Klassische Geschlechterrollen in der Science-Fiction-Serie "Doctor Who"


Dossier / Travail, 2019

35 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

1 Einleitung

2 Gender Media Studies und Medientheorie

3 Entstehung von Geschlechterrollen

4 Episodenanalyse
4.1 Entwicklung eines allgemeinen Erkenntnisinteresses
4.2 Theoretische und historische Reflexion
4.3 Entwicklung der Fragestellung(en)
4.4 Bildung des Analysekorpus
4.5 Datensammlung und Analyse der Daten
4.6 Auswertung und Kontextualisierung
4.7 Bewertung der analysierten und interpretierten Daten

5 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Mit mittlerweile über 50 Jahren Geschichte, auf die zurückgeblickt werden kann, ist die briti­sche Serie Doctor Who eine der am längsten laufenden Science-Fiction Serien überhaupt. Zu­nächst lief sie von 1963 bis 1996 auf dem öffentlich-rechtlichen Sender BBC in Großbritannien. 2005 erhielt sie ein Reboot, welches mittlerweile 11 Staffeln hervorgebracht hat. Das besondere an der Serie: der Hauptcharakter - der Doktor - wechselt laufend seine Darsteller. Bis 2017 waren es insgesamt 13 verschiedene männliche Schauspieler, die die Figur verkörpert haben.

Für die elfte Staffel kündigten die Macher der Serie wieder eine Neubesetzung an. Dieses Mal fiel ihre Wahl auf Jodie Whittaker. Nach über 50 Jahren sollte nun also zum ersten Mal eine Frau die Rolle des zeitreisenden Aliens übernehmen. Die Reaktion der Fans der Serie auf die Neuigkeiten waren gemischt. Während einige die Neuerung begrüßten und hervorhoben, dass dies eine gute Gelegenheit sei, um auch den jüngeren weiblichen Fans die Möglichkeit zu ge­ben, sich mit dem Doktor zu identifizieren, reagierten viele andere empört. Sei es, weil sie sich ihrer Kindheitserinnerung an den Doktor beraubt sahen oder weil sie der festen Überzeugung waren, dass der Doktor als Time Lord obligatorischer Weise männlich sein musste (vgl. BBC 2017).

Eine so heftige Reaktion wirft unweigerlich die Frage auf, warum es eine dermaßen starke Fi­xierung auf das Geschlecht einer Figur gibt, die nicht menschlich, sondern außerirdisch ist und deren Geschlecht in der Serie nie wirklich bestätigt wird. Eine mögliche Erklärung wäre, dass auch wenn dem Doktor nie offiziell ein Geschlecht zugewiesen wurde, seine Handlungen und Beziehungen in der Vergangenheit trotzdem als männlich interpretiert und so Geschlechterrol- len und die Vorstellung von Männlichkeit reproduziert wurden. Deshalb soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Serie heute noch klassische Geschlechterrollen re­produziert.

Um diese Frage beantworten zu können, soll zunächst einmal geklärt werden, wie man Ge- schlechterverhältnisse in Medien analysieren kann und was für Unterschiede es zwischen der intendierten Nachricht von Produzentiinnen und der Interpretation von Rezipientiinnen geben kann. Dazu sollen Erkenntnisse aus den Gender Media Studies von Lünenborg und Maier her­angezogen werden, sowie von Stuart Hall. Zusätzlich soll die besondere Rolle der BBC als produzierender Sender untersucht werden und inwieweit dieser als öffentlich-rechtliches Medium dazu verpflichtet ist, besonders auf die Repräsentation der gesamten Gesellschaft zu achten.

Als theoretische Grundlage für die Entstehung und Reproduktion von Geschlecht und Ge- schlechterrollen wird zunächst der konstruktivistische Ansatz erläutert, anschließend sollen die Erkenntnisse aus West und Zimmermans Doing Gender herangezogen werden, genauso wie der ethnomethodologische Ansatz von Kessler und McKenna zum Thema Geschlecht. Um die Theorien dann mit der Empirie vergleichen zu können, soll eine Episode der Doctor Who Re­boot-Serie analysiert werden. Dazu wird in Anlehnung an Lothar Mikos‘ Systematik der Ana­lyse ein eigenes Analyseschema erstellt. Dieses beinhaltet auch eine Analyse des aktuellen Dis­kurses auf Grundlage unterschiedlicher Veröffentlichungen zum Thema Doctor Who und Ge­schlecht.

