Märchen im DaZ-Unterricht der Grundschule. Interkulturelles Lernen und Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund


Mémoire de Maîtrise, 2007

132 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

EXKURS: Zur Entstehung der Interkulturellen Pädagogik und der Didaktik Deutsch als Zweitsprache

1. Märchen im Grundschulunterricht zur Förderung von interkulturellem Lernen in der Einwanderungsgesellschaft
1.1. Interkulturelles Lernen in der Grundschule
1.1.1 Die Grundschule und ihre kulturellen Bildungsaufgaben
1.1.2 Zu Lernzielen und Bedingungen von interkulturellen Lernprozessen
1.1.3 Didaktische Ansätze von interkulturellem Lernen nach Kiper
1.1.4 Möglichkeiten methodischer Umsetzung von interkulturellem Lernen im Unterricht
1.2. Märchen und ihre Bedeutung für den interkulturellen Grundschulunterricht
1.2.1 Märchen ein kulturelles Volksgut und kulturhistorisches Zeugnis
1.2.2 Pädagogische Funktionen von Märchen
1.2.3 Chancen für den interkulturellen Unterricht
1.3. Umsetzung von Märchen im Unterricht zu Förderung von interkulturellen Lernprozessen
1.3.1 Unterrichtsmodell „Das Töpfchen“
1.3.2 Unterrichtsmodell „Kemanta“
1.3.3 Unterrichtsanregungen zu Märchenvariationen
1.3.4 Unterrichtsmodell „Eine Märchenreise um die Welt“
1.4. Fazit

2. Märchen im Grundschulunterricht zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache 58
2.1. Deutsch als Zweitsprache (DaZ) in der Grundschule
2.1.1 Deutsch lernen als zweite Sprache - eine Herausforderung für Schule und SchülerInnen
2.1.2 Grundlegende Prinzipien der DaZ-Förderung
2.1.3 Lernbereiche und Lernziele der DaZ-Förderung
2.2. Märchen und ihre Bedeutung für den DaZ-Unterricht
2.2.1 Bedeutende Aspekte/Potential von Märchen für den Sprachunterricht
2.3. Möglichkeiten zum sprachfördernden Einsatz von Märchen im DaZ-Unterricht
2.3.1 Märchenübungen zum Hörverstehen
2.3.2 Märchen als Sprechanlass
2.3.3 Märchenübungen zur Förderung der Lesekompetenz
2.3.4 Märchen als Schreibanlass
2.3.5 Märchenübungen im Bereich Grammatik
2.3.6 Lernen an Stationen mit Märchen
2.3.7 Interkulturelle Spracharbeit mit Märchen
2.3.8 Sprachspiele mit Märchen
2.4. Fazit

3. Entwurf einer eigenen Unterrichtseinheit: „Interkulturelle Spracharbeit am Beispiel von „Hänsel und Gretel“
3.1. Thema der Unterrichtseinheit und Begründung
3.2. Aufbau und Rahmenbedingungen der Unterrichtseinheit
3.3. Durchführung Teil A der Unterrichteinheit im DaZ-Förderunterricht
3.4. Lehr- und Lernziele der Unterrichtseinheit Teil A im DaZ-Förderunterricht
3.5. Durchführung Teil B der Unterrichtseinheit im Regelunterricht
3.6. Lehr- und Lernziele der Unterrichtseinheit Teil B im Regelunterricht
3.7. Zusammenfassung

SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK

VERZEICHNISSE UND ANLAGEN

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Webbibliographie

Anlagen

Anmerkung der Redaktion: Die Anlagen wurden aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.

EINLEITUNG

Aufgrund der stetigen Migrationsbewegungen in Deutschland sind die Institutionen der Erziehung und Bildung zunehmend vor die Herausforderung gestellt, eine Viel­zahl an sprachlicher, kultureller und sozialer Heterogenität zu bewältigen.1 Besonders in den Metropolregionen prägen Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund das tägliche Bild an den Schulen. Vielerorts wird die Sprachen- und Kulturenvielfalt im Unterricht als zusätzliche Belastung empfunden und führt oft zu Konflikten inner­halb der Klassen. Der Schule kommt mehr denn je die Verantwortung zu, Kinder mit Migrationshintergund (KmM) in den (außer)schulischen Alltag zu integrieren und sie gemeinsam mit deutschen Schülern für das Leben in einer multikulturellen Gesell­schaft zu sensibilisieren. Aktuelle Studien haben wiederholt aufgezeigt, dass Kinder nicht deutscher Herkunft nur unzureichende Sprachkenntnisse vorweisen können. Da das Beherrschen der deutschen Sprache als Schlüsselqualifikation für den beruflichen Erfolg der KmM gesehen werden muss, stellt sich den Schulen zusätzlich die Aufga­be, den Prozess des Zweitspracherwerbs durch entsprechende Maßnahmen zu unter­stützen. Die Förderung von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und der interkulturellen Verständigung trägt wesentlich zu einer erfolgreichen Integration der KmM bei und ist unerlässlich für ein friedvolles Zusammenleben. An diesem Punkt möchte ich meine Arbeit ansetzen und der Frage nachgehen, inwieweit man mit dem Einsatz von Märchen im Unterricht Deutsch als Zweitsprache und interkulturelles Lernen fördern kann. Märchen gelten als ein kollektives Volksgut und bieten eine geeignete Mög­lichkeit für den Einstieg in eine fremde Sprache und Kultur. Durch ihre einfache, bildhafte Erzählweise und ihren formalen Aufbau wirken Märchen besonders anspre­chend auf die kindliche Weltsicht und werden so von Kindern überall auf der Welt geliebt. Die Motive der Märchen erzählen von existenziellen Grundbedürfnissen der Menschheit und sind in den Märchensammlungen aller Völker auf der Welt zu fin- den. Märchen haben sich im Laufe der Zeit durch kulturhistorische Einflüsse geformt und weisen in vielen Regionen ähnliche Strukturen auf. Sie sind ein bekanntes und somit vielen Kindern vertrautes Kulturgut und eignen sich daher vielseitig zur Förde­rung von Deutsch als Zweitsprache und interkulturellem Lernen im Unterricht.

