Das Insolvenzverfahren des Swissair-Konzerns

Fallstudie aus der Optik des Schweizer Gesellschaftsrechts und SchKG


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2008

35 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

A. Einleitung
I. Geschichtlicher Überblick
II. Die Konzernstruktur der Swissair-Gruppe
1. Definition eines Konzerns
2. Der Swissairkonzern im Oktober 2001
2.1. SAirGroup AG
2.2. SAirLines AG
2.3. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG
2.4. Flightlease AG
2.5. Swisscargo AG und Cargologic AG

B. Insolvenzverfahren nach SchKG
I. Konkurs als Hauptfall der Generalexekution
1. Voraussetzungen des Konkurses
2. Rechtswirkungen des Konkurses
3. Besonderheit der Insolvenz eines Konzerns
II. Das Nachlassverfahren als Alternative zum Konkurs
1. Zweck und Einleitung des Nachlassverfahrens
2. Voraussetzungen für die Bewilligung der Nachlassstundung

C. Das Liquidationsverfahren des Swissairkonzerns
I. Der Entscheid, um Nachlassstundung zu ersuchen
1. Feststellung der Insolvenz
2. Abwägung der Handlungsmöglichkeiten
3. Kombination von Nachlassverfahren und Auffanggesellschaft
4. Provisorische Nachlassstundung
II. Mängel am geltenden Sanierungsrecht?
1. Zu späte Einleitung des Nachlassverfahrens
2. Rechtmässiges Zuwarten mit dem Insolvenzantrag?
3. Fazit
III. Der Weg zur definitiven Nachlassstundung
1. Ausgangslage
1.1. SAirGroup AG
1.2. SAirLines AG
1.3. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG
1.4. Flightlease AG
2. Überbrückungskredite und deren rechtliche Ein- und Rangordnung
3. Tätigkeit des provisorischen Sachwalters und der Nachlassgerichte
3.1. Veräusserung von Anlagevermögen
3.2. Darstellung der finanziellen Verhältnisse des Konzerns
3.3. Weisungen an die Schuldner
3.4. Ausarbeitung der definitiven Stundungsgesuche
3.5. Würdigung der Gesuche durch die Gerichte
IV. Ausarbeitung und Bestätigung der Nachlassverträge
1. Inventar, Schuldenruf und Prüfung der angemeldeten Forderungen
2. Verkauf weiterer Konzerngesellschaften
3. Verlängerung der Nachlassstundungen
4. Ergänzung des Nachlassvertragsentwurfs
4.1. Ordentlicher Nachlassvertrag
4.2. Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung
5. Die Gläubigerverlsammlungen
5.1. Vorbereitung und Einberufung
5.2. Die Rechte der Gläubiger
a) Wahl der Liquidatoren durch die Gläubigerversammlung
b) Wahl der Gläubigerausschüsse und Anfechtung derselben
c) Abstimmung über die Entwürfe der Nachlassverträge
6. Genehmigungen der Nachlassverträge durch die Richter
6.1. Erlass der Verfügungen
6.2. Begründungen und Rechtswirkungen der Entscheide
a) Zustimmung der Gläubiger
b) Besseres Ergebnis als im Konkurs
c) Sicherstellung des Vollzugs
d) Angemessenheit
V. Weiterer Ablauf der Nachlassliquidation
1. Kollokationsverfahren
2. Verwertung der Aktiven
3. Verantwortlichkeitsklagen
4. Paulianische Anfechtungen
4.1. KPMG-Gesellschaften
4.2. Unique Flughafen Zürich AG

D. Das Vorgehen im Frachtbereich
I. Cargologic AG
1. Verkauf an die Crossair AG
2. Gesuche um Aufhebung der Nachlassstundung
3. Würdigung der Gesuche durch das Nachlassgericht
II. Swisscargo AG
1. Übernahme des Frachtgeschäfts durch die Crossair AG
2. Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergängen
2.1. Solidarhaftung des Erwerbers i.S.v. Art. 333 Abs. 3 OR?
a) Arbeitnehmer, denen gekündigt wurde
b) Arbeitnehmer, die eine neue Anstellung erhalten
c) Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz
2.2. Informations- und Konsultationsrechte
a) Massenentlassung
b) Betriebsübertragung
c) Sanktionen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Die nachstehenden Werke wurden mit Angabe des Autors und der Seitenzahl zitiert.