2 Gender Media Studies und Medientheorie

„Medien [sind] Motor und Agent von Geschlechterstrukturen und -konstruktionen“ (Lünen- borg/Maier 2013: 26), so formulieren es die Autorinnen schon am Anfang ihres Buches Gender Media Studies. Im Rahmen dieses beschäftigen sie sich mit verschiedenen Theorien und Kon­zepten von Medien und Geschlecht und erläutern, dass Medien auf drei Ebenen analysiert wer­den können: der Medienproduktion, den Medientexten und dem Medienhandeln. Im Folgenden soll vor allem der Umgang mit Medientexten betrachtet werden. Anschließend soll auch die Encoding/Decoding-Theorie nach Stuart Hall erläutert werden.

Lünenborg und Maier beschreiben vier verschiedene Ansätze für die Analyse von Geschlech- terverhältnissen in den Medien. Einerseits die Gleichheitsforschung. Diese beschäftigt sich in einem ersten Schritt mit der Häufigkeit der Darstellung von Frauen im Vergleich zu Männern. In einem zweiten Schritt geht es darum, Ungleichbehandlungen der beiden Geschlechter auf­zudecken. Diese könnten in Form von Abwertung, Sexualisierung oder Trivialisierung auftre­ten. Außerdem spiele es auch eine wichtige Rolle, ob das Verhältnis zwischen der Darstellung des jeweiligen Geschlechts im entsprechenden Medium und der Realität stimmt (vgl. Lünen- borg/Maier 2013: 97).

Dem Gegenüber steht der differenztheoretische Ansatz. Dieser befasst sich mit Fragen danach, ob es männliche oder weibliche Medientexte beziehungsweise Genres gibt und untersucht die Unterschiede zwischen Medientexten die von Frauen und denen, die von Männern geschrieben wurden (vgl. Lünenborg/Maier 2013: 97). Der interaktionistische Konstruktivismus beschäftigt sich damit, wie Medientexte Geschlecht aktiv herstellen. Im Mittelpunkt stehe hierbei auch der Wandel ganzer Genres aufgrund des Wandels der Geschlechterrollen in der Gesellschaft. Der letzte Ansatz ist schließlich die diskurstheoretische Dekonstruktion. Dabei gehe es darum, aus der heterosexuellen Matrix auszutreten und sich vor allem auf die Analyse von Figuren und Texten zu konzentrieren, die Geschlechterarrangements außerhalb dieses erkennen lassen (vgl. Lünenborg/Maier 2013: 98).

Im weiteren Verlauf des Kapitels weisen die Autorinnen auch noch einmal auf die sogenannte Reifizierung hin. Damit werde beschrieben, dass durch die Analyse der Repräsentation von Männern und Frauen in Medien, die Zweigeschlechtlichkeit zunächst einmal als gegeben und unveränderbar angesehen werde. Daran hätten vor allem konstruktivistische Forscheriinnen Kritik geäußert. Es käme dadurch zu einer „Überbetonung von Geschlechterdifferenz“ (Lünen- borg/Maier 2013: 106).

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit, soll der Ansatz des interaktionistischen Konstruktivismus angewendet werden. Mit Hilfe dieses soll deutlich gemacht werden, inwiefern und an welchen Stellen genau, traditionelle Geschlechterrollen noch heute in der Serie Doctor Who reproduziert werden. Das dahinterstehende Konzept traditioneller Geschlechterrollen, welches im Verlauf vorgestellt wird, beschäftigt sich nur mit klassischen Merkmalen von Männlichkeit und Weib­lichkeit und geht darüber hinaus auf kein anderes Geschlecht ein. Diese Arbeit ist sich der damit vorgenommenen Reifizierung bewusst und verneint nicht die Existenz anderer Geschlechter oder die Vorstellung von Geschlecht als ein Kontinuum, sondern nutzt das Konzept gerade deshalb, um zu verdeutlichen, wie auch heutzutage noch die Zweigeschlechtlichkeit reprodu­ziert wird.

Zusätzlich zum Ansatz der Gender Media Studies soll auch noch einmal ein Blick auf die The­orie von Stuart Hall geworfen werden. Dieser geht davon aus, dass eine Nachricht immer zu­nächst von ihremiihrer Produzentiin encodiert wird, eine „meaning structure 1“ (Hall 2005: 120) zugeschrieben bekommt und anschließend von einem*r Rezipientin decodiert wird, der*die wiederum eine „meaning structure 2“ interpretiert. Die Symmetrie beziehungsweise Asymmetrie dieser Strukturen seien vom Wissensstand, dem Verhältnis zur Produktion und der technischen Infrastruktur, über die die Mitwirkenden verfügen, abhängig. Ist das Verhältnis zwischen diesen gestört, bezeichnet Hall es als „lack of equivalence“ (Hall 2005: 120).

