Verändern sich bei angehenden Lehrern die Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Fach Mathematik durch die Schulpraxis während des Praxissemesters?


Thèse de Master, 2018

106 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung
1.1 Zur Einordnung und Problemlage des Forschungsbestandes
1.2 Zielstellung und Abgrenzung der Arbeit
1.3 Forschungsmethodische Anlage
1.4 Aufbau der Masterarbeit

2 Theorie
2.1 Praxisphasen während der Lehrerausbildung
2.2 Lehrerprofessionalisierung
2.3 Überzeugungen

3 Empirische Studie
3.1 Stichprobe und Design
3.2 Messinstrument
3.2 Vorgehen bei der Auswertung
3.4 Darstellung der Ergebnisse
3.4.1 Überzeugungen zum Lehren und Lernen
3.4.2 Wahrgenommene Schulpraxis
3.5 Überprüfung der Hypothesen

4 Diskussion
4.1 Interpretation: Erarbeitung der Forschungsfrage
4.2 Methodenkritische Reflexion
4.3 Persönliches Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

5 Anhang
A Tabellen und Abbildungen
B Fragebogen der ersten Erhebung
C Fragebogen der zweiten Erhebung

Abstract

Aufbauend auf der Forderung, Theorie und Praxis während der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern besser zu verknüpfen, soll das Praxissemester diese Bestrebung erfüllen. in wie weit dieses Ziel erreicht wird, untersucht die vorliegende Masterarbeit. Da die Überzeugungen eines individuums handlungsleitend sind, dienen diese dazu, um den Einfluss des Praxissemesters zu untersuchen. An zwei Erhebungsterminen werden angehende Lehrerinnen und Lehrer der Westfälischen Wilhelms-Universität diesbezüglich befragt. Der Fragebogen bedient sich der Studie TEDS-M 2008, sodass die Kategorien und Items von dieser international anerkannten Studie übernommen wurden. Die theoretischen Überlegungen bauen u.a. auf den Forschungen von S Blömeke; J Baumert; M Kunter auf. Ebenso wird auf F Weinert 2001 in Bezug auf den Kompetenzbegriff zurückgegriffen. Um die wahrgenommene Schulpraxis zu messen, wird das Messinstrument bei der zweiten Befragung diesbezüglich um eine neue Kategorie - unabhängig der TEDS-M 2008 Studie - ergänzt.

Die quantitative Datenerhebung mit einer Stichprobe von N = 47 zeigt, dass die lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen Konstruktion und Transmission voneinander unabhängig auftreten, wobei die angehenden Lehrpersonen stärker die konstruktivistischen als die transmissiven Überzeugungen zum Lehren und Lernen vertreten. Dabei sind sowohl die konstruktivistischen, als auch die transmissiven Überzeugungen zum Lehren und Lernen nach der Absolvierung des Praxissemesters leicht erhöht. Weiterhin kennzeichnen die Probanden die wahrgenommene Schulpraxis stärker statisch als dynamisch; auch bei diesen beiden Dimensionen ist eine autonome Struktur präsent. Nach dem Beenden des Praxissemesters nimmt die Bedeutung eines absolvierten Praktikums einen deutlich höheren Stellenwert in Bezug auf den Einfluss von persönlichen Überzeugungen zum Lehren und Lernen ein. Folglich bestätigt sich die Annahme, dass sich die Überzeugungen zum Lehren und Lernen durch das Praxissemester verändern. Der Einfluss des Praxissemesters - als neues Element während der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer - wird als gewinnbringend für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer klassifiziert. Ebenso eröffnet die detaillierte Aufarbeitung der Ergebnisse aufschlussreiche Aspekte für die Strukturen von unterricht, da die Zustimmung verschiedener Schwerpunkte innerhalb einer Dimension - vor allem bei den transmissiven Überzeugungen zum Lehren und Lernen - durch eine hohe Differenz gekennzeichnet ist.

1 Einführung

1.1 Zur Einordnung und Problemlage des Forschungsbestandes

„Das Studium [muss] die Handlungsfähigkeit der Absolventinnen für die spätere berufliche Praxis sichern. Zentrales Ziel und Gegenstand des Studiums [ist] die spätere berufliche Pra­xis“ (Schüssler/Weyland 2014, S. 28). So plausibel die Forderung über die Verknüpfung von Theorie und Praxis während der Lehrerausbildung1 2 klingt, desto schwieriger und langjäh­riger gestaltet sich dessen Umsetzung. Teilweise erscheinen die Debatten über die Strukturen der Lehrerausbildung, oder verallgemeinert ausgedrückt die bildungspolitischen Diskussio­nen, als Instrumente für den Wahlkampf auf der Landesebene zu fungieren. So, als „(...) kä­me es darauf an, Schule und unterricht permanent zu verändern, quasi um der Veränderung willen“ (Riecke-Baulecke 2016, S. 186).

Ausgelöst durch schlechtes Abschneiden in internationalen Studien, sind neue Rahmenbedin­gungen entstanden; Begriffe, wie Kompetenzen oder Professionalisierung werden dabei zu­nehmend in den Fokus gerückt. Die Entstehung von neuen alternativen Schulformen, die in­klusive Bildung oder die Flüchtlingsströme erweitern das ohnehin große Konstrukt Bildung. Bereits seit über 20 Jahren liefert die unterrichtsforschung theoretisch und methodisch neue Impulse. Im Fokus bei der Optimierung steht vor allem die Verknüpfung von Theorie und Praxis, aber auch eine bessere Kooperation der verschiedenen Akteure und Institutionen. Ein neues Element der Lehrerausbildung stellt das Praxissemester dar, durch welches Studieren­de besser auf den späteren Schuleinstieg vorbereitet werden sollen.

Angefangen bei der Frage was eigentlich einen effektiven Schulunterricht kennzeichnet oder in wie weit dieser durch Lehrende und Lernende gemeinsam gestaltet werden kann, keimen stets neue Problemfelder auf. Dementsprechend nehmen Veröffentlichungen auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene stetig zu. Jedoch sind diese kumulativen Ergebnisse nicht widerspruchslos. Da der (Schul-)Unterricht als eine „vielschichtige und herausfordernde Si­tuation“ (Kunter/Trautwein 2013, S. 57) definiert werden muss, gibt es zahlreiche Mög­lichkeiten für dessen Ausprägungen. Ebenso wird (Schul-)Unterricht als ein Konstrukt, wel­ches sich durch Mehrdimensionalität, einer Unvorhersehbarkeit, Unmittelbarkeit kennzeich­net, sowie öffentlich, simultan, geschichtlich ist, angesehen (vgl. Doyle 2006, S.98f.).

So wird „von der Schule (...) heute mehr erwartet, als die Kontrolle des Lernens durch fronta­len Ganzklassenunterricht. Lehrpersonen müssen in der Lage sein, dialogisch mit Herausfor­derungen und Konflikten umzugehen (...) und in multiprofessionellen Teams kollegial zu- sammenarbeiten“ (REUSSER 2018, S. 71). Obwohl die Veröffentlichungen von Studien bzw. Forschungsberichte, welche die Lehrerausbildung; Umstrukturierungen im Schulsystem oder das Wissen der Schülerinnen und Schüler thematisieren, zunehmen, gibt es noch zahlreiche Forschungslücken in Bezug auf das Bildungssystem. Dabei sind auch die Effekte des Praxis­semesters empirisch bisher kaum eindeutig skizziert (vgl. SCHROETER 2014, S. 93).

Demnach ist die Forderung, eine „systematische Qualitätsüberprüfung und -entwicklung der studienbegleitenden, berufspraktischen Studien bzw. Ausbildungselemente“ (Hascher 2006, S. 145) durchzuführen, aktuell und präsent. Eine Erhebung empirischer Daten in Bezug auf das Praxissemester ist äußerst sinnvoll, um einen expliziten Handlungsbedarf abzuleiten. Als schulpraktische Erfahrung mit persönlicher Reflexionstätigkeit stellt dieses Element einen Untersuchungsrahmen dar, welcher sich von den klassischen Schulpraktika abhebt (vgl. Bach 2013, S. 124). Der Fokus liegt auf den Akteuren, für welche das neue schulpraktische Ele­ment gewinnbringend sein soll, nämlich den angehenden Lehrpersonen. Im Rahmen der Dis­sertation Der Einfluss des Praxissemesters auf die Überzeugungen von Studierenden im Fach Mathematik (Primarstufe), welche von D Eikmeyer verfasst wird, liefert die vorliegende Masterarbeit schwerpunktmäßig einen wissenschaftlichen Beitrag.

1.2 Zielstellung und Abgrenzung der Arbeit

Eine Untersuchung des Praxissemesters in Bezug auf mögliche Effekte soll Informationen über die Qualität der Lehrerausbildung erbringen. Auch die vorliegende Masterthesis hat das Ziel - hier explizit durch die Messung von Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Fach Mathematik (G) -, das Praxissemester als gewinnbringenden Prozess zu klassifizieren. Durch den Fokus auf die Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Fach Mathematik ist eine Handlungsnähe gewährleistet, da dieser Bereich mit den methodischen und didaktischen Um­setzungen im Unterricht eng verknüpft ist (vgl. MÜller/Felbrich/Blömeke 2008, S. 247). Erste Forschungsergebnisse zeigen, „(...) dass die pädagogische Haltung einen zentralen Stel­lenwert in der Entwicklung der Kompetenzen einnimmt“ (ROTT 2017, S. 358).

Dementsprechend sind die Konstruktion und die Ausführung des Unterrichts der Lehrenden abhängig von ihren individuellen Grundsätzen. Aufbauend auf dieser Abhängigkeit soll die vorliegende Masterarbeit erarbeiten, ob das Element Praxissemester für diesen Lehrerprofes­sionalisierungsprozess einen effektiven Baustein darstellt. Dadurch können einerseits etwaige Problematiken bzw. Herausforderungen und anderseits bereits gut ablaufende Prozesse und Vorteile in dem neuen praktischen Abschnitt, ermittelt werden.

