Dialektik als Methode geisteswissenschaftlicher Pädagogik


Seminararbeit, 2007

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Abriss: Dialektik hat eine lange Geschichte

3. Grundzüge der Dialektik
a.) Ansätze
b.) Grundschema des dialektischen Prozesses

4. Dialektik als reine Methode: Vor- und Nachteile

5. Dialektik und Pädagogik
a.) Zusammenhänge von Phänomenologie, Hermeneutik und Dialektik
b.) Dialektische Aspekte in der Pädagogik
c.) Einordnung der verstehenden Dialektik in den pädagogischen Erkenntnisprozess

6. Fazit

7. Literaturangaben

1. Einleitung

„Jedes Ding wird mit seinem Gegenteil schwanger“. Diese Feststellung von Karl Marx ist nur eine von zahlreichen Aphorismen zur Dialektik, deren Geschichte in der Antike beginnt und sich bis in die Gegenwart erstreckt. Mit Sicherheit ist es vollkommen absurd und wird der Komplexität des Themas nicht gerecht das Grundschema der Dialektik lediglich auf diese Umschreibung von Marx zu reduzieren, komprimiert dieses Zitat doch lediglich eine überlieferte Auffassung über Grundmerkmale des dialektischen Denkens und beschreibt somit lediglich einen von vielen dialektischen Denkprozessen. Dennoch habe ich das Zitat bewusst zu Beginn meiner Ausführungen zur Dialektik gewählt, da es meines Erachtens dem „Laien“ am Zutreffendsten eine Vorstellung davon gibt, was im Kern dieses spannenden und immer weiter zu denken Themas verborgen sein könnte.

Ziel dieser Arbeit soll es allerdings nicht nur sein, Anätze, Grundschemen und Entwicklungsprozesse des dialektischen Denkens in der Geschichte darzustellen und zu untersuchen, sondern aufbauend auf diesen Grundlagen die Zusammenhänge zwischen Pädagogik und Dialektik, insbesondere aus methodischer Sicht, herauszuarbeiten bzw. eine Einordnung der verstehenden Dialektik in den pädagogischen Erkenntnisprozess zu versuchen. Dabei möchte ich analysieren wie Sinnhaftes in seinen wesentlichen Zügen beschrieben, interpretiert und schließlich in seinen Widersprüchen reflektiert werden kann, was den Zusammenhang zwischen Phänomenologie, Hermeneutik und Dialektik meint.

Es sei vorab jedoch bereits darauf hingewiesen, dass für diese Herangehensweise an das Thema der Dialektik „Methode“ genauso genommen als Hilfsbegriff, das heißt also als eine Art „Handwerkzeug“ verstanden werden muss, „denn es geht nicht um wissenschaftliche Methoden von der Art, wie sie beispielsweise mit einem Fragebogen, einer Statistik oder einem Laborversuch gegeben sind“[1]. Der englische Begriff approach würde demnach die Sache zutreffender beschreiben, wenn die Rede von Phänomenologie, Hermeneutik und Dialektik ist. Sie sind in diesem Sinn deshalb in erster Linie als Zugangsweisen bzw. Annäherungswege zu verstehen.

2. Historischer Abriss: Dialektik hat eine lange Geschichte

Definitionen von Dialektik gibt es zu genüge. Sie variieren je nach Herangehensweise an das Thema und der Zeit, in die sie einzuordnen sind. Der Begriff an sich ist dabei bereits seit der Antike in verschiedenen Bedeutungen verwendet worden.[2]

Grundsätzlich ist zunächst einmal festzuhalten, dass es sich bei der Dialektik um einen Begriff der Philosophie handelt, der eng mit der Logik und der Rhetorik verwandt ist. Von besonderer Bedeutung für die diversen dialektischen Denkweisen ist dabei die Tatsache, dass die Philosophie selbst, wie kaum eine andere „Gestalt des Denkens“, einer ständigen Veränderung unterworfen ist.[3]

