbildung 10: Allgemeiner Fachleistungsindex nach Berufenzu Beginn der Ausbildung (Mittelwerte plus/minus eine Standardabweichung)

Abbildung 11: allgemeinbildende Schulabschlüsse der Auszubildenden in ULME I und ULME III

Abbildung 12: Verteilung der Schulabschlüsse der Jugendlichen zu Beginn der Ausbildung

Abbildung 13: Anteil der richtigen Lösungen nach Fachbereichen

Abbildung 14: Schulabschlüsse nach Ausbildungsberufen

Abbildung 15: Mittelwerte der IQ-Punkte nach Ausbildungsberufen

Abbildung 16: Sechs Varianten von Lernmotivation

Abbildung 17: Mittlere Häufigkeiten der Qualitäten motivierten Lernens an den Lernorten Berufsschule und Betrieb

Abbildung 18: Mittlere Häufigkeiten der Bedingungen motivierten Lernens an den Lernorten Berufsschule und Betrieb

Abbildung 19: Mittelwerte der Übereinstimmung von Ausbildungs- und Wunschberuf zu Beginn der Ausbildung

Abbildung 20: Subjektiv erfahrender Kompetenzzuwachs an den Lernorten Berufsschule und Betrieb (Mittelwerte plus/minus eine Standardabweichung)

1 Einleitung

Die Entwicklungen im Deutschen Bildungssystem sind aktuell stark von Ideen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -entwicklung geprägt. Dem drohenden Fachkräftemangel, als Folge der demografischen Entwicklung und der steigenden Anforderungen, die in einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft an jedes Individuum gestellt werden, muss mit geeigneten Mitteln begegnet werden (vgl. Reinberg & Hummel, 2003). Für den Einsatz gezielter Maßnahmen ist es jedoch notwendig, zunächst die Kontextbedingungen von Bildungsprozessen zu analysieren, um herauszufinden, welche Variablen den Ausbildungs-, Berufs- und Lebenserfolg beeinflussen. Nur auf einer solchen Grundlage können die systematisch eingesetzten Instrumente ihre Wirkung entfalten.

Bereits Wilhelm von Humboldt dachte vor fast 200 Jahren über mögliche qualitätssteigernde Bedingungen nach und betonte in seinen Ausführungen insbesondere die Notwendigkeit einer gewissen Grundbildung der Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der Persönlichkeit. Er wies darauf hin, dass junge Menschen am Ende ihrer allgemeinbildenden Schullaufbahn über Voraussetzungen verfügen sollten, die es ihnen ermöglichen, einen Beruf zu erlernen und später den Übergang ins Erwerbsleben sowie Veränderungen im Leben und Beruf erfolgreich zu bewältigen. Die wohl bekannteste Schulleistungsstudie der Gegenwart, PISA (Programme for International Student Assessment), widmet sich, mit der Erfassung der schulischen Basiskompetenzen, einem dieser Faktoren. Die Verantwortlichen vermuten, dass das Vorwissen einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg im Ausbildungs- und Berufsleben hat (vgl. z.B. Prenzel et al., 2004, S. 72 f.). Auch zu weiteren individuellen Faktoren der Jugendlichen existieren theoretische Überlegungen, die diesen eine Vorhersagekraft auf den Erfolg zusprechen. Doch lassen sich die Vermutungen empirisch belegen?

2 Ziele und Aufbau der Arbeit

Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit ist es, den theoretisch vermuteten Einfluss von individuellen Eingangsvoraussetzungen der Auszubildenden auf den Erfolg ihrer beruflichen Ausbildung, anhand von Ergebnissen aktueller empirischer Untersuchungen zu prüfen. Ferner werden erfasste Werte zu den vorhandenen Voraussetzungen analysiert und vor dem Hintergrund eines möglichen Zusammenhangs interpretiert.

Als Grundlage für die analytische Arbeit werden im Vorfeld die wesentlichen Komponenten des deutschen Berufsbildungssystems betrachtet (Kapitel 3). In diesem Zusammenhang konzentrieren sich die Kapitel 3.1 und 3.2 auf wesentliche Aspekte und Zieldimensionen des dualen Systems der Berufsausbildung und seinen funktionalen Äquivalenten. Die Analyse von Studien, die in diesen Bildungsgängen durchgeführt wurden, bildet den Schwerpunkt der Arbeit, da die meisten Jugendlichen eines Jahrgangs ihre berufliche Ausbildung in diesem Segment absolvieren (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 3).

Im Anschluss daran (Kapitel 4.1) wird, ausgehend vom Bildungsproduktionsmodell nach Timmermann & Windschild (1996) und auf Basis bereits existierender Modelle von Ditton (2000), Helmke (2004), Seeber (2005) und van Buer et al. (1999), ein theoretisches Konzept zu Kontext- und Strukturmerkmalen beruflicher Bildungsprozesse entwickelt. Zum einen soll auf diese Weise die Einordnung des Themas der Arbeit in den Gesamtkontext der Berufsausbildung erleichtert werden. Andererseits wird auf zahlreiche Faktoren hingewiesen, die als Bedingungsvariablen auf den Bildungsprozess und seine Ergebnisse wirken könnten. Die darauf folgenden Ausführungen werden sich ausschließlich auf jene Bedingungsvariablen konzentrieren, die in der Persönlichkeit des Auszubildenden liegen. Bevor jedoch der Einfluss dieser auf den Erfolg in der beruflichen Ausbildung untersucht werden kann, befasst sich das Kapitel 4.2 mit möglichen Erfolgsdefinitionen.

