Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung:
2. Der Begriff der Lebensqualität
2.1 Definition und Bedeutung für Kinder mit schweren Krankheiten
2.2 Angst Abschied nehmen zu müssen – eingeschränkte Lebensqualität und dringende Thematisierung des Sterbens
3. Soziale Arbeit im Kinder- und Jugendhospiz
3.1 Bedeutung der Sozialen Arbeit im Palliative Care
3.2 Bedürfnisorientierte Begleitung am Beispiel Kinder- und Jugendhospiz Löwenherz
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
5.1 Abbildungsverzeichnis
6. Anhang
1. Einleitung:
„Wenn wir schon nicht gelassen leben, wie sollten wir dann gelassen sterben können?“ (Begemann, Berthold, Hillmann 2013) Zitatquelle: Begemann, Berthold, Hillmann 2013
Für gewöhnlich lösen die Worte Tod und Sterben eher Angst und Hilflosigkeit in uns aus. Jedoch lässt sich mit Gewissheit sagen, dass irgendwann jeder zwangsläufig mit dem Thema Tod und Vergänglichkeit konfrontiert wird. Es liegt deshalb an uns, sich selbst eine Haltung der Gelassenheit anzueignen, um den Verlust von Lebensfreude in Situationen des Abschieds und der Endlichkeit zu verhindern (vgl. Begemann et al. 2013, S.7). Was aber wenn das geliebte Kind schwer erkrankt? Betroffene und Angehörige haben in so einem Fall mit vielen verschiedenen Faktoren zu kämpfen. Die Lebensqualität ist sowohl bei Geschwistern, bei Eltern als auch bei den betroffenen Kindern bedroht. In meiner Hausarbeit stelle ich mir deshalb die Frage, welche Bedürfnisse und Wünsche Kinder und ihre Familien in diesen Lebenslagen zeigen. Welche Maßnahmen können in Kinder- und Jugendhospizen getroffen werden, um positiv auf die Situation von Familien einzuwirken (vgl. Deutscher Kinderhospizverein 2015, S. 7+8)? In der folgenden Studie wurden 1605 Probanden gefragt, inwieweit sie mit ihrem Leben zufrieden sind. Die Befragungen wurden über computergestützte Interviews durchgeführt. Insgesamt sind es aus meiner Sicht ziemlich positive Ergebnisse. Im Frühjahr 2016 gaben zum Beispiel nur 11% der Befragten an, nicht sehr zufrieden oder überhaupt nicht zufrieden mit ihrem Leben zu sein. Ich persönlich hätte diesbezüglich eine höhere Zahl erwartet. Die Tatsache, dass nur Personen ab dem 15. Lebensjahr interviewt wurden, ist mir dabei sofort aufgefallen (vgl. European Commission 2017). Trotz ausführlichen Nachforschungen habe ich dafür leider keine Erklärung gefunden. Eine mögliche These für diesen Punkt wäre, dass Kindern unter 15 Jahren nicht zugesprochen wird, eine angemessene Vorstellung von Lebensqualität zu haben. Da ich es jedoch als wichtig erachte, grundsätzlich auf die Bedürfnisse von Kindern einzugehen, insbesondere wenn diese mit der Vergänglichkeit ihres Lebens konfrontiert sind, habe ich in meiner Hausarbeit den Fokus auf diese Altersgruppe gelegt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Umfrage in Deutschland zur Zufriedenheit mit dem eigenen Leben im Jahr 2017 (European Commission 2017).