Ziele und Aufbau meiner Arbeit

Hauptanliegen meiner Arbeit ist es aufzuzeigen, dass Märchen als Unterrichtsgegen­stand vielfältige Ansatzpunkte bieten, um interkulturelles Lernen und den Erwerb von Deutsch als Zweitsprache zu fördern. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf den Unterricht in der Grundschule. Diese Arbeit verfolgt somit im Wesentlichen drei Zie­le:

Teilziele der Arbeit

1. Im ersten Kapitel soll dargestellt werden, dass der Einsatz von Märchen im gemeinsamen Grundschulunterricht von KmM und deutschen Kin­dern zur Anregung von interkulturellen Lernprozessen beitragen kann.
2. Im zweiten Kapitel soll aufgezeigt werden, dass man mit dem Einsatz von Märchen im DaZ-Unterricht den Spracherwerbsprozess von KmM spielerisch und kreativ fördern kann.
3. Abschließend wird im dritten Kapitel am Beispiel einer eigenen Unter­richtsstunde dargestellt, wie man durch den Einsatz von Märchen im Un­terricht die Lernziele von interkulturellem Lernen und Deutsch als Zweitsprache gemeinsam umsetzen kann.

Bevor ich den Aufbau meiner Arbeit genau beschreiben werde, möchte ich Folgendes zu Bedenken geben: Wie bereits angeführt wurde, sind interkulturelles Lernen und die Förderung von Deutsch als Zweitsprache eng miteinander verbunden. Man kann sagen, sie bedingen einander, denn jede Sprache ist in ihrem Wesen durch die Kultur des Herkunftslandes geprägt. Somit vermittelt der Zweitsprachenunterricht auch im­mer ein Stück der deutschen Kultur. Ebenso haben Unterrichtssequenzen mit dem Fokus der Förderung von interkulturellen Lernprozessen in ihrer Umsetzung beson­ders für KmM gleichzeitig einen sprachfördernden Effekt. Da ich in meinen Ausfüh­rungen die Schwerpunkte interkulturelles Lernen und die Förderung Deutsch als Zweitsprache in Kapitel zwei und drei getrennt voneinander betrachten werde, ist dieser Aspekt bei der Lektüre zu berücksichtigen. Kapitel drei setzt den Schwerpunkt auf die Zusammenführung des interkulturellen Lernens und der Sprachförderung in der unterrichtlichen Praxis.

Um der Frage nachzugehen, warum sich Märchen als Unterrichtsgegenstand beson­ders eignen, um interkulturelles Lernen und Deutsch als Zweitsprache zu fördern, und welche Methoden sich dazu im Unterricht anbieten, werde ich meine Arbeit folgen­dermaßen aufbauen:

Im ersten Kapitel wird die Fragestellung im Vordergrund stehen, wie man durch den Einsatz von Märchen im Grundschulunterricht interkulturelle Lernprozesse för­dern kann. Ich werde mit einem Exkurs zur Entwicklung der Interkulturellen Pädago­gik und der Didaktik des Deutschen als Zweitsprache beginnen, um dem Leser den historischen und entwicklungsbedingten Zusammenhang beider Fachdisziplinen zu erschließen. Im nächsten Schritt werde ich die kulturellen Bildungsaufgaben der Grundschule in der heutigen Gesellschaft darstellen, um weiterführend grundlegende Lernziele und Bedingungen von interkulturellem Lernen in der Grundschule aufzu­zeigen. Daran anschließend werde ich kurz auf didaktische Ansätze und Methoden zur Förderung von interkulturellen Lernprozessen eingehen.

Der zweite Abschnitt des Kapitels setzt sich mit der Bedeutung von Märchen für den interkulturellen Unterricht auseinander. Dafür werde ich Aspekte der volkskundli­chen, pädagogischen und psychologischen Märchenforschung darstellen und ihre Bedeutung für den interkulturellen Unterricht erläutern. Auf eine umfassende Darstel­lung der einzelnen Märchentheorien muss verzichtet werden, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Im letzten Abschnitt werde ich ausgehend von didakti­schen Beispielen aus der Literatur verschiedene Möglichkeiten zum Einsatz von Mär­chen im Unterricht mit dem Ziel des interkulturellen Lernens vorstellen.

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werde ich mich mit der Fragestellung auseinander­setzen, wie man mit dem Einsatz von Märchen im Grundschulunterricht Deutsch als Zweitsprache fördern kann. Einleitend werde ich die schulischen Rahmenbedingun­gen von KmM in Deutschland erläutern. Dabei möchte ich grundlegende Aspekte und Probleme des Unterrichts für Deutsch als Zweitsprache aufzeigen und anschließend die Lernziele und Prinzipien der DaZ-Förderung darstellen. Der zweite Abschnitt des Kapitels wird sich mit Märchen und ihrer Bedeutung für den DaZ-Unterricht ausei­nandersetzen. Um ihre Bedeutung für den Sprachunterricht herauszustellen, werde ich Märchen besonders aus strukturwissenschaftlicher und literarischer Sicht beleuchten, um mich anschließend auf Bedingungen in der didaktischen Umsetzung zu beziehen. Abschließend möchte ich anhand didaktischer Beispiele aus der Literatur vielfältige Möglichkeiten für den Einsatz von Märchen im Unterricht zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache darstellen und erläutern.

