Schaffens- und Handlungshemmung der Figuren und ihre erzählerische Vermittlung in ausgewählten Werken Moravias


Tesis de Maestría, 2004

106 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINFÜHRUNG. PESSIMISTISCHER IMMOBILISMUS?

2. DER LITERATURGESCHICHTLICHE UND HISTORISCHE HINTERGRUND
2.1. Die Problematik einer literarischen Einordnung von Moravias Werken
2.2. Gesellschaftskrise und Literatur. Die Identitätssuche im 20. Jahrhundert

3. MORAVIAS WELT- UND MENSCHENBILD
3.1. Die Einflüsse der Philosophie und Psychologie
3.2. Wertekrise durch Geld und sexuelle Triebe. Die Bezüge zu Marx und Freud
3.3. L’uomo come fine: Der entfremdete Mensch

4. DIE GESETZMÄßIGKEIT IM ROMANWERK
4.1. Das Titelprogramm, die Handlung und die Figuren
4.2. Gli Indifferenti, die Basis nahezu aller Werke
4.3. Autobiographische Aspekte

5. DAS MOTIV DER SCHAFFENS- UND HANDLUNGSHEMMUNG
5.1. L’amore coniugale, L’attenzione und La noia – Eine Übersicht
5.1.1. Keine Alternative zwischen Liebe und Schaffen
5.1.2. Vergebliche Suche nach Unverfälschtheit im Schaffen und Handeln
5.1.1. Die erdrückende Langeweile
5.2. Die wichtigsten hemmenden Faktoren
5.2.1. Ausgangspunkt: Der mangelnde Bezug zur Realität
5.2.2. Der psychisch labile Zustand der Figuren
5.2.3. Sexualität und Triebhaftigkeit
5.2.3. Ablehnung der Mittelmäßigkeit und der Norm
5.2.5. Das zerstörerische Prinzip des Intellekts
5.3. Die Resultate des Unvermögens und der Schwäche für die Handlungen
5.3.1. Das Nicht-Handeln
5.3.2. Das Scheitern der künstlerischen Absichten
5.2.4. Träumereien und Phantasie
5.2.5. Die Unmöglichkeit einer echten Kommunikation
5.3.4. Mechanische und programmatische Handlungen
5.2.6. Doppeldeutigkeit
5.3.6. Die verspätete Erkenntnis
5.2.7. Die düstere Außenwelt der Figuren

6. ENTFERNUNG VON DER DÜSTERNIS UND AUSSICHTSLOSIGKEIT IN GLI INDIFFERENTI?

7. ZUSAMMENFASSUNG

BIOGRAPHISCHE DATEN

WERKE

LITERATURVERZEICHNIS

“In principio, dunque, era la noia, volgarmente chiamata caos. Iddio, annoiandosi della noia, creò la terra, il cielo, l’acqua, gli animali, le piante, Adamo ed Eva; i quali ultimi, annoiandosi a loro volta in paradiso, mangiarono il frutto proibito. Iddio si annoiò di loro e li cacciò dall’Eden; Caino, annoiato d’Abele, lo uccise; Noè, annoiandosi veramente un po`troppo, inventò il vino; Iddio di nuovo annoiato degli uomini, distrusse il mondo con il diluvio; ma questo, a sua volta, l’annoiò a tal punto che Iddio fece tornare il bel tempo. E così via.”[1]

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Alberto Moravia

1. EINFÜHRUNG. PESSIMISTISCHER IMMOBILISMUS?

„Per molti la noia è il contrario del divertimento; e divertimento è distrazione, dimenticanza. Per me, invece, la noia non è il contrario del divertimento; potrei dire, anzi, addirittura, che per certi aspetti essa rassomiglia al divertimento in quanto, appunto, provoca distrazione e dimenticanza, sia pure di un genere molto particolare. La noia, per me, è propriamente una specie di insufficienza o inadeguatezza o scarsità della realtà.”[2]

Im Mittelpunkt des Gesamtwerks von Alberto Moravia steht der Mangel an Kontakt mit der Realität. Als Resultat dieses Realitätsmangels entsteht die Langeweile, die vom Autor zwar erst 1960 in seinem gleichnamigen Roman La noia als eine Form der Entfremdung definiert wird; doch bereits Moravias erster, 1929 herausgegebener Roman Gli indifferenti beschäftigt sich mit diesem Phänomen. Der Gegenstand der Gleichgültigkeit taucht in vielen seiner späteren Werke in allen Variationen als existentielle Krise des Individuums wieder auf und zeigt sich auch in der passiv-gleichgültigen Handlungsunfähigkeit der Charaktere. Moravia blieb quasi bis zu seinem Tod dieser Thematik treu. So wurde sein Schaffen als „immobilismo“[3] kritisiert und er selbst als ein „scrittore senza storia“[4] sowie „uno scrittore monotono“[5] bezeichnet, nicht nur wegen der jahrzehntelangen Beschäftigung mit dieser Thematik, sondern auch der ähnlichen Personenkonstellation sowie der unveränderten Form und Sprache halber. Wie die Sekundärliteratur zeigt, scheint Moravias Welt eine stillstehende und pessimistische zu sein. Es ist eine Welt, in der nicht nur keine anderen Werte außer Sex und Geld existieren, sondern in der es weder Hoffnung noch Liebe gibt. Offenbar sind Moravias Figuren zur Gleichgültigkeit und Langeweile verdammt, eingeschlossen in Einsamkeit und Traurigkeit; sie sind schwach, unfähig, hilflos und gehemmt. Aber was bewegt einen Autor dazu, diese Thematik so beharrlich zu behandeln? Sind Moravias Romanfiguren wirklich so passiv, schwach und unfähig, wie sie scheinen? Wie äußert sich ihre Gleichgültigkeit, Langeweile und Trägheit und wie wirkt sich das auf ihre Handlungen aus? In diesem Zusammenhang untersucht die vorliegende Arbeit das Motiv der Schaffens- und Handlungshemmung sowie dessen erzählerische Vermittlung in Moravias Romanwerk. Moravia schrieb zwar auch Novellen, Dramen, Essays und Kurzgeschichten, allegorische sowie surrealistische Erzählungen; doch seine eigentliche und bedeutendste künstlerische Ausdrucksform war der Roman. Besonders in seinen Romanen hat er für das hier zu behandelnde Thema die überzeugendsten Figuren geschaffen.

Im ersten Teil der Arbeit soll ein literaturhistorischer sowie geistesgeschichtlicher Überblick gegeben werden. Zunächst wird innerhalb der literarischen Problemstellung von Moravias Werken auf den Neorealismus und den Existenzialismus näher eingegangen, um anschließend die grundsätzliche Identitätssuche in der Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts zu behandeln. Italo Svevos und Luigi Pirandellos Werke sind dabei nur zwei der wichtigsten Beispiele, die ein treffendes Bild davon vermitteln, welche Probleme für diese Zeit charakteristisch waren. Auf sie wird auch deshalb näher eingegangen, weil die Ähnlichkeit dieser Autoren in Thematik und Darstellung in Bezug auf Moravia häufig erwähnt worden ist. Um Moravias Welt- und Menschenbild und damit auch seinen Stil, seine Werke, aber auch seine Figuren besser verstehen zu können, werden im zweiten Schritt die möglichen Einflüsse der Philosophie sowie der Psychologie dargestellt, darunter besonders die Theorien von Karl Marx und Sigmund Freud, die auf das Welt- und Menschenbild des Autors und somit auch auf sein Schaffen vermutlich eine starke Wirkung ausübten. Dabei können nur einige wichtige Aspekte behandelt werden, weil eine eingehende Untersuchung konkreter Einflüsse eine eigene Arbeit ausmachen würde. Das darauf folgende Kapitel gibt Moravias Antwort auf die Frage nach der Situation des Menschen in der Welt wieder. Es dient als Grundlage für das Verständnis seiner Thematik und seiner Beschäftigung mit dem Realitätsmangel des Menschen als eine Form der Entfremdung, aus der auch das Motiv der Schaffens- und Handlungshemmung resultiert. Als Überleitung zu der eingehenden, exemplarischen Analyse des zu untersuchenden Motivs in den einzelnen Romanen werden zusätzlich die thematische Durchgängigkeit in Moravias Werken sowie die Typenhaftigkeit der Figuren und ihrer Handlungen erläutert. Dafür steht der Roman Gli indifferenti, da dieses Buch als Ausgangspunkt nahezu aller späteren Romane zu betrachten ist. Ebenso wird auf die autobiographischen Elemente in Moravias Werken näher eingegangen, da sie höchstwahrscheinlich auch einen wichtigen Einfluss auf die Gesetzmäßigkeit in seinem Romanwerk hatten.