In der Antike ist mit Dialektik eine Frage-Antwort-Situation gemeint, welche mit dichotomen Aussagen operiert und um Wahrheit ringt. Als Argumente wurden hierbei in erster Linie Fragen in Gesprächen, bzw. Dialogen verwendet. Voraussetzung für den Verlauf ist dabei, dass Prämissen von den Antwortenden stets bejaht oder bejaht gedacht werden.[4]

Obwohl Hegel, auf den ich später noch zu sprechen komme, bereits Heraklit, der das Streitgespräch als „Vater aller Dinge“ bezeichnete, als einen der ersten frühen Dialektiker ausmacht, taucht der Begriff zunächst bei Platon auf. Dieser benutzte den Begriff vor allem als argumentative Form der Gesprächsführung, während Sokrates Meinungen von Propheten in den Raum wirft, diese auf den Kopf stellt oder sie gar widerlegt. In seinem Werk „Charmides“[5] hat Platon nicht nur das Problem des Selbstbewusstseins für die griechische Form von Dialektik verbindlich diskutiert, sonder auch den Zusammenhang von Selbstbewusstsein und Gegenstandsbewusstsein. Die Bestimmungen, die Platon hier gegeben hat, legten nicht nur den Grundstein für eine Methode, mit der in der Philosophie sachgerecht unterschieden und Wissen über Ideen erlangt werden konnte („Hypothesis-Verfahren“); sie waren ferner für das gesamte griechische Denken verbindlich, insbesondere für Aristoteles, von dem die erste schriftlich ausgearbeitete Dialektik vorliegt.[6]

Laut Aristoteles ist Dialektik eine methodische Argumentationsanleitung, die er wie folgt beschreibt: „…ein Verfahren, aufgrund dessen wir in der Lage sein werden, über jedes vorgelegte Problem aus anerkannten Meinungen zu deduzieren und, wenn wir selbst ein Argument vertreten, nichts widersprüchliches sagen.“[7] Dialektische Argumentationen können infolgedessen als Deduktionen bezeichnet werden. Sie unterscheiden sich formal hierbei nicht von wissenschaftlichen, sondern lediglich von der Art ihrer Prämissen. Wissenschaftliche Prämissen sind demzufolge besondere, nämlich „wahre und erste Sätze“, während dialektische anerkannte Meinungen sind. Von besonderem Nutzen ist Dialektik, laut Aristoteles, als geistige Grammatik sowie für Begegnungen mit Menschen, aber auch bei der Erörterung philosophischer Fragen durch den Austausch entgegengesetzter Standpunkte.[8]

Im Mittelalter knüpfte insbesondere Boethius an die Topik von Aristoteles an und entwickelte hieraus besondere Maximen des Argumentierens. Weitere Ansätze konstruierten Berengar von Tours, William of Shyreswood und Petrus Hispanus.[9]

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Entwicklung der Dialektik noch in vollem Gange ist und die Idee des Fortschritts noch uneingeschränkt vorherrscht, erscheint Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Der phänomenale Eindruck, den dieses Werk hinterlässt, widmet sich zweifellos der Kritik, die Kant an der Metaphysik und an den alten metaphysischen Ideen übt. Nahezu die Hälfte der „Kritik der reinen Vernunft“ behandelt das Thema der Dialektik, die komplette zweite Abteilung des Werkes beschreibt eine bisher nicht bekannte Bewegung des Denkens, die so genannte „transzendentale Dialektik“. Diese hat ihren Vorläufer in dem, was auch bereits die Antike als Dialektik verstanden hat. Sie tritt nun, wie einstmals im aristotelischen Denken die Trugschlüsse, als Gegensatz der Wahrheit auf.[10] Der transzendentalen Logik stellte Kant die Logik des Scheins gegenüber. Hiermit meinte Kant die erklärbaren kosmopolitischen Widersprüche, in welche sich die „reine Vernunft“ automatisch begibt, wenn sie nach dem Übernatürlichen fragt. Diese „natürliche Dialektik“ unterzog Kant schließlich jener transzendentalen Vernunftkritik, welche die endlosen Diskrepanzen der Metaphysik annullieren sollte.[11]

