Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Informationsökonomische Grundlagen
2.1 Ökonomische Charakterisierung von Information
2.2 Information und rationale Entscheidungsfindung
2.3 Wohlfahrtsmessung nach Kaldor und Hicks (1939)
3 Folgen von Informationen auf das Entscheidungskalkül rationaler Konsumenten
4 Verhaltensökonomische Folgen von Informationen auf das Entscheidungskalkül
4.1 Bounded Rationality und Informationsumgehung
4.2 Ausgewählte Biases und Framing
4.3 Verzerrte Interpretationen öffentlicher Informationen
4.4 Intertemporalität und Reue
4.5 Suchtverhalten – „Gefangensein in den eigenen Präferenzen“
5 Quantifizierungsproblematik bei der Folgenbewertung von Informationen
5.1 Unbewertete Informierungsmaßnahmen
5.2 Endpunktbewertung
5.3 Break-Even-Analyse
5.4 Problematik der Aggregierung ordinaler Wohlfahrtsmaße
5.5 Willingness-to-Pay/ Willingness-to-Accept als empirisches Bewertungsmaß
6 Implementierung der Erkenntnisse in verbraucherpolitische Maßnahmen
7 Zusammenfassung
8 Ethischer Exkurs: ein natürliches „Right to Know“?
9 Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Änderung der Präferenzordnung durch Information
Abbildung 2: Informierung ohne Auswirkung auf die Konsummengen
Abbildung 3: Suchtverhalten und nutzensenkende Information
Abkürzungsverzeichnis
WTA Willingness to Accept, kompensierende Variation
WTP Willingness to Pay, Zahlungsbereitschaft, äquivalente Variation
1 Einleitung
Sollte man immer alles wissen? Ist Information immer nutzensteigernd? Oder sollte man manchmal auf Informationen und damit auch auf eine Informierung verzichten? Für die Beantwortung dieser Fragen, die in einem Informationszeitalter relevanter sind, denn je, muss man sich mit dem Wert von Informationen beschäftigen. Beispielsweise ist im Zuge der Co-ViD-19-Pandemie eine richtige Informierung und eine Abwägung von Informationsmaßnahmen aus lenkungspolitischer Sicht für den Schutz des gesellschaftlichen Wohls unabdingbar. Es stellen sich die Fragen, wann informiert werden soll und damit implizit, wann der freie Markt versagt, wie hoch die Kosten und der Nutzen einer Informierungsmaßnahme ist, wie diese gemessen werden können und schließlich, ob es sinnvoll ist eine bestimmte Informierungsmaßnahme durchzuführen. Mit der Frage nach den Problemen der Informationsbewertung soll sich unter anderem diese Arbeit am Beispiel von Konsumenteninformierung befassen, um so das Verständnis des Kalküls bezüglich der Informierung zu verbessern. Sie soll aufzeigen, warum der Wert von Informationen für Konsumenten nicht eindeutig positiv sein muss, sondern auch negativ sein kann, und welche Probleme es bei der Bewertung eines Informationsnutzens gibt. Obwohl diese Arbeit sich auf Informationen für Konsumenten bezieht, um damit verbraucherpolitische Implementierungen normativ beschreiben und der Verbraucherpolitik neue Denkanstöße geben zu können, sind dessen Erkenntnisse weitreichender, da es sich prinzipiell um Menschen und deren Bezug zu Informationen handelt.
Damit knüpft diese Arbeit an aktuelle Forschung an: Klassisch-ökonomische Theorie hängt an einem Ideal eines vollständigen Marktes fest, bei dem jegliche Information verfügbar ist. Sie ist sich bewusst, dass diese Gegebenheit in Realität nie zutrifft und von Transaktionskosten in monetäre Form oder in Form von Zeit geprägt ist. Damit ist die normative Empfehlung in dieser Sichtweise, den Markt mit möglichst vielen Informationen kostengünstig zu versorgen, um die Entscheidungsbasis zu verbessern und für wohlfahrtstechnisch bessere Konsumentscheidungen zu sorgen. Zunehmend sieht die Forschung von einem solchen Ideal ab. Es wird sich im Laufe der Arbeit zeigen, dass Informationen nicht strikt positiven Wert haben müssen, wie intuitiv vermutet. Diese These wird ebenfalls verhaltensökonomisch verstärkt. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich aufgrund dessen eine verhaltensökonomische Wohlfahrtsökonomik etabliert, die sich vom völlig rationalen Menschen löst. Demzufolge wird die alte politische Frage nach einem Laissez-Faire oder eines paternalistischen Ansatzes – also ob Konsumenten frei entscheiden sollten oder unter einer (zumindest informierenden) Bevormundung des Staates stehen sollten – neu aufgeworfen.