Das Lehrerausbildungsgesetz, welches in regelmäßigen Abständen erweitert bzw. überarbeitet wird, legt Strukturen, Ziele und Zugangsvoraussetzungen für das Erlangen einer Lehrtätigkeit fest. Dabei wird bei der Ausbildung der Studierenden mit dem Berufsziel Lehrer zwischen den Phasen Studium und Vorbereitungsdienst unterschieden. obwohl diese beiden Abschnitte separiert dargestellt sind, gehören sie der Lehrerausbildung an. Dementsprechend wird unter der Lehrerausbildung der Zeitraum von Beginn des Studiums bis zum Ablegen der Staatsprü­fung am Ende des Vorbereitungsdienstes verstanden (vgl. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016, S. 1f.). Diese konkrete Darstellung ist bedeutend, da kenntlich wird, dass die Lehrerausbildung in zwei unterschiedliche Institutio­nen eingeteilt ist. Das neueste schulpraktische Element Praxissemester versucht die strikte Trennung von universität und Schule aufzuheben.

Bei der Erarbeitung und Auswertung bleiben individuelle Rahmenbedingungen der angehen­den Lehrpersonen außen vor, sodass weder sozialer Status, Herkunft, Schullaufbahn, Alter oder Geschlecht entscheidend für die Analyse sind. Andere Schwerpunkte - welche im Rah­men der Dissertation von D Eikmeyer erarbeitet werden - wie die Überzeugungen zum We­sen der Mathematik; der Einfluss von vorherigen absolvierten didaktischen Lehrveranstaltun­gen; der Prozess von Lehrerprofessionalität - vervollständigen die Erforschungen des breiten Themenfeldes der Überzeugungen zum Lehren und Lernen. um den Einfluss des Praxisse­mesters durch die vorliegende Mastarbeit zu beurteilen, wird folgender Forschungsfrage nachgegangen: Inwiefern verändern sich bei den angehenden Lehrpersonen die Überzeugun­gen zum Lehren und Lernen im Fach Mathematik durch die wahrgenommen Schulpraxis wäh­rend des Praxissemesters?

Besonders interessant sind demnach, ob und in wie weit Veränderungen der Überzeugungen zum Lehren und Lernen bei den angehenden Lehrpersonen nach der Absolvierung des Praxis­semesters vorhanden sind. Schließlich soll - unter Berücksichtigung der wahrgenommenen Schulpraxis - eine finale Bewertung des Praxissemesters stattfinden.

1.3 Forschungsmethodische Anlage

Als ein Element der Längsschnittstudie von D Eikmeyer findet die Befragung mittels eines Fragebogens an zwei Erhebungsterminen statt, wobei ein zeitlicher Abstand von rund fünf Monaten zwischen den Befragungen liegt. Die vorliegende Masterarbeit liefert somit - im dritten Durchlauf dieses sequenziellen Designs - einen weiteren Beitrag zu bisher gewonnen empirischen Daten. Aufgrund von zuvor durchgeführten Erhebungen ist der Einsatz des Messinstruments überprüft und überarbeitet. Um an bisherige Untersuchungen mit ähnlichen thematischen Aspekten anzuknüpfen, wird sich an dem Kompetenzmodell für professionelle Entwicklung - welches im Rahmen der COACTIV Studie entwickelt wurde - orientiert. Ob­wohl ein direkter Bezug zum Fach Mathematik stattfindet, werden fachliche Wissensstruktu­ren der angehenden Lehrpersonen nicht erhoben.

Die Pilotierungsphase bestätigt die Annahme, dass sich die Überzeugungen zum Lehren und Lernen der angehenden Lehrpersonen im Praxissemester verändern. Des Weiteren konnte die Annahme, dass die Überzeugungen zum Lehren und Lernen der angehenden Lehrkräfte nach dem Praxissemester stärker transmissiv ausgerichtet sind, nicht bestätigt werden. Denn diese sind zum zweiten Erhebungszeitpunkt sowohl stärker konstruktivistisch als auch stärker transmissiv ausgerichtet (vgl. Eikmeyer n.V.). Die im Folgenden aufgestellten Hypothesen orientieren sich an diesen Ergebnissen, damit eine Bestätigung bzw. Widerlegung der bisheri­gen Erkenntnisse erfolgen kann.

Forschungen zu absolvierten Praktika, die nicht auf eine Berufsgruppe spezifiziert sind, ord­nen die Erfahrungen dieses Abschnitts als einflussreich ein. Das Ausüben einer praktischen Tätigkeit unterstützt den Lern- und Entwicklungsprozess (vgl. RICHTER 2016, S. 111-116). Diese Erkenntnis lässt sich auf das Praxissemester übertragen. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Praxissemester Einfluss auf die Überzeugungen zum Lehren und Lernen der angehenden Lehrpersonen nimmt. Zum Einen sind die schulpraktischen Elemente bereits als wichtige Bestandteile der Lehrerausbildung klassifiziert. Zum Anderen liefern bisherige em­pirische Forschungen das Ergebnis, dass Studierende die schulpraktischen Elemente als ein­flussreich beurteilen; dabei ist die Schulform der Studierenden unerheblich (vgl. CRAMER 2012, S. 108). Ebenso bestätigt eine qualitative Befragung, dass sich Überzeugungen zum Lehren und Lernen von angehenden Lehrpersonen durch eigene Schulerfahrungen, berufsbe­zogene Eigenschaften sowie aktuellen Entwicklungsfeldern der schulpolitischen Bildung ver­ändern (vgl. Schroeter 2014, S. 390). Dementsprechend lautet Hypothese I: Nach dem Ab­solvieren des Praxissemesters sind die Überzeugungen zum Lehren und Lernen bei den ange­henden Lehrpersonen anders als vor der Absolvierung des Praxissemesters.

Als Vertiefung von Hypothese i wird Hypothese II Die Überzeugungen zum Lehren und Lernen der angehenden Lehrpersonen sind nach dem Absolvieren des Praxissemester stärker transmissiv ausgerichtet, als vor der Absolvierung des Praxissemesters, untersucht. Dabei ist diese zweite Annahme durch die neuesten Entwicklungen in der Bildungspolitik gestützt. Kernlehrpläne, festgelegte Schulkonzepte oder die Bildungs standards geben konkrete Ziele für die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler vor. Diese aktuellen Vorgaben sind sehr konstruktivistisch geprägt, da die bildungstheoretischen, didaktischen und psychologischen Forschungen einen höheren Lernerfolg unter einem dynamischen Unterricht schildern (vgl. Bruder 2018, S. 361). Dieser konstruktivistische Ansatz wird in den theoretischen Grundla­gen von den angehenden Lehrpersonen verinnerlicht, jedoch ohne bzw. wenig real erlebtem Unterrichtsgeschehen. Es fehlt eine Umsetzung der konstruktivistischen Vorstellungen, wodurch erst das Praxissemester als erster wichtiger Bestandteil den angehenden Lehrperso­nen einen individuellen Einblick dieses theoretischen Ansatzes erfährt (vgl. Terhart 2001, S. 13-21). Ebenso wirft eine aktuelle empirische Forschung über epistemologische Überzeugun­gen von Studierenden im Fach Sport die Frage auf, ob das Praxissemester eine Verstärkung der Dimension Transmission, durch eine Rückentwicklung von sophistizierten Überzeugun­gen, bewirke (vgl. Streblow/Brandhorst 2018, S. 215).

Um Gründe und Abhängigkeiten für die möglichen Veränderungen der Überzeugungen zum Lehren und Lernen zu erörtern, wird in einem letzten Schritt Hypothese III erarbeitet: Die Veränderungen der Überzeugungen zum Lehren und Lernen durch das Praxissemester sind abhängig von der wahrgenommenen Schulpraxis. Die Annahme stützt sich auf die Erkennt­nis, dass eine Verknüpfung von Theorie und Praxis nur einen geringen Stellwert auf das Han­deln und Agieren in der unmittelbaren Praxis einnimmt. Die erlernten theoretischen Konzepte werden dabei durch Muster der Mentoren oder individuelles intuitives Handeln ersetzt. Folg­lich ergibt sich ein direkter Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Schulpraxis und den Überzeugungen zum Lehren und Lernen (vgl. Bach 2013, S. 123).

Abhängige Variablen in der vorliegenden Masterarbeit sind demnach die Überzeugungen zum Lehren und Lernen und die wahrgenommene Schulpraxis.

1.4 Aufbau der Arbeit

In einem ersten Schritt skizziert das Kapitel Theorie die Grundlagen für die empirische Unter­suchung. Die Abschnitte Praxisphasen während der Lehrerausbildung; Lehrerprofessionali­sierung; Überzeugungen schildern die wichtigsten Strukturen während der Lehrerausbildung, wobei die angehenden Lehrpersonen im Zentrum der Erarbeitungen stehen.

Das dritte Kapitel umfasst neben den Rahmenbedingungen und der Erläuterung des Messin­struments, auch die Darstellung der Ergebnisse. Dabei werden in einem letzten Teilkapitel die Hypothesen überprüft.

Im abschließenden Kapitel der Masterarbeit findet eine Diskussion der Ergebnisse statt, so­dass die Forschungsfrage beantwortet wird. So werden mögliche Einflüsse in die Strukturen der Lehrerausbildung eingeordnet. Zum Abschluss liefert eine persönliche Stellungnahme einen mehrperspektivischen Blick auf das Praxissemester.

2 Theorie und Forschungsstand

Das vorliegende Kapitel skizziert die theoretischen Grundlagen, an denen sich die methodi­sche Vorgehensweise orientiert. Obwohl Fragestellung und Hypothesen einen direkten Bezug auf das Praxissemester nehmen, soll das Kapitel weitere Aspekte der Lehrerausbildung be­leuchten, sodass bei der Diskussion der Ergebnisse auf diesen theoretischen Grundlagen Be­zug genommen werden kann.

2.1 Praxisphasen in der Lehrerausbildung

Bei den angehenden Lehrpersonen findet das erste Mal ein Positionswechsel statt: Der Platz ist nun vor der Schülergruppe und nicht mehr als einer von vielen in der Klassengemein­schaft. Die angehenden Lehrpersonen sind nun Lehrende und nicht mehr Lernende im Unter­richt. Das Lehren und Lernen sind Kernprozesse in der Schule und folglich auch in den Praxi­sphasen während der Lehrerausbildung präsent. Definitionen dieser beiden Begriffe sind nicht nur vielseitig und unterschiedlich, sondern werden aus pädagogischer, philosophischer oder psychologischer Perspektive beleuchtet. Im Folgenden wird hier die pädagogische Sicht der Begriffe Lehren und Lernen aufgegriffen. Dabei ist ein unmittelbarer Bezug zum schulischen Kontext gegeben.

