Einbürgerungsfeiern als Übergangsritual? Eine Analyse des deutschen Einbürgerungsverfahrens


Term Paper, 2018

13 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition Übergangsritual

3. Beschreibung des Einbürgerungsverfahrens

4. Analyse des Einbürgerungsverfahrens

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit Übergangsritualen. Anhand des Einbürgerungsverfahrens von Ausländern in Deutschland soll das Schema der Übergangsrituale erläutert werden, sowie eine Analyse des gewählten Übergangsrituals erfolgen. Die Definition dieses stützt sich auf die Untersuchung und Einteilung von Arnold van Gennep, der 1909 in seinem Hauptwerk „Übergangsrituale“ die Dreiphasenstruktur dieser Rituale erkannte und darstellte. Des Weiteren beziehe ich mich dabei auf Victor Turner, der die Zwischenphase des Übergangsrituals genauer untersuchte, den sogenannten Zustand der Liminalität.

Migration ist „einer der Megatrends des 21. Jahrhunderts“ und da es in Deutschland vor allem durch die Flüchtlingswellen im 21.Jahrhundert ein aktuelles Thema ist, wird sich die folgende Arbeit um den Aspekt der Einbürgerung von Migranten drehen (Steller 2012: 177). Da die deutsche Rechtslage für die vollständige Integration und gesellschaftliche und politische Teilhabe das Erlangen der Staatsbürgerschaft vorsieht, soll dieser Prozess genauer untersucht und anhand des Schemas von Arnold van Gennep eingeordnet und bezugnehmend analysiert werden (Knopp 2012: 153). Das Einbürgerungsverfahren ist kein typisches und in sich geschlossenes Übergangsritual, dennoch lassen sich zahlreiche Merkmale dessen erkennen, die in der Analyse dargelegt werden. Besonders die Einbürgerungsfeier als rituelle Zeremonie mit ihren zahlreichen Elementen und Symbolen möchte ich als Schwerpunkt herausgreifen und detailliert analysieren. Die Einbürgerung ist als politische Maßnahme und gleichzeitig Subjekt des öffentlichen Diskurses, sowie für den Neubürger als eine persönliche, „integrationsrelevante Dimension“ (Wunderlich 2005: 14) zu verstehen. Beim Einbürgerungsverfahren handelt es sich außerdem um eine Zeremonie, und der Zweck von Zeremonien ist nach Durkheim, „bestimmte Ideen und Gefühle zu erwecken, die Gegenwart an die Vergangenheit zu binden, das Individuum an das Kollektiv“ (1994: 509).

