Japan: Ethnizität und Religion


Dossier / Travail de Séminaire, 2001

31 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1.) Theoretische und methodische Vorüberlegungen
1.1) Ethnizität
1.2) Religion
1.3) Religion und Ethnizität
1.4) Methodik

2. Identität und Religion
2.1) Shintoismus, „National Learning“ und Ultranationalismus
2.1.1) Kokugaku und die Wiederentdeckung des Shinto
2.1.2) Die Meiji-Restauration: Shinto als Staatsreligion
2.2) Nihonjinron - die „Japaner - Theorie“
2.2.1) Das geheimnisvolle Japanisch
2.2.2) Die sprachlose Kommunikation der Japaner
2.3) Identität und japanisches „New Auge“
2.3.1) Yamaori Tetsuo und die impersonalen Götter der Japaner

3.) Auswertung: Identität und Religion in der Geschichte der japanischen Selbstfindung

Verwendete Literatur

Die Unterschiede zwischen fremdem und eigenem Land sind ein Thema, das nahezu zwangsläufig jeden beschäftigt, der einmal eine Region mit genügend geographischem Abstand zum Heimatland besucht hat. Nur einen Schritt von solchen Reflexionen entfernt folgt dann - nahezu ebenso zwangsläufig - eine Abstraktion des Beobachteten auf so etwas wie einen „Nationalcharakter“ (meist verbunden mit einem kurzen Anfall von Heimweh). Dieses fruchtbare Konversationsthema findet seinen Widerhall aber auch in ernsthafteren Unternehmungen wie Politik und leider auch militärischen Aggressionen, wie nicht nur die jüngere Geschichte lehrt. Ausgangspunkt in beiden Fällen ist stets eine über Urlaubsgespräche hinausgehende intellektuelle Beschäftigung mit dem Thema. Ironischerweise scheint es in deren Ausmaß ebenfalls nationale Unterschiede zu geben - Nietzsche spöttelte einst, es kennzeichne die Deutschen, dass die Frage nach ihrem „Deutschsein“ bei ihnen nie aussterbe (Nietzsche 1978 in Coulmas 1993: 20) - und auf der Rangliste der mit diesem im sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauch als „Ethnizität“ oder „ethnischer Identität“ bezeichnetem Phänomen stark beschäftigten Nationen dürfte interessanterweise ein für die Europäer sonst eher unauffälliges Land weit oben stehen, nämlich Japan.

Bücher über die Besonderheiten der Japaner bilden dort ein eigenes Genre mit beachtlichen Verkaufszahlen (Coulmas 1993: 20) und wurden und werden keineswegs von einer denkbaren wie klischeehaften Gruppe konservativer provinzieller Nationalisten geschrieben, sondern häufig von ausgebildeten Intellektuellen mit wissenschaftlichem Anspruch (Davis 1992: 254). Dass diese japanische „Nabelschau“ im frühen 19 Jhdt. begann (Romppel 1994: 25) und im Zweiten Weltkrieg einen vorläufigen Höhepunkt fand (Romppel 1994: 28) erstaunt dabei weit weniger als die Tatsache, dass das Weltkriegsende nicht auch solch geistiger Beschäftigung ein Ende bereitete, denn nach einem kurzen Schweigen nationalistischer Stimmen bis etwa 1950 (Yoshino 1992: 206) begann die Diskussion um die japanische Identität mit einer massiven Flut von Büchern über nationale Besonderheiten in den 70er Jahren (Coulmas 1993: 22) erneut.

An diesem bis heute andauernden Diskurs um das Besondere des „Japaner-Seins“ ist im religionswissenschaftlichen Kontext eine Eigenart besonders interessant: Das Moment des Religiösen. Ob in der im frühen Nationalismus im 19 Jahrhundert propagierten Abstammung aller Japaner von der Sonnengöttin Amaterasu (Romppel 1994: 26), der von manchen Schreibern des Nihonjinron, der „Japantheorie“ als typisch japanisch charakterisierten Fähigkeit ihres Volkes der sprachlosen Kommunikation ( Dale 1986: 101) oder das von einem japanischen Literaturwissenschaftler festgestellte „Geistwesenhafte“ der japanischen Seele (Gebhardt 1996 : 155), religiöse Elemente erfreuten und erfreuen sich in der japanischen Selbstsuche stetiger Beliebtheit.

In dieser Arbeit soll diese japanischen Suche nach dem nationalen Selbst im Religiösen chronologisch gegliedert aufgezeigt und untersucht werden. Nach einigen theoretischen Vorüberlegungen im ersten Teil sollen dazu einzelne Momente der japanischen Identitätssuche darstellt und diskutiert werden, um in einem auswertenden letzten Teil mögliche Gemeinsamkeiten dieser Einzelmomente darzustellen. Besondere Betonung möchte ich dabei auf den gerade verwendeten Begriff „Einzelmomente“ legen, denn eine erschöpfende Darstellung kann im Rahmen einer solchen Hausarbeit aufgrund der vom Verfasser anfangs unterschätzten Vielfalt und Quantität an Informationen nicht erfolgen; trotzdem erhoffe ich mir in einem solchen Überblick Erkenntnisse über zugrundeliegende Muster und Tendenzen.