Ausgehend von diesen Überlegungen werden die drei individuellen Bedingungsvariablen „Vorwissen“, „Intelligenz“ und „Motivation“ näher betrachtet. Die Auswahl erfolgte aufgrund der Anzahl recherchierter Studien zu diesen Themen sowie aufgrund der Schwerpunktsetzung der empirischen Untersuchungen des Instituts für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Es werden in jedem der Abschnitte 5.1 bis 5.3 zunächst die Konstrukte theoretisch definiert, darauf aufbauend der empirische Zusammenhang zum Ausbildungserfolg überprüft sowie die erfassten Eingangsvoraussetzungen der Jugendlichen vor diesem Hintergrund analysiert.

In der Schlussbetrachtung (Kapitel 6) werden wesentliche Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zusammengefasst und mögliche Maßnahmen besprochen.

Die Verfasserin bekennt sich zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Jedoch wird zugunsten der Lesbarkeit im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausschließlich die maskuline Form von Substantiven und Berufsbezeichnungen verwendet.

3 Berufliche Bildung in Deutschland

Das deutsche Berufsbildungssystem ist eine der tragenden Säulen der Wirtschaft unseres Landes. Es versorgt die Bürger mit Qualifikationen, die die sozioökonomische Lage dauerhaft sichern sollen und die eine grundlegende Voraussetzung für Wirtschaftswachstum darstellen. (vgl. Baethge, Buss & Lanfer, 2003, S. 31)

In der Bundesrepublik herrscht eine strikte ordnungspolitische Trennung von Berufsbildung und höherer Allgemeinbildung (Gymnasien und Universitäten), was auf die Entwicklungen zur Zeit der Industrialisierung zurückgeht. Auf dem Sektor der höheren Allgemeinbildung propagierte Wilhelm von Humboldt zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein öffentliches Schul- und Hochschulwesen, das die praktische Ausbildung ausschloss. In der sich entwickelnden Industrie wurden jedoch keine akademischen Fähigkeiten benötigt, sondern Facharbeiter mit handwerklichen Fertigkeiten, die in einer ausschließlich betrieblichen Ausbildung geschult wurden. Die zusätzliche theoretische Bildung in der Berufsschule wurde erst später mit dem Reichspflichtschulgesetz von 1938 etabliert. (vgl. Baethge, Solga & Wieck, 2007, S. 16 ff.)

Wie dieser kurze Exkurs bereits andeutet, steht das historisch gewachsene Berufsbildungssystem in enger Verbindung mit ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren, die sich zunehmend verändern und somit das System zur Adaption zwingen (vgl. Baethge et al., 2003, S. 31). Zu diesen Faktoren gehört insbesondere die Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. In den letzten Jahren haben sich die Tätigkeitsbereiche und damit die Anforderungen an Qualifikationen und zentrale Ausbildungsinhalte gewandelt. Mit dieser Entwicklung gehen die Ausweitung von wissensintensiven Tätigkeiten und der Anstieg des durchschnittlich erforderlichen Qualifikationsniveaus einher. Höhere Bildungsabschlüsse gewinnen in der Folge massiv an Bedeutung, was zu einem quantitativen Anstieg in diesem Bereich führt. Überdies nimmt, u.a. begründet durch die Einwanderungspolitik der letzten Jahrzehnte, die Heterogenität der Eingangsvoraussetzungen der Jugendlichen zu. Ca. 27% der Bevölkerung unter 25 Jahren stammen heutzutage aus Familien mit Migrationshintergrund. Ebenfalls ist ein Anstieg in den Differenzen der sozialen und kulturellen Herkunft sowie in dem Vorbildungsniveau zu verzeichnen. Über all diesen Entwicklungen stehen die Internationalisierungs- und Globalisierungstrends der letzten Jahre. Sie nehmen starken Einfluss auf das Berufsbildungssystem und stellen dieses vor neue Aufgaben. In der jüngsten Vergangenheit entstand beispielsweise ein breiter internationaler Wettbewerb auf dem Aus- und Weiterbildungsmarkt, was als Reaktion auf die Öffnung der Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitsmärkte zu verstehen ist. (vgl. Baethge et al., 2007, S. 11 ff.)