AMONN Kurt / WALTHER Fridolin, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., Bern 2003

BERTI Stephen V. / GIRSBERGER Daniel, "nur, aber immerhin", Festgabe für Anton K. Schnyder zum 50. Geburtstag, Zürich 2002, 19 ff.

BÖCKLI Peter, Schweizer Aktienrecht, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2004

DANNECKER Regula / SCHWARZENBACH René, Fallbeispiel Swissair zum Aktienrecht und SchKG, ST 2002, Heft 5, 519 ff.

GANAHL Ernst / Entscheidungskriterien für die Wahl und die Bestätigung eines Nachlassvertrages gemäss SchKG, Diss. Zürich 1978

HARSCH Sebastian, Die einheitliche Leitung im Konzern, Diss. Bern/Stuttgart/Wien 2005

HONSELL Heinrich / VOGT Peter Nedim / WATTER Rolf, Basler Kommentar zum Obligationenrecht II, 2. Aufl., Basel/Genf/München, 2002 (Zit.: BSK-OR II-BEARBEITER)

HUNKELER Daniel / Das Nachlassverfahren nach revidiertem SchKG, Diss. Freiburg 1996

JAEGER Carl / WALDER Hans Ulrich / KULL Thomas M. / KOTTMANN Martin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., Zürich 2001 (Zit.: BEARBEITER, in: Komm-SchKG)

LÜCHINGER René, Swissair, Zürich 2006

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MEIER Isaak / EXNER Christian, Informations- und Konsultationsrechte der Arbeitnehmer bei Sanierungen, ARV 2004, 213 ff.

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RIEMER Hans Michael / KUHN Moritz / VOCK Dominik / GEHRI Myriam A., Schweizerisches und Internationales Zwangsvollstreckungsrecht, Festschrift für Karl Spühler, Zürich/Basel/Genf 2005

SCHNEIDER Uwe H., Konzern - Corporate Governance, in: Wirtschaftsrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Festschrift für Peter Nobel, Bern 2005, 337 ff.

SPRECHER Thomas, Der Gläubigerausschuss im schweizerischen Konkurs­verfahren und im Nachlassverfahren mit Vermögensabtretung, Diss. Zürich 2003

SPÜHLER Karl, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht II, 3. Aufl. Zürich/Basel/Genf 2003

STAEHELIN Adrian / BAUER Thomas / STAEHELIN Daniel, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998 (Zit.: SchKG-BEARBEITER)

STÄUBLI Christoph, Konkursaufschub / Nachlassvertrag / Einvernehmliche private Schuldenbereinigung, in: MEIER Isaak, Aktuelle Fragen des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts nach revidiertem Recht, Basel 1996, 133 ff.

STÖCKLI Kurt, Konsequenzen eines Betriebsübergangs, ST 2005, Heft 6, 485 ff.

VON BÜREN Roland , Der Konzern, in: MEIER-HAYOZ Arthur, Schweizerisches Privatrecht, Band VII: Handelsrecht, Halbband 6, Basel/Frankfurt am Main 1997

WÜTHRICH Karl, Corporate Governance - Theorie und Praxis, ST 2003, Heft 9, 711 ff.