2. Definition Übergangsritual

Das Leben jedes Menschen, gleich welcher Herkunft und Gesellschaft, ist geprägt von „Grenzsituationen“ (Van Gennep 2005: 14). Van Gennep bezeichnet sie auch als Schwachstellen jeder Gesellschaft, da an diesen Knotenpunkten ein Übergang aus den gewohnten Bahnen des Menschen stattfindet und somit das „gesellschaftliche Gesamtsystem“ stören bzw. zerstören kann (ebd.: 239). Überall stößt man auf solche Grenzen, es sind stets „Trennungen, an denen sich etwas verändert, etwas anderes oder Neues beginnt“ (Kaschuba 1999: 188). Dies können Raum-, Zustands-, Positions- oder Altersgruppenwechsel sein, oder auch Etappen, die ein Mensch durchläuft, wie beispielsweise Geburt, Pubertät oder Elternschaft (Van Gennep 2005: 16). Um diesen Wechsel überbrücken zu können ist der Mensch im Laufe seines Lebens auf zahlreiche Zeremonien angewiesen, denen es sich unterwirft. „Es ist das Leben selbst, das die Übergänge von einer Gruppe zur anderen und von einer sozialen Situation zur anderen notwendig macht.“ (ebd.: 15). Diese Übergänge wollen geregelt werden, sie brauchen Rituale um das Erreichen der neuen Position zu bewältigen (Van Gennep 2005: 16). Durch Rituale organisieren Menschen ihr Leben und geben ihm eine Richtung, (Bell 2010: 95). Rituale „setzen Grenzen und Ordnung in einer ansonsten chaotischen Lebenswelt“ (Beer/Fischer 2006: 217) und inszenieren gesellschaftliche Spannungsmomente (Turner 2008: 95). In fast allen Gesellschaften findet der Übergang von Ritualen begleitet statt (Beer/ Fischer 2006: 169). Übergangsriten regeln also alle gesellschaftlich bekannten Phänomene, kennzeichnen jeden Lebensbereich, räumliche, soziale und biographische Übergänge. (ebd.: 215). Sie fungieren als Hilfe, das Individuum in seine neue Position einzugliedern (Kaschuba 1999: 188). Doch Menschen bedienen sich dieser Rituale nicht willkürlich, sondern wählen sie bewusst aus, um ausgewählte Situationen mithilfe bestimmter Zeremonien zu bewältigen (Beer/Fischer 2006: 169). Somit wird eine bestimmte Handlung hervorgehoben, ihr wird ein bestimmter Wert beigemessen (ebd.: 169). Bis heute findet das Modell Van Genneps Anwendung und bildet den Ausgangspunkt für die Untersuchung der Übergangsriten (Van Gennep 2005: 238). Nach seiner Definition handelt es sich bei diesen um Rituale, bei denen das „Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte“ Situation überführt wird, „les rites de passage“(Van Gennep 2005: 15) oder auch „life cycle“ Rituale (Bell 2010: 94). Im Folgenden werde ich mich an der Klassifizierung Van Genneps entlanghangeln. Alle Übergangsriten sind wichtige Schlüsselerlebnisse im Leben, die das Ereignis dramatisiseren (Bell 2005: 94). Auch der Wechsel zwischen sakraler und profaner Welt, der im Leben jedes Menschen vorkommt, bedarf einer Zwischenstufe, um die Unvereinbarkeit beider Welten zu neutralisieren und „damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt.“ (Van Gennep 2005: 14f). Die Veränderung eines Zustandes oder der Übergang hin in eine neue soziale Gruppe ist gezwungenermaßen auch ein Störfaktor des sozialen und individuellen Lebens einer Person (Van Gennep 2005: 23). Übergangsrituale dienen ebenso als Hilfestellung in Krisen, bei Mangel- und Verlusterfahrungen (Köhle-Hezinger 2011:15). Die Funktion der „rites de passage“ soll es also sein, „die schädlichen Auswirkungen abzuschwächen“ (ebd.: 23), aber auch um die eigene Identität zu sichern (Bell 2010: 136). Den Übergangsritus unterteilt Van Gennep wiederum in ein Drei-Phasen-Modell. Die erste Phase bilden sogenannte Trennungsriten, die „rites de séparation“, die eine Ablösungsphase des Individuums von seinem alten Zustand kennzeichnen. Die zweite Phase bilden die Schwellen- bzw. Umwandlungsriten („rites de marge“), welche die Zwischenphase, also einen unklaren Schwellenzustand des Individuums und als letzte Phase die Angliederungsriten („rites d’agrégation“), welche die Integrationsphase kennzeichnen (Van Gennep 2005: 21). Jedoch gibt es in verschiedenen Ritualen unterschiedliche Ausprägungen der genannten Phasen. Die Einteilung ist in der Praxis weitaus komplexer gestaltet, so treten die Übergangsriten in Kombination mit weiteren Riten auf, sie können nicht ausschließlich als Übergangsriten verstanden werden (ebd.: 21f.). So gehen beispielsweise Bestattungszeremonien, die den Übergang vom Leben zum Tod begleiten eng verknüpft mit Abwehrriten einher (ebd.: 21f.). Einen Fokus möchte ich außerdem auf die Schwellenphase legen, die Victor Turner in seiner Abhandlung „The ritual process“ als liminale Phase herausarbeitet. Gekennzeichnet ist diese durch ihren “soziale Strukturen aufhebenden Zwischenzustands“ (Moebius 2009: 110). Das Individuum befindet sich in einem unklaren, undefinierten Zustand, es passiert einen Bereich, der keine Gemeinsamkeit mehr mit dem vorherigen beziehungsweise dem kommenden Zustand aufweist. (Turner 2008: 94). „During the intervening "liminal" period, the characteristics of the ritual subject (the "passenger") are ambiguous; he passes through a cultural realm that has few or none of the attributes of the past or coming state“ (ebd.: 94).

