Der Klimawandel im "Spiegel" der "Zeit". Eine vergleichende Diskursanalyse der Klimawandel-Berichterstattung der beiden politischen Wochenzeitschriften


Mémoire (de fin d'études), 2008

129 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG

II. THEORETISCHER TEIL
1. Die Wahrheiten über den Klimawandel
1.1 Komplexe Anforderungen an die Politik
1.1.1 Die Botschaften des IPCC
1.2 Die Rolle des Journalismus
1.2.1 Resonanz für Umweltprobleme erzeugen
1.3 Zusammenfassung
2. Wie der Journalismus Wirklichkeit konstruiert
2.1 Der Umweltjournalismus – ereignisorientiert und auf Sensationen fixiert
2.2 „Themenkarriere“ der Ökologie in Deutschland
2.3 Zusammenfassung
3. Der Klimawandel in den Medien
3.1 Merkmale der medialen Bearbeitung
3.2 Skeptische Kommunikation zum Klimawandel
3.2.1 Gründe für die skeptische Kommunikation
3.2.2 Balance as bias – das Versagen der US-Medien
3.2.3 Lobby-Einflüsse in Deutschland
3.3 Anmerkungen zur sozialwissenschaftlichen Forschung
3.4 Zusammenfassung
4. Selektionskriterien der Medien
4.1 Bedeutung der Redaktion für die Themenauswahl
4.2 Agenda-Setting: Wer setzt die Themen?
4.2.2 Agenda-Building
4.2.3 Intermedia-Agenda-Setting
4.3 Zusammenfassung
5. SPIEGEL und ZEIT im Vergleich
5.1 Besondere Funktion der politischen Wochenzeitschriften
5.2 Eigenschaften von Leitmedien
5.2.1 Wertschätzung durch andere Journalisten
5.2.2 Reichweite
5.2.3 Struktur der Rezipienten
5.2.4 Zitierhäufigkeit
5.2.5 Publizistische Intention und Qualitätsbegriff
5.3. Zusammenfassung
5.4 Bedeutung des Themas Klimawandel
5.4.1 Der SPIEGEL: Wandel unter Aust
5.4.2 Die ZEIT: Sympathie für Bürgerinitiativen und kontroverse Debatten
5.4.3 Zusammenfassung

III. EMPIRISCHER TEIL
6. Untersuchungsdesign
6.1 Analyse des Deutungswandels
6.1.1 Aufteilung in Themenkategorien
6.1.2 Aufteilung in Phasen
6.1.3 Zusammenfassung
6.2 Auswahl des Untersuchungsmaterials
6.3 Analysekonzept und Kategoriensystem
6.4 Analyse der Qualität der Berichterstattung
7. Hypothese und Forschungsfragen
7.1 Hypothese zum Deutungswandel
7.2 Forschungsfragen zur Qualität der Berichterstattung
8. Ergebnisse der Verlaufsanalyse
8.1 Beschreibung und Interpretation der ersten Phase (Ausgaben 45/06 – 10/07)
8.2 Beschreibung und Interpretation der zweiten Phase (Ausgaben 11/07 – 22/07)
8.2.1 Der „Klima-Hysterie“-Titel und seine Folgen
8.3 Beschreibung und Interpretation der dritten Phase (Ausgaben 23/07 – 35/07)
8.4 Phasenvergleich Bewertung Klimawandel – Klimapolitik
8.5 Fazit der Verlaufsanalyse
9. Ergebnisse der quantitativen Inhaltsanalyse
9.1. Formale Faktoren
9.1.1 Ressorts
9.1.2 Journalistische Darstellungsformen
9.1.3 Autoren
9.1.4 Fazit
9.2 Erstes Qualitätskriterium: Vielfalt der Quellen
9.2.1. Fazit
9.3 Zweites Qualitätskriterium: Angebot an meinungsbildungs-relevantem Wissen
9.3.1 Fazit
9.4 Drittes Qualitätskriterium: Darstellung der gesellschaftlichen Entscheidungsprobleme
9.4.1 Fazit
10. Schlussbetrachtung

IV. ANHANG

Literaturliste

Codierbuch

Materialbasis

Verzeichnis der Schaubilder

Schaubild 8 – 1: Aufmerksamkeitsverlauf „Klimawandel“, kumuliert

Schaubild 8 - 2: Aufmerksamkeitsverläufe „Klimawandel“

Schaubild 8 - 3: Aufmerksamkeitsverläufe „Lebenswandel“

Schaubild 8 - 4: Aufmerksamkeitsverläufe „Klimawissenschaft“

Schaubild 8 - 5: tendenzielle Darstellung KW und KP im Vergleic

Schaubild 8 - 6: tendenzielle Darstellung KW und KP verknüpft

Schaubild 9 - 1: Intensität der Berichterstattung Themenfeld Wissenschaft

Schaubild 9 - 2: Intensität der Berichterstattung Themenfeld Energie

Schaubild 9 - 3: Intensität der Berichterstattung Themenfeld Lebenswandel

Schaubild 9 - 4: Intensität der Berichterstattung Themenfeld Politik

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 5 - 1: Innerjournalistische Orientierungsmedien

Tabelle 8 - 2: Bewertungsschema tendenzielle Darstellung KW und K

Tabelle 9 - 1: Artikel, sortiert nach Ressorts

Tabelle 9 - 2: Artikel, sortiert nach journalistischern Darstellungsformen

Tabellen 9 – 3 und 9 - 4: Autoren mit den meisten Artikel

Tabelle 9 – 5 Quellen der Berichterstattun

Tabelle 9 - 6: wissenschaftliche Quellen

Tabelle 9 - 7: Interviewpartner und portraitierte Persone

Tabelle 9 - 8: Auslandsberichte

I. EINLEITUNG

Der Klimawandel bewegte die Öffentlichkeit im Jahr 2007 wie kaum ein anderes Thema. Der Weltklimarat IPCC veröffentlichte in drei Etappen im Februar, April und Mai seinen vierten Sachstandsbericht. Die Berichte erhielten so viel Medienaufmerksamkeit wie nie zuvor (vgl. Engels, Weingart, Pansegrau, 2007). Al Gore trug das Thema mit dem Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ in neue Bevölkerungsschichten und mit den „Live Earth“-Konzerten auch in die Popkultur hinein. Er erhielt dafür den Oscar und den Friedensnobelpreis. Parallel zum Bedeutungszuwachs auf der medialen Agenda schob sich das Thema auch auf der politischen Agenda ganz nach vorn. Die „Klima-Kanzlerin“ Angela Merkel handelte im März auf EU-Ebene bindende Klimaschutz-Ziele aus, auf dem G8-Gipfel im Mai kam es zum mediengerecht inszenierten „Showdown“ mit George W. Bush und im August wurde ein nationales Klimaschutzprogramm beschlossen.

Auch die Wirtschaft kam am neu erwachten Umweltbewusstsein nicht vorbei: Unternehmen aus allen Branchen zeigten sich in ganzseitigen Anzeigen betont umweltfreundlich. Andererseits warfen einige von ihnen ihren ganzen Lobby-Einfluss in die Waagschale, um sich gegen die Schmälerung ihrer Profitrate durch bindende CO2-Grenzwerte (Automobilindustrie), eine Verschärfung des Emissionshandels (Energieversorger und energieintensive Industrie) oder dessen Ausweitung (Airlines) und eine Steigerung der Energieeffizienz (Energieversorger) zur Wehr zu setzen.

Wie groß die Wirkung der geballten Medienaufmerksamkeit ausfiel, zeigte sich im Dezember, während der Weltklimakonferenz auf Bali. Das ZDF-Politbarometer ermittelte, dass 83 Prozent der Deutschen im Klimawandel ein großes oder sehr großes Problem sehen. Dies sind scheinbar nicht nur reine Lippenbekenntnisse, denn auch im persönlichen Konsumverhalten scheint ein Umdenken eingesetzt zu haben. Allein Deutschlands größter Ökostromanbieter Lichtblick verzeichnete 180.000 Neukunden, fünfmal so viele wie im Jahr zuvor, während der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe darüber klagte, wegen der Klima-Diskussion seien im Laufe des Jahres schätzungsweise 100.000 Autos weniger verkauft worden als erwartet.

Kein Wunder also, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff „Klimakatastrophe“ zum Wort des Jahres kürte. Dass nicht das Wort „Klimawandel“ ausgewählt wurde, verweist darauf, wie sehr die Medien die Klimawandel-Diskussion geprägt haben. Denn der Begriff „Klimakatastrophe“ ist Sinnbild dafür, wie die Erkenntnisse der Klimaforscher durch das Mediensystem nach eigenen Regeln transferiert und mit Bedeutung aufgeladen wurden.