Quellenverzeichnis

Einige der hier genannten Dokumente sind u.a. im Internet abrufbar. Die „Liquidationsseite im Internet“ ist unter http://www.liquidator-swissair.ch (zuletzt besucht am 24. April 2006) zu erreichen. Die „Internetseite der Transliq AG“ lautet http://www.transliq.ch (zuletzt besucht am 24. April 2006).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

I. Geschichtlicher Überblick

Die am 26. März 1931 gegründete Swissair erlebte in den drei Jahrzehnten nach dem Zwei­ten Weltkrieg unter der Leitung von Walter Berchtold und Rudolf Heberlein einen ei­gentlichen Höhenflug1. Sie entwickelte sich zur international angesehenen Flug­ge­sell­schaft mit einem Streckennetz von ca. 130 Bestimmungsorten in über 70 Ländern2.

In den 1980er Jahren trat, von Publikum und Eigentümer ganz unbemerkt, die Trend­wende zu Ungunsten des Finanzhaushaltes der Swissair ein. In den USA hat sich schon ab 1978 die staatliche Aufsicht über die Fluggesellschaften auf sicherheits­relevante As­pek­te beschränkt, worauf der dadurch entstandene freie Wettbewerb mit verschärfter Kon­kurrenz die Flugpreise nach unten drückte. Dieser eisige Wind sollte bald auch auf dem Alten Kontinent wehen, was im Juni 1984 mit der Liberalisierung des Luftverkehrs zwi­schen Grossbritannien und den Niederlanden zaghaft seinen An­fang nahm3.

Anstatt sich einer Schlankheitskur zu unterziehen, steuerte der ab Januar 1996 zu­nächst noch unter dem damaligen Konzernleiter Otto Loepfe tonangebende Philippe Bru­gg­isser die nationale Fluggesellschaft der Schweiz in Richtung Expansionskurs. Im Zu­ge der sog. Hunter-Strategie wurden in der Regel massiv verschuldete Airlines wie die belgische Sabena im Mai 1995, die deutsche Ferienfluggesellschaft LTU oder die Air Littoral im Jahr 1999 mit dem Ziel der einverleiben­den Sanierung aufgekauft. Der hoch­karätige Verwaltungsrat beschränkte seine Meinungs­äusserung zu den Vorhaben Bruggissers oftmals auf blosses Kopfnicken. Die Übernahme der Air Littoral bei­spiels­wei­se, bei der es sich immerhin um ein Geschäft im Umfang von rund 250 Mio. Fran­ken handelte, wurde durch den Verwaltungsrat in einer Zeitspanne von etwa zehn Mi­nuten diskutiert und beschlossen4.

Am 23. Januar 2001 setzte der Verwaltungsratspräsident der SAirGroup AG, Eric Hon­egg­er, den mittlerweile zum Konzernleiter gewordene Philippe Bruggisser ab. Er über­nahm daraufhin die Führungsrolle zusammen mit Wolfgang Werlé (bis anhin u.a. Lei­ter von Gate Gourmet) als Stellvertreter und dem Crossairchef Moritz Suter als Lei­ter der Konzerngesellschaft SAirLines AG. Letztgenannter trat am 7. März 2001, knapp ein­ein­halb Monate nach seinem Antritt, wegen Differenzen mit dem „Swissair“ CEO Beat Schär im Zusammen­hang mit den Pilotengehältern wieder vom Amt zurück – wo­mit er den Ratschlag seines Rechtsberaters Peter Böckli befolgte und Haft­pflicht­kla­gen vor­beu­gte5. Honegger gab am 16. März 2001 seinen Posten auf Betreiben des lang­jähri­gen ein­flussreichen Mitglieds des Verwaltungsrats Rainer E. Gut an den da­ma­ligen Fi­nanz­chef des Nestlé-Konzerns Mario A. Corti ab6.

II. Die Konzernstruktur der Swissair-Gruppe

1. Definition eines Konzerns

Ein Konzern ist eine Gesamtheit von einzelnen Unternehmen, die hierarchisch bzw. stu­fen­weise strukturiert sein können7. Im Sinne von Art. 663e OR und nach der herr­schen­den Lehre8 sind zwei Kriterien erforderlich, damit ein Konzern vorliegt:

- Mehrere, juristisch selbständige Gesellschaften,
- welche unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst sind.

Der Konzern an sich ist keine juristische Person und hat entsprechend auch keine eige­nen Organe und keine eigene Willensbildung – rechtsgeschäftlich tätig und verantwort­lich sind die Organe der einzelnen Konzern­unternehmen.

Die Swissair-Gruppe präsentierte sich im Oktober 2001 als eine komplex verschach­telte und kaum zu überblickende Anhäufung von rund 260 Einzel­gesel­lschaften im In- und Aus­land9.

Da die SAirGroup AG im Wesentlichen die einheitliche Leitung dieser Einzel­gesell­schaf­ten bezweckte, liegen beide genannten Kriterien vor10.

2. Der Swissairkonzern im Oktober 2001

Bei der Umstrukturierung der Swissair in einen Konzern im Frühjahr 1997 wurden mehr­heitlich unklare rechtliche Verhältnisse geschaffen. Es folgt eine kurze Beschreib­ung der wichtigsten Gesellschaften des Swissair­konzerns.

2.1. SAirGroup AG

Im Frühjahr 1997 änderte die „alte Swissair“ ihre Firma in SAirGroup AG. Die Akti­ven und Passiven der so entstandenen SAirGroup AG sind buch­halterisch weit­gehend an die zur gleichen Zeit gegründete abhängige Gesellschaft Swissair Schweizer­ische Luft­verkehr-AG, nachstehend „Swissair“, übertragen worden. Dabei entstanden mang­els schriftli­che Verträge unklare Rechts­ver­hält­nisse11.

2.2. SAirLines AG

Die SAirLines AG als Subhold­ing­gesellschaft hielt die Airlinebeteiligungen der Flug­ge­sell­schaften wie der Crossair AG und der Balair AG und war Holdinggesellschaft für di­verse an­dere Konzernunternehmen. Sie war zu 100% eine Tochter­gesellschaft der SAir­Group AG12. Aufgrund der erwähnten unklaren Rechts­verhält­nissen war die Zu-ordnung der einzelnen Aktivpositionen, insbeson­dere der Verkaufs­erlös der Konzerne Swiss­port, Re­sto­rama, RailGourmet, Gate Gourmet und Nuance schwierig. Es kamen dafür näm­lich die SAirLines AG, die SAirGroup AG, die eigen­tliche „Swissair“ oder die SAir­Group Finance (NL) BV in Frage13.

2.3. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG

Die Swissair Schweizerische Luftverkehr AG war die operative Kerngesellschaft der Gruppe und in Besitz (jedoch nicht Eigentümerin) der Flug­zeuge und der Strecken­kon­zession des Bundes14. Sie war Arbeitgeberin für die meisten An­ge­stellten des Kon­zerns.

2.4. Flightlease AG

Die Flightlease AG stellte dem Konzern die Flugzeuge zur Verfügung. Zwecks Mittel­be­schaffung und Steueroptimierung sind etliche komplexe Sale-, Leaseback- und Hypo­the­kartransaktionen mit anderen Konzerngesellschaften und Finanzinstitutionen durch­ge­führt worden15. Die Flightlease AG hielt aus diesem Grund z.B. eine 100%ige Be­tei­li­gung an der Flightlease Holdings (Guernsey) Ltd16.

2.5. Swisscargo AG und Cargologic AG

Die Swisscargo AG und die Cargologic AG waren logistisch tätig. Sie erbrachten Dienst­leistungen im Bereich Luftfracht, wozu der Vertrieb von Frachtraum mittels eines in­ter­nationalen Netzwerks gehörte. Das Frachtgeschäft übernahm nach dem Grounding die Crossair AG17.

B. Insolvenzverfahren nach SchKG

I. Konkurs als Hauptfall der Generalexekution

1. Voraussetzungen des Konkurses

Das SchKG kennt zwei verschiedene Betreibungssysteme, die Spezial- und die General­exe­kution, wobei die Konkursbetreibung den Hauptfall der Generalexekution darstellt. Die Konkurseröffnung kann in aller Regel auf Begehren eines einzelnen Gläubigers er­wirkt werden, sofern ein Einleitungsverfahren stattgefunden hat und der Schuldner in ein­er der Eigenschaften des Art. 39 Abs. 1 SchKG im Handels­register eingetragen ist.

Sämtliche Gesellschaften der Swissair-Gruppe mit Sitz in der Schweiz waren als Aktien­gesellschaften i.S.d. Art. 620 ff. OR i.V.m. Art. 39 Abs. 1 Ziff. 8 SchKG im Han­dels­register eingetragen. Vor dem 5. Oktober 200118 wären sie folglich bei Zahl­ungs­unfähigkeit gegenüber einem Gläubiger einzeln und selbständig19 in Konkurs ge­fallen, sofern dieser ein Einleitungsverfahren durchgeführt hätte. Das Einleitungs­ver­fah­ren setzt sich aus folgenden Schritten zusammen: Das Betreibungs­begehren eines Gläu­bigers mit darauf folgendem Zahl­ungs­befehl durch das zuständige Be­trei­bungs­amt, der Rechts­vorschlag des betriebenen Konzernunternehmens und dessen ri­chterli­che Be­sei­tigung und schliesslich das Fortsetzungs­begehren des betrei­benden Gläubi­gers.

Der Schuldner kann den Konkurs jederzeit abwenden, indem er seine Forderung ge­gen­über dem ihn betreibenden Gläubiger begleicht.

2. Rechtswirkungen des Konkurses

In der Generalexekution, also nach der rechtsgültigen Eröffnung des Konkurses, greifen alle bekannten Gläubiger auf das gesamte unbeschränkt pfändbare Vermögen des Schuld­ners zu. Dieses fällt unter sog. Konkursbeschlag und bil­det die Konkursmasse20. Die Masse dient der Befriedig­ung der Gesamtheit der Gläubiger, welche daran ein ding­liches, pfandrechtsartiges Recht haben. Obwohl der Konkursit auch nach der Kon­kurseröffnung formeller Eigentümer der Masse bleibt, ist er in der Verfügung und Ver­waltung darüber eingestellt21.

Ein Konkurs der Swissair-Konzerngesellschaften – insbesondere der eigentlichen „Swiss­air“ – hätte die Fortsetzung des Flugbetriebs praktisch verunmöglicht. Die Be­glei­chung der laufenden Verpflichtungen des Fluggeschäfts, namentlich die Bezahl­ung des Treibstoffes und der jeweiligen Flughafengebühren, wären als Ver­fügungs­ge­schäfte ge­genüber den Konkursgläubigern ungültig gewesen, wenn nicht das Konkursamt gehandelt hätte. Der Eintrag im Han­dels­register (bspw. „Swissair Schweizerische Luft­verkehrs-AG in Liquidation“) hätte diese Rechts­un­sicherheit publik gemacht. Zudem hätte der Konkurs einer Holdinggesellschaft wie der SAirGroup AG oder der SAir­Lines AG eine Kaskade von weiteren Konkursen über di­verse Konzern­gesellschaften bewirkt und eine flexible und optimale konzern­interne Fi­nanzbewirt­schaft­ung verun­möglicht22.

3. Besonderheit der Insolvenz eines Konzerns

Im materiellen Recht gilt allgemein das Prinzip der juristischen Selbständigkeit der ein­zel­nen Konzern­gesellschaften. Diese Grundlagen gelten auch bei der Zahl­ungs­un­fä­h­ig­keit des Konzerngebildes. Es sollen nicht alle Aktiven eines insolventen Konzerns in ein­en Topf geworfen werden23.