Im dritten Kapitel folgt die Darstellung einer eigenen Unterrichtseinheit, die eine Möglichkeit aufzeigt, durch den Einsatz von Märchen im Unterricht interkulturelles Lernen und die Förderung von Deutsch als Zweitsprache im Unterricht miteinander zu verknüpfen.

EXKURS: Zur Entstehung der interkulturellen Pädagogik und der Didaktik Deutsch als Zweitsprache

„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“2 (Max Frisch)

Als die Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren aufgrund der Expansion der deutschen Wirtschaft begann, für Arbeitskräfte aus anderen Ländern zu werben, ging man zunächst davon aus, dass diese „Gastarbeiter“ baldmöglichst in ihr Heimatland zurückkehren würden. Viele der Arbeitsemigranten blieben jedoch in der Bundesre­publik, und so stieg die Anzahl ausländischer Mitbürger in Deutschland stetig an. Lange Zeit ignorierte man die Frage nach der Notwendigkeit einer angemessenen Integration und als 1966 die allgemeine Schulpflicht für Kinder ausländischer Mit­bürger eingeführt wurde, waren die Schulen darauf nicht vorbereitet. Aus der Not­wendigkeit heraus, sich der speziellen Probleme und Bedürfnisse der Migranten an­zunehmen, entstand eine neue Richtung der Erziehungswissenschaft, die Ausländerpädagogik. Die Ausländerpädagogik vertrat die Ansicht, die ausländischen Kinder umgehend in deutschen Regelklassen unterzubringen, mit dem Ziel, durch ein „Sprachbad“ so viel wie möglich der notwendigen Deutschkenntnisse zu lernen, um dem regulären Unterricht folgen zu können.3 Dabei orientierte man sich an der Didak­tik für Deutsch als Fremdsprache, also einer Didaktik, die vor allem für Sprachenler­ner im Ausland entwickelt worden war.4 Da die Kinder aufgrund der deutschsprachi­gen Umgebung, in der sie lebten, auch außerhalb der Schule ungesteuert Deutsch lernten und man auf diesen zweifachen Spracherwerbsprozess gezielt eingehen woll­te, begann man, die ausländischen Kinder in separaten Lerngruppen und Förderklas­sen zu unterrichten. Es entstand die Notwendigkeit, speziell für diesen Unterricht eine eigene Didaktik für Deutsch als Zweitsprache zu entwickeln.5 6 Da man die weiterhin auftretenden schulischen Probleme der ausländischen Schüler durch die kulturellen Unterschiede zu erklären versuchte, forderte das so genannte Differenzmodell, päda­gogisch und didaktisch die Herkunftskulturen der ausländischen Schüler stärker zu berücksichtigen.7 Es sollte durch das Fördern der Muttersprache und anderer pädago­gischer Maßnahmen, die auf eine Erhaltung der spezifischen „kulturellen Identität“ abzielten, auch gleichzeitig die Option einer Rückkehr ins Herkunftsland offen gehal­ten werden.8 All diese Bemühungen brachten jedoch nur geringen Erfolg. Viele aus­ländische Schüler hatten immer noch mit erheblichen Sprachproblemen zu kämpfen. Schon bald gerieten daher die Konzepte der Ausländerpädagogik in die Kritik. Man kritisierte vor allem:

- das einseitige Verständnis von „Integration“ im Sinne einer Assimilati­on, d.h. einer Anpassung der Migranten und ihrer Kinder an die deut­sche Gesellschaft9 und die darin zum Ausdruck kommende Dominanz der Kultur der Majorität10,
- die Annahme, dass die schulischen Schwierigkeiten ausländischer Kin­der aus Divergenzen ihrer Kulturen zur deutschen Kultur entstehen11,
- dass, durch eine Fixierung auf die Behebung der sprachlichen Defizite von Migranten, gesellschaftliche Ursachen der Marginalisierung aus dem Blickfeld geraten12.

Aus den Konsequenzen dieser Kritik entwickelten sich Ende der achtziger Jahre die Konzepte der Interkulturellen Pädagogik. Man erkannte, dass die ausländischen Mit­bürger und ihre Kinder die Schuld für ihre Probleme und ihr Scheitern in den Schulen nicht allein tragen können und dass eine gelungene Integration nur dann stattfinden kann, wenn auch die deutsche Gesellschaft sich zu ihrer Verantwortung bekennt.13 Die Interkulturelle Pädagogik sieht die ausländischen Kinder nicht mehr als „Problemkin­der“ an, sondern betrachtet diese als Ressource und Möglichkeit zur Bereicherung des sozialen und kulturellen Lebens. Wurden anfänglich besonders die Unterschiede der verschiedenen Kulturen hervorgehoben, richten sich die Konzepte der Interkulturellen Pädagogik heute eher auf die deutsche Gesellschaft als multikulturelle Gemeinschaft, in der jedes einzelne Mitglied seinen Beitrag zu einem friedvollen Zusammenleben leisten muss. Die Sensibilisierung der Gesellschaft soll vor allem durch interkulturel­les Lernen und eine interkulturelle Erziehung und Bildung umgesetzt werden. Diese sieht ihre Aufgabe darin, durch soziales Lernen Formen des vernünftigen Umgangs miteinander einzuüben14, allen Mitgliedern der Gesellschaft den unschätzbaren Wert der Vielfältigkeit des Lebens bewusst zu machen und somit den kulturellen Dialog zu fördern. Schwerpunkt der interkulturellen Erziehung ist dabei vor allem die Förde­rung von Toleranz, Offenheit, gemeinsamen Voneinanderlernens und der Anerken­nung der Gleichwertigkeit aller Kulturen.15 Die interkulturelle Pädagogik sowie die Didaktik des Deutschen als Zweitsprache verbindet daher die gemeinsame Verant­wortung, die ausländischen Mitbürger und deren Kinder bei ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft zu unterstützen, d. h. deren sprachliche, kulturelle und soziale Emanzipation zu fördern. Dieses kann jedoch nur gelingen, wenn auch die deutsche Gesellschaft die Türen in ihren Köpfen für fremde Kulturen öffnet.