3. Beschreibung des Einbürgerungsverfahrens

Der folgende Abschnitt widmet sich dem Einbürgerungsprozess und stellt beschreibend dar, wie dieser abläuft. Unter Einbürgerung versteht man den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, die wiederum „eine Grundlage sozialer Integration und Schließung und zugleich Ausdruck kollektiver Überzeugungen [ist]“ (Jakob 2012: 1). Eine weitaus nüchternere Definition von „citizenship“ findet sich bei Hagedorn, als „Mechanismus, um Personen Staaten zuzuordnen.“ (Hagedorn 2001: 21). Die Staatsbürgerschaft vermittelt fundamentale Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat, und ist für die Neubürger vor allem Ausdruck von Zugehörigkeit (Weinmann et al. 2012: 339). „Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft. Gesellschaftliche Vielfalt ist in fast allen Bereichen des alltäglichen Lebens zur Normalität geworden […].“ (Dräger 2012: 9). Historisch gesehen zählte Deutschland schon immer als ein Land, das schon allein durch seine Lage in Mitteleuropa, auf den Pfaden der Völkerwanderung lag und somit gezwungenermaßen in Kontakt mit Ausländern stand (Foroutan 2012: 115). Doch vor allem seit dem letzten Drittel des 20.Jahrhundert sehen sich viele Gesellschaften in Europa mit einer zunehmenden Einwanderung konfrontiert (Dräger 2012: 9). Damit einher geht auch die Erhöhung der Einbürgerung von Ausländern in Deutschland. Deutschland ist Hauptzielland von Migration (Weinmann et al. 2012: 157). Gegenwärtig sind als Hauptgruppen der Zuwanderung Flüchtlinge, ausländische Studierende und solche, die durch Familiennachzug nach Deutschland kommen zu nennen (Kösemen 2012: 304). Doch die gesamte gesellschaftliche Teilhabe kann nur durch die Einbürgerung, also die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit, erreicht werden (ebd.: 303). Sie lässt sich als „aktiven Schritt zur Integration von Migranten“ verstehen (Wunderlich 2005: 11). Der Hauptgrund für die Einbürgerung ist jedoch vor allem der Wunsch nach rechtlicher Gleichstellung, sowie dem Ziel, „in Deutschland verwurzelt zu sein“ (Weinmann et al.: 7). Doch auch die Vorteile eines EU-Bürgers stehen im Zentrum der Gründe für die Einbürgerung, so beispielsweise die Reisefreiheit (ebd.: 239). Die Einbürgerung unterliegt einigen Kriterien, bezogen auf das neue Staatangehörigkeitsrecht vom 1.1.2000; Sie ist denjenigen möglich, die dauerhaft in Deutschland leben, ein Aufenthaltsrecht besitzen, den Einbürgerungstest bestanden haben, sich seit mindestens 8 Jahren in Deutschland aufhalten, ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können, über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, sich zum Grundgesetz bekennen, nicht verurteilt sind und ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben (Wunderlich 2005: 16). Das Verfahren der Einbürgerung gliedert sich in drei Phasen; zu Beginn steht der Antrag des Migranten bei einer kommunalen Ausländerbehörde, im weiteren Verlauf dann die Bearbeitung dieses Antrags (Hagedorn 2001: 58). Der Zeitraum für diesen Vorgang beläuft sich auf durchschnittlich 14 Monate (Weinmann et al: 6). Er umfasst den administrativen Teil des Verfahrens, indem die Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit sowie die erfolgreiche Absolvierung eines Sprach- und Integrationstests erfolgt. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft im Rahmen einer Einbürgerungsfeier, bei dem der Neubürger nun seine Einbürgerungsurkunde überreicht bekommt, beendet den gesamten Vorgang (Wunderlich 2005: 25). Die Einbürgerungsfeier findet ab einer Gruppengröße von 20 bis 40 Personen statt. An einem profanen Ort, einer Stadthalle oder einem Versammlungssaal kommen die Einzubürgernden zusammen (Wagner 2011: 137). Die Feier ist zwar je nach Kommune individuell gestaltet, beinhaltet aber dennoch stets folgende Elemente: Es werden Reden gehalten und es gibt einen musikalischen Teil, zu dem klassische Begleitung durch ein Orchester und das gemeinsame Singen der Nationalhymne zählen (Wagner 2011: 140). Des Weiteren findet ein Empfang mit einem gemeinsamen Essen statt, den Höhepunkt stellt die Übergabe der Staatsbürgerschaftsurkunden nach dem „feierlichen Bekenntnis“ der Einzubürgernden (Jakob 201: 3) und das Überreichen des Grundgesetzes dar (Wagner 2011: 140).

