Die (Gender-) Faktoren Kontrolle und Unterdrückung durch Ärzte in den Hebammenordnungen der frühen Neuzeit anhand der Heilbronner Hebammenordnung aus dem 18. Jh.


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

20 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

I. Einleitung

II. Die (genderrelevanten-)Faktoren Kontrolle und Unterdrückung durch Ärzte in den Hebammenordnungen der frühen Neuzeit anhand der Heilbronner Hebammenordnung aus dem 18. Jh
1. Kurzer Abriss des aktuellen Forschungsstandes zur Geschichte der Geburtshilfe
2. Recht- und Rechtswirklichkeit in der frühen Neuzeit
2.1 Recht und Rechtswirklichkeit in der frühen Neuzeit – allgemeine Tendenzen
2.2 Recht und Rechtswirklichkeit in der frühen Neuzeit – Tendenzen in der Geburtshilfe
3. Die Heilbronner Hebammenordnung – Quelleninterpretation
3.1 Die Heilbronner Hebammenordnung – Auswahlkriterien und Datierung
3.2 Analyse und Interpretation der Heilbronner Hebammenordnung
3.2.1 Physiologische und charakterliche Vorraussetzungen
3.2.2 Examinierung und Ausbildung
3.2.3 Abergläubische Praktiken und schlechte Charaktereigenschaften
3.2.4 Meldung unverheiratet Schwangerer und alljährliche Befragung
3.2.5 Heiltätigkeiten, die über die Geburtshilfe hinausgehen
3.2.6 Verhalten im Falle einer schwierigen Geburt oder Tod der Gebärenden oder des Kindes
3.2.7 Anwesendheit während und nach der Geburt
3.2.8 Fortbildung
3.2.9 Landhebammen

III. Zusammenfassung der Ergebnisse

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„In Wahrheit waren die Hebammenordnungen eine der ersten Kampfmaßnahmen der Feudalgesellschaft, die die Geburtshilfe aus dem Frauenbereich herauslösen sollten, um sie gesellschaftlicher Kontrolle zu unterwerfen.“[1]

In diesen Tenor einstimmend, befassten sich viele ältere Veröffentlichungen der Frauenforschung mit der Geschichte des Hebammenberufs. Immer wieder konstatieren sie eine schleichende Unterdrückung und Kontrolle der weiblichen Hebammen durch eine übermächtige männliche Ärzteschaft. Die ehemals freie Tätigkeit als Hebamme wäre nach und nach durch den Erlass von Hebammen-, Medizinal- und Policeyordnungen dem Reglement der studierten Mediziner unterstellt worden.

Die Aspekte Unterdrückung und Kontrolle scheinen stark geschlechtsorientiert zu sein. Kontrolle und Unterdrückung geht nur von einem Geschlecht aus: den Männern, wobei die Frauen als Opfer dieser Kontrolle erscheinen.

Das Argument der Unterdrückung bzw. Kontrolle der Hebammen wird durch die reichlich vorhandenen normativen Quellen scheinbar belegt, wobei hier die Frage nach der Umsetzbarkeit der Verordnungen bzw. die Frage, ob diese Regelungen überhaupt befolgt wurden, meist ausgeklammert wird.

Das Anliegen dieser Arbeit ist es, anhand einiger Überlegungen zu Recht und Rechtswirklichkeit die Frage nach der scheinbaren Unterdrückung und Kontrolle des Hebammenberufs durch Hebammenordnungen neu zu bewerten.

Die grundlegende Fragestellung ist folglich, inwiefern normative Quellen zur Geschichte der Hebammenzunft, d.h. in diesem Fall der Hebammenordnungen, den Aspekt der Kontrolle durch eine aufstrebende männliche Ärzteschaft bzw. männliche Obrigkeit aufzeigen, dies unter besonderer Berücksichtigung von ideellem und realem Recht.

Hierzu soll exemplarisch eine Hebammenordnung einer eingehenden Analyse unterzogen werden, vor allem im Hinblick auf die (genderrelevanten-)Faktoren Unterdrückung und Kontrolle. Dass die Behandlung nur einer Hebammenordnung methodische Schwierigkeiten mit sich bringt, ist nicht von der Hand zu weisen, jedoch in Anbetracht des geringen Umfangs dieser Arbeit erforderlich. Die Wahl fiel auf die Heilbronner Hebammenordnung, die in die Mitte des 18. Jh.s datiert wird. Warum die Wahl gerade auf diese Ordnung fiel, wird unter 3.1 ausführlich erläutert.