Vor diesem Hintergrund werden im zweiten Teil der Arbeit die Romane L’amore coniugale (1949), La noia (1960) und L’attenzione (1965) bezüglich der Darstellung des Motivs der Schaffens- und Handlungshemmung analysiert. Da Moravia in diesen seinen Werken intellektuelle Künstlerfiguren abbildet, ergibt sich daraus die Möglichkeit, den Aspekt der Handlungsunfähigkeit auch im Bezug auf die Darstellung des künstlerischen Schaffens zu untersuchen. Indem der Autor seinen Figuren grundsätzlich gleichartige Identitätsprobleme zuordnet und diese sich häufig auf ähnliche Art und Weise auf ihre Taten und auch auf ihr künstlerisches Schaffen auswirken, sind diese Figuren sehr gut zu vergleichen. Vor der eingehenden Analyse wird zunächst ein Überblick über die Handlung der drei Werke und deren intellektuelle Protagonisten gegeben. Im Einzelnen geht die Arbeit auf das Schaffen und die Handlungen beeinflussende sowie behindernde Faktoren und Eigenschaften ein, die Moravia seinen Romanfiguren zuschreibt. Dabei geht es vordergründig darum, welche Einflüsse bei der Bewältigung oder Nicht-Bewältigung ihrer Krise im Bezug auf ihre Taten sowie auf ihre künstlerischen Leistungen von Bedeutung sind. Die Auswahl der einzelnen Faktoren und die Abgrenzung der einzelnen Einflüsse auf das Schaffen und die Handlungen der Romanfiguren erweisen sich dabei als schwierig, da die verschiedenen Faktoren vielfach zusammenhängen und einander bedingen.

Die Arbeit untersucht, welche Bedeutung der Autor in seinen Romanen der Spiegelung des Innern für die Fähigkeit zu handeln beimisst. Sie will aber auch aufzeigen, wie Moravia seinen Figuren die Motivation zum Handeln verleiht und wie diese Handlungen im Einzelnen dargestellt werden. Im Besonderen geht es dabei um die Konsequenzen aus der Unfähigkeit, speziell um die Frage, wie Moravias Figuren vorgehen, was ihr Antrieb ist und in welchen Situationen sowie aus welchem Grund sie lieber nicht handeln. Es werden auch Erzählstil und -sprache, d.h. die erzählerische Vermittlung der Schaffens- und Handlungshemmung, eingehend untersucht und mit Beispielen belegt. Abschließend wird ein kurzes Kapitel der Fragestellung gewidmet, ob der so genannte Immobilismus auf Moravias Werke tatsächlich zutrifft. Ist die von ihm dargestellte Welt wirklich so düster und hoffnungslos, wie es scheint? Hier geht es auch darum, welche Wege sich aus der Unfähigkeit und Gehemmtheit von Moravias Figuren bieten, und welche Möglichkeiten sie in Anspruch nehmen, um aus der Krise herauszufinden und ob bzw. wie die Figuren dagegen ankämpfen. Dabei setzt sich die Arbeit auch zum Ziel, die Behauptung, der in Gli indifferenti von Moravia eingeführte Pessimismus werde nie durchbrochen, im Vergleich mit den im vorherigen Kapitel analysierten drei Romanen zu untersuchen und gegebenenfalls diese Entwicklungen aufzuzeigen.

2. DER LITERATURGESCHICHTLICHE UND HISTORISCHE HINTERGRUND

“Die moderne Literatur ist ein Ausdruck unserer Zeit und hat als solcher nicht nur einen künstlerischen und ästhetischen Aspekt, oder eine psychologische, pädagogische und moralische Seite. Sie ist auch Selbstbekenntnis und Spiegel des zeitgenössischen Geschehens und des zeitgenössischen Menschen.”[6]

2.1. Die Problematik einer literarischen Einordnung von Moravias Werken

In der literaturgeschichtlichen Sekundärliteratur werden Moravia und sein Schaffen häufig den Neorealisten zugerechnet, veranlasst durch die Gegenwartsbezogenheit und Gesellschaftsaktualität seiner Werke.[7] Bereits Moravias erster Roman Gli indifferenti wird von vielen als Beispiel für den später manifestierten Neorealismus[8] bezeichnet, jene literarische Strömung, die an die Tendenzen der italienischen Form der Naturalismus, den ‘verismo’[9] anknüpfte. Der ‘neorealismo’ ist ursprünglich ein Begriff aus dem italienischen Film, der erst später auf die Literatur übertragen wurde. Dieser ‘neue Realismus’ wird meist auf eine Zeit zwischen Anfang der vierziger und Mitte der fünfziger Jahre bezogen, wobei seine Nachwirkungen über die sechziger Jahre hinaus nachweisbar sind.[10] Der Neorealismus entstand als "ein neuer Blick auf die neue Wirklichkeit“[11], als Antwort auf den Faschismus infolge der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme im Italien der Kriegs- und Nachkriegsjahre und aus dem Bedürfnis heraus, hinter die offizielle Wirklichkeitsfassade blicken zu können und in dem Streben nach einer volksnäheren Literatur. Der Neorealismus wurde auch sehr von dem in den 30er Jahren durch Übersetzungen bekannt gewordenen amerikanischen Roman beeinflusst. Amerika wird für die Neorealisten zu einem Synonym für Freiheit, Ursprünglichkeit und Weltoffenheit. Man hatte genug von den Lösungen des Faschismus, der mittels des Films den Krieg und das reiche Volksleben idealisiert hatte und damit in starkem Gegensatz zu den Erfahrungen der Menschen stand. Aus dem Wunsch, die nackte Wirklichkeit darzustellen, entwickelte sich ein neuer Stil. Doch wie der Begriff ‘Neo-Realismus’ schon zeigt, ist der Versuch einer realistischen Darstellung der Wirklichkeit im Grunde nichts Neues. Auch in Italien hat dieses Bestreben eine lange Tradition, die von Giovanni Boccaccio (1313-1375) bis zu Giovanni Verga (1840-1922) reicht. Die Autoren des 20. Jahrhunderts griffen gerne auf die realistisch-veristische Tradition zurück. Im Zuge des Neorealismus gewinnt - häufig in einer Dialekt gefärbten Alltagsprache - die möglichst konkrete Wiedergabe nahe liegender Ereignisse an Bedeutung: so die schonungslose Darstellung der sozialen und politischen Wirklichkeit während des Faschismus, der Widerstandsbewegung und der Kriegs- und Nachkriegszeit; die kritische Analyse der Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft; die Beschäftigung mit dem ‘Mezzogiorno’, dem unterentwickelten Süden Italiens, und mit dem Leben der ‘kleinen Leute’, des Volkes. Dabei tritt die thematische Volkstümlichkeit und Volksnähe sowohl in der Wahl der Helden als auch in ihrem Verhalten und ihrer Sprache in den Vordergrund. Die Perspektive des Autors ist durch die Liebe zum Volk, durch das Vertrauen in seine Aufrichtigkeit und seine Werte gekennzeichnet.

Der Neorealismus ist eine mit diesen Kriterien übereinstimmende Erzählweise, wobei diese aus den Texten selbst abgeleitet werden. Denn der Neorealismus war keine sich an konkreten Programmen und Manifesten orientierende literarische Strömung. Es gibt nur wenige Autoren, deren Werke alle diese Merkmale enthalten; vielmehr sind es einzelne Autoren und Werke, die in der Regel nur einige dieser Kriterien verwirklichen. So auch Moravia, der sich tatsächlich in einigen seiner Werke dem Neorealismus annäherte. Speziell in einigen seiner Erzählungen wird sein Interesse am ‘popolo’ und die Anlehnung an den damit eng verbundenen Dialekt evident, auch wenn es - auf sein Gesamtwerk bezogen - eher eine Ausnahme bildet und der Dialekt höchstens als Worteinschub oder in der Syntax präsent ist. Er setzt aber auch in seinen Romanen La romana (1947) und in La ciociara (1957) den Neorealismus in Gestalt positiver Helden samt deren Glauben an die unzerstörbare Vitalität und Aufrichtigkeit des Volkes um und greift auch typisch neorealistische Themen wie die Auseinandersetzung mit Krieg und Faschismus auf, was gewissermaßen auch als Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen ist. Aber auch in anderen seiner Romane, in denen der ‘popolo’ nicht im Mittelpunkt steht, ist Moravias Glaube an das Volk präsent. So stellt er in seinen Werken neben den männlichen Protagonisten immer wieder Frauenfiguren aus dem Volk dar und dabei häufig ihre Lebensfähigkeit und Energie, ihre Unbefangenheit und Echtheit besonders heraus.