Darüber hinaus hat Hall drei verschiedene Lesarten von Medientexten herausgearbeitet. Die dominant-hegemoniale Lesart geht davon aus, dass Zuschauerinnen den Code einer Nachricht stets so verstehen, wie die Produzierenden ihn gemeint haben. Hall fasst diese als idealtypische Vorstellung einer transparenten Kommunikation auf (vgl. Hall 2005: 125f). Die ausgehandelte Lesart meint, dass die Zuschauerinnen zwar die Hauptaussage eines Textes verstehen, dies aber auch nur der Fall sei, da sie auf gesellschaftlich anerkannte Muster und Gegebenheiten zurückgreife (vgl. Hall 2005: 126). Die letzte Lesart ist die oppositionelle. In diesem Fall ver­stünden die Zuschaueriinnen genau das Gegenteil von dem, was die Produzierenden vermitteln wollen (vgl. Hall 2005: 127).

Medientexte können also von unterschiedlichen Rezipientiinnen verschieden interpretiert wer­den. Darüber hinaus kann es auch immer zu Divergenzen zwischen deren Interpretation und der Intention der Produzentiinnen kommen. Um die Serie Doctor Who abschließend vollständig einordnen zu können, soll auch einmal untersucht werden, inwieweit diese sich als Produktion eines öffentlich-rechtlichen Senders (BBC) an bestimmte Vorgaben und Richtlinien zu halten hat.

In der Royal Charter for the continuance of the British Broadcasting Corporation ist genau festgelegt, welche Aufgaben und Verpflichtungen die BBC zu erfüllen hat. Sie sei verpflichtet, die Gesamtheit der Gesellschaft in ihrem Programm zu repräsentieren und auf die verschiede­nen Perspektiven innerhalb der Gesellschaft aufmerksam zu machen („the BBC should accura­tely and authentically represent [...] the lives of the people of the United Kingdom today, and raise awareness of the [.] alternative viewpoints that make up its society”, Secretary of State for Culture Media and Sport, 2016: Punkt 6, Absatz 4).

3 Entstehung von Geschlechterrollen

In der Gesellschaft gebe es bestimmte Grundannahmen über Geschlecht, die relativ weit ver­breitet seien. Allgemein könne man sie in drei Punkten zusammenfassen: Eindeutigkeit, Natür­lichkeit und Unveränderbarkeit (vgl. Hagemann-White 1984: 81). Geschlecht scheint also et­was zu sein, was von der Natur vorgegeben sei und woran man selbst nichts verändern könne. Zahlreiche Wissenschaftleriinnen haben dieser Annahme jedoch etwas entgegenzusetzen. So stellt Riegraf fest, dass Geschlecht sozial konstruiert sei und Menschen es selbst „über voraussetzungsvolle Handlungen beständig [herstellen würden]“ (Riegraf 2010: 59). Wetterer greift diesen Gedanken ebenfalls auf und formuliert als eine zentrale Frage wie es dazu komme, dass die Gesellschaft in männlich und weiblich eingeteilt werde und warum allgemeiner Kon­sens darüber herrsche, dass dies natürlich sei (vgl. Wetterer 2010: 127). Diese Ansätze sind nicht neu, denn schon in den 1970er und 80er Jahren haben sich Forscherinnen damit beschäf­tigt, wie Geschlecht in der Gesellschaft immer wieder konstruiert und reproduziert wird.

Kessler und McKenna nehmen in ihrem ethnomethodologischen Ansatz zunächst einmal eine konzeptionelle Einteilung von Geschlecht in vier verschiedene Teile vor. Einerseits die Fremd­zuschreibung (gender attribution). Sie beschreiben damit das Phänomen, dass Menschen dazu neigen würden, jede Person bei der ersten Begegnung sofort danach einzuordnen, ob sie weib­lich oder männlich sei (vgl. Kessler/McKenna 1978: 2). Weiterhin definieren sie die Fremdzu­schreibung als einen komplexen und interaktiven Prozess, an dem immer mindestens zwei Per­sonen beteiligt seien. Die Person, die das Geschlecht zuschreibt und die, die es zugeschrieben bekommt. Meistens würden alle Teilnehmenden eine Doppelrolle einnehmen und seien sowohl Zuschreibende als auch Zugeschriebene.

Das Ergebnis so einer Zuschreibung von Geschlecht für das Gegenüber sei eindeutig und of­fensichtlich. Dieses verhalte sich gleichzeitig auch so, dass ihm*ihr ein Geschlecht zugeschrie­ben werden könne. Eine Aussage, mit der die Autorinnen ihre These bekräftigen ist die ei- nes*einer Transsexuellen, den*die sie ihm Rahmen ihrer Forschung interviewt haben: „Once people decide what you are they interpret everything you do in light of that“ (Kessler/McKenna 1978: 6). Die Fremdzuschreibung ist also etwas, was Einfluss auf das gesamte Leben nimmt und vor der jegliches Verhalten einer Person interpretiert und bewertet wird.

Die weiteren Teile von Geschlecht seien die Fremdzuweisung (gender assignment), die Selbst­zuschreibung (gender identity) und die Erwartungen an das jeweilige Verhalten (gender role). Bei der Fremdzuweisung handle es sich um eine spezielle Form der Zuschreibung, die nur ein­malig bei der Geburt und auf Grundlage der Genitalien des Neugeborenen passiere (vgl. Kess­ler/McKenna 1978: 8). Die Selbstbeschreibung definieren sie als „an individual’s feeling of whether she or he is a woman or a man, or a girl or a boy“ (Kessler/McKenna 1978: 8), während die Erwartung ein „set of prescriptions and proscriptions for behavior“ (Kessler/McKenna 1978: 11) mit sich bringen würde, also erwünschte Verhaltensformen, die man je nach zuge­schriebenem Geschlecht erfüllen sollte, um nicht als geschlechtsuntypisch aufzufallen.

In ihrer Publikation gehen die Autorinnen besonders auf die Fremdzuschreibung ein. Diese sei so wichtig, da erst durch ihre Durchführung, die Beziehung zwischen den anderen drei Kom­ponenten von Geschlecht sinnvoll analysiert und interpretiert werden könne (vgl. Kess- ler/McKenna 1978: 17). Daraus ergibt sich auch ihre Kernthese, dass Interaktionen zwischen zwei oder mehreren Personen Geschlechtszuschreibungen konstruieren und diese wiederum die Zweigeschlechtlichkeit immer wieder reproduzieren würden (vgl. Kessler/McKenna 1978: 18).

Candace West und Don H. Zimmerman haben 1987 ihren Aufsatz Doing Gender veröffentlicht, indem sie die Forschung von Kessler und McKenna teilweise aufgreifen und weiterentwickeln. Ihr Erkenntnisinteresse bestand darin, zu zeigen wie Geschlecht durch Interaktionen dar- und hergestellt und warum es als etwas Natürliches aufgefasst wird, obwohl es sozial konstruiert sei (West/Zimmerman 1987: 129). Sie unterteilen Geschlecht ebenfalls in verschiedene Unterka­tegorien, beschränkten sich hierbei allerdings auf drei: sex, sex category und gender.

Sex stellte für sie das Äquivalent zum gender assignment bei Kessler und McKenna dar. Hierbei handle es sich um eine Zuschreibung von männlich oder weiblich auf Grundlage von „socialy agreed upon biological criteria“ (West/Zimmerman 1987: 131). Sex category ist für sie, ähnlich der gender attribution bei Kessler und McKenna, die Zuschreibung, die durch andere geschehe (vgl. West/Zimmerman 1987: 132f). Unter gender fassen die Autorinnen schließlich die bei Kessler und McKenna noch getrennten gender identity und gender role zusammen. Sie definie­ren dieses als Bestätigung der Zuschreibung durch erwartungsgemäßes Verhalten der jeweili­gen Person (vgl. West/Zimmerman 1987: 134f).

Doing Gender definieren sie konkret als etwas, was in allen Situationen des Lebens angewen­det werde, damit eine Handlung als „gender-appropriate or [...] gender- in appropriate“ (West/Zimmerman 1987: 135) angesehen werden könne. Geschlecht, vor allem gender, sei also rechenschaftspflichtig und Handlungen einer Person würden immer wieder auf Grundlage des zugeschriebenen Geschlechts beobachtet und als passend oder unpassend eingeordnet werden (vgl. West/Zimmerman 1987: 136). Die Autorinnen fokussieren sich auch im weiteren V erlauf ihres Textes vor allem auf gender und machen einige Merkmale fest, die neben der Rechen­schaftspflicht noch darauf zutreffen würden.

Gender sei laut der Autoriinnen auch eine Leistung beziehungsweise eine Errungenschaft, so sprechen sie beispielsweise von dem „accomplishment of gender“ (West/Zimmerman 1987: 131). Außerdem würde es je nach Situation immer neu angepasst werden müssen („Gender must be finely fitted to situations and modified [...] as the occasion demands“, West/Zimmerman 1987: 135). Darüber hinaus gehen sie auch von einer Omnirelevanz von gen­der aus, da jede Aktivität einer Person danach bewertet werden könne, ob es sich bei ihr um eine Frau oder einen Mann handle (vgl. West/Zimmerman 1987: 136).

Abschließend gehen sie noch einmal darauf ein, dass Doing Gender häufig auch einfach meine, sich durch sein Verhalten der Gefahr auszusetzen, dass einem ein Geschlecht zugeordnet wird. Obgleich man sich selbst mit diesem Geschlecht identifiziert (vgl. West/Zimmerman 1987: 135). Außerdem seien die Unterschiede, die zwischen Männern und Frauen beziehungsweise Mädchen und Jungen gezogen werden, weder natürlich, noch essentiell oder biologisch be­gründbar (vgl. West/Zimmerman 1987: 137). Wichtig ist auch anzumerken, dass der Prozess des Doing Gender zwar von Individuen durchgeführt werde, aber erst durch Interkationen zwi­schen diesen wirklich zu Stande komme, und dass es sich dabei um einen institutionellen Cha­rakter handle (vgl. West/Zimmerman 1987: 136f).

4 Episodenanalyse

Um der Fragestellung, inwieweit Doctor Who noch heute traditionelle Geschlechterrollen re­produziert weiter nachzugehen, soll im Folgenden eine Analyse des vorliegenden Materials durchgeführt werden. Dabei soll sich auf die Medientexte konzentriert werden. Medienproduk­tion und -handeln werden nicht Gegenstand der Analyse sein. Als Methode dient hierbei ein Analyseschema, welches an jenes von Lothar Mikos (vgl. Mikos 2008: 83) angelehnt ist. Das hier verwendete Schema hat allerdings nur sieben anstatt 14 Schritte, um eine kürzere aber trotzdem prägnante Analyse zu gewährleisten.

Als erster Schritt wird wie bei Mikos das allgemeine Erkenntnisinteresse formuliert. Anschlie­ßend erfolgt eine theoretische und historische Reflexion. Die Sichtung des Materials erhält kei­nen eigenen Schritt, da sie, wie Mikos ebenfalls feststellt, „alle anderen Arbeitsschritte [beglei­tet]“ (Mikos 2008: 84). Die Konkretisierung des Erkenntnisinteresses erfolgt dann im Zuge der Entwicklung der Fragestellung(en) im dritten Schritt. Schritt Nummer vier ist dann wieder, wie bei Mikos, die Bildung eines Analysekorpus. Im Anschluss werden die Schritte sieben bis zehn bei Mikos zu einem großen Schritt zusammengefasst, der Datensammlung und Analyse der Daten. Dies geschieht, um eine zusammenhängende Analyse möglichst in einem Textabschnitt abhandeln zu können. So kann sich leichter auf die bei Mikos einzeln angesprochenen Schritte bezogen werden und das Verständnis, wie diese miteinander verknüpft sind, wird erleichtert. Die Auswertung und Kontextualisierung der Daten erfolgt im Anschluss wie bei Mikos, die Evaluation wird in einem Schritt zusammengefasst und enthält auch die Präsentation der Er­gebnisse.

4.1 Entwicklung eines allgemeinen Erkenntnisinteresses

In Anlehnung an die eingangs formulierte Fragestellung soll die Analyse einer Episode der Serie Doctor Who Aufschluss darüber geben, inwieweit traditionelle Geschlechterrollen repro­duziert werden und Geschlecht im Sinne dieser konstruiert wird. Dazu sollen die Merkmale traditioneller Geschlechterrollen, die Keller nach Saltzmann und Chafetz zusammenstellt, als Vergleichswerte dienen (vgl. Keller 1978: 25). Männer zeichne demnach aus, dass sie athletisch und stark seien, weniger auf das Äußere achten würden, meist die Versorger in der Familie, sexuell erfahren, unemotional, stoisch, logisch, rational, objektiv, intellektuell, dominierend, unabhängig, aggressiv, erfolgsorientiert und ambitioniert seien. Dem gegenüber sei das traditi­onelle Bild von Frauen eher davon geprägt, dass sie schwach und nicht athletisch seien, außer­dem häuslich, jungfräulich, emotional, sentimental, verwirrt, inkonsistent, intuitiv, unterwürfig, folgsam, abhängig, überbehütend, passiv und schüchtern. Es zeichnen sich also deutliche Un­terschiede zwischen den Rollenvorstellungen ab, die im weiteren Verlauf mit den Handlungen in der Serie verglichen werden sollen.

4.2 Theoretische und historische Reflexion

Das Reboot der Serie umfasst mittlerweile mehr als 150 Episoden. Da es kaum möglich wäre, all diese Episoden in einem Rahmen wie diesem zu analysieren und auf die Reproduktion und Konstruktion traditioneller Geschlechterrollen hin zu untersuchen, soll zunächst einmal eine Diskursanalyse durchgeführt werden, in der deutlich werden soll, welche Rolle Geschlecht bei Doctor Who und in Science-Fiction Kontexten allgemein spielt. Zur Analyse dienen drei Auf­sätze beziehungsweise Beiträge, die sich mit Doctor Who und Geschlecht konkret befassen und darüber hinaus noch einzelne Kapitel aus Monografien und Sammelwerken, die Geschlecht im Science-Fiction Genre generell untersuchen.