Lehren ist das Vermitteln von Wissen an Lernende, wobei das Lehren ein absichtlicher, ge­planter und lernorientierter Prozess ist. Dabei wird zwischen verschiedenen Lerntheorien und Lernformen unterschieden (vgl. SCHRÖDER 2002, S. 1-13 u. S. 57). Diese Schilderungen zei­gen wie wichtig eine gemeinsame Verwendung der beiden Begriffe ist, da mehrere Akteure an diesem Handlungsablauf beteiligt sind. Hierbei sei auf die Darstellung des Angebot­Nutzungsmodells in Kap 2.2 hingewiesen, in dem diese Abhängigkeit aufgegriffen wird.

Die wesentliche Steuerung der Praxisphasen in der Lehrerausbildung wird von dem Gremium aller Kultusminister der Bundesländer anhand der Kultusministerkonferenz (KMK) übernom­men. Dabei werden Regelungen und spezifische Anforderungen in Bezug auf die Lehreraus­bildung festgelegt. Die ausschlaggebende Veröffentlichung für viele Veränderungen der Leh­rerausbildung gab es bereits 2004; dabei wird nicht nur der Ablauf der Lehrerausbildung ge­schildert, sondern auch auf den Erwerb von Kompetenzen und Fähigkeiten eingegangen (vgl. Kultusministerkonferenz 2017, S. 1-3). Jedoch zeigen sich auf Bundesebene noch immer unterschiede in den Strukturen der Lehrerausbildung. Zwar kann dieser Faktor bei breit ange­legten Studien zu einer fehlenden Vergleichbarkeit führen, jedoch sind dadurch auch Mög­lichkeiten gegeben, unterschiedliche Prozesse zu überprüfen und die Wirksamkeit zu verglei­chen (vgl. König 2013, S. 45).

Die Absolvierung einer Praxisphase stellt ein „spezifisches Gebiet“ (Rott 2017, S. 85) der Lehrerausbildung dar, zu welchem u.a. das im Rahmen dieser vorliegenden Arbeit untersuch­te Praxissemester einzuordnen ist. Als Vorreiteruniversität führte die Friedrich-Schiller uni­versität Jena das Praxissemester im Jahr 2009 ein (vgl. König 2013, S. 45); inzwischen ist das Praxissemester im Lehrerausbildungsgesetz verankert und hat sich somit nicht nur an der Friedrich-Schiller Universität Jena etabliert. Mit dem Ziel „berufsfeldbezogene Grundlagen für die nachfolgenden Studienanteile und den Vorbereitungsdienst“ (MINISTERIUM FÜR SCHU­LE und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016, S. 3) abzuleisten, ist das Praxis­semester eingeführt worden. Dabei sollen die Studierenden eine „Professionsentwicklung“ (Zentrum für Lehrerbildung 2018) erleben. Im Gegensatz zu anderen Praxiselementen der Lehrerausbildung ist die praktische Phase nicht in der vorlesungsfreien Zeit, sondern während des Semesters zu absolvieren; so kann es mit einem Zeitraum von fünf Monaten als berufsbe­gleitendes Studium gekennzeichnet werden. Denn während der schulpraktischen Phase findet parallel eine Betreuung seitens der Universität und den Zentren für schulpraktische Lehrer­ausbildung (ZfsL) statt. Das Praxissemester nimmt, nicht nur durch den deutlich größeren zeitlichen Rahmen, sondern auch durch die intensivere Betreuung sowie eine Vor- und Nach­bereitung, im Vergleich zu anderen Praxiselementen eine übergeordnete Position ein (vgl. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016, S. 3).

Bei der Lehrerausbildung an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster ist das Absol­vieren von drei Praktika - wie im Lehrerausbildungsgesetz festgelegt - für die angehenden Lehrpersonen vorgeschrieben. Das Eignungs- und Orientierungspraktikum mit einer Dauer von fünf Wochen, das Berufsfeldpraktikum mit einer Dauer von vier Wochen sowie das Pra­xissemester mit einer Dauer von fünf Monaten . Dabei besteht - ausgenommen des Praxisse­mesters - die Möglichkeit, bereits geleistete pädagogische Betreuung bzw. Tätigkeiten an­rechnen zu lassen. Sowohl Eignungs- & Orientierungspraktikum und das Berufsfeldpraktikum sind im Gegensatz zu dem Praxissemester Elemente des Bachelorstudiums. Der erste Durch­gang des Praxissemesters an der Westfälischen-Wilhelms universität Münster vollzog sich im Jahr 2015; da der Etablierungsprozess demnach noch in seinen Anfängen steckt, ergeben sich nach wie vor einige Änderungen in den Abläufen (vgl. ZENTRUM FÜR LEHRERBILDUNG 2018). Desweiteren sind an einigen Stellen der Organisation noch Schwierigkeiten zu erkennen, was 3 Diese Darstellungen basieren auf der LABG 2009 in der Fassung des Jahres 2016 und kennzeichnen den aktu­ellen Stand (10.2018) der Praxisphasen während der Lehrerausbildung in Münster. Für die Probanden der empi­rischen Datenerhebung galt jedoch die Fassung des Jahres 2009, bei der ein vier wöchiges Orientierungs- und zusätzlich ein vier wöchiges Eignungspraktikum absolviert werden musste. Für letzteres war eine Absolvierung vor der Aufnahme des Studiums, vorgesehen. Diese beiden Praktikumsformate sind im Zuge der neuen Fassung als Eignungs- und Orientierungspraktikum zusammengefasst.

auch an der neuen Kooperation der unterschiedlichen Institutionen liegt. Alleine aufgrund des höheren zeitlichen Rahmens des Praxissemesters muss dieser Praxisphase größere Beachtung geschenkt werden. Neben dem schulpraktischen Teil finden im Zentrum für schulpraktische Bildung und in der Universität betreuende Seminare für die Studierenden statt. Ebenso gibt es - im Gegensatz zu den Praxisphasen im Bachelor - Unterrichtsvorhaben, Projekte und Auf­gaben, welche sich an den Strukturen des Vorbereitungsdienstes orientieren. Im Gegensatz zum Vorbereitungsdienst werden Leistungen während dieser schulpraktischen Phase (unbe­wertet) reflektiert und beurteilt (vgl. Reusser/Fraefel 2017, S. 21-33). Ein Bilanz- und Per­spektivgespräch am Ende des Praxissemesters unterstützt die angehenden Lehrpersonen bei der Reflektion, Festlegung von neuen Zielen und dem Aufarbeiten von möglichen Schwierig­keiten. Neben einem Betreuer von der Schule nimmt auch eine externe Person, welche am ZfsL tätig ist, an diesem Gespräch teil, sodass das Gespräch eine ähnliche Struktur, wie denen im Vorbereitungsdienst, aufweist. Dafür sind die universitären Forschungsberichte, welche im Rahmen von Projektseminaren konstruiert und angefertigt werden, nicht unerheblich für den Erfolg eines Masterabschlusses. Durch die Angliederung des Praxissemesters an die Institut Universität kooperieren lediglich Schulen im Regierungsbezirk Münster. Im Unterschied zu anderen Praktika während der Lehrerausbildung verläuft die Zuteilung an die Schulen über eine zentrale Bewerbungsplattform. Die angehenden Lehrpersonen können mehrere Prioritä­ten und Wunschschulen angeben. Die anschließende Praktikumsplatzvergabe ergibt nicht zwingend eine Zuteilung an eine der ausgewählten Schulen, da Härtefallanträge auf den Be­werbungsprozess einwirken. Daneben vollendet der Vorbereitungsdienst das Element Praxis­phasen während der Lehrerausbildung, wobei dieser unabhängig von der Institution Universi­tät absolviert wird (vgl. ZENTRUM FÜR LEHRERBILDUNG 2018).

Bisher sind die unterschiedlichen Praxisphasen während der Lehrerausbildung gekennzeich­net worden, sodass nun (mögliche) Effekte bzw. Auswirkungen dieser dargestellt werden. Dabei bestätigt das Forschungsergebnis von R SCHROETER 2014 eine positive Resonanz in Bezug auf die Betreuung von praktischen Abschnitten während der Lehrerausbildung. Die qualitative Befragung liefert das Ergebnis, dass durch die universitäre Betreuung eine profes­sionelle Entwicklung statt findet, ebenso „dient sie als Schutzraum für das Lernen und die Erprobung eigener Kompetenzen und Ideen“ (SCHROETER 2014, S. 138). Eine Vereinigung der Institutionen Universität und Schule lassen den Praxisphasen eine „Scharnierfunktion“ (Rott 2017, S. 81) zukommen.