Einige Philosophen, wie beispielsweise Schopenhauer, bezeichneten das dialektische Verständnis Kants nun als abgeschlossen, während andere, wie zum Beispiel Fichte, behaupteten, dass Kants Verständnis von Dialektik fehlerhaft gewesen sei und deshalb neu angegangen werden müsse. Diese Kritik mündete schließlich in der besonders wirkungsmächtigen Dialektik Hegels.[12]

Diese ist nach Hegel der Versuch des denkenden Subjekts über sich selbst hinaus zu gehen.[13] Dabei setzt der Verstand als endliches Subjekt eine These.[14] Die dialektische Vernunft entäußert sich indem dieser These nun eine Antithese gegenübergestellt wird, die die These nun verneint. Hierbei entsteht ein Widerspruch. Die begrifflichen Gegenpole wie Subjekt und Objekt[15] oder Endlichkeit und Unendlichkeit widersprechen und negieren einander.[16] Die spekulative Vernunft führt schließlich zum Zusammenschluss von Spruch und Widerspruch in der so genannten „höheren Verneinung der Widersprüche“, die dadurch letztlich aufgehoben, also wiederum negiert werden.[17]

Bei Hegel entwickelte sich Dialektik ferner zu einer Geschichtsphilosophie. Insofern geht sie über die Gedanken Kants hinaus. Für Hegel haben sich Wahrheit, Vernunft und Selbstbewusstsein erst in einem geschichtlichen Prozess zu verwirklichen.[18]

Als Nächste übernahmen Karl Marx und Friedrich Engels Hegels Erkenntnisse und stellten diese radikal auf den Kopf. Dialektik diente ihnen schließlich als materialistische Theorie und Methode zum Beweis der Existenz eines Antagonismus des gesellschaftlichen Lebens.[19] Hieraus entwickelten Marx und Engels ihre „Kritik der politischen Ökonomie“. Es begann die Arbeit an einem wissenschaftlichen Sozialismus bzw. dem „Marxismus“, der sich wie „ein Gespenst“ über Europa verbreitete.[20] Besonders erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass der Marxismus weder als eine Weltanschauung im Ganzen, noch in seiner Dialektik als eine Erkenntnistheorie definiert werden kann. Es ging Marx und Engels weniger darum eine Antwort auf die Frage nach Wesen und Sein des Weltgeschehens zu finden. Es ging ihnen ferner auch nicht darum, das Problem der Möglichkeit von Erkenntnis, auch nicht einmal von sozialer Erkenntnis zu beleuchten, nein, ihr Problem war - und das ist das Wesentliche - „die Erkenntnis der sozialen Erscheinungen und Vorgänge selbst“ und zwar ihrer kausalen Gesetzmäßigkeit, „bei Marx sogar speziell einer Epoche des sozialen Lebens, der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“.[21]

Die „materialistische Dialekt“ ist dabei sowohl logisch, als auch geschichtlich. Der Widerspruch vereint bei Marx und Engels nicht zwei Gegensätze zu einem höheren Dritten, wie es bei Hegel der Fall war, sondern wird so zum Motor bzw. zur treibenden Kraft der Geschichte.[22]

Die materialistische Dialektik bei Marx und Engels bereitete somit der kommunistischen Philosophie des historischen und dialektischen Materialismus den weiteren Weg. Die dialektischen Gesetzmäßigkeiten existierten hier zunächst losgelöst vom Bewusstsein. Erst durch den revolutionären Umsturz aller Produktionsbedingungen und –verhältnisse und somit aller bis dato existierenden Gesellschaftsordnungen[23] bestehen diese sodann in Wechselwirkung mit dem Bewusstsein.[24]

In der Gegenwart ist das dialektische Denken vor allem in der so genannten „Frankfurter Schule“ beheimatet, als deren Hauptwerk die von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verfasste Essay-Sammlung „Dialektik der Aufklärung“ gilt. Adorno entwickelte später schließlich eine „Negative Dialektik“, in der er seiner Kritik am theoretischen Abschluss der Philosophie zu einem System Ausdruck verleiht.[25]

Nach Adornos und Horkheimers Tod wurden vor allem Karl-Otto Apel, Oskar Negt und Jürgen Habermas für die Frankfurter Schule repräsentativ.[26]

[...]