Als Folge der stetigen Anpassung an diese Entwicklungen ist das heutige Berufsbildungssystem von einer Vielzahl von Bildungsgängen, Schultypen und Bildungseinrichtungen in öffentlicher oder privater Trägerschaft geprägt (vgl. Baethge et al., 2003, S. 34). Dieses komplexe System ist strukturell zwischen der allgemeinbildenden Schule und dem Arbeitsmarkt sowie der Fort- und Weiterbildung angesiedelt und hat zahlreiche gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen (vgl. van Buer et al., 1999, S. 59 und S. 116). Zu unterscheiden sind nach Greinert (1998, S. 146 ff.) und van Buer et al. (1999, S. 61 ff.) die folgenden fünf Funktionen:

Bildungs- und Qualifizierungsfunktion:

Neben dem Erwerb grundlegender gesellschaftlicher Symbolsysteme, wie z.B. Sprache, steht hier vor allem die Vermittlung beruflicher Kompetenzen, Fertigkeiten und Fähigkeiten im Vordergrund. Es sollen die in der allgemeinbildenden Schule erworbenen Kompetenzen mit den beruflichen Inhalten verknüpft werden, um bei den Jugendlichen anschlussfähige Wissensstrukturen zu schaffen, die eine Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen.

Legitimations- und Integrationsfunktion:

Über die Vermittlung bestimmter Werte, Einstellungen, Haltungen und Kompetenzen soll den Individuen die Integration in die Gesellschaft ermöglicht werden. Nur auf diese Weise kann eine Gesellschaft ihre Normen und Werte sowie das Wissen an die nächsten Generationen weitergeben und somit für ihre eigene Erhaltung und Weiterentwicklung Sorge tragen.

Korrekturfunktion:

Eine besonders bedeutsame Funktion des Berufsbildungssystems besteht darin, nachteilig verlaufene Lernbiografien von Jugendlichen durch verschiedene Angebote positiv zu verändern. Vor allem für Jugendliche mit eher praktischen Begabungen, die häufig frustriert aus den allgemeinbildenden Schulen austreten, bietet das Berufsbildungssystem mit einer Vielzahl unterschiedlicher Lernformen neue Chancen und Möglichkeiten.

Absorptionsfunktion:

Die Zahl der Absolventen der allgemeinbildenden Schulen steht in den letzten Jahren vermehrt in einem starken Kontrast zur Aufnahmekapazität des Arbeitsmarktes. Hier übernimmt das Berufsbildungssystem eine wichtige „Pufferfunktion“, indem es die Jugendlichen in verschiedenen Maßnahmen aus- und weiterbildet und so vor der Arbeitslosigkeit bewahrt.

Selektionsfunktion:

In der Regel fordert jeder Jugendliche in Deutschland eine berufliche Qualifizierung ein, die ihm die Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Allerdings steht dieser Nachfrage nur ein begrenztes Angebot an verschiedenen beruflichen Bildungsgängen und Ausbildungsberufen gegenüber. Es ist somit eine Zuweisung notwendig, die im dualen System grundsätzlich durch das Angebot-Nachfrage-Verhältnis auf dem Ausbildungsmarkt sowie durch Auswahlprozesse der Betriebe bestimmt ist. Dieser Prozess wirkt sich wiederum auf den gesamten Bereich der beruflichen Bildung außerhalb des dualen Systems aus.

Abbildung 1 zeigt die zentralen Elemente und Bildungspfade des deutschen Bildungssystems, ohne auf länderspezifische Besonderheiten einzugehen.

Abbildung 1: Von der Schule in den Arbeitsmarkt (Bildungspfade)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Baethge et al., 2007, S. 15)

Nach der allgemeinen Schulbildung in der Sekundarstufe I gibt es nach Baethge et al. (2007, S. 15 ff.) zum einen den „direkten Weg“ der beruflichen Bildung und zum anderen den „indirekten Weg“ über das Übergangssystem, das der Chancenverbesserung dienen soll. Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen nicht die nötigen Voraussetzungen für eine Ausbildung erfüllen, soll hier anhand spezifischer Bildungsangebote der Übergang in den Ausbildungs- und später in den Arbeitsmarkt erleichtert werden (vgl. Baethge et al., 2003, S. 44 ff.). So können Schüler ohne oder mit niedrigem Schulabschluss diesen erwerben bzw. verbessern und erste berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten erlangen. (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 119; van Buer et al., 1999, S. 130). Überdies bietet das System diesen jungen Menschen die Gelegenheit, durch eine grundlegende Berufsorientierung ihre Berufswahl zu konkretisieren (vgl. Baethge et al., 2003, S. 44 ff.).

Aufgrund des Variantenreichtums der Bildungsgänge des Übergangssystems und seiner zahlreichen länderspezifischen Besonderheiten (vgl. Baethge et al., 2003, S. 46) soll an dieser Stelle nicht genauer auf diesen Bereich der beruflichen Bildung eingegangen werden, zumal der Fokus dieser Arbeit auf dem „direkten Weg“ der Berufsausbildung liegt.

Der „direkte Weg“ der Berufsausbildung kann auch heute noch nichtakademisch (duales System, außer- und überbetriebliche Ausbildung, vollzeitschulische Angebote, Medizinalberufe und Beamtenausbildung ohne höheren Dienst) oder akademisch (Berufsakademien, Fachhochschulen sowie Hochschulen und Universitäten) beschritten werden. (vgl. van Buer et al., 1999, S. 116). Die nachstehenden Ausführungen werden sich auf den Sektor der nichtakademischen Berufsausbildung und hier wiederum auf die duale Ausbildung und ihre funktionalen Äquivalente beschränken, da sich die später analysierten empirischen Untersuchungen ebenfalls auf diese Bildungsgänge konzentrieren.

