Die Phantastische Erzählung und das Märchen am Beispiel von Astrid Lindgrens "Mio, mein Mio"


Dossier / Travail, 2008

22 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die phantastische Erzählung als kinderliterarisches Genre
2.1 Geschichte und Theorie
2.2 Kennzeichen und Merkmale
2.3 Die drei Grundmodelle der phantastischen Erzählung nach Gansel

3. Das Genre der Märchen
3.1 Definition
3.2 Abgrenzung

4. Mio, mein Mio
4.1 Der Inhalt
4.2 Märchenhaftes und Phantastisches
a) Märchenhaftes
b) Phantastisches

5. Abschließendes

6. Literatur

Quellen:

1. Einleitung

Die folgende Arbeit befasst sich mit dem Begriff der phantastischen[1] Kinder- und Jugendliteratur. Dabei werden teilweise verschiedene Abwandlungen des Begriffs der Kinder- und Jugendliteratur (im Weitern auch KJL abgekürzt) verwendet, wie Phantastische Erzählung, Phantastische Erzählung für Kinder (und Jugendliche).

Weitere Themen sind das Genre des Märchens und Astrid Lindgrens Kinderbuch „Mio, mein Mio“.

So trägt Kapitel 2 den Titel: „Die Phantastische Erzählung als kinderliterarisches Genre.“

Ein Überblick über die geschichtliche Entstehung des Begriffs und verschiedene Theorieansätze und Definitionsversuche von Literaturwissenschaftlern bilden das Kapitel 2.1. Hierbei handelt es sich um die Wissenschaftler Anna Krüger, Ruth Koch, Tzvetan Todorov, Göte Klingberg, Angelika Nix, deren Forschungsergebnisse und Definitionen, auf das Wichtigste beschränkt, skizziert werden.

Anschließend werden in Kapitel 2.2 und 2.3 zunächst Merkmale und Motive der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur anhand der Forschung von Carsten Gansel und Göte Klingberg aufgezeigt anschließend die Darstellung der drei Grundmodelle der phantastischen Erzählung nach Carsten Gansel vorgenommen.

Kapitel 3 trägt den Titel „Das Genre des Märchens“ und befasst sich im ersten Teil damit eine Definition des Begriffs zu erstellen und geht anschließend auf eine Abgrenzung zum Genre der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur ein.

Kapitel 4, das den Titel „Mio, mein Mio“ trägt, soll den Brückenschlag von den Theorien der Phantastik und des Märchens, hin zu einem existenten Beispiel der Kinder- und Jugendliteratur, schaffen.

Abschnitt 4.1 fasst den Inhalt des Buches kurz zusammen, um eine bessere Einsicht in den Gesamtzusammenhang zu geben. Da „Mio, mein Mio“ häufig als Märchen deklariert wird, ebenso häufig aber auch als phantastische Geschichte, wird in Kapitel 4.2 eine theoriegestützte Erörterung zum Konflikt der Einordnung des Buches in eines der beiden behandelten Genres erstellt.

Kapitel 5 stellt den abschließenden Teil der Arbeit dar.

2. Die phantastische Erzählung als kinderliterarisches Genre

2.1 Geschichte und Theorie

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entstehung des Begriffs der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur und zeige Stationen ihrer Entwicklung zu einem eigenständig- akzeptierten Genre auf. Hierbei skizziere ich die Definitionen ausgewählter Literaturwissenschaftler und verknüpfe diese mit ihren Theorieansätzen.

Die Entstehung des Begriffs der „phantastischen Erzählung“ als Benennung eines kinderliterarischen Genres fand ihren Ursprung Anfang der 50er Jahre, als die deutsche Jugendliteraturkritikerin Anna Krüger auf eine Textauswahl für Kinder und Jugendliche aufmerksam machte, die bislang dem Märchengenre zugeordnet wurde. Sie charakterisiert diese so genannten „phantastischen Abenteuergeschichten“ für Kinder und Jugendliche als „Zweiweltenerzählung“, deren Hauptmerkmal die Gegenüberstellung von real-fiktiver Wirklichkeit und der fantastischen Welt ist. Hiermit findet sie eine erste Abgrenzung zum Genre des Märchens, dessen Geschehen sich ausschließlich innerhalb der Märchenwelt bewege.[2] Hierzu sagt sie:

„Im Märchen wundert sich niemand über das Wunder, weil alle Personen die Welt magisch erleben. In der fantastischen Abenteuergeschichte widerfährt das Wunder gewöhnlich nur einem, höchstens einigen Menschen, die über ihre seltsamen Erlebnisse zunächst sehr erstaunt sind, die übrigen Gestalten der Bücher sind nüchtern denkende Wesen, für die es gar keine Wunder geben kann, weil die Welt sonst aus ihrer gesetzmäßigen Ordnung fiele. Das märchenhafte Ereignis hebt sich also immer deutlich gegen die Wirklichkeit ab.“[3]