[1] DANNER, Helmut: Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. 5. Auflage Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG Verlag. München 2006. S. 11.

[2] Vgl.: RITSERT, Jürgen: Kleines Lehrbuch der Dialektik. Primus Verlag. Darmstadt 1997. S. 7ff.

[3] Vgl.: HEISS, Robert.: Wesen und Formen der Dialektik. Kiepenheuer und Witsch Verlag. Köln/Berlin 1959. S. 13.

[4] Vgl.: LONG, A. A. & SEDLEY, D.N.: Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare. Stuttgart 2000. S. 222.

[5] Vgl.: HEITSCH, Ernst: Platon und die Anfänge des dialektischen Philosophierens. Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag. Göttingen 2004. S. 193ff.

[6] Vgl.: KRINGS, Hermann, BAUMGARTNER, Hans Michael und WILD, Christoph: Handbuch Philosophischer Grundbegriffe. Studienausgabe Band 2. Dialektik – Gesellschaft. Kösel-Verlag GmbH und Co. München 1973. S. 294ff.

[7] ARISTOTELES: Topik I, 1, 100a. Zitiert nach: Aristoteles: Topik. Übersetzt und kommentiert von Tim Wagner und Christoph Rapp. Stuttgart 2004. S. 18ff.

[8] Vgl.: Ebenda. 2, 100b. S. 25ff.

[9] Vgl.: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dialektik&printable=yes. S. 3. Stand: 03.04.2007.

[10] Vgl.: Heiss: Wesen und Formen. S. 45ff.

[11] Vgl.: BECKER, Werner & ESSLER, Wilhelm K.: Konzepte der Dialektik. Vittorio Klostermann-Verlag. Frankfurt am Main 1981. S. 5ff.

[12] Vgl.: BAUM, Manfred: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bouvier Verlag. Bonn 1986. S. 37f.

[13] Vgl.: HEGEL, G.W.F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Näherer Begriffe und Einleitung der Logik. § 79.

[14] Vgl.: Ebenda. § 80.

[15] Vgl.: Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. S. 36.

[16] Vgl.: Hegel. § 81.

[17] Vgl.: Ebenda. § 82.

[18] Vgl.: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dialektik&printable=yes. S. 3. Stand: 03.04.2007.

[19] Vgl.: ADLER, Max: Marxistische Probleme. Beiträge zur Theorie der materialistischen Geschichtsauffassung und Dialektik. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH. Berlin/Bonn-Bad Godesberg 1974. S. 39.

[20] Vgl.: MARX, Karl & ENGELS, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei. Reclam GmbH und Co. Stuttgart 1998. S. 19.

[21] Vgl.: Adler: Marxistische Probleme. S. 37.

[22] Ritsert: Kleines Lehrbuch. S. 127ff.

[23] Vgl.: Marx & Engels: Mannifest der Kommunistischen Partei. S. 56.

[24] Vgl.: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dialektik&printable=yes. S. 3. Stand: 03.04.2007.

[25] Vgl.: Ebenda.

[26] Vgl.: Ebenda.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Dialektik als Methode geisteswissenschaftlicher Pädagogik
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Pädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V92424
ISBN (eBook)
9783638061483
ISBN (Buch)
9783638951562
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dialektik, Methode, Pädagogik
Arbeit zitieren
Raoul Giebenhain (Autor:in), 2007, Dialektik als Methode geisteswissenschaftlicher Pädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92424

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Dialektik als Methode geisteswissenschaftlicher Pädagogik



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden