Brechts Lai-tu im "Buch der Wendungen"

Eine literarische Figur und ihre Bedeutung für das Verhältnis zwischen Ruth Berlau und Bertolt Brecht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Zur Vita der roten Ruth
2.1 Kurzbiographie Ruth Berlau
2.2 Berlau und ihr Verhältnis zu Brecht

3. Das Buch der Wendungen
3.1 Zur Entstehung
3.2 Zum Inhalt
3.3 Lai-tu im Buch der Wendungen

4. Versuch einer Einordnung und Interpretation der Lai-tu Geschichten
4.1 hönheit und Glück der Lai-tu
4.2 Me-tis Rat
4.3 Lai-tus Fehler
4.4 Lai-tu flirtet
4.5 Das Feuermachen der Lai-tu
4.6 Lai-tus Wert
4.7 Kein-leh verleirt Lai-tu
4.8 Eine Produktion Lai-tus

5. Ein Leben als „Kreatur Brechts"

1. Einleitung

Lai Tu sagte zu Kin Jeh: Ich liebe dich so, was wird aus mir werden? [1] Dieser Satz ist der Beginn eines kurzen und gleichzeitig des letzten Aphorismus, den Bertolt Brecht im Jahr 1955 an Lai-tu alias Ruth Berlau geschrieben hat.[2] Und dennoch stehen bereits diese wenigen Worte charakteristisch für viele Facetten des Verhältnisses zwischen Berlau und Brecht.

Ruth Berlau hat als Schauspielerin, Regisseurin, Schriftstellerin und Fotografin gearbeitet, gleichzeitig ist sie überzeugte Kommunistin und in ihrer Heimat Dänemark als rote Ruth bekannt gewesen.[3] In erster Linie wird der Name Ruth Berlaus jedoch immer mit demjenigen von Bertolt Brecht verbunden bleiben, an dessen Seite sie als Mitarbeiterin und Geliebte über 22 Jahre hinweg gelebt hat.

Wie prägend gerade diese Zeit für sie gewesen ist, mag in der Folge ein kurzer Blick auf ihre Biographie und das Leben und Verhältnis mit und zu Brecht zeigen.

Diese Vorbetrachtungen erscheinen notwendig, um die Aphorismen und die Figur der Lai-tu, als die Berlau Aufnahme in Brechts Buch der Wendungen gefunden hat, überhaupt verstehen bzw. interpretieren zu können.

Vor allem Berlaus posthum herausgegebene Erinnerungen[4] [5] gestatten diesbezüglich einen interessanten Einblick, allerdings darf dabei nicht die subjektive Komponente dieser Memoiren unterschätzt werden. Eine neuere und sicher objektivere Biographie ist im Jahr 2006 von Sabine Kebir herausgegeben worden5, welche gerade bezüglich des Verhältnisses zwischen Berlau und Brecht einige neue Aspekte zur Sprache bringt.

Weitere Ausführungen zum Leben Berlaus sind von Franka Köpp[6] und Hiltrud Häntzschel[7] verfasst worden.

Ebenso lassen sich aus der Betrachtung der Lai-tu, die in der Folge im Mittelpunkt steht, zahlreiche Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen der Schülerin Berlau und ihrem Lehrer Brecht ziehen, welche dazu beitragen, das Bild der Beziehung zwischen beiden gewissermaßen abzurunden.

Im Fokus der Arbeit soll daher auch die Einordnung einiger ausgewählter Lai-tu Aphorismen in den Gesamtkontext des gemeinsamen Lebens und Zusammenwirkens von Berlau und Brecht stehen, indem die jeweils intendierte Absicht und Zielsetzung der Texte herausgearbeitet wird.

2. Zur Vita der roten Ruth 2.1 Kurzbiographie Ruth Berlau

Ruth Berlau wird am 24. August 1906 in Kopenhagen als zweite Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns geboren. Ihr Eltern schicken sie auf eine Nonnenschule, die Berlau jedoch im Alter von nur 13 Jahren verlässt, eine Entscheidung, die sie zeitlebens bereut.