Eine veranschaulichte Darstellung des Konstrukt Praxissemester liefert das Partnerschulmo­dell von K Möller (Abb. 1), welches die fachdidaktische Professionalisierung skizziert. Es ist in direktem Bezug zu der Westfälischen Wilhelms-universität erstellt und kennzeichnet das Kooperieren als wichtigen Faktor (vgl. Möller 2012, S. 213-221). Jedoch bleibt der As­pekt des ZfsL bei diesem Partnerschulmodell unbeachtet, jedoch sind die Stellung und die Aufgaben nicht eindeutig positioniert (vgl. Reusser/Fraefel 2017, S. 21f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Fachdidaktische Professionalisierung - das Partnerschulmodell der Universität Münster (aus: Frae- fel/Reusser 2017, S. 21)

Ein wichtiger Bestandteil der Praxisphasen während der Lehrerausbildung ist das forschende Lernen; dabei soll dieses Konzept auch während und nach dem Referendariat ein fester Be­standteil der beruflichen Ausübung sein. Zwar findet auch in den kürzeren schulpraktischen Phasen teilweise eine selbständige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit pädagogischen Aspekten statt, doch das forschende Lernen nimmt im Praxissemester die stärkste Position ein. Diese Gegebenheit ist durch die intensivere Betreuung gestützt. Dementsprechend trägt das forschende Lernen - neben den individuell gesammelten Erfahrungen während der Prä­senzzeit in den Schulen - ebenso zur Professionalisierung der Studierenden bei (vgl. Keuffer 2010, S. 61). Das hauptsächliche Ziel des forschenden Lernens besteht aus der Verknüpfung von theoretischem bzw. methodischem Wissen und der Schulpraxis. Diese Zielformulierung scheint zunächst identisch mit der Zielformulierung der Praxisphasen zu sein. Jedoch liegt der Hauptaspekt des forschenden Lernens auf der wissenschaftlichen Arbeit. Zwar werden For­schungen der angehenden Lehrpersonen durch die Rahmenbedingungen von Schule und un­terricht geprägt, jedoch ist die individuelle Handlungsnähe zu Schülerinnen und Schülern nicht gegeben (vgl. Paulus/Rott 2018, S. 47-51). Dadurch können im Rahmen des Praxis­semesters „anwendungsorientierte Projekte weitgehend selbstgesteuert“ (Kultusminister­konferenz 2017, S. 9) werden. Es zeigt sich, dass das forschende Lernen auf eine unterstüt- zende Wirkung in Bezug auf die Erkenntnisse während des Praxissemesters abzielt. Dabei gehen Ziele und Strukturen ineinander über, beanspruchen aber auch eine Beachtung von mehreren Faktoren. Jedoch setzt das forschende Lernen keine pädagogischen Fähigkeiten vor raus, sondern bietet die Möglichkeit zur Vertiefung und Erarbeitung spezifischer Themen. Eine Praxisorientierung kann dem forschenden Lernen daher nicht zugeschrieben werden. Praxisphasen sind mit vielen Wünschen, Erfahrungen, direkten Interaktionen oder Schlüssel­erlebnissen gekoppelt, anhand derer viele angehende Lehrpersonen reifen und persönliche Einstellungen zum Studium oder der eigenen beruflichen Laufbahn gefestigt bzw. überdacht werden (vgl. SCHROETER 2014, S. 138-192). Zusammenfassend können den Praxisphasen drei konkrete Ziele zugeteilt werden: die „Berufswahlüberprüfung, [der] Kompetenzerwerb bzw. [die] Kompetenzerweiterung sowie [die] Theorie-Praxis-Verknüpfung“ (Bach 2013, S. 125). Es obliegt den angehenden Lehrpersonen, ob und in welcher Intensität diese Ziele erreicht werden. In diesem Zusammenhang liefert eine Befragung, bei der die schulpraktischen Ab­schnitte einer Bewertung von angehenden Lehrpersonen unterzogen wurden, das Ergebnis, dass die Beurteilung von Praxisphasen im zeitlichen Verlauf der Lehrerausbildung nicht kon­stant bleibt. Es wurden angehende Lehrpersonen zu drei Erhebungszeitpunkten befragt wie sie eine Praxisphase bewerten. Der Lernerfolg der angehenden Lehrpersonen ist als sehr hoch eingestuft. Dieser ergründet sich aus verschiedenen Lernquellen; ebenso wird die Praxisphase als positiv und effektiv bewertet. In einem zeitlichen Abstand von rund drei Jahren zeigt eine erneute Befragung dieser Probanden jedoch eine kritischere Betrachtung. Diese negativere Betrachtung zu einem späteren Zeitpunkt kann damit begründet werden, dass zum Messzeit­punkt unmittelbar nach der schulpraktischen Phase keine Reflexion stattfindet. Dieser retro­perspektivische Blick findet erst durch eine längere, selbständige, berufliche Tätigkeit statt (vgl. Hascher 2006, S. 135-144). Diese Befunde bestätigen den Faktor, dass ein Reflexions­prozess unabdingbar ist, da Schwächen und Probleme erkannt und aufgearbeitet werden. Durch die institutionelle Betreuung wird der Reflexionsprozess durch andere (qualifizierte) Personen unterstützt. Die voran gestellte Untersuchung fand nicht im Zusammenhang mit dem Praxissemester statt. Dadurch, dass das Praxissemester zeitlich länger ausgeprägt ist, ergibt sich ein stärkeres Wirkungsgefüge, welches sich an den bisherigen Befunden orientiert. Aber nicht nur die angehenden Lehrpersonen können durch das Praxissemester neue Erkennt­nisse erzielen. So stellt das Praxissemester eine ausschlaggebende Funktion für die Schulent­wicklung und -forschung dar. Die Qualitätssicherung erfährt neue Impulse, was vor allem die Verknüpfung bzw. den Übergang zwischen der ersten und der zweiten Phase des Studiums betrifft. Dabei werden Seminare optimiert, die betreuenden Lehrpersonen fortgebildet und der Austausch zwischen den beteiligten Institutionen verstärkt (vgl. Speckenwirth 2018, S. 22­25). Ist der Beruf Lehrer die passende Tätigkeit für mich? Diese Frage ist zentral für die an­gehenden Lehrpersonen und sollte ehrlich anhand der gesammelten schulpraktischen Erfah­rungen beantwortet werden. Die Abbruchquoten des Vorbereitungsdienstes, sowie die hohe Anzahl von nicht bestandenen Staatsexamen zeigen, dass die Berufswahl durch eine falsche Motivation getroffen wird. Als weitere Gründe kann die bisherige Trennung von schulprakti­schen Abschnitten und dem Studium, aber auch ein komplizierte Verhältnisse an den Schulen angegeben werden (vgl. Dann et al. 1978, S. 46-51).

Auf der einen Seite wurden bisher die positiven Aspekte, die chancen und die Möglichkeiten von schulpraktischen Abschnitten in der Lehrerausbildung beleuchtet. Auf der anderen Seite können Praxisphasen mit negativen Eindrücken und Erlebnissen in Verbindung gebracht wer­den. Je nach Vorerfahrung bzw. Einstellung der angehenden Lehrpersonen, welche mit einem schulpraktischen Abschnitt starten, können sich verschiedene Schwierigkeiten ergeben. Der Einstieg in die schulpraktische Tätigkeit kann problematisch sein, falls theoretisch erworbe­nes Wissen nicht in die Handlung bzw. Praxis übertragbar ist. Die praktische umsetzung stellt oft eine Herausforderung dar, wobei die angehenden Lehrpersonen das Einfinden in die Posi­tion der Lehrenden nicht direkt gelingt (vgl. HASCHER 2006, S. 134). Als Bezeichnung dieser Problemlage haben sich die Begriffe Praxisschock, Mythos Praktikum oder Konstanzer Wan­ne in der Literatur etabliert (vgl. Terhart 2001, S. 13-21). Daneben erschweren die Rahmen­bedingen von schulpraktischen Phasen, welche durch die institutionen Schule und universität getragen werden, einen reibungslosen Ablauf. Je nach Kooperation und Rücksichtnahme der institutionen und dessen betreuenden Dozenten bzw. Lehrpersonen gelangen Studierende an die Grenzen einer verantwortungsvollen umsetzung in Bezug auf alle Pflichten (vgl. HA­scher 2006, S. 130ff.)

Damit kann das Praxissemester als eine reflexive, praktische Tätigkeit klassifiziert werden. Dieser Aspekt ist in Bezug auf die aufgestellten Hypothesen in Kap. 1.3 von Bedeutung. Mit verschiedenen Reformen der Lehrerausbildung, durch welche strukturelle Veränderungen einhergehen, soll eine erhöhte Einheitlichkeit und praxisorientiertere Lehrerausbildung resul­tieren (vgl. Reusser/Fraefel 2017, S. 34ff.). Mit den neuen Ansätzen und Strukturen werden Problemstellen aufgearbeitet, dabei ist eine „Wirkungsüberprüfung“ (HASCHER 2006, S. 131) ein wichtiger Bestandteil. Die untersuchung der Praxisphasen ist deswegen so wichtig, da „institutionalisierte Lernprozesse zur Qualifizierung von Lehrkräften vor allem in der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung, „(...) d.h. hauptsächlich im Rahmen der Lehreraus­bildung“ (König 2013, S. 43), stattfinden.

Zusammenfassend lässt sich die aktuelle schulpraktische Lehrerausbildung mit einem Pflicht­anteil von 25 Wochen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster kennzeichnen. Das Praxissemester ist, im Gegensatz zu den anderen Praktika, ein fester Bestandteil des Master­studiengangs und deckt ein Studiensemester ab. Elementar für das Gelingen einer Praxisphase ist eine geeignete Betreuung der Institutionen Schule und universität, sowie ein selbständiger Reflexionsprozess bei den angehenden Lehrpersonen. Die Hauptfunktion der Praxisphasen besteht neben der Berufswahlüberprüfung darin, dass die angehenden Lehrpersonen eine Entwicklung der Lehrerprofessionalisierung erfahren, welche das kommende Teilkapitel erar­beitet.

2.2 Lehrerprofessionalisierung

Bisher wurden Ziele, Anforderungen sowie Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten und Herausforderungen in Bezug auf die Absolvierung einer schulpraktischen Phase während der Lehrerausbildung skizziert. Daneben sind noch viele weitere Aspekte für eine erfolgreiche Lehrtätigkeit relevant. um die Anforderungen an den Lehrerberuf zu definieren und eine Be­wertung der Lehrtätigkeit vorzunehmen, liegen in der Literatur verschiedene Ansätze vor. Die Ansätze fokussieren das Ziel, eine objektive und vergleichbare Beurteilung der Lehrqualität gerahmt werden kann.

Bei der eigenen Beschreibung ihres Berufsethos benennen Lehrpersonen den Aspekt Lehrer­persönlichkeit. Dieser Begriff ist jedoch nicht wissenschaftlich fundiert, sodass durch diesen Begriff eine schwer greifbare und vage Kennzeichnung vorliegt (vgl. Herzog/Makarova 2014, S. 85). Eine Bewertung der Lehrfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern scheint oft eine subjektive Erscheinung zu sein. Wie kann also eine wissenschaftlich begründete Methode einstufen, ob die Lehrtätigkeit qualitativ hochwertig ist? Neben dem Prozess-Produkt­Paradigma (vgl. Foerster 2008, S. 30f.) und dem Novizen-Experten-Paradigma (vgl. Schneider 1999, S. 84-92), bei welchen die Antwort auf die Qualität der Lehrtätigkeit sche­menhaft erarbeitet wird, beschreibt die Lehrerprofessionalität hingegen den komplexen um­fang des Berufsbildes der Lehrerinnen und Lehrer unter der Berücksichtigung wissenschaftli­cher Erkenntnisse (vgl. Cramer 2012, S. 14). Um die Lehrerausbildung zu klassifizieren soll sich für die vorliegende Forschungsarbeit auf E Terhart bezogen werden, bei ihm „liegt die Leitformel für ein modernes Verständnis des Lehrerberufs und der Lehrerbildung im Begriff Professionalität“ (Herzog/Makakorva 2014, S. 91 zit. n. Terhart 2007, S. 460). Neben den Tätigkeiten in den medizinischen, juristischen oder theologischen Berufsgruppen kann auch bei dem Lehrerberuf von einer Profession gesprochen werden. Bevor es zu dieser Zutei- lung kam, wurde der Lehrberuf lange als Semi-Profession eingestuft (vgl. Terhart 2011, S. 202f.). Was haben demnach alle Professionen gemeinsam?

„Professionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über ein Berufsethos verfügen, welches sich durch einen Service an der Gesellschaft auszeichnet und auf Wissen und Erfahrung, die erworben werden können, aufbaut“ (Rott 2017, S. 76 zit. n. Baumert et al. 2011, S. 10-12). S BlöMEKE benennt bei der Klassifizierung einer Profession im Lehrerberuf vier Merkmale, welche sich auf gesellschaftliche- Probleme, Normen und Werten; die Einflussnahme indivi­dueller Entwicklungen von Heranwachsenden, dem Erlernen eines weiten Wissensspektrums und die eigenverantwortliche Berufsausübung beziehen (vgl. BLÖMEKE 2010, S. 210-211). Als Pädagoginnen und Pädagogen haben Lehrerinnen und Lehrer somit die Funktion eine „Entwicklung von der heteronomen zur autonomen Lebensführung“ (Garz/Raven 2018, S. 44) zu bewirken. Da den Lehrpersonen eine vermittelnde Arbeit zukommt, kann die Berufs­gruppe der Lehrer als eine „vermittelnde Profession“ (Herzog/Makarova 2014, S. 91) be­schrieben werden. Damit stellt die Lehrerprofessionalität ein personales Merkmal dar, wel­ches zwar die Unterrichtsqualität steuert, jedoch nicht als eigener Aspekt von Unterrichtsqua­lität gesehen werden kann (vgl. Helmke 2014, S. 76).

Während des „Professionalisierungswegs“ (ROTT 2017, S. 76) durchläuft das Individuum ver­schiedene Schritte; wichtig dabei ist jedoch, dass kein Endstadium der Professionalisierung vorhanden ist, da es sich um eine fortlaufende Entwicklung handelt. Also je mehr gehandelt und gelernt wird, umso stärker prägt sich die Profession aus (vgl. Coleman et al. 2012, S. 31). Demnach ist die Lehrerprofessionalität ein sich entwickelnder Prozess und keine starre Eigenschaft von Individuen (vgl. ROTT 2017, S. 65-70).

Lehrerprofessionalität ist eng verknüpft mit der Aneignung einer Expertise - bei dieser sind ein umfangreiches Wissen und eine reichhaltige Erfahrung grundlegende Voraussetzungen. Zwar versteht man unter einem Experten jemanden, der sich auf einem bestimmten Gebiet spezialisiert hat, jedoch ist die Definition von Expertise breit gefasst (vgl. SCHNEIDER 1999, S. 83). Neben wissensbasierten bzw. theoretischen Grundlagen - welche ebenso durch prakti­sche Erfahrungen, sowie durch Recherche erlernt werden - prägen individuelle Vorausset­zungen den Professionalisierungsprozess. Diese umfassen persönliche Eigenschaften und Charakteristika, welche anhand von sozialer Kompetenz auf die individuelle Entwicklung einwirken (vgl. WEINERT 2000, S. 15). Damit ist die Lehrerprofessionalisierung „(...) - im Gegensatz zum wissensbasierten Expertisebegriff (...) - [abhängig von] einem breitem Spekt­rum persönlicher Voraussetzungen“ (ROTHLAND 2013, S. 13).

An mehreren Punkten ist bisher angeklungen, dass viele Möglichkeiten bestehen, den Lehrbe­ruf und die Lehrerausbildung zu beurteilen. So werden in der Literatur drei Ansätze zur Be­stimmung von Lehrerprofessionalität unterschieden: Der strukturtheoretische-, der kompe­tenztheoretische - und der berufsbiographische Bestimmungsansatz, wobei sich die einzelnen Bestimmungsansätze teilweise überschneiden.

Der strukturtheoretische Ansatz ermittelt anhand von empirisch qualitativer Forschung spezi­fische Widersprüche und Balanceprobleme, welche bei der Ausübung des Lehrerberufs vor­handen sind. Dabei sind exemplarisch die Gegensätze Nähe und Distanz, Autonomie und He- teronomie oder Einheitlichkeit und Differenz anzuführen. Dementsprechend kreieren diese Widersprüche einen Rahmen, welche die Lehrtätigkeit als eine Gegebenheit mit vielen unsi­cherheiten charakterisiert. Daraus ergibt sich - in Bezug auf das Erlangen einer Lehrerprofes­sionalität - die Aufgabe, diese Widersprüche zu überwinden, wobei ein reflektiertes Handeln leitend ist (vgl. Terhart 2011, S. 206f.). So weisen die Professionen eine eigene Strukturlo­gik auf, wessen Aufarbeitung für einen Erfolg der Lehrtätigkeit zentral ist (vgl. Heinemann 2018, S.41).

Der berufsbiographische Ansatz zentriert hingegen die Professionalität als Entwicklungsprob­lem und fokussiert daher die Steigerung der Fähigkeiten. Dabei nehmen individuelle Entwick­lungen bzw. Probleme direkten Einfluss auf die Lehrerprofessionalität, sodass diese Entwick­lungsprozesse einer genauen Bewertung unterliegen. So liefert der berufsbiographische An­satz Grenzen, da einheitliche Kriterien zur Kategorisierung von Professionen nicht gegeben sind. Ebenso beruft sich der Ansatz auf Einzelfälle und liefert so keine wissenschaftlich be­gründeten Werte. Des Weiteren ist keine explizite Benennung in Bezug auf einen Berufser­folg vorhanden (vgl. Terhart 2011, S 208f.).

Im Gegensatz dazu liefert der kompetenztheoretische Ansatz zuverlässige empirische Werte, die das individuelle Kompetenzniveau messen bzw. auf dessen Grundlage eine explizite Do­mäne der Aufgabenbereiche des Lehrerberufs festgelegt wird. Einzelne berufliche Fähigkeiten werden anhand der Handlung gemessen. Eine gute Professionalität liegt demnach vor, wenn in möglichst vielen Kompetenzbereichen hohe Leistungen erbracht werden. Durch eine Ein­teilung der Lehrerprofessionalität in verschiedene Kategorien - den Kompetenzen - inkludi­ert dieser Bestimmungsansatz die Möglichkeit zur Steigerung der eigenen Fähigkeiten. Dem­entsprechend können Prozesse über einen längeren Zeitraum anhand von Kompetenzen unter­sucht und analysiert werden, sodass sich der kompetenztheoretische Ansatz eignet, um die vorliegende Arbeit durchzuführen. Aus diesem Grund ist die quantitative empirische For- schung förderlich, um das Handeln von Lehrpersonen zu untersuchen. Dies wird auch als Ex­pertenansatz bezeichnet (vgl. Terhart 2011, S. 207f.).

Auch wenn die drei Ansätze unterschiedliche Forschungsrichtungen zentrieren, sodass Schwerpunkte different sind, verweisen alle Bestimmungsansätze auf die „berufliche Soziali­sation, [die] Wissensgrundlage sowie [die] Bereitschaft zur Weiterentwicklung“ (Terhart 2011, S. 216).

Eine Definition und Erläuterung der Lehrerprofessionalisierung ist demnach gekoppelt an eine Erarbeitung des Kompetenzbegriffs. Eine wissenschaftlich anerkannte Definition liefert der ehemalige deutsche Psychologe F E Weinert; ihm zu Folge versteht man unter Kompe­tenzen „(...) die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivatio­nalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösung in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S.27f.). Somit ist die Fähigkeit gemeint in bestimmten Situationen routiniert zu reagieren, wobei eine realistische Einschätzung und Wahrnehmung für die individuen wichtig ist. Das Handeln wird durch gedankliche Begleitprozesse gesteuert (vgl. König 2013, S. 52). Trotz aufkommender Kritik an der Definition von F E Weinert (vgl. Hackl 2014, S. 58), knüpfen nachfolgende Ausführungen des Kompetenzbegriffs dort an, vor allem der Psychologe E Klieme etabliert seine Definition in der zeitlich nachfolgenden Literatur. Nach E Klieme werden Kompetenzen als „kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen“ (Klieme 2003, S. 72) verstanden. So etabliert sich der Kompetenzbegriff in Bezug auf den Lehrerberuf - aufbauend auf der Definition von F E Weinert - erst seit Anfang der 2000er Jahren in der Literatur. Ebenso berufen sich verschiedene Studien, die die Lehrerprofessionalität untersu­chen, auf den Ansatz von F E Weinert (vgl. Blömeke/Felbrich/MÜller 2008, S.17). Kom­petenzen sind demnach erlernbar und sollten je nach Situation angepasst sein. Da Kompeten­zen abhängig vom Kontext sind, ist mit ihnen der Durchlauf eines Lernprozesses eng ver­knüpft. Dabei wird deutlich, dass Kompetenz nicht mit Intelligenz gleich gesetzt werden kann, was wiederum bedeutet, dass kognitive Leistung nicht zentral für das Erwerben von Kompetenzen ist. Es ergibt sich je nach Lebensweltbezug unterschiedliche Anforderungen, sodass eine Abgrenzung zwischen spezifischen Kompetenzen, sowie Schlüsselkompetenzen stattfindet (vgl. König 2013, S. 64f.).