1. Märchen im Grundschulunterricht zur Förderung von interkulturellem Lernen in der Einwanderungsgesellschaft

1.1. Interkulturelles Lernen in der Grundschule

1.1.1 Die Grundschule und ihre kulturellen Bildungsaufgaben

Heute leben etwa 7,3 Millionen Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland16, und die daraus hervorgehende multikulturelle Bevöl­kerungsstruktur spiegelt sich in den Klassenzimmern wider. Die Grundschulkinder von heute bringen aufgrund ihrer unterschiedlichen kulturellen Herkunft eine große Heterogenität an Alltagserlebnissen, familiärer Sozialisation, kultureller Prägung und Sprache in den (außer)schulischen Alltag mit. Laut Gesetz hat die Schule die Aufga­be, alle SchülerInnen zu befähigen, mit dieser kulturellen und sozialen Heterogenität inner- und außerhalb der Klasse umzugehen.17 Die Grundschule kann als ein zentraler Ort zur Förderung von interkulturellen Lernprozessen gesehen werden. Sandfuchs18 zählt dafür u. a. folgende Gründe auf:

- Die Grundschule ist eine Institution, die alle Mitglieder der Bevölkerung in einem bestimmten Alter zusammenführt und durch den gemeinsamen Umgang den deutschen und ausländischen SchülerInnen die Möglich­keit bietet, interkulturelles Lernen zu ermöglichen.
- Die Voraussetzungen zum interkulturellen Lernen sind bei Kindern bes­ser als bei Erwachsenen, da sie in einem höchst lernfähigen Alter und weniger durch Vorurteile belastet sind als Erwachsene. Die Chancen in­terkultureller Erziehung sind daher vermutlich in keinem Lebensab­schnitt besser als in der Grundschule.

Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz von 199619 sehen in der interkulturel­len Erziehung eine Querschnittsaufgabe der Schule, indem sie durch die Aktivierung der ihr zugänglichen Lern-, Lebens- und Erfahrungsräume entscheidende Kenntnisse vermittelt, Einsichten entwickelt, wertorientiertes Handeln fördert und somit zur Ur­teils- und Persönlichkeitsbildung der Schüler beitragen soll. In den Ausführungen des Grundschulverbandes heißt es weiterhin20:

- Erziehung und Unterricht in der Grundschule sollen der Differenz in den Erfahrungen, Denkmustern und Interessen von Kindern unterschiedli­cher sozialer, ethnischer, sprachlicher und kultureller Herkunft Rech­nung tragen. Chancengl eichheit und die Teilhabe an allen kulturellen Errungenschaften sollen ermöglicht werden und die Achtung vor der In­dividualität des Anderen und die Kooperationsfähigkeit durch gemein­sames Lernen gefördert und gestärkt werden.
Die Schule hat somit einen umfassenden Bildungsauftrag. Dieser besteht zusammen­fassend in der Aufgabe, alle SchülerInnen, egal welcher Herkunft, gleichberechtigt für ein friedliches, gemeinsames Miteinander zu sensibilisieren und sie auf das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft vorzubereiten. Interkulturelles Lernen wird in dieser Arbeit daher im Sinne des gemeinsamen Lernens von KmM und deutschen Kindern verstanden, was nicht ausschließen soll, dass dies auch in national homoge­nen Klassen im Unterricht umgesetzt werden kann.

1.1.2 Zu Lernzielen und Bedingungen von interkulturellen Lernprozessen

Jede Kultur21 definiert sich über typische Kulturstandards, zu denen alle Arten der Wahrnehmung, des Denkens, des Wertens und des Handelns einer Kultur gezählt werden22. Bei einer interkulturellen Begegnung, d.h. zwischen zwei verschiedenen Kulturen kommt es zu einer Überschneidungssituation der unterschiedlichen kulturel­len Standards, da jeder zur Orientierung seine eigenen Erfahrungen, Einsichten und Beurteilungsmaßstäbe heranzieht.23 Dies kann bei Unwissenheit im gegenseitigen Umgang leicht zu Konflikten und Missverständnissen führen. Um diesen Missver­ständnissen zu entgehen, bedarf es einer Bewusstmachung des eigenen kulturellen Standpunktes sowie der Akzeptanz des Anderen, folglich einer interkulturellen Kom­petenz, erworben durch interkulturelles Lernen. Auf dem Weg zur Förderung von interkultureller Kompetenz verfolgt interkulturelles Lernen verschiedene Lernziele, welche ich im Folgenden darstellen werde. Dabei möchte ich vor allem auf die for­mulierten Lernziele der Kultusministerkonferenz (KMK)24 eingehen und diese durch die Ausführungen weiterer Autoren ergänzen.