Zwar verlief die durch die IPCC-Berichte ausgelöste Diskussion im Vergleich zu früheren Hochphasen der Berichterstattung wesentlich lösungsorientierter und pragmatischer (vgl. Lublinski, 2007a), besonders in der Anfangsphase des Aufmerksamkeitszyklus kam es jedoch auch zu Übertreibungen und Dramatisierungen („Unser Planet stirbt“, BILD). Auf der anderen Seite wurden die Auswirkungen des Klimawandels von einigen Medien verharmlost, die menschliche Verursachung trotz des eindeutigen wissenschaftlichen Konsenses als scheinbare „Klimalüge“ (Cicero -Titel) oder „Klimaschwindel“ (Dokumentation auf RTL) entlarvt.

Ein besonders denkwürdiges Beispiel für diese „gefühlte“ Polarisierung lieferte der SPIEGEL, der noch im November 2006 auf dem Titel eindringlich vor dem „Weltuntergang“ warnte, um sechs Monate später die Kastrophenwarnung lächerlich zu machen und auf dem Titel eine „Klima-Hysterie“ zu brandmarken (vgl. Engels, 2007).

Die problematischen Folgen: Da die Medien ihre eigene Verantwortung für diese Schemata gerne ausblenden, bedroht die Wechselwirkung von Dramatisierung und Verharmlosung die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Die „skeptische Kommunikation“ bedroht darüber hinaus die Legitimation politischer Maßnahmen. Zudem erfährt die öffentliche Debatte um den Klimawandel eine Polarisierung, in der auch berechtigte Kritik Gefahr läuft, überhört zu werden. Diese Gefahren werden in der Wissenschaft sehr ernst genommen: Das Magazin der Wissenschafts-Pressekonferenz widmete dem Thema seine gesamte Herbst-Ausgabe. Auch auf der Jahrestagung des medienkritischen Vereins „netzwerk recherche“ wurde in einem Panel über die mediale Darstellung des Klimawandels diskutiert.

Hier wie dort begründeten Sozialwissenschaftler die Existenz der oben beschriebenen Schemata mit einer medienimmanenten Dynamik. Zunächst verstärken die Medien die Warnungen der Wissenschaftler, nach einiger Zeit nutzen diese sich jedoch ab; in der Öffentlichkeit treten Sättigungseffekte auf. Es kommt zu einer Resonanzspirale, in der die „skeptische Kommunikation als Nachricht attraktiv“ wird (Lehmkuhl, 2007). Manche Medien nutzen dies, um „Profilierungschancen im Wettbewerb“ wahrzunehmen (Hornschuh, 2007).

Diese Deutung greift meines Erachtens jedoch zu kurz. Zum einen vernachlässigt sie die Tatsache, dass sich die Medien hinsichtlich ihrer Programme der Informations­verarbeitung voneinander unterscheiden. Und zum anderen blendet der alleinige Verweis auf die medialen Mechanismen aus, dass viele gesellschaftliche Akteure an der Konstruktion der Medienwirklichkeit aktiv beteiligt sind. An der Klima-Diskussion haben sich seit jeher viele Akteure mit einer politischen, wirtschaftlichen oder ideologischen Agenda beteiligt (vgl. UBA, 2007).

Im Klima-Diskurs der Wirtschaft, der in den deutschen sozialwissenschaftlichen Unter­suchungen leider nicht berücksichtigt wurde, lässt sich diesbezüglich ebenfalls ein fest etabliertes Schema ausmachen: Unternehmen, die ein Interesse daran haben, dass die Nutzung fossiler Energien nicht eingeschränkt wird, versuchen, auf die öffentliche Debatte über den Klimawandel massiv Einfluss zu nehmen und scheuen dabei auch nicht vor illegitimen Methoden zurück (s. Kapitel 3.2.1).

In den USA hatte diese Taktik durchschlagenden Erfolg: Die US-Medien wurden unter dem Einfluss der von der Öl- und Kohle-Lobby bezahlten pseudowissenschaftlichen Institute ihrer Kritik- und Kontrollfunktion nicht gerecht und präsentierten ein verzerrtes Bild des wissenschaftlichen Diskurses (vgl. Boykoff/Boykoff, 2003; Oreskes, 2004). Dies ermöglichte es über einem Dutzend bestens finanzierter, industrienaher Organisationen und konservativer Think-Tanks durch intensive Lobbytätigkeit einen maßgeblichen Beitrag zur Wende in der US-Klimapolitik und dem Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll beizutragen (vgl. McRight/Dunlap, 2003).

Diese Betrachtungsweise wirft nun die Frage auf, was ein Qualitätsmedium wie den SPIEGEL dazu bewogen hat, das Deutungsmuster in Bezug auf den Klimawandel so rasch zu wechseln: Die „Profilierungschance im Wettbewerb“ (Hornschuh, 2007), oder

die steigende Sympathie für die ablehnende Haltung der Energieversorger hinsichtlich stringenter Klimapolitik?

Darüber hinaus stellen sich aus einer medienkritischen Betrachtungsweise heraus folgende Fragen: Inwiefern ist das Leitmedium mit seiner Berichterstattung den eigenen Ansprüchen, den Erwartungen der Leserschaft und seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht geworden? Welche Quellen wurden ausgewählt, welche Themen präsentiert? Wie hat das Blatt den gesellschaftlichen Trend der Re-Ökologisierung bewertet und begleitet? Kurz: In welcher Weise hat der SPIEGEL auf die öffentliche Debatte über den Klimawandel Einfluss genommen?

Um diese Fragen untersuchen zu können, möchte ich die Berichterstattung des SPIEGEL mit der Berichterstattung der ZEIT vergleichen, da hier viele Schnittmengen vorliegen: Beide Medien erscheinen wöchentlich, haben den Anspruch, meinungs­bildend zu wirken und gelten in der politischen Ausrichtung als liberal. Die These lautet:

Der SPIEGEL und die ZEIT konstruieren nicht nur bei der Beurteilung des Klimawandels, sondern auch bei der Beurteilung der Lösungsstrategien und der Klimapolitik Deutungsmuster, die sich voneinander unterscheiden. Werden die jeweiligen Deutungsstrukturen dieser Teilbereiche der Berichterstattung in Zusammenhang gebracht, zeigt sich in den verschiedenen Phasen des Aufmerksamkeitszyklus eine stabil bleibende Verknüpfung zwischen der Bewertung des Klimawandels, der Lösungsoptionen und der nationalen Klimapolitik.

Die Ergebnisse dürften vor dem Hintergrund der vorzeitigen Vertragsauflösung des SPIEGEL -Chefredakteurs Stefan Aust Mitte November 2007 von zusätzlichem Interesse sein, begründete doch der Chef der Mitarbeiter KG, Armin Mahler, diesen Schritt wie folgt: „Wir sind der Meinung, dass der SPIEGEL einen Modernisierungsschub braucht. Wir wollen mehr junge Leute an das Blatt binden. Dazu braucht es eine neue, frische Kraft.“ (vgl. Busse, Keil, 2007) Ein erfahrener Redakteur des Magazins bestätigte dem Autor dieser Diplomarbeit gegenüber, dass die interne Debatte um die Modernisierung des SPIEGEL auch mit der Berichterstattung um den Klimawandel in Verbindung steht: „Insgesamt hat der SPIEGEL die Modernisierungsthemen verschlafen, dazu gehören die Bildung, die Frauen- bzw. Familienpolitik, aber natürlich auch die Ökologie. Führend in der Berichterstattung waren wir in keinem der genannten Themenfelder und das hat den Groll der Mitarbeiter KG bzw. beträchtlicher Teile der Redaktion doch wachsen lassen.“

Die Arbeit besteht aus einem theoretischen und einem empirischen Teil.

Im theoretischen Teil wird dargestellt, warum der Klimawandel eine zentrales Zukunftsthema ist, und welche Rolle der Journalismus bei der gesellschaftlichen Problembearbeitung dieses Themas spielt. Anschließend wird beleuchtet, wie die Medien Umweltgefährdungen darstellen. Im dritten Kapitel wird die „Themenkarriere“ des Klimawandels in Deutschland nachgezeichnet, anschließend auf die aktuelle Debatte und im Besonderen auf das Schema der skeptischen Kommunikation Bezug genommen. Im vierten Kapitel wird anhand kommunikationswissenschaftlicher Studien erarbeitet, welche Rolle die Leitmedien im Mediensystem spielen, und wie sie ihre Themen selektieren. Anschließend werden die beiden untersuchten Medien miteinander verglichen.

Im empirischen Teil wird zunächst die Entwicklung des Untersuchungsdesigns und des Kategoriensystems dargestellt. Die Untersuchung wird in eine Verlaufsanalyse und eine quantitative Inhaltsanalyse gegliedert. Auf der Basis der Qualitätsziele der beiden Medien werden Forschungsfragen zur Beurteilung der Qualität der Berichterstattung entwickelt.

Im achten und neunten Kapitel werden die Ergebnisse dargestellt. Bei der Verlaufsanalyse wird dabei auf eine methodisch erweiterte Diskursanalyse zurückgegriffen, vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse der quantitativen Inhaltsanalyse genutzt, um die weiteren Forschungsfragen zu beantworten.

II. THEORETISCHER TEIL

1. Die Wahrheiten über den Klimawandel

Wie die Wirklichkeit aussieht, hängt ab von dem, der sie betrachtet. Eine Erkenntnis, die in der interpersonalen Kommunikation allgemein anerkannt ist, deren Bedeutung in Bezug auf die „gesellschaftliche Wirklichkeit“ jedoch oftmals unterschätzt wird.

Dabei wird alles, was wir als Realität bezeichnen, letztlich durch Sprache geformt. (Keller, 1999). Insbesondere bei komplexen Sachverhalten, die sich einer unmittelbaren Erfahrung entziehen, existieren dabei oft eine Vielzahl von Bedeutungszuschreibungen, die miteinander konkurrieren. Sie richten sich danach, welche Beobachterperspektive eingenommen wird und welche Rationalitäten und Geltungsansprüche sich daraus ergeben. Das, was letzten Endes in einer sozialen Gemeinschaft als natürlich, notwendig und rational wahrgenommen wird, muss zuvor erst durch kommunikative und soziale Prozesse herausgebildet werden. Machtwirkungen und die Medien spielen eine große Rolle dabei, welche Deutung der Wirklichkeit zum hegemonialen Diskurs[1] wird (vgl. Foucault, 1982). Das Thema Klimawandel ist ein interessantes Beispiel dafür, wie solche Prozesse der Bedeutungskonstruktion ablaufen. Denn nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen der Politik, der Wirtschaft und der Medien haben ein gutes Stück dazu beigetragen, wie der Klimawandel heute in der Gesellschaft wahrgenommen wird.

Um dies verständlicher zu machen, soll zunächst auf die von Niklas Luhmann (1984) entwickelte Systemtheorie zurückgegriffen werden. Die Gesellschaft hat sich demnach im Laufe der Geschichte in die Teilsysteme Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Religion und Recht ausdifferenziert. Diese „Arbeitsteilung“ ist notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen. Gesteuert werden die Teilsysteme durch Kommunikation. Hervorstechendes Merkmal dabei ist, dass sie Informationen jeweils nach eigenen Regeln verarbeiten und interpretieren (Luhmann 1984, 1986). Jedes Teilsystem verfügt über einen eigenen binären Code, der sich danach richtet, was für eine Aufgabe das Teilsystem für die Gesellschaft übernimmt. Mithilfe dieses Codes filtern die Teilsysteme aus allen verfügbaren Informationen die für sie wichtigen heraus und machen sie bearbeitbar. So interessiert sich die Wissenschaft dafür, ob etwas nachgewiesen werden kann oder nicht, die Wirtschaft, ob es bezahlt werden kann oder nicht, die Politik, ob es mit Machtausübung verbunden ist oder nicht. Die Teilsysteme folgen unterschiedlichen Rationalitäten, Routinen und Handlungs­programmen, oder vereinfachend formuliert: Sie sprechen ganz unterschiedliche Sprachen - und reden daher oftmals aneinander vorbei. Dies ist keine gute Nachricht für jenes System, dass selbst nicht sprachlich kommunzieren kann: das Ökosystem.

„Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag

Krankheiten erzeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen, und die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen; solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen.“

(Luhmann, 1986, S.63).

Welch wichtige Rolle der Journalismus bei der Kommunikation über Umweltgefahren spielt, wird in Kapitel 1.2 näher erläutert. Zunächst ist wichtig, zu betonen, dass drei Teilsysteme ganz besonders gefordert sind, um die Gesellschaft dazu zu befähigen, auf Umweltgefahren zu reagieren. Dies sind die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Politik. Im Falle des Klimawandels heißt das: Die Wissenschaft ist dafür zuständig, das Problem zu identifizieren, Ursachen und Auswirkungen zu erforschen und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Diese Forschung ist bereits seit über drei Jahrzehnten fester Bestandteil der Wissenschaft. Neben der Klimaforschung hat sich die Klimafolgenforschung formiert, sie wird zunehmend durch sozioökonomische Perspektiven ergänzt (vgl. Peters, Heinrichs, 2005).

Die Wirtschaft muss auf diese Erkenntnisse reagieren, indem sie die Energie effizienter nutzt, die Nutzung fossiler Brennstoffe einschränkt und immer stärker auf erneuerbare Energien zurückgreift und diese dafür ausbaut. Zusammen mit der Wissenschaft muss sie zudem die für eine klimafreundlichere Produktionsweise notwendigen Technologien entwickeln und auf breiter Front zum Einsatz bringen. Und die Politik muss Wege finden, wie sie Wissenschaft und Wirtschaft dazu bringen kann, dies zu tun.

1.1 Komplexe Anforderungen an die Politik

In der Theorie hört sich dies recht einfach an. In der Praxis jedoch ist der Klimawandel ein Problem, dass als politisches Problem an Komplexität kaum zu überbieten ist (Engels, 2007). Er stellte die Regierungen weltweit vor die Aufgabe, Prognosen, die mit wissenschaftlicher Unsicherheit behaftet sind, in politische Entscheidungen überführen zu müssen. Dies war für die Politik mit der Gefahr eines Legitimationsverlustes verbunden: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse hätten die Handlungsnotwendigkeit abschwächen oder noch steigern können. Die gefällten Entscheidungen bargen die Gefahr, dass sie im Nachhinein unter diesem Lichte betrachtet entweder als zu weitreichend oder als unzureichend beurteilt worden wären (vgl. Weingart, Engels, Pansegrau, 2002).

Hinzu kommt, dass Wirtschaftswachstum in der Geschichte immer auch mit erhöhtem Einsatz fossiler Brennstoffe und damit auch mit einem Wachstum der Emissionen verbunden war. Beides voneinander zu entkoppeln erfordert große Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz sowie eine Verteuerung fossiler Brennstoffe. Auseinandersetzungen zwischen der Politik und einigen der umsatzstärksten Wirtschaftszweige überhaupt waren und sind die Folge. Zudem wird die Wirkung klimapolitischer Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen erst dann sichtbar, wenn die Politiker, die sie beschließen, schon längst nicht mehr an der Macht sind. Die Belastungen müssen Wirtschaft und Wähler jedoch sofort tragen. Ein großes Problembewusstsein in der Bevölkerung ist daher ebenso unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Klimapolitik wie die Verbindung von Emissionsreduzierungen mit anderen politischen Zielen.

Da es sich beim Klimawandel um ein globales Problem handelt, müssen wirksame politische Lösungen darüber hinaus auf UN-Ebene ausgehandelt werden, wo verschiedenste nationalstaatliche Interessen die Verhandlungen enorm verkomplizieren. Diejenigen Länder, die über viele fossile Brennstoffe verfügen (Saudi-Arabien, USA, Australien, Russland) blockieren hier hartnäckig.

Der Hauptkonflikt bei der Aushandlung darüber, wer welche Belastungen tragen soll, besteht jedoch zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Denn Letztere haben zu den Treibhausgas-Emissionen, die bislang in die Atmosphäre entlassen wurden, lediglich 20 Prozent beigesteuert. Abgesehen davon, dass sie stärker von den Folgen betroffen sein werden, haben sie ihre Industrialisierung zudem zu einem guten Teil noch vor sich. Dennoch müssen auch sie dazu bewegt werden, Emissionsbegrenzungen zu akzeptieren, mithin ein anderes Wirtschaftsmodell zu entwickeln als die Industrieländer.

Dies geht nur über finanzielle Unterstützung, Technologietransfer und die Bereitschaft der Industrieländer, in Vorleistung zu gehen und selbst in den Klimaschutz zu investieren. Die aufstrebenden Riesen Indien und China machen den Industrieländern mit günstigen Produktionsbedingungen, billigen Waren und zunehmend auch geistigem Know-How jedoch schon jetzt Marktanteile und Arbeitsplätze streitig. Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz bilden also einen Zielkonflikt, der nur gelöst werden kann, wenn alle Akteure zu Zugeständnissen bereit sind und sich gleichermaßen beteiligen. Die Blockade der US-Regierung von 2001 bis 2007 (Näheres zu den Hintergründen in Kapitel 1.3) hat deshalb die gesamten Verhandlungen zurückgeworfen. Wird dies alles in Betracht gezogen, verwundert es nicht, dass die bisherigen Bemühungen zum Schutz des Klimas bislang so erfolglos geblieben sind.

1.1.1 Die Botschaften des IPCC

Das große Problem dabei: Der Menschheit läuft die Zeit davon. Dies legt jedenfalls der vierte Sachstandsbericht (AR4) des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) nahe. Aufgabe des „Weltklimarates“ IPCC ist es, in einer umfassenden, objektiven und transparenten Weise das Wissen zum Klimawandel zusammenzufassen, welches in Tausenden in der Fachliteratur verstreuten Studien zu finden ist. Jeder Wissenschaftler kann Studien oder Kommentare einreichen, entscheidend ist allein die fachliche Expertise. Die Berichte werden anschließend einer intensiven, dreistufigen Begutachtung unterworfen, an der Hunderte von Wissenschaftlern beteiligt sind. Dieses Verfahren ist wegen seiner Transparenz und der sorgfältigen Prüfung in der Wissenschaft einzigartig. Daher repräsentieren die IPCC-Berichte den allgemein anerkannten Stand des Wissens der Klimaforschung.