3.1 Das duale System der Berufsausbildung und seine funktionalen Äquivalente

Gegenwärtig münden die meisten Absolventen der allgemeinbildenden Schulen in das duale System der Berufsausbildung ein, obwohl das Ausbildungsplatzangebot in den letzten Jahren stark rückläufig war (Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 80). Der Begriff „dual“ weist auf die Ausbildung an den beiden Lernorten Betrieb und Berufsschule hin (vgl. Baethge et al., 2003, S. 35 ff.). Allerdings wurde diese Struktur sukzessive erweitert, z.B. durch die öffentlich geförderte Verbundausbildung, die Lernortkooperation sowie durch die Berufsschulen selbst (vgl. van Buer et al., 1999, S. 118). Van Buer et al. (ebd.) sprechen in diesem Zusammenhang von einem Wandel des dualen Systems zu einem „pluralen“ System der Berufsausbildung.

Voraussetzung zur Absolvierung eines solchen Bildungsgangs ist der Abschluss eines Ausbildungsvertrages in einem der ca. 350 nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder Handwerksordnung (HWO) anerkannten Ausbildungsberufe mit einem Ausbildungsbetrieb bzw. einem außer- oder überbetrieblichen Träger (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 1; Senatsverwaltung für Bildung Jugend und Sport, 2006, S. 25). Die Ausbildungsdauer richtet sich nach dem jeweiligen Ausbildungsvertrag und beträgt zwischen zwei und dreieinhalb Jahre. Der Abschluss erfolgt mit Bestehen der zentralen Kammerprüfung (ebd.).

Das duale System in Deutschland bietet sehr vielen jungen Menschen die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung. Jedoch treten in den letzten Jahren verstärkt Probleme auf diesem Ausbildungssektor auf. Zwei gegenläufige Entwicklungen beeinflussen die Ausbildungsplatzbilanz stark. So nahm zum einen das Angebot an Ausbildungsplätzen ab und zum anderen stieg, aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge, die Zahl der Absolventen aus den allgemeinbildenden Schulen. (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 41)

Als Gründe für das abnehmende Ausbildungsengagement sind vor allem kürzere Planungshorizonte der Betriebe, die schwache Konjunktur der letzten Jahre und der wirtschaftliche Wandel zu nennen (vgl. Brosi, 2005, S. 116 ff.). In Zeiten von niedriger Beschäftigung, als Folge abnehmender Konjunktur, bieten die Betriebe weniger Ausbildungsplätze an (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 42 ff.). Bei Betrachtung der Abbildungen 2 und 3 wird diese enge Verzahnung von dualem Ausbildungssystem und Beschäftigungssystem deutlich sichtbar. Im beobachteten Zeitraum ist die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ebenso wie die Beschäftigungsrate seit dem Jahr 2000 stetig gefallen.[1]

Abbildung 2: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 1999 bis Ende September 2005

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Datengrundlage: Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 43)

Abbildung 3: Betriebliche Ausbildungsverträge 1999 bis Ende September 2005

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Datengrundlage: Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 43)

Bedingt durch diesen engen Zusammenhang zwischen Beschäftigungssystem und dem System der dualen Ausbildung, sind aufgrund der wachsenden Anforderungen in der Arbeitswelt ebenfalls die Ansprüche an die Auszubildenden gestiegen (vgl. Söhngen, 1998, S. 14). Bereits vor Aufnahme einer Berufsausbildung spiegeln sich diese gestiegenen Anforderungen an die zukünftigen Auszubildenden in den Auswahlkriterien der Betriebe wider (siehe z.B. Kiepe, 1998, S. 28; Treichel, 1998, S. 20).

In immer wiederkehrenden Diskussionen wird allerdings sehr deutlich, dass zwischen den Anforderungen der Unternehmen und den Leistungsprofilen der Absolventen der allgemeinbildenden Schulen erhebliche Diskrepanzen bestehen (Söhngen, 1998). So stellten beispielsweise die BASF AG (vgl. Kiepe, 1998, S. 31 ff.) und die hessischen Industrie- und Handelskammern (vgl. Freytag, 1998, S. 69 ff.) im Zuge ihrer Leistungstests für Ausbildungsplatzbewerber bzw. Ausbildungsanfänger Mängel in den Bereichen „Rechtschreibung“ und „grundlegende Rechenfähigkeiten“ fest.

Auch die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien, die in den vergangenen Jahren viel Aufsehen erregt haben, bestätigen diese Ergebnisse (vgl. z.B. Baumert et al., 2002; Baumert, Bos & Lehmann, 2000; Baumert et al., 2001; Prenzel et al., 2004). In der PISA-Studie 2003 beträgt der Anteil der deutschen Schüler, die sich mit ihren mathematischen Leistungen unter oder auf der niedrigsten Kompetenzstufe befinden 21,6%. Im Bereich Lesen beträgt die Quote gar 22,3%. Dies ist insofern alarmierend, als dass den Jugendlichen die grundlegenden Kenntnisse in den aufgeführten Bereichen fehlen. Es werden dieser Gruppe große Probleme beim Übergang ins Ausbildungs- und Erwerbsleben vorhergesagt. (vgl. Prenzel et al., 2004, S. 72 ff. und 103 ff.)