2. Der Begriff der Lebensqualität
„Nicht die Jahre in unserem Leben zählen, sondern das Leben in unseren Jahren“ (Adlai E. Stevenson, US- amerikanischer Politiker)
Zitatquelle: Landpflegeheim Waidhofen an der Thaya 2018
2.1 Definition und Bedeutung für Kinder mit schweren Krankheiten
Zunächst einmal ist es wichtig zu klären, welche Bedeutung die Lebensqualität überhaupt hat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert den Begriff folgendermaßen:
„ Lebensqualität ist die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsystemen, in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen". (Bestmann, 2013)
Grundsätzlich kann ich der Definition der WHO zustimmen. Wichtig für die Bestimmung der Lebensqualität sind die Prioritäten die sich Menschen in ihrem Leben setzen. Prioritäten zeigen sich sowohl im zwischenmenschlichen Bereich, als auch bei der Suche nach Wert, Sinn und Ziel (vgl. Begemann 2006, S.13). Ergänzend dazu ist es noch wichtig, sich mit den einzelnen Punkten die sich aus den persönlichen Werten ergeben auseinander zu setzen. Seit den 1990er Jahren widmet sich die Sonder- und Rehabilitationspädagogik in Deutschland der Frage, inwieweit die Lebensqualität von Menschen mit Beeinträchtigungen erschwert wird und gefördert werden sollte (vgl. Schwarzenberg 2013, S.97). Felce und Perry haben 1997 den Begriff Lebensqualität in fünf Bereiche des Wohlbefindens unterteilt (vgl. Schwarzenberg 2013, S. 97+98):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Bezugsrahmen zur Erforschung von Lebensqualität (Seifert et al. 2008, S. 92)
Ergänzend zur Definition von Lebensqualität sind die einzelnen Aspekte, die zum Wohlbefinden beitragen zu beachten. Diese stehen stark in Wechselwirkung zueinander (vgl. Schwarzenberg 2013, S.97). Zusätzlich lässt sich anmerken, dass gleiche Lebenslagen (Einkommen, Wohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen, Familienbeziehungen usw.) unterschiedlich wahrgenommen werden können, da das subjektive Wohlbefinden davon abhängt, wie der Betroffene selbst seine Situation einschätzt (vgl. Seifert et al. 2008, S.80.-81). Im folgenden Text werde ich die einzelnen Faktoren die zum Wohlbefinden beitragen, in Bezug auf Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten näher erläutern.
Unter physischem Wohlbefinden versteht man die subjektive Wahrnehmung von körperlichen Zuständen. So führt eine körperliche Beeinträchtigung nicht zwangsläufig zum Verlust des physischen Wohlbefindens. Der Begriff wird durch Zufriedenheit mit dem Körperbild und einem guten Körperempfinden definiert (vgl. Schwarzenberg 2013, S.98). Bei Kindern und Jugendlichen mit schweren Krankheiten ist zusätzlich der Bereich der Schmerzfreiheit zu nennen. Am Ende einer lebenslimitierenden Erkrankung leiden Betroffene unter den Schmerzen. Da es durch die eingeschränkte Kommunikation häufig schwierig ist, das Leiden der Kinder zu erfassen, gibt es vielfältige Instrumente die zur Messung und Verdeutlichung von Schmerzen (z.B. Schmerzskalen oder Schmerztagebücher) verhelfen können. Um dem Bedürfnis nach Bewegung gerecht zu werden, arbeiten laut Befragungen 12% der Fachkräfte in Kinder- und Jugendhospizen mit PhysiotherapeutInnen zusammen (vgl. Schwarzenberg 2013, S. 98-99). Snoezelräume und die Möglichkeit sich im Wasser bewegen zu können, dienen in den Hospizeinrichtungen zur Entspannung (vgl. Schwarzenberg 2013, S.99).
Das soziale Wohlbefinden prägt sich vor allem durch Kommunikation, Interaktion und Dialog. Kinder haben grundsätzlich das Bedürfnis nach Wertschätzung und sozialer Integration. Problematisch wird es dann, wenn der Kontakt und die Kommunikation durch schwere Beeinträchtigungen, die möglicherweise mit der Erkrankung zusammenhängen, erschwert wird. Wenn die verbale Kommunikation eingeschränkt ist und körpersprachliche Signale nicht gedeutet werden können, kann es an dieser Stelle zu Schwierigkeiten kommen (vgl. Schwarzenberg 2013, S.99). Jeder Mensch hat das Bedürfnis Wertschätzung von anderen Mitgliedern des sozialen Systems zu erfahren. Sowohl soziale Integration als auch Akzeptanz spielen deshalb eine große Rolle. Insbesondere Kinder mit schweren Krankheiten und Beeinträchtigungen sollten deshalb bedingungslos akzeptiert und integriert werden. Enge Beziehungen zu den MitarbeiterInnen im Hospiz können zum sozialen Wohlbefinden beitragen (vgl. Schwarzenberg 2013, S.100).