Die Haupt-Botschaften des vierten Berichtes sind:

Die Sicherheit der Hypothese, dass der Mensch schuld an der Klimaerwärmung ist, ist gegenüber dem letzten Bericht von 66 Prozent (wahrscheinlich) auf 90 Prozent (sehr wahrscheinlich) gestiegen. Neue Forschungsergebnisse legen zudem nahe, dass der Klimawandel schneller und heftiger kommt als bislang angenommen. An die heute bereits unvermeidlichen Folgen muss sich die Menschheit daher möglichst gut anpassen. Ziel der politischen Maßnahmen sollte es sein, die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen. Andernfalls drohen schwere, irreversible Schäden am Ökosystem. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Treibhausgas-Emissionen weltweit bis zur Mitte dieses Jahrhunderts um 60 Prozent gegenüber dem heutigen Ausstoß reduziert werden.

Die politischen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, sind gewaltig. Schließlich stiegen die globalen Treibhausgas-Emissionen trotz einer Reihe von politischen Maßnahmen zwischen 1990 und 2004 um 24 Prozent.

Erschwert wird die Aufgabe dadurch, dass die Weltbevölkerung nach dem mittleren Zukunftsszenario der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2050 von 6,5 Milliarden auf rund 9 Milliarden Menschen anwachsen wird. Zudem wird durch den Boom der Schwellenländer Indien und China die Nachfrage nach Energie weiter wachsen. Das Business-as-usual-Szenario der Internationalen Energie-Agentur (IEA) geht daher davon aus, dass der Energiebedarf bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2004 um weitere 53 Prozent zunehmen wird (WBGU, 2007).

Um auf einen nachhaltigen Wachstumspfad einzuschwenken und irreversible Schäden am Ökosystem und damit auch kriegerische Konflikte zu vermeiden, sind daher umfangreiche, politisch gesteuerte Maßnahmen notwendig. Die Autoren heben besonders die Bereiche Energieeffizienzsteigerung, erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung, Wechsel von Kohle zu Gas, Gebäudedämmung und die Bewahrung des Waldbestandes hervor. Die Umsetzung dieser und weiterer Maßnahmen entspräche mittelfristig makroökonomischen Investitionen in Höhe von ein bis drei Prozent des globalen Bruttosozialproduktes (BSP). Auch wenn damit Folgekosten in Höhe von fünf bis zwanzig Prozent des weltweiten BSP vermieden werden können (vgl. Stern, 2006), sind für das Erreichen dieses Ziels eine ganze Reihe von Widerständen zu überwinden.

Dies mag die schiere Höhe der nötigen Investitionen verdeutlichen: Ein bis drei Prozent des Brutoinlandproduktes entsprächen in Deutschland (Stand: 2006) jährlichen Investitionen in Höhe von 23,22 bis 69,66 Milliarden Euro.

1.2 Die Rolle des Journalismus

Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, dass der Klimawandel eine enorme Herausforderung für die Teilsysteme Politik und Wirtschaft darstellt. Der Journalismus spielt eine entscheidende Rolle dabei, ob diese Herausforderung bewältigt werden kann oder nicht.

Aus systemtheoretischer Sicht kann er nämlich ebenfalls als ein eigenständiges, funktional ausdifferenziertes Funktionssystem verstanden werden (vgl. Blöbaum, 1994). Seine Aufgabe ist es, die Komplexität von Informationen zu reduzieren. Die Funktionsbeschreibung ist dementsprechend die „aktuelle Selektion und Vermittlung von Informationen zur öffentlichen Kommunikation“ (Blöbaum, 1994, S. 261). Der Journalismus ermöglicht dadurch eine Selbst-Beobachtung der Gesellschaft und eine Verständigung der Teilsysteme untereinander.

1.2.1 Resonanz für Umweltprobleme erzeugen

Damit ermöglicht der Journalismus auch eine Bearbeitung der Umweltphänomene, denn diese werden in der Gesellschaft erst dann zu -problemen „wenn die in der Wissenschaft gewonnenen Daten sich in der Gesellschaft als resonanzfähig erweisen“ (de Haan 1995, 17). Diese Resonanz in der Gesellschaft wird in vielen Fällen erst dadurch erzeugt, dass die Medien über Umweltprobleme berichten. Denn neben der realen Erfahrungswelt wird unser Lebensraum als soziale Wesen zunehmend von der virtuellen Erfahrungswelt der Massenmedien geprägt. Angesichts des durchschnittlichen Medienkonsums in Deutschland von inzwischen täglich 8 Stunden und 22 Minuten (van Eimeren & Ridder, 2001, S. 547) erhält die durch die Medien erzeugte „symbolische Umwelt“ (vgl. Bandura, 1994) eine enorme Bedeutung.

Die Medien haben dabei einen umso größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung, je stärker bei einem Thema die allgemeine Einschätzung des Problems und die persönlichen Erlebnisse auseinanderfallen (vgl. Schulz, 1997). Solche Themen werden auch als „unobtrusive issues“ bezeichnet. Die Umweltproblematik zählt eher hierzu. Ader (1995, S. 309) konnte zeigen: Wie hoch die US-amerikanische Bevölkerung die Wichtig­keit der Umweltproblematik bewertete, hing stärker von der Berichterstattungshäufigkeit der Medien ab als von der Entwicklung der realen Umweltverschmutzung (vgl. Berens, 2001, S. 50). Beim Klimawandel liegt eine solch hohe Medienwirkung ebenfalls nahe. Eine warme Witterung, Naturkatastrophen und bereits eingetretene Schäden am Ökosystem bilden zwar konkret erfahrbare Berichterstattungsanlässe, mit dem das Thema verknüpft werden kann. Das Wissen darüber, dass künftig weit schlimmere Auswirkungen bevorstehen, über den hohen Handlungsdruck und über die verschiedenen Lösungsoptionen werden bei Menschen, die nicht mehr zur Schule gehen, jedoch in erster Linie über die Medien vermittelt. Rezeptionsstudien haben dies bestätigt: „Meinungen und Einstellungen zum Klimawandel sind weitgehend das Ergebnis von kognitiven und affektiven Reaktionen auf entsprechende Inhalte in den Massenmedien.“ (vgl. Peters, Heinrichs, 2005, S. 4). Dass die Intensität der Berichterstattung in Relation zur Ausprägung des Problembewusstseins steht, legen die Ergebnisse der Agenda-Setting-Forschung nahe (s. Kapitel 2.3).

Der Journalismus ist bei der Vermittlung von Umweltproblemen zudem zunehmend wichtiger geworden. Dies resultiert aus dem Umstand, dass er seine Leistungsfähigkeit erhöhte, indem er sich als Reaktion auf die Ausdifferenzierung der Gesellschaft selbst weiter ausdifferenziert hat. Im ersten Schritt erfolgte hier analog zur zunehmenden Arbeitsteilung in der Gesellschaft die Ausdifferenzierung in entsprechende Ressorts (z. B. Politik, Wirtschaft, Wissen). Im zweiten Schritt erhöhte sich auch die Zahl der Special-Interest und Very-Special-Interest-Publikationen. Dies zeigt: Der Journalismus ist bestrebt, seine Zielgruppen immer passgenauer anzusprechen und zu informieren. Wie in Kapitel 3 noch genauer gezeigt wird, erhöht er somit auch die Resonanzfähigkeit der gesamten Gesellschaft für das Problem des Klimawandels.

1.2.2 Öffentlichkeit und Zugang zur Politik herstellen

Darüber hinaus erfüllt der Journalismus noch eine zweite wichtige Funktion. Dadurch, dass die Medien eine enorme Reichweite besitzen und die Informationen in einer allgemein verständlichen Sprache aufbereitet werden, schafft der Journalismus ein öffentliches Feld, dass potenziell für alle gesellschaftlichen Akteure offen steht. Über die Erzeugung medialer Aufmerksamkeit können sie ihre Interessen artikulieren und an öffentlichen Diskussionen teilnehmen. Die Medienöffentlichkeit ist dabei dadurch geprägt, dass die Massenmedien zwischen Sprechern und Zuhören vermitteln (vgl. Gerhards, Neidhardt, 1990).

Aufgrund der gestiegenen Bedeutung der Medien ist die Bedeutung von Medienkommunikation auch in Bezug auf politische Entscheidungsprozesse inzwischen sehr hoch. Dies ist in zahlreichen konzeptuellen und empirischen Analysen reflektiert worden. Demnach verhandeln politische und subpolitische Akteure viele lösungs­bedürftige Themen in der öffentlichen Arena der Medien, welche die Konstruktions­bedingungen dafür vorgeben. Besonders bei der Problemartikulation und Problemdefinition ist der mediale Einfluss groß, bei der Programmentwicklung, -implementation und -evaluation wird er dagegen geringer (vgl. Heinrichs, Petersen, 2006a).