Im Buch Ruminations, Peregrinations, and Regenerations - A critical Approach to Doctor Who von Christoph J. Hansen erschien 2010 auch ein Artikel von Richard Wallace. In „But Doctor?“ - A feminist Perspective of Doctor Who untersuchte er, welche Typen von Beglei­terinnen es bei Doctor Who gibt und wie diese dargestellt werden. Er stellt heraus, dass es die Hauptaufgabe der Begleiterinnen sei, möglichst viele Fragen zum Geschehen in der jeweiligen Szene zu stellen, die der Doktor dann beantwortet. Auf diese Weise werde den Zuschauerinnen das Geschehen näher erklärt und der Doktor wirke besonders intelligent. Das Problem hierbei sei allerdings, dass die Charaktere immer unselbstständiger würden, je mehr sie dieser Erwar­tung nachkämen (vgl. Wallace 2010: 104).

Wallace unterscheidet außerdem drei Arten von Begleiterinnen. Einerseits die Schreienden („the screamer“, Wallace 2010: 104), die Gleichgestellten („the equal“, Wallace 2010: 104) und die Vermittelnden („the intermediary“, Wallace 2010: 104). Die Schreienden charakterisierte er als die typischen Jungfrauen in Nöten (vgl. Wallace 2010: 108), während die Gleichgestellten vor allem schlau und temperamentvoller als die Schreienden seien und somit eher eine positive Repräsentation von Weiblichkeit darstellen würden (vgl. Wallace 2010: 109). Er stellt weiterhin Schreien als eines der Hauptmerkmale von Begleiteriinnen des Doktors dar. Da diese zumeist weiblich seien, falle eben den Frauen das Schreien zu (vgl. Wallace 2010: 110).

Weiblichen Charakteren allgemein ordnet Wallace eine Doppelrolle zu. Einerseits sollen sie als positives Vorbild für die weiblichen Zuschauerinnen dienen, andererseits aber auch den männ­lichen Zuschauern gefallen (vgl. Wallace 2010: 111). Darüber hinaus würden weibliche Cha­raktere auch dafür sorgen sollen, dass Frauen das Interesse an der Serie nicht verlieren würden (vgl. Wallace 2010: 113). Aus diesen Aufgaben könnte man ableiten, dass Frauen allgemein nur ein Mittel zum Zweck sind, um das Interesse der Zuschaueriinnen an der Serie aufrecht zu erhalten. Wallace bringt aber auch zwei Argumente an, die die Rolle von Frauen bei Doctor Who noch einmal positiver besetzen.

Einerseits merkt er an, dass der Doktor in der Serie immer wieder betont, dass er nur mit den Besten reisen würde. Folgt man dieser Aussage, könnte man, wie Wallace, zu dem Schluss kommen, dass Frauen für die Reisen einfach besser geeignet seien als Männer beziehungsweise, dass sie die nötige Stärke mitbringen würden, die es dafür brauche (vgl. Wallace 2010: 113). Andererseits stellt er auch die These auf, dass dadurch, dass die Begleiteriinnen immer wich­tiger für die Serie werden würden, die Show im Umkehrschluss mittlerweile doch von Frauen angeführt werde (vgl. Wallace 2010: 114).

Insgesamt stellt Wallace erst einmal Aufgaben heraus, die die Begleiteriinnen aus narrativen Gründen und für das Verständnis der Zuschaueriinnen erfüllen müssten. Diese erscheinen auch sinnvoll. Umso schwieriger wird es dann, seinen letzten Argumenten zuzustimmen. Wenn weibliche Charaktere bewusst eingesetzt würden, um bestimmte Zwecke zu erfüllen, ist es schwierig, gleichzeitig zu sagen, dass sie ausgewählt werden, weil sie nützliche Eigenschaften besäßen, die Männer nicht hätten. Die Doppelrolle, die er den weiblichen Charakteren zu­schreibt, reduziert sie zudem größtenteils auf das Äußerliche und ob die Begleiter*innen wirk­lich immer mehr die Serie übernehmen, geschweige denn sie anführen, ist außerdem fragwür­dig, da der Doktor trotzdem noch der Hauptcharakter der Serie ist.