4. Analyse des Einbürgerungsverfahrens

Der Einbürgerungsprozess ist kein Übergangsritual im klassischen Sinne, vor allem, da es sich größtenteils um einen Verwaltungsakt handelt. So kann es nicht strikt nach der Einteilung van Genneps analysiert werden kann (Wagner 2011: 133). Dennoch beinhaltet der Einbürgerungsprozess alle Elemente des von Van Gennep entwickelten Modells in mehr oder weniger intensiver Ausprägung. Es handelt sich um eine Abfolge von Trennungs-, Umwandlungs- und Integrationsriten. Betrachtet wird der gesamte Prozess der Einbürgerung, von der Antragstellung bis zu dem Zeitpunkt, ab dem das Individuum als Staatsbürger angesehen wird. Bei dem Übergangsritual handelt es sich um einen Statuswechsel vom Status des Migranten hin zum deutschen Staatsbürger. Auch emotional ist der Prozess für den Antragsteller ein bedeutender Wandel (Wunderlich 2005: 181). Um das Ritual zu analysieren kann man das Verfahren in folgende Phasen einteilen: Der Prozess beginnt für die Einzubürgernden mit der Antragstellung. Das Individuum entscheidet sich willentlich dafür, den Prozess der Einbürgerung zu durchlaufen. Ab diesem Zeitpunkt befindet es sich schon in einem Zwischenzustand, der Schwellenphase. Er ist noch nicht Teil der neuen Gesellschaft, hat sich jedoch der alten schon losgesagt, er „schwebt zwischen zwei Welten“ (Van Gennep 2005: 27). Nach Turner stellt diese Schwellenphase die wichtigste des Rituals dar, da sie den „Angelpunkt“ zwischen dem alten und dem zukünftigen Zustand darstellt (Turner 2008: 97). Wie sich auch im Verlaufe des Einbürgerungsverfahrens zeigen wird, besitzt sie „transformatorische, strukturverändernde Kraft“ (Moebius 2009: 109). Während der Bearbeitung des Antrags befindet sich der Einzubürgernde an einer Grenzsituation, er gehört weder der sakralen noch der profanen Welt an, er befindet sich in einem isolierten Zustand. Er ist nun nach Turner ein Initiant oder Neophyt (ebd.: 109). Oft ist diese Phase für die Betroffenen eine sehr emotionale Zeit, die geprägt ist von innerer Zerrissenheit bis hin zu einer Identitätskrise. Er befindet sich „zwischen seinen Gewohnheiten und Gebräuchen […] die seine Persönlichkeit konstituieren und den Gebräuchen der Räume, die er durchquert und bewohnt“ (Mbiatong 2011: 236). Er passiert eine Zeit der Unsicherheit, die von emotionalen Aspekten wie Angst und Unsicherheit geprägt sein kann. Dies resultiert vor allem aus dem Gefühl, keine wirkliche Zugehörigkeitsgruppe zu haben und sich ausgegrenzt und isoliert zu fühlen (ebd. 237). Um aktiv als Teil der Gemeinschaft wahrgenommen zu werden muss der Antragsteller eine „kulturelle Transition vollziehen“ (ebd.: 239). Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Abgabe der alten Staatsbürgerschaft. Diese kann als Trennungsritus interpretiert werden. Es findet eine „Trennung von der alten Welt“ statt, der Antragsteller entsagt sich offiziell seiner alten Nationalität. Dies ist oft eine schwerwiegende und emotional behaftete Entscheidung, da dies auch eine Absage an die Bindungen und somit die Zugehörigkeit zur alten Staatsbürgerschaft bedeutet, auch Schuldgefühle gegenüber dieser sind oft Teil des Prozesses (Hagedorn 2001: 30). Um sich jedoch zu Deutschland zu bekennen ist dieser Schritt notwendig (ebd.: 201). Als weiteres Element der liminalen Phase im Einbürgerungsverfahren ist das Absolvieren des Einbürgerungstests. Hier stehen „Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland“ im Vordergrund (Weinmann et al.: 208). Auch ein erfolgreicher Sprachtest, der die Deutschkenntnisse überprüft, ist Pflicht und Voraussetzung für die Einbürgerung (Wunderlich 2005: 26). Mündliche Verständigung und Textverständnis sind hier die ausschlaggebenden Punkte (Hagedorn 2001: 153). Der Antragsteller muss sich beweisen, zeigen, dass er die nötigen Kenntnisse und den Willen hat um Deutscher zu werden. Die Tests sind Rituale, die während der Schwellenphase vollzogen werden, es handelt sich hierbei also um Schwellenriten beziehungsweise Umwandlungsriten. Dies geht einher mit den Merkmalen, die Turner der Schwellenphase zuschreibt. Der Antragsteller befindet sich zwischen zwei klar definierten Bereichen, zwischen seiner alten und der neuen Staatsbürgerschaft. In der Phase der Bearbeitung des Antrags gehört er also keinem dieser Bereiche an. Diese Situation weißt „Merkmale der Unstrukturiertheit, Ambiguität und des Paradoxen auf.“ (Turner 2008: 95). „He passes through a cultural realm that has few or none oft he attributes oft he past or coming state.“ (ebd.: 94). Wie beschrieben hat der Einzubürgernde nicht mehr seine alte aber auch nicht die neue Staatsbürgerschaft, er kann sich also keiner der Kategorien zuordnen, er schlüpft durch das Raster der Klassifikationen durch, ist nach Turner „betwixt and between“ (ebd.: 95).