1.3 Zusammenfassung

In Bezug darauf, wie die Gesellschaft auf den Klimawandel reagiert, erfüllt der Journalismus damit zwei wichtige Funktionen. Durch seine Berichterstattung bietet er die Voraussetzung,

- dass die Medienrezipienten Meinungen und Einstellungen zum Klimawandel entwickeln und anschließend durch ihre Rolle als Wähler, Konsumenten oder Unterstützer von Umweltschutzorganisationen entsprechende Reaktionen der Politik und der Wirtschaft hervorrufen und
- dass potenziell alle relevanten Akteure, die zu dem Thema Wichtiges zu sagen haben, in einer öffentlichen „Arena“ der Massenmedien politische Maßnahmen zur Lösung des Klimaproblems einfordern und darüber verhandeln können.

Für diese öffentliche Debatte bietet die Medienberichterstattung wiederum den problembezogenen Hintergrund. Alle Akteure, die sich an der Debatte beteiligen, müssen auf die in den Medien dargestellten Positionen und Probleme reagieren. Welche politischen Lösungen schließlich zustande kommen, hängt daher auch damit zusammen, welche Deutungsrahmen im Verlauf eines Diskurses eine gesellschaftliche und politische Mehrheit finden (vgl. Berens, 2001). Aus diesem Grund versuchen manche am Diskurs beteiligten Akteure, die mediale Berichterstattung und damit den Hintergrund, vor dem diskutiert wird, in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Daher ist es sehr wichtig, dass der Journalismus bei der Bearbeitung der Informationen, die den Klimawandel betreffen, sorgfältig vorgeht, über fachliche Kompetenz verfügt und seine Quellen einer kritischen Prüfung unterzieht.

Ist dies nicht der Fall, kann es entscheidend dazu beitragen, dass politische Maßnahmen blockiert werden, was sich im Falle des Klimawandels schon in der Vergangenheit negativ auf den gesamten weltweiten Verhandlungsprozess ausgewirkt hat. Dies soll in Kapitel 3.2 näher erläutert werden. Zunächst soll jedoch geklärt werden, wie die Medien die Wirklichkeit, Umweltprobleme und im Speziellen den Klimawandel darstellen und welche Faktoren dies erklären können.

2. Wie der Journalismus Wirklichkeit konstruiert

Journalismus bildet die Wirklichkeit nicht einfach ab. Vielmehr bearbeitet, vereinfacht und reduziert er die Universalität und Komplexität der Welt (vgl. Luhmann, 1996). Er bietet dadurch Orientierung und bildet gleichzeitig einen Bezugsrahmen, mit dessen Hilfe sich die Rezipienten besser in der Welt zurechtfinden können. Die so konstruierte Medienwirklichkeit weicht jedoch ein gutes Stück von der „realen“ Wirklichkeit ab. Schulz (1989, S. 135-139) fasst die einschlägigen Studien wie folgt zusammen:

„Die Medien berichten ungenau und verzerrt, sie bieten manchmal eine ausgesprochen tendenziöse und ideologisch eingefärbte Weltsicht. Die in den Medien dargebotene Wirklichkeit (...) lässt nur bedingt Rückschlüsse zu auf die physikalischen Eigenschaften der Welt, die Strukturen der Gesellschaft, den Ablauf von Ereignissen, die Verteilung der öffentlichen Meinung.“

2.1 Der Umweltjournalismus – ereignisorientiert und auf Sensationen fixiert

Auch die Berichterstattung über ökologische Themen wird in der Forschung teilweise heftig kritisiert. Sie sei fast nahezu ausschließlich ereignisorientiert, wenig hintergründig, auf Sensationen, Unglücksfälle und Negativismus fixiert (vgl. Krämer 1986, Braun, 2003). Komplexe Zusammenhänge würden auf wenige eingängige Bilder und Symbole reduziert, die Bewertung werde wenig differenzierten Weltordnungs-Schemata angepasst (vgl. Meier, 1993). Langsam ablaufende Veränderungsprozesse würden nur bedingt wahrgenommen (vgl. Schanne, 1996), die Medien stiegen zudem selten bei der Entstehung potenzieller Umweltgefahren ein, sondern berichteten oft erst, wenn es schon zu spät sei. Zudem dominiere in der Berichterstattung die Sichtweise der politisch-institutionellen Akteure (vgl. Dernbach 1998 und 2000).

Woran liegt es, dass die Medien die Wirklichkeit und mit ihr viele Umweltprobleme nicht angemessen darstellen? Und wenn sie es nur so verzerrt tun – was für Auswirkungen hat das auf die Art und Weise, wie die Gesellschaft auf Umweltgefährdungen reagiert?

Zunächst einmal müssen die Erwartungen an den Journalismus ein Stück weit relativiert werden. Schließlich stehen ihm die Ressourcen Raum, Zeit und Geld nur eingeschränkt zur Verfügung. Er ist in weiten Teilen auf Aktualität und Schnelligkeit angewiesen. Insbesondere tagesaktuell arbeitende Medien müssen sich daher auf Ereignisse beziehen und können den oftmals prozessorientierten Umweltproblemen wenig Platz einräumen. Zudem sind die Medien, die sich an ein breites Publikum richten, dazu gezwungen, Komplexität ein Stück weit zu reduzieren, um Verständlichkeit herzustellen. Allzu komplexe Zusammenhänge bergen die Gefahr, die Rezipienten zu überfordern.

Hinzu kommt, das kommerzielle Medienunternehmen darauf ausgelegt sind, Profit zu erzielen. Ihre Produktionsbedingungen und -strukturen sind daher an medienwirt­schaftlichen Strukturen ausgerichtet. Normative Ansprüche wie die vollständige Unterrichtung der Öffentlichkeit sowie Kritik und Kontrolle kollidieren dabei manchmal mit der Boulevardisierung auch seriöser Medien (vgl. Dernbach, 2005). Zudem kann es mit einem publizistischen Risiko verbunden sein, ein neues Thema aufzugreifen, insbesondere, wenn die Redaktion nicht einschätzen kann, wie das Thema bei den Rezipienten ankommt. Dies bestätigen Studien zur journalistischen Thematisierungs­funktion: Der Journalismus blickt generell mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft. Redaktionen seien bezüglich Neu-Thematisierungen oft zurückhaltend, isolierte Einzelereignisse würden selten thematisch miteinander verknüpft. „Kritisch in Frage gestellt wird hier zu Recht, dass Journalismus neue Themen kreiert.“ (Dernbach, 2005) Damit ein Thema langfristig etabliert werden kann, sieht Peters (1991) daher eine Vielzahl zeitlich aufeinander folgender, potenzieller Anlässe als konstitutiv an. (vgl. auch Hribal, 1999. S.122). Ein Nischenthema könne zwar auch publiziert werden, aber nur, wenn es unter dem Mentoring eines interessierten Journalisten stehe (vgl. Peters, 2003).

2.2 „Themenkarriere“ der Ökologie in Deutschland

Nichtsdestotrotz haben die deutschen Medien auch unter Berücksichtigung dieser Grundvoraussetzungen nur sehr zögerlich und langsamer als beispielsweise die amerikanischen Medien auf das Thema Ökologie reagiert.

Bis Mitte der Achtzigerjahre fehlten für die Berichterstattung über Umweltgefahren die notwendigen Strukturen und das Fachwissen. Dabei hatten Teile der Bevölkerung schon ein Jahrzehnt zuvor die Wichtigkeit der Bewahrung der Umwelt erkannt. Dies artikulierte sich beim Bau der ersten Atomkraftwerke, als es zu massiven Protesten und Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Trotz der Warnungen einiger Wissenschaftler hatten die Medien zuvor kaum über die Gefahren dieser neuen Energieform berichtet. Thorbrietz (1986) machte dafür die restriktive Informationspolitik der Energiewirtschaft und deren starke Lobby in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verantwortlich. Dieser Einfluss wurde über Länder- und Parteien­vertreter in den Gremien geltend gemacht. Nach einer preisgekrönten Reportage über die Besetzung einer AKW-Baustelle in Wyhl setzte beispielsweise der baden-württembergische Ministerpräsident Karl-Heinz Filbinger sich für eine Art Gleichschaltung der föderal strukturierten ARD ein. „Problemfälle“ sollten nur mit Zustimmung von mindestens zwei Drittel aller Intendanten über den Sender gehen (vgl. Thorbrietz, 2006).