Die KMK stellt in ihren „Empfehlungen zur Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule“25 folgende Lernziele dar:

(1) Das Bewusstwerden seiner jeweiligen kulturellen Sozialisation und Lebenszu­sammenhänge Nieke26 spricht hier von der Überwindung des Ethnozentrismus, d.h. einer unvermeidlichen Eingebundenheit des eigenen Denkens und Wertens in die selbstverständlichen Denkgrundlagen der eigenen Lebenswelt. Bliese- ner27 betont die Entwicklung der Ich-Stärke und somit eines Identitätsbe­wusstseins und eines kulturellen Selbstwertgefühls durch die Kenntnis über das eigene Land, die Geschichte, die Leistungen und seiner Werthal­tungen. Die Einsicht, dass man Produkt dieser Kultur ist, dass man durch sie lebt und durch die Sprache unmittelbar mit ihr verbunden ist, führt zu einer differenzierten Selbstwahrnehmung und zum Bewusstwerden des eigenen Standortes.28 „Wer sich seiner selbst gewiss ist, braucht den Fremden nicht zu fürchten.“29
(2) Das Erwerben verschiedener Kenntnisse über andere Kulturen
(3) Die Entwicklung von Neugier, Offenheit und Verständnis für andere kulturelle Prägungen Ein Verständnis für andere kulturelle Prägungen ist auch im Sinne der Empathiefähigkeit zu verstehen, d.h. der Fähigkeit einen Perspektiven­wechsel vorzunehmen und sich in die Situation des jeweils anderen einzu- fühlen.30
(4) Anderen kulturellen Lebensformen und -Orientierungen zu begegnen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und dabei Ängste und Spannungen auszuhalten

Die Präsentation kulturell bedingter Andersartigkeiten durch Angehörige ethnischer Minderheiten erfordert das Einüben eines reflektierten Um­gangs mit Fremdheitserlebnissen.31 Durch die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur wird das eigene kulturelle Selbstverständnis oft in Frage gestellt. Um die Ängste und Spannungen aushalten zu können, bedarf es des Trainings der Ambiguitätstoleranz.

(5) Vorurteile gegenüber Fremden und Fremdem wahrzunehmen
(6) Das Anderssein der Anderen zu respektieren

Es geht um die Bereitschaft, zu akzeptieren, dass der/das Fremde zur Normalität und somit zum Alltag gehört. „Partner, einander fremd, müs­sen lernen, sich einander in einer Haltung zu begegnen, in der der jeweils andere weder zum Exoten noch idealisiert, noch herabgesetzt, noch an den eigenen Wertmaßstäben gemessen, sondern als der normale Fremde ak­zeptiert wird, [..J.“32

(7) Das friedliche Austragen der Konflikte, die aufgrund unterschiedlicher ethni­scher und religiöser Zugehörigkeit entstehen

Dieses Lernziel sehen Essinger /Graf33 als eine der wichtigsten Aufgaben einer um Frieden bemühten Erziehung an. Die Auseinandersetzung mit Konflikten und die Fähigkeit, diese auf konstruktive Art und Weise zu lö­sen, sind wichtige Bestandteile der sozialen Kompetenz34.

(8) Die Reflektion und kritische Prüfung des eigenen Standpunktes und das Ver­ständnis für andere Standpunkte
(9) Das Finden einer gemeinsamen Grundlage für das Zusammenleben in einer Gesellschaft

Die Empfehlungen der KMK sind allgemeine Richtlinien für den Unterricht jeder Altersstufe. Da ich mich in meiner Arbeit auf das interkulturelle Lernen im Grund­schulalter beziehe, liegt der Fokus dieser Arbeit besonders auf den Lernzielen 1 - 7. Kinder im Grundschulalter besitzen nur bedingt die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen, um eine reflexive und außenstehende Perspektive zu eigenen und fremden Standpunkten einzunehmen. Nach Selman35 durchlaufen Kinder in ihrer Ent­wicklung zur Perspektivenübernahme folgende Stufen:

Kindern im Alter zwischen 4 und 9 Jahren wird zunächst die Subjektivität von Per­spektiven bewusst (Menschen denken unterschiedlich, weil sie sich in unterschiedli­chen Situationen befinden).

Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren haben ein reflexives Verständnis (Das ei­gene Handeln kann aus der Perspektive eines Anderen reflektiert und umgekehrt des­sen Reaktion auf eigenes Handeln antizipiert werden.).

Kinder im Alter zwischen 9 und 15 Jahren sind zunehmend fähig, eine wechselseiti­ge Perspektivenkoordination einzunehmen, d. h. zu erkennen, dass beide Seiten die Perspektive des jeweils anderen gleichzeitig berücksichtigen können (Jeder kann sich an die Stelle des anderen oder eines unabhängigen Dritten versetzen und sich selbst von dort aus betrachten, bevor er sich für ein bestimmtes Handeln entscheidet).

Frühestens ab etwa 12 Jahren gelingt es Kindern, die Perspektive sozialer Bezugs­gruppen zu übernehmen. Erst die Einbeziehung der Perspektive des sozialen Systems und seiner Normen erlaubt ein angemessenes Verstehen und Kommunizieren.

Bei der Umsetzung von interkulturellen Lernprozessen in der Grundschule ist daher zu beachten, dass Kinder erst im Alter von etwa 12 Jahren fähig sind, die Perspektive einer Gesellschaft und ihrer Konventionen einzunehmen und kritisch zu hinterfra- gen.36

Nach dem Entwicklungsstufenmodell von Piaget befinden sich Kinder im Grund­schulalter auf der konkret-operationalen Stufe37. In dieser Phase entwickeln Kinder die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und zur Differenzierung unterschiedlicher Sichtweisen. Die Entwicklung dieser Fähigkeit ist jedoch erst gegen Ende des Grund­schulalters vollständig ausgereift.