Auf den letzten Aspekt bei Wallace geht auch Lorna Jowett in ihrem Artikel The Girls Who Waited? Female Companions and Gender in Doctor Who ein. Dieser erschien 2014 in der Zeit­schrift Critical Studies in Television und befasst sich vor allem mit der Darstellung von weib­lichen Begleiterinnen bei Doctor Who. Zunächst stellt sie fest, dass die Zielgruppe der Serie, aufgrund ihrer Sendezeit am Samstagabend zur Primetime, eindeutig Familien seien (vgl. Jowett 2014: 78). Außerdem schreibt auch sie den Begleiterinnen eine Doppelrolle zu. Einer­seits sollen sie dafür sorgen, dass der Fokus der Zuschauerinnen auf die Handlungen der Cha­raktere gelenkt werde, andererseits, dass die Wunderwelt des Genres Science-Fiction deutlich werde (vgl. Jowett 2014: 79).

In einem nächsten Schritt greift sie das Argument von Wallace, dass die Begleiterinnen immer wichtiger würden und die Serie übernähmen, auf. Laut ihr würden die Begleiterinnen zwar diverser werden, der Fokus läge aber trotzdem noch auf dem Doktor. Er sei „the main character, the focus and the hero” (Jowett 2014: 80). Darüber hinaus würden die Begleiterinnen sehr schnell wechseln und man sehe sie nur selten wieder, wenn sie die TARDIS und damit den Doktor erst einmal verlassen hatten. Jowett geht auch darauf ein, dass verschiedene Schauspie­lerinnen unterschiedliche Darstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Serie port­rätieren würden. Weiterhin müsse die Charakterisierung des Doktors über die Begleiterinnen passieren, damit er selbst die Rolle des mysteriösen Außerirdischen behalten könne (vgl. Jowett 2014: 80).

Vor allem die weiblichen Charaktere seien laut Jowett in geschlechtertypische Verhältnisse eingespannt. So hätten die ehemaligen Begleiterinnen Rose, Martha und Donna allesamt Fami­lien, die in der Serie immer wieder auftauchen würden und deren Zurückbleiben teilweise the­matisiert werde. Begleiterin Clara habe zwar keine eigene Familie, arbeite jedoch als Kinder­mädchen für zwei Schüler und übernehme so traditionelle Aufgaben einer Frau (vgl. Jowett 2014: 81). Der Kern ihrer Argumentation bezieht sich jedoch konkreter auf etwas, was vor allem rund um den Charakter Amy Pond und ihre Familie eine wichtige Rolle spielt, nämlich das Warten.

Frauen würden in Doctor Who oftmals als diejenigen dargestellt werden, die auf einen Mann warten. Im Fall von Amy ist es der Doktor selbst und ihr Ehemann Rory. In Folge zehn der sechsten Staffel - Warten in der Ewigkeit (Original: The Girl Who Waited) - muss Amy auf den Doktor und Rory warten bis sie schließlich eine alte Frau geworden ist. Sie werde als ab­hängig von den beiden Männern in ihrem Leben dargestellt und als unfähig, sich selbst aus dieser Lage zu befreien (vgl. Jowett 2014: 83). Auch eine andere Frau, die eigentlich als einer der stärksten weiblichen Charaktere bei Doctor Who gelte, sei zum Warten verurteilt. River Song, die Ehefrau des Doktors. Die Beziehung zwischen ihr und ihrem Ehemann wird in der Serie kaum gezeigt. Sie sitzt die meiste Zeit wegen Mordes im Gefängnis und kann nur ab und an entkommen, um Zeit mit dem Doktor zu verbringen. Jowett bezeichnet sie als „another girl who waited for the Doctor to complete her” (Jowett 2014: 85).

Eine Aufgabe, die Jowett den Begleiterinnen zuschreibt, ist dass sie eine Art Kontrastfolie zum Doktor darstellen würden. Während der Doktor „active [...] intellectual, independent, lo­nely [...] and heroic“ (Jowett 2014: 83) sei, sollen seine Begleiterinnen eher „emotional, pas­sive or dependent“ (Jowett 2014: 83) sein. Sie zitiert außerdem Mags L. Halliday, die anmerkt, dass schlaue, unabhängige Frauen einfach keine guten Begleiterinnen ausmachen würden (vgl. Jowett 2014: 84). Der Doktor würde laut Jowett außerdem den Begleiterinnen gerade zum Ende ihrer Geschichte oftmals ihre Selbstbestimmung aberkennen, da häufig er entscheiden würde, wann sie gehen müssten. Eine Ausnahme stelle die Figur der Martha Jones dar, die selbstständig beschließt zu gehen, jedoch nur, weil ihre Liebe zum Doktor unerwidert bleibe (vgl. Jowett 2014: 84).