Deswegen ist Ziel dieser Arbeit eine klare Hypothese aufzustellen, ob Verbraucher aus wohlfahrtsökonomischer Sicht blind informiert werden sollten, wie es teilweise der Fall ist, oder ob es manchmal besser ist, Konsumenten nicht zu informieren. Damit sollen Anreize zu einer kritischeren Hinterfragung des Informierungsinstruments gegeben werden, um sich einem idealen Informierungssystem annähern zu können.
Diese Arbeit konzentriert sich auf individuelle Renten, nur teilweise auf die aggregierte Konsumentenrente. Sie behandelt keinen Nutzen und keine Kosten aus Produzenten- oder staatlicher Seite, da dies für die prinzipielle Problemstellung irrelevant ist. Ethische Bedenken werden in einem Exkurs aufgefasst. In dieser Fragestellung ist es essenziell, interdisziplinär – ethisch, juristisch, ökonomisch, politisch – vorzugehen, da diese nicht rein ökonomisch angegangen werden kann, zumal das Wohl von Menschen, das in einem gesellschaftlichen System eingebettet ist, im Zentrum steht.
Um die Zielsetzung zu verfolgen, wird im ersten Teil der Arbeit angeschnitten, wieso sich Information von anderen Gütern unterscheidet und ein handliches, jedoch nicht unumstrittenes Wohlfahrtsmaß vorgeschlagen, dessen Grenzen später beschrieben werden. In Kapitel drei wird weiterhin an die Rationalitätsannahme angelehnt und aufgezeigt, wie sich Information in einem Entscheidungskalkül bemerkbar macht, und dass auch hier durch diverse weitergehende Überlegungen zur Schlussfolgerung gekommen werden kann, dass Information nicht strikt positiv bewertet werden muss. In Kapitel vier wird von der Rationalitätsannahme abgesehen und ein verhaltensökonomischer Ansatz geboten, der die These eines negativen Werts mancher Informationen zusätzlich untermauert. Gleichzeitig werden in diesem Zusammenhang Folgen für die Informationsbewertung angeschnitten, sodass im fünften Kapitel Konzepte zur Informationsbewertung erörtert werden können und dabei retrospektiv auf die Bewertungsproblematiken des vierten Kapitels Bezug genommen werden kann. Im sechsten und letzten Teil werden – trotz eines Netzes von Problematiken – vereinzelt kleinere gewonnene Erkenntnisse in der Bewertung von Informationen für die Verbraucherpolitik normativ ausgearbeitet. Wie erwähnt, ist die Thematik nicht rein ökonomisch zu betrachten, weswegen der ethische Exkurs als eine Erinnerung mit Denkanstößen dienen soll.
Im Anschluss soll die Frage, inwieweit Konsumenten öffentlich informiert werden sollen, neu betrachtet werden. Eine unkritische Betrachtungsweise soll damit in ihrer Legitimation entkräftigt werden. Weiterführend sollten diese Erkenntnisse auch auf den individuellen Umgang eines Menschen mit alltäglicher Information und Informierung ausgeweitet werden können.
2 Informationsökonomische Grundlagen
2.1 Ökonomische Charakterisierung von Information
Informationen charakterisieren sich je nach Betrachtungsweise – sei es informationstechnisch, ökonomisch oder politologisch – durch verschiedene Merkmale. So reichen die Definitionen über ein breites, uneiniges Spektrum. Jedoch ist jedem grob bewusst, was unter Informationen zu verstehen ist, vor allem dann, wenn es sich beispielswiese um öffentliche Informationen zum Verbraucherschutz handelt. Es handelt sich in diesem Kontext um Folgen, Chancen oder Risiken einer bestimmten Konsumentscheidung. Beispielsweise ist die Konsumentscheidung an soziopolitische Auswirkungen geknüpft, wenn es sich um inhuman produzierte Produkte handelt, oder es kann durch gewisse Inhaltsstoffe in z.B. Nahrungsmitteln zur Schädigung des eigenen Körpers kommen. Der Staat kann damit für die Informierung über beispielsweise eine höhere Entlohnung der Kakaobauern beim Kauf von Fair-Trade-Schokolade sorgen oder auch über Folgen von genveränderten Organismen in Nahrungsmitteln für den menschlichen Körper informieren, um das Verhalten wohlfahrtsteigernd korrigieren zu lassen. Diese Informierung muss selbstverständlich nicht nur über negative Folgen aufklären.