Um eine detaillierte Erarbeitung der Lehrerprofessionalität vorzunehmen wird eine von J Baumert und M Kunter entwickeltes Modell vorgestellt, bei dem die Aspekte professionel­ler Kompetenz spezifiziert dargestellt sind. Die Forschungen der Erziehungswissenschaftler liefern folgende vier Aspekte: Motivationale Orientierungen, Selbstregulation, Überzeugun­gen und Professionswissen (Abb. 2). Dabei stellt das Modell das Professionswissen als einen Aspekt dar und unterteilt diesen in weitere fünf Kompetenzbereiche, sowie sieben weitere Kompetenzfacetten (vgl. Köller/Köller/Baumert 2016, S. 10-15). An dieser Stelle soll das pädagogisch-psychologische Wissen als einer der Kompetenzbereiche hervorgehoben werden, was die Zusammenhänge des Modells beispielhaft begründet . Mit dem Erlangen der Kompetenzfacette Wissen über Leistungsbeurteilung ist die grundlegende Theorie für die Bewertungen von Schülerinnen und Schülern vorhanden. Damit sind zwar Voraussetzungen der Leistungsbeurteilung vorhanden, doch nur, wenn die anderen drei Aspekte auch funktio­nieren kann eine qualitative Leistungsbeurteilung stattfinden. Es wird dabei auch von diag­nostischer Expertise gesprochen, da die diagnostische Kompetenz methodisches, prozedurales und konzeptuelles Wissen umfasst, sodass eine Abgrenzung zur äußeren Beurteilung bzw. Bewertung deutlich wird (vgl. Helmke 2014, S. 1991). Demnach besteht eine Abhängigkeit zwischen den verschiedenen Aspekten professioneller Kompetenz.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Das Kompetenzmodell von COACTIV mit Spezifikation für das Professionswissen (aus: Bau mert/Kunter 2011, S. 37)

Das vorherige Modell unterscheidet sich in einigen Aspekten in Bezug auf das Professions­wissen von F E WEINERTS Auflistung der Kompetenzen; dieser sah nur vier Basiskompeten­zen, welche einen erfolgreichen Unterricht erzeugen, vor. Neben der diagnostischen Kompe­tenz für F E Weinert die fachliche-, fachübergreifende- und die Handlungskompetenz hinzu (vgl. Weinert 2000, S. 14f). Da die Forschungen in Bezug auf Kompetenzen und deren Mo­delle neuere Entwicklungen sind und sich die Expertise Forschung in großen Teilen zu der Kompetenzforschung unterscheidet, nehmen Modelle von professioneller Kompetenz auch Bezug zu den Werten der Expertise Forschung (vgl. KÖNIG 2013, S. 65).

Eine Verankerung von Kompetenzen bzw. von Kompetenzbereichen besteht auch in den Lehrplänen. Dabei sind die „Input-“ und „Output-“ Orientierung in Bezug auf die Lehr- und Lernprozesse, aufgrund von schlechten Ergebnissen in verschiedenen Wissensstudien, in den Fokus gerückt. Als Resultat des Programme for International Student Assessement (PISA­Studie) haben sich die Lehrpläne radikal verändert, sodass diese zwar weiterhin inhaltliche Aspekte beschreiben, jedoch sich an Kompetenzformulierungen orientieren. Dadurch wird die Lehrerzentralität eingedämmt, da die neu geforderte Output Orientierung auf die Ergebnisse schulischer Arbeit abzielt, bei der die Prozesse ebenso relevant sind (vgl. Riecke-Baulecke 2016, S. 170f.). Bei den Formulierungen in den neuen Lehrplänen wird deutlich, dass die In­put Orientierung in den Hintergrund rückt, da konkret formuliert wird, was Schülerinnen und Schüler erlernen sollen. Somit finden Ergebnisse und Prozesse - also damit auch die erwor­benen Kompetenzen - Beachtung. Es vollzieht sich zwar ein Perspektivwechsel, die reine Input- bzw. Output Orientierung stellen jedoch zwei extreme Positionen dar, welche fachlich und inhaltlich teilweise stärker bzw. weniger umgesetzt werden können (vgl. KÖNIG 2013, S. 44).

Seit knapp 20 Jahren hat sich der Kompetenzansatz etabliert, erste Überlegungen wie Kompe­tenzen greifbar gemacht werden können, wurden allerdings schon deutlich früher anhand ei­nes Kompetenzmodells skizziert. Der Schulpsychologe L S Shulman gilt als Vorreiter in Bezug auf die Strukturierung von professionellem Wissen. Mit seinem Modell von 1986 etab­lierte er die diagnostische Kompetenz und verdeutlichte, dass es nicht reicht nur über das Wissen zu verfügen (vgl. Köller/Köller/Baumert 2016, S. 9). Der Stellenwert von Kom­petenzen wird durch zahlreiches Verwenden in Studien deutlich. So baut auch PISA auf das Messen von Kompetenzbereichen auf (vgl. Drechsel/Prenzel 2008, S. 8).

um die Lehrerprofessionalisierung weiter zu vertiefen werden drei Studien vorgestellt, wel­che Kompetenzen und Professionswissen untersuchen und analysieren. Mit dem Ziel „profes­sionelles Wissen theoretisch zu konstruieren, [schließen diese] an die Expertiseforschung und deren Übertragung auf Professionen an“ (Baumert et al. 2011, S. 14).

Unter dem Namen Mathematics Teaching in the 21st Century (MT21) startete Ende 2002 die internationale Studie, bei der anhand von Kompetenzen Effekte der Lehrerausbildung unter­sucht werden. Die Stichprobe dieser quasi-experimentellen Studie setzt sich aus angehenden Mathematiklehrpersonen aus sechs Ländern3 zusammen, wobei die Untersuchung schulform­übergreifend ausgerichtet ist. Durch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Lehrer­ausbildung ist die Möglichkeit gegeben, Lehrerprofessionalität in Bezug auf institutionelle Merkmale zu analysieren. Die Untersuchung von professioneller Kompetenz blendet, auf­grund eines sehr großen Umfangs, einige Aspekte aus. Anhand des Kompetenzbegriffs von WEINERT werden verschiedene Untersuchungsbereiche auf nationaler-, institutioneller und individueller Ebene fokussiert (vgl. Blömeke/Fellbrich/MÜller 2008, S. 15-24.). Um die Ziele in Bezug auf das Unterrichten der Lehrenden zu ermitteln, steht die Untersuchung von unterrichtsbezogenen Überzeugungen im Mittelpunkt. Dabei unterscheidet MT21 die drei Dimensionen Zielvorstellungen, unterrichtsmethodische Präferenzen und das Classroom Ma­nagement. Wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Lehrerausbildung im deutschsprachigen Raum sind, dass ein Abarbeiten und Erlernen von Einzelmerkmalen im Hinblick auf die Leh­rerausbildung nicht gewinnbringend ist, sondern der Unterricht in seiner Gesamtheit fokus­siert werden muss. In Bezug auf die Überzeugungen zum Lehren und Lernen ergeben die For­schungen, dass die angehenden Lehrpersonen vor allem affektiv motivationale Strukturen bei den Schülerinnen und Schülern bewirken möchten, sodass Neugierde, Phantasie und selbst­ständiges Lernen anhand von eigenem Interesse am Problemlösen erwünschte Bestandteil des Mathematikunterrichts sind. Dementsprechend vertreten die Probanden die Auffassung, dass ein Mathematikunterricht, welcher ein eigenaktives Lernen der Schülerinnen und Schülern vorsieht, einen höheren Stellenwert hat als ein Mathematikunterricht mit traditionell direkti- ver Struktur (vgl. MÜller/Felbrich/Blömeke 2008, S. 248-269).

Die Ergänzungsstudie zur deutschen PISA-Untersuchung, die Studie Cognitive Activation in the Classroom: The Orchestration of Learning Opportunities fort he Enhancement of Insight­ful Learning in Mathematics (COACTIV) knüpft an der Untersuchung der PISA-Klassen an und überschneidet sich zeitlich mit der MT21 Studie. Es werden Strukturen und Aufbau einer professionellen Kompetenz von Lehrpersonen untersucht. Dabei fokussiert COACTIV das didaktische bzw. fachliche Wissen von Mathematiklehrpersonen durch eine erneute Befra­gung der an PISA beteiligten Lehrpersonen. Das Kompetenzmodell - welches für diese Stu­die entwickelt wurde - beschreibt Lehrerprofessionalität als eine Eigenschaft, die sich unab­hängig von Begabung entwickeln kann. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit zu der Form der Lehrerausbildung, dementsprechend ist der Professionalisierungsprozess ein zentraler Unter­suchungsfaktor (vgl. Baumert et al. 2011, S. 7-16). Durch die Zweitbefragung der Proban­den, stellt COACTIV eine Längsschnittstudie dar, sodass sie einen „einzigartigen Stellen­wert“ (König 2013, S. 48) einnimmt. Als Vorläuferstudie der Teacher Education and Deve­lopment Study: Learning to Teach Mathematics 2008 (TEDS-M 2008), von welcher die Items für die untersuchung der vorliegenden Arbeit übernommen wurden, sollen Hintergründe von COACTIV erläutert werden. Die Konstruktion der Fragebögen und Anlegung der Items fand unter Berücksichtigung von empirischen Belegen in Bezug auf die bestmögliche Gestaltung von Lernprozessen statt. Die Lernprozesse werden in die drei Dimensionen, welche eine Wei­terentwicklung der Dimensionen von MT21 sind, gegliedert:

a. Kognitiv herausfordernde Lerngelegenheiten in den Kernbereichen der jeweiligen Domäne
b. Lernunterstützung durch sorgfältige Überwachung des Lernprozesses, individuelle Rück­ meldung und adaptives unterrichten
c. Ein effizientes Klassen- und Zeitmanagement des unterrichtverlaufs

Anhand dieser drei Dimensionen ist ein Modell erstellt worden (s.o.), auf welches sich die Studien beziehen und die unterrichtsqualität darstellt. Dabei sind die Fragebögen fachspezi­fisch konstruiert, da ein domänenspezifisches Vorgehen notwendig ist. Dementsprechend ist eine reine Übertragung auf andere unterrichtsfächer nicht möglich, jedoch ermöglicht die Spezifizierung und Konzentration auf ein unterrichtsfach eine höhere Präzision der Ergebnis­se (vgl. Baumert et al. 2011, S. 13f.). Zentrale Erkenntnis von COACTIV ist, dass Lehrper­sonen mit einem konstruktivistisch ausgerichteten unterricht einen höheren Lerneffekt bei den Schülerinnen und Schülern erzeugen.