Sieht man diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der wachsenden Anforderungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, ist es nicht verwunderlich, dass Arbeitgeber vermehrt von mangelnder „Ausbildungsreife“[2] der Jugendlichen sprechen.

Aufgrund der beschriebenen Probleme und Veränderungen auf dem Sektor der dualen Berufsausbildung ist es notwendig, dass sich die Absolventen der allgemeinbildenden Schulen über Alternativvarianten zur dualen Ausbildung informieren und dementsprechende Entscheidungen treffen (vgl. Brosi, 2005, S. 116 ff.). Wie Abbildung 4 zeigt, ist in den Jahren 1992 bis 2005 durchaus ein Anstieg der Zahl der Jugendlichen in solchen alternativen Bildungsgängen beobachtet worden. Neben einem Anstieg der Studienanfänger und der Schüler im Übergangssystem, konnten vor allem die Bildungsgänge der vollzeitschulischen Berufsausbildung einen erheblichen Anstieg der Schülerzahlen verzeichnen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 2 ff.).

Abbildung 4: Entwicklung der relativen Bildungsbeteiligungen 1992 bis 2005[3]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 3)

Datenquellen: Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit, Bundesinstitut für Berufsbildung

Eine vollzeitschulische Berufsausbildung kann an Berufsfachschulen, an Fachschulen sowie an Schulen des Gesundheitswesens erfolgen (vgl. Baethge et al., 2003, S. 39 ff.). Eine solche Ausbildung ist im Gegensatz zur dualen Berufsausbildung ausschließlich den Kultusministerien oder freien Trägern unterstellt (ebd.). Im Jahr 2004 begannen ca. 17,1% der Absolventen der allgemeinbildenden Schulen eine Ausbildung in diesem Bereich (Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, S. 80).

Berufsfachschulen bieten in zwei-, drei- oder dreieinhalbjährigen Bildungsgängen die Möglichkeit, einen Berufsabschluss zu erlangen und zusätzlich den allgemeinbildenden Schulabschluss aufzuwerten. Grundsätzlich sind diese Bildungsgänge staatlich eingerichtet worden, um der großen Disparität von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt zu begegnen. Die Jugendlichen erhalten ihre praktische Ausbildung nicht wie im dualen System in einem Betrieb, sondern ebenso wie die theoretische Ausbildung in der jeweiligen Schule. Diese Form der Berufsausbildung bildet ein funktionales Äquivalent zur dualen Ausbildung und ermöglicht somit eine vollwertige Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit abschließender externer Kammerprüfung. (vgl. van Buer et al., 1999, S. 134 ff.)

Fachschulen dienen sowohl der Berufsausbildung als auch der beruflichen Weiterbildung. Die Bildungsgänge schließen an eine berufliche Erstausbildung sowie an Berufserfahrungen an und setzen mindestens den Hauptschulabschluss voraus. Mit dem Ziel, Tätigkeiten in gehobenen beruflichen Positionen ausüben zu können, führen sie in Vollzeitform (in der Regel zwei Jahre) zu einem „staatlichen postsekundären“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2002, S. 2) Berufsabschluss. (vgl. ebd.; van Buer et al., 1999, S. 137)

Die Schulen des Gesundheitswesens bieten die Ausbildung in nichtakademischen Gesundheitsberufen (z.B. Physiotherapeut, Krankenschwester/-pfleger oder Altenpfleger) an (Statistisches Bundesamt (Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes), 2006).

Ausschließlich in Berlin gibt es die Modulare Duale Qualifizierungsmaßnahme (MDQM), welche an dieser Stelle kurz vorgestellt werden soll, da sich im weiteren Verlauf der Arbeit vorgestellte empirische Untersuchungen auf diesen Bildungsgang beziehen.

MDQM ist eine relativ neue Form der außerbetrieblichen Berufsbildung, die Angebote zu verschiedenen anerkannten Berufen aus dem kaufmännischen und gewerblich-technischen Bereich sowie aus dem Dienstleistungsbereich umfasst. Die Besonderheit der Maßnahme besteht in der „Modularisierung“, d.h. die Teilnehmer absolvieren aufeinander folgend sogenannte „Bausteine“ und erhalten direkt nach deren Abschluss das jeweilige Zertifikat. Die Ausbildung erfolgt an zwei Lernorten. Die Vermittlung der theoretischen Kenntnisse geschieht in der beruflichen Schule und die fachpraktische Ausbildung findet in der bbw Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsgesellschaft mbH bzw. bei einem Kooperationspartner statt. MDQM wird in zwei Stufen angeboten. Die erste Stufe (MDQM I) umfasst einen Zeitraum von einem Jahr und ist im Bereich des Übergangssystems angesiedelt. Wie in solchen Bildungsgängen üblich ist, bietet auch MDQM I neben der beruflichen Grundbildung die Möglichkeit den allgemeinbildenden Schulabschluss zu erlangen oder zu verbessern. Darüber hinaus können erlangte berufsfeldbezogene Zertifikate für eine nachfolgende Berufsausbildung in der zweiten Stufe (MDQM II) angerechnet werden. Die zweite Stufe der Ausbildung (MDQM II) erfolgt in Form der mehrjährigen Berufsfachschule und schließt mit einer externen Kammerprüfung ab. Sie bildet somit ebenfalls ein funktionales Äquivalent zur dualen Berufsausbildung. (vgl. Senatsverwaltung für Bildung Jugend und Sport, 2006, S. 16 ff.)