Das materielle Wohlbefinden wird subjektiv erlebt und kann deshalb nichts über die subjektive Zufriedenheit aussagen (vgl. Schwarzenberg 2013, S.100). Materielle Bedingungen stehen im engem Zusammenhang mit der persönlichen, auf die/den KlientIn bezogene Bedeutsamkeit. Konkret bedeutet dies, dass individuell und unterschiedlich gefasst wird, welchen Wert bestimmte Räume und Dinge für den einzelnen Menschen haben. Natürlich gibt es in der Öffentlichkeit objektive Vorstellungen, was gute Wohnbedingungen ausmacht, wie zum Beispiel die barrierefreie Verfügbarkeit von Materialien und Räumlichkeiten (vgl. Schwarzenberg 2013, S.100). Diese objektiven Faktoren sind zwar wichtige Grundlagen, führen aufgrund von Individualität jedoch nicht automatisch zu materiellem Wohlbefinden (vgl. Seifert et al. 2008, S.80.-81).
Das aktivitätsbezogene Wohlbefinden lässt sich mit dem Tagesablauf, Aktivitäten, Entwicklung und Partizipation in allen Lebensbereichen zusammenfassen. Das menschliche Bedürfnis nach Selbstbestimmung ist daher ein wichtiger Leitgedanke in der Hospizarbeit. Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe am öffentlichen, politischen und kulturellen Leben. Bedürfnisse von sterbenden Kindern, sollten deshalb sowohl im Alltag als auch in öffentlichen Lebensräumen berücksichtigt und partizipiert werden (vgl. Schwarzenberg 2013, S.101).
Mit dem Begriff emotionales Wohlbefinden wird die psychische Gesundheit beschrieben. Das heißt konkret, dass sich durch die Zugehörigkeit und Achtung in einem sozialen System ein gewisses Maß an Selbstwertgefühl aufgebaut hat. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit ist durch nahe Bezugspersonen zu erfüllen. Schwerkranke Kinder sind oft hohen Stressbelastungen ausgesetzt. Frühe Trennungen von den Bezugspersonen durch längere Krankenhausaufenthalte, wirken sich auf die psychische Gesundheit aus. In Krankenhäusern und Hospizen ist es deswegen wichtig, Beziehungsarbeit zu leisten. Zusätzlich ist es von Bedeutung, Tagesstrukturen transparent und nachvollziehbar zu gestalten, um den KlientInnen Sicherheit und Geborgenheit zu bieten (vgl. Schwarzenberg 2013, S.102). Daher ist es auch wichtig, dass Fachkräfte Betroffene mit ritualisierter Kontinuität begleiten. (vgl. Jennessen et al. 2011, S.262.). Des Weiteren haben Kinder und Jugendliche ein Bedürfnis nach Sexualität, was nicht nur Genitalsexualität bedeutet, sondern auch das Ausleben von Beziehungen. Ein offener Umgang mit dieser Thematik ist deshalb ein wichtiger Bestandteil in der Arbeit mit progredient erkrankten Jugendlichen, um zu verhindern, dass sexuelle Entwicklungsprozesse aufgrund von elterlichen Erziehungsverhalten oder körperlichen Beeinträchtigungen eingeschränkt werden (vgl. Schwarzenberg 2013, S. 102)
Die oben genannten Begriffe zum Thema Wohlbefinden mache ich im Anschluss noch einmal an einem Fallbeispiel deutlich:
Margret Hartkopf, Vorstandsmitglied des Deutschen Kinderhospizvereins e.V.:
„Nadine konnte sich über die Sonne freuen. Wenn sie im Rollstuhl oder später, als der Rollstuhl nicht mehr geeignet war, sie im Pflegebett draußen auf unserer Terrasse war, die Wärme genoss und dieses ganz feine ruhige Lächeln über einen einzigen Sonnenstrahl auf ihr Gesicht kam, dachte ich: Ja, Nadine, du hast recht, ich habe die Sonne gar nicht wahrgenommen. Ist es nicht erstaunlich, dass Kinder wie Nadine es schaffen, auch in ihren Schmerzen, körperlichen und geistigen Einschränkungen das Schöne, das Kleine das Einzelne sehen zu können?" (Deutscher Kinderhospizverein 2015, S. 7+8)
Meiner Meinung nach lässt sich dieser kurze Absatz auf viele Faktoren eines guten Wohlbefindens beziehen. Obwohl Nadine körperlich stark eingeschränkt war, hat sie die Möglichkeit bekommen die Sonne auf der Terrasse zu genießen. Ihre Bedürfnisse werden wahrgenommen, und sie wird aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht aus dem Alltag ausgeschlossen. Das bedeutet, dass sie ohne Einschränkungen in einem sozialen System wertgeschätzt und integriert wird. Obwohl Nadine sich nicht verbal mitteilt, wird dennoch deutlich, dass sich Margret Hartkopf und Nadine nonverbal verständigt haben. Das Mädchen freut sich über die Sonnenstrahlen, und teilt dies über ein Lächeln mit. Die Mitarbeiterin bemerkt ihren nonverbalen Gefühlsausdruck und geht unmittelbar darauf ein.