Moravia bestreitet aber, ein „Vorläufer des Neorealismo”[12] zu sein. Er sagt: „il neorealismo non mi ha mai interessato“[13]. Damit widerspricht er auch einer Parallelität zu den berühmtesten Neorealisten wie Cesare Pavese (1908-1950) und Elio Vittorini (1908-1966).[14] Sie seien „neorealisti, cioè documentaristi e autobiografici a livello lirico“[15] und im Gegensatz zu ihm nicht nur stark von der amerikanischen Literatur beeinflusst, sondern sie „hatten genug Dinge zu sagen, vernachlässigten jedoch das Denken“[16]. Er selbst bezeichnet sich als einen existentialistischen Realisten, als einen der ersten Existentialisten.[17] Gli indifferenti ist für ihn „die erste, naive und unreife Frucht jener modernen literarischen Strömung, die später Existentialismus heißen sollte“[18] und die erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, fast gleichzeitig mit dem Neorealismo, in den Vordergrund tritt. Der Existenzialismus ist zunächst eine philosophische Richtung, die im 20. Jahrhundert in verschiedenen Variationen in Europa und in der Nachfolge zur Existenzphilosophie des dänischen Theologen und Philosophen Søren Kierkegaard (1813-1855) entstand. Im engeren und eigentlichen Sinne handelt es sich beim Existenzialismus um die literarische Erläuterung philosophischer Fragen in Anlehnung an die bereits im 19. Jahrhundert entstandene Existenzphilosophie. Kierkegaard hatte den Begriff ‘Existenz’ auf das menschliche Dasein, insbesondere seine Begrenztheit, übertragen.[19] Dies wurde von den führenden Vertretern der Existenzphilosophie, den beiden deutschen Philosophen Karl Jaspers (1883-1969, Philosophie 1932 und Von der Wahrheit 1947) und Martin Heidegger (1889-1976, Sein und Zeit 1927) wieder aufgegriffen. Die klassische Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Welt und Ich wird verworfen. Die Existenzphilosophie ist ein philosophisches Denken, dessen Mittelpunkt die menschliche Existenz sowie der Mensch bildet, der einen objektiv in der Welt enthaltenen Sinn nicht mehr zu erkennen vermag.[20]

Bereits Gli indifferenti wird häufig vor dem literaturhistorischen und ideengeschichtlichen Hintergrund des Existentialismus und der Existenzphilosophie diskutiert und besonders häufig mit den Werken La Nausée (1939) des Hauptvertreters der französischen Existenzphilosophie, Jean-Paul Sartre[21] (1905-1980), oder L'étranger (1942) von Albert Camus (1913-1960) verglichen. Dabei werden sie nach den einzelnen typischen Schlüsselbegriffen, wie beispielsweise Absurdität, existentieller Angst, Einsamkeit, aber auch nach Themen wie der Lage des Menschen in der Welt und seinem Verhältnis zur Realität untersucht.[22] Moravias Roman hat auf jeden Fall thematische Gemeinsamkeiten mit den beiden französischen Werken, vor allem in Bezug auf den ‘immoralismo’, der aus einem Mangel an gültigen Werten resultiert; aber auch der Darstellung der Charaktere, die durch übermäßiges Denken in ihrer eigenen Welt gefangen und zu Handlungen unfähig sind, sowie der aussichtslosen Einsamkeit der Figuren. In allen drei Büchern, wenn auch mit unterschiedlich starker Radikalität dargestellt, handelt es sich um persönliche Einzelschicksale, die den in Europa allgemein verbreiteten Lebensüberdruss verkörpern. Ihre Themenkreise bilden auch die Probleme der modernen zeitgenössischen Industriegesellschaft ab.

Die aus inneren Zwängen heraus entstehende Handlungsunfähigkeit des Menschen in Moravias Romanen spiegelt auch die Zwänge der Gesellschaft wider. Daher werden seine Werke gleichzeitig als ein kritisches und analytisches Panorama der italienischen Gesellschaft interpretiert. So wurde bereits sein erster Roman als Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft, sogar am faschistischen Regime verstanden. Moravia betont immer wieder das Gegenteil.[23] Vereinzelt bestreitet er aber die möglicherweise vorhandene Gesellschaftskritik in diesem Roman nicht, weist jedoch auf dessen unbewusstes Entstehen hin. Denn er hatte rein literarische Ambitionen: das Buch sollte ein Roman gegen die Gleichgültigkeit sein.[24] Bewusst oder unbewusst dargestellt - in der Thematik erkennen wir die Probleme, die sich aus der Situation des Menschen in der damaligen Zeit ergeben. Moravia zeigt uns eine Welt der bürgerlichen Unmoral, den Zerfall bürgerlicher Werte, die dekadent-moralische Schwäche des Bürgertums, die Gier nach Geld, sexuellem Erfolg, die Selbstentfremdung der Gesellschaft sowie die Willen- und Kontaktlosigkeit. Es ist eine Welt voll von Überdruss, Entfremdung, Langeweile, Gleichgültigkeit, Unachtsamkeit sowie fehlender Handlungsmotivation: alles läuft auf die Wertekrise der zeitgenössischen Gesellschaft als den eigentlichen Symptomen des 20. Jahrhunderts hinaus. Jedoch stehen die sozialen oder politischen Aspekte nicht im Mittelpunkt von Moravias Werken. Was viel mehr eine Rolle spielt, ist die Frage nach der menschlichen Existenz. Ob die seelische Trägheit einer Familie in Gli indifferenti, die erotische Offenbarung der Unmoral am Beginn des Erwachsenenwerdens in Agostino (1944) oder aus der Sicht eines römischen Straßenmädchens in La romana, ob vor dem Hintergrund des Faschismus in Il conformista (1951) und La ciociara oder in der Welt der Intellektuellen und Künstler in L’attenzione, L’amore coniugale, La noia oder Il disprezzo (1952)[25] - um nur einige Beispiele zu nennen: Tatsache ist, dass Moravia in seinen Werken auf eine ausgezeichnete und nie langweilig werdende Art und Weise immer wieder die Thematik der existentiellen Krise des Individuums aufnimmt.

Der „existentialistische” Moravia der Gli indifferenti, Il disprezzo, La noia oder L’attenzione sowie der „neorealistiche” Moravia der La romana oder La ciociara ist der gleiche. Denn unabhängig vom jeweiligen Hintergrund basieren Moravias Werke auf der Darstellung der existentiellen Aspekte des Lebens und der psychologischen Differenzierung der Personen. Im Mittelpunkt steht dabei die Darstellung der Gegenwart und der Menschen, die in gesellschaftliche und emotionale Konfliktsituationen geraten. Wegen der Beschäftigung mit den existentiellen Grundproblemen des Menschen, seinen Identitätsproblemen sowie seiner Begrenztheit besitzen die Werke Moravias tatsächlich eine thematische Nähe zur existentialistischen Literatur. Dazu gehören jedoch, allgemein betrachtet, alle literarischen Werke, „in denen die fragwürdige, sich selbst problematisch gewordene Existenz des Menschen dargestellt ist.”[26] Dies geschieht u.a. schon bei dem russischen Dichter F.M. Dostojewskij (1821-1881), mit dem sich Moravia am stärksten identifizierte.[27] Er war sowohl von Dostojewskijs theatralischer Erzählweise und den dramatischen Schlüssen seiner Werke als auch von seinen Figuren fasziniert, die immer wieder nachdenken und grübeln.[28] Für Moravia ist Dostojewskij der eigentliche Begründer des Existentialismus, denn statt der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft tritt bei ihm das Verhältnis des Individuums zu sich selbst in den Vordergrund.[29]

Moravia folgte keinem philosophischen Ziel wie Camus oder Sartre; bei ihm entwickelte sich eine ähnliche Weltsicht, aus der auch die Frage nach der Existenz resultiert, aus einem anderen Grund. Sie war historisch bedingt, richtete sich nach seinen literarischen Vorbildern,[30] war aber gleichzeitig, auch wenn er sich selbst häufig dagegen wehrt, autobiographisch.[31]

Es sind zwar Ähnlichkeiten sowie Zusammenhänge zu zeitgenössischen Schriftstellern oder zu literarischen Strömungen zu entdecken; jedoch ragt bei Moravia aus dem Komplex der gemeinsamen Züge immer wieder seine Individualität hervor, und in der zeitgenössischen literarischen Szene ist er eher ein Außenseiter. „Ich bemerkte literarische Strömungen, und ich bemerkte sie auch wieder nicht“[32] stellt Moravia selber fest.