Die Expertengruppe Nachlassverfahren24 hält den Erlass von eigentlichen Konzern­kon­kurs­normen beziehungsweise eine Sonder­behandl­ung von Grossinsolvenzen für nicht sach­gerecht25.

Nach den Regeln des Konkursrechts haftet für die Forderungen eines Gläubigers ge­gen ein Konzernunternehmen ausschliesslich das Vermögen des betriebenen Un­ter­nehmens. Deshalb bleibt der Zugriff der Gläubiger auf das Gesamtkapital der Konzern­gruppe, wie es zum Beispiel in einer kon­soli­dierten Kon­zern­rechnung im Sinne von Art. 663e OR26 aufgeführt sein könnte, ver­wehrt.

Es kommt also in der Liquidation eines ganzen Konzerngebildes oder Teilen davon zu einer Vielzahl getrennter Verfahren. Dabei kann es vorkommen, dass aus konzern­inter­nen Gründen der Finanzbewirtschaftung einzelne Massen im Insolvenzverfahren über mehr Aktiven verfügen als andere. Dies ist ungünstig für diejenigen Gläubiger, de­ren Forderungen mehr oder weniger zufällig von Massen befriedigt werden, deren Di­vi­den­de kleiner ausfällt, als dies bei anderen Massen der Fall gewesen wäre27.

II. Das Nachlassverfahren als Alternative zum Konkurs

1. Zweck und Einleitung des Nachlassverfahrens

Das oben grob skizzierte Verfahren der Generalexekution bzw. der Zwangsvoll­streckung bedeutet vielfach für den Gemeinschuldner die Vernichtung seiner wirt­schaft­lichen Exi­stenz und die Ent­wert­ung seines Vermögens. Der Zweck des Nachlass­ver­fahrens liegt darin, solche Folgen für den ehrlichen Schuldner in finanzieller Bedräng­nis zu ver­meiden. Es wird eine Sanierung durch Schuldenerlass im Sinne von Art. 115 OR oder zu­mindest eine weniger rigide Liquidation angestrebt, womit dem insolventen Un­ter­nehmen ein Konkurs erspart werden kann28.

Um ein Nachlassverfahren einzuleiten muss zunächst dem Schuldner Nach­lass­stun­dung ge­währt werden. Diese hat im Wesentlichen zur Folge, dass keine Betreibungen ge­gen den Schuld­ner mehr erhoben werden können bzw. dass nicht gleichzeitig der Kon­kurs über ihn eröffnet wird.

Das Verfügungsrecht des Schuldners während der Nachlassstundung ist zwar ein­ge­schränkt, jedoch nur im Umfang des Katalogs von Art. 298 Abs. 2 SchKG; das Ge­schäft kann unter Aufsicht des Sachwalters weitergeführt werden29. Die Weiter­führung des Flugbetriebs war während der Nachlassstundung möglich30.

2. Voraussetzungen für die Bewilligung der Nachlassstundung

Gemäss Art. 293 Abs. 1 SchKG hat der insolvente Schuldner, der auf dem Weg des Nach­lassverfahrens mit seinen Gläubigern einen Konsens erreichen will, vorgängig beim zuständigen Nachlassrichter um Bewilligung der Nachlassstundung zu ersuchen31. Ge­suchsteller können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.

Das Gesuch für die Nachlassstundung muss folgende Angaben und Anträge ent­hal­ten32:

Nachweis, dass die formellen Voraussetzungen (Zuständigkeiten etc.)
vorliegen;

Begründung, weshalb der Schuldner die Nachlassstundung verlangt,
mittels Darstellung von Ursachen und Umfang der Krisensituation;

Anträge darüber, wie über das schuldnerische Vermögen weiter
verfügt werden soll und

- welche Kompetenzen dabei dem Sachwalter zukommen sollen.

Wei­ter wird von einer buchführungspflichtigen, insolventen Unternehmen die Bei­le­gung einer möglichst aktuellen Bilanz und einer Erfolgsrechnung gefordert.