2.2 Angst Abschied nehmen zu müssen – eingeschränkte Lebensqualität und dringende Thematisierung des Sterbens
„ Man sieht die Sonne langsam untergehen, und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist." (Franz Kafka, deutschsprachiger Schriftsteller ) Zitatquelle: Dahl, 2016
Der Begriff Trauer verkörpert die Endlichkeit und den damit zusammenhängenden Abschied (vgl. Begemann et al. 2013, S.111). Wenn ein Kind lebensverkürzt erkrankt, wird das Leben aller Familienmitglieder durch die Erkenntnis des frühzeitigen Todes beeinflusst. Familien stehen nun der Aufgabe gegenüber, Ressourcen zu aktivieren, um die Situation in den Alltag zu integrieren (Jennessen et al. 2011, S.28). Gleichzeitig treten Schuld- und Angstgefühle auf, welche die Lebensqualität der Angehörigen weiter einschränken. Verbunden mit Schuldgefühlen stellen sich Betroffene Fragen wie (Deutscher Kinderhospizverein (Hrsg.) 2015, S. 47):
„Warum passiert mir sowas?" (Deutscher Kinderhospizverein (Hrsg.) 2015, S. 47)
„Werde ich für irgendwas bestraft?" (Deutscher Kinderhospizverein (Hrsg.) 2015, S. 47)
Bisher gemachte Zukunftspläne werden durch diesen radikalen Einschnitt in das Leben verworfen oder verändert. Diese Konsequenzen betreffen alle Familienmitglieder. Strukturelle Bedingungen müssen verändert werden um das erkrankte Kind angemessen weiter versorgen und in den Alltag integrieren zu können. Ein Beispiel dafür könnte sein, wenn durch eine Erkrankung eine körperliche Beeinträchtigung entsteht. Dieser Umstand könnte zum Beispiel den Umbau auf barrierefreien Wohnraum bewirken. Aufgrund der zeitaufwendigen Pflege, ist es häufig der Fall, dass sich ein Elternteil komplett der Betreuung des Kindes widmet, und berufliche Tätigkeiten aufgegeben werden. Der andere Elternteil wird deshalb automatisch zum Alleinversorger der Familie. Krankenhausaufenthalte fordern viel Zeit ein, weswegen ein gemeinsames Familienleben eingeschränkt wird. Geschwisterkinder müssen neben der Angst um den/die Betroffene/n damit umgehen, dass der/ die erkrankte Bruder/Schwester nun viel mehr Aufmerksamkeit benötigt. Diesbezüglich wird von ihnen Rücksichtnahme und Verständnis erwartet (vgl. Jennessen et al. 2011, S.29). Noch dazu kommt, dass alle Familienmitglieder sich mit dem bevorstehenden Tod des Kindes auseinandersetzen müssen. Auch wenn es für alle Beteiligten ein schwerer Schicksalsschlag ist, muss der Alltag fortgeführt werden, denn sowohl gesunde als auch kranke Kinder benötigen individuelle Aufmerksamkeit und entwicklungsfördernde Lebensbedingungen. Um eine gute und altersgemäße Entwicklung zu fördern, müssen sich Eltern Kompetenzen wie Organisationsgeschick aneignen. Es erfordert ein hohes Maß an Empathie und Reflexionskompetenz um ein Verständnis für die jeweils anderen belasteten Familienmitglieder zu entwickeln und deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ein weiterer wichtiger Anhaltspunkt ist die Kommunikationsfähigkeit, denn der Tod sollte in Familien mit progredient erkrankten Kindern unbedingt thematisiert werden. Oft nehmen Kinder und Eltern Rücksicht aufeinander und versuchen der Thematik auszuweichen, um sich gegenseitig nicht zu verletzen. Das könnte dazu führen, dass eine offene