2.2. Gesellschaftskrise und Literatur. Die Identitätssuche im 20. Jahrhundert

Der Begriff der ‘Existenz’ wuchs im 20. Jahrhundert zu großer Bedeutung, sowohl in der Philosophie als auch in der Literatur heran. Immer wieder tauchen Themen auf, die sich mit der Frage nach der Identität, der Existenz und dem Bewusstsein beschäftigen. Bereits am Anfang des Jahrhunderts wird besonders im Roman „das Ich auf der Suche nach sich selbst - auf einem Weg, der zu keinem Ziel führt”, sowie die „Frage nach dem Ich und seiner Vieldimensionalität” zum zentralen Thema.[33] Gleichzeitig entstehen Figuren, die in ihren Handlungen und ihrem Schaffen gehemmt oder völlig handlungsunfähig sind. Das übergeordnete Motiv dieses Themas ist das eines missvergnügten, unzufriedenen Menschen. Der Begriff „der Missvergnügte“[34] wird von einer christlichen Tugend, der positiven Bezeichnung ‘Genügen’ sowie ‘Vergnügen’ des Menschen an seinem Schicksal, abgeleitet und taucht in der Weltliteratur bereits im 16. Jahrhundert als Negation, als Mangel an ‘Genügen’ auf. Mit der Zeit verstärkte sich die negative Bedeutung des Begriffes. Es ging nicht mehr nur um die Verhältnisse, sondern um das Leben überhaupt und so tritt der psychologische Aspekt immer mehr in den Vordergrund: als fehlende innere Ruhe. In der Literatur wird dieser Menschentypus zum Handlungsträger, der nicht nur zu anderen Personen, sondern zu sich selbst in Spannung steht, um seine eigene Person kreist und nicht zum Ziel gelangt. Das Motiv des ’Missvergnügten’ tritt in der Neuzeit in verschiedenen Variationen und unterschiedlichen Bezeichnungen auf.

In diese Gruppe gehört auch die Figur des ‘Melancholikers‘, der oft an einer unglücklichen Liebe leidet oder der ‘Zerrissene’, der von der Realität enttäuscht ist und von Weltschmerz bedrückt wird. Aufgrund einer grundsätzlichen Stimmung, die von einem Selbstgefühl der Dekadenz[35], einem endzeitlichen Gefühl des ‘Fin de Siècle’[36], von Pessimismus und Melancholie bestimmt war, ist der ‘Missvergnügte’ um die Zeit der Jahrhundertwende von Müdigkeit, Zwiespältigkeit und Schwäche gezeichnet. Zwar gab es zu jeder Zeit Menschen, die verkündeten, dass die Welt dem Ende entgegen gehe, jedoch in der Weltgeschichte keine Epoche, in der man so stark das Gefühl des Endes gehabt hätte, wie in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Am Ende eines langen Weges angelangt bemerkte man gleichzeitig, wie müde man währenddessen geworden war. Diese Ermüdung ist um die Jahrhundertwende ein fast obligatorisches Gefühl. Bei der geistigen Bewältigung dieser Krisenprozesse wurde auf Denker zurückgegriffen, welche die Mittel und Wege zur Meisterung dieser Krisen entworfen hatten: so auch auf die beiden deutschen Philosophen, Arthur Schopenhauer[37] (1788-1860), auch „Vordenker des Pessimismus“[38] genannt, und Friedrich Nietzsche[39] (1844-1900).

Entscheidend dafür war wohl der unverkennbare Vormarsch des Pessimismus im geistigen Leben vieler europäischer Länder. Viele Künstler nahmen die sich vertiefende Kluft zwischen bürgerlicher Identität und Realität, zwischen Geist und Macht wahr und reagierten darauf in ihren Werken mit der Darstellung von Resignation, Skeptizismus und Pessimismus. Es wäre aber übertrieben, von diesem Pessimismus als einem ‘Zeitgeist’ des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu sprechen, denn es existierten auch gegenläufige Richtungen und Tendenzen. Eines kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden: der Zeitgeist war von pessimistischen Grundstimmungen geprägt. Im Mittelpunkt der Literatur stand jedenfalls immer mehr das Selbstbetrachten und Selbst-Erleben. Die Menschen fanden in der Außenwelt keine Ziele für sich; so wenden sie sich nach innen und beschäftigen sich mit sich selbst.

Die wichtigste Aufgabe der Literatur der Jahrhundertwende war es: sich selbst kennen zu lernen und diese Erkenntnis vollständig auf das Werk zu übertragen. So inspirierte Sigmund Freuds (1856-1939) im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelte Theorie der Psychoanalyse auch die Literatur. Die Geheimnisse der Psyche wurden auch an literarischen Figuren präsent. Nach dem Schweizer Philosophen Carl Gustav Jung (1875-1961) wechseln sich im geistigen Leben zwei Menschentypen ab: der extrovertierte und der introvertierte Menschentypus.[40] Die Mitte des 19. Jahrhunderts gilt als die Epoche der Extrovertierten, die Zeit um die Jahrhundertwende dagegen die der Introvertierten.

In Italien löste bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Kluft zwischen Nord und Süd in der Gesellschaft Enttäuschungen und Frustrationen aus. Die nationale Einigung Italiens um 1860 war zunächst nur ein politischer Zusammenschluss und änderte nichts an der Provinzialität des Landes. Um die Jahrhundertwende waren die Literaturverhältnisse im Bereich der Unterhaltungsliteratur in Italien immer noch rückständiger als in den industriell entwickelten übrigen europäischen Ländern, und das nicht nur infolge der abweichenden Dialekte der einzelnen Regionen, sondern auch wegen der geringen Alphabetisierung.

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme zu Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkten nur noch das Weltbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es ist die Zeit der versunkenen Ideale, der mangelnden Orientierungen, der politischen Bevormundung und der sozialen Orientierungslosigkeit. Im Leben der Intellektuellen und im Bereich der Literatur breitet sich immer mehr eine innere Verunsicherung aus. Der Typus ‘der Missvergnügte’ wird immer mehr zu einer Figur, die das Innenleben des Individuums, die Verzweiflung und Verwirrung in einer widersprüchlichen und verlorenen Welt sowie die Suche nach der Wahrheit durch eine kritische Reflexion über sich selbst und über die Menschen widerspiegelt. „Literatur wurde zunehmend zum Niederschlag heftiger politischer, sozialer und geistiger Spannungen.”[41]