Kurz darauf muss Ruth mit der Unterstützung ihrer älteren Schwester ein Kind abtreiben, da sie sonst straffällig geworden wäre. Ebenfalls in diese Zeit fällt ein Selbstmordversuch der Mutter als Reaktion auf die zunehmend zerrüttete Ehe der Berlaus. Der Vater verlässt die Familie und Ruth beginnt damit Kaffee zu verkaufen um sich und ihre Schwester zu ernähren. In der Folge nimmt sie parallel dazu die Stelle einer Praxishilfe bei einem Zahnarzt an. [8]

Mit 21 Jahren beschließt Ruth Berlau eine Reise mit dem Fahrrad nach Paris zu unternehmen, die sie sich von einer dänischen Zeitung über

Reiseberichte finanzieren lässt. Wenig später startet sie zu einer weiteren Fahrradtour gen Moskau, wo sie drei Monate verweilt. Dieser Aufenthalt in der Sowjetunion macht Berlau zu einer überzeugten Kommunistin und sie tritt nach ihrer Rückkehr der kommunistischen Partei Dänemarks bei.[9] Berlau beginnt am Königlichen Theater Schauspielunterricht zu nehmen, wobei sie nie über die Besetzung kleinerer Rollen hinauskommt. Als einzigen Erfolg bezeichnet sie daher auch selbst ihre Darstellung der Anna in dem Stück Trommeln in der Nacht. [10]

Zwischenzeitlich heiratet Ruth den zwanzig Jahre älteren Arzt Dr. Robert Lund, einen renommierten Wissenschaftler. Diese Vermählung bezeichnet sie später als einen Irrtum ihrerseits und behält dennoch vor allem die vielen Reisen aus ihrer 10-jährigen Ehe in guter Erinnerung.[11] Berlau gründet und leitet ein Arbeitertheater, mit dem sie unter anderem 1933 zur Theaterolympiade nach Moskau reist.[12] Im Sommer desselben Jahres lernt Berlau Bertolt Brecht kennen und es entwickelt sich nach und nach eine intensive Arbeits- und Liebesbeziehung zwischen beiden.

1937 engagiert sich Berlau im spanischen Bürgerkrieg, im Übrigen gegen den ausdrücklichen Willen Brechts. Als Dänemark 1940 von den Nationalsozialisten besetzt wird, flieht sie mit Brecht und seinem restlichen Clan nach Finnland und kurz darauf in die USA. Sie wohnt dort zunächst in unmittelbarer Nähe Brechts in Santa Monica, ehe sie später alleine nach New York zieht, wo sie verschiedene Tätigkeiten wahrnimmt. Nach einer Ausbildung als Fotografin kehrt sie schließlich wieder zu Brecht zurück. Im Jahr 1944 bringt Berlau ihr einziges Kind zur Welt, doch ihr Sohn Michel wird zu früh geboren und überlebt nur wenige Tage.[13] Nach dem Ende des 2. Weltkrieg folgt sie Brecht zurück nach Deutschland und arbeitet in Ost-Berlin am Berliner Ensemble. Aufgrund von zunehmenden psychischen Problemen entfremden sich Ruth Berlau und Brecht immer mehr, auch Freunde und Bekannte wenden sich von ihr ab.

Nach Brechts Tod im Jahr 1956 begründet Berlau das Bertolt-Brecht­Archiv in Berlin. Ihre letzten Jahr verbringt sie relativ einsam und stirbt schließlich am 16. Januar 1974 im Berliner Krankenhaus Charité, als ihr Bett durch eine Zigarette in Brand gerät.[14]

2.2 Berlau und ihr Verhältnis zu Brecht

Als die 27jährige Ruth Berlau im Jahr 1933 erstmals dem eben ins dänische Exil ausgewanderten Berolt Brecht begegnet, ist sie bereits mit dem deutlich älteren Arzt und renommierten Wissenschaftler Robert Lund verheiratet.[15]

Bis zum Jahr 1935 hält sich zwischen Berlau und Brecht nur ein loser Kontakt, ehe, ausgelöst durch die gemeinsame Arbeit, der sich Brecht und Berlau zunehmend widmen, der Funke bei beiden überspringt und sich eine Liebesbeziehung entwickelt. Bertolt Brecht wird für Ruth Berlau von nun an zum Mittelpunkt ihres Daseins und sie richtet ihr Leben mehr und mehr völlig auf ihn aus, spätestens mit der gemeinsamen Flucht in die USA.[16]

Die Art der gemeinsamen Arbeit mit Brecht trägt dabei jedoch vollkommen andere Züge als das bei den anderen Frauen Brechts wie Helene Weigel oder Margarete Steffin der Fall ist. Berlaus Mitarbeit erfüllt zunächst einmal die Funktion der Vermittlung von Brechts Werk. Speziell zu der Zeit in Dänemark, ein Land, dessen Sprache Brecht nicht beherrscht und in dem seine Werke zunächst völlig unbekannt sind, ist Berlau für diese Aufgabe prädestiniert. Unter ihrer Regie bringt das von ihr initiierte Arbeitertheater Stücke von Brecht zur Aufführung, beginnend mit der Mutter im Oktober 1935. Es folgen unter anderem Die Gewehre der

Frau 1937 und eine deutschsprachige Aufführung mit Helene Weigel im Frühjahr 1938.[17]