Im Bereich der Empathiefähigkeit werden im Grundschulalter Fähigkeiten erworben, die die Kinder die Lebenssituation anderer Menschen erkennen lassen. In dem sie sich an die Stelle des Anderen hineindenken, können sie zunehmend deren Perspekti­ve übernehmen.38 Behr und andere39 haben die Lehr- und Lernfähigkeit von Empathie bei Grundschulkindern getestet und kamen zu dem Ergebnis, dass bereits im Grund­schulalter gute Fördermöglichkeiten für Empathie bestehen. Dies lässt den Schluss zu, dass bereits im Grundschulunterricht gute Voraussetzungen zur Förderung von interkulturellen Lernprozessen bestehen und genutzt werden sollte. Es gilt zu beden­ken, dass die Entwicklungsmodelle nach Selman und Piaget nur als grobes Orientie­rungsraster gesehen werden können, da Kinder in ihren individuellen Entwicklungs­verläufen sehr differieren können. Ebenso können Zielsetzungen im Bereich des interkulturellen Lernens nur als Richtlinien verstanden werden.40 Wie deutlich ge­macht werden konnte, sind Kinder im Grundschulalter nicht in der Lage, den kom­plexen Zusammenhang von interkulturellem Lernen zu erfassen, in dem sie Elemente anderer Kulturen bewerten oder sogar selbst übernehmen.41 Man muss sich bewusst machen, dass interkulturelles Lernen als ein komplexer Prozess abläuft, der eine Rei­he verschiedener Etappen umfasst, die erst zusammenwirkend einen nachhaltigen Bildungseffekt erzeugen.42 Für Nieke43, Hartung44 und Schmitt45 vollzieht sich interkul­turelles Lernen von der Wahrnehmung kultureller, sozialer und sprachlicher Ver­schiedenheit über die Akzeptanz und den Austausch, wobei die Vielfalt als Bereiche­rung empfunden wird und man zunehmend eine Sicherheit entwickelt, sich in interkulturellen Situationen kompetent zu bewegen, zur Wertschätzung und Annahme von Elementen aus der fremden Kultur als Bereicherung für das eigene Denken und Handeln. Lernziele für Grundschulkinder können aufgrund der bereits genannten Gründe nur im Bereich der ersten beiden „Stufen“ angesetzt werden. Das Aufgaben­feld der Grundschule liegt somit vor allem in der Sensibilisierung der Schüler für einen toleranten Umgang mit dem Fremden. So kommt der Grundschule insbesondere im Lernprozess der interkulturellen Kompetenz eine vorbereitende Rolle zu.

Sieht man interkulturelles Lernen vor allem mit dem Blick auf die Förderung von Toleranz und Akzeptanz dem Fremden gegenüber, so stellt sich das soziale Lernen als ein wesentliches Lernziel in den Vordergrund. Über die Ausbildung von sozialen Kompetenzen werden in den verschiedenen Ansätzen zum interkulturellen Lernen unterschiedliche Meinungen vertreten. Im Folgenden möchte ich einige herausstellen. Nach Bliesener46 muss das soziale Lernen, d. h. die ,Sozialkompetenz' als Grundlage für interkulturelles Lernen gesehen werden: „Die allgemeine soziale Kompetenz ist die Voraussetzung für die angestrebte interkulturelle Kompetenz“47 und muss somit ein entscheidendes Lernziel in der interkulturellen Erziehung und Bildung sein. Blie- sener zählt dazu die Erziehung zur Selbstbeherrschung, das Erspüren der Interessen anderer, das Zuhören-Können und die Artikulation der eigenen Interessen in ange­messener Form. Sozialkompetenz zeigt sich außerdem im höflichen, offenen Umgang mit anderen sowie in der Fähigkeit, auch Ungerechtigkeiten hinzunehmen und ertra­gen zu können.48 Prote49 unterscheidet im Bereich des sozialen Lernens vor allem drei Schwerpunkte: Die Stärkung der Identität des Kindes zur Förderung eines positiven Selbstbildes; die Förderung von sozialen Fähigkeiten zur Entwicklung und Aufrecht­erhaltung sozialer Beziehungen und die Ausbildung einer sozialen Handlungsfähig­keit als Mitglied im Rahmen einer Gruppengemeinschaft. Die positive Entwicklung des Selbstwertgefühls sowie der Identität der Kinder ist eine wesentliche Vorausset­zung für das Gelingen von interkulturellem Lernen, da Kinder „nur so [...] zuneh­mend besser bereit und in der Lage [sind], auf andere Kinder angemessen zuzugehen, sie zu achten und eigene Verhaltensweisen - falls erforderlich - zu ändern“50. Die Förderung des sozialen Lernens und die Stärkung der Kinder in ihrer Persönlichkeit sollten somit als grundlegende Elemente einer interkulturellen Erziehung und Bildung angesehen werden. Aus diesem Grund werde ich Märchen in ihrer Wirkung auf Kin­der auch dahingehend untersuchen.

Wie jedoch lassen sich die verschiedenen Lernziele von interkulturellem Lernen im Grundschulunterricht didaktisch und methodisch umsetzen?

1.1.3 Didaktische Ansätze von interkulturellem Lernen nach Kiper

Gegenwärtig kann man als Antwort auf diese Frage in der Literatur keine einheitli­chen Konzeptionen finden. Vielmehr trifft man auf verschiedene, teilweise überlap­pende Ansätze und Theoriekonzeptionen interkultureller Erziehung und Bildung.51 Ich möchte mich in dieser Arbeit auf die Ausführungen von Kiper52 beziehen, welcher für die Primarstufe acht didaktische Ansätze zum interkulturellen und antirassistischen Lernen aufgestellt hat, von denen ich im Folgenden fünf kurz darstellen möchte. Ich werde nur die Ansätze herausstellen, die bezogen auf den Einsatz von Märchen im interkulturellen Unterricht53 relevant sind.54