Anknüpfend an ihre Definition der „Zweiweltenerzählung“ prägt die Literaturwissenschaftlerin Ruth Koch wenig später den Begriff der „phantastische[n] Erzählungen für Kinder“. Hierbei schwächt sie die Betonung des Abenteuermoments nach Krüger ab und siedelt die fantastische Erzählung zwischen Märchen und realistischer Abenteuergeschichte an.[4]

Krügers und Kochs Definitionen der phantastischen Literatur und ihre Abgrenzungen zu anderen Genres bilden den Ausgangspunkt für die nachfolgende kinderliterarische Phantastikforschung. Dabei ist festzuhalten, dass es zunächst im europäischen Ausland zu

weiterführenden Theorien und Thesen zur phantastischen Kinder- und Jugendliteratur kam. Erst mit der Öffnung des Literaturbegriffs in den 70er Jahren und durch ein aufkommendes stärkeres Interesse des lesenden Publikums an phantastischer Literatur, setzte auch in Deutschland die literaturwissenschaftliche Diskussion über das Phantastische ein.

Besonders die Abhandlung „Introduction à la littérature fantastique“ (dt. Einführung in die phantastische Literatur) des bulgarischen Literaturwissenschaftlers Tzvetan Todorov sorgte für Aufsehen und zählt bis heute zu den „rigorosesten“[5], „meistzitiert[en] und meistumstrittene[n] Beitrag zur Internationalen Phantastikforschung.“[6]

Für Todorov steht nicht das phantastische Ereignis selbst im Fokus des Interesses, sondern „allein die Reaktion des Lesers auf dieses Ereignis als Kriterium des Phantastischen“[7]. Alleine das andauernde Gefühl „[der] Unschlüssigkeit, die ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignis gegenüber sieht, das den Anschein des Übernatürlichen hat“[8], sieht Todorov als Indikator und Kriterium für die phantastische Literatur an.

Danach grenzt er zwei Gattungen von der phantastischen Literatur ab: die Gattung des „Wunderbaren“ und die Gattung des „Unheimlichen“. Erstere umfasst Texte, in denen übernatürliche Momente weder im Text, noch beim Leser Erstaunen hervorrufen, da die Erwartungen, die der implizite Leser an den Text im Vorfeld stellt, erfüllt werden. Phänomene, die zwar irrational erscheinen, jedoch innerhalb eines Kontextes auftreten, in dem die Gesetze der Realität intakt bleiben und die sich auf rational-psychologische Weise erklären lassen, findet man hingegen in der Gattung des Unheimlichen.

Nur die Art von Texten, die Zweifel im Leser entstehen lassen, die so genannte „Todorov’sche Unschlüssigkeit“[9] und nicht eindeutig zu einer der beiden Gattungen zuzuordnen sind, werden, laut Todorov, zur Gattung der phantastischen Literatur gezählt.[10]

Insofern entscheidet sich, ob ein Text als phantastisch angesehen werden kann oder nicht auf der Rezeptionsebene.

Diese Auffassung Todorovs kann nicht als objektives Genrekriterium verstanden werden, da jeder Text individuell vom jeweiligen Rezipienten verstanden werden kann. So kann einem Text von einem Leser das Prädikat „phantastisch“ zugesprochen werden, während ein anderer Leser demselben Text ebendieses verwährt. So wird das Phantastische bei Todorov „zu einem literarisch-psychologischen Phänomen, das keiner generellen Begründung und Analyse zugänglich ist“, denn letztendlich geben das Gefühl und der persönliche individuelle Eindruck den Ausschlag für die Zuordnung eines Textes in das Genre der Phantastik.[11]

Zum Ende der 70er Jahre veröffentlicht der schwedische Literaturwissenschaftler und Pädagoge Göte Klingberg als erster Theoretiker den Versuch einer Definition, in der er die Andersartigkeit der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur als ein eigenständiges Genremerkmal nennt. Ausgehend von der bereits erwähnten Zweiweltenstruktur entwickelt er zwei Gattungsmerkmale für phantastische Erzählungen für Kinder:

Als erstes nennt er die „poetische Verschränkung zweier sich widersprechender Wirklichkeitsbereiche.“[12] Texte, die dieses Merkmal spiegeln, zeigen eine realistische Alltagswelt in der eine „irreal-magische Welt“ unerwartet, beispielsweise durch irreale Phänomene oder phantastische Figuren in Erscheinung tritt. Diese Vorkommnisse fasst er unter dem Begriff „fremde Welt“ zusammen. In Abgrenzung zu dieser steht die „alltägliche Welt“, die für den Leser als realistische Welt wahrgenommen werden muss und die sich „in den Grenzen empirischer Wirklichkeit bewegen muss“[13].