Kommunikation verhindert oder erschwert wird (vgl. Jennessen et al. 2011, S.30). Die Angst vor dem Tod kann in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten. Neben der Angst vor dem Nichtexistieren oder dem oft langwierigen schmerzvollen Sterbeprozess, ist insbesondere die Angst vor dem Abschied nehmen zu nennen (vgl. Begemann et al. 2013, S.13). Oft wird auch von den Kindern wahrgenommen, dass es ihren Eltern schwer fällt, das Sterben zu thematisieren (vgl. Jennessen et al. 2011, S.30). Die Bedeutung für diesen hohen Belastungsfaktor habe ich in einer Fallgeschichte von Marion Zwilling und Thekla Röhrs erfahren. Um deutlich zu machen, wie schwer es für erkrankte Kinder und deren Geschwister sein kann, wenn das Thema Tod in einer solchen Situation nicht offen diskutiert wird, werde ich die Fallgeschichte zusammenfassend darstellen:
Die Tochter Vanessa von Marion Zwilling ist mit einer Stoffwechselerkrankung zur Welt gekommen. Die Ärzte haben ihre restliche Lebenszeit auf 3 Jahre geschätzt. Vanessa war schwerstmehrfachbehindert und konnte ihre Gefühle aufgrund ihrer Behinderung nicht verbal ausdrücken, sondern nur mittels von Lauten und ihrer Mimik. Die Mutter hatte versucht das Thema Tod aus dem Alltag auszuklammern und zu verdrängen. Sie versuchte daran festzuhalten, dass alles wieder gut werden wird. Der Auslöser der dies änderte, war zu einer Zeit als es Vanessa sehr schlecht ging, da sie eine akute Lungenentzündung hatte. An diesem Tag kam die 8-Jährige Schwester zu ihrer Mutter und erwähnte beiläufig: „Wenn Vanessa gehen will, dann dürft ihr sie nicht aufhalten!" Diese Aussage löste zuerst einmal eine tiefe Traurigkeit in der Mutter aus. Sie fühlte sich ohnmächtig und wie gelähmt, denn zum ersten Mal kam ihr die Erkenntnis, dass sie an der Situation nichts ändern kann. Ihr wurde bewusst, dass sie nicht das Recht hatte, jemanden festzuhalten, wenn dieser nicht mehr aushalten kann und am Ende seiner Kräfte ist und eigentlich sterben möchte. Obwohl es schwierig war, sich anschließend mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist ihr dies durch intensive Gesprächen mit dem damaligen Seelsorger und den Mitarbeitenden im Kinderhospiz Löwenherz gelungen. Zusätzlich hat sie sich Bücher zum Thema Tod besorgt, die ihr sehr geholfen haben. Nachdem Vanessa dann schließlich gestorben war, wurde Marion Zwilling klar, dass sie ohne diese Vorbereitungen die Trauer wahrscheinlich nicht so gut verkraftet hätte (vgl. Deutscher Kinderhospizverein (Hrsg.) 2015, S. 219-220).
Die oben genannte Fallgeschichte zeigt bereits, dass sich nicht nur die betroffenen Kinder selbst, sondern auch Geschwisterkinder und Eltern zwangsläufig mit dem Thema Tod beschäftigen müssen. Bei meiner Recherche bin ich zusätzlich auf einen faszinierenden Beitrag gestoßen, welcher zeigt wie betroffene Kinder und deren soziales Umfeld Krankheiten und Tod für sich darstellen. Ich selbst bin bei den gezeigten Bildern zur Überzeugung gekommen, wie wichtig es für Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten ist, sich offen über das Thema Tod äußern zu können, um ein subjektives Verständnis dafür zu entwickeln (vgl. deutscher Kinderhospizverein (Hrsg.) 2015, S.115).
[...]