Die Studie TEDS-M 2008 , welche bereits 2003 konzeptioniert und 2008 durchgeführt wurde, untersucht die Kompetenzentwicklung während der Lehrerausbildung (vgl. KÖNIG 2013, S. 49). Bei der internationalen Studie sind Primarschulen - untersucht werden lediglich ange­hende Lehrpersonen für die Sekundarstufe I - aus sechszehn Ländern beteiligt, damit ist TEDS-M 2008 deutlich breiter angelegt als vorherige Studien in Bezug auf die Professionali­tät von Lehrpersonen. Ebenso wie MT21 und COACTIV schließt der theoretische Rahmen an den Kompetenzbegriff von F E Weinert an (vgl. Blömeke/Kaiser/Lehmann 2010, S. 12f.). Dementsprechend stimmt die „grundsätzliche Konzeptualisierung für die Erfassung professi­oneller Lehrerkompetenzen“ (KÖNIG 2013, S. 49) überein. Da sich die Gruppe der Probanden aus angehenden Lehrpersonen am Ende ihrer Lehrerausbildung zusammensetzt, wird anhand der Überprüfung von Kompetenzen, nicht nur der Ist-Zustand, sondern auch der Erwerbspro­zess untersucht. Dabei werden mögliche Zusammenhänge mit Rahmenbedingungen der Leh­rerausbildung erfragt und individuelle Voraussetzungen ermittelt. Nach der Durchführung von zwei Pilotstudien4, anhand derer nicht nur die Wirksamkeit der Lehrerausbildung, sondern auch die inhaltliche Validität des Instruments getestet wurde, setzt sich das Testinstrument aus einem fachlichen- und mathedidaktischen Anforderungsprofil zusammen (vgl. KÖNIG 2013, S. 70-85). Dabei wird anhand eines Leistungstests die fachliche Kompetenz (74 Items) und die mathedidaktische Kompetenz (32 Items) in Bezug auf die Wirksamkeit der Lehrer­ausbildung ermittelt. Aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme in den teilnehmenden Ländern werden zahlreiche Unterscheidungen in Bezug auf die Klassenstufen vorgenommen. Eine detaillierte Darstellung dieser Ergebnisse ist in der vorliegenden Arbeit nicht realisier­bar. Es sei jedoch erwähnt, dass die Kompetenzen der angehenden Lehrpersonen in der Bun­desrepublik Deutschland im fachlichen Kompetenzbereich besser abschneiden als in dem di­daktischen Kompetenzbereich. Des Weiteren liegen diese Ergebnisse im internationalen Ver­gleich im Mittelfeld bzw. im oberen Bereich (vgl. Blömeke/Kaiser/Lehmann 2010, S.27f.). In Bezug auf die vorliegende Forschungsarbeit soll auf die ermittelten Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Rahmen der Studie TEDS-M 2008 eingegangen werden. So werden konstruktivistische Überzeugungen zum Lehren und Lernen stärker vertreten als transmissive Überzeugungen zum Lehren und Lernen. Darüber hinaus ist mit den Strukturen von TEDS-M 2008 eine Grundlage geschaffen worden, welche auf andere Fächer übertragbar ist. Die natio­nale Studie Teacher Education and Development Study: Learning to Teach erweitert die Kompetenzforschung auf die anderen beiden Hauptfächer; das Untersuchungsdesign ist ange­passt und neue Erkenntnisse der Empirie sind in die Überarbeitung aufgenommen. Es zeigen sich unabhängig der Fächer viele Ähnlichkeiten in Bezug auf die Bedingungsfaktoren des Kompetenzerwerbs (vgl. Blömeke 2013, S. 7-16).

Bei einem Vergleich der Ergebnisse der vorgestellten Studien, die teilweise eine zeitliche Überschneidung ihrer Durchführung beinhalten, sind Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Überzeugungen zum Lehren und Lernen festzustellen (vgl. Müller/Felbrich/Blömeke 2008, S. 268). Jedoch muss bei diesem Vergleich berücksichtigt werden, dass COACTIV eine Befragung von bereits berufstätigen Lehrpersonen vornimmt, wobei MT21 und TEDS-M an­gehende Lehrpersonen befragen (vgl. König 2013, S. 48f.). Anhand dieser Studien konnte die Lehrerprofessionalität und, in Zusammenhang damit die Qualität der Lehrtätigkeit aufgearbei­tet und modifiziert werden. Wie bereits eingehend erläutert, ist die wissenschaftliche Erarbei­tung eine Voraussetzung für die Messung der Punkte, da „ohne Evaluation Professionalität nicht herstellbar“ (Riecke-Baulecke 2016, S. 178) ist.

Eine graphische Darstellung von verschiedenen Faktoren der Unterrichtsqualität vereint das Angebots-Nutzungs-Modell, bei dem Zusammenhänge von Wirkungsweisen und Zielkriterien des Unterrichts erläutert werden. Bei diesem Modell ist erkennbar, dass die Lehrerprofessio­nalität ein wichtiger Einflussfaktor von Unterricht ist. Trotzdem wird verdeutlicht, dass die Lehrerprofessionalität nicht als einziger Faktor ausschlaggebend für die Lernaktivität und dem Lernpotenzial der Schülerinnen und Schülern darstellt. Die Veranschaulichung nimmt etliche Elemente von J HATTIE auf. Der Wissenschaftler trägt mit seinen Anhaltspunkten für die Erzeugung eines guten unterrichts maßgeblich für die Grundlage der Forschungen bei. Doch auch bei dem Befolgen dieser Anhaltspunkte ist das Agieren vom Lernenden wegwei­send für den potenziellen Lernvorgang5 (vgl. HELMKE 2014, S. 71-77). Die Aussage entlastet die Lehrenden und nimmt eine Verantwortung von ihnen, da der Lernprozess bei den Schüle­rinnen und Schülern nur auftreten kann, wenn das Angebot von den Lernenden genutzt wird. Ob das Angebot, also der unterricht, genutzt wird, darauf haben die Lehrpersonen keinen Einfluss.

Im Zusammenhang mit der Formulierung eines Leitbilds von Lehrerprofessionalität ist diese Kernaussage des Angebot-Nutzungs-Modells von großer Bedeutung, da dadurch Grenzen aufgezeigt werden. Es ist zwingend notwendig, dass bei der Beurteilung von individueller Lehrerprofessionalität eine begrenzte Einflussmöglichkeit berücksichtigt wird (vgl. HER- zog/Makarova 2014, S. 97). Unterricht kann als „Lerngelegenheit“ (Kunter/Trautwein 2013, S. 59) definiert werden.

Der Professionalisierungsprozess kann eng mit den zehn Merkmalen guten Unterrichts, wel­che 2004 von H Meyer formuliert wurden, verknüpft werden. Seine Orientierungspunkte für die Gestaltung eines guten Unterrichts decken die angesprochen Kompetenzen ab. Bei diesem Vergleich mit den Vorgaben von H Meyer wird deutlich, dass vorhandenes Wissen nicht ausreichend ist, um als Lehrperson einen qualitativ hochwertigen Unterricht durchzuführen. Vielmehr steht das Konstruieren eines lernförderlichen Klimas durch eine möglichst hohe Lernzeit im Zentrum der Fähigkeiten einer Lernperson (vgl. Meyer 2004, S. 23-126).

Dabei nimmt diese Definition Abstand von dem Einzelkämpfer Status. Im Abschluss soll der Hinweis getätigt werden, dass in der Gesamtheit der Berufsgruppe der Maßstab für eine Pro­fessionalisierung auf denselben Aspekten aufbaut; dabei die Berufsgruppe der Lehrer jedoch von einer sehr hohen Vielfältigkeit geprägt ist. Dementsprechend erlangt jede Lehrperson auf vielfältige Weise, geprägt von Rahmenbedingungen, beruflicher Identität oder persönlicher Weltanschauung, die persönliche und individuelle Lehrerprofessionalität (vgl. Cramer 2012, S. 15). Schlussfolgernd ist das Erlangen einer Lehrerprofessionalität eng gekoppelt an Intuiti­on und gesundem Menschenverstand (vgl. Herzog/Makarova 2014, S. 92), ebenso ist ein „bloßes (angelesenes) Wissen keineswegs gleichbedeutend (...) mit einer Handlungskompe­tenz“ (Helmke 2014, S. 309) und dementsprechend einer Lehrerprofessionalität. Die Lehrer­professionalität kann als ein Prozess, welcher niemals beendet ist, beschrieben werden.

2.3 Überzeugungen

In den ersten beiden Abschnitten dieses Kapitels wurden die Praxisphasen, sowie der Profes­sionalisierungsprozess während der Lehrerausbildung skizziert. Neben der motivationalen Orientierung, der Selbstregulation und dem Professionswissen, stellen die Überzeugungen einen der vier Aspekte professioneller Kompetenz dar, auf welche sich die zentralen Studien zur Lehrerprofessionalität beziehen (vgl. Baumert/Kunter 2011, S. 32). Neben einer expli­ziten Definition der Überzeugungen soll im Folgenden auch eine Abgrenzung zu in der Lite­ratur ähnlich verwendeten Ausdrücken stattfinden. Dementsprechend wird der Begriff zuerst allgemein definiert; im weiteren Verlauf findet eine Fokussierung der lehr- und lernbezogenen Überzeugungen satt.