Der Swissair-Konzern bestand fast ausschliesslich aus insolventen Aktien­gesell­schaf­ten. Eine Aktiengesellschaft ist aufgrund von Art. 643 Abs. 1 i.V.m. Art. 957 Abs. 1 OR zur Buchführung verpflichtet und hat demnach gem. Art. 293 Abs. 1 SchKG eine aktuelle Bilanz und eine Erfolgsrechnung dem Gesuch um Nachlassstundung bei­zu­le­gen.

Das Nachlassgericht benötigt als Entscheidungsgrundlage in Sachen Nachlass­stundung eine Übersicht der geschätzten Aktiven des Gesuchstellers und eine Auf­zähl­ung seiner Passiven mit Nennung der jeweiligen Gläubiger33. Wichtig ist dabei gemäss Art. 293 Abs. 1 SchKG, dass sich aus den eingereichten Unterlagen „die Vermögens-, Er­trags- und Einkommenslage [des Gesuchstellers] ergibt".

Zuletzt wird als Beilage der Entwurf eines Nachlassvertrages gefordert. Es soll da­raus ersichtlich werden, dass aus dem Nachlassverfahren ein für die Gläubiger attrak­ti­ver­es Ergebnis hervorgeht, als dies im Konkurs der Fall wäre34.

C. Das Liquidationsverfahren des Swissairkonzerns

I. Der Entscheid, um Nachlassstundung zu ersuchen

1. Feststellung der Insolvenz

Am 25. April 2001 bezifferte Mario Corti an der General­versamml­ung der SAirGroup AG einen Konzernverlust im Jahre 2000 von 2.9 Mia. Franken35. Die Eigenkapitalbasis des Konzerns per Ende Juni betrug 555 Mio. Franken (dies entsprach 2.5% der Bilanz­summe). Zu dieser Zeit betrugen die Nettoverbindlichkeiten der Swissair-Gruppe 12.4 Mrd. Franken36.

[...]


1MOSER, 13.

2LÜCHINGER, 25; BOTSCHAFT REDIMENSIONIERUNG, 6442.

3MOSER, 43.

4MOSER, 84.

5LÜCHINGER, 152 ff.; MOSER, 134.

6LÜCHINGER, 136.

7SCHNEIDER, 346 f. Weder der Gesetzgeber noch das Bundesgericht verwenden ein­heit­liche Begriffe zur Umschreibung der Konzerne. In der Doktrin ist die Vielfalt der verwendeten Be­griffe von „einem geradezu babylonischen“ Ausmass, VON BÜREN, 12 ff. m.w.H.

8HARSCH, 8.

9MOSER, 76.

10VON BÜREN, 15.

11ZIRKULAR Nr. 2, SAirGroup AG, 3.

12Verfügung vom 18. Januar 2002, SAirGroup AG / SAirLines AG betreffend Ermächtigung gem. Art. 298 Abs. 2 SchKG (Swissport International AG).

13ZIRKULAR Nr. 2, SAirLines AG, 4.

14BOTSCHAFT REDIMENSIONIERUNG, 6443.

15ZIRKULAR Nr. 2, Flightlease AG, 3.

16ZIRKULAR Nr. 3, Flightlease AG, 2.

17STÖCKLI, 485. Näheres zum Betriebsübergang unten, D.

18Datum der Bewilligungen der provisorischen Nachlassstundungen durch die jeweils zu­stän­di­gen Nachlassrichter. Weitere Ausführungen dazu unter C.I.4.

19VON BÜREN, 443.

20Art. 197 Abs. 1 SchKG; SPÜHLER, 1.

21AMONN / WALTHER, 327.

22Verfügung vom 3. Dezember 2001, SAirGroup AG betreffend Nachlassstundung, 27 f.