Für eine ökonomische Analyse von Informationen im Kontext ihrer Auffassung und Bewertung ihrer Wohlfahrtseffekte genügt eine solche Intuition, ohne sich mit detaillierten Definitionen auseinandersetzen zu müssen, da die Definitionen ein breites Spektrum auffassen und in der Literatur Informationen kontextabhängig uneindeutig und variabel definiert werden. So soll im Folgenden „Information“ als ein Aufklärungsmedium für Konsumenten verstanden werden, das diese über beispielsweise Produktqualität und damit auch Beschaffenheit oder Folgen des Konsums wissen lässt. Dies kann dem (intendierten) Konsum positiv, neutral oder negativ entgegenstehen.
Trotz des Verzichts einer klareren Definition, ist der korrekten Handhabung des Begriffes „Information“ eine ökonomische Charakterisierung essenziell. Information unterscheidet sich nämlich in einem fundamentalen Aspekt von anderen Wirtschaftsgütern. Zwar ist Information wie andere Güter auch nach Ausschließbarkeit und Rivalität zu klassifizieren, doch sie spielt für ökonomische Akteure eine tiefergehende Rolle in ihrem Entscheidungskalkül. Ausschließbarkeit meint die Möglichkeit zum Ausschluss anderer Wirtschaftsakteure von der Nutzung des Gutes, während Rivalität den Zusammenhang des Konsums eines weiteren Akteurs und dem eigenen Grenznutzen einer weiteren zu konsumierenden Konsumeinheit beschreibt. Ein Gut ist genau dann rival, wenn der Grenznutzen mit einem weiteren Nutzer bzw. Konsumenten sinkt. In diesem Sinne lässt sich Information im Grunde genommen als öffentliches Gut klassifizieren, da sie als nicht-ausschließbar und nicht-rival gilt. Die Nicht-Ausschließbarkeit sei zwar zum Beispiel bei Existenz von „Intellectual Property Rights“, also Rechte zum Schutz geistigen Eigentums, nicht gegeben1, doch in der Essenz ist Information ein nicht-ausschließbares Gut. Dies gilt insbesondere für öffentliche Informationen. Diese Arbeit zielt auf eine im Sinne der Wohlfahrtseffekte positive Nutzung von diesen aus, weshalb bei Nicht-Rivalität eine verstärkte Diffusion von Informationen als erstrebenswert gilt. Damit soll die in dieser Arbeit betrachtete Information als nichtausschließbar gelten. Die angenommene Nicht-Rivalität begründet sich in den betrachteten Fällen dieses Aufsatzes durch die letzte zu nennende Eigenschaft von Informationen: Da die Betrachtungsweise von Informationen als öffentliches Gut nebensächlich sein soll, sollte die folgende Eigenschaft nicht nur Basis für die Begründung der Nicht-Rivalität, sondern Hauptaugenmerk sein. Information unterscheidet sich nämlich zu anderen Gütern durch ihren Einfluss auf das Entscheidungskalkül von ökonomischen Akteuren (siehe Kapitel 2.2), was für ihre Bewertung eine maßgebliche Rolle spielt. Damit besitzt sie allein wegen des Einflusses auf das Entscheidungskalküls zum Teil einen vom Konsum anderer unabhängigen Grenznutzen. Da das Hauptaugenmerk in dieser Arbeit die Information im Sinne einer Entscheidungsgröße sein soll und nicht im Sinne eines Konsumguts kann Nicht-Rivalität angenommen werden.
Obwohl die Charakterisierung als öffentliches Gut für die Bewertung nebensächlich ist, da Information kaum wegen direkt hedonistischen Gründen genutzt wird, sondern eher im Gegenteil ein Unnutzen durch die kognitive Verarbeitung entsteht, sind einige weitere Eigenschaften trotzdem darzulegen, um ein klareres Gesamtbild zu bekommen.