Als zweites Merkmal betrachtet er die „nachvollziehbare, immanent stringente Logik des phantastischen Handlungsgefüges“[14] Sowohl die alltägliche Welt als auch die fremde Welt müsse einem Realitätsanspruch genüge leisten, der das Angebot impliziere, sich auf das fiktionale „Wahrheitserlebnis“ der Erzählung einlassen zu können.[15] So sagt Klingberg:

„Der […] Definition der phantastischen Erzählung entsprechend wird eine fremde Welt mit einer alltäglichen auf eine solche Weise vereinigt, daß die Schilderung als einheitlich erscheint. Die Einheitlichkeit fordert, daß sowohl die alltägliche als auch die fremde Welt als wahr aufgefasst werden können. Was die fremde Welt betrifft, bedeutet dies wiederum, daß ihr Erscheinen eine logische Erklärung haben muß, und zwar ähnlich, wie wir unsere alltägliche Welt als logisch erleben.“[16]

Bezug nehmend auf die von Todorov postulierte Unschlüssigkeit des impliziten Lesers bezüglich der Erscheinung des Übernatürlichen in der Literatur, sagt Klingberg, dass er diesen Ansatz für möglich, jedoch nicht für relevant halte. Für ihn sei allein „das gewissermaßen ‚reale’ Ineinander zweier Welten konstitutiv.[17]

Im Jahre 2002 fasst die deutsche Literaturwissenschaftlerin Angela Nix, unter Berücksichtigung der bisher aufgestellten Theorien und Definitionsansätze, eine Definition von phantastischer Kinder- und Jugendliteratur wie folgt zusammen:

„Die phantastische Erzählung für Kinder wird […] als selbstständiges kinderliterarisches Genre verstanden, das sich durch eine logisch konstruierte Verbindung zweier Welten gegensätzlicher Wirklichkeitsbereiche auszeichnet.“[18]

Später fügt sie hinzu: „Die fremde Welt […] liegt jenseits wissenschaftlicher Vorstellungen […]. Die phantastische Verknüpfung von fremder und realer Welt kann nur mit Hilfe der Magie, niemals über (pseudo-)wissenschaftliche Brücken […] erreicht werden.“[19]

2.2 Kennzeichen und Merkmale

Die dargestellten Theorienansätze aufgreifend sollen im Folgenden nun wichtige Merkmale und Kennzeichen des Phantastischen dargestellt werden. Dabei nehme ich zunächst Bezug auf die Ausführungen von Carsten Gansel, zu dem von ihm entworfenen „Arbeitsbegriff der Phantastik“, der verschiedene Theorieansätze aufgreift, was er in seinem Buch „Moderne Kinder- und Jugendliteratur“ darstellt.

Anschließend folgt eine Präsentation des von Klingenberg entwickelten Katalogs der acht Hauptmotive der Phantastik.

Für Gansel bestehen das Kennzeichen des Phantastischen darin, dass es

„von den Wahrscheinlichkeiten einer bestimmten historisch- sozialen Erfahrungswirklichkeit – der so genannten ‚realistischen Fiktion’, bei der Elemente gemäß der Logik ihrer Verknüpfung in der realen Welt auch in der künstlerischen Darstellung miteinander verbunden sind -, dadurch weit abweicht, dass auf der Ebene der literarischen Darstellung die Elemente (Figuren, Handlungen, Episoden, Zustände, Ereignisse) so miteinander in Verbindung gesetzt werden, wie das in der empirischen

Wirklichkeit nicht oder noch nicht möglich ist.“[20]

[...]


[1] Der Einheitlichkeit halber verwende ich konsequent die alte Schreibweise. Diese ist optional immer noch möglich und da sie in vielen angeführten Zitaten in dieser Form vorkommt, übernehme ich sie für die gesamte Arbeit.

[2] Vgl. Angelika Nix 2002, S.19

[3] Anna Krüger 1954, S. 21

[4] Vgl. Angelika Nix 2002, S. 20

[5] Sanna Pohlmann 2004, S.20

[6] Angelika Nix 2002, S. 21

[7] Ebd. S. 21

[8] Tzvetan Todorov 1972, S. 26

[9] Angelika Nix 2002, S. 22

[10] Ebd. S. 22

[11] Vgl.Sanna Pohlmann 2004, S. 23

[12] Göte Klingberg 1976, S. 222

[13] Vgl. Eba. S. 222

[14] Vgl. ebd. S. 222

[15] Vgl. Angelika Nix 2002, S. 29

[16] Göte Klingberg 1976, S. 234

[17] Vgl. Angelika Nix 2002, S.30

[18] Angelika Nix 2002, S. 33

[19] Ebd. S. 36

[20] Carsten Gansel 1999, S.93

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die Phantastische Erzählung und das Märchen am Beispiel von Astrid Lindgrens "Mio, mein Mio"
Université
University of Siegen
Cours
Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur
Note
1,0
Auteur
Année
2008
Pages
22
N° de catalogue
V93374
ISBN (ebook)
9783638068208
Taille d'un fichier
420 KB
Langue
allemand
Mots clés
Phantastische, Erzählung, Märchen, Beispiel, Astrid, Lindgrens, Klassiker, Kinder-, Jugendliteratur
Citation du texte
Anne Bitzer (Auteur), 2008, Die Phantastische Erzählung und das Märchen am Beispiel von Astrid Lindgrens "Mio, mein Mio", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93374

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