1.)Theoretische und methodische Vorüberlegungen

Bevor die Verknüpfung von Religion und Ethnizität in Japan konkret dargestellt und untersucht werden soll, sollen zuerst einmal die zugrunde liegenden Konzepte von Ethnizität und Religion erläutert und diskutiert werden, um auf diesem Weg zu Arbeitdefinitionen dieser Konzepte zu gelangen.

1.1 Ethnizität

„Ethnizität“ wie der meist synonym gebrauchte Begriff „ethnische Identität“ zählt zu den wichtigsten Grundbegriffen der Sozial- und Kulturwissenschaften und ist Gegenstand einiger theoretischer Debatten und diverser Definitionen, so etwa „ the essence of an ethnic group “ oder als „ the quality of belonging to an ethnic community or group “ (Chapman et al. 1989 nach Hutchinson et al. 1996: 4). In den diversen Definitionsversuchen bzw. der Debatte um die Natur von Ethnizität lassen sich grundsätzlich zwei getrennte Positionen ausmachen (Sökefeld 2001: 2): Während der primordialistische Standpunkt von objektiven Unterschieden zwischen Völkern, Kulturen oder Nationen ausgeht und darin die Argumente der von der Wissenschaft analysierten Akteure solcher Konzepte widerspiegelt, verweist der mittlerweile die Diskussion dominierende (Sökefeld 2001: 1) konstruktivistische Standpunkt[1] auf die Erschaffung von solchen ethnischen oder kulturellen Unterschieden durch soziales Handeln.

Grenzen zwischen Nationen und Völkern sind laut dieser Position ein Ergebnis von “Fremd – und Selbstzuschreibung “ (Barth 1969 in Sökefeld 2001: 2) oder, wie es der Ethnologe Martin Sökefeld ausdrückt: „...es ist die soziale Praxis des Unterscheidens , des Unterschiede Machens (sic), aus der heraus Gruppen und Identitäten konstituiert werden, und nicht eine vorgegebene soziale Struktur oder Kultur.“ Die primordialistische Position vertreten beispielsweise Hutchinson und Smith (Hutchinson et al. 1996: 7). In ihrer Definition von Ethnizität besitzen Ethnien folgende sechs Merkmale in unterschiedlicher Ausprägung immer:

a) einen Namen, der die „Essenz“ der Gemeinschaft ausdrückt;
b) einen Mythos von einer gemeinsamen Herkunft, der der Gruppe einen Sinn von Zusammengehörigkeit vermittelt;
c) Geteilte Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit
d) Ein oder mehrere geteilte Merkmale gemeinsamer Kultur wie Sprache, Religion oder Gebräuche;
e) Eine Beziehung zu einem Heimatland, die nicht unbedingt die physikalische Anwesenheit der Gruppe auf diesem bedeuten muss;
f) Ein Sinn von Solidarität in wenigstens einigen Teilen der Ethnie

Sowohl der primordialistische als auch der konstruktivistische Standpunkt erscheinen als alleinige Erklärungen des Phänomens Ethnizität unzureichend; sinnvoller erscheint es, sie als komplementäre Faktoren zu begreifen (Yoshino 1993: 70-72). So ist soziale Konstruktion von ethnischer Identität zur Abgrenzung von „den Anderen“ sicherlich Schlüsselelement des Phänomens, aber steht in enger Beziehung zu faktisch vorhandenen Unterschieden verschiedener Menschen in beispielsweise Sprache, Geschichte oder Religion (Yoshino 1993: 72); diese Faktoren sind nach Meinung des Autors Elemente, aus denen in einem sozialen Prozeß Identität konstituiert wird.

1.2) Religion

Die hier beschriebenen Phänomene von der kokutai -Ideologie über die japanische „sprachlose Kommunikation“ bis zu dem „Geisteswesenhaften“ der Japaner umfassen in ihrer Bandbreite sicherlich mehr, als im Alltagssprachgebrauch unter dem Begriff „Religion“ verstanden wird, so dass dieser Begriff hier kurz diskutiert werden soll.

Historisch betrachtet, basiert die religionswissenschaftliche Auffassung ihres Kernbegriffes

„Religion“ auf den der westlichen Zivilisation wohl bekannten Religionen, nämlich Christentum, der jüdischen Religion, dem Islam und den Religionen der Antike.

Diese formten ein „prototypisches“ Bild von Religion (Stolz 1997: 34), in dem sich Religion über bestimmte Inhalte wie die Verehrung eines Gottes oder mehrerer Göttern (Stolz 1997: 13) oder - etwas abstrahierter - über ein real angenommenes „Heiliges“ (Stolz 1997: 15) definieren lässt. Solche, theologischen Positionen nahe, so genannte „substantielle“ (Stolz 1997: 34) Religionsdefinitionen werden immer problematischer, je kulturell und geographisch ferner die untersuchte Religion von den europäischen Vorlagen für diesen Prototyp ist (Stolz 1997: 34). So lässt sich ein im Zentrum der Religion stehendes „Heiliges“ beispielsweise im Buddhismus nur schwer ausmachen, und die von den australischen Aborigines verehrten Wesenheiten sind kaum mit den europäischen Göttervorstellungen in Einklang zu bringen ( Stolz 1997: 18).