Die dritte Phase, die Einbürgerungsfeier ist der letzte Teil des Verfahrens und beendet den Übergang des Individuums vom Ausländer zum Staatsbürger. Anhand dieser rituellen Handlung lassen sich die deutlichsten Merkmale von Übergangsriten erkennen, das Zelebrieren der Staatsbürgerschaft weißt die meisten der von Van Gennep ausgearbeiteten Charakteristika auf. Die Feier zählt zu den Angliederungsriten, die die Integrationsphase des Neubürgers kennzeichnet. Sie ist notwendig um den Übergang in den neuen sozialen Status „kulturell zu organisieren“ und die „gefährlich mittlere Phase zwischen dem Verlassen des alten Status und dem Erreichen der neuen Ordnung“ zu bewältigen (Kaschuba 1999: 191). Die Feier als Übergang soll den Neubürger also begleiten und sicher in die neue Position überführen. Durch das Annehmen der Staatsbürgerschaft und das Willkommenheißen, als „integrative Willkommensgeste“ der Gesellschaft, das durch die Feier zum Ausdruck gebracht wird, bindet sich das Individuum an diese, wird ein Teil von ihr (Jakob 2012: 16). Es finden im Verlaufe der Feier mehrere Binderiten statt, die diese neue Verbindung zum Ausdruck bringen. Für die neuen Staatsangehörigen stellt die Feier ein wichtiges Ritual dar, sie ist der „Höhe- und Kulminationspunkt“ (ebd.: 4). Für den Neubürger hat sie „eine ordnende, als auch bewusstmachende, reflexiv-deutende Funktion“ (ebd.: 5). Das Fest als besonderes Ereignis im Leben des Individuums markiert durch den Wechsel der Staatsbürgerschaft und die nun erlangte vollständige rechtliche Gleichstellung einen biographischen Wendepunkt (ebd.: 6). Aber auch für die Gesellschaft stellt die Einbürgerungsfeier einen wichtigen Aspekt dar. Sie selbst wird dadurch repräsentiert, indem ihre Werte und Regulierungen auf der Feier dargestellt und reflektiert werden. Somit kann sie ihre Kontinuität gewährleisten, die nationalstaatliche Identität wird präsentiert (Wagner 2011: 137) (Jakob 2012: 5). Es handelt sich also nicht nur um einen einseitigen Prozess. Dieser Binde- oder Angliederungsritus bindet schließlich das Individuum an das Kollektiv, dadurch das es nun als vollwertiger Teil der Gemeinschaft mit Rechten und Pflichten angesehen wird (Durkheim 1994: 509). Durch Initiationsriten wie diese soll der Neubürger in die richtige Richtung geleitet werden: „to ensure that initiates will use the power of their new positions for good, not for evil“ (Jakob 2012: 11). Also eine Transformation von „,outsiders‘ into benignly potent ,insiders‘ “. (ebd.). Die Neubürger, die im Mittelpunkt der Feier stehen, sollen geehrt werden (ebd.: 21). Der Hauptakt der Feier liegt natürlich auf dem Annehmen der Staatsbürgerschaft, was symbolisch durch das Überreichen der Einbürgerungsurkunde dargestellt wird (ebd.: 137). Dies stellt offiziell den Abschluss des administrativen Verfahrens dar und ist ein Angliederungsritus (Wunderlich 2005: 25). „Eine Einbürgerung sollte feierlich sein, weil sie einen großen Schritt im Leben der Menschen darstellt […]“, ein besonderer Rahmen als Ausdruck der Besonderheit dieses Schrittes ist gewünscht und wird praktiziert (Knopp 2012: 150). Auch weil die Staatsbürgerschaft ein wertvolles, beständiges Gut ist, mit der der Neubürger Privilegien erhält, soll die Übergabe dementsprechend feierlich gestaltet werden (Kober et al.: 21). Beim Empfang der Urkunde müssen die Neubürger ein Bekenntnis sprechen „Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten werde und alles unterlasse, was ihr schaden könnte.