3.2 Zieldimensionen der beruflichen Bildung

Da sich die vorliegende Arbeit mit Bedingungsfaktoren für den Berufsausbildungserfolg beschäftigt, wird im Folgenden herausgearbeitet, welche grundsätzlichen Ziele mit der beruflichen Ausbildung verfolgt werden.

Berufliche Bildung wird im Allgemeinen verstanden als die Bildung im Rahmen der besonderen Umstände eines bestimmten (Ausbildungs-)Berufs (vgl. Jungkunz, 1995, S. 17). Diese Beruflichkeit prägt die Ausbildung seit Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Gonon, 2002, S. 189). So ist auch heute die Ausbildung in anerkannten Berufen die Grundlage zur Deckung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft (vgl. Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 3). Allerdings müssen auch im Bereich der Berufsausbildung die bereits beschriebenen gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen Beachtung finden (ebd.).

Gegenwärtig Beschäftigte können ihren erlernten Beruf meist nur noch über eine begrenzte Dauer hinweg ausüben. Sie sind aufgrund der kurzen Aktualität spezifischer Wissensbestände nahezu gezwungen, ihr Leben lang zu lernen. Zunehmend werden Verknüpfungen von Berufen und Berufsfeldern sichtbar, was eine Standardisierung von erforderlichen Qualifikationen erschwert. Weil Bildungsprozesse dementsprechend an die Dynamik der Arbeitswelt angepasst werden müssen, favorisieren viele Unternehmen zunehmend, vor allem im Bereich der Weiterbildung, die schnelle Vermittlung und Zertifizierung von aktuellen Qualifikationen und die direkt anschließende Verwertung. Auf diesem Wege entstehen Bildungskarrieren, die mit dem Berufskonzept nur noch wenig gemein haben. (vgl. Rützel, 2000, S. 43 ff.)[4]

Von diesen Entwicklungen ist die berufliche Ausbildung direkt betroffen. Auch hier darf sich nicht ausschließlich auf die Vermittlung fachlicher Qualifikationen beschränkt werden, wie Czycholl (1996) aufzeigt:

„Berufliche Lernprozesse in Ausbildung und Arbeit werden befragt und ausgelegt auf ihren Beitrag für die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen in einer demokratischen Gesellschaft im Sinne der Entwicklung von Mündigkeit, von personaler und sozialer Identität, von ganzheitlicher, das heißt personaler, fachlicher, sozialer, ökologischer und politischer Kompetenz“ (zitiert nach van Buer et al., 1999, S. 53).

Diese Formulierung verweist auf zwei unabdingbare Zielkomponenten der beruflichen Ausbildung: berufliche Tüchtigkeit und berufliche Mündigkeit. Die Herausbildung von beruflicher Tüchtigkeit ist bezogen auf die Vermittlung von fachlichen Kompetenzen, die der notwendigen Qualifikation zur Bewältigung vielschichtiger Aufgaben in der Arbeitswelt dienen. Die berufliche Mündigkeit verweist auf die Entwicklung des Individuums, weit über die alleinige Aneignung von Fachwissen hinaus. Es steht hier vielmehr die Förderung individueller Merkmale, wie Selbstbestimmung, Autonomie, moralische Verantwortung oder Rücksichtnahme im Mittelpunkt. Ziel der beruflichen Bildung ist es somit, dem Menschen die Voraussetzungen zur aktiven gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe zu vermitteln, um den Einzelnen ökonomisch und sozial abzusichern sowie die Persönlichkeitsentwicklung zu einem verantwortungsbewussten Bürger zu unterstützen. Sehr deutlich wird hier die Verknüpfung von individuellen und persönlichen sowie gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen. (vgl. van Buer et al., 1999, S. 53 ff.)

Ein junger Erwachsener, der eine Berufsausbildung durchlaufen hat, muss demzufolge aufgrund seiner individuell ausgeprägten Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Lage sein, eine Beschäftigung auszuführen, die ihn absichert und ihm die Integration in die Gesellschaft ermöglicht (vgl. Kraus, 2005, S. 574). Auf diesem Weg kann die Weiterentwicklung der Gesellschaft vorangetrieben werden (vgl. Blancke, Roth & Schmid, 2000).

Auch in der Verwendung der Begrifflichkeiten zur Beschreibung der Ziele in der beruflichen Ausbildung spiegeln sich die beschriebenen Entwicklungen wider. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sprach man noch von Berufskönnen, welches das Spektrum aller Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten umfasste, die für die Ausübung spezifischer Tätigkeiten eines Berufs benötigt wurden (vgl. Bunk, 1994, S. 9 f.). Der später verwendete Begriff der Qualifikationen ist nach Hof (2002, S. 153) darauf ausgerichtet, die Ausführung konkreter Handlungsschemata auf der Basis von deklarativem und prozeduralem Wissen zu ermöglichen.