Aus Frust über die „Sendepause“ bei vielen Medien im Hinblick auf ökologische Themen entstand in der Folge eine „Gegenöffentlichkeit“: In kleinen Verlagen wurde eine Flut von Sachbüchern produziert, mit freien Radios illegal zum Teil aus Bäumen gesendet. Unterstützt von wissenschaftlichen Studien und Prognosen, die die globale Dimension der Umweltzerstörung aufzeigten, bekamen ökologische Themen dadurch langsam öfter Zugang zu den Medien. Begünstigt wurde dies dadurch, dass sich „alternative“ Wissenschaftler mit ihren Analysen immer häufiger direkt an die Öffentlichkeit wandten (Thorbrietz, 2006). „Karriere“ machte das Umweltthema jedoch erst, als durch Störfalle und Katastrophen (Harrisburg, Tschernobyl, Bhopal) die großen Gefahren direkt sicht- und fühlbar wurden. Aber auch noch bei der Tschernobyl-Katastrophe zeigte sich, dass es im Journalismus an etablierten Informationswegen und Fachwissen fehlte (vgl. Dernbach, 2005). Kurz darauf wurde das Bundesministerium für Umwelt gegründet, das Thema somit auch politisch institutionalisiert. Nun stellte sich der Journalismus endgültig vermehrt auf die Thematisierung von Umweltrisiken ein.

2.3 Zusammenfassung

Ein Umweltproblem muss mehrere Kriterien erfüllen, damit es von den Medien umfangreich thematisiert wird. Es muss einen konkreten Berichterstattungsanlass bieten und dieser Anlass muss hinreichend viele Nachrichtenfaktoren (s. Kapitel 4) erfüllen. Wird das Thema in den Medien dargestellt, beschränkt sich die Darstellung zunächst meist auf wenige eingängige Fakten und Symbole. Hintergründe werden selten beleuchtet, komplexe Ursachen verkürzt darstellt. Die Darstellung von negativen Folgen überwiegt. Diese werden zum Teil dramatisiert. Das Thema wird zudem in vorhandene Weltordnungsschemata eingefügt, um Anschlussfähigkeit beim Publikum sicher­zustellen.

Wenn eine politische Diskussion entstehen soll, so legen Lang/Lang (1981) (s. Kapitel 4.2.2) nahe, muss das Interesse der Öffentlichkeit auf einen oder mehrere bestimmte Aspekte des Themas gelenkt werden. Diese Aspekte müssen mit Symbolen politischer Kultur verknüpft werden. Die Sprecher, die anschließend themenbezogene Meinungen und Interessen vertreten, müssen über die Fähigkeit verfügen, publizistische Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dies wird durch Faktoren wie Prominenz, Glaubwürdigkeit und rhetorische Fähigkeiten determiniert. Politisch-institutionelle Akteure haben eine höhere Zugangschance, sich zu dem Thema zu äußern.

Soll das Thema langfristig in den Medien etabliert werden, muss es zudem eine Vielzahl zeitlich aufeinander folgender, potenzieller Anlässe geben. Wenn sich Promotoren dieses Themas annehmen, etwa engagierte Wissenschaftler oder Umweltschutz­verbände, verstärkt dies die Chancen auf Berichterstattung.

Im folgenden Kapitel soll überprüft werden, ob sich die hier formulierten Erwartungen auch in den Forschungsergebnissen zur medialen Darstellung des Klimawandels in Deutschland widerspiegeln.

3. Der Klimawandel in den Medien

Die Themenkarriere des Klimawandels in Deutschland ist eng damit verknüpft, das Klimawissenschaftler als öffentliche Protagonisten des Themas in Erscheinung traten. Zahlreiche Inhaltsanalysen zeigen, dass der Stellenwert der wissenschaftlichen Quellen bei der medialen Darstellung des Klimawandels ungewöhnlich hoch ist (z.B. Wilkins 1993; Bell 1994; Trumbo 1996; Henderson-Sellers 1998; McComas/Shanahan 1999; Weingart/Engels/ Pansegrau 2002).

„Die öffentliche Thematisierung von Klimawandel als möglicher Bedrohung ging in

Deutschland eindeutig von der Wissenschaft aus und wurde erst mit Verzögerung

von den Massenmedien und den Umweltverbänden übernommen. Auch die Politisierung

des Themas muss in diesem Fall der Wissenschaft zugeschrieben werden.“

(Engels & Weingarten 1997, S. 92)

Dies lässt sich damit erklären, dass der anthropogene (menschliche) Einfluss auf das Weltklima in der Forschergemeinschaft bereits seit Mitte der Siebzigerjahre breit diskutiert wurde. Bis 1985 bekam diese These in der Wissenschaft immer mehr Anhänger, es fand eine „Anthropogenisierung des Forschungsgegenstands“ (Weingart, Engels, Pansegrau; 2002, S. 34) statt. Die Schlussfolgerung, dass das Problem politisch reguliert werden müsse, brachte Wissenschaftler immer wieder dazu, direkten Kontakt zu Politikern zu suchen. Die Versuche, das Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen, schlugen jedoch fehl.

Dies gelang erst, als der Arbeitskreis Energie (AKE) der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) 1986 mit einer „Warnung vor der drohenden Klimakatastrophe“ an die Öffentlichkeit trat. Die Autoren waren selbst keine Klimawissenschaftler, sondern Energieexperten aus Forschung und Industrie. Sie bedienten sich, gemessen am damaligen Forschungsstand, übertriebener Szenarien und verbanden dies mit der politischen Forderung eines langfristigen Ausbaus der Atomenergie. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet die Energieversorger, die später die politische Regulierung des Klimawandels immer wieder bekämpfen und die deutschen Regierungen unter Druck setzen sollten, dazu beitrugen, das Thema auf die öffentliche Agenda zu setzen.

Den entscheidenden Beitrag für das Agenda-Setting lieferten allerdings die Medien. Denn der Aufruf selbst blieb in der Politik zunächst ohne Resonanz - bis der SPIEGEL, damals das unangefochtene Leitmedium, im August 1986 eine Titelgeschichte veröffentlichte, in der die Warnungen der DPG samt der übertriebenen Darstellungen aufgegriffen wurden. Auf dem Cover versank der Kölner Dom bis zum Horizont im Meer, darunter prangte groß der Begriff „Klimakatastrophe“. Das Titelbild wurde, wie der SPIEGEL nicht ohne Stolz in den Hausmitteilungen des „Achtung, Weltuntergang!“-Titels (Ausgabe 45/06) verkündete, zur „Ikone einer leidenschaftlich geführten Klimadebatte“.

Tatsächlich folgte eine breite öffentliche Diskussion. Die Politik reagierte und setzte eine Enquete-Kommission ein, die sehr einflussreich bei der Herausbildung einer nationalen Klimapolitik war (vgl. Ganseforth, 1996). Die Forderung nach dem Ausbau der Atomenergie wurde von den meisten Parteien jedoch nicht beachtet, was auch vor dem Hintergrund der Tschernobyl-Katastrophe im selben Jahr zu sehen ist. Übernommen wurde dafür der Begriff der Klimakatastrophe. Er entwickelte in den parlamentarischen Auseinandersetzungen eine Eigendynamik (Weingart, Engels, Pansegrau, 2002, S. 52).

Die Deutsche Meteorologische Gesellschaft antizipierte daraufhin Glaubwürdigkeits­probleme. Sie versuchte ein Jahr später in einem gemeinsamen Aufruf mit der DPG die Warnungen zu relativieren und den Begriff „Klimakatastrophe“ durch „Klimaänderungen“ zu ersetzen. Dies gelang jedoch nicht mehr. Der Begriff prägte die deutsche Berichterstattung seither wie kein anderer. Er wurde zu einem „festen Schema, das die kognitive Einordnung eines Phänomens bei den Rezipienten erleichtert“ (Engels, 2007).

Dass die Atomlobby das Thema Klimawandel für ihre Interessen einzuspannen versuchte – auch dies ein Schema, dass im Jahr 2007 wieder deutlich hervortrat – erklärt vielleicht auch die Skepsis, mit der einige Geistes- und Sozialwissenschaftler dem Thema noch heute trotz der inzwischen eindeutigen Erkenntnislage gegenüberstehen.

3.1 Merkmale der medialen Bearbeitung

Bei der medialen Verarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel fällt eine Besonderheit auf: Neuere Forschunen zeigen, dass die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Journalismus bei diesem Thema von einer starken Co-Orientierung geprägt sind (Peters/Heinrichs, 2005). „Trotz gelegentlicher, meist milder Irritationen (...) zeigen sich die Experten mit ihren Medienkontakten meist relativ zufrieden.“ (ebd., S: 134 ff.) Dies erscheint im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen durchaus ungewöhnlich: Hier kommt es zwischen Wissenschaftlern und Journalisten aufgrund der unterschiedlichen Wertsetzungen und Erwartungshaltungen oftmals zu Spannungen (vgl. Braun, 2003, S. 157).

Erklärbar wird die Co-Orientierung beim Klimawandel durch zwei Faktoren: Einerseits haben Klimawissenschaftler aufgrund der intensiven Berichterstattung häufiger Kontakt mit den Medien und sind daher geübter im Umgang mit Journalisten. Zum anderen zeigen Studien auf, dass viele Klimawissenschaftler ein ungewöhnlich hohes politisches Engagement haben (z.B. Boehmer-Christiansen 1994a, 1994b; Liberatore 1994; Mormont & Dasnoy 1995; van der Sluijs et al. 1998; Weingart 1999; Clark & Dickson 1999; Bray & von Storch 1999). Besonders diese Klimaforscher traten öffentlich sehr viel häufiger in Erscheinung als andere und erlangten als visible scientists eine gewisse Bekanntheit Ihre Bereitschaft, sich auch politisch zu äußern, kam vielen Journalisten entgegen, die oftmals nach einer politischen Einordnung verlangten.