Indem sie die Schwierigkeiten meistert, auf die Brecht mit seiner Theaterarbeit im Exil trifft, in erster Linie natürlich die Sprachbarrieren, sorgt Berlau dafür, den Autor Bertolt Brecht auch in Dänemark bekannt zu machen. Nebenbei betätigt sie sich mit der Unterstützung Brechts stets als Schriftstellerin, ihr erstes Werk ist der Roman Videre. 1940 veröffentlicht sie unter dem Pseudonym Maria Sten den Erzählband Ethvert dyr kann det (Jedes Tier kann es). Diese Zeit des gemeinsamen Arbeitens und Schreibens mit Brecht, während der sie sich mehrmals alleine im Ferienhaus von Berlaus Noch-Ehemann in Wallensbäck aufhalten, ist auch geprägt von einer intimen sexuellen Beziehung zwischen Berlau und Brecht.[18]

Jene Idylle der intensiven Kooperation und der häufigen Zweisamkeit verflüchtigt sich rasch, als Berlau Brecht zuerst nach Finnland und dann in die USA folgt. Brecht unternimmt zwar im Vorfeld jede Anstrengung, um ihr ein Visum für die Einreise nach Amerika zu besorgen, das Leben dort entspricht dann jedoch ganz und gar nicht den Vorstellungen und Erwartungen, die Berlau im Vorfeld gehegt hat. Dem von ihr erhobenen Anspruch auf Brecht kann und will dieser nicht gerecht werden.

Berlau bezieht in Santa Monica lediglich eine Wohnung in der Nachbarschaft von Brecht, ihre Anwesenheit in seiner bzw. Helene Weigels Nähe scheint unerwünscht. Berlau fühlt sich als Zweitfrau zurückgesetzt und es kommt unter allen Beteiligten folglich immer wieder zu extremen Spannungen. Doch es ist nicht nur Berlau in ihrer Rolle als Frau, sondern auch als Mitarbeiterin, die ihren Status für Brecht zu verlieren scheint.

Ihre Fertig- und Tätigkeiten, das Theaterspielen, Regieführen und Organisieren, kommen in dem neuen Land nicht mehr zum Tragen.

[...]


[1] Brecht, Bertolt: Werke. Prosa 3, Sammlungen und Dialoge. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 18, hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, Frankfurt a. M., 1995, S. 193. Im Folgenden abgekürzt mit GBA.

[2] Vgl. Ebd., S. 569.

[3] Vgl. : Hans Bunge (Hg.): Brechts Lai-tu. Erinnerungen und Notate von Ruth Berlau, Darmstadt 1985, S. 15.

[4] Ebd.

[5] Sabine Kebir: Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine: Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006.

[6] Franke Köpp: „Aber ich bin und war deine Kreatur“: Ruth Berlaus und Brechts Liebe als Große Produktion. In: Stephen Brockmann (Hg.): Who was Ruth Berlau? The Brecht

Yearbook 30, Madison, Wisconsin 2005.

[7] Hiltrud Häntzschel: Wenn ich ihn nur nicht so begehrte! Ruth Berlau. In: Dieselbe: Brechts Frauen, Reinbek bei Hambur 2005

[8] Vgl.: Bunge: Brechts Lai-tu, S. 15ff.

[9] Vgl.: Ebd., S. 20ff.

[10] Vgl.: Ebd., S. 26f.

[11] Vgl.: Ebd., S.35f.

[12] Vgl.: Kebir: Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine, S. 393.

[13] Vgl.: Häntzschel: Wenn ich ihn nur nicht so begehrte, S. 246.

[14] Vgl. : Kebir: Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine, S, 396f.

[15] Vgl.: Köpp: „Aber ich bin und war deine Kreatur, S. 107.

[16] Vgl.: Häntzschel: Wenn ich ihn nur nicht so begehrte, S. 231.

[17] Vgl.: Ebd., S.233.

[18] Vgl.: Ebd., S. 237.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Brechts Lai-tu im "Buch der Wendungen"
Untertitel
Eine literarische Figur und ihre Bedeutung für das Verhältnis zwischen Ruth Berlau und Bertolt Brecht
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Bertolt Brecht: Buch der Wendungen
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V92933
ISBN (eBook)
9783638072977
ISBN (Buch)
9783638957359
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brechts, Lai-tu, Buch, Wendungen, Bertolt, Brecht, Buch, Wendungen, Ruth Berlau, Bertolt Brecht, literarische Figur, Frauen, Erinnerungen, Notate
Arbeit zitieren
Martin Walter (Autor:in), 2007, Brechts Lai-tu im "Buch der Wendungen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92933

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