In einer modernen Informations- und Wissensgesellschaft, in der komplexe und selbständig zu verrichtende Tätigkeiten an die Stelle von anweisungsgebundenen einfachen Aufgaben getreten sind, genügt jedoch die reine Qualifikationsausbildung nicht mehr aus (vgl. Ertl, 2005, S. 24). Anstelle von Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung spezifischer Herausforderungen werden Problemlösestrategien benötigt, die in vielschichtigen, flexiblen Situationen angewendet werden können (vgl. Münk, 2002, S. 211). Im Gegensatz zum Begriff der Qualifikationen, der sich auf konkrete Handlungs erfordernisse konzentriert, bezieht sich die Kompetenz auf die Handlungs möglichkeiten eines Individuums (vgl. Hof, 2002, S. 153).

Für die Verantwortlichen der beruflichen Bildung in Deutschland bedeutet dies die Abwendung von der herkömmlichen Ausbildung, die zu Facharbeiterqualifikationen führte (vgl. Ertl, 2005, S. 24). In den Mittelpunkt des Interesses drängt nun die Kompetenz orientierung, was bedeutet, dass die Menschen zukünftig wesentlich umfassender auf spätere Beschäftigungen vorbereitet werden sollen (ebd.). Aus wissenschaftlicher Perspektive ist die Kompetenz ein sehr unscharfes Konstrukt (vgl. Preckel & Holling, 2006, S. 121). Es gibt bisher keine allgemeingültige Definition oder Theorie (ebd.).

Erpenbeck & Rosenstiel (2003, S. XI) beispielsweise betonen den Aspekt der Selbstorganisation stark. Dies deutet vor allem auf die Zukunftsorientierung des Kompetenzbegriffs hin (vgl. Preckel & Holling, 2006, S. 171). Es geht eben nicht mehr nur darum, trainierte Handlungsschemata abzurufen, sondern neue und komplexe Probleme zielgerichtet und selbstbestimmt lösen zu können (ebd.).

Der Kompetenzansatz schließt außer den handlungsorientierten Qualifikationen auch die Reflexion bezogen auf sich selbst sowie auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse ein (vgl. Pätzold, 1999, S. 57). In der folgenden Definition setzt Weinert (2002, S. 27 f.) seinen Schwerpunkt vor allem auch auf die Bedeutung der Motive und Einstellungen sowie auf die metakognitiven Fähigkeiten.

Kompetenzen sind „[…] die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“.

Der zentrale Bildungsauftrag der Berufsschule ist die Vermittlung von beruflicher Handlungskompetenz, die von der Kultusministerkonferenz (KMK) wie folgt definiert wird:

„[…] Handlungskompetenz […] wird hier verstanden als die Bereitschaft und Fähigkeit des einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten.“ (Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 9)

Wie diese Definition deutlich vor Augen führt, steht nicht ausschließlich die Vorbereitung auf berufliche Anforderungen im Vordergrund. In gleicher Weise wird großer Wert auf das Verhalten in gesellschaftlichen und privaten Umgebungen gelegt.

Der Begriff der Handlung ist verhältnismäßig klar spezifiziert. Während das Verhalten eines Menschen grundsätzlich jede „Lebensäußerung“ beinhaltet, bezieht sich die Handlung ausschließlich auf „[…] motiviertes, gezieltes, geplantes, gewolltes, kontrolliertes und bewertetes Verhalten“ (von Cranach & Bangerter, 2000, S. 228). Für die Realisierung einer solchen Handlung in beruflichen sowie privaten Kontexten ist grundsätzlich das Zusammenwirken der Dimensionen Fach-, Personal-, Sozial- sowie Methodenkompetenz notwendig (Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 8 ff.).[5] Abbildung 5 veranschaulicht diese Mehrdimensionalität.

Abbildung 5: Dimensionen beruflicher Handlungskompetenz nach Pätzold

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Pätzold, 1999, S. 58)

Fachkompetenz umfasst alle berufsspezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten, die dazu befähigen, „[…] Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen“ (Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 9). Hierzu zählen vor allem vernetzte deklarative, prozedurale und strategische Wissensstrukturen, auf die sich die Ausbildung von Strategie- und Problemlösekompetenzen stützt. Ein Mensch verfügt über Personalkompetenz, wenn er in der Lage ist, seine eigene Persönlichkeit, sein Wissen, seine Kenntnisse und Fähigkeiten kontinuierlich zu reflektieren, zu beurteilen und gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen. Er sollte seine eigenen Talente kennen und entfalten sowie in der Lage sein, das eigene Leben zu planen und zu entwickeln. Zu dieser Dimension gehören Eigenschaften wie Selbständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit, Motivation, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein sowie die Entwicklung von Werten und das Leben nach diesen. Sozialkompetenz subsumiert Fähigkeiten, die es dem Individuum ermöglichen, soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten. Beispielsweise kann ein sozialkompetenter Mensch gut mit Personen unterschiedlicher sozialer oder kultureller Herkunft kooperativ und kommunikativ zusammenarbeiten. Eine ausgewogene Fach-, Personal- und Sozialkompetenz ist die Voraussetzung für die Aneignung von Methodenkompetenz. Diese beinhaltet überfachliche und situationsübergreifende kognitive Fähigkeiten, die flexibel eingesetzt werden können und zur Aneignung neuer Kenntnisse und Fertigkeiten befähigen. (vgl. Baethge et al., 2006, S. 41 ff.; Pätzold, 1999, S. 58; Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 9 ff.)

Berufliche Handlungskompetenz zielt auf die langfristige Employability (dt. Übersetzung: Beschäftigungsfähigkeit) der Absolventen der beruflichen Ausbildung (vgl. Blancke et al., 2000, S. 1; Kraus, 2005, S. 574). Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen in den meisten traditionellen Industriestaaten und zunehmend diskontinuierlicher Beschäftigungsverläufe in den letzten Jahren sowie der damit verbundenen Abwendung vom Berufskonzept, gelangte der Begriff immer weiter ins Blickfeld der Forschung (vgl. Blancke et al., 2000, S. 5 ff.; Kraus, 2006, S. 100). Eine einheitliche Definition zu diesem Konstrukt existiert jedoch bisher aufgrund der Dynamik des Arbeitsmarktes und damit auch der Anforderungen, die an den einzelnen Beschäftigten gestellt werden, nicht (vgl. Blancke et al., 2000, S. 5 ff.). Es gibt eine Reihe von Autoren, die sich diesem Thema zuwendeten und eine eigene Definition veröffentlicht haben (siehe u.a. Blancke et al., 2000; Bollérot, 2001; Küpper & Ehlers, 2001; Ratzek, 1999; Speck, 2004).

Grundsätzlich stehen in der aktuellen Diskussion um Employability das Erlangen, das Halten sowie das Wechseln einer Tätigkeit im Fokus. Es geht darum, die Anforderungen des sich ständig ändernden Arbeitsmarktes zu erfüllen. Dazu gehören nicht nur Qualifikationen und Kompetenzen, sondern auch die eigenverantwortliche, dynamische und aktive Erweiterung des Kompetenzportfolios. (vgl. Blancke et al., 2000, S. 8; Kraus, 2006, S. 61)

Kraus (ebd.) fasst die Definitionen verschiedener Autoren wie folgt zusammen:

„Es geht bei der Diskussion um „Employability“ also im Kern um das Repertoire an Fähigkeiten und Bereitschaften, über das Personen verfügen (sollen), um in Bezug auf Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsmarkt bestehen zu können. Als „Erfolgsindikator“ gilt in erster Linie die erfolgreiche Platzierung auf dem Arbeitsmarkt sowie der Beitrag zu Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. […]“

[...]


[1] Bei der Entwicklung der Quote neuer Ausbildungsverträge ab dem Jahr 2004 muss der Abschluss des „Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2004) zwischen Wirtschaft und Bundesregierung sowie seine eventuellen Auswirkungen berücksichtigt werden.

Zu den Auswirkungen und Ergebnissen dieses Paktes siehe z.B.: Bundesministerium für Arbeit und Soziales et al. (2006; 2005)

[2] Weitere Ausführungen zu diesem Thema bieten u.a. Eberhard (2006), Brosi (2004) und Hilke (2004).

[3] „Die hier ausgewiesenen rechnerischen Anteile addieren sich auf mehr als 100%, da viele Jugendliche nach dem Verlassen der allgemein bildenden Schule mehr als nur einen Bildungsgang besuchen, bis sie eine voll qualifizierende Berufsausbildung abschließen. Wenn Jugendliche mehrere Bildungsgänge durchlaufen, werden sie auch mehrfach statistisch erfasst.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006, S. 3)

[4] Für weitere Informationen zum Bedeutungsverlust des „Berufsbegriffs“ siehe z.B. Münk (2002), Wittwer (1999) oder Kraus (2006).

[5] Weiterführende Literatur zu den Ursprüngen dieser vierdimensionalen Unterscheidung: Roth (1971) und Reetz (1999)

Excerpt out of 112 pages

Details

Title
Individuelle Eingangsvoraussetzungen von Jugendlichen als Determinanten für den Erfolg in der beruflichen Ausbildung
College
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Erziehungswissenschaften, Abteilung Wirtschaftspädagogik)
Grade
1,3
Author
Year
2007
Pages
112
Catalog Number
V88315
ISBN (eBook)
9783638024143
ISBN (Book)
9783638924214
File size
950 KB
Language
German
Keywords
Individuelle, Eingangsvoraussetzungen, Jugendlichen, Determinanten, Erfolg, Ausbildung, Komptenzen, Motivation, Intelligenz, berufliche Bildung, Berufsausbildung
Quote paper
Sandra Bräuer (Author), 2007, Individuelle Eingangsvoraussetzungen von Jugendlichen als Determinanten für den Erfolg in der beruflichen Ausbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88315

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