Robert Walser und Simon Tanner, zwei einsame Vagabunden

Zu Robert Walsers Roman „Die Geschwister Tanner“


Seminar Paper, 2007

17 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Gliederung

1 Begründung des Themas
1.1 Inhaltliche Zusammenfassung
1.2 Begriffserklärung „vagabundieren“
1.3 Autobiographische Elemente in „Geschwister Tanner“

2 Gründe des Vagabundenlebens
2.1 Freiwilliges vs. unfreiwilliges Vagabundenleben
2.2 Freude an der Natur und am Wandern
2.3 Freiheit und Souveränität als das höchste Gut:

3 Die Folgen des Vagabundenlebens
3.1 Positiv konnotierte Armut
3.2 Leben in der Gegenwart
3.3 Körperliche und geistige Isolation

4 Robert Walsers prophetische Aussicht auf sein Leben

5 Literaturverzeichnis:
5.1 Primärliteratur:
5.2 Sekundärliteratur:

1 Begründung des Themas

1.1 Inhaltliche Zusammenfassung

In dem Roman „Die Geschwister Tanner“ von Robert Walser, den er 1907 als eines seiner ersten Werke veröffentliche, geht es um die Hauptfigur Simon Tanner, einem Vagabunden aus Überzeugung, und die Beziehung zu seinen Geschwistern.

Simon kann nicht lange an einem Ort verweilen und bedient sich Gelegenheitsjobs um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er beansprucht die absolute Freiheit und eine feste Arbeitsstelle mit ihren Regeln würde ebendiese einschränken. Stattdessen vagabundiert er von Ort zu Ort und durch seine natürliche Begabung und Intelligenz mit Leuten umzugehen und sie auf seine Seite zu ziehen, kann er diesen Lebensstil führen.

Mit seinem Bruder Kaspar, einem Maler, hat er eine enge Beziehung. Kaspar repräsentiert den schaffenden Künstler, der nur für seine Kunst lebt und anderen Leuten nur begrenzt Zutritt zu seiner Welt verschafft. So verlässt Kaspar Klara Agappaia, seine Geliebte und die Mieterin der Brüder, da er sich ganz der Kunst widmen will.

Sein anderer Bruder Klaus hingegen ist der Inbegriff der städtischen Leistungsgesellschaft. Klaus hat einen festen Beruf und wird von der Gesellschaft geachtet. Er versucht stets Simon anzutreiben und zu einem für ihn normalen Leben zu bewegen. So auch als er die Schwester Hedwig besucht und dort Simon vorfindet.

Bei Hedwig lebt Simon für drei Monate, da er kein Geld mehr hat. Simon und Hedwig verstehen sich während dieser Zeit sehr gut, auch wenn Hedwig für ihrer beider Lebensunterhalt aufkommen muss. Erst als Simon beschließt wieder weiter zu ziehen, übt auch sie Kritik an seinem unbekümmerten Lebensstiel.

Der letzte Bruder, Emil, taucht erst gegen Ende des Romans auf. Der Älteste der Geschwister hat ein langes Vagabundenleben geführt und ist am Ende in einer Irrenanstalt gelandet. Das Thema des Vagabundierens zieht sich auch bei Robert Walser und Simon Tanner wie ein roter Faden durch das Leben und deswegen wird im Laufe der Arbeit der autobiographische Hintergrund Robert Walser beleuchtet und mit den Handlungen der Romanfigur Simon Tanner verglichen.

1.2 Begriffserklärung „vagabundieren“

Bevor ich aber im Detail auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Robert Walser und Simon Tanner eingehe, möchte ich mich mit dem Begriff „vagabundieren“ beschäftigen. Im Deutschen Universalwörterbuch werden für das Wort „vagabundieren“, das aus dem Französischen stammt, zwei Definitionen angegeben.

Die Erste spricht von einem Menschen, der ohne festen Wohnsitz ist und, seit langer Zeit, als Vagabund oder Landstreicher lebt. Die Zweite definiert „vagabundieren“ als ein ohne festes Ziel Umherziehen, Umherstreifen. Im Bezug auf Simon Tanner und Robert Walser treffen beide Definitionen zu, da sie weder lange an einem Ort verweilen, noch einem festen persönlichen Ziel folgen.