“ (Knopp 2012: 157). Durch diesen Eid bindet sich der Neubürger nun noch stärker an Deutschland, es ist ein Angliederungsritus der das Individuum an seine neue Staatsbürgerschaft bindet. Durch das formelle Bekenntnis verpflichtet er sich ihr. Als Geschenk wird im Laufe der Zeremonie im als Geschenk das Grundgesetz überreicht, dieses repräsentiert den Nationalstaat (Wagner 2011: 140). Das Überreichen ist Teil des Angliederungsritus, spezieller ein Binderitus, er hat individuelle als auch kollektive Bedeutung. Beide Parteien verpflichten sich durch diesen Akt einander. Die Annahme des Geschenks stellt demnach für das Individuum sowie für die Gruppe eine Verpflichtung dar, da sie miteinander eine Verbindung eingehen, „denn ein Geschenk von jemandem akzeptieren heißt, sich an ihn binden“ (Van Gennep 2: 129). Ein weiteres klassisches Element der Feier ist das künstlerische Beiprogramm, bei dem die Kultur des Landes dargestellt wird. Meist wird die Einbürgerung mit klassischer Musik untermalt, aber auch die Nationalhymne wird gesungen. Dieser Akt den alle gemeinsam vollziehen, soll das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe stärken und Zusammenhalt, ein Wir-Gefühl kreieren und den Neubürger integrieren. Auch schafft die Musik eine „komplette Verbindung“, sie zeigt einerseits die Kultur Deutschlands, dient aber durch ihre Universalität auch als „übergreifende Ebene der Kommunikation“, also als Sprache, die von jedem Menschen verstanden wird (Jakob 2012: 32). Die Feier möchte dem Neubürger außerdem Anerkennung durch die Gesellschaft entgegenbringen, es handelt sich um eine Geste der Wertschätzung. Schließlich gibt es auf der Feier auch den Appell an die neuen Staatsbürger sich mit in die Gesellschaft einzubringen. Es wird erwartet, dass er seine neugewonnenen politischen und gesellschaftlichen Rechte und Pflichten nutzt und sich in die Gesellschaft integriert (ebd.: 30). Auch finden individualisierte Elemente ihren Platz im Laufe der Feier. Der Neubürger wird als eine „autonome, sich rational entscheidende und individuell fühlende Persönlichkeit konstruiert“ und mit seiner individuellen Biographie dargestellt (ebd.: 21). Dies geschieht durch Reden, von Neubürgern sowie von Repräsentanten des Staates. Die Feier ist nicht einseitig, sondern als „two-way-communication(s)“ zu verstehen, sie bietet Raum für Erfahrungen, Appelle und Austausch (ebd.: 16). Durch diesen Aspekt wird das Individuum als solches wahrgenommen und als Mitglied und „autonomes Rechtssubjekt“ angenommen und eingegliedert (ebd.). Beendet wird das Übergangsritual Einbürgerungsfeier häufig mit einem gemeinsamen Essen. Ein gemeinsames Mahl ist ein Integrationsritus, ein Zeichen von Solidarität miteinander (Van Gennep 2005: 37). Es wird geteilt und jeder der Anwesenden wird als gleichberechtigt anerkannt, es entsteht eine Verbindung. Für Van gennep ist das gemeinsame Essen und Trinken ein Angliederungs- bzw. Binderitus im körperlichen Sinne, er bezeichnet es auch als „Sakrament der Kommunion“ (ebd.). Es entsteht ein Austausch von Nahrung und bindet die beiden Parteien so stärker aneinander. Auch die persönlichen Auswirkungen der Einbürgerung sind nicht zu unterschätzen, die Identifikation und Zugehörigkeit mit und zur neuen Nationalität fördert bei vielen Neubürgern ein neues Selbstbewusstsein, Nationalstolz und das Interesse, sich lokal zu engagieren (Ramm 2012: 245). Dieses kann man durchaus auch als Ziel der Einbürgerung sehen, sowie auch als aktiven Schritt hin zur Integration. Darüber hinaus wird sie als Instrument sozialen Zusammenhalts genutzt und wahrgenommen (Wunderlich 2005: 14). Die Integration der Eingebürgerten ist kein einseitiger Prozess. Um eine gemeinsame „bürgerliche Identität“ (Bade 2012: 49) zu entwickeln und das Miteinander zu fördern sind beide Seiten aufeinander angewiesen. Der Beginn der Integration in die Gesellschaft ist nun gegeben, der Prozess der individuellen Integration muss nun vom Neubürger selbst ausgehen. Er hat die Wahl dem Appell der Feier zu folgen.

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Details

Title
Einbürgerungsfeiern als Übergangsritual? Eine Analyse des deutschen Einbürgerungsverfahrens
College
University of Münster
Grade
1,0
Author
Year
2018
Pages
13
Catalog Number
V902517
ISBN (eBook)
9783346225702
ISBN (Book)
9783346225719
Language
German
Keywords
Rituale Übergangsritual Einbürgerung
Quote paper
Anna Buhl (Author), 2018, Einbürgerungsfeiern als Übergangsritual? Eine Analyse des deutschen Einbürgerungsverfahrens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/902517

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