Da sich die Hebammenordnungen der verschiedenen Zeiten und der verschiedenen Städte in ihren Grundzügen zwar ähneln, in den angesprochenen Punkten jedoch stark divergieren, kann die Untersuchung nur einer Ordnung nicht Allgemeingültigkeit für alle Städte und Zeiten beanspruchen. Da allerdings die Anmerkungen zu Recht und Rechtswirklichkeit allgemeine Gültigkeit besitzen, erweist sich, was diesen Punkt anbelangt, eine allgemeinere Sichtweise auf andere Hebammenordnungen als sinnvoll.

II. Die (genderrelevanten-)Faktoren Kontrolle und Unterdrückung durch Ärzte in den Hebammenordnungen der frühen Neuzeit anhand der Heilbronner Hebammenordnung aus dem 18. Jh.

1. Kurzer Abriss des aktuellen Forschungsstandes zur Geschichte der Geburtshilfe

Die Geschichte der Geburtshilfe wurde bisher aus zwei Perspektiven behandelt. Sie ist zum einen Thema der „traditionellen“ Medizingeschichte,[2] die eine Art „Erfolgsstory“ beschreibt, in deren Mittelpunkt die Entwicklung medizinischer Theorien, die großen Männer des Faches sowie deren wissenschaftliche Errungenschaften und Leistungen stehen.[3] Die andere Perspektive ist jene der historischen Frauenforschung, die sich mit den negativen Folgen der Medikalisierung beschäftigt. Hierbei rückt die Marginalisierung und Verdrängung weiblicher Heiltätigkeit in das Zentrum des Interesses.[4]

In der traditionellen Medizingeschichte tauchen Hebammen nur am Rande auf, gelten sie doch als vom wissenschaftlichen Fortschritt überholt.

Die Frauengeschichte jedoch machte die Hebamme in den letzten Jahrzehnten zu einer prominenten Figur. Der Niedergang ihrer Zunft wurde als symptomatisch für die Geschichte von Frauenberufen betrachtet und gipfelte in der Theorie über „die Vernichtung der weisen Frauen,“[5] die allerdings als widerlegt gelten kann.[6]

Die These, dass einstmals freie Hebammen des Mittelalters durch Hebammenordnungen und seit dem späten 18. Jh. durch Hierarchisierungen und Verschulung an den Rand gedrängt und marginalisiert wurden, beruht vor allem auf der Analyse normativer Quellenbestände.[7] Allerdings gehen nur wenige Untersuchungen zum Hebammenwesen über die normative Ebene hinaus und überprüfen die praktische Durchsetzung der Normen. Einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung der Rechtswirklichkeit im 15. und 16. Jh. hat Sibylla Flügge anhand der Analyse von Hebammeneiden und -ordnungen geleistet.[8]

Ebenso wenig unterscheiden viele Untersuchungen zwischen Stadt- und Landhebammen. Sie beziehen sich meist auf die städtischen Hebammen und übertragen die Ergebnisse unhinterfragt auf die Landhebammen.[9] Eva Labouvie hat sich explizit mit dem Leben und der Situation der Landhebammen auseinandergesetzt und klare Unterschiede zwischen Stadt- und Landhebammen herausgearbeitet.[10]

Allen neueren Publikationen kann eine ausgeprägte Gendersensibilität zugesprochen werden, ist doch immer der diametrale Gegensatz zwischen weiblicher Geburtshilfe bzw. weiblicher Hebamme und männlicher Ärzteschaft bzw. männlichen studierten Medizinern nach wie vor grundlegendes Thema, wenn auch verschiedene Aspekte der Geburtshilfe behandelt werden. Kontrolle und Unterdrückung sind zentrale gendersensible Begriffe, da sie stets von der männlichen Seite auszugehen scheinen.