Bei anderer Betrachtung der Definitionen könnte man allerdings auch zu einem anderen Schluss kommen. Simon Tanner und Robert Walser haben stets ein Dach über dem Kopf und sind nicht, wie zum Beispiel im allgemeinen Landstreicher, gezwungen auf der Straße zu leben. Auch verfolgen beide ein Ziel, nämlich Robert Walser das, ein Schriftsteller zu sein und zu schreiben, und Simon Tanner das, sein Leben außerhalb der Gesellschaft zu genießen und sein eigener Herr zu bleiben.

Anhand dieser Gegenüberstellung kann man sehen, dass die Figuren, Robert Walser und Simon Tanner, wesentlich komplexer sind und sich nicht in das eindimensionale Schema des Vagabunden, beziehungsweise Nicht-Vagabunden, hineindrücken lassen. Man kann dadurch auch die Wahl des Themas: „Robert Walser und Simon, Tanner, zwei einsame Vagabunden?“ als gerechtfertigt betrachten, da es einer tief greifenden Untersuchung der beiden Figuren bedarf, um zu erkennen ob die beiden Personen dem Anforderungsprofil eines Vagabunden entsprechen.

Aus der Betrachtung der Definition lässt sich des Weiteren eine Ausweitung des thematischen Stoffes erkennen. In den vorab behandelten literarischen Texten war das zentrale Thema der Spaziergang, welcher in dem Roman „Die Geschwister Tanner“ auf eine andere Ebene befördert wird. Beim Vagabundieren handelt es sich nicht um die, im Unterricht besprochenen, Spaziergänge.

Spaziergänge haben laut Montandon die Eigenschaft sich nur über eine relativ kurze Zeit zu erstrecken.[1] Das Vagabundieren hingegen dauert im Zweifel ein ganzes Leben und ist eine Lebenseinstellung. Daher fällt es schwer einen Vergleich zum Beispiel mit dem „Spaziergang“ von Robert Walser zu ziehen. Natürlich versteckt sich hinter den Spaziergängen auch eine Lebenseinstellung, aber diese Spaziergänge sind Ausbrüche aus dem gewöhnlichen Alltag, und begründen nicht wie bei Simon Tanner das ganze Leben.

Ein weiteres Merkmal des Spaziergang, das „in die Nähe wandern“[2] trifft aus das Vagabundieren ebenso wenig zu wie die Ziellosigkeit des Spazierengehens. Ein Vagabund wandert um ein Ziel, einen Ort zu erreichen. Das „in die Nähe wandern“ verdeutlicht auch, dass man am Ende wieder in sein Heim zurückkehrt, was bei der Hauptfigur der Geschwister Tanner, Simon, nicht der Fall ist, da er von Ort zu Ort, von Arbeit zu Arbeit weiterreist.

1.3 Autobiographische Elemente in „Geschwister Tanner“

Auch Robert Walser hat in seinem Leben an vielen verschieden Orten gewohnt, die er nach bestimmter Zeit aber wieder verlassen hat. Robert Walser hat zum Beispiel in Berlin, Zürich, Bern, und Biel gelebt und dort verschiedene Tätigkeiten übernommen. Sowohl Simon als auch Robert Walser haben für eine Bank, eine Buchhandlung, einen Handelskontor, als Schriftsteller, und bei einer reichen Dame gearbeitet.

Des Weiteren fällt auf, dass die Geschwister Simons große Ähnlichkeit mit Walsers Geschwistern aufweisen. Simon weißt, wie gesagt, große Ähnlichkeit mit Robert auf, der Maler Kaspar entspricht Karl, der auch als Maler arbeitet, Hedwig heißt im realen Leben Lisa, Klaus ist ein Pendant zu Hermann, und der gescheiterte Bruder Emil kann mit Roberts Bruder Ernst in Verbindung gebracht werden. Aber auch Rosa, eine Frau die Simon von Zeit zu Zeit besucht hat ein Äquivalent in der Realität.

Robert Walser sagt selbst, dass es sich bei den Personen im Buch um Abbilder seiner eigenen Geschwister handelt: „[…]; heute finde ich, dass man vor der Öffentlichkeit über seine eigenen Geschwister nicht so intim urteilen darf.“[3]. Die Tatsache, dass der Roman autobiographische Elemente hat, wird auch durch diese Walseraussage unterstützt: „[…] ich hatte Anlagen, eine Art Stromer zu werden und wehrte mich dagegen kaum. Dieses Subjektive hat die Leser in Geschwister Tanner verärgert. […]. Wie falsch handelt also der Dichter wenn er annimmt, die Mitwelt interessiere sich für seine Privatangelegenheiten!“[4] 42f.

Sowohl Simon als auch Robert Walser sind Einzelgänger. Sie haben zwar gute Beziehungen zu ihren Geschwistern, zum Beispiel zu Hedwig und Kaspar, aber sie können nicht lange mit ihnen zusammen sein. Simon genießt zwar die Zeit mit Hedwig in einem Dorf außerhalb der Stadt, eine Oase der Ruhe für Simon, aber er muss wieder weiterziehen. Der unbedingte Wille nach Freiheit, auf den im Laufe der Arbeit noch genauer eingegangen wird, ist der Hauptgrund für das Vagabunden- beziehungsweise Einzelgängertum.

Simon beschreibt sich selbst als Vagabund: „Überall wo ich gewesen bin bald weitergegangen“[5]. Robert Walser war auch oft alleine wie man bei der Antwort auf Carl Seeligs Frage, mit wem er in Bern verkehrt habe, sehen kann. Seine einfache Antwort ist: „Mit mir selber“[6]. Die Tatsache, dass Robert Walser keine engen Beziehungen zu anderen Leuten aufbauen kann, sieht man auch daran, dass er sich weigert seine Schwester, die für ihn immer ein wichtiger Bezugspunkt im Leben gewesen ist, auf ihrem Sterbebett zu besuchen.

2 Gründe des Vagabundenlebens

2.1 Freiwilliges vs. unfreiwilliges Vagabundenleben

So viele autobiographische Elemente in dem Roman auch zu finden sind, so gibt es auch einige Unterschiede zwischen Simon Tanner und Robert Walser. Einer der signifikantesten Unterschiede ist sicherlich der Grund für ihr Vagabundenleben.

Robert Walser ist, aufgrund seines mäßigen Erfolges bei den Bücherverkäufen gezwungen viele andere Arbeiten anzunehmen um sich seine Schriftstellerei finanzieren zu können. Robert Walsers Bücher bekamen meistens gute Kritiken aber der Erfolg bei den Lesern war eher bescheiden. Eine mögliche Ursache hierfür könnten die sprachlichen Besonderheiten sein, die Robert Walsers Werke ausmachen. Er wechselt die Erzählhaltung, es lassen sich oft Wiederholungen finden, und es sind sehr lange Monologe enthalten. Monologe sind ein typisches Element des Theaters und Robert Walser war ein großer Bewunderer des Theaters. Seine Werke sind deswegen auch oft theatralisch geprägt, für eine Aufführung allerdings nicht zu gebrauchen. Die finanzielle Situation erklärt zwar nicht seine häufigen Umzüge, aber es beleuchtet, dass sich hinter seinen Vagabundenleben nicht die romantische Idee Simons verbirgt.

[...]


[1] Montandon, Alain: La passeggiata- ritualità e divagazioni, Salerno Editrice S.r.l. 2006 S. 16

[2] Montandon, Alain: La passeggiata- ritualità e divagazioni, Salerno Editrice S.r.l. 2006 S. 17

[3] Seelig, Carl: Wanderungen mit Robert Walser, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1977 S. 13

[4] Seelig, Carl: Wanderungen mit Robert Walser, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1977 S.42f

[5] Walser, Robert: Geschwister Tanner, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997 S. 9

[6] Seelig, Carl: Wanderungen mit Robert Walser, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1977 S.126

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Robert Walser und Simon Tanner, zwei einsame Vagabunden
Subtitle
Zu Robert Walsers Roman „Die Geschwister Tanner“
College
University of Florence
Course
Letteratura tedesca
Grade
2,0
Author
Year
2007
Pages
17
Catalog Number
V91884
ISBN (eBook)
9783638059756
ISBN (Book)
9783638950176
File size
460 KB
Language
German
Keywords
Robert, Walser, Simon, Tanner, Vagabunden, Letteratura
Quote paper
Dottore Florian Schmidt (Author), 2007, Robert Walser und Simon Tanner, zwei einsame Vagabunden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91884

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