Die Identitätskrise, die Grenzen der Existenz, die Hilflosigkeit und Unfähigkeit des Menschen inspirierte die Autoren. Sie stellten diese Thematik in ihren Werken auf verschiedene Art und Weise dar. Eigentlich hatte in Italien bereits Giacomo Leopardi (1789-1837) mit seinem Dichten und Denken, das keine Hoffnung bot, dem Optimismus der Aufklärung ein Ende gesetzt. Mit seinem Pessimismus und dem Motiv der Langeweile und des Überdrusses, der ‘noia’ und des ‘tedio’, bereitete er den Weg pessimistischen Denkens über die dekadente ‘Fin de Siècle’-Stimmung der Jahrhundertwende hinaus. Das führte in die Negativität der Moderne. In der Literatur des 20. Jahrhunderts wurden Langeweile und Lebensuntauglichkeit in vielfältigen Themen und Motiven aufgegriffen und weiterentwickelt. Beispielsweise thematisierten die Romane von Gabriele D’Annunzio (1863-1936) zwar den ‘Übermenschen’; jedoch ist dieses Motiv bei ihm immer in die Themen von Niedergang und Lebensmüdigkeit eingebunden, wird geprägt von Dekadenz und Negativität. Seine großbürgerlich-dekadenten Liebesromane standen ganz im Zeichen der Schopenhauer- und Nietzsche-Mode. Eine tief auswegslose, existenzielle Negativität finden wir auch bei Giovanni Papini (1881-1956); aber erst durch Italo Svevo und Luigi Pirandello löst sich die italienische Romanliteratur von der Tradition des 19. Jahrhunderts und findet den Anschluss an die europäische Moderne.[42]

Durch die eindringliche psychologische Schilderung handlungsunfähiger Hauptfiguren hat der aus Triest stammende Schriftsteller Italo Svevo (Aron Hector Schmitz, 1861-1928) zu einer neuen psychologischen Struktur, einem neuen Ich-Bewusstsein in der Literatur beigetragen. Svevos Helden haben eine schwache Persönlichkeit. Sie sind gebrochene, kontaktarme Helden, so genannte „stille Existenzen”[43], „auf sich selbst zurückgeworfen”[44]. Gekennzeichnet von einem ambivalenten Verhältnis sowohl zur Realität wie den Mitmenschen, als auch zu sich selbst, leben sie in ihrer eigenen Realität. Hilflos und enttäuscht suchen sie nach der inneren Wahrheit und nach dem Sinn des Lebens, denken mehr über sich und ihre Umwelt nach, als sie handeln und müssen schließlich scheitern. Entweder fällt ihnen das Handeln schwer, reagieren sie übertrieben, inszeniert und realitätsfremd oder aber zu spät.

Una vita (1892, hatte ursprünglich den Titel Un inetto, Ein Unfähiger) und Senilità (1898) entstehen noch vor dem Hintergrund der mitteleuropäischen Kultur der Jahrhundertwende. In der inneren Schwäche und der Lebensuntauglichkeit ihrer Figuren spiegelt sich die Lebensuntüchtigkeit der Gesellschaft wieder, bedingt durch den Zusammenbruch einer ganzen Kultur. So hat ‘senilità’ weniger mit dem Altwerden im physischen Sinn zu tun. Alt ist nicht nur die geistig-seelische Verfassung des Protagonisten und seiner Schwester, sondern auch der Zustand, in dem sie sich befinden: ihre Lebensangst und ihr Dahinvegetieren am Rande des Lebens. Im weitesten Sinne wird hier jene existentielle Lebensunlust dargestellt, die die europäische Kultur in der Epoche des ‘Fin de Siècle’ befällt.[45]

Es werden immer wieder Parallelen zwischen den Werken Svevos und Moravias festgestellt,[46] nicht nur wegen der Ähnlichkeit der psychologischen Figurenkonstruktion oder der Personenkonstellation,[47] sondern auch angesichts der ähnlichen Darstellung der Liebe, des Liebesbegriffs und der gescheiterten Beziehungen. In den Bereich der Handlungshemmung gehört auch bei Svevo die Thematik der Schaffenskrise des Intellektuellen.

In Una vita bilden für den Protagonisten Literatur und Philosophie die Gegenwelten zu den mechanischen Arbeitsvorgängen und der Kontrolle seiner Arbeit durch andere. Jedoch kommt sein Hauptwerk, ein Traktat über die Ethik in der modernen Welt, nicht über das erste Kapitel hinaus. Auch in Senilità wird dieses Thema aufgegriffen. Dort zehrt die Hauptfigur von der lokalen Berühmtheit als Verfasser eines einzigen Romans. Was ihm als Schriftsteller nicht gelingt, schafft er in seinen Träumen.

Für Svevo und sein Werk war Schopenhauers Einfluss ausschlaggebend. Er war und blieb sein ganzes Leben lang Svevos bevorzugter Philosoph. Svevos Ich-Verständnis ist in seinem Ursprung von Schopenhauers Philosophie inspiriert, wie sie in dessen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung zum Ausdruck kommt. Der sensible und willensschwache Protagonist in Una vita wünscht sich, sich gesellschaftlich etablieren zu können, jedoch quält ihn das Bewusstsein, dazu untauglich zu sein. Ähnlich ist es in Senilità. Der Unterschied besteht nur in der noch stärker hervortretenden Selbstanalyse der Protagonisten. In den zwanziger Jahren erschien Svevos letzter Roman La coscienza di Zeno (1923), eine Autobiographie des Protagonisten, die seiner psychoanalytischen Behandlung dienen soll. In diesem Buch zeigt Svevo nicht nur einen neuen Weg des Realismus auf, sondern bringt gleichzeitig auch eine neue Technik in den italienischen Roman mit ein.

„Statt der äußeren Wirklichkeit sucht Svevo die psychischen Realitäten der Obsessionen und Träume, der Triebimpulse und Kompensationen zu ergründen.“[48]

Bereits in Senilità wird die psychische Realität der Zwänge, Träume und Triebimpulse ergründet. Doch jetzt geht es verstärkt um die Realität des Geistes und der Seele des Menschen, um Bewußtseinsreflektion und die Psychoanalyse des lebensuntüchtigen Helden. Das Buch entwickelte sich aus der Kenntnis der Psychoanalyse Freuds, wobei hier darauf hinzuweisen ist, dass im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert unabhängig von Sigmund Freud, jedoch bedingt durch das kritische Bewusstsein der Epoche in vielerlei Form der Psychoanalyse verwandte Gedanken hervortreten.

Die psychologisch angelegte Modernität finden wir auch bei Luigi Pirandello (1867-1936). Die Problematisierung der Konzepte von Individuum und Identität einerseits sowie von Gesellschaft und Realität andererseits ist charakteristisch für sein Gesamtwerk. Er stellt die Frage: Gibt es überhaupt Persönlichkeit? Die Antwort ist: Uno, nessuno, centomila (1929); ein-, kein- und hunderttausendfach, wie es in Pirandellos Romantitel steht. Wir haben hunderttausende von Persönlichkeiten, denn wenn uns Hunderttausende betrachten, hat jeder ein anderes Bild von uns. Das eine ist genauso wahrhaftig wie das andere - oder keins von allen. Der „Roman der Zersetzung der Persönlichkeit“[49] weist darauf hin, dass man die Realität immer selber und als Illusion erschafft. Pirandellos skeptisch-relative Betrachtung menschlicher Vernunft, welche die Identität und Existenz in Frage stellt, spiegelt wiederum die Krise der bürgerlichen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts wider. Pirandellos Romane zeigen zumeist Figuren, die an ihrer eigenen Umwelt und Psyche leiden und denen das Leben keine Lösung bietet. Pirandellos Dramatik hängt thematisch und ausdrucksmäßig eng mit seinen Prosawerken zusammen: auch in ihnen geht es um die Problematik des Verhältnisses zwischen Individuum und Wirklichkeit, Wahrnehmung, Erkenntnis und Behandlung von Wirklichkeit.

Moravia empfand Pirandello eine Zeit lang als geistesverwandt; jedoch hat er ihn – nach eigener Aussage[50] - nicht wirklich beeinflusst. Mit Pirandello verbindet Moravia besonders das Motiv der „incomunicabilità“[51], der Unfähigkeit zum echten Kontakt zwischen Menschen, die in ihrer eigenen Welt gefangen sind, also der Unmöglichkeit der gegenseitigen Verständigung. Wenn auch auf eine andere Art und Weise, finden wir auch bei Moravia die Problematik von Schein und Sein, Illusion und Selbstverlust; Faktoren, die Pirandellos Werk kennzeichnen. Bereits in Gli indifferenti erwecken Aussagen, Gesten sowie Handlungen einen falschen Schein. Die Gesichter erstarren zu Masken, mit denen sie identifiziert werden. Die Figuren leben in Illusion, Heuchelei und Lüge: in einer Scheinwirklichkeit. Mehr oder weniger ausgeprägt, aber im Grundgedanken ähnlich besteht auch in Moravias Werken, konform mit Pirandello das Problem in der objektiven Wahrheit und ihren vielgestaltigen subjektiven Erscheinungen. Pirandellos Zentralthema, das er in allen seinen Stücken abwandelt, ist die ständige Umkehrbarkeit von Schein und Sein und der daraus entspringende Zweifel an der Kontinuität des persönlichen Ichs. Die Identitätsfrage entwickelt sich bei Pirandello oft anhand von Scheinidentitäten, woraus sich die Zerstörung der Identität ableitet, so auch im Roman Il fu Mattia Pascal (1904). Ähnlich wie Svevo kritisiert auch Pirandello den Geschwindigkeitsrausch der modernen Gesellschaft und lehnt ihn ab. Aber während Zeno in Svevos Roman die eigene Identität erforscht, beginnt der Protagonist in Uno, nessuno e centomila sich immer mehr an die ihm von der Gesellschaft aufgezwungene Identität anzulehnen und verzichtet schließlich auf seine eigene.