Eine andere Linie der Definition von Religion versucht, diese von ihrer Funktion her zu begreifen. Auch hier gibt es verschiedene Ansätze, so etwa die schon von Ludwig Feuerbach vertretene Auffassung von Religion als Kompensation der Erkenntnis menschlicher Endlichkeit (Stolz 1997: 24) oder die von Vertretern der ethnologischen Richtung des Funktionalismus wie Bronislaw Malinowski angenommene Idee von Religion als dem für die Harmonisierung mit dem Schicksal zuständigem Teilbereich in dem „organischen“ Ganzen einer Kultur (Stolz 1997: 29). Im Rahmen dieser Arbeit soll eine der funktionalistischen Religionsauffassung ähnliche Auffassung gewählt werden, nämlich die des systemtheoretisch orientierten Soziologen Niklas Luhmann, in dessen Verständnis der Komplex „Religion“ in dem System einer Gesellschaft die Aufgabe erfüllt, die Unkontrollierbarkeiten des Lebens, seien es politische Bedingungen, Naturkräfte oder innerpsychische Erfahrungen, in eine begreifbare Form zu bringen und so den Menschen Ordnung und den Anschein von Kontrolle zu vermitteln (Stolz 1997: 32).

Fragen nach der Orientierung des „Mängelwesens Mensch“(Stolz 1997: 32-33) sind also im religiösen Bereich angesiedelt. Diese Religionsauffassung umgeht den potentiellen Eurozentrismus substantieller Religionsdefinitionen; es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass diese Funktion von Orientierungsvermittlung auch von anderen gesellschaftlichen Systemen wie etwa der Wissenschaft übernommen werden kann (Stolz 1997: 33). Wegen der weiteren Gefahr der inhaltlichen Unschärfe dieses abstrakten Religionsverständnisses von Luhmann möchte ich, Prohl (2000: 2) folgend, dazu noch einige inhaltliche Anmerkungen machen, nämlich das sich Religion durch Bezüge auf eine transzendente Sphäre auszeichnet, auf einen Bereich der Götter und ähnlicher außergewöhnlicher Kräfte und sonstiger den Menschen übernatürlicher erscheinender Zusammenhänge. In der hier verwendeten Arbeitsdefinition von Religion ist Religion also ein gesellschaftliches System, dass die Vermittlung eines Sinnes von Ordnung und Kontrolle angesichts der existentiellen Ungewissheiten des Lebens hat und sich inhaltlich durch Bezüge auf übernatürlich erscheinende Zusammenhänge auszeichnet.

1.3) Religion und Ethnizität

Die Beziehungen von Religion und ethnischer Identität sind nach Meinung des Autors zweifacher Art: Zum einen können religiöse Merkmale wie etwa der gemeinsamer Glaube einer Gruppe ethnizitätskonstituierende Elemente bilden („Wir Österreicher sind gute Christen“); zum anderen kann im Sinne des hier gültigen Religionsverständnisses der Grund von Bemühungen um kollektiver Identität bis hin zu seiner extremste Ausprägung in Form des Faschismus religiöser Natur sein, d.h. als ordnende Reaktion auf Unkontrollierbarkeiten des Lebens betrachtet werden. Dies trifft, wie ich zeigen möchte, auf alle Phasen der japanischen Identitätssuche zu.

1.4) Methodik

In der folgenden Untersuchung verschiedener Phasen der japanischen Identitätssuche soll der Zusammenhang zwischen Religion und Identität in jeder Phase genauer beleuchtet werden.

Dazu sind die folgenden Untersuchungsabschnitte je zweigeteilt: Neben einer historisch orientierten Darstellung sollen in einem Diskussionsabschnitt die jeweiligen Elemente japanischer Identitätskonstitution genauer betrachtet werden. Dabei soll besonders auf Gründe und Plausibilität der Argumentation eingegangen werden. In der abschließenden Auswertung soll dann die Frage geklärt werden, ob man von einer Kontinuität japanischer Identitätssuche im Religiösen und Irrationalen ausgehen kann und wenn ja, welcher Art diese Kontinuität ist.

[...]


[1] Diese Position wird wegen ihrer Betonung auf den Mechanismen sozialer Abgrenzung auch als „boundary approach“ bezeichnet (Yoshino 1992: 70).

Fin de l'extrait de 31 pages

Résumé des informations

Titre
Japan: Ethnizität und Religion
Université
Free University of Berlin  (Religionswissenschaftliches Institut)
Cours
New Age in Japan
Note
1,0
Auteur
Année
2001
Pages
31
N° de catalogue
V89788
ISBN (ebook)
9783638041935
ISBN (Livre)
9783640858316
Taille d'un fichier
508 KB
Langue
allemand
Annotations
Seminarleiter war Spezialist für japanische Religion.
Mots clés
Japan, Ethnizität, Religion, Japan
Citation du texte
M.A. Christopher Knapp (Auteur), 2001, Japan: Ethnizität und Religion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89788

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