Charakteristisch für öffentliche Güter ist der mangelnde Anreiz für die Bereitstellung dieser. „Free-Riding“, also das Nutzen der Informationen, die andere bereitgestellt haben, ist beim Umgang mit Information nämlich die dominierende Strategie. Auch wenn jedes Wirtschaftssubjekt von der Informationsbereitstellung profitiert, genügt es, wenn nur eines diese Information preisgibt, wenn diese mit den Informationen, die andere bereitstellen könnten, homogen ist. Dies liegt daran, dass die erstmalige Informationsaufbereitung und -preisgabe positive Kosten trägt (First-unit-cost) und sich Informationen wegen Nicht-Rivalität nicht „verbrauchen“ lassen. Eine mehrfache Bereitstellung wäre auch gesamtwirtschaftlich ineffizient, da die „Informationsqualität“2 der zweiten Informationsfreigabe Null wäre, zumal diese redundant wäre. Aufgrund der Neigung zum Free-Riding liegt ein Marktversagen vor, da die sozial erwünschte Menge von Information höher ist als die Information, die in einem Pool von „Free-Ridern“ zur Verfügung gestellte wird. Genau deswegen ist von einer staatlichen Bereitstellung nicht abzusehen. Die gleiche Problematik besteht bei der Verbreitung von Informationen.
Im Folgenden wird aufgezeigt, wie sich Information positiv auf das Entscheidungskalkül auswirken kann.
2.2 Information und rationale Entscheidungsfindung
Neben der Funktion als öffentliches Gut geht Information ebenfalls in Entscheidungskalküle von Menschen ein. In neoklassisch-ökonomischer Theorie wird davon ausgegangen, dass ein Wirtschaftssubjekt seine Entscheidungen rational auf Basis verfügbarer Informationen trifft. Je höher die Qualität und damit auch das Ausmaß der Information, desto besser die Entscheidungsgrundlage und desto höher der Erwartungsnutzen des Konsums. Somit könne nach dieser Ansicht ein Konsument bessere Kaufentscheidungen treffen, wenn dieser besser über beispielsweise Produkte oder zukünftige Ereignisse informiert ist. Information habe nach dieser Ansicht stets einen strikt positiven Wert.3 Dieser bemisst sich am Nutzengewinn durch das „Updaten“4 des Entscheidungskalküls und folglich der Änderung der intendierten Entscheidungen. Produzenten lägen besonders einen Wert auf die Qualität von beobachtbaren Eigenschaften wie Design, während vom Konsumenten nicht beobachtbare Eigenschaften eher zu Minderqualität neigen würden.5 Informationen über diese nichtbeobachtbaren Eigenschaften würden Konsumenten prinzipiell besserstellen. Die Kurzlebigkeit eines Automotors wegen schlechter Verarbeitungsmaterialien spricht höchstwahrscheinlich gegen die eigenen Präferenzen. Wenn man dies weiß, wird auf ein Substitut mit höherer Qualität dieser nicht beobachtbaren Eigenschaft ausgewichen, sodass diese Konsumadaption wegen fundierterer Informationen den Konsumenten besserstellt.
Eine Herausforderung ist es den Nutzengewinn durch die veränderten Konsumgrundvoraussetzungen zu quantifizieren.
2.3 Wohlfahrtsmessung nach Kaldor und Hicks (1939)
Um Konsumentenrenten zu monetarisieren,6 wird unter anderem die Methode der kompensierenden bzw. äquivalenten Variation verwendet. Man vergleiche zwei Konsumsituationen, die sich beispielsweise wegen einer Maßnahme anhand von Einkommen und Preisen unterscheiden. Die kompensierende Variation sagt aus, um wie viel man das Einkommen des Konsumenten erhöhen müsste, um ihn den höheren Nutzen der beiden Situationen – vor und nach der Maßnahme – zu ermöglichen. Sie beantwortet damit die Frage, wie hoch die „Willingness-to-Accept“ (WTA) ist, also wie viel mindestens für den Verzicht auf die Maßnahme bzw. die Maßnahme selbst gezahlt werden muss, damit der Konsument nicht schlechter gestellt wird. Die äquivalente Variation beantwortet die Frage nach der WIllingness-to-Pay/ Zahlungsbereitschaft (WTP). Also wie viel ist der Konsument bereit für die bessere Konsumsituation/ das höhere Nutzenniveau zu zahlen. Also über wie viel Einkommen weniger könnte dieser verfügen, ohne dass er sich bei seiner optimalen Konsumentscheidung schlechter stellt als in der besseren Ausgangslage.