Das pessimistische Weltbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte bis in das 20. Jahrhundert hinein eine starke Wirkung auf die Literatur und wurde durch die soziale Umbruchsphase nach dem ersten Weltkrieg und den Zerfall traditioneller Werte nur verstärkt. Die Kriegserfahrungen mussten verarbeitet werden.Gleichzeitig wurden die Bedeutung des Krieges und Italiens Stellung zu Europa hinterfragt, es kamen erneut wirtschaftliche Probleme auf, und der Faschismus breitete sich langsam aus. Hinzu traten zunehmende Zweifel am wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Die Menschen fühlten sich unkontrollierbaren Mächten ausgeliefert. Dies alles führte zu einem immer mehr von Gleichgültigkeit, Dekadenz und existentieller Leere geprägten bürgerlichen Zeitgeist, der in Europa in den 20er Jahren weit verbreitet war. In dieser Zeit wird nicht nur verstärkt die Existenz, die Identität und das Bewusstsein, sondern auch die existenziell bedingte Gleichgültigkeit nachgefragt, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Absichten und Zielen. Es ist also nicht verwunderlich, dass Moravias erster Roman, der in diesen Jahren entstand, gerade die Gleichgültigkeit zum Thema hatte. „Gl’Indifferenti! Potrebb’essere un titolo storico.”[52] erklärte Giuseppe Antonio Borghese (1882-1952). Moravias Roman wurde auch später mehrfach als Darstellung einer „situazione tipica, universale“[53] für die damalige Zeit gedeutet. Der ‘Gleichgültigkeit’ begegnen wir im Titel eines Werkes aber bereits 1910, noch vor Moravias Gli indifferenti. Damals erschien L’école des indifférents des französischen Schriftstellers Jean Giraudoux (1882-1944). Gewiss gibt es auch weitere Figuren, die zur „Familie der Gleichgültigen”[54] gehören. Außer den bereits erwähnten finden sich weitere lebensuntaugliche und psychologisch komplizierte Helden, u.a. in Werken Federigo Tozzis (1883-1920) oder Vitaliano Brancatis (1907-1954).[55] Aber erst Moravia hat mit seinen Gli indifferenti Romangestalten geschaffen, die zu Prototypen der Indifferenz und der damit verbundenen Handlungsunfähigkeit geworden sind. Gerade das Festhalten an diesem Thema macht Moravias Schaffen so außergewöhnlich. Denn die Epoche, die Gesellschaft gab ihm keinerlei Grund, seine Thematik zu ändern und so blieb er bei der Darstellung der Schwächen und Krankheiten des Jahrhunderts, ihrer existentiellen Gleichgültigkeit und Langeweile. Moravia betont aber, dass seine Thematik nicht aufgrund von ‘Weltschmerz’ entstanden ist, der seiner Meinung nach etwas Sentimentales hat. Sowohl die geschilderte Gleichgültigkeit als auch der in La noia dargestellte Überdruss deuten auf jene Lebensangst hin, die nach Moravias Überzeugung die Grundlage der existenzialistischen Strömung bildet.[56]

Die literarisch dokumentierte Gleichgültigkeit und deren Variationen in Moravias Werken, die auch dem bürgerlichen Zeitgeist am Anfang des 20. Jahrhunderts entsprachen, passten jedoch nicht in den vom Faschismus verordneten Optimismus.[57] Als 1929 das Buch Gli indifferenti herauskam, provozierte es einen Skandal. Die ästhetisch interessierte Kritik schrieb dem Werk große literarische Qualität zu, und auch die katholische Literaturkritik anerkannte die Innovation in der erzählerischen Kraft, dem psychologischen Einfühlungsvermögen und der Gewandtheit der Dialoge. Doch sie verurteilte den Roman wegen der Beschreibung sexueller Vorgänge.[58] Die entschiedenste Verurteilung kam jedoch von der Seite der faschistischen Literaturkritik. Die Darstellung der Figuren widersprach sowohl dem typischen Frauenbild des italienischen Faschismus als auch dem faschistischen Männerideal und verkörperte geradezu entgegengesetzte Qualitäten; sie stand in krassem Gegensatz zu den Anforderungen an die offizielle Redekunst, die Rolle der Frau und die Männlichkeit. In Gli indifferenti dominieren gerade die ausdrücklich unerwünschten Themen: es wird kein Familienidyll und keine Liebe dargestellt, sondern moralisch und ökonomisch zerschlagenen Familien und sexuelles Chaos, also gerade jene verbotenen „provvocazione sessuale“[59]. Außerdem signalisierte der Plural im Titel mehr als eine individuelle Haltung der Gleichgültigkeit. Die faschistische Kritik verstand den Text als einen Angriff auf das Regime. Die Figuren stellten für viele nicht nur Apathie und Gleichgültigkeit als einzige mögliche Lebensform des korrupten Bürgertums jener Zeit dar, sondern verkörperten auch Menschen, auf die der Faschismus nicht zählen konnte, denn er hatte sie aufgrund ihrer psychologischen Beschaffenheit, ihres Egoismus und ihrer Gleichgültigkeit gar nicht erreicht. Gleichgültigkeit wurde Moravia auch selbst unterstellt. Wenige Jahre nach dem Erscheinen des Buches bekam er Schreibverbot. Auch La noia wurde später als eine Kritik an der Gesellschaft interpretiert, für die die Sexualität das einzige Gegenmittel gegen Muße und Langeweile zu sein scheint.[60] Selbst Moravia weist auf die Langeweile als soziales Phänomen der Zeit hin und gibt die Atmosphäre des Faschismus als mögliche historische Quelle „questa noia sociale“[61] an:

„Sono nato nel 1920, la mia adolescenza passò, dunque, sotto l’insegna nera del fascismo, ossia di un regime politico che aveva eretto a sistema l’incomunicabilità cosí del dittatore con le masse come dei singoli cittadini fra di loro e con il dittatore. La noia, che è mancanza di rapporti con le cose, durante tutto il fascismo era nell’aria stessa che si respirava.”[62]

Moravia war aber weder Faschist noch Antifaschist und genauso verhielt er sich in der Zeit des Kommunismus. Sein Vaterland und seine Ideologie war die Literatur, alles andere war zweitrangig.[63] „Ich war immer der Ansicht, daß man Literatur nicht mit Politik vermischen sollte.“[64] – sagte er. Seiner Ansicht nach ist es zwar Aufgabe eines Romanautors, die ihn umgebende Gesellschaft aus der eigenen Perspektive zu deuten, doch bestehe das Engagement des Schriftstellers hauptsächlich darin, die eigenen Ideen im Werk zu verwirklichen, nicht aber darin, Tagespolitik zu betreiben.[65]