Dieser knappe Forschungsüberblick illustriert, dass eine explizite Untersuchung von Recht und Rechtswirklichkeit der Hebammenordnungen des 18. Jh.s noch aussteht. Dies soll nun im Rahmen dieser Arbeit am Beispiel der Heilbronner Hebammenordnung geschehen. Auch die vermeintliche Einseitigkeit von Kontrolle und Unterdrückung soll geprüft werden.

2. Recht- und Rechtswirklichkeit in der frühen Neuzeit

2.1 Recht und Rechtswirklichkeit in der frühen Neuzeit – allgemeine Tendenzen

Die Untersuchung normativer Quellen der frühen Neuzeit stellt sich im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen Gesetzestexten und Rechtswirklichkeit als problematisch dar.[11] Dieses auch heute noch anzutreffende Problem, dass das Vorhandensein eines Gesetzes nicht zwingend bedeutet, dass es auch befolgt wird, ist gerade für die frühe Neuzeit ein grundlegender Aspekt, der in der Forschung gerne außer Acht gelassen wird.[12]

Deshalb muss, um Aussagen darüber zu formulieren, inwiefern Hebammenordnungen eine Kontrolle der Ärzteschaft über die Hebammen repräsentieren, zuerst eine Untersuchung der allgemeinen Zeitumstände, was die Befolgung von Gesetzen anbelangt, erfolgen. Wurden nämlich die Verordnungen nicht befolgt, kann von Kontrolle nicht gesprochen werden.

Beispiele aus dem Strafrecht, Vagabunden und Bettler betreffend[13], legen nahe, dass zwar in einigen Fällen drakonische Strafen angewandt wurden, d.h. Vagabunden erschossen oder gehängt wurden, in den meisten Fällen jedoch die ganze Härte der Edikte nicht angewandt wurde und es – wenn überhaupt – bei Prügeln oder Landesverweisung blieb.[14]

Ein weiteres Beispiel für das mäßige Durchgreifen der Obrigkeit liefert das Verhalten der Pariser Polizei im ganzen 18. Jh. gegenüber Männern, die der Homosexualität bezichtigt wurden. Zwar wurden hunderte von Männern aufgegriffen, aber lediglich etwa ein Dutzend vor ein ordentliches Gericht gestellt. Auch bei diesem Delikt drohte die Todesstrafe, kam aber, wie bei anderen Delikten auch, nur selten zur Anwendung.[15]

Ähnlich verhält es sich im Wirtschaftsleben. Obwohl seit dem Reichsabschied 1731 Gesellenstreiks verboten waren und die Teilnahme mit Gefängnis- über Galeeren- bis hin zur Todesstrafe geahndet wurde, fallen in das 18. Jh. die meisten und größten Streiks der Handwerksgesellen.[16]

Somit liegt die Vermutung nahe, „daß in der alteuropäischen Gesellschaft Gesetze und Mandate nur einen Potentialis darstellen, eine Möglichkeit der Verwirklichung, nicht aber den Realis einer verbindlichen Norm.“[17]

Es wurden sowohl einzelne Edikte als auch umfassende Ordnungen durchgeführt, andere wiederum galten nur auf dem Papier.[18] Dies gilt auch für einzelne Bestimmungen innerhalb eines Gesetzes.[19] Im oben angesprochenen Strafrecht wurden manche Vorschriften in einem Fall angewandt, in einem anderen jedoch ignoriert.[20] Dies lag unter anderem daran, dass beträchtliche Unterschiede zwischen verschiedenen Ortschaften und Untergerichten desselben Territoriums bestanden.

Auch wurden im Kernbereich frühneuzeitlicher Staatlichkeit, innerhalb der Verwaltung, bei den Beamten, viele Gesetze und Verordnungen weder durchgesetzt noch eingehalten.[21] Dies gilt für prozessuale Vorschriften, Kompetenzregelungen und materiale Bestimmungen.[22] Auch waren die Amtsinhaber in umfangreiche Klientelverhältnisse eingebettet, was mit Korruption und Vetternwirtschaft einherging.

Da diese Abweichungen keine Ausnahme, sondern die Regel waren, scheint dieser Sachverhalt ein „strukturelles Gegengewicht gegen die Durchführung des herrscherlichen Gesetzesbefehls innerhalb der administrativen Maschinerie selbst“[23] darzustellen.