Angewandt auf die Frage nach der Bewertung von Informationen heißt dies: Wie viel ist ein Konsument bereit für eine Information zu bezahlen bzw. sich bei negativem Wert der Information vergüten zu lassen, ohne dass dieser sich schlechter stellt als in der Situation ohne diese Information? Oder aus Sicht der kompensierenden Variation: Wie viel müsste man dem Konsumenten zahlen, damit dessen Nutzen nach einer Informierungsmaßnahme (bei negativem Wert der Information) bzw. einem Verzicht auf die Informierungsmaßnahem (bei positivem Wert der Information) nicht geschmälert wird. Somit monetarisieren die beiden Maße zwei Werte der direkten Nutzenfunktion, also der Funktion, die jeder Preis-Einkommenssituation, die optimalen Konsummengen und damit den optimalen Nutzen zuordnet.
Da die direkte Nutzenfunktion ein ordinales Konzept ist, d.h. diese Nutzenwerte nur anhand ihrer Ordnung, nicht aber anhand ihrer Abstände, vergleichen kann, sind zwei verschiedene Nutzenfunktionen nicht vergleichbar, was zu einer interpersonellen Unvergleichbarkeit zweier Nutzen führt. Diese Problematik wird im Folgenden aufgegriffen, da Informationen prinzipiell Präferenzen und damit die indirekte Nutzenfunktion beeinflussen.
3 Folgen von Informationen auf das Entscheidungskalkül rationaler Konsumenten
Zum einen kann Information– wie erwähnt – als öffentliches Konsumgut ihren (Un-)Nutzen rein im Konsum besitzen. Karlsson et al. sprechen dabei von einem „intrinsischen Wert“7 von Informationen wegen eines menschlichen Drangs nach Klarheit8. Jedoch unterscheidet sie sich wesentlich zu anderen Gütern, indem sie auch als entscheidungsbeeinflussender Aspekt in das Kalkül von ökonomischen Akteuren eingeht. Im Folgenden wird analysiert, wie sich Information im Entscheidungssetting bemerkbar machen kann. Des Weiteren wird aufgezeigt, dass sich die Intuition, Information sei immer nutzensteigernd nicht zwingend bestätigt.
Prinzipiell haben Konsumenten eine Vorstellung über zwei durch Informationen beeinflussbare Aspekte ihres Konsums. Zum einen erwarten sie bestimmte nutzenbeeinflussende Eigenschaften des Guts, wie beispielsweise die Lebzeit eines Autos. Die Lebzeit des Autos könnte mit den zur Verfügung stehenden Informationen auf zehn Jahre geschätzt worden sein. Dies kann und wird wahrscheinlich vom korrekten Erwartungswert variieren, was sich auf die Qualität des Entscheidungskalküls auswirkt, wie vorangegangen erörtert.
Zum anderen haben Konsumenten während des Kalküls Erwartungen über das Nutzenniveau, das sie sich vom zu konsumierendem Gut erhoffen können. Beispielsweise kann ein Konsument der weißen Farbe eines zu erwerbenden Autos einen hohen erwarteten Nutzen zuschreiben, jedoch kann sich herausstellen, dass die Farbe mit häufiger Außenreinigung des Fahrzeugs verbunden ist und der Nutzen damit doch niedriger ausfallen wird als erwartet. Gleichzeitig kann sich die Präferenz intertemporal ändern (siehe Kapitel 4.4). Der Konsument lernt neue Farben kennen oder ändert seine Präferenz durch eine gewonnene Farbenfröhlichkeit.
Beide Aspekte, die erwarteten Eigenschaften wie auch der erwartete Nutzen dieser, wirken in gemeinsamer Abhängigkeit. So spiele zum Beispiel die erwartete Nutzung eines PKWs für Fernstrecken für die als ideal empfundene Größe des Fahrzeugs eine tragende Rolle. Die Präferenz für größere Fahrzeuge ist z.B. mit der erwarteten Nutzung des Fahrzeugs für Fernstrecken korreliert.9 Ziel von Informationen als Entscheidungseinfluss ist es die Erwartungen möglichst nah an die realen Verhältnisse zu bringen: Ue (xe) à U (x) mit Ue (x): erwarteter Nutzen in Abhängigkeit eines Konsumbündels U (x): tatsächlicher Nutzen in Abhängigkeit