3. MORAVIAS WELT- UND MENSCHENBILD

3.1. Die Einflüsse der Philosophie und Psychologie

Moravia selber weist darauf hin, „dass jede Geschichte letztendlich eine verborgene Beziehung zur Kultur der Epoche offenbaren muss“[66]. Ohne Zweifel hat er sich eingehend mit Philosophie und Psychologie beschäftigt und diese Erfahrungen auch beim Verfassen seiner Werke, bei der Vertiefung seiner Grundidee nicht außer Acht gelassen. Er hat sich u.a. mit den Schriften des österreichisch-britischen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889-1951) befasst, der sich außer der Sprachphilosophie auch dem Positivismus widmete - jener philosophischen Richtung, die nur in dem unmittelbar Wahrgenommenen eine sichere Grundlage des Erkennens sieht und in der die Metaphysik ablehnt wird, und man sich an Gegebenem, Tatsächlichem, positiv Fassbarem orientiert. Außer Wittgenstein weist Moravia auf den bereits angesprochenen deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche und seinen Nihilismus[67], auf Arthur Schopenhauer[68] und auf die existenzialistische Philosophie von Martin Heidegger hin. Er hat u.a. auch die Langeweile sehr präzise definiert, und es ist nicht schwer, eine gewisse Ähnlichkeit von Moravias Darstellung der Langeweile mit jener von Heidegger festzustellen.[69]

Moravias Entwurf einer „storia universale“ in La noia, die die Langeweile als Wurzel allen Übels bezeichnet, kommt auch dem ‚noia’-Begriff von Kierkegaard[70] besonders nahe. Jedoch gerade in Bezug auf seine ‘noia’-Definition weist Moravia auf Schopenhauer hin. Seines Erachtens hat dieser Philosoph von einem ähnlichen Gefühl gesprochen. Es wäre auch möglich, die in Moravias Werken vorhandene Trennung zwischen Zuschauer/Betrachter und Akteur/Kämpfer und auch die nicht mehr vorhandene Übereinstimmung von Bewusstsein und Handeln auf Schopenhauers Philosophie zurückzuführen. Schopenhauer unterscheidet zwischen zwei Menschentypen: zwischen dem, der für sein Leben kämpft und dem, der das Leben betrachtet. Während im christlich-humanistischen Menschenbild die Erkenntnis, d.h. das Denken die Welt und das Handeln steuert, behauptet Schopenhauer das Gegenteil und kehrt das Verhältnis von Erkennen und Handeln um. Das Handeln entspringe unkontrolliert unserer tiefsten Natur, dem Willen, und erst in einer späteren Analyse kann das Indivisuum sein Verhältnis zur Welt erkennen. Damit greift Schopenhauer auch den Theorien des 20. Jahrhunderts über das Unbewusste vor.[71]

[...]


[1] La noia, S. 10f. (Bei Zitaten aus Moravias Werken wird nur Titel der Quelle angegeben.) (“Im Anfang war also die Langeweile, gemeinhin Chaos genannt. Gott, der Langeweile überdrüssig, schuf Erde und Himmel, Wasser, Tiere und Pflanzen, Adam und Eva. Die aber langweilten sich ihrerseits im Paradies und aßen von der verbotenen Frucht. Gott wurde ihrer überdrüssig und vertrieb sie aus dem Paradies. Kain, von Abel gelangweilt, erschlug ihn. Noah, der sich langweilte, erfand den Wein. Wiederum waren die Menschen dem lieben Gott langweilig geworden, und er zerstörte die Welt durch die Sintflut. Auch die aber wurde ihm bald dermaßen langweilig, dass er es wieder schönes Wetter werden ließ. Und so weiter.”)

[2] La noia, S. 7. („Für viele Menschen ist die Langeweile ganz einfach das Gegenteil von Unterhaltung; ich könnte sogar sagen, dass sie ihr in gewisser Hinsicht ähnelt, da sie Zerstreuung und Vergessen nach sich zieht, wenn auch von einer sehr besonderen Art. Für mich ist die Langeweile eine Art Ungenügen und Unangemessenheit oder Spärlichkeit an der Realität.“)

[3] Hösle 1999, S. 38; Pullini 1965, S. 116. („Immobilismus”)

[4] Russo 1946, S. 214ff. („Schriftsteller ohne Geschichte”)

[5] Alfonsi 1986, S. 149. („Ein eintöniger Schriftsteller“)

[6] Kanduth 1968, S. 11.

[7] Vgl. Wittschier 1985; Hösle 1999.

[8] Wittschier 1985, S. 182f.

[9] Der Verismo entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, angeregt vom französischen Naturalismus und den Werken von dessen Hauptvertreter, Emile Zola. Es handelt sich um eine betont wirklichkeitsbezogene und sozial orientierte Literatur, die sich auf die erzählende Prosa richtete, ihre geistesgeschichtliche Wurzel im Realismus hatte und sich verstärkt zum Teil psychopathologischen Konflikten zuzuwenden suchte. Der Verismo bedeutete eine naturalistische, d.h. den Autor ausschließende Darstellungsweise, die Verwendung der Alltagsprache und einen einfachen Stil. Er tendierte gleichzeitig zum Regionalismus und gab auch der mundartlichen Dichtung einen neuen Impuls. Der Verismo wurde von Luigi Capuana (1839-1915) theoretisch formuliert und von Giovanni Verga (1840-1922), dem bedeutendsten veristischen Romancier, zum Höhepunkt gebracht. Der Verismo beeinflusste die italienische Prosaerzählkunst bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Zahlreiche Roman- und Novellenautoren übernahmen auf verschiedene Art und Weise die Grundelemente des Verismo.

[10] Vgl. Hardt 1996, S. 807.

[11] Kapp 1994, S. 354.

[12] Schweikle 1984, S. 304.

[13] Camon/Moravia 1988, S. 33. („Der Neorealismus hat mich nie interessiert”)

[14] Elkann/Moravia 1991, S. 186.

[15] Camon/Moravia 1988, S. 33. („Neorealisten, d.h. Dokumentaristen und Autobiographen auf lyrischer Ebene“)

[16] Elkann/Moravia 1991, S. 233.

[17] Elkann/Moravia 1991, S. 186.

[18] Elkann/Moravia 1991, S 37.

[19] Das begriffliche Instrumentarium zur Existenzanalyse hat jedoch bereits im 17. Jahrhundert der französische Philosoph, Mathematiker und Physiker Blaise Pascal (1623-1662) entwickelt.

[20] Schwachulla 1998, S. 261.

[21] Die Existenzphilosophie gelangt bei Sartre (Das Sein und das Nichts 1943) in der Tradition des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) zuweilen zu nihilistischen Folgerungen, indem sie die Begriffe des Nichts und der absoluten Freiheit betont.

[22] Vgl. Leeker 1979.

[23] L’uomo come fine, S. 14.

[24] Elkann/Moravia 1991, S. 29.

[25] Aber auch in L’uomo che guarda (1985) und in Il viaggio a Roma (1988).

[26] Schweikle 1984, S. 137.

[27] Camon/Moravia 1988, S. 29.

[28] Dostojewskij führt uns in das menschliche Bewusstsein ein. Im Mittelpunkt seiner Werke steht Macht und Einfluss der Gedanken. Die Figuren erörtern sehr ausführlich und gründlich ihr Geistesgut; aber dieses hat die Eigenschaft, dass es nicht ausdrückbar ist. Der Leser vermutet immer wieder eine tiefere Bedeutung, wie bei den Träumen, die man nach dem Erwachen zu entschlüsseln versucht. Er war ohne Zweifel Moravias literarisches Ideal und bereits 1929 wurde eine Ähnlichkeit zwischen Gli indifferenti und den Werken Dostojewskijs festgestellt. Vgl. Leeker 1979, S. 3.

[29] „Con Dostoevskij abbiamo questa grande novità: il rapporto non è più tra individuo e società, ma tra individuo e se stesso.” Gagliardi 1987, S. 64.

[30] Wirklich beeinflusst haben Moravia außer Dostojewskij der englische Dramatiker William Shakespeare (1564-1616), der französischen Komödiendichter Molière (Jean-Baptiste Poquelin, 1622-1673), sowie der Dramatiker Carlo Goldoni (1707-1783). Moravia war voller Bewunderung für Shakespeares von Melancholie, Passivität, Einsamkeit und Unentschlossenheit geprägte Figuren und für Molières Gestalten, besonders für den Menschenfeind (Le Misanthrope 1667) oder den Geizigen (L’Avare 1668). Moravia wollte eine ähnliche Gestalt schaffen und sie zur Hauptperson eines Romans machen. Die venezianische Sprache Goldonis hat weniger Moravias Umgang mit der italienischen Sprache beeinflusst, durchaus aber seine Art zu schreiben, denn sie hat ihm den Sinn für das Theater offenbart, für den Rhythmus, der in einem Theaterstück steckt. Moravia war ein großer Bewunderer des Theaters und setzte sich auch zum Ziel, Dialoge und Situationen mit dramatischer Qualität darzustellen sowie die Technik des Dramas mit der Prosa zu verschmelzen. Moravia hat auch den Schöpfer der italienischen Novellenform, Giovanni Boccaccio (1313-1375) sehr geschätzt. Aber nach Alessandro Manzoni (1785-1873) und Giovanni Verga (1840-1922) war Italo Svevo für Moravia der größte italienische Erzähler. Vgl. Kapp 1994, S. 320, 322; Leeker 1979, S. 5, 104; Pullini 1965, S. 274; Barilli 1964, S. 78ff.