Weitere Kriterien bei der Auswahl der Klimawissenschaftler durch Journalisten sind Funktion bzw. Position, thematische Relevanz für den zentralen Gegenstand des geplanten Beitrags, Kompetenz, Medieneignung (z. B. verständliche Sprache) sowie ein bestehendes Vertrauensverhältnis (vgl. Peters, Heinrichs, 2005, S. 149). Die Nachrichtenfaktoren Personalisierung und Nähe (zur wissenschaftlichen Quelle) und Intermedia-Agenda-Setting-Effekte spielten ebenfalls eine Rolle. Vereinfacht gesagt: Suchen Journalisten, die sich in einem Themengebiet nicht sonderlich gut auskennen, nach geeigneten Experten, orientieren sie sich oft daran, welche Experten bereits in anderen Medien in Erscheinung getreten sind.

Von der Forschung konstatiert wird aus den genannten Gründen, dass die Klimawissenschaftler in den Medien oft als Warner in Erscheinung getreten sind (Rothman 1992; Peters & Sippel 1998). Sie konnten dadurch die Aufmerksamkeit für das Thema erhöhen. Die Medien fungierten als „Resonanzverstärker“, das heißt, sie verstärkten die Warnungen und ebneten Relativierungen ein. Hervorstechendstes Merkmal der medialen Bearbeitung des Klimawandels in Deutschland sei daher die Transformation des „hypothetischen Charakters wissenschaftlicher Prognosen und damit der Unsicherheit des Wissens in Gewissheit“ (Weingart, Engels, Pansegrau, 2002, S. 92) gewesen (entspricht der Erwartung „Reduktion von Komplexität“).

Um das Thema in die medialen Strukturen einzupassen, wurde es oftmals mit prägnanten Ereignissen verknüpft. Diese Ereignisse wurden hauptsächlich von der Wissenschaft (öffentliche Aufrufe, Präsentation der IPCC-Berichte), aber auch von der Politik (besonders wichtig: die Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992) initiiert. Zusätzliche Berichterstattunganlässe lieferten Publikationen, Studien und Demonstrationen von Umweltschutzverbänden.

Eine weitere häufig genutzte Möglichkeit, das Thema mit einem aktuellen Aufhänger zu verbinden, boten extreme Wettersituationen wie ein sehr heißer Sommer. Sie wurden genutzt, um die Klimaänderung bereits in der Gegenwart erfahrbar zu machen (ebd, S. 80 f.). Hier ist es aus normativer Sicht sehr wünschenswert, dass die Medien eine differenzierte Einordnung leisten. Denn durch den Klimawandel erhöht sich zwar die Eintrittswahrscheinlichkeit der Wetterextreme, einzelne Ereignisse können aber nur indirekt mit der anthropogenen Klimaerwärmung in Verbindung gebracht werden. Das Klima ist schließlich die Betrachtung der Wetter-Variablen über einen längeren Zeitraum von mindestens 30 Jahren. Wird dieser Zusammenhang nicht ausreichend dargestellt, droht beim nächsten kalten Winter das Problembewusstsein für die Ursachen des Klimawandels wieder zu verblassen.

Naturkatastrophen boten schließlich, gemessen an den Nachrichtenfaktoren, die durchschlagkräftigste Möglichkeit, den Klimawandel medial zu vermitteln: So können die Oderflut im Sommer 2004 und in noch viel stärkerem Ausmaß die Verwüstung von New Orleans durch den Hurricane Katrina als entscheidende Wegmarken gesehen werden, die das Thema Klimawandel zu einem „Liebling der Medien“ machten. Entsprechend bemüht waren manche Gruppierungen (unter ihnen auch Mitglieder der derzeitigen US-Regierung, s. Kapitel 3.2.2), den Zusammenhang zwischen gestiegener Hurricane-Intensität und der globalen Erwärmung in Zweifel zu ziehen.

Bleibt noch die Frage offen, wie das Thema Klimawandel von den Medien in vorhandene Weltordnungs-Schemata überführt wurde. Wie Petra Pansegrau anhand einer sprachanalytischen Untersuchung der Berichterstattung des SPIEGEL herausfand (Pansegrau, 2000), erfüllten verschiedene metaphorische Szenarien diese Funktion. Das dominierende metaphorische Szenario stellte „Katastrophe und Untergang“ dar, daneben wurden Verbindungen zu den Themen „Krieg und Revolution“ sowie zu „Bibel und Verkündung“ geschaffen. Diese Verknüpfungen mit fundamentalen Menschheits­themen gewähren hohe Aufmerksamkeit und Anschlussfähigkeit beim Publikum auch über längere Zeiträume der Berichterstattung. Sie sind daher für die Medien verführerisch.

Die Rahmung insbesondere durch Religions-Metaphern birgt jedoch ein Risiko: Sie stilisiert den Klimawandel zu einer Glaubensfrage. Abgesehen davon, dass der Glaube in der Wissenschaft keine große Rolle spielt, aktiviert dies bei Teilen des Publikums antiautoritäre Reflexe. „Klimaskeptiker“ nehmen dies zum Anlass, den Wissenschaftlern, die an der Entstehung dieser Rahmungen ja gar nicht beteiligt sind, ideologische Motive zu unterstellen und das Entstehen einer „Klimareligion“ zu brandmarken. In Extremfällen wird das Thema auf diese Weise von wissenschaftlichen Argumenten entkoppelt und in verschwörungstheoretische Gefilde überführt (vgl. Bartsch et. Al, 2007). Näheres hierzu in Kapitel 3.2.

Die Verknüpfung mit Symbolen politischer Kultur als weiteres Merkmal des Agenda-Building (s. Kapitel 4.2.2) spielte schließlich eine große Rolle beim „Durchbruch“ der Klimapolitik im Jahr 2007. Den Umweltpolitikern gelang es, durch die Verknüpfung mit anderen wichtigen politischen Zielen Aufmerksamkeitserfolge und breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erzielen. Als positive Nebeneffekte der Vermeidung von Folgeschäden spielten hierbei besonders die Kostenreduktion durch geringeren Energieverbrauch, Schaffung von Arbeitsplätzen und Exportchancen durch Förderung grüner Wirtschaftszweige sowie zunehmende Unabhängigkeit von endlichen Rohstoffen und Energieimporten eine Rolle.

Zudem wurde das Thema von verschiedenen Promotoren durchaus erfolgreich mit Symbolen der Populär-Kultur verbunden (Adoption des Eisbären Knut durch Sigmar Gabriel, Al Gores Live-Earth-Konzerte). Dies alles hat zum gestiegenen Problem­bewusstsein und der Akzeptanz der Klimaschutzpolitik in der Bevölkerung beigetragen. Wünschenswert wäre zwar, dass die gestiegene Sicherheit und Dringlichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse und sozioökonomische Faktoren der Hauptgrund dafür wären - in einer schnelllebigen Mediengesellschaft, in der eine Vielzahl von Themen um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlt, ist dies bislang jedoch wohl nur in einigen wenigen Milieus der Fall gewesen.

Festzuhalten bleibt, dass die Themenkarriere des Klimawandels in Deutschland insgesamt zu sehr positiven Resultaten für die gesellschaftliche Bearbeitung des Problems geführt hat. Begründet wird dies durch eine enge Kopplung zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien (Weingart, Engels, Pansegrau, 2002, S. 92). Dies führte zu einer wechselseitigen Verstärkung, die das Thema auf der politischen Agenda institutionalisierte und als gesellschaftliches Thema stärker als in den meisten anderen Ländern etablierte. Dies trifft auch auf die Medien selbst zu. Das Thema hat sich als resonanzfähig bewährt, der Journalismus hat sich folglich darauf eingestellt. Die Hürden für die Thematisierung sind niedriger als bei den meisten anderen Umweltthemen.