Zusammenfassend kann man also sagen, dass auch Jowett bestimmte Aufgaben für die Beglei- ter*innen festsetzt. Im Gegensatz zu Wallace macht sie jedoch deutlich, dass der Fokus der Serie klar auf dem Doktor bleibe und nicht zu den Begleiterinnen wechsle. Vor allem ihre Analyse von River Song und Amy Pond und der Bezeichnung dieser als Frauen, die nur darauf warten würden, dass ein Mann sie komplettiert, waren neue Aspekte, die nochmal eine andere Sichtweise auf die Darstellung der Begleiterinnen, vor allem der weiblichen, gelenkt hat.

Jared Aronoff hat sich in seinem Aufsatz Deconstructing Clara Who - A Female Doctor Made Possible by an Impossible Girl, erschienen 2017 im International Journal of TV Serial Narra­tives, auf eine Begleiterin speziell konzentriert, nämlich Clara Oswald. Er schreibt, dass es sich bei ihrer Charakterentwicklung um einen Prozess der „self-acceptance“ (Aronoff 2017: 25) handle. Der zwölfte Doktor sei ihr gegenüber zwar nicht physisch aggressiv aber verbal sehr unhöflich und würde sie oftmals unfreundlich behandeln. Im Gegensatz zu den anderen Beglei- ter*innen habe sie sich dem aber entgegengesetzt und sich gewehrt, was ihren starken Charakter auszeichnen würde (vgl. Aronoff 2017: 25).

Weiterhin zeigt er die Unterschiede zwischen Clara und der Figur Rose Tyler und deren Bezie­hung zum zehnten Doktor auf. Rose sei zwar unabhängig, stelle jedoch die Autorität des Dok­tors nicht so weit in Frage, dass an vorhandenen Geschlechterrollen gerüttelt werden würde. Darüber hinaus herrsche zwischen ihr und dem zehnten Doktor eine permanente „sexual ten­sion“ (Aronoff 2017: 26). Im Gegensatz dazu, wird die Asexualität des Doktors nach Aronoff sofort wiederhergestellt, als er zum zwölften Mal regenerierte und Schauspieler Peter Capaldi die Rolle übernahm (vgl. Aronoff 2017: 26). Aronoff zieht insgesamt in seinem Artikel das Potenzial einer Begleiterin, nämlich das von Clara, als Wegebnung für den ersten weiblichen Doktor heran.

Neben Aufsätzen und anderer Literatur zu Doctor Who und Geschlecht konkret, soll auch kurz angesprochen werden, wie Geschlecht, vor allem Weiblichkeit, im Science-Fiction Genre all­gemein dargestellt wird. Adam Roberts widmet diesem Thema beispielsweise ein Kapitel in seinem Buch Science Fiction aus dem Jahr 2000. Er bezeichnet vor allem Hybride, also ein aus einem Menschen und einer Maschine zusammengesetztes Wesen, als einen Teil starker weib­licher Science-Fiction (vgl. Roberts 2000: 104). Außerdem rezipiert er auch die Arbeit von Donna Harraway, die sich in ihrer Arbeit vor allem auf das Thema Cyborgs konzentriert hat. Laut ihr seien Frauen, als Menschen, die tagtäglich auf Technologien angewiesen seien, so­wieso jetzt schon Cyborgs (vgl. Roberts 2000: 105).

Im Science-Fiction Genre sieht er die Möglichkeit, echte Frauen als echte Aliens darzustellen, anstatt als metaphorische Aliens in der heutigen Gesellschaft, und so Vorurteile zu durchbre­chen (vgl. Roberts 2000: 106). Insgesamt macht er deutlich, dass Frauen, die teilweise mit Ma­schinen verschränkt werden, starke weibliche Vorbilder seien. Nicht ganz klar ist, inwieweit durch Cyborgs oder Hybride Vorurteile konkret durchbrochen werden sollen. Auch das Argu­ment von Harraway, auf das er sich bezieht, ist nicht ganz verständlich. Sie geht davon aus, dass nur Frauen schon heute Cyborgs seien aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Technologie. Fraglich ist, warum dies nicht auch auf Männer zutreffen sollte, die heutzutage sicherlich ge­nauso auf Technik angewiesen sind.

[...]

Fin de l'extrait de 35 pages

Résumé des informations

Titre
Klassische Geschlechterrollen in der Science-Fiction-Serie "Doctor Who"
Université
University of Göttingen
Note
1,3
Auteur
Année
2019
Pages
35
N° de catalogue
V925711
ISBN (ebook)
9783346252777
ISBN (Livre)
9783346252784
Langue
allemand
Mots clés
Hausarbeit, Doctor Who, Geschlecht, Geschlechterrollen, Gender Studies, Heteronormativität, Gender Media Studies, Medienwissenschaften, Geschlechterforschung, Science Fiction
Citation du texte
Areti-Kristin Bouras (Auteur), 2019, Klassische Geschlechterrollen in der Science-Fiction-Serie "Doctor Who", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/925711

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