[31] Siehe dazu Kapitel 4.3. dieser Arbeit.

[32] Zitiert nach Hösle 1974, S. 203.

[33] Schmitz-Emans 1990, S. 176.

[34] Vgl. Frenzel 1999, S.533-547.

[35] Literarische Gestaltungen der Dekadenz sind eng verknüpft mit einer Reihe von Themen und Motiven: u.a. mit dem Verfall der Zivilisation, dem Illusionscharakter der Wirklichkeit, mit Ästhetizismus, Langeweile, aber auch Erotik und Exotik. Vgl. Daemmrich 1987, S. 84.

[36] (Franz. "Ende des Jahrhunderts"). Bezeichnet die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den charakteristischen Erscheinungen in Kunst und Kultur. Diese Zeit ist geprägt von einem Schwanken zwischen Aufbruchsstimmung, Zukunftseuphorie, diffuser Zukunftsangst und Regression, aber auch von Endzeitstimmung, Lebensüberdruss, Weltschmerz, Faszination von Tod und Vergänglichkeit, Leichtlebigkeit, Frivolität und Dekadenz.

[37] Nach Schopenhauers Auffassung (Die Welt als Wille und Vorstellung 1819) ist die Aufgabe der Philosophie, den Willen zum Leben zu verneinen. Er betrachtet als Wesen der Welt einen grund- und ziellosen, blinden Willen. Seine pessimistische Grundidee ist, dass Leben im wesentlichen Leiden ist; es gibt jedoch Möglichkeiten, sich über das Leid zu erheben. Es gibt nur eine ‘Substanz’ an sich, den ‘Willen’, d.h. die universale Lebenskraft; alle einzelnen Dinge bzw. Lebewesen sind bloß ‘Erscheinungen’ des Willens und insofern ‘Täuschungen’. Ethisches Hauptziel ist die Erhebung über die für alles Leiden verantwortliche Täuschung, die Verneinung des Willens. Dabei werden drei Formen der Entlastung vom Willensdruck durch Negation der Individualität festgestellt: praktisch durch Mitleid und Resignation; reflexiv durch Einsicht in das Wesen der Welt aus philosophischer Sicht sowie ästhetisch durch die Kunst. Vgl. Fromm, Eberhard 1991.

[38] Fromm, Eberhard 1991.

[39] Nietzsche entwarf ein genaues Bild zukünftiger großer Gesellschaftskrisen der bürgerlichen Gesellschaft, der zukünftigen Menschheit. Er charakterisierte die treibenden Kräfte und skizzierte mögliche Auswege. Philosophisches Denken wird ihm zu einem unendlichen Selbsterkenntnisprozess des Menschen zwischen wilder Urtümlichkeit und den geistigen Mächten, die ihn zu einer übermenschlichen Disposition zwingen. Ziel ist somit die Überwindung des Menschen in Richtung auf den Übermenschen. Der Grundbegriff der Philosophie Nietzsches ist die Nihilismus, d.h. die grundsätzliche Leugnung gültiger Erkenntnisse und allgemein verbindlicher Werte. Dabei hat der Nihilismus zweierlei Denkbarkeiten: „Nihil est“ heißt zunächst, dass sich nichts einfach nur behaupten kann, zu sein - also unendlich zu sein, aber es bedeutet auch: „Nichts ist außer mir“.

[40] Jung unterscheidet auch zwischen extrovertierter/visionärer sowie introvertierter/psychologischer Dichtung und schuf damit die psychologische Klassifikation der Dichtung mit den Werken Über die Beziehungen der analytischen Psychologie zum dichterischen Kunstwerk (1921) und Psychologie und Dichtung (1930). Vgl. Langner 1986, S. 48ff.

[41] Wittschier 1985, S. 164.

[42] Vgl. Hardt 1996, S. 644f.

[43] Waage-Petersen 1985, S. 11f.

[44] Kapp 1994, S. 320.

[45] Waage-Petersen 1985, S. 11f.

[46] Kapp 1994, S. 320, 322; Leeker 1979, S. 5, 104; Pullini 1965, S. 274; Barilli 1964, S. 78ff.

[47] Besonders die Romane La romana und Senilità werden häufig wegen der Ähnlichkeit der Personenkonstellation sowie der Handlung miteinander verglichen.

[48] Hösle 1974, S. XIV.

[49] Thomas 1986, S. 191.

[50] Vgl. Elkann/Moravia 1991.

[51] Leeker 1979, S. 5.

[52] Zitiert nach Onori 2000, S. VI. („Die Gleichgültigen! Es könnte eine historische Überschrift sein”)

[53] Luti, 1964, S. 245. („typische, allgemeingültige/universelle Situation”)

[54] Wirth 1963, S. 12.

[55] Vgl. Hardt 1996, S. 654f und 818f.

[56] Elkann/Moravia 1991, S. 272 und 425.

[57] Stempel 1998, S. 377.

[58] Reichel 1980, S. 67f.

[59] („sexuelle Provokation“)

[60] Leeker 1979, S. 43.

[61] La noia, S. 11. („diese soziale Langeweile“)

[62] La noia, S. 11. („Ich bin im Jahre 1920 geboren, so dass meine Jugend unter der schwarzen Flagge des Faschismus verlief. Dieser aber war ein politisches Regime, das die Unmöglichkeit einer Kommunikation zum System erhoben hatte, sowohl zwischen dem Diktator und den Massen als auch zwischen den Bürgern untereinander und zwischen ihnen und dem Diktator. Die Langeweile, die doch mangelnde Beziehung zu den Dingen ist, lag während des ganzen Faschismus geradezu in der Luft, die man atmete.“)

[63] Elkann/Moravia 1991, S. 151.

[64] Zitiert nach Stempel 1998, S. 405.

[65] L’uomo come fine e altri saggi, S. 22 und 79-83.

[66] Elkann/Moravia 1991, S. 197, 272.

[67] Siehe Fußnote Nr. 39 dieser Arbeit.

[68] Siehe Fußnote Nr. 37 dieser Arbeit

[69] Heidegger spricht, ähnlich wie Moravia, von einer tiefen Langeweile, die nicht von einer bestimmter Situation ausgelöst wird, sondern ein alles bestimmendes Gefühl bedeutet, aus dem es kein Entkommen gibt. Vgl. Heidegger 1983, S. 203ff.

[70] „Die Götter langweilten sich, darum schufen sie den Menschen. Adam langweilte sich, weil er allein war, darum wurde Eva geschaffen. Von diesem Augenblick an kam die Langeweile in die Welt und nahm zu an Größe im selben Maße, wie die Menschenmenge zunahm. Adam langweilte sich allein, dann langweilten sich Adam und Eva gemeinsam, und Kain und Abel en famille, dann nahm die Menschenmenge in der Welt zu, und die Menschen langweilten sich en masse.“ Kierkegaard, S. 149.

[71] Vgl. Fromm, Eberhard 1991.

Final del extracto de 106 páginas

Detalles

Título
Schaffens- und Handlungshemmung der Figuren und ihre erzählerische Vermittlung in ausgewählten Werken Moravias
Universidad
LMU Munich  (Italienische Philologie)
Calificación
2,0
Autor
Año
2004
Páginas
106
No. de catálogo
V89187
ISBN (Ebook)
9783638025980
ISBN (Libro)
9783638921572
Tamaño de fichero
866 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Schaffens-, Handlungshemmung, Figuren, Vermittlung, Werken, Moravias
Citar trabajo
Krisztina J. Kreppel (Autor), 2004, Schaffens- und Handlungshemmung der Figuren und ihre erzählerische Vermittlung in ausgewählten Werken Moravias, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89187

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