Ein genereller Hang zur milden Bestrafung von Delikten ist nicht von der Hand zu weisen. Anstatt darauf zu pochen, dass die Gesetze befolgt werden wie gegeben, wird in der Praxis ein mildes Urteil vollstreckt oder die Sache erst gar nicht verhandelt.[24]

Die bisherigen Ausführungen scheinen zu bestätigen, dass ein wesentlicher Charakterzug des frühneuzeitlichen Staates darin bestand, einerseits im Vergleich zu früheren Jahrhunderten einen enormen Enthusiasmus bei dem Erlass von Gesetzen an den Tag zu legen, diese andererseits jedoch nur partiell durchzusetzen oder aber gar nicht zu beachten.[25]

Es hat den Anschein, als wäre das bloße Erlassen von Gesetzen deren eigentlicher Sinn.[26] Durch den Erlass von Edikten stärkte die Obrigkeit ihre Position gegenüber ihren Untertanen und anderen Herrschaften.[27] Der symbolische Aspekt des Erlassens von Gesetzen war dabei ebenso wichtig wie die Absicht, Verhalten zu ändern. Auch bot sich in diesem Bereich der Obrigkeit eine perfekte Bühne der Selbstdarstellung.[28]

[...]


[1] Becker, Gabriele, Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, Frankfurt a. M. 1977, S. 111.

[2] Seidel, Hans-Christoph, Eine neue „Kultur des Gebärens“. Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998, S. 21, vgl. Anmerkung 37, die einen guten Überblick über die ältere Literatur bietet.

[3] Ebd., S. 22.

[4] Ebd., S. 23.

[5] Vgl. Heinsohn, Gunnar/ Steiger, Otto, Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit, Berlin 1985.

[6] Seidel, (1998), S. 24

[7] Seidel, (1998), S. 24-25.

[8] Flügge, Sibylla, Hebammen und heilkundige Frauen. Recht und Rechtswirklichkeit im 15. und 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998.

[9] Labouvie, Eva, Frauenberuf ohne Vorbildung? Hebammen in den Städten und auf dem Land, in: Kleinau, Elke (Hrsg.)/ Opitz, Claudia (Hrsg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Bd. 1, Frankfurt a. M./New York 1996, S. 218.

[10] Labouvie, Eva, Beistand in Kindsnöten. Hebammen und weibliche Kultur auf dem Land (1550-1990), Frankfurt a. M./New York 1999.

[11] Flügge, (1998), S. 9.

[12] Vgl. Labouvie, (1999), S. 16 und Schlumbohm, Jürgen, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 647.

[13] Schlumbohm, (1997), S. 650.

[14] Ebd.

[15] Ebd., S. 657.

[16] Ebd., S. 652.

[17] Schubert, E., Arme Leute, Bettler u. Gauner im Franken des 18. Jh., Neustadt an der Aisch 1983, S. 249-50.

[18] Schlumbohm, (1997), S. 655.

[19] Ebd.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] Ebd.

[23] Ebd., S. 656.

[24] Ebd., S. 657.

[25] Ebd., S. 659.

[26] Ebd.

[27] Ebd., S. 660.

[28] Ebd., S. 661.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Die (Gender-) Faktoren Kontrolle und Unterdrückung durch Ärzte in den Hebammenordnungen der frühen Neuzeit anhand der Heilbronner Hebammenordnung aus dem 18. Jh.
Université
University of Mannheim  (Seminar für Neuere Geschichte)
Cours
Stadt und Gesundheit in der Neuzeit - Probleme, Pläne, Praktiken und Geschlechter (1500 - 1918)
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
20
N° de catalogue
V91851
ISBN (ebook)
9783638059718
Taille d'un fichier
462 KB
Langue
allemand
Mots clés
Faktoren, Kontrolle, Unterdrückung, Hebammenordnungen, Neuzeit, Heilbronner, Hebammenordnung, Stadt, Gesundheit, Neuzeit, Probleme, Pläne, Praktiken, Geschlechter
Citation du texte
Bakkelaureus Artium Christopher Sommer (Auteur), 2006, Die (Gender-) Faktoren Kontrolle und Unterdrückung durch Ärzte in den Hebammenordnungen der frühen Neuzeit anhand der Heilbronner Hebammenordnung aus dem 18. Jh., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91851

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