(1) Der Ethnizitätsansatz geht davon aus, dass Kinder ethnische Differenzen wahrnehmen und so­mit kulturelle Besonderheiten im Unterricht thematisiert werden sollten. „Durch interkulturellen Unterricht werden SchülerInnen mit Geschichte, Lebenswelt und politischen, kulturellen und religiösen Ausdrucksformen der Minderheiten bekannt gemacht.“55
(2) Der Selbsterfahrungsansatz kritisiert eine allein kognitiv ausgerichtete Didaktik, welche Bilder, Vor­stellungen und Bewertungen des Selbst keine Beachtung schenkt und for­dert die Förderung von interkulturellem Lernen durch die Reflexion der eigenen Gefühle. Vielmehr sollte die eigene Lebenspraxis als Untersu- chungs- und Diskussionsgegenstand im Unterricht im Vordergrund ste­hen.
(3) Der biografische Ansatz stellt die Lebensgeschichte der Kinder in den Mittelpunkt des Unterrichts. Durch eine gezielte Didaktik soll KmM und deutschen Kindern die Mög­lichkeit gegeben werden, ihre biographischen Erlebnisse im Unterricht einzubringen und sich durch die Auseinandersetzung mit ihrem Leben ein verstärktes Ich-Bewusstsein zu schaffen. Der Schwerpunkt liegt hier vor allem in der Zusammenarbeit und Wertschätzung der KmM.
(4) Der Diskursansatz geht davon aus, dass Missverständnisse und Konflikte in einer multinati­onalen Gesellschaft vorkommen und im Unterricht aufzugreifen sind. Durch die thematische Auseinandersetzung soll die Bereitschaft gefördert werden, Konflikte und Spannungen auszuhalten und friedlich auszutra­gen. So kann eine Gemeinschaft entstehen, in der man sich einander in seiner Andersartigkeit akzeptiert.
(5) Der ideologiekritische Ansatz zielt auf das Sichtbarmachen der hierarchischen Einordnung von Men­schen aufgrund ihrer Sprache, Kultur, Religion oder Hautfarbe in und durch die europäische Kultur ab. Dieser Ansatz sieht in der unterrichtli­chen Auseinandersetzung mit kindgerechten Materialien (Lieder, Bücher, Spiele) in einer Lernergruppe mit KmM und deutschen Kindern eine Chance, durch die Konfrontation der unterschiedlichen Wahrnehmungen der Kinder, zur Selbstreflexion und Bewusstmachung sowie zur Aufbre­chung von Ethnozentrismus anzuregen.

Bei der Umsetzung in die unterrichtliche Praxis können die Grenzen der aufgeführten Ansätze ineinander übergehen. Allen Ansätzen ist gemeinsam, in der Anwesenheit von Minderheiten und der daraus resultierenden kulturellen, sprachlichen und sozia­len Heterogenität der Lernergruppe eine Bereicherung für den Unterricht zu sehen und diese zum Ausgangspunkt von interkulturellen Lernprozessen zu machen. Dabei sollte beachtet werden, dass KmM zu ihrem Herkunftsland und dessen Kultur ein gespaltenes Verhältnis haben können. KmM sind wie alle Kinder auf der Suche nach einer Identität. Im Alltag werden KmM mit zwei oder mehreren Kulturen konfron­tiert, deren Wert- und Bedeutungssysteme sich zum Teil widersprechen. Lehrer, El­tern und Mitschüler stellen verschiedene Erwartungen an das Kind, die durch unter­schiedliche kulturelle Sichtweisen geprägt sind. Der Aufbau einer stabilen Ich- Identität erweist sich für KmM äußerst schwierig. Viele KmM sind in Deutschland geboren und hatten kaum Kontakt zu ihrer Herkunftskultur. Sie können sich somit auch nur wenig mit dieser identifizieren. Zudem müssen sie erleben, wie die Lebens­weise der Eltern oft als komisch, minderwertig und diskriminierend von der deut­schen Gesellschaft behandelt wird. Dies führt nicht selten dazu, dass KmM die Ver­haltensweisen ihrer deutschen Interaktionspartner übernehmen wollen, um sich der deutschen Kultur zugehörig zu fühlen.56 Das kann allerdings nur schwer gelingen, da ihnen in Deutschland wiederum die Identität als Türke, Grieche etc. zugeschrieben wird und dementsprechende Verhaltensweisen von ihnen erwartet werden. KmM fühlen sich daher in keiner Kultur richtig zu Hause. „Realität ist für sie die Mischkul­tur der Migrantenminorität.“57 Die Fokussierung auf die Heimatländer im interkultu­rellen Unterricht stößt daher bei KmM oft auf Abneigung. Bei der Darstellung und Bearbeitung von kulturellen Elementen (Märchen, Lieder, Bilder, etc.) im Unterricht, sollte eine Stigmatisierung unbedingt vermieden werden. Rösch weist an dieser Stelle auf die Gefahr der Kulturalisierung58 hin, der sich Pädagogen im Unterricht bewusst sein müssen.59 Interkulturelles Lernen sollte für die KmM stets Angebote zur Identifi­zierung bereitstellen, diese aber nicht erzwingen. Bezogen auf die Lernziele interkul­turellen Unterrichts mit Ausländerkindern muss man sich Folgendes vergegenwärti­gen: „Der Erwerb von Handlungsfähigkeit in der Bundesrepublik [...] und die Entwicklung und Erhaltung einer kulturellen Identität als Lernprozeß [...] müssen [...] im Zusammenhang mit der Leitvorstellung der Entwicklung einer Identität als Migranten in der Bundesrepublik [gesehen werden].“60 Im nächsten Abschnitt möchte ich methodische Möglichkeiten zur Umsetzung von interkulturellen Lernprozessen aufzeigen.

[...]