„Jenseits der Titelstorys hat sich die Klimaberichterstattung in den vergangenen zwei Jahrzehnten fest in allen Ressorts etabliert. Das ist als Entwicklung fast noch wichtiger einzuschätzen als ein alle Jahre wiederkehrender zusätzlicher Aufmerksamkeits-Peak. Denn die unzähligen kleinen Artikel und Erwähnungen tragen dazu bei, dass Klimawandel als Sinnzusammenhang in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein getragen wird. Insgesamt erhöht sich dadurch die Resonanzfähigkeit einer Gesellschaft für ein Problem, das (...) als politisches Problem an Komplexität kaum zu überbieten ist.“

(Engels, 2007)

3.2 Skeptische Kommunikation zum Klimawandel

Dennoch gibt die Mediendebatte des Jahres 2007 auch Anlass für eine kritische Betrachtungsweise. Das erste, altbekannte Schema der „Klimakatastrophe“, führte in der Anfangsphase der Klimawandel-Debatte trotz einer differenzierter wissenschaftlichen Warnstragie, bei der die vorhandene Unsicherheit klar herausgestellt wurde (vgl. Lublinski, 2007a), zu Übertreibungen und Dramatisierungen („Unser Planet stirbt“, BILD). Nach dem Überschreiten der ersten Hochphase der Berichterstattung trat dann das zweite problematische Schema auf den Plan: Das der skeptischen Kommunikation, bei der die Folgen des Klimawandels verharmlost oder die menschliche Verursachung als „Klimalüge“ (Cicero -Titel) oder „Klimaschwindel“ (Dokumentation auf RTL) entlarvt werden sollte. Die Intention dieser Diplomarbeit besteht darin, differenzierte Erklärungen für die Existenz dieses zweiten Schemas zu finden.

Denn diese Form der Berichterstattung hat gegenüber früheren Hochphasen der Berichterstattung deutlich zugenommen. Dies konstatieren Weingart, Engels und Pansegrau (2007) im Vorwort der zweiten Auflage ihrer Untersuchung der Klimawandel-Diskurse in Wissenschaft, Politik und Massenmedien (Zeitraum 1975 – 1995):

„War der Wechsel der Medien zur Klimaskepsis in unserer Untersuchung noch eine, wenngleich ominöse Randerscheinung, so ist sie jetzt zeitgleich mit der zustimmenden Darstellung eine sehr viel sichtbarere Form der Berichterstattung. Inzwischen ist offensichtlich, dass es sich dabei um ein Muster handelt. Je intensiver die Berichterstattung über den anthropogenen Klimawandel, je eindeutiger die Warnungen vor der Katastrophe, desto interessanter werden die von den Medien repräsentierten „skeptischen Positionen“ zum Klimawandel.“

(ebd., S.18)

Als Beispiel für die Parallelität der Schemata führen die Autoren die Berichterstattung des SPIEGEL an, der noch im November 2006 auf dem Titel eindringlich vor dem „Weltuntergang“ warnte, um sechs Monate später ebenso öffentlichkeitswirksam die Katastrophenwarnung lächerlich zu machen und eine „Klima-Hysterie“ zu brandmarken. (vgl. Engels, 2007). Die Sensation des Skandals unterbreche dabei nur kurz „die sorgenvolle Berichterstattung über den Klimawandel. Weitere Angebote der Kontextualisierung fehlten.“ (Hornschuh, 2007) Die deutsche Medienberichterstattung weise diesbezüglich eine „Pfadabhängigkeit auf, der sie nicht so schnell entkommen kann“ (Engels, 2007).

Diese beiden Schemata der Berichterstattung können problematische Folgen haben: Die Dramatisierung des Klimawandels kann Resignation bis hin zum Fatalismus hervorrufen, die Verharmlosung Abwehr gegen klimapolitische Maßnahmen erzeugen und deren Legitimation gefährden. Die Wechselwirkung beider Schemata bedroht letztlich die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Zudem erfährt die öffentliche Debatte um klimawissenschaftliche Erkenntnisse eine Polarisierung, in der auch berechtigte Kritik Gefahr läuft, überhört zu werden.

Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf von Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, einer der Hauptautoren des IPCC-Berichtes, nahm dies zum Anlass, in die öffentliche Debatte einzugreifen. Er veröffentlichte einen „Alles nur Klimahysterie?“ betitelten, umfangreichen Artikel in der Zeitschrift Universitas (Rahmstorf, 2007). Dieser wurde, leicht gekürzt, am 31. August auch in der FAZ veröffentlicht, die dafür eine ganze Seite freiräumte. In dem Stück griff Rahmstorf fehlerhafte Darstellungen zum Klimawandel auf, die ihm in TV-Medien (RTL, ntv sowie dem ARD-Magazin Report München) und in Printmedien (FAZ, Welt, Cicero, brand eins, Focus sowie SPIEGEL) aufgefallen waren und stellte sie richtig. Sein Fazit:

In unseren Medien wird nach wie vor regelmäßig der vom Menschen verursachte Klimawandel in Zweifel gezogen – was auch völlig in Ordnung wäre, wenn dies mit korrekten und seriösen Argumenten geschähe. Die ehrlichen Argumente sind den „Klimaskeptikern“ aber längst ausgegangen. Die genannten Beispiele sind nur die Spitze eines Eisbergs und illustrieren, mit welch abstrusen Falschaussagen und Bauernfängerargumenten stattdessen gearbeitet wird. Eine Diskussion auf derart niedrigem Niveau selbst in anspruchsvolleren Medien hätte ich zuvor nicht für möglich gehalten.“

Er mahnt im gleichen Atemzug eine sorgfältigere Qualitätskontrolle der Medien an, ohne die „die Gesellschaft die Fähigkeit verlöre, zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie zu unterscheiden“. Sieben der von Rahmstorf angegriffenen „Klimaskeptiker“ antworteten daraufhin in einem Artikel, der am 5. September ebenfalls in der FAZ abgedruckt wurde. Darin stilisierten sie sich zu Hütern des kritischen Journalismus, die „die Türen eines skeptischen Weltverständnisses gegen die praktisch gleichgeschaltete öffentliche Meinung offen halten, damit wir für die Zukunft lernen können.“ (Bartsch et. al., 2007) Zwar widerlegten sie dabei keines der Sachargumente von Rahmstorf, griffen ihn dafür aber persönlich an: Er betreibe einen „Dschihad“ und strebe den „Endsieg“ in der Klimadebatte an. Jan-Philipp Hein und Markus Becker griffen diese Auseinandersetzung für Spiegel Online auf. Sie distanzierten sich darin von den „Klimaskeptikern“, kritisierten aber auch die „rabiaten Methoden des Klimaforschers Rahmstorf“ (vgl. Hein, Becker, 2007), weil dieser sich bei Redaktionen bis hoch zum Chefredakteur über fehlerhafte Darstellungen beschwere und Journalisten, die seine Aussagen fehlerhaft darstellen, keine Interviews mehr gebe.

Hein legte kurz darauf in der Welt noch einmal nach (vgl. Hein, 2007). Wie ein auf Rahmstorfs Homepage www.ozean-klima.de veröffentlichter Schriftwechsel zeigt, dürfte der Auslöser für seine Kritik an Rahmstorf eine Beschwerde des Klimaforschers über den Artikel eines mit Hein befreundeten Kollegen gewesen sein (Hein ließ die entsprechenden Stellen des Schriftverkehrs inzwischen schwärzen). Rahmstorf erhielt unter anderem in der taz, in den Blättern für internationale Politik und sogar in der Welt Zustimmung für das „Verlassen des Elfenbeinturmes“ und bekam am Ende des Jahres den Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe zugesprochen.

[...]


[1] Der Diskurs-Begriff, der in dieser Arbeit verwendet wird, folgt der Lesart von Michel Foucault. Gemeint ist nicht ein erörternder Vortrag, auch nicht das Diskurs-Verständnis nach Habermas, sondern der Vorgang der Herausbildung von Wahrheiten durch Machtwirkungen. Dieser Vorgang kann mit einer Diskursanalyse untersucht werden. Dabei werden, vereinfacht formuliert, inhaltlich und thematisch ähnliche Texte (Diskurs-Elemente) innerhalb der gesellschaftlichen Teilsysteme untersucht. Diese Texte, so Foucault (1982), bilden ihre Gegenstände nicht nur ab, sondern konstituieren sie erst.

Fin de l'extrait de 129 pages

Résumé des informations

Titre
Der Klimawandel im "Spiegel" der "Zeit". Eine vergleichende Diskursanalyse der Klimawandel-Berichterstattung der beiden politischen Wochenzeitschriften
Université
University of Applied Sciences Bremen  (Internationaler Studiengang Fachjournalistik)
Note
1,0
Auteur
Année
2008
Pages
129
N° de catalogue
V89747
ISBN (ebook)
9783638041911
ISBN (Livre)
9783638939942
Taille d'un fichier
1373 KB
Langue
allemand
Annotations
Auf Empfehlung meiner Prüferin wird die Arbeit im dritten Quartal 2008 in die Transfer-Datenbank der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationsforschung (DG PuK) aufgenommen. Hier werden nur exzellente Abschlussarbeiten der Kommunikations- und Medienwissenschaft aus dem deutschsprachigen Raum berücksichtigt.
Mots clés
Klimawandel, Spiegel, Zeit, Diskursanalyse, Klimawandel-Berichterstattung, Wochenzeitschriften, Klimapolitik, Medien, Journalismus
Citation du texte
Diplom-Journalist Robin Avram (Auteur), 2008, Der Klimawandel im "Spiegel" der "Zeit". Eine vergleichende Diskursanalyse der Klimawandel-Berichterstattung der beiden politischen Wochenzeitschriften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89747

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