eines Konsumbündels xe : Konsumbündel mit erwarteten Eigenschaften x : Konsumbündel mit tatsächlichen Eigenschaften Zwischen Erwartungen und Realität liegt eine gewisse Verzerrung, die aufgrund simpler Informationsasymmetrien bzw. Informationsunvollständigkeit im rationalen Entscheidungskalkül zu Stande kommt. Beiden Aspekten, sei es die Kluft zwischen erwartetem Nutzen und tatsächlichem Nutzen oder die fälschlich erwarteten Produkteigenschaften, kann eine Informierung entgegenwirken, um somit eine realitätstreuere Optimierung zu erlauben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Änderung der Präferenzordnung durch Information10
Abbildung 1 zeigt, wie sich zusätzliche Information auf das Optimierungsproblem auswirken kann. In der Darstellung wird ein Entscheidungskalkül betrachtet, bei dem es einen nutzenmaximierenden Konsumenten und zwei zu konsumierende Güter gibt. Das Individuum maximiert den Nutzen seiner indirekten Nutzenfunktion an dem Punkt, wo sich die Budgetgerade und eine Indifferenzkurve der zugehörigen Nutzenfunktion tangieren. Die blaudargestellte Indifferenzkurve charakterisiert das optimale Nutzenniveau des ursprünglichen, informationsärmeren Kalküls. Im Optimum konsumiert das Wirtschaftssubjekt das Güterbündel (x11; x21). Durch die Informationsgewinnung kann es nun – wie in der Abbildung dargestellt – zu einer Änderung der Präferenzrelationen kommen, sei es durch Informationen über die Produkteigenschaften oder durch Informationen, die über den zu erwartenden Nutzen der Konsummöglichkeiten aufklären. Damit verändert sich die Präferenzordnung und spiegelbildlich die indirekte Nutzenfunktion des Konsumenten, was sich in der Abbildung durch eine Änderung der Indifferenzkurve von der blauen Kurve zur roten Kurve bemerkbar macht. Aufgrund der veränderten Präferenzordnung ist nun das Konsumbündel (x11; x21) suboptimal. Um den Nutzen zu maximieren, konsumiert der Akteur das Güterbündel (x12; x22). Damit hat die Informierung des Konsumenten dazu geführt, sein Verhalten zu verändern. Wegen der ordinalen Betrachtungsweise auf die Nutzenfunktionen sind die Nutzenniveaus zweier unterschiedlicher Nutzenfunktionen nicht zu vergleichen (siehe Kapitel 5.4). Der Konsument hat für seine aktuellen Bedürfnisse eine wohl bessere Entscheidung gefällt. Jedoch lässt sich nicht sagen, ob dieser im Vergleich zu seiner ursprünglichen Situation „nutzenreicher“ oder gar „glücklicher“ ist, oder ob ihn die Unwissenheit – nach dem Motto „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ – begünstigt hätte. Sollte jedoch der Konsument nach dem Erwerb oder Konsum über die tatsächlichen Umstände informiert werden, kommt es bei Menschen zu Reuesituationen, auch wenn diese in Theorie irrational sind, da die Nutzenverluste als „sunk costs“ zu sehen sind, also Kosten, die irreversibel gefallen und somit für jegliche Kalküle irrelevant sind. Die Parole „was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß“ verliert in solchen Situationen an Relevanz (siehe Kapitel 4.4).
Von der Änderung der Präferenzordnung lässt sich somit ex ante nicht wohlfahrtsökonomisch auf den Wert von Informationen schließen. Käme es nie zur Informierung des Konsumenten, so wüsste er nicht, was ihm entgeht und die Präferenz wäre unbeeinflusst. Ein am Wissen geknüpfter optimaler Zustand wäre in beiden Situationen gegeben. So ist der persönliche Wert der Information nicht nur abhängig von der auf die Informationsverarbeitung folgenden Verhaltensänderung, sondern ebenfalls vom Nutzenempfinden des Konsumenten, das sich jedoch nur nach dem Erhalt der Information bewerten lässt. Die Bewertung einer Informierungsmaßnahme ist jedoch ex ante nötig.