1 Vgl. „Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration“ unter: http://www.migration-info.de/migration_und_bevoelkerung/artikel/060609.htm [01.06.2007]

2 http://www.stern.de/politik/deutschland/534427.html?nv=ct_mt [01.06.07]

3 Vgl. Kupfer-Schreiner 2001 S. 24.

4 Vgl. Nieke 1992 S. 49.

5 Vgl. Nieke 1992 S. 49f.

6 Zu Grundprinzipien und Lernzielen der DaZ -Förderung vgl. Kapitel 1.1.2

7 Vgl. Kiper 1996 S. 197.

8 Vgl. Holzbrecher 2004 S. 52.

9 Vgl. Holzbrecher 2004 S. 51.

10 Vgl. Nieke 1992 S. 52.

11 Vgl. Coburn -Staege 1994 S. 76.

12 Vgl. Holzbrecher 2004 S. 53.

13 Vgl. Kupfer-Schreiner 2001 S. 25.

14 Vgl. Nieke 2000 S.227.

15 Vgl. Kupfer - Schreiner 2001 S. 25.

16 Vgl. http://www.medienwerkstatt-online.de/lws_wissen/vorlagen/showcard.php?id=6381&edit=0 [08.06.07]

17 Vgl. Hartung 2004 S. 4.

18 Ebd.

19 Vgl. Empfehlungen für „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ der Kultusminister­konferenz vom 25.10.1996 S. unter: http://www.kmk.org/doc/beschl/671-1_Interkulturelle%20Bildung.pdf [11.06.07]

20 Vgl. „Bildungsansprüche von Grundschulkindern - Standards zeitgemäßer Grundschularbeit“ unter http://www.grundschulverband.de/standards_grundl_kon.html [1.06.07]

21,Kultur' definiere ich an dieser Stelle im Sinne des „erweiterten Kulturbegriffs“, d.h. „die gesamte Lebenswirklichkeit der in einem bestimmten Sprach- und Kulturraum lebenden Menschen“ (vgl. Bie- chele/ Padros 2003 S. 145).

22 Vgl. Losche 1995S.17.

23 Vgl. Losche 1995 S.22.

24 Vgl. Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ Kultusministerkonferenz 1996.

25 Ebd.

26 Vgl. Nieke 1992 S. 64.

27 Vgl. Bliesener 1997 S. 222ff.

28 Vgl. Bliesener 1997 S. 223.

29 Bliesener 1997 S. 223.

30 Vgl. Biechele/Padros 2003 S. 145.

31 Vgl. Nieke 1992 S. 66.

32 Bliesener 1997 S. 226.

33 Essniger Graf 1984 S. 29.

34 Vgl. Essinger/Graf 1984 S. 29.

35 Selman 1980 zitiert nach Oerter/Montada 2002 S. 601.

36 Dies entspricht etwa dem Schulalter der 5/6 Klasse.

37 Vgl. Resch et. al. 1999 S. 197.

38 Vgl. Resch et. al. 1999 S. 199.

39 Behr u. a. 2004

40 Vgl. Auernheimer 2003 S. 126.

41 Vgl. Frederichs/ Kleinschmidt 2003 S. 87.

42 Vgl. Schmitt 1993 S. 9.

43 Vgl. Nieke 2000 S. 204.

44 Vgl. Hartung 2004 S. 6.

45 Vgl. Schmitt 1993 S. 9.

46 Vgl. Bliesener 1997

47 Bliesener 1997 S. 225

48 Vgl. Bliesener 1997 S.

49 Vgl. Prote 1996 S. 78ff.

50 Prote 1996 S. 78

51 Vgl. Gogolin/ Krüger-Potratz 2006 S. 109

52 Kiper 1996 S. 200.

53 Unter dem Begriff des ,interkulturellen Unterrichts' ist in der Arbeit kein eigenes Schulfach zu ver­stehen. Interkultureller Unterricht findet überall dort statt, wo interkulturelle Lernprozesse in den Un­terricht miteinbezogen werden.

54 Acht Ansätze zum interkulturellen Lernen nach Kiper vollständig in Prote 1996 S. 200ff.

55 Kiper 1996 S. 200.

56 Vgl. Steffen S. 58.

57 Steffen S. 58

58 „Kulturalisierung meint, dass Menschen auf kulturelle Merkmale reduziert und darauf festgelegt bzw. zu Repräsentanten einer, in aller Regel national oder durch die Religion definierten Kultur erklärt wer­den. Kulturalisierung ist in der Regel fremdbestimmt und bezieht die Selbstwahrnehmung der Be­troffenen nicht ein.“ (Rösch 2003 S. 34).

59 Vgl. Rösch 2003 S. 34.

60 Steffen 1981 S. 59

Fin de l'extrait de 132 pages

Résumé des informations

Titre
Märchen im DaZ-Unterricht der Grundschule. Interkulturelles Lernen und Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund
Université
http://www.uni-jena.de/  (Auslandsgermansitik DaF/ DaZ)
Note
1,7
Auteur
Année
2007
Pages
132
N° de catalogue
V911216
ISBN (ebook)
9783346563866
ISBN (Livre)
9783346563873
Langue
allemand
Annotations
Diese Arbeit enthält eine komplett ausgearbeitete Unterrichtsstunde zum Thema "Interkulturelle Spracharbeit am Beispiel von Hänsel und Gretel" mit ausgearbeiteten Folien im Anhang. Ebenso werden umfangreiche Beispiele aufgeführt zur vielseitigen Sprachförderung mit Märchen.
Mots clés
Märchen, Interkulturelles Lernen, Sprachförderung, Kinder mit Migrationshintergrund
Citation du texte
Doreen Frohwein (Auteur), 2007, Märchen im DaZ-Unterricht der Grundschule. Interkulturelles Lernen und Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/911216

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