Neben dem Begriff Überzeugungen werden in der Literatur verschiedene Begriffe ähnlich genutzt, wobei die Verwendung durch die Intention der Autoren orientiert, sich also durch die beste Darstellung des Zugangs zu der Lehrerkognition prägt (vgl. SCHLICHTER 2012, S. 9). In der englischen Übersetzung wird beliefs verwendet, wobei diese Bezeichnung auch in der deutschen Literatur oft präsent ist. Auf dessen Verwendung soll in der vorliegenden Master­arbeit jedoch verzichtet werden, da dieser Begriff - vor allem in der englischsprachigen Lite­ratur - uneinheitlich verwendet wird. Die Varianz der Verwendung des Begriffs beliefs drückt sich darin aus, dass diese beliefs meist auf nicht wissenschaftliche Vorstellungen beru­hen. Dadurch ist keine Allgemeingültigkeit gegeben. Zwar haben beliefs auch einen zentralen Einfluss auf das Handeln und das Bewerten von Individuen, jedoch sind diese nicht fassbar und beruhen auf Einschätzungen (vgl. Oser/BlöMEKE 2012, S. 416). Um einen Sachverhalt aus einer persönlichen Perspektive zu beleuchten, finden Subjektive Theorien Verwendung. Diese umfassen jedoch - im Gegensatz zu den Überzeugungen - alle Bereiche des Lebens. Überzeugungen sind in bestimmten Kontexten zu sehen und sind somit spezieller. Demnach sind subjektive Theorien nicht explizit oder formalisiert, sodass sie widersprüchlich in sich sein können (vgl. HEINEMANN 2018, S. 57f. zit. n. VIEBROCK 2007, S. 36). Der Begriff Ein­stellungen kann als eine psychologische Tendenz definiert werden, die eine Situation oder einen Sachverhalt bewertet. Diesen Einstellungen kommen verschiedene Funktionen zuteil, u.a. der Nützlichkeits- oder der Ich-Verteidigungsfunktion. Beispielhaft sind für eine Einstel­lung sind die Vorurteile, die Sympathie bzw. die Antipathie oder der Selbstwert zu nennen. Dabei zeigt sich, dass Einstellungen von emotionalen Empfindungen geleitet sind (vgl. WIS- WEDE 2004, S. 111f.). Die Überzeugungen des Individuums beinhalten bzw. entwickeln sich aufgrund verschiedener Haltungen, Vorstellungen, Annahmen oder Meinungen in Bezug auf spezifische Sachlagen. Dementsprechend können diese Begriffe mit dem Terminus Überzeu- gungen nicht gleichgesetzt, sondern müssen untergeordnet werden (vgl. Kunter/Trautwein 2013, S. 151).

Zu einem früheren Zeitpunkt der Veröffentlichungen zu Überzeugungen haben wissenschaft­ler die Begriffe Wissen und Überzeugungen als untrennbar definiert (vgl. SCHLICHTER 2012, S. 8). Auch wenn zwischen den Termini teilweise Überschneidungen vorhanden sind, ist eine Unterscheidung - nicht nur in Bezug auf das Modell von TEDS-M 2008 - wichtig. Um den zentralen unterschied zwischen Überzeugungen und Wissen zu verdeutlichen, liefert die De­finition von O J HARVEY Informationen. Er stellt Überzeugungen als eine Gegebenheit her­aus, welche vom Individuum abhängig ist. Diese Abhängigkeit setzt sich aus persönlichen Aktionen, Erlebnissen und Wahrheiten zusammen (vgl. HARVEY 1986, S. 660). Folglich sind bestehende Überzeugungen immer das Resultat eines Prozesses, welcher bei jedem Individu­um unterschiedlich geprägt wird. Dabei ergibt sich eine enge Verknüpfung mit der angewand­ten Ethik: „Man muss überhaupt erst so manches gelernt haben, ehe man über die Hand­lungsweise eines Anderen richtig urteilen kann “( Aurel 2010, S. 110). Es wird deutlich, dass zu Beginn ein persönliches Empfinden steht. Ferner eine Beurteilung über das Handeln von Anderen - ohne Kenntnis auf diesem Gebiet zu besitzen - einen wertvollen Inhalt haben kann, ebenso wenig kann eine Überzeugung zu einer Thematik bestehen, bevor ein ausführli­cher Kontakt mit dieser Thematik bestanden hat.

Dabei gelten Überzeugungen als sehr stabiles Konstrukt, welche zwar in der Kindheit noch sehr variabel, im jungen Erwachsenenalter aber als sehr gefestigt gelten. Dementsprechend sind Überzeugungen schwer veränderbar, sodass einschneidende Erlebnisse notwendig sind, um sie langfristig zu verändern. Dieser Veränderungsprozess kann nur über einen längeren Zeitraum greifen, sodass sich die empirische Überprüfung von Überzeugungen an diesen Sachverhalt anpassen muss (vgl. Schlichter 2012, S.8). Da Überzeugungen auf persönlichen Erfahrungen bzw. als eine individuelle Repräsentation der Realität definiert werden, verlan­gen sie keine Rechtfertigung (vgl. HARVEY 1986, S. 660). Eine besondere Bedeutung nehmen die Überzeugungen in Bezug auf das Handeln von Individuen ein, denn diese steuern das Handeln der Menschen von allen Einflussfaktoren am meisten. In diesem Kontext wird auch von einem „Filter“ (Keller-Schneider 2017, S. 198) gesprochen, welche die differente Aufnahme bei den Individuen erzeugt. Diese Disposition ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die Wahrnehmung, Beurteilung und Interpretation von bestimmten Situationen durch Überzeugungen gesteuert wird (vgl. Harvey 1986, S. 659f.) Neben dieser Eigenschaft als handlungsweisend, steuern Überzeugungen demnach auch die „Wahrnehmung der Umwelt“ (Schlichter 2012, S. 9).

Durch die individuelle Facette von Überzeugungen ist eine Kategorisierung in falsch oder richtig nicht umsetzbar. Jedoch können Versuche zur Ergründung der individuellen Überzeu­gungen Fehleinschätzungen der Individuen auf decken (vgl. Kunter/Trautwein 2013, S.151). Bei einer Annäherung an den Begriff Überzeugungen sind demnach zwei Begriffe elementar: einerseits das Wissen sowie andererseits das Handeln. Diese können jedoch kei­neswegs gleichgesetzt werden, viel mehr stellen die Überzeugungen eine Art „(---) Brücke zwischen Wissen und Handeln (...)“ (BlöMEKE et. al. 2008, S. 220) dar.

In der pädagogisch-psychologischen Forschung werden Überzeugungen, welche sich auf Wissen bzw. den Wissenserwerb beziehen, oft als epistemologische Überzeugungen bezeich­net. Diese beinhalten zahlreiche einzelne Aspekte, die sich auf das Themenfeld Wissen bezie­hen (vgl. Levin/Meyer-Siever/Gläser 2015, S. 18). Die Überzeugungen zu der „Natur des Wissens“ (VOSS et. al. 2011, S.242) nehmen eine Kategorie in den Studien COACTIV und TEDS-M 2008 ein und sind ebenfalls ein Bestandteil unseres Messinstruments, wobei in Kap. 3.2 noch expliziter auf diesen Aspekt eingegangen wird. Die zentrale Annahme bei epistemo­logischen Überzeugungen besteht darin, dass diese intuitiv die Art der Begegnung mit der erkennbaren Welt vorstrukturieren. ursprünglich stammt dieses Konstrukt aus der Philoso­phie und befasse sich mit der Frage nach der Rechtfertigung menschlichen Wissens. In den 1970er Jahren fand das Konzept Eingang in die psychologische Forschung und die Bildungs­forschung. Aufgrund von schwerpunktmäßigen Forschungen über Lernen, wurde der Aspekt in der Bildungsforschung relevant (vgl. SCHLICHTER 2012, S. 5 u. S.37f). Die Übergänge zwi­schen epistemologischen Überzeugungen und den lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen sind fließend, sodass die epistemologischen Überzeugungen teilweise auch als Teilbereich der lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen klassifiziert werden (vgl. Dubberke et al. 2008 , S. 202ff.).

Mit der expliziten Untersuchung von Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Fach Ma­thematik wird ein zentraler Aspekt der Vermittlung von mathematisch fachlichem Wissen untersucht. Dementsprechend sind die Überzeugungen zum Lehren und Lernen nicht gänzlich trennscharf mit den epistemologischen Überzeugungen im Fach Mathematik. Bei der Formu­lierung von Definitionen und der Skizzierung von Zusammenhängen der epistemologischen Überzeugungen und den lehr- und lernbezogenen Überzeugen bestehen in der Literatur Dis­krepanzen (vgl. Schlichter 2012, S. 50). Für die vorliegende Masterarbeit orientiert sich die Auffassung von epistemologischen Überzeugungen an der Definition von relevanten Studien (u.a. Staub/Stern 2002) für die Untersuchung von Überzeugungen zum Lehren und Lernen, sodass direkte Wissensansichten im fortlaufenden Text ausgeklammert werden.

[...]


1 Im fortlaufenden Text ist bei Verwendung der männlichen Form auch das andere Geschlecht mit gemeint, dies beinhaltet alle Wortformen mit dem Begriff „Lehrer“-.

2 Seit fünf Jahren wird das Praxissemester fortlaufend an eine steigende Anzahl von Universitäten etabliert.

3 Bulgarien, Deutschland, Mexiko, Südkorea, Taiwan, USA

4 Pilotstudie I wurde an der pädagogischen Hochschule Österreich, Pilotstudie II an der Universität zu Köln durchgeführt

5 J Hattie bezieht sich bei seiner Veröffentlichung Visible Learning im Jahr 2009 auf über 700 Meta-Studien, sodass seine Darstellungen über die Realisierbarkeit von gutem Unterricht eine hohe Anerkennung erhalten.

Fin de l'extrait de 106 pages

Résumé des informations

Titre
Verändern sich bei angehenden Lehrern die Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Fach Mathematik durch die Schulpraxis während des Praxissemesters?
Université
University of Münster
Note
2,0
Auteur
Année
2018
Pages
106
N° de catalogue
V937724
ISBN (ebook)
9783346266545
ISBN (Livre)
9783346266552
Langue
allemand
Mots clés
verändern, lehrern, überzeugungen, lehren, lernen, fach, mathematik, schulpraxis, praxissemesters
Citation du texte
Laura Kriewen (Auteur), 2018, Verändern sich bei angehenden Lehrern die Überzeugungen zum Lehren und Lernen im Fach Mathematik durch die Schulpraxis während des Praxissemesters?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/937724

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