Folglich muss Information nicht zwingend als rein positiv bewertet werden. Es kann zu Situationen kommen, bei dem eine Informierung und die Änderung der Konsumbündel definitiv nutzensteigernde Auswirkungen haben. Beispielsweise kann sich ein Mensch über die Folgen des Konsums eines tödlichen Pilzes nicht bewusst sein. Ohne eine Informierung könnte dies unausweichliche, schwerwiegende Folgen haben. Eine Informierung wäre das wohl unbestreitbar Richtige, da diese vom Konsum abhalten würde. In diesem Fall ist die Unausweichlichkeit der Folgen ausschlaggebend. Die Situation unterscheidet sich insofern, dass es so gut wie sicher ist, dass die Folgen eintreten, und diese auch durch kein ex post Verhalten minimiert werden können. In anderen Fällen hängt der Nutzen der Information vom wirklichen Eintreten der negativen Folgen und der folgenden Reaktion des Betroffenen ab. Sollte jemand über die Wahrscheinlichkeit einer positiven Krebsdiagnose informiert werden, hängt der Nutzen dieser Information davon ab, wie der Betroffene reagiert, ob die Krebserkrankung auch wirklich eintritt ob Maßnahmen gegen den Krebs erfolgreich sein werden und wie die Maßnahmen empfunden werden. Aufgrund dessen sei der Wert derselben Information für jede Person anders.11 Tatsächlich hätten bei einer Befragung Sunsteins 42% der Probanden die genetische Prädisposition für Krebs oder Herzkrankheiten nicht wissen wollen.12 Auch kann dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten die Information anders bewerten. Nach Sunstein solle auf Basis dieser Erkenntnis öffentliche Information personalisiert zugänglich gemacht werden, soweit dies möglich sei.13 Dies ist zur Minimierung administrativer Kosten wohl nur mittels Selbstselektion durchzusetzen. Jedoch ist paradoxerweise für eine Selbstselektion genau die Information nötig, die ein Individuum, das aus der mitzuteilenden Information negative Wohlfahrtseffekte generieren würde, nicht wissen möchte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Informierung ohne Auswirkung auf die Konsummengen14
Deutlich wird die Wichtigkeit des erfahrenen Nutzens durch die Informierung für die Bewertung der Informierungsmaßnahme dann, wenn man sich eine Informierungsmaßnahme vor Augen führt, die die Konsummengen des Konsumenten unbeeinflusst lässt. In Abbildung 2 wird dies verdeutlicht, indem die Information die Nutzenfunktion verändert, dies jedoch keine Auswirkungen auf das optimale Güterbündel hat. Der Konsument bleibt auch nach der Informationsverarbeitung bei seiner Konsumpräferenz (x11; x21). Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass sich an der Empfindung des Konsumenten nichts geändert hat. Besonders in einer Konsumenten-Gut-Kombination, bei der sich die Nachfrage durch starke Unelastizität charakterisiert, wie bei beispielsweise Grundnahrungsmitteln, oder bei geringer Angebotsdiversität, ist es oftmals kaum möglich, seinen Konsum zu ändern. Eine Information zu leicht gesundheitsschädigenden Inhaltsstoffen von Hefe, die so gut wie jede erreichbare Bäckerei für ihr Backrezept verwendet, wird den Genuss des Brotkonsums einschränken, ohne die Konsummengen signifikant zu verändern. Andererseits kann Information auch den Konsum bestätigen. Beispielsweise wenn ein ausschließlicher Fahrradfahrer auf die Folgen von Verbrennungsmotoren oder der Akkuherstellung auf die Umwelt aufmerksam gemacht wird. Dieser wird nicht anfangen, mehr Fahrrad zu fahren, sich jedoch im Konsum bestätigt fühlen.
Demnach ist zu sagen, dass eine Änderung des Konsumverhaltens noch einen Nutzengewinn mit sich führen kann, aber eine Situation, in der das Konsumverhalten gleichbleibt, nachdem über negative Folgen des aktuellen Konsumverhaltens informiert wurde, aufgrund der „hedonischen Kosten“15, also Einbußen des Genusses durch z.B. Gewissensbisse, diesen Gewinn nicht verweisen wird. Umgekehrt gilt dies für den Fall einer Bestätigung des Konsums durch die gewonnene Information.
Der Gefahr der „hedonischen Kosten“16 stellen sich Menschen aktiv. Innere Konflikte können zu einer strategischen Ignoranz führen.17 Nach Dana et al. würden Menschen kostenlose, nützliche Informationen über die Folgen ihres Verhaltens ignorieren, wenn die gewollte Aktion einem „fairen“ Verhalten widerspräche.18 Diese Ignoranz spricht den Probanden bei Dana et al. keinesfalls – wie in anderen Situationen, die in Kapitel 4.1 geschildert werden – Rationalität ab. Vielmehr ist dies als nutzensteigernde Maßnahme zu interpretieren. Die Information über die negativen Folgen egoistischen Verhaltens auf andere, würde den Genuss des besseren Ergebnisses eindämmen. Ein Individuum, das leicht altruistisch gesinnt ist, jedoch sehr starke Präferenzen für die eigene Entlohnung besitzt, zieht eine Situation, bei der es in einem Diktatorspiel (siehe Anhang 1 für eine Erläuterung) die komplette Entlohnung behalten und gleichzeitig die Entlohnung des anderen nicht kennen würde, einer gleichmäßigen und bekannten Aufteilung vor. Eine strategische Ignoranz würde verhindern, dass ein schlechtes Gewissen diesen Nutzen schmälert. Auf Konsumentscheidungen ist dies zu übertragen, da beispielsweise das Wissen über menschenverachtende Bedingungen bei der Herstellung eines stark präferierten Gutes wie der Lieblingshosenmarke mit nahezu perfekter Passform nur nutzenschmälernd und nicht verhaltensändernd wäre. Jegliche Informationen, die einen Verdacht auf solche menschenunwürdigen Herstellbedingungen verstärken würden, wie beispielsweise Zeitungsartikel, die darauf hinweisen, werden strategisch ignoriert. Umgekehrt kann rationale Informationsvermeidung auch moralisch unbelastet sein, wenn beispielsweise Überraschungseffekte19 bewahrt oder generiert werden sollen.