23MEIER, 691. Eine sog. materielle Konsolidierung der einzelnen Insolvenz­verfahren ist nicht er­wünscht, GROUPE DE REFLÉXION, 55.

24Das Bundesamt für Justiz beauftragte im Sommer 2003 Daniel Hunkeler, Franco Lorandi, Isaak Meier, Henry Peter, Daniel Staehelin, Karl Wüthrich, Dominik Gasser und Monique Albrecht mit der Abklärung bezüglich Revisionsbedarf des Nachlassrechts.

25GROUPE DE REFLÉXION, 4.

26VON BÜREN, 90; BÖCKLI, Aktienrecht, 61 und924.

27VON BÜREN, 150; BERTI / GIRSBERGER, 21. Zu den zivilrechtlichen Mitteln zur
Erweiterung des Vollstreckungssubtrats kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf die ent­sprechende Literatur verwiesen werden.

28SPÜHLER, 119; DANNECKER / SCHWARZENBACH, 520.

29AMONN / WALTHER, 451.

30Verfügung vom 3. Dezember 2001, SAirGroup AG, 8.

31Der Richter entscheidet im Summarverfahren, Art. 25 Ziff. 2 lit. a SchKG (SPÜHLER, 122).

32KULL, Thomas M., in: Komm-SchKG Art. 293 N 24 ff.

33KULL, Thomas M., in: Komm-SchKG Art. 293 N 28.

34KULL, Thomas M., in: Komm-SchKG Art. 293 N 35.

35LÜCHINGER, 161.

36NZZ vom 19. September 2001.

Fin de l'extrait de 35 pages

Résumé des informations

Titre
Das Insolvenzverfahren des Swissair-Konzerns
Sous-titre
Fallstudie aus der Optik des Schweizer Gesellschaftsrechts und SchKG
Université
University of Zurich  (Rechtswissenschaftliches Institut)
Note
1,5
Auteur
Année
2008
Pages
35
N° de catalogue
V92256
ISBN (ebook)
9783638063593
ISBN (Livre)
9783640127023
Taille d'un fichier
662 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Arbeit befasst sich in erster Linie aus der Optik des SchKG mit dem Insolvenzverfahren des Swissair-Konzerns. Es kommen dabei jedoch auch Aspekte der geschichtlichen Entwicklung und Hintergründe, wie es zum Grounding vom Oktober 2001 kam, zur Sprache. Der Swissair-Fall bietet einen sehr guten Einblick in das Justiz- und Wirtschaftswesen der Schweiz.
Mots clés
Insolvenzverfahren, Swissair-Konzerns, Liquidation, Handelsrecht, Wirtschaftsrecht, Nachlassverfahren, Schweiz, Luftfahrt, Schweizer Handels- und Wirtschaftsrecht, Insolvenzrecht, Sanierungsverfahren, SchKG, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, Fallbeispiel, Swissair-Konzern, Konzernrecht, SAirGroup, SAirLines, Swisscargo, Cargologic, Swissair Schweizerische Luftverkehrs-AG, Grounding, Corti, Mario A. Corti, Bruggisser, Phillippe Bruggisser, Hunter-Strategie, Sabena, LTU, Kolten, Flughafen Kloten, Crossair, Crossair AG, Flightlease, Phoenix, Wüthrich, Karl Wüthrich, Nachlassgericht, Kollokationsplan, Kollokationsklage, Pauliana, Paulianische Anfechtung, Nachlassvertrag, Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, Art. 317 SchKG, Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss, Nachlassstundung, Nachlasstundung, Bezirksgericht Bülach, Swissair, Verwertung, Karin Anderegg, Oktober 2001, Swissair-Grounding, SAir Lines, SAir Group, SairLines AG, SAirGroup AG, Mario Corti, Georges Schorderet, Lukas Mühlemann, Eric Honegger, Balsberg
Citation du texte
Raphael Schmid (Auteur), 2008, Das Insolvenzverfahren des Swissair-Konzerns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92256

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