Für ein rationales Kalkül, das auf Kosten-Nutzen-Abwägungen basiert, sind die Kosten von Informationen nicht zu vernachlässigen. Auch wenn die Informationen „kostenlos“ zur Verfügung gestellt werden, ist der Entscheidungsträger nicht von Kosten verschont. Neben den „hedonischen Kosten“20, die als Unnutzen von Information durch eine Senkung des Genusses behandelt wurden, ist für die Verarbeitung von Informationen eine kognitive Leistung erforderlich, die durchaus kostenreich sein kann. McDonald und Cranor schätzen den aggregierten Wert der Zeit, die US-Konsumenten benötigen würden, um Datenschutzverordnungen zu lesen auf 652 Milliarden Dollar pro Jahr.21 Mit der Menge an Informationen müssten solche Kosten überproportional ansteigen, da es zunehmend schwerer wird, die Übersicht über relevante Informationen zu bewahren, und das weil Filtern relevanter Informationen ebenfalls an Zeit kostet. Die Aspekte der hedonischen und kognitiven Kosten werden in Kapitel 4.1 nochmals aufgegriffen.
Folglich ist zu sagen, dass rationale Konsumenten nicht zwingend positive Einflüsse von Informationen erhalten müssen.
4 Verhaltensökonomische Folgen von Informationen auf das Entscheidungskalkül
Sollte eine Informationsbereitstellung kaum bis keine Kosten verursachen, könnte man meinen, es wäre sinnvoll diese Informationen immer bereitzustellen, um so den Agenten eine vermeintlich bessere Entscheidungsgrundlage zu bieten. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn zusätzliche Information nicht nur die Entscheidungsgrundlage verbessert, sondern auch den empfundenen Nutzen des optimalen Konsums. Es wurde gezeigt, dass dies nicht immer der Fall sein muss. Im Folgenden wird durch einen verhaltensökonomischen Ansatz bestätigt, dass Informationen auch einen negativen Effekt haben können.
Anders als in Kapitel 3 wird der Informierungsprozess nicht mehr zweistufig und diskret betrachtet. Es werden damit nicht mehr nur zwei Zustände – vor Erhalt der Information (ex ante) und nach der Informierung (ex post) – unterschieden, sondern der Prozess wird als ein kontinuierlicher gesehen, der aus einzelnen „Functionings“22, also Zwischenstufen der Informierung, wie beispielsweise dem Interpretationsprozess, und deren möglichen Verzerrungen besteht. Außerdem können diese Betrachtungen genauso gut auf diverse Bewertungsproblematiken verweisen.
[...]
1 Floridi (2010, S. 90).
2 Floridi (2010, S. 90).
3 Machina (1989).
4 Vgl. Bayes’sches Updating
5 Holmström (1979).
6 Kaldor (1939); Hicks (1939).
7 Karlsson et al. (2004), zitiert in: Loewenstein et al. (2014, S. 18).
8 Loewenstein et al. (2014, S. 18); Golman und Loewenstein (2015, S. 17).
9 Agarwal und Ratchford (1980, S. 260).
10 Eigene Darstellung.
11 Sunstein (2019, S. 122).
12 Ibid. (S. 126).
13 Ibid.
14 Eigene Darstellung.
15 Sunstein (2019, S. 131).
16 Ibid.
17 Thunström et al. (2016, S. 118).
18 Dana et al. (2007, S. 75), zitiert in: Thunström et al. (2016, S. 118).
19 Sunstein (2019, S. 125); Brunnermeier und Parker (2005, S. 1109).
20 Sunstein (2019).
21 McDonald und Cranor (2008).
22 Sen (1985), zitiert